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6

Verena war eine jungfräuliche Frau, eine schlanke, schwebende Junge in schwarzen Flören. Komtesse Josepha ging mit sorgendem Blick zärtlich hütend um sie. Und die Gesellschaftsdame, eine alte Baronin, die außermaßen verbindlich und steif und blinzelnd etwas hinterdrein kam, sowie die jungen Herrschaften, die mit den Ankommenden jetzt auf die Terrasse hinausgetreten, alle schienen in ihren gemessenen Gebärden anzudeuten, daß ein unbegreifliches Schicksal nun in ihrer Mitte stand.

Allenthalben hatte die schwebende, schlanke, verschleierte Verena den Vortritt.

Auch die alte Exzellenz erhob sich wie erschreckt, als sie Verena vor sich sah, und küßte der Trauernden die Hand, ohne etwas zu sagen. Es schien in diesem Augenblicke, als wenn eine Heilige mit einer Trauerbotschaft hereingetreten, und als wenn alle erstarrt wären.

Um Verena wehte es wie Märzluft. Sie schien von der Fahrt ein wenig gerötet. Aber gar nicht sonst erweckt aus ihrer tiefen Stille.

Man hatte bei der Begrüßung nur flüchtig leise Worte gewechselt. Jetzt war man lange stumm. Alle, auch die Jungen, lauschten sozusagen auf ein erlösendes Wort, das aus den leichtgereckten, flaumigen Lippen von Verena kommen würde, die wie eine Rätselträgerin aufgerichtet dastand.

Verena hatte ihren Schleier zurückgeschlagen. Da enthüllte sich ein Gesicht, rosig und streng, wie ein Engel von Fra Angelico, mit einem lieblichen, scheuen, graudunklen Auge. Es lächelte verloren zur alten Gräfin Schleh hinüber, als man sich endlich in die Runde niedergelassen hatte, und die Diener den Ankömmlingen den Tee zu reichen begannen.

Dann waren die graudunklen Augen Verenas lange über die durchschatteten Parkwiesen hingewandert, wie ziellos, und doch heimlich suchend, und wie wenn es aus dem warm besonnten Dufte der Aue aufsteigen könnte.

Ein goldener Tag fing an zu vergehen. Die sinkende Sonne glänzte in Blatt und Zweigen. Strahlengarben schossen zwischen den Baumwipfeln hindurch. Und allenthalben in Blattwerk und den hohen Blumenstauden schwebten und zitterten in der Luft goldene Gespinste.

Die alte Schloßherrin sah oft mit Zärtlichkeit zu Verena.

Man plauderte allmählich wirklich. Verena pries den Abendfrieden. Man begann von fernen, schönen Dingen zu reden. Von den seltsamen Reizen der Tage, darüber die Jahreszeiten Blüten oder Früchte, goldene Blätter oder weiche Flocken verstreuen. Von dem Leben einer Seele hinter allen Dingen und Schicksalen. Von dem Geheimnis der hier auf Erden unerfüllten Schicksalsläufe. Und wohin die Seelen wohl eingingen, die hier ihren Lauf noch nicht vollendet? Von der Liebe, die wie das Licht wäre, nie stürbe, nur erlöschte, daß es wer weiß welche heimliche Macht immer neu erwecken könnte. Verena schien in solchen Meditationen über sich und die Welt zu leben.

Die alte Gräfin Schleh hatte fortwährend einen verklärten, ängstlichen Ausdruck voll Güte, sah Verena oft von der Seite an, wie gehalten und streng sie dasaß, und war heimlich wie ergeben in den vibrierenden, leisen Stimmton der Trauernden.

Verena war dann lange brennend solchen Rätselbetrachtungen hingegeben. Es ließ sie nicht los. Sie beherrschte sanftredend oder auch eine Weile tiefstumm den ganzen Kreis. Sie sah in jedes der Gesichter um sie manchmal fragend und grabend hinein, auch wohl unversehens mit einer unsäglich jungen Zärtlichkeit, die wie warme Sonne aufleuchtete.

Keiner der Anwesenden hätte sich auch nur eine Weile von dem Spiel ihrer stillen Mienen weggewendet. Jeder, auch die jungen Komtessen und die alte Exzellenz, blickten liebend auf den feinen, roten Mund und in das blaßsommersprossige, schmale Frauengesicht. Und alle erstaunten heimlich über die Kraft und den Frieden, womit die graudunklen Augen Verenas Harm aussäen konnten und ein hoffnungsloses Ergraben.

