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11

Einhart hatte ein paarmal an Doktor Poncet geschrieben, er möchte kommen. Aber Johanna war es sehr recht, daß trotz Poncets Zusagen den ganzen Sommer nichts daraus geworden war. Wie der Herbst kam, waren sie also in die Stadt zurückgegangen und kamen braungebrannt, robust auch ordentlich Johanna, in die alten Verhältnisse zurück. Das Leben am Meer hatte Johanna vollkommen in die einige Sicherheit zu Einhart eingewöhnt. Daß auch der Winter nur weiter ein tätiges, ruhiges, launiges Leben, und nichts anderes, hinging.

Poncet kam oft. Aber wenn Johanna jetzt eine Empfindung für ihn hatte, so war es die, ihn vor sich selber schützen zu wollen. Weil sie selbst sich in dieser ersten Zeit durchaus nicht mehr bedroht dünkte. Außerdem war Poncets Leben offenbar auch heiterer geworden. Poncet hatte eine große Herbstreise nach Amerika und Spanien gemacht. Er war danach auch in allerlei Arbeiten leidenschaftlich hineingeraten. Man hatte also allerseits die Hände voll zu tun, und Kopf und Herz, den ganzen Winter lang. Daß die nächste Frühlingsausstellung herankam, so schien es, als hätten die Werke einfach die Zeit eingesogen.

Die Ausstellung enthielt ein paar große Phantasiestücke von Einhart.

Als Einhart in den Ausstellungssälen zum ersten Male herumging, Johanna mit einem blumigen Frühlingshut eigenster, freier Erfindung neben ihm, sahen ihn, den Zigeuner-Grandseigneur in Zylinder, und sie, diese kleine, wippende Dame mit hoher Krempe und viel Schleier, wie eine Herzogin von Goya so zierlich und so schnippisch, die vornehmen Besucher der Eröffnungsfeier alle mit sonderlicher Neugier und mit absichtlosem, heimlich lauschenden Umprüfen und Umwandeln an. Weil sie wohl von ferne ahnten, daß die luftige, launige Windsbraut von Seele hinter dem seinen, duftigen Stoff- und Schleierwerke, das sie jetzt licht und lose hüllte, einmal hüllenlos in die Bilder an den Wänden, die von Einhalt irgendwo hingen, so recht eine kichernde Eva hineingesprungen.

Auch Doktor Poncet war oft dabei, wenn sie in der Ausstellung herumgingen. Poncet im beginnenden Frühling schon wieder heimlich gequält immer um Johanna.

Aber Johanna hielt sich nur an Einhart. Johanna war das anmutig liebende Leben selber, so dienstwillig und zutunlich, wenn es um Einhart ging. Und Poncet desgleichen. Poncet war ganz und gar nur zu Einhart der liebende Freund, der den anderen voll gewähren läßt.

Und Einhart war ein Narr, wie schon als Junge, wie immer bis ans Ende vielleicht, eingesponnen in allerhand eigene Schau und in die Frohheit seiner Gesichte. Er ahnte ganz und gar nichts, daß mit dem neuen Sommer auch neu leise Unruhen in Johanna aufzutauchen begannen. Er ahnte ganz und gar nichts, daß Johannas sanftes Blicken nur erst wie zufällig noch, aber nicht gleichgültig mehr, über die wachsenden Versunkenheiten des verachtenden, bleichen Poncet hinglitten.

Einhart war unter der kindlichen Freiheit Johannas noch vollends wieder zum Traumnarren geworden. Er hatte jetzt gar keine Leidenschaft ans Leben, als die Ergreifung dessen, was sich als Gehalt und Gestalt aus ihm gebar. Das Hinauswachsen im Werk galt ihm alles. Das sonstige Leben nahm er lachend als Zier und Laune, die sich um seine Kunstarbeit froh herumrankte.

Bei Doktor Poncet verhielt sich das ganz anders. Poncets Leben war auch durchaus nur ringende Arbeit.

»Aber was kommt dabei heraus für mich?« sagte er oft verbittert.

Es war kein Verklären und Finden von sich selber, und von dem, was ihm die Stunde je gewesen. Poncet hatte allerlei hinausgegeben. Aber der Wind hatte die Früchte noch immer fortgeführt auf Nimmerwiedersehen. Er lag ewig im Streite mit sich und im Harme um sich. Er lehnte sich beständig, etwas vom eigenen Leben zu greifen, geläutert, wie die Kunst es zu dauerndem Genusse darbringt.

Und Poncet sah das Glück und den Glanz, die Einhart um sich und Johanna wob. Und wahrhaftig, Johanna wuchs jetzt noch mehr zu einem Wunder der Verklärung auch vor seinen Augen. Poncet konnte in diesen ganzen Frühlingsmonaten nur noch nagen und sinnen, wie er aus einem leidenschaftlichen, schwelenden Zwange nach ihr zur Ruhe käme?

