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11

Es war um die Weihnachtszeit. Und Einhart hatte sich oben in seinem Atelier im Bodenraume lange abgemüht. Denn seine Ideen waren jetzt ins Große gewachsen. Und seine Zerfahrenheit infolge aller möglichen Vergnügungen und Inanspruchnahmen auch. Er hatte sich nun zum vierten Male entschlossen, das große Bild, was er Reigen nennen wollte, beiseite zu stellen, und noch einmal völlig neu, wie aus ganz freiem, neuem Schauen einzusetzen.

Im Atelier kroch die Dämmerung aus der Vorhangsfalte und draußen lag ein grauschmutziger Luftton über viel Weihnachtsgefunkel in den Straßen. Einhart war ziemlich müde vom Abend vorher in Rehorsts Hause. Er war lange in allerlei flüchtigem, zerrissenem Treiben seiner inneren Gesichte gefangen auf dem Bettrand sitzen geblieben, unterdessen das Feuer im Eisenofen auf die in Dunkel einsinkende Stube ein lebendiges Farbenzucken malte und vernehmlich dazu seine Deutungen hinplauderte.

Da war ihm auf einmal, als wenn sein Zimmer in hellen Flammen stünde und er von einem tollen Spiel züngelnder Lohe umgeben dasäße, oder auch schon schwebte wie in Flammen und Feuergarben. Und als wenn er in ganz ungebundener Übertreibung diese Gewalten aus sich selber herausgerufen, war er dem Himmelan dieses geistwehen Treibens mit versunkener Haltung derart hingegeben, daß er selber an Haaren und Fingern und an allen Kleidern Flammenzungen mit sich emportrug.

Es war nur ein Augenblick.

Er erwachte gleich. Er sah, daß in der Tat auf dem Stuhle neben ihm ein Tuch lichterloh brannte. Und er sprang auch sofort auf, um den Brand noch rechtzeitig zu löschen. Sein Herz schlug ihm. Er war sehr erschrocken. Und er untersuchte noch einmal aufs genaueste alles, eher sich zum Ausgehen plötzlich entschloß.

Aber auch wie er draußen auf der Straße, im Zuge der vielen Menschen, im Scheine der Weihnachtserstrahlungen in den Straßen ging, war er nicht ruhig geworden. Es war durchaus seine Weise, daß er sich noch immer wie an Ecken und Enden entzündet vorkam und ein paarmal in sich zurückkehrte mit dem Gefühl des Wunderbaren dieses Emporbrennens der Dinge.

Dann schien ihm das Feuer nur noch ein Spiel zu geben.

Das Feuer brannte aus seinen Erinnerungen auf.

Er dachte an manches Feuer, das er mit irgendeinem ergebenen Helfer aus der Schule einst in der Heide gemacht. Er dachte auch an die Zigeunerfeuer. Flüchtige Schatten flogen in seinem Auge hin, wie sonderliche Gesichte, die er kaum noch zu nennen wußte.

Einhart war heut durchaus nicht auf dieser Welt. Auch jetzt nicht, wo er, in seinen langen Mantel gehüllt, in den Straßen die Schnarrteufel hörte, die Kinder an ihn herantrugen, um sie zu verkaufen. Auch ganz und gar nicht, als er nun unter die hellen Lampen am Markte kam, wo das Menschengetümmel sich staute und der Lärm wie ein Meer voll Unruhe ebbte und wogte.

Einhart lebte schon lange lauschend und staunend ein ganz eigenes, neues Leben voll neugieriger Erwartungen, und kindlicher Wärme, und Abgekehrtheit gegen Menschen und Dinge. Wie es immer Menschen leben, die wie Bienen den Duft des Lebens trachten zu süßem Honig zu gewinnen.

Und Einharts Blut geriet an dem Abend in immer tiefere Begehrungen. Er kam sich durchaus jetzt so vor, als ob er um jeden Preis irgendeine Seele brauchte, der er von einem großen Glücke erzählen könnte. Er fühlte sich plötzlich sehr allein. Wie er an einer der Würstelbuden stehen blieb, erinnerte er sich, daß er sich für einen Besuch gar nicht angetan. Er trat heran, sich Abendbrot zu kaufen, und begann sofort in der Winternacht auf der Straße aus der Hand zu essen. Sein Blick suchte am Nachthimmel noch immer einen Feuerschein. Geräusche, die wie ein Ruf klangen, weckten ihn jedesmal wie ein Hilferuf. Es war Einhart durchaus nicht unangenehm. Das war nur so neben dem irdischen Tun sein ungebärdiges Sinnenspiel.

Das rastlose Treiben um und um führte ihn dann auf einem unbestimmten Wege heim zu sich. Dort drängte es ihn, gleich an Rosa zu schreiben. Er saß wieder oben in seinem Dachraume, der von einem winzigen Lampenscheine rötlich erhellt war. Daß die Gegenstände an den Wänden wie ferne Scheine glänzten. Er schrieb und träumte:

Meine geliebte Schwester!

