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Siebentes Kapitel

Schon im vergangenen Herbst hatte Castelli in einem seiner begeisterten Briefe geschrieben, nie mehr etwas anderes lesen zu wollen als dieses Breviarium, sobald die »Dialoge«, wie sie kurz das große Werk nannten, erschienen wären. Galilei brannte nun darauf, ihm sein Buch endlich schicken zu können. Auf einer langen Liste standen die Namen aller, die er mit einer Prachtausgabe überraschen wollte. Die Exemplare waren schon fertiggestellt, aber er konnte sie nicht abschicken, da der päpstliche Staat über die Grenzen Toskanas, das immer noch von der Pest heimgesucht war, eine strenge Kontrolle verhängt hatte. Jede Sendung der Post wurde mit allerlei Dämpfen und ätzenden Flüssigkeiten desinfiziert. Ein einfacher Brief vertrug dieses Verfahren eben noch, weniger jedoch ein Buch in einem Prunkband, das sicherlich zugrunde gegangen wäre. Er mußte also warten, bis sich eine Gelegenheit böte.

Aus Ortschaften, in die das Buch schon hingelangen konnte, trafen nacheinander Glückwunschbriefe ein. Cavalieri, der Jesuit in Bologna, bezeichnete das neue Werk schlechthin als großartig. Fra Micanzio tauchte aus der Vergangenheit auf, der einstige Sekretär von Fra Paolo Sarpi; er schrieb aus Venedig und konnte nicht genug Worte des Lobes finden. Auf ungeklärte Weise hatte auch Campanella ein Exemplar erhalten und geizte gleichfalls nicht mit Anerkennung. Nacheinander, in langer Reihe, kamen die begeisterten Huldigungsbriefe, allesamt eine tiefe Verbeugung vor dem Wissen und Können des großen Gelehrten. Galilei war glücklich. Es ging dem Frühling zu, und er hatte durchsetzen können, daß er trotz der Verfügung der Gesundheitsämter die Genehmigung erhielt, seine Töchter zu besuchen. Viele Monate hatten sie nur Briefe wechseln können, jetzt endlich durfte er sie wieder umarmen, jetzt konnten sie sich gemeinsam freuen, daß ein jeder von ihnen noch am Leben war. Die Huldigungsbriefe nahm er alle mit ins Kloster und glückselig gab er sie den Mädchen zu lesen. Er selbst konnte die Buchstaben nur mit Mühe und Not entziffern, denn seine Augen wurden immer schwächer. Von Celeste ließ er sich die vielen Briefe laut vorlesen, um die Lobpreisungen auch einmal zu hören. Er konnte nicht genug davon bekommen.

»Niemand auf dieser Welt hätte das zustande bringen können außer mir!« sagte er stolz und glücklich.

»Solch ein Buch zu schreiben«, stimmte Celeste begeistert bei, »hätte auf der ganzen Welt niemand fertiggebracht, das steht fest!«

»Es handelt sich ja gar nicht darum, daß ich es geschrieben habe, das ist das wenigste, sondern daß es erscheinen durfte. Daß ich Kopernikus zu allgemeinem Ansehen bringen konnte und daß dieses noch gar durch die Kirche selbst ermöglicht wurde! Die Wissenschaft der Kirche ist selbstverständlich konservativ und peripatetisch. Alle Kirchengelehrten, mit Ausnahme einiger weniger meiner Schüler, wie Ciampoli und Castelli, sind scharfe Gegner des Kopernikus. Vor allem aber der große und mächtige Jesuitenorden. Eine der größten geheimen Mächte der Welt. Und ich habe es doch erreichen können, daß die Kirche selbst der kopernikanischen Lehre einen Reisepaß gegeben hat. Die päpstliche Zensur ist soviel wie der Papst selber. Wer würde es wagen, dem Papst zu widersprechen? Wenn ich bloß das Buch auf irgendeine Weise in den Vatikan schicken könnte! Ich wäre unendlich glücklich, wenn der Papst es läse.«

»Und würdet Euch wieder neue Feinde verschaffen«, entgegnete Celeste ängstlich, »die Euch angreifen und Euch wehe tun.«

»Damit habe ich mich abgefunden. Den Angreifern werde ich schon antworten. Ich selbst bin zwar alt, nicht aber mein Geist. Ich bin immer noch in der Lage, mit jedem zu debattieren. Und sieh mal her, ich brauche bloß das Buch aufzuschlagen; es ist zwar sonst nicht üblich, aber ich habe sämtliche Daten und Angaben über das Imprimatur hineindrucken lassen.«

Immer trug er ein Exemplar von dem Buch bei sich. Er öffnete es. Da waren der Reihe nach die Namen der kirchlichen Autoritäten aufgezählt: Riccardi, der Chef der päpstlichen Zensur, und alle Hauptbeamten der Inquisition von Florenz. Sechs verschiedene Namen hintereinander, sechs verschiedene Daten, alles genau festgehalten.

»Siehst du? Ich habe diese Daten drucken lassen, damit jeder, dem es einfallen sollte, das Werk anzugreifen, von vornherein sieht, welche kirchlichen Kapazitäten hinter dem Buche stehen. Und trotzdem werden sie mich angreifen, das steht fest. Aber ich biete ihnen die Stirn. Ich werde mit ihnen schon fertig. Ich habe doch die Zuneigung des Papstes.«

»Der liebe Gott möge ihn mit beiden Händen segnen. Ich werde auch die anderen Schwestern bitten, für ihn zu beten.«

»Was gibt es überhaupt Neues bei den Schwestern? Ich habe euer liebes Kloster solange nicht mehr gesehen.«

Celeste berichtete eingehend. Suor Silvia, die feenhaft schöne Nonne, von der man einst behauptete, sie sei die schönste Frau von Florenz, nimmt von Tag zu Tag mehr ab. Sie ist lungenkrank geworden und ihr Magen verträgt keine Speisen mehr. Sie ist schon ganz durchsichtig, so mager ist sie geworden. Suor Achilla spielt fleißig Orgel; die arme, alte Suor Grazia, die ständig fieberte, ist vor kurzer Zeit gestorben; Suor Oretta liegt seit Wochen zu Bett, sie leidet an einer Nierenentzündung, die nicht besser werden will. Suor Maddalena widmet sich nach wie vor mit Eifer der Küche; sie besitzt eine bewundernswerte Begabung, aus den armseligen Lebensmitteln, die sich das Kloster verschaffen kann, immer wieder neue Speisen herzustellen.

