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Drittes Kapitel

Das päpstliche Stipendium wurde in der Tat bewilligt. Papst Urban VIII. wendete dem Sohne des Gelehrten bis zur Beendigung seines Studiums jährlich sechzig Goldgulden zu. Mit diesem Stipendium waren gewisse Formalitäten verbunden: der päpstliche Stipendiat war gezwungen, sich eine Tonsur schneiden zu lassen, ein geistliches Gewand anzulegen und täglich eine bestimmte Anzahl besonderer Gebete zu verrichten. Erfreut rieb sich Galilei die Hände. Die sechzig Gulden bedeuteten eine große Hilfe, und dem Jungen würde es nichts schaden, wenn ihn das Gewand eines Geistlichen an den vielen Wirtshausbesuchen hinderte. Denn Castelli, der jetzt auch in Pisa als Professor tätig war, konnte von Vincenzo nicht viel Gutes berichten. Der Student besuchte die Vorlesungen nur nachlässig, tat sehr groß, spielte sich als Sohn des weltberühmten Gelehrten auf und prahlte mit seinen vornehmen Verbindungen am Hofe von Florenz und in Rom.

Eines schönen Tages erschien er unverhofft in der Wohnung seines Vaters in Florenz.

»Was ist geschehen?« fragte der Vater erschrocken. »Fehlt dir etwas?«

»Mir fehlt nichts, aber ich muß die Stipendiumangelegenheit mit Euch besprechen.«

»Was gibt es denn da zu besprechen? Du läßt dir eine Tonsur schneiden, ziehst ein Priestergewand an und damit gut. Außerdem wäre es aber schicklich, wenn du einen herzlichen Dankbrief an Ciampoli nach Rom schriebst.«

»Ich möchte nicht an Ciampoli schreiben, sondern an den Papst selbst und ihn bitten, er möge mir diese Bedingungen erlassen.«

»Bist du wahnsinnig geworden? Dem Papst schreiben? Wie stellst du dir das vor? Unmittelbar an den Papst willst du schreiben? Du hast wohl den Verstand verloren! Der Papst ist mir wirklich zugetan, aber eine solche Dreistigkeit wäre mir in meinem ganzen Leben nicht eingefallen. Was bist du denn? Der Großherzog von Florenz? Nur dieser könnte unmittelbar an den Papst schreiben, nicht aber ein Jurist aus Pisa! Du bist einfach größenwahnsinnig. Und was hast du an diesen Bedingungen auszusetzen? Mach mir keine Ungelegenheiten; sei froh, daß du auf Kosten des Papstes studieren darfst. Das können in Italien nicht viele von sich sagen.«

Der junge Mann sah trotzig vor sich hin, dann entgegnete er heftig:

»Aber ich will mir meine Haare nicht abschneiden lassen!«

Und mit schützender Gebärde fuhr er sich übers Haar. Er zog sogar einen Kamm aus der Tasche, den er anscheinend stets bei sich trug, und kämmte sich sorgfältig wie ein Geck. Da überkam den Vater der Zorn.

»Als zwanzigjähriger Narr machst du dich so lächerlich? Für dein schmieriges Haar soll ich jährlich sechzig Goldgulden zahlen? Nur damit du mit deinen Locken wie ein Gockel herumstolziere kannst, soll ich monatlich fünf Gulden draufzahlen? Du bist ja wie du leibst und lebst keine fünf Gulden monatlich wert! Ich höre ja nur Schlechtes von dir! Ich quäle mich ab, um dich ernähren zu können, du leidest keine Not, und zum Danke dafür besuchst du keine Vorlesungen, sondern sitzest die ganze Zeit im Wirtshause. Und nun kommst du mit deinen Haaren, wenn ich meine Lasten ein wenig vermindern könnte? Es ist wirklich traurig, daß man seinen eigenen Sohn für einen oberflächlichen, verantwortungslosen Stutzer halten muß!«

Stille. Vincenzo entfernte sorgfältig ein Stäubchen von seinem Wams. Es war ihm deutlich anzusehen, welch große Bedeutung er seiner Erscheinung beimaß. Dann fing er wieder sehr heftig an:

»Und ein Priestergewand will ich auch nicht tragen! Ich bin kein Priester und werde auch keiner!«

