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3

Ein Abend voll sanfter Farbe. Der See weit spiegelnd. Die Gärten und Parks am Uferrande in prachtvoller Fülle und Frische, von weichen Milchtönen umsponnen. So zog der einsame Kahn mit Einhart und einem alten, graubärtigen Schiffersmanne hinaus in die Nacht. Die Wellen gingen rieselnd und gluckend immer um die Planken, und der gleichmäßige Ruderschlag schrob polternd nach, weil die Stangen sich eintönig in ihren Halten am Kahne rieben.

Einhart hatte sich in das Boot zurückgelehnt und sah das kleine Fahrzeug mit dem stummen Alten tiefer und tiefer in Dämmer gleiten. Er sah hinein in die mächtigen Berggebilde, die aus dem Dämmer des Sees sich in Abendglut hoben und dann langsam zu kühlem Nachtglanz erblichen.

Der Schiffer sah Einhart oft an, ein alter Italiener. Einhart bat, auf umständliche Weise einiges radebrechend, er möchte ein Lied singen. So fuhren die beiden in der langsam dunkelnden Flut. Die rauhe Stimme klang melancholisch. Ein Lied voll Glück und Vergehen mußte es sein. Der Alte sang das Lied mit versunkenem Lächeln. Dem Alten war es lange nicht auf die Lippen gekommen. Lange hatte das Leben kein Lied aus seiner Seele gefordert, nur harte Arbeit und Sichvergessen. Nun deuchte es ihm gut, daß, wenn die Nacht die Schlüfte und Gründe erfüllte, wo die Seewasser tief zwischen den Gipfeln und Rücken im Mittnachtslicht bleichen und dämmern, er aus rauher Kehle seine Töne in das Glucken und Murmeln und Geräusche der Flut mischte.

Einhart war auf dem Wege heim.

Man sah am Mittnachtshimmel schwarze Fahnen wehen. Wetter voll Drohung zogen über den Gebirgen. Die kleine Laterne, die man am Kiele des Bootes endlich erleuchtet hatte, warf einen spitzen Bootsschatten. Und Einhart, der in die Fahrt hineinsah, mußte es scheinen, als wenn zwei helle Flügel sie über die Dunkelgewässer trügen.

Der alte Schiffer kannte die Fahrt. Man mußte den weiten See überfahren. Am anderen Ende, an einem engen Arm, den Gebirgswände fast preßten und erdrückten, lag ein einsames Gasthaus.

Aber die Donner aus der Nacht und den Zackengestalten der Berge gegen den fahlen Himmel fingen zu rollen an. Man hörte ein Herandräuen des rauschenden Regens. Er zerstob bald über die beiden im Boote. Blitze begannen ferne zu zucken. Das Wogenspiel erhob sich. Es machte das Boot hastig, wiegte es, belebte den Gang und warf es auf und nieder.

Da war das Lied des Schiffers verstummt.

Die Blitze zückten näher. Die Finsternis ward tiefdunkel. Die Donner dröhnten aus den Schlünden zwischen den Bergen wieder. Es war tiefe Nacht geworden. Das kleine Licht am Kielende wogte auf und nieder, und die Schatten des Bootes sanken und stiegen und machten die Wasser voll Düsternis und fremder Gestalten. Die Lichtflügel zerrissen in Unruh. Schäume drängten am Plankenwerke auf. Manchmal schlugen Wellen in den Innenraum.

Einhart sah auf das Gesicht, das er vor sich hatte. Furcht fuhr nicht in dem Boote mit. Der alte Graubart saß als finstere Silhouette gegen das Laternenlicht, daß Einhart kaum noch seine Züge ahnte. Aber es deuchte ihm, daß der Alte noch immer lachte. Sie hielten trotz hohem Wogendrang die Richtung gut.

Alles Bleichgrau aus Himmelshöh war jäh verschwunden. Die fernen Lichter der Ufer waren in Finsternis untergesunken. Es brach weißes Feuer aus der samtnen Schwärze, züngelte wie Schlangen, floß nieder, zerbrach, wie Zersplittern von Bäumen und dumpfes Bellen und Zerkrachen, grollte aufwachend und zerbarst neu in dumpfe, lautlose Erwartung. Rege und jach krochen die bleichglühenden Fäden pfeilschnell in der Finsternis hin, fern und hoch, oder nahe. Manchmal ganz nahe jetzt, daß Einhart sich schreckhaft duckte. Das nächtliche Chaos der jagenden Wogen und Wolken auferstand ewig in höllischem Schein, den das Sammetdunkel ebenso immer wieder jäh verschluckte. Als wenn die Himmel zerbrächen, barsten die Donner und brandeten und schmetterten unaufhörlich jetzt.