Vater und Tochter saßen auf ihrem gewohnten Platz unter dem Dach eines Schuppens. Von hier aus hatten sie eine herrliche Aussicht. Alles war lieblich und schön, überall lachender Sonnenschein, und das Gesamtbild der verkörperte Frieden. Als wenn es auf dieser Welt gar keine Pest und keine Auseinandersetzungen mit den Peripatetikern gäbe.

»Ich habe die Absicht«, erzählte der Vater von seinem großen Plan, »meine Wohnung zu wechseln. Für mich alten Mann ist die Villa Segni am Bellesguardo zu groß und sie liegt auch sehr ungünstig, weitab von allem und doch noch in der Stadt. Ich mag nicht mehr dort bleiben.«

»Wißt Ihr schon, wohin Ihr geht?«

»Ratet einmal! Hierher in eure Nähe. Ich möchte in Arcetri wohnen. Vielleicht finde ich hier ein geeignetes Haus. Hier ist Stille und Ruhe. Ich möchte die Zeit, die ich noch übrig habe, in eurer Nähe verbringen. Jeden Tag würde ich euch da besuchen! Und was sagt ihr nun?«

Arcangela freute sich höflich, aber Celeste fing schon bei der Möglichkeit dieses Gedankens zu weinen an. Dann begann sie plötzlich zu drängen und zu bitten: keine Minute länger dürfe er warten, noch heute müsse er jemanden beauftragen, sämtliche Häuser in Arcetri zu besichtigen; sicherlich würde sich etwas Geeignetes finden. Galilei versicherte hoch und heilig, daß das bestimmt der Fall sein würde. Er hätte zwar die ganze Angelegenheit bis jetzt noch gar nicht so fest ins Auge gefaßt gehabt, aber wenn sich Celeste darüber so freue, dann wolle er schnellstens handeln.

Und als ob ihm der Herrgott selbst eine Freude bereiten wollte, – in wenigen Tagen war das Haus gefunden, die schönste Villa in Arcetri. Drei Minuten vom Kloster entfernt. Galilei besichtigte sie gleich, als man sie ihm empfahl. Er war von dem Haus einfach bezaubert. Der Inhaber, Esau Martellini, wollte seiner Familie zuliebe unter allen Umständen nach Florenz ziehen. Für die ganze Villa und den Park verlangte er eine monatliche Miete von drei Goldgulden. Galilei zögerte keinen Augenblick, sondern schlug sofort ein. Kaum war der Vertrag abgeschlossen, so räumte Martellini auch schon das Haus, und der Gelehrte zog ein. Seine Sachen wurden auf einen großen Planwagen geladen und mit essiggetränkten Tüchern zugedeckt. So fuhr der Wagen durch die verseuchte Stadt. Die beiden Diener, Guiseppe und Gepe, richteten die neue Wohnung mit großer Freude ein. Sie waren überglücklich, aus der Peststadt hierher in die gesunde Gegend zu kommen.

Ein geruhsames, friedliches Leben begann nun in der Villa, die wie ein Schmuckkasten aussah. Galileo kaufte sich einen Maulesel, weil seine Füße selbst dem kürzesten Spaziergang nicht mehr gewachsen waren. Jeden Tag bestieg er das Tier, das man gar nicht zu lenken brauchte. Denn es hatte sehr schnell heraus, daß sie nur einen einzigen Weg hatten: zum Kloster. Galilei hatte sich die Erlaubnis der Kirche verschafft, jeden Tag Besuch machen zu dürfen. In die Stadt kam er nur selten. Die Briefe holte Gepe jeden zweiten oder dritten Tag. Und in seiner friedlichen Einsamkeit las der Greis glückselig die immer von neuem eintreffenden Briefe.

Als er erfuhr, daß einer seiner vornehmen Bekannten, ein gewisser Graf Magalotti, nach Rom reisen wollte, ging er doch in die Stadt. Magalotti war mit der Familie Barberini verwandt, mithin also mit dem Papst selbst. Wenn jemand überhaupt damit rechnen konnte, einer bevorzugten Behandlung an der Grenze teilhaftig zu werden, so war er es. Galilei setzte sich auf seinen Maulesel und ritt in die Stadt. Das Verlangen, seine Bücher nach Rom schicken zu können, hatte über die Furcht vor der Epidemie gesiegt. Zuvorkommend willigte der Graf ein; er hätte sowieso sehr viel Gepäck, die Kiste mit den Büchern zählte gar nicht. Die ersten Exemplare der »Dialoge« traten also ihre Reise nach Rom an, der Autor begab sich auf dem Rücken seines treuen Tieres zurück in die stille Einsamkeit. Zu Hause ließ er seinen Esel sorgfältig von den Hufen bis zu den Ohren mit Essig abreiben.

Wochen vergingen. Im Sommer gab Graf Magalotti endlich Nachricht. Er habe die Bücher an ihrem Bestimmungsort abgegeben, und obwohl der große Krieg und die fürchterliche Seuche jedermann im Augenblick mehr beschäftige als wissenschaftliche Fragen, sei die große, kühne Arbeit doch nicht ohne Widerhall geblieben.