Aber Johanna war innerlich bestimmt dawider gewesen, daß man ein gemeinsames Ziel für den Sommeraufenthalt fände. Und Einhart und Johanna hatten also, wie das Jahr vorher, mit genug ausfüllender Arbeit und frohen Launen allein oben am Meere gesessen.

In den letzten Augusttagen kam dann doch Poncet nach. Es war eine sehr warme Zeit. Das Wasser des Meeres lag fast immer spiegelblank, wie eine weite, silberne Scheibe, über die die seinen Unruhen des Lichtes und des Windhauchs in lieblichem Wellengekräusel hinstrichen.

Johanna war ein wenig erschrocken gleich, als Poncet kam. Es hatte ihn von daheim fortgetrieben. Es hatte Zerwürfnisse gegeben. Aber Einhart freute sich. Poncet war unerwartet gekommen. Er kam sanft und entschuldigend, fast ein wenig demütig gegen Einhart.

Und die ersten Abende saß man gemeinsam auf dem verbleichenden Dünenhügel am Strande. Man sah zu, wie die Dämmerungen über die leuchtenden Wellen hereinsanken, wie durchsichtige Flöre. Man sah, ohne in Minuten Worte zu wechseln, verloren in den nachtlichtenden Nordschein.

Und wenn Einhart am Tage malen ging und erhaschen der Welt auf seine Weise, blieb Poncet in gelehrter Arbeit in der Stube im Fischerhause zurück. Da war Johanna in kleinen Betriebsamkeiten oder in dem launigen Leben in Wald und auf den Wiesen dann für sich festgehalten.

Johanna mied es noch immer, mit Poncet allein zusammen zu sein.

Aber das Kindstum von früher war in ihr jetzt doch heimlich ganz eingeschlafen. Wenn sie mit dem Hirten unter den Schafen plaudernd stand, sah sie viele Male neugierig nach der Richtung aus, woher Poncet kommen konnte. Poncete überlegene, verachtende Männlichkeit lockt sie sehr. Poncet, der auch Ruhm hatte. Mehr wie Einhart. Der jetzt einer der Ersten zu gelten begonnen. Wo Einhart noch immer den Massen nichts bedeutete, die über seine Bilder nach wie vor Glossen machten. Auch die meisten Kritiker noch, die an das Durchschnittliche gewöhnt, nie die leidenschaftliche Inbrunst der Seele nach dem eigensten, erlesenen Glücke erfahren haben. So geschah es, daß bald in dem Zusammensein der beiden mit Poncet allerlei Verstecken aufkam.

Poncet stand schließlich mit Johanna schon manchmal am Morgen im Lichte auf der Kleestoppel unter den Schafen, aber nur neckisch und kindlich scherzend noch immer.

Dann war doch einmal ein Abend gekommen, der ganz anders war.

Schon der Tag war schwül gewesen. Gegen Abend war in dräuendem Zuge vom Lande her ein Gewitter, Sturmvögel kreischend voran, mit grellen Blitzen und wildem Erdröhnen ins Meer hinausgezogen. Dann lag der Himmel, als die Nacht begann, wieder wundersam reingefegt und glänzte aus Mitternacht her blutrot nach.

Es war gegen acht.

Einhart hatte gleich versucht, von den auserlesenen Farbenspielen der sich enthüllenden Nachtwelt und ihren langsam erglühenden, perlmutternen, finsteren Tinten einiges auf Studienblätter einzufangen. Er war deshalb auf der Höhe, nahe dem bekannten Felsen, sitzen geblieben.

Johanna, die mit Einhart allein am Meeresstrande gewandert war, lockte es heimlich zum Meere zurück. Deshalb war sie von dem Felsen lautlos die Schlucht im Sande, ein wenig tastend, hinabgeglitten und stapfte staunend und geblendet in der unerhörten, aus sich leuchtenden Düsterpracht von Himmel und Meer und Dünenstrand.

Der Dünenhügel, über den sie schritt, ragte körperlich groß und schaurig vereinsamt im fahlen Nachtdämmer.

Das Meer in der Ferne wogte blutrot in grellem Himmelswiderschein.

Der Himmel darüber dunkel gewölbt, ganz doch ätherklar.

Johanna hatte lange ohne Hut und mit nackten Füßen, weil sie bei Einhart Hut und Schuhe und Strümpfe hatte liegen lassen, einsam auf dem Hügel gestanden und trat nur zögernd Schritt um Schritt, in einem unbestimmten, hungernden Verlangen, den Schaumspielen am Strande näher und näher.

Aber wie sie so einsam erstarrt aufragte dicht am Wasser aus dem Meersand, das brennende Auge weit hinausgebannt, schienen die stürzenden, spielenden, schäumenden Purpurfluten immer düsterer und düsterer heranzudrängen.

Das lebendige, treibende Meer deuchte sich immer gewaltiger aufzutürmen.