»Kein Mensch will, daß du Priester werden sollst. Trotz des Priesterrockes bleibst du Laie. Das müßte dir bekannt sein, wenn du die Vorlesungen über Kirchenrecht an der Universität besuchtest. Wie ich aber sehe, bist du dir nicht einmal über die elementarsten Begriffe im klaren. Ziehe du nur das Priestergewand an! Es ist gar nicht nötig, daß du mit einem federgeschmückten Barett vor den Weibern einherstolzierst. Es ist weiß Gott höchste Zeit, daß du dich ernsthaft an das Studium machst. Und dafür ist der Priesterrock wie geschaffen!«

»Und ich stürze mich eher ins Wasser«, rief der Junge, »als daß ich mich in einen Priester verwandele! Warum schreibt Ihr dem Ciampoli nicht, er möge mich mit diesen Bedingungen verschonen? Euch kostet es doch nur ein Wort.«

»Bursche, ärgere mich nicht, sonst versetze ich dir noch eine Ohrfeige. Ich will nicht mehr hören, daß mich etwas nur ein Wort koste. Verfüge ich denn über den Papst? Und Ciampoli hat wohl nichts Besseres zu tun, als sich jetzt, wo der große Krieg tobt, mit dem Papst über deine Haare zu unterhalten? Kein Wort mehr! Augenblicklich scherst du dich zurück nach Pisa.«

»Vater«, entgegnete der Junge, erregt von seinem Stuhle aufspringend, »ich bin jung und will leben! Ich bitte Euch inständig, quält mich nicht mit dieser Tonsur und mit dem Priesterrock. Warum tut es Euch weh, wenn ich mich in Pisa wohlfühle?«

»Das tut mir nicht weh! Wohl aber, daß du nie an meine Sorgen denkst. Du findest es durchaus natürlich, daß ich dir ein Leben ermögliche wie dem Sohne eines Krösus! Deine Schwester Celeste ist, bei Gott, ganz anders. Sie denkt immer nur daran, was für Sorgen ich habe, wie es mir gesundheitlich geht und was mich sonst beschäftigt. Von dir aus könnte ich aber verrecken; es würde dir höchstens Sorge machen, wovon du künftig den Barbier bezahlen solltest. Aber es ist schade um jedes Wort. Freude hast du mir noch nie bereitet, nur Sorgen. Merk dir's nun: wenn du die Bedingungen nicht erfüllst, bekommst du von mir keinen Soldo mehr. Dann magst du sehen, wie du vorwärts kommst. Und jetzt mach, daß du zurückkommst nach Pisa, hier in Florenz hast du nichts zu suchen!«

Der Junge zuckte mit den Schultern und ging trotzig aus dem Zimmer. Draußen vereinbarte er mit der Wirtschafterin, was es zum Abendessen geben sollte. Unter dem Vorwande, daß er keine Reisemöglichkeit habe, trieb er sich noch drei Tage lang in Florenz herum. Sein Vater bekam ihn kaum zu Gesicht, tagsüber machte der Sohn Besuche bei Familien, die hübsche Töchter hatten, abends zechte er mit seinen Freunden. Am dritten Tage kam er nochmals auf sein Anliegen zurück. Als ihm der Vater endgültig klarmachte, daß die Erfüllung seines Wunsches unmöglich sei, fing er trotz seiner zwanzig Jahre zu weinen an. Galilei fragte sich, ob er wohl in diesem Alter und mit solch einem Bartflaum um Kinn und Lippen unter ähnlichen Umständen ebenfalls geweint haben würde. Die Unterredung blieb erfolglos, der junge Mann wollte unter keinen Umständen an die Tonsur und das Priestergewand heran, der Vater hingegen bestand darauf.

»Ich verstehe Euch nicht«, begehrte der Junge auf, »ist Euch denn der Priesterrock nicht verhaßt? Wo Euch die Priester schon soviel Übles angetan haben?«

»Kindliches Geschwätz! Die Laien haben mir genau soviel Übles angetan wie die Geistlichen. Denk an Castelli in Pisa. Der ist Geistlicher, und ich habe wenige so treue Menschen um mich wie ihn.«

»Und die Jesuiten? Auf der Universität behauptet man, daß die Jesuiten Euch unschädlich machen wollen.«

»Sicherlich habe ich mit einzelnen Jesuiten Scherereien gehabt, aber auch mit Dominikanern und anderen Mönchen. Dieser organisierte Krieg, den angeblich die Jesuiten gegen mich eröffnet haben, ist ein Märchen. Es ist erfunden wie alle Spukgeschichten.«

»Ihr müßt es ja besser wissen. Aber in Pisa erzählt man sich, der Jesuitenorden habe Grassi offiziell beauftragt, Euch zugrunde zu richten.«

Galilei winkte ab.