Die Linie ihres Kinnes und Halses, wenn sie den Dunkelschleier noch mehr zurückstrich und beim sanften Reden den Kopf ein wenig reckte, nahm eine einzige Schönheit an. Sie ragte dann in ihren schlichten, aschblonden Scheiteln im Räume gleichsam wie eine heilige Bildung für sich.

Als Einhart wieder auf der Terrasse erschien, neigte sich die Sonne tief dem Horizonte zu. Man hatte sich unter dem Eindruck der Düsternis, die aus Verena ausgegangen, neu ganz stumm dem Anblick der verquellenden Sonnenfeuer hingegeben. Man sah die Sonnenscheibe langsam einsinken, starrte der blitzenden, zückenden Erstrahlung nach und hatte dabei lange geschwiegen.

Aber Einhart kam ganz achtlos. Er hatte den Sommerhut in der Rechten und brachte eine lose Freude in seinen lächelnden, graugelben Zügen. Er grüßte schon von ferne heiter und verbindlich. Er hatte zum ersten Male über die weiten Ebenen hinausgestaunt, die sich dicht hinter den Gutsgebäuden und dem Parke dehnten. Er hatte in diesem Augenblicke etwas an sich wie von einem fremdartigen Wanderleben.

Als ihn die alte Schloßherrin vorstellte, sah er mit Funkelglanz seiner Augen in jedes Auge hinein. Ohne doch zu sehen. So war er erfüllt.

Er begann die Landschaft fröhlich zu rühmen und rühmte das seltene Glück solchen Aufenthaltes. Nicht mit lauten Worten. Mit einer Art, die sich launig und leise nur hinausgab, vorsichtig die Eindrücke ertastend, aber mit einem Gefühl der sicheren Frische jetzt aus einer Welt, die ihm deutlich im Auge stand.

Erst lange nach seinen Worten hatte er die junge Frau in dunklen Floren neu angesehen. Da erst begann er zu merken, daß er in eine weihevolle Ruhe mit seiner Freude hineingesprochen. Er sah sich die neu Angekommenen jetzt noch einmal wie absichtslos behutsam an. Indes er nun auch stumm der gleichgültig gewichtigen Rede lauschte, womit die alte Baronin die entstandene Pause der Unterhaltung, ganz in fernliegenden, selbstgefälligen Erinnerungen aus ihrer Mädchenzeit befangen, auszufüllen sich bemühte.

Und Einhart vergaß sich dabei ganz in dem Anblick Verenas. Es deuchte ihm, daß er noch nie eine solch erschrockene Scheu, eine solche rosige, stille Heilige mit Augen gesehen. Und daß er noch nie ein solches erzitterndes Glück aus einer Menschenstimme je hallen gehört, als Verena mit leisem Worte zum Aufbruch mahnte.

Er war gleich völlig betroffen.

Und er ging zurückhaltend und in Gedanken mit bis zum Schloßportal, wo die Wagen standen und warteten.

Die alte Gräfin Schleh schritt auf dem abendbeglühten Kieswege neben Verena. Man sah, daß sie zutraulich zu der jungfräulichen Trauerfrau redete. Die Gräfin sprach von Einharts Kunst. Sie machte Rühmens. Verena erinnerte sich ferne manches aus des Meisters Werkstatt, das sie früher angesehen. Sie erinnerte sich wohl auch seines ausgezeichneten Namens. Sie stieg nicht gleich in den Wagen ein, den der Diener eine Weile geöffnet hielt. Man legte ihr einen weichen, langen Pelzmantel um, wobei auch Komtesse Josepha Verena liebend behilflich war.

Verena sah erstaunt zu Einhart hinüber, der zurückstand. Und weil ihn die jugendliche Hoheit ihrer Schwermut gleichermaßen wie der andächtige Rätselton ihrer Stimme und ihr blasses, köstliches Haar unversehens hingerissen, fehlte nicht viel, daß er sich ihr plötzlich leidenschaftlich genähert. Aber er stand doch nur ernst und aufgerichtet und grüßte nur mit einer fast kindlichen, tiefen Verbeugung.


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