»Galilei wird schwer zu schaffen haben«, sollte der dicke Pater Riccardi gesagt haben, »die Jesuiten werden alle ihre Kräfte für den Angriff ansetzen. Das ist sicher.«

Über diese Bemerkung wunderte sich Galilei nicht. Er war gewappnet. Nur machte ihn einigermaßen stutzig, daß Riccardi den Ausdruck »die Jesuiten« gebrauchte. Er hätte doch ebensogut sagen können »die Peripatetiker«. Warum nannte er den geheimnisvollen und mächtigen Orden? Auch hatte man ihm berichtet, daß Pater Scheiner aus Ingolstadt, sein Gegner in der Frage der Sonnenflecken, plötzlich in Rom aufgetaucht sei. Was suchte dieser Jesuit gerade jetzt in Rom? Die Antwort darauf war an sich sehr einfach: da sein Angriff gegen Galilei vor kurzem erschienen war, fuhr er nach Rom, um sich von der Wirkung seines Buches persönlich zu überzeugen. Aber gerade dieses Buch hatte ja so verdächtig schnell die Druckerlaubnis erhalten, während man das Imprimatur für sein Werk anderthalb Jahre hinausgezögert hatte! Ein junger Physiker, namens Torricelli, ein Schüler Castellis, der mit Galilei im Briefwechsel stand, war Pater Scheiner begegnet und hatte mit ihm gesprochen.

»Galilei hat sich mir gegenüber schlecht benommen«, erklärte der Jesuit, »mehr möchte ich darüber nicht verlauten lassen.«

Allmählich begann das Geraune über die »Dialoge« um sich zu greifen. Während aber Galilei offene Angriffe, Streitschriften, richtige weltanschauliche Schlachten auf dem Büchermarkt erwartete, gingen seine Gegner von einer ganz anderen Seite gegen sein Buch vor.

Auf der Einbanddecke der »Dialoge« war eine schlichte Zeichnung angebracht: drei Delphine, die, einander an der Schwanzflosse festhaltend, einen Kreis bilden. Ein anonymer Ankläger legte bei Riccardi Beschwerde dagegen ein. Dieses Zeichen hätte eine geheimnisvolle Bedeutung, und ohne Zweifel eine kirchenfeindliche, ketzerische. Riccardi erschrak unbändig, beruhigte sich aber schließlich wieder, nachdem ihm Galilei mitgeteilt hatte, daß dieses Zeichen das Hauszeichen der Druckerei Landini sei. Jedes Buch, das man dort anfertige, erhalte dieses Zeichen.

»Ich habe mich köstlich unterhalten«, erzählte Galilei seiner Tochter Celeste, »welchen Schrecken das dicke Ungeheuer bekommen hat. Und es ist wirklich bezeichnend, daß alle, die mir und meinem Buche an den Kragen wollen, nur diese Lächerlichkeit auszusetzen fanden. Ich habe gesiegt, meine liebe Tochter, ich habe gesiegt! Guter, alter Kepler, daß er das nicht mehr erleben konnte!«

Schon kam aber auch die Nachricht, daß man einen neuen Anklagegrund gefunden habe: in böser Absicht sei das Vorwort auf einem Sonderbogen und mit anderen Typen gedruckt, damit es sich von dem eigentlichen Werk unterscheiden und an Bedeutung verlieren solle. Diese Behauptung hielt sich aber nicht lange. Riccardi bezeugte persönlich, daß er selbst das Vorwort zurückgehalten habe, als das Buch schon in der Druckerei gewesen sei. Gegen den vorzeitigen Satz könne man auch nichts einwenden, denn dazu sei der Verfasser auf Grund der ihm gemachten Versprechungen berechtigt gewesen. An allen diesen Vorwürfen fand Galileo großen Spaß. Sie kamen ihm alle so vor, wie wenn eine hungrige Mücke in ein Panzerhemd stechen wollte. Er war guter Laune, lebte glücklich und zufrieden in seinem Schmuckkästchen und wünschte sich sogar eine Gegenschrift, um, gestützt auf die päpstliche Zensur, nach Herzenslust debattieren zu können.

Eines Tages erhielt er aber an Stelle einer Streitschrift eine Nachricht, die er gar nicht glauben wollte, so unsinnig erschien sie ihm. Ganz erschüttert teilte ihm Landini, sein Drucker, mit, daß er vom päpstlichen Hofe eine Verfügung erhalten habe, wonach bis auf weiteres der Verkauf des Galilei-Buches untersagt sei. Das konnte doch nur ein Irrtum sein! Er setzte sich auf sein Maultier und ritt nach Florenz. Dort sah er die Verfügung mit eigenen Augen. So unglaublich dieses Schriftstück auch schien, sein amtlicher Charakter war nicht zu leugnen: Unterschrift, Siegel, alles war in Ordnung.

Sein Herz begann laut zu hämmern. Die wahnwitzige Furcht, die er mit dem friedlichen Glück der letzten Monate und der Freude über die Huldigungsbriefe eingeschläfert hatte, brach in einer einzigen Sekunde von neuem über ihn herein. Ihm war zumute wie einem, der sich mit größter Anstrengung aus dem Wasser gerettet hat, einen steilen Abhang erklimmt, unter dem jedoch der lockere Boden plötzlich wieder einstürzt und ihn abermals in den tödlichen Strudel hinabreißt. Die ganze Nacht tat er kein Auge zu. Am nächsten Morgen hatte er schon hohes Fieber. Er glaubte, an der Pest erkrankt zu sein, suchte an seinem ganzen Körper nach den Anzeichen dieser fürchterlichen Krankheit, drang auf seine Bedienten ein, ob sie wüßten, woran man die Pest erkennen könne. Es schien, als wolle er sich ausschließlich mit seiner Krankheit beschäftigen, um seine Gedanken von dem unfaßbaren Schlag abzulenken.