»Pater Grassi ist auf dem besten Wege, ein Kopernikaner zu werden. Meiner Freundschaft rennt er förmlich nach. Er preist mich vor Gott und der ganzen Welt. Anscheinend hat er bereut, mich angegriffen zu haben. Im Grunde ist er ein braver, gutgläubiger Mensch. Man darf im Leben nie allgemeine Schlüsse ziehen, merke dir das! Und lege du nur hübsch den Priesterrock an, sonst ziehe ich meine Hand von dir. Und nun kein Wort mehr darüber! Wann fährst du?«

»Morgen früh. Heute muß ich noch zu Bocchineris zum Abendessen. Ich habe auch noch anderes zu erledigen.«

»Und wann besuchst du deine Schwestern?«

»Leider habe ich dafür keine Zeit mehr. Sagt ihnen bitte, ich ließe sie küssen.«

Da ergriff den Vater eine unbändige Wut.

»Jetzt schere dich aber aus meinen Augen, ich will dich nicht mehr sehen. Wer sich seinen Schwestern gegenüber so benimmt, ist gar kein Mensch mehr. Jedes dritte Wort deiner Schwestern bezieht sich auf dich. Wochenlang zerbrechen sie sich den Kopf darüber, mit was für einer Handarbeit sie dich einmal erfreuen könnten. Und du bist drei Tage lang hier und findest nicht einmal so viel Zeit, sie zu besuchen. Geh, ich will dich nicht mehr sehen!«

Der junge Mann zuckte abermals trotzig mit den Schultern und entfernte sich. Am anderen Tage fuhr er ab, noch bevor sein Vater aufgestanden war. Alles das berührte Galilei sehr schmerzlich. Eine brennende Wunde blieb in seiner Seele. Tagelang dachte er an den Jungen und an das Stipendium. Dazu kam noch, daß ihm Castelli aus Pisa im Tone höchster Entrüstung mitgeteilt hatte, sein Sohn sage jedem offen ins Gesicht, er ließe sich eher aus der Familie ausstoßen, als daß er sich eine Tonsur schneiden und in einen Priesterrock stecken lasse. Der betrübte Vater ging zu seinen Töchtern ins Kloster und beklagte sich bei ihnen bitterlich über seinen Sohn. Angela hörte ihm gleichgültig zu, Celeste aber nahm den Bruder in Schutz. Sie verteidigte ihn mit besonderer Wärme. Sie erklärte, die Tonsur sei ein heiliges Zeichen und der Priesterrock ein heiliges Gewand. Wenn jemand das Gefühl habe, dies nicht würdig tragen zu können, so beweise er nur seine anständige Gesinnung, wenn er darauf verzichte.

Nach einigen Tagen suchte Galilei selbst schon nach einer Entschuldigung für seinen Sohn. Der erste Zorn war verflogen, und er bemühte sich, sachlich zu sein. Wenn der Junge kein Genie ist, so darf man ihm das doch nicht ungerechterweise zur Last legen. Kinder sind nicht dazu da, die Eitelkeit ihrer Eltern zu befriedigen. Seine Anlagen hat er von den Eltern geerbt, er kann also nicht dafür, wenn er so ist, wie er eben ist. Und er ist auch ohne Mutter aufgewachsen. Schuld an allem ist also nicht der Sohn, sondern der Vater. Tagelang bearbeitete er sich selbst in dieser Weise, er unternahm zwar noch einige hoffnungslose Versuche, streng und konsequent zu erscheinen, aber er sah bereits, daß er seine nachgiebige Natur nicht würde ändern können und daß nicht sein Wunsch, sondern der seines Sohnes in Erfüllung gehen werde. Als der Monatserste herangekommen war, schickte er ihm wie gewöhnlich das Geld nach Pisa. Und nach Rom schrieb er einen Brief, in dem er seinen herzlichen Dank aussprach und eine Ausrede gebrauchte, warum die Formalitäten noch nicht erfüllt werden konnten. Am liebsten hätte er auf das Stipendium verzichtet, aber er schämte sich, nach einem so umfangreichen Briefwechsel in Ciampolis Augen undankbar oder gar lächerlich zu erscheinen.