Was ist nicht alles, was einem Träumer durch den Sinn geht, wenn er einsam lebt. Zum Beispiel, daß alles Ding um uns und wir selber im Feuer verbrennen können, und gar nichts bleibt als eine Hand voll Staub.

Und dann, daß doch auch Licht in der Weihnachtsnacht gar nicht wie Feuer ist, sondern wie eitel Sternenglanz in Tiefdunkel, nach dem die Menschen sich ewig emporsehnen. Ich habe heute so etwas empfunden. Jedesmal hat mir das Herz heftiger geschlagen.

Du mußt nämlich wissen, daß ich in sehr seltsamen Wegen hingehe. Das Sehnen hört in keinem Blute auf, wenn es mit rechten Dingen zugeht. In meinem nun schon gar nicht. Und gar noch, wenn man Menschen nahe kommt wie nie zuvor, und man doch wieder die tiefen Abgründe sieht, die uns alle voneinander trennen.

Wenn Du hier wärst!

Ich würde Dir in manchen Stunden doch zu sagen vermögen, was in mir hintreibt und nicht halten will in Entzückungen.

Und was mich ganz schwach zurückläßt.

Wirklich: ich habe niemals solche eigene Trauer empfunden. Trauer, das ist dasselbe wie die Nacht. Wenn dann die Sonne wieder nahe ist, jauchzt die Seele. Und ich nehme die Trauer gar nicht etwa mit traurigem Gesicht. Das sind eitel Schöpse, die nur Tag wollen oder nur immer große Feste.

Und auf jedes Fest muß man sich vorbereiten und hineinwallen sozusagen mit erfüllter Seele.

Aber was ich nie gekonnt habe, kann ich jetzt. Kannst Du Dir denken, daß ich jetzt eine ganze Woge Trauer in mir habe, und ich habe doch nicht einmal je das Meer gesehen. Ich fühle nur, was ein Meer voll Trauer ist.

Ich trauere manchmal auch über Euch zu Hause.

Um Mutter nicht. Die geliebte Mutter hatte Glutaugen, und jetzt bilde ich mir immer ein, daß sie mir in dem hellen Sterne zublinkt, der am Abend vom Balkon aus durch die kahlen Baumäste blinkt, als wäre er ein Demant auf dem Baume.

Ach Du weißt ja gar nicht, wo der Balkon ist! Du – ein Haus aus Marmor und darin eine hohe, liebliche Frau! Meine neue Mutter. Oder vielleicht ist es das gar nicht ...? Eine so schöne, strenge und traurige Frau. Die doch lacht, wenn ich mit ihr plaudere. Und das alles ist ein Lied in meiner Seele, das ich nie aussingen kann. Auch dir nicht. Niemandem. Das sich die Seele so hinsummt in ihrer Einsamkeit, so an ihren stillen Nachtgewässern in der Tiefe, darinnen Menschen und Dinge in kristallner Stillung sich spiegeln.

Ach Du, mein Lieb, Du, die mir allein noch daheim ein Andenken bewahrt. Wir alle sind Toren, wenn wir nicht wider die Engel streiten, die Paradiese bewachen.

Und der arme Mann verfällt, der nicht sich die Tränen der Reue mit mitleidiger Hand selber aus den Augen wischt und hingeht und lieber einen Weihnachtsteufel in seinen Händen schnarren macht.

Siehst Du, aller Rede kurzer Sinn: ich lache jetzt meine ganzen, dummen Todgedanken weg, kaufe mir einen Weihnachtsteufel, schnarre den ganzen Weg bis hin in die Marmorvilla und schnarre treppauf und vor den scheuen Augen der hoheitsvollen Frau drinnen. Und wenn sie auch mit geängstigten Blicken zu mir sagt: ›Einhart, – ach nicht doch!‹

Dann werde ich wenigstens noch die Schnarre im Ohre haben eine Woche lang, um mich ganz wie ein Ausgelassener zu gebärden, mich herumzulümmeln in Seidensesseln und zu tun, als wenn mir die ganze Welt ein Rauch wäre, wie nichts.

Lebe wohl, kleine sanfte Blickerin! Hast Du noch die Augen wie frische Kirschen im Julimonat? Denkst Du noch manchmal, daß es einen Einhart Selle gibt, der aus den stillen Nachtseen die Dinge und Menschen fischen will, die doch nur Träume sind? Denkst Du Dir auch manchmal, daß ich Leiden fühle? Und daß ich doch immer und immer nur lache und lache. Und wenn sie mich ans Kreuz nageln, die gesunden Esser und Trinker, und alle, die es mit der harten Erde tun?

Wenn ich bei Dir wäre!

Du wärst eine, der ich auch noch die Hand küßte, mein Liebchen. Dir und keiner sonst außer Frau Rehorst, meiner Göttin, vor der ich mich ewig im Staube fühle.

Und nun: den Blick in den Weihnachtsglanz, mein Liebchen, und wo es etwas Verheißendes gibt!

Dein Einhart.«


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