Da besuchte ihn sein Sohn. Er hatte den Weg aus Monte Murlo gewagt und sich zuerst in sein Amt begeben, wo er eine beunruhigende Nachricht erhielt, die ihn zwang, sofort nach Arcetri zu eilen. Der Ministerpräsident Cioli hatte ihm aufgetragen, seinem Vater mitzuteilen, daß man ein offizielles Verfahren gegen ihn in Rom eingeleitet habe. Erfreulicherweise nicht bei der Inquisition, sondern vor einer eigens zu diesem Zweck einberufenen Spezialkommission. Wessen man ihn beschuldige, wäre nicht bekannt. Nur eins stehe fest, daß das Verfahren eingeleitet sei, denn davon habe man die Florentiner Regierung offiziell benachrichtigt. Er, Cioli, habe sofort an den Gesandten Niccolini geschrieben, er möge bei Riccardi vorsprechen, um zu erfahren, worum es sich handele.

»Ich kann es nicht begreifen«, stammelte der Greis mit starrem Blick immer wieder, »ich kann es nicht begreifen.«

»Ängstigt Euch nicht, Vater, der Papst wird Euch schon helfen. Aber sagt einmal, was ist denn eigentlich aus der spanischen Sache geworden? Es wäre wirklich an der Zeit, daß wir durch die Jupitertrabanten zu etwas Geld kämen.«

»Die Sache ist abermals im Sande verlaufen. Die spanische Regierung glaubt, es sei jetzt nicht die richtige Zeit für Verhandlungen dieser Art. Aber wie kannst du mich jetzt mit dieser spanischen Angelegenheit quälen? Ich werde vor Unsicherheit schon fast wahnsinnig. Was kann bloß hier vorliegen? Unbegreiflich!«

Nencio zeigte keinerlei Furcht. Er erzählte von seinen Kindern, sah sich im Hause und im Garten um, ordnete dieses und jenes, dann zog er wieder ab. In einem ohnmachtähnlichen Zustande wartete Galilei auf den Bescheid Niccolinis. Wann würde er endlich etwas Bestimmtes wissen? Er war vollkommen ratlos. Er sprach mit Celeste, sie suchten zusammen nach einer Erklärung. Was war das für eine Sonderkommission? Weswegen hat man sie zusammengerufen? Aber außer beruhigenden und tröstenden Worten konnte ihm auch das kluge Mädchen nichts sagen.

Nicht lange danach erhielt er eine Mitteilung, er möge den Kanzler aufsuchen, da eine wichtige Nachricht aus Rom eingetroffen sei. Hastig kleidete er sich an und befahl dem Diener, den Maulesel vorzuführen. Der Schrecken saß wie ein unerträglicher Druck in seiner Magengegend, bis er endlich vor dem Kanzler stand. Dessen Mienen verrieten schon, daß er nichts Gutes zu berichten hatte. Er sprach auch kein Wort, sondern suchte einen Brief hervor, den er Galilei stumm überreichte. Galilei begann sofort zu lesen, mit seinen entzündeten Augen die Buchstaben langsam entziffernd. Die Blätter zitterten in seiner Hand. Niccolini hatte an Cioli folgendes geschrieben:

 

»Gestern fand ich keine Gelegenheit mehr, meinem allergnädigsten Herrn mitzuteilen, was mir im Vatikan in der Angelegenheit Messer Galileis widerfahren ist. Der Zufall war mir günstig, denn ich habe mit Seiner Heiligkeit selbst sprechen können. Allerdings ohne Erfolg. Auch ich fange an zu denken, was ja die Meinung Eurer Exzellenz ist, daß die Welt zusammenstürzen müsse. Während noch, von der schändlichen Tätigkeit der Inquisition die Rede war, überfiel Seine Heiligkeit plötzlich ein unmäßiger Zorn und er wandte sich unerwartet an mich:

›Euer Galilei hat sich erkühnt, da einzudringen, wo er nicht sollte, und zudem noch in die wichtigste und gefährlichste Materie, die man zu dieser Zeit aufrühren kann.‹

Ich erwiderte, daß Galilei sein Werk doch nicht ohne die Erlaubnis der geistlichen Räte Seiner Heiligkeit habe drucken lasten. Das Vorwort hätte ich sogar selbst entgegengenommen und fortgeschickt, damit es gedruckt werden könne.

Seine Heiligkeit der Papst erwiderte mir darauf, Galilei und Ciampoli hätten ihn hintergangen. Ciampoli habe Seiner Heiligkeit erklärt, Galilei würde alles tun, was befohlen sei und alles wäre in Ordnung. Seiner Heiligkeit sei von der ganzen Angelegenheit nur dies bekannt gewesen, das Werk habe er nie gesehen, geschweige denn gelesen. Ciampoli und Riccardi seien sehr übel mit ihm verfahren, trotzdem Riccardi einerseits behaupte, gleichfalls hintergangen worden zu sein: man habe ihm mit freundlichen Worten die Druckerlaubnis entlockt, um das Buch dann in Florenz drucken zu lassen. Dabei habe man die vom Inquisitor vorgeschriebene Form nicht im geringsten beachtet, zumal bei Nennung des obersten römischen Bücherzensors, was bei außerhalb Rom erscheinenden Schriften gar nicht angebracht sei.

Da wagte ich zu behaupten, daß meines Wissens Seine Heiligkeit eine Spezialkommission zur Prüfung einberufen habe, und stellte ehrerbietig die Bitte, Seine Heiligkeit möge Galilei Gelegenheit zur Rechtfertigung geben.