Unermessene Körpermacht gewinnend, wuchs es düster empor, wie ein grausig sich nahendes Ungetüm.

Zwischen den glühen Purpurflecken gebaren sich, ewig neu dem Blicke, höllische, blaue Dunkelheiten, wie schaurige Gründe, die sie bedrohten.

Draußen in der fernen Dämmerwelt wälzten sich tausend Gewalten in wildem Begehren. Und tausend Gewalten schienen aus Düsternis herzudrängen vom fernsten Meersaum in rasender Eile.

Aufrauschend sich hebend und in Schäumen zerberstend, spielten die Wogen wie bleiche Geister um einen Felsblock, der näher aus den Fluten sich hob.

Und in Johanna brachen ganz langsam die Halte zusammen. Als wenn sich in ihrem Herzen Stützen zerlösten und in dem finsteren Reichtum der drohend lebendigen Meernacht versänken.

Die Wogen zu ihren Füßen schlürften und schlüpften schon um sie, wie wenn tastende Wesen nach ihr griffen.

Die Wogen jagten und schäumten heran. Aber sie rannen unversehens noch einmal zurück, die Angst entlastend und wieder noch eine Minute Zeit gewährend.

In Johanna zuckte die Bedrohung in jeder Fiber. Das Spiel war um sie höllischer und höllischer geworden. Es hatte sie ein Frostschauer plötzlich durchrieselt. In dieser menschenfernen, erstorbenen, purpurglühenden Einsamkeit stand sie allein. In dieser menschenfernen, erstorbenen, purpurblendenden Einsamkeit deuchten jetzt unzählige Blutzungen plötzlich sinnbetörend nach ihrem Kleidsaume zu lecken.

Mit grausiger Gewalt fing es an züngelnd und lechzend nahe zu wachsen. Die Blutjungen rings um sie leckten und schlürften und schlüpften schon nach ihren nackten Füßen, furchtbar begehrlich. Als wenn ein gewaltiger, unerbittlicher Riese nach ihr sich mit unentrinnbarer Sehnsucht zu sehnen begonnen.

Da hatte Johanna sich endlich nach Hilfe umgesehen. Da hatte sie sich noch einmal mit aller Gewalt gehalten, weil der Himmel darüber mit seiner sanften Rosenröte noch einmal flüchtig Trost gegeben. Da ging auch schon ein heiserer Schrei aus ihr aus in die nächtliche Meerwelt, wie Möven schrill und flüchtig rufen. Da hatte sie auch schon jemand von rückwärts schützend angerührt. Da hielt sie längst jemand sicher in seinen Armen. Da preßte jemand sie an sich, und preßte seinen heißen Mund auf ihre bebenden, zuckenden Lippen.

Johanna log sich vor, daß es Einhart wäre. Sie gab sich ganz hin. Leidenschaftlich. Sie wußte es längst, daß sie es nun voll genoß. Sie wehrte sich nicht. Der Schrecken hatte ihre Seele ohnmächtig gemacht und innig brünstig nach einer Kraft, die sie hielte. Und die Kraft war gekommen. Die Kraft hielt sie jetzt ehern gebannt, daß Minute um Minute lautlos zerrann.

Einhart saß noch immer auf dem Felsen, um die farbige Düsterwelt einzusaugen. Er kam erst spät zum Strande, als alle Farben verblichen waren. Das Meer lag jetzt graudunkel unter einem bleichblauen Nachtschein.

Da kamen ihm Poncet und Johanna laut sprechend entgegen.

»Oh, das hättest du sehen sollen,« rief sie neckend, schon von ferne. »Einen furchtbaren Schrecken habe ich ausgestanden,« sagte sie richtig im Übermut. »Und wenn Poncet nicht kam,« erzählte sie dann in allem Ernste, »hätte ich eine Ohnmacht bekommen, wie in dieser Nacht das Meer furchtbar aussah!«

Poncet erzählte sehr gewichtig, daß das Gefühl Johannas, in solchem nächtigen Glutdunkel dem Wogenspiel und dem Himmel mutterseelenallein gegenüberzustehen, die Seele völlig erschüttern kann, und daß es sich dabei wohl um das gehandelt haben möchte, was die Alten einen »panischen Schrecken« nannten.

»Pan lechzte und züngelte mit tausend Blutzungen nach mir, als wenn die ganze Nachtwelt ein greuliches Gespenst wäre,« sagte Johanna ganz eingesponnen neu in den Schreck.

»Ich habe genau den Eindruck auch aufgefaßt,« sagte Einhart zufrieden lächelnd, »und werde das einmal malen.«

»Denkt ihr denn, ich wäre umsonst so lange dort oben sitzen geblieben und hätte wie ein Felsen so starr in die seltsamen Verwandlungen hineingeblickt, wenn es mir nicht darum zu tun gewesen?« sagte er noch arglos.


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