Bis dann der Regen hart wirbelnd und trommelnd in die tiefdunkle Nachtflut fiel. Wie Perlen, in Menge ausgeschüttet, tanzten und klirrten die Tropfen auf der finsteren Woge um die Bootsplanken. Und die monotone Weise der jankenden Ruderstangen hörte man mitten hinein in die tausend Rätselgeräusche der Wetter.

Noch immer in rabenschwarzer Düsternis Blitz um Blitz, wie glühende Peitschen von Göttern geschwungen. Und wilder, rastloser Wogendrang. Und Grollen und Rollen in den Schlüften, Branden und Verhallen.

Einhart war Seele und Auge. Und wenn er sich in Wunder verstrickt fühlte, wurden es Seligkeiten aus Farben. Er sah das Geringste in den Spielen des Lichtes und der Dunkelheiten jetzt.

Die Wetter erstarben in tausend rätselhaften Geräuschen. Versickernd. Dröhnend in Höhe und Nähe, rieselnd und ungewiß.

Das Boot schoß vorwärts.

Die Blitze schwiegen, nur matte Scheine noch. Die Ruhe nach dem Regenfall blieb tief. Die Wolken jagten wie schwarze Riesenvögel in Scharen hoch und ließen ein Stück Nachtäther frei, groß, wie ein See, darin zwei Sterne blinkten.

Da besann sich der Schiffermann wieder auf sein Lied.

Der Gang des Bootes war noch voll Unruh. Das Lied klang jetzt hell und froh.

Lichter am Ufer begannen von ferne zu blinken. Eins. Man kam nahe. Noch eins und noch eins. Man glitt jetzt dem Strande nahe vorüber.

In der Haustür einer kleinen Strandhütte stand ein Weib und warf einen langen Schatten in die Nacht. Man glitt hörbar. Man sah wieder die Bewegung. Es ging in Eile. Der Alte sang mit rauher, zitternder Stimme, und beflügelte damit seine Ruderschläge. Man war Stunden gefahren.

Einhart war ganz in sein altes, lächelndes Staunen verloren.

»Was war ich,« dachte er, »so in die Wetternacht eingesunken? Komme ich je ans Licht zurück?«

Es gingen undeutbare Gefühle in ihm hin, indessen sein Auge frei den Wolken folgte, die in wechselnder Gestalt gegen grünlichen Nachtäther hinjagten.

»Ich? Wer bin ich? So gar nicht bekannt weder dem alten, singenden Manne vor mir, noch mir selber, noch den Wasserfluten, noch den Wesen im Dämmerkreise, noch gar jenen Gebirgsgipfeln und Bergzacken, die sich jetzt neu aus den Wolken lösen?«

Er war heiter, wie jetzt fast immer. Und die Welt und er selber kamen ihm jede Stunde nahe, wie neue Enthüllung. Und er erstaunte neu, wie er dann endlich unter Menschen trat. Als das nächtige Ufer eine lichte Fläche von silberblinkenden Steinen, sich dehnte. Als Leute mit Laternen sich nahten. Als sie das Boot und den Graubart und auch den eigenen Menschen Einhart aus der Nacht herauslichteten. Als er endlich auf den Beinen einherging und sich leibhaftig wiedersah.

Es war ein kleines, italienisches Gasthaus am Strande. Aber es ging darin laut zu. Man spielte in der erleuchteten, offenen Schenkstube und schrie. Einhart fragte nach einem Hotel höher oben, worein bessere Fremde kehrten. Dort saßen zwei junge Frauen einsam an der Hoteltafel, als Einhart eintrat. Die gleich aufmerksam nach ihm herüberblickten.

Er war von schier verzehrter Tiefe in dem sicheren Blick seiner Glutaugen, und ganz sanft und sehr für sich die ganze Reife. Er mußte mit dieser Welt, die um ihn in Neuheiten aufstieg, Tag und Nacht fertig werden. Das rauhe, zitternde Lied des Schiffers klang ihm noch in der Seele wieder.

Schon am anderen Tage ging Einhart eine freie, sonnige Bergstraße einsam nach Norden zu.


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