›In Sachen des Heiligen Offiziums‹, antwortete Seine Heiligkeit, »tut man vorladen.‹

›Scheint es Eurer Heiligkeit also‹, entgegnete ich, ›daß Galilei über die Bedenken, Einwendungen und Beanstandungen, die gegen sein Werk erhoben werden, wie über die Punkte, welche beim Heiligen Offizium Anstoß erregen, zuvor unterrichtet werden sollte?‹

›Das Heilige Offizium‹, erwiderte er heftig, ›das sagten Wir bereits, geht so nicht vor und schlägt solche Wege nicht ein, noch erteilt es jemandem vorher derartige Aufschlüsse. Dies ist nicht Brauch. Außerdem weiß Galilei sehr gut, worin die Bedenken bestehen, wenn er es eben nur wissen will; denn Wir haben mit ihm darüber gesprochen und er hat sie alle von Uns selbst vernommen.‹

›Trotzdem bitte ich Eure Heiligkeit‹, sagte ich, ›in Betracht zu ziehen, daß der Autor dieses Werk Seiner Hoheit, unserem Großherzog, gewidmet hat, besten angesehener Diener er ist. Ich hoffe daher, daß man nachsichtig mit Galilei verfahren wird und Eure Heiligkeit die Geistlichkeit anweisen werden, darauf Rücksicht zu nehmen.‹

›Wir haben auch schon Bücher verboten‹, rief Papst Urban, ›die Uns selbst zugeeignet waren und auf dem Titelblatt Unseren oberhirtlichen Namen trugen. In Angelegenheiten, wo die Religion in schlimmster Weise gefährdet wird, ist auch Seine Hoheit der Großherzog als christlicher Herrscher verpflichtet, an einer Bestrafung mitzuwirken. Wir ersuchen Eure Exzellenz daher, Seiner Hoheit mitzuteilen, Wir ließen ihn warnen, sich in diese Sache einzumischen, wo er in Ehren nicht bestehen würde.‹

›Ich aber bin überzeugt‹, entgegnete ich, ›von zu Hause neue Befehle zu erhalten und gezwungen zu sein, Eurer Heiligkeit abermals zur Last fallen zu müssen. Überdies kann ich nicht glauben, daß Eure Heiligkeit nicht zuvor Messer Galilei Gehör schenken würden, wenn man auf das Verbot eines bereits genehmigten Buches zukommen würde.‹

Dies sei wohl das wenigste, was Galilei treffen könnte und er solle sich nur in acht nehmen, daß er nicht vor das Heilige Offizium geladen würde. Diese Sonderkommission sei aus Theologen und in den Wissenschaften erfahrenen Persönlichkeiten zusammengesetzt, lauter ernsten und frommen Männern. Jene würden auch die unbedeutendsten Kleinigkeiten Wort für Wort erwägen, weil es sich hier um die gottlosesten Dinge handele, die Seine Heiligkeit je in die Hände bekommen habe.

Dann begann Seine Heiligkeit von neuem zu klagen, daß Galilei und Ciampoli ihn hintergangen hätten. Er beauftragte mich, Seiner Hoheit mitzuteilen, daß diese Lehre im höchsten Grade sündhaft sei, Seine Hoheit möge sich daher nicht einmengen und sich vorsichtig und klug verhalten … Er sei mit aller Rücksicht gegen Galilei verfahren, indem er ihm zu beherzigen gegeben, was derselbe schon wisse, und seine Angelegenheiten nicht, wie er eigentlich gesollt, dem Heiligen Offizium überwiesen habe, sondern einem eigens dazu eingesetzten Sonderausschuß. Sein Benehmen gegen Galilei sei also ein weit besseres gewesen als das des Gelehrten ihm gegenüber, der ihn hintergangen habe.

Ich habe leider festgestellt, daß die Gesamtstimmung hier außerordentlich ungünstig ist. Was insbesondere den Papst selbst betrifft, so könnte sie gegen unseren Galilei gar nicht noch schlechter sein. Eure Exzellenz können sich also lebhaft vorstellen, in welcher Gemütsverfassung ich wieder nach Hause ging.«

 

Weiter berichtete Niccolini, daß er gleichzeitig bei Riccardi vorstellig geworden sei, der den Fall wesentlich leichter beurteile. Er halte es für wahrscheinlich, daß die Sonderkommission einzelne Stellen beanstanden würde, die dann eben verbessert werden müßten. Diese Mitteilungen konnten jedoch Galileis Schrecken und Entsetzen nicht mehr mildern. Als er den Brief zu Ende gelesen hatte, starrte er gedankenverloren unverwandt auf das Papier. Im buchstäblichen Sinne des Wortes blieb sein Verstand stehen. Er war nicht fähig, einen Gedanken zu fasten.

»Bei Gott, das ist keine Kleinigkeit!« seufzte Cioli in der drückenden Stille.

Der Kanzler sagte auch noch vieles mehr, aber Galilei hörte es nicht. Er war in einer ganz anderen Welt. Noch immer starrte er auf das Papier wie vom Schlag gerührt. Der Papst hat sich gegen ihn gewendet! Der Papst zürnt ihm! Der Papst tobt, weil Galilei ihn, seinen Wohltäter, betrogen, hintergangen habe!

Er konnte jetzt nicht sprechen. Wankend erhob er sich, und während Cioli noch redete, begann er sich schon zu verabschieden. Er wandte sich von dem verwundert dastehenden Kanzler ab und verließ mit unsicheren Schritten den Saal. Draußen, an einen Eisenring angebunden, wartete sein Maultier. Er knüpfte die Leine auf und bestieg das Tier, das mit langsamen, trottenden Schritten den Heimweg einschlug. Die Welt um ihn herum schien ihr Aussehen völlig verändert zu haben. Es war ihm, als sei er, von der Erde kommend, in diesen Palast eingetreten und verlasse jetzt einen fremden Planeten.

Zu Hause legte er sich sofort zu Bett. Nicht einmal so viel Kraft hatte er, um Celeste zu besuchen. Er stierte ununterbrochen auf einen imaginären Punkt und rührte sich nicht. Man brachte ihm die Speisen ans Bett, er wollte nichts genießen. Es begann zu dunkeln, aber er machte kein Licht. Nicht eine einzige Minute schlief er in dieser Nacht. Er dachte aber auch über nichts nach. Er starrte nur mit weit aufgerissenen Augen ins Dunkel, wie einer, der durch einen Hieb ohnmächtig geworden und noch nicht wieder ganz zu Bewußtsein gekommen ist.

Am anderen Tage erhielt er vom Kanzler eine weitere Mitteilung. Der Papst hatte den Gelehrten Chiaramonte in besonderem Auftrage mit Vollmachten versehen und als Sachverständigen bestellt. Diese Nachricht riß ihn wieder hoch. Das war doch derselbe Chiaramonte, den er damals im Hause des Marchese del Monte fast erwürgen wollte … Der seit dieser Zeit sein Todfeind war – Jetzt begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. Und selbst am hellen Tage verfolgten ihn die Wahnideen, die ihn sonst nur in der Nacht überfallen hatten. Diese teuflische Organisation hatte herausgefunden, wer der feindseligste Sachverständige sein könnte. Und den hatten sie bestellt! Der Papst mußte von ihnen verzaubert sein. Denn wie hätten sie sonst seine Zuneigung zu ihm ersticken können? Er schüttelte fortwährend den Kopf und sagte immer wieder vor sich hin: Unbegreiflich! Unbegreiflich!

Endlich ging er auch zu Celeste. Ganz entsetzt vernahm sie das Geschehene. Aber sie verlor den Kopf nicht. Hier könne es sich nur um ein Mißverständnis handeln, meinte sie. Aber das müsse sich doch klären lassen und dann würde alles wieder in Ordnung kommen. Er hörte eine Weile lang zu, und es schien, als ob er ihr glaubte und sich beruhigte. Plötzlich aber rief er:

»Man schleppt mich vor die Inquisition! Du wirst sehen, man schleppt mich vor die Inquisition!«

»Aber mein Herr Vater, Ihr habt doch selbst gesagt, man habe für Euch eine besondere Kommission einberufen, nur damit Ihr nicht vor die Inquisition kommt. Verliert doch jetzt nicht den Kopf und überlegt einmal in aller Ruhe …«

»Nein«, erwiderte er störrisch und angsterfüllt, »man schleppt mich vor die Inquisition … Man will mich quälen.«

Celeste wurde nicht fertig mit ihm. Er ging nach Hause. Sein Zustand war von Geistesumnachtung kaum mehr zu unterscheiden. Er wartete auf die Ladung vor die Inquisition. Manchmal wähnte er zu hören, daß es unten am Tor klopfe und daß man käme, ihn abzuholen. Wenn er in der Nacht Schritte vernahm, murmelte er vor sich hin: »Jetzt kommen sie.«

»Heute haben sie mich noch nicht abgeholt«, sagte er zu Celeste.

»Wer?«

»Sie sind noch nicht nach mir gekommen.«

»Aber wohin denn, mein Herr Vater? Wer denn?«

»Zur Inquisition. Jene. Meine Feinde. Wer sie sind, weiß ich nicht. Die anderen.«

So ging das drei Wochen lang. Dann kam man tatsächlich, ihn abzuholen. Er wunderte sich nicht. Der Hauptinquisitor von Florenz hieß ihn kommen: er möge sich sofort zu ihm in die Stadt begeben. Gehorsam machte er sich auf den Weg. Der Hauptinquisitor teilte ihm mit, daß ein Verfahren gegen ihn eingeleitet worden sei und er in Rom vor dem Santo Offizio zu erscheinen habe.

»Sehr wohl«, entgegnete er fast mit Genugtuung, »ich habe es immer gesagt, aber man wollte es mir nicht glauben.«

»Was habt Ihr gesagt?«

»Man hat immer behauptet, daß man mich vor eine besondere Kommission laden werde. Aber ich habe sofort gesagt: man wird mich vor die Inquisition stellen.«

»Richtig. In Rom hat man tatsächlich einen derartigen Entschluß gefaßt. Jetzt aber werdet Ihr die Freundlichkeit haben, der Ordnung halber eine Erklärung niederzuschreiben, die ich Euch diktiere; denn ich habe dies an die oberste Behörde in Rom zur Beglaubigung einzuschicken.«

Folgsam setzte er sich an den Tisch. Der Hauptinquisitor begann zu diktieren:

 

»Florenz, am ersten Oktober sechzehnhundertzweiunddreißig.

Ich, Galileo Galilei, bestätige, daß mir am bezeichneten Tage vom ehrwürdigen Pater Inquisitor der hiesigen Stadt auf Befehl der heiligen Kongregation des Heiligen Offiziums zu Rom der Auftrag erteilt worden ist, mich im Laufe des gegenwärtigen Monats Oktober nach Rom zu begeben, und mich dem Pater Kommissarius des Heiligen Offiziums vorzustellen, der mir bedeuten wird, was ich zu tun habe. Ich werde bereitwillig dem Befehl im Laufe dieses Monats Oktober nachkommen. Und zum Zeugnis der Wahrheit habe ich Gegenwärtiges mit eigener Hand niedergeschrieben.

Ich, Galileo Galilei, schrieb dieses manu propria.«

 

Er überreichte das Schriftstück dem Hauptinquisitor, verabschiedete sich höflich, und ging beinahe beruhigt nach Hause. Die unerträgliche Ungewißheit war endlich durch eine Gewißheit abgelöst worden. In Rom war ohne Zweifel etwas vor sich gegangen, was den Papst noch mehr gegen ihn einnahm, so daß er die Angelegenheit nunmehr doch der Heiligen Inquisition übergeben hatte.

Die Erleichterung über diese Gewißheit verging aber sehr rasch wieder. Und nun brach die Zeit der tausend Ängste über ihn herein. Was wird bei der Inquisition mit ihm geschehen? Nüchterner Beurteilung nach würde man ihn verhören und ihm dann mitteilen, daß die Kirche sein Buch zum Teil oder ganz und gar verbiete. Ist aber alles, was ihm bislang widerfahren war, nach den Regeln der Vernunft geschehen? Bei weitem nicht! Daß mit dem Papst etwas vorgefallen sein muß, ist nicht zu bezweifeln. Und über diesem Geheimnis kann man fast wahnsinnig werden. Jetzt ist nichts mehr unmöglich! Der Kerker der Engelsburg … glühende Zangen … spitze Eisen, die man ihm unter die Fingernägel schlägt – der Scheiterhaufen … man wird ihn an den Schandpfahl binden und den Scheiterhaufen unter ihm anzünden … die Flammen erfassen seine Kleider und seinen Bart … Vor Entsetzen begann er zu röcheln, er warf die Arme in die Luft, um diese Bilder von sich abzuwehren.

Sofort suchte er Cioli auf und bat ihn flehentlich, er möge Niccolini unter allen Umständen veranlassen, irgend etwas zu unternehmen. Er sei zu allem bereit, jedem Befehl des Papstes würde er blind Folge leisten, nur vor die Inquisition solle man ihn nicht bringen. Cioli versprach alles. Niccolini schrieb zurück, er habe alles Erdenkliche versucht, könne aber nun nicht mehr helfen. Da richtete Galilei einen langen und verzweifelten Brief an den Kardinal Antonio Barberini, den Neffen des Papstes. In diesem Brief redete er ihn mit »Eure Eminenz« an; denn Papst Urban hatte vor kurzem in einem Erlaß verfügt, daß von jetzt an den Kardinälen als sichtbares Zeichen und zur Hebung ihrer Autorität der Titel »Eminenz« gebühre. Am sechzehnten Oktober sandte er diesen Bittbrief ab und wartete auf Antwort. Er reiste nicht nach Rom. Aber es kam keine Antwort. Statt dessen antwortete Niccolini, den er gebeten hatte, diesen Brief an den Kardinal weiterzugeben. Er meinte, daß dieser Brief eher schaden als nützen würde, und er wolle es lieber nochmals beim Papst versuchen.

Auch das führte zu nichts. Der Papst erklärte rundweg, Galilei müsse auf Biegen oder Brechen nach Rom kommen. Zu gleicher Zeit entließ er Ciampoli. Er enthob ihn seiner Stellung als Sekretär des Breve und versetzte ihn in irgendein Dorf. Man mußte also erkennen, daß er nicht spaßte. Der Hauptinquisitor von Florenz bestellte den Gelehrten noch einmal zu sich.

»Warum habt Ihr die Frist versäumt? Der Oktober ist vorbei. Heute haben wir den neunzehnten November.«

»Ich bitte um Nachsicht. Ich hatte gehofft, daß die von mir unternommenen Schritte Erfolg haben würden.«

»Macht nun nicht mehr viel Umstände, sondern tretet endlich die Reise an! Daß Ihr mir innerhalb eines Monats in Rom seid!«

»Sehr wohl.«

Er war maßlos erschrocken. Mißtrauisch blickte er sich in dem Raume um, ob nicht etwa eine Falltür vorhanden sei, die sich plötzlich vor ihm auftun könnte. Aber dieses Zimmer gehörte zur Parochie. Er eilte nach Hause wie ein gehetztes Tier in seinen Schlupfwinkel. Und schrieb. Er schrieb ununterbrochen. Er schrieb an Cioli, an Castelli, an Niccolini, an alle. Verzweifelt flehte er, man möge ihm wenigstens einen Aufschub gewähren, wenn etwas anderes schon nicht möglich sei. Er habe vor der Pest eine solche maßlose Angst und fühle sich auch sonst gesundheitlich sehr schlecht. Das war keine Lüge. Die Aufregungen machten ihn bettlägerig. Sein Bruch riß immer weiter. Eine schwere Entzündung legte sich auf seine Augen. Schlaflosigkeit überfiel ihn, täglich konnte er nicht mehr als zwei bis drei Stunden schlafen. Und auch diese kurze Zeit nur von Alpdrücken gepeinigt und immer wieder aufschreckend. Er lag reglos im Bett und wartete auf die Briefe. Seine Töchter durften nicht zu ihm herüberkommen. Porzia, seine alte Wirtschafterin, schlich weinend um ihn herum.

Die neuerliche Frist war noch nicht um, als am achtzehnten Dezember der Vikar des Hauptinquisitors zu ihm in die Wohnung kam. Es war ein strenger und roher Mensch. Er schrie den Kranken an, ob er denn seinen Verstand verloren habe. Der Inquisition wolle er den Gehorsam verweigern?

»Ich würde schon fahren«, erwiderte er unter Tränen, »aber ich kann doch nicht!«

»So krank seid Ihr? Das kann ein jeder sagen. Auf alle Fälle habt Ihr ein authentisches ärztliches Zeugnis einzureichen. Und zwar von mindestens drei Ärzten. Die Ärzte werde ich Euch nennen, denn hier gibt es keinen Betrug. Rossi, Ronconi und … sagen wir Cervieri.«

»Ja.«

»Ferner gebe ich Euch zu bedenken, daß all jene, die bisher der Inquisition Schwierigkeiten gemacht haben, sehr übel daran waren. Laudetur.«

Der Kranke ließ die drei Ärzte aus der Stadt kommen. Sie kamen zu gleicher Zeit, sie hatten sich verabredet. Mißtrauisch begannen sie mit ihrer gründlichen Untersuchung, aber dann schüttelten sie die Köpfe.

»Das ist wirklich kein Spaß mehr. Ihr könnt in der Tat nicht reisen. Das wäre lebensgefährlich.«

So verging Weihnachten. Anfang Januar war ihm etwas wohler. Wenn man ihm half, konnte er sich in einem Lehnstuhl an den Kamin setzen. Da erhielt er einen Brief von Cioli. Der Kanzler schrieb im Namen des regierenden Großherzogs. Der Großherzog Fernando äußere durch ihn, den Kanzler, seine aufrichtige Anteilnahme, bitte ihn jedoch, diese schwerwiegende Angelegenheit nicht zu leicht zu nehmen, sondern, sobald er nur könne, nach Rom abzureisen. Fast gleichzeitig kam auch eine Mitteilung vom Hauptinquisitor: in Rom habe man befohlen, Galileo Galilei, wenn er sich noch länger widersetze, in Ketten nach Rom zu schaffen. Sollte er krank sein, so möge ein Kommissar der Inquisition und ein Arzt den Gefesselten mitbringen. Die Kosten für die Begleitung habe der Kranke selbst zu tragen.

Aber er wurde nicht in Ketten gelegt. Am zwanzigsten Januar kleidete sich der Greis an, ließ seine Sachen packen und sich zur Sänfte tragen. Er machte nur einen kurzen Besuch im Kloster und umarmte und küßte seine Töchter. Sie weinten alle drei. Dann brach er nach Rom auf. An der Grenze des Kirchenstaates, im Dorfe Ponte a Centino, kam er in die Quarantäne. Er mußte eine ärztliche Untersuchung und ein langwieriges Desinfektionsverfahren über sich ergehen lassen. Drei Wochen dauerte es, ehe er in Rom eintraf. Als er die Türme der Stadt von weitem erblickte, stürzten ihm die Tränen aus den Augen.

Er ließ sich zur Gesandtschaft tragen. Das Ehepaar Niccolini erwartete ihn schon. Sie ließen ihn ein wenig ausruhen, dann baten sie ihn zu Tisch. Während des Abendessens sprach Niccolini absichtlich nicht von der Inquisition; vor den Dienstboten wollte er diese Frage nicht berühren. Als sie aber nach dem Abendessen allein waren, legte er ihm mit unendlicher Zärtlichkeit und Anteilnahme die Hand auf die Schulter.

»Ihr müßt sehr auf der Hut sein. Die Sache steht schlimm.«

»Ich weiß, ich weiß. Meine geheimen Feinde …«

»Nein«, unterbrach ihn der Gesandte, »nur keine falschen Vorstellungen. Hier handelt es sich einzig und allein um den Papst. Der Papst ist tödlich beleidigt.«

»Aber warum? Warum denn nur um Himmels willen?«

»Aus zweierlei Gründen. Der eine ist, daß der Papst von der Gemeingefährlichkeit der neuen Lehre felsenfest überzeugt ist. Seiner Meinung nach würde diese neue Weltanschauung, wenn sie Fuß faßt, alle bisherige Autorität umstoßen, die auf Aristoteles und den Kirchenvätern aufgebaute katholische Weltordnung stürzen und die Macht der Kirche über die Seelen erschüttern. Das ist der eine Grund.«

»Und der andere?«

»Der andere«, flüsterte der Gesandte leise und blickte sich vorsichtig um, »ist rein persönlicher Art. Es muß ihn jemand glauben gemacht haben, daß Ihr ihn, den Papst, in der Gestalt des Simplicio dargestellt habt.«

»Was? Da bleibt mein Verstand stehen! Das ist doch Wahnwitz! Ich müßte doch verrückt sein, wenn ich das getan hätte! Welchen Grund hätte ich gehabt, meinen Wohltäter zu verspotten? Nein, das kann der Papst nicht glauben!«

»Aber er glaubt es. Und nicht nur das, er ist davon überzeugt! Ihr kennt doch seine Eigenart, daß er in allem eine Rebellion gegen seine Würde und seinen Stolz wittert. Und Ihr habt diesem Simplicio einen Ausspruch in den Mund gelegt, den Ihr tatsächlich von ihm gehört habt. Der Papst kann sich darauf ganz klar besinnen. Es handelt sich um die Stelle, wo Sagredo und Salviati über Ebbe und Flut reden und aus dieser Naturerscheinung folgern, daß sich die Erde bewegt. Simplicio erwidert darauf: wer aus der Erscheinung von Ebbe und Flut die Bewegung der Erde ableiten wolle, sei ein Ketzer; denn er zweifelte daran, daß Gott aus seinem ureigenen Willen habe Ebbe und Flut schaffen können. Der Papst hat jemandem im Vertrauen verraten, daß diese Behauptung sein Argument gewesen wäre. Es sei also klarer als die Sonne, daß Ihr ihn in der Gestalt des Simplicio als dummen und unwissenden Menschen habt lächerlich machen wollen.«

Galilei hörte fast atemlos zu. Als er an diese Stelle seines Werkes gekommen war, fiel ihm tatsächlich dieses kindliche Argument ein, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, von wem er es gehört hatte. Von Hunderten von Gegnern hatte er solche Sachen gehört. Jetzt erst, in diesem Augenblick, erinnerte er sich, daß diese Äußerung tatsächlich vom Papst stammte. Und er mußte an Pater Scheiner, Pater Grassi und alle anderen Jesuiten denken. Mit teuflischer Geschicklichkeit hatten sie die richtige Waffe gefunden. Seit zwanzig Jahren hatten sie danach gesucht. Jetzt hatten sie gefunden, was sie brauchten. Jeder Schritt des Papstes war nunmehr durchaus erklärlich. Es gab auch keine irdische Macht mehr, die ihn hätte überzeugen können, daß Galilei nicht ihn dem allgemeinen Spott aussetzen wollte.

Er griff nach seinem Glas, um einen Schluck zu trinken, denn seine Kehle war ganz trocken von der ungeheueren Erregung. Seine zitternde Hand ließ das Glas fallen, der rote Wein ergoß sich über das Tischtuch. Niemand griff danach. Er aber flüsterte erstarrt und leise vor sich hin: »Ich bin verloren!«


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