Die Lösung kam ganz von selbst. Er erhielt einen Brief von Michelagnolo aus München. Michelagnolo schien mit den Bayern gut auszukommen, und wenn er Sorgen hatte, so nur darum, weil seine Familie immer zahlreicher wurde. Jetzt erwartete er sein siebentes Kind. Der Älteste, der gleichfalls Vincenzo hieß, war schon achtzehn Jahre alt. Diesen Jungen wollten sie Musiker werden lassen. Da Michelagnolo aber der Meinung war, daß nur Italien seinen Sohn zu einem guten Musiker erziehen könne, war er beim bayrischen Hofe so lange vorstellig geworden, bis er für seinen Ältesten ein Stipendium erreicht hatte. Und sogar ein sehr beachtliches: der Kurfürst Maximilian hatte ein Jahresstipendium von zweihundertzwanzig Goldgulden für die Ausbildung des künftigen Hofmusikers bestimmt. Aber dieses Geld brauchte er auch dringend für die anderen Kinder, so daß er seinem Sohn nur die Hälfte des Stipendiums zur Verfügung stellen konnte. Das war nun wieder nicht allzu reichlich. Michelagnolo teilte auch noch mit, daß er große Sehnsucht habe, die Seinen wiederzusehen, und daß er nächstes Jahr mit Gottes Hilfe mit seiner ganzen Familie nach Florenz kommen wolle, um seine Kinder vorzustellen und sich an seinem Bruder und besten Kindern zu erfreuen. Hoch loderte in Galileo die brüderliche Liebe auf. Die Aussicht, seinen seit vielen Jahren nicht gesehenen Bruder wieder in die Arme schließen zu können, machte ihn überglücklich. Und plötzlich kam ihm der Gedanke, warum man das päpstliche Stipendium von sechzig Goldstücken, wenn es nun schon einmal bewilligt war, nicht auf den anderen Vincenzo Galilei überschreiben lassen könne. Für den Papst bedeutete dieses Geld gar nichts, für Michelagnolo aber, der so viele Kinder hatte, sehr viel. Er schrieb an Ciampoli, ging zunächst ganz vorsichtig an die Sache heran, und als er bemerkte, daß es möglich sei, sprach er seine Bitte ganz offen aus und erhielt eines schönen Tages auch die Nachricht, daß man das Stipendium auf seinen Neffen überschrieben habe. Das Geld blieb also in der Familie und Vincenzo konnte mit gutgepflegter Mähne weiter vor den schönen Frauen Pisas einherstolzieren.

Diese Wendung der Angelegenheit besänftigte ihn einigermaßen. Er freute sich, Michelagnolo bei seinem Besuch im nächsten Jahr mit diesem schönen Geschenk aufwarten zu können. Seine finanzielle Lage war nicht schlecht. Von dem Gehalt, das er vom Hofe bezog, konnte er bequem leben. Er selbst hatte keinerlei Ansprüche, seine Töchter kosteten ihn kein Geld, nur für den Sohn hatte er zu sorgen. Hierzu kam noch, daß er für den Vergrößerungsapparat und für andere Dinge vom Hofe oder anderen Persönlichkeiten bedeutende Beträge erhielt. Seinen rheumatischen Anfall hatte er dieses Jahr auch schon hinter sich, und so konnte er sich friedlich daheim mit seinen Aufzeichnungen und seinem ausländischen Briefwechsel beschäftigen. In aller Ruhe überlegte er sich die Umrisse seines geplanten großen Werkes, und lächelte über sich selbst, wenn er manchmal aus Furcht vor der Inquisition Alpdrücken bekam; denn wenn jemand auf der ganzen Welt keinen Grund zu Befürchtungen hatte, so war er es, der Günstling des Papstes …

Da erhielt er ein neuerschienenes Buch zugesandt. Es war in Paris gedruckt worden. Voller Verwunderung ersah er aus der Titelseite, daß Sarsi, besser gesagt, Pater Grassi, abermals das Wort ergriffen hatte. »Rechenschaft über die Waage und Goldwaage«, besagte der lange Titel unter anderem. Aufgeregt begann er das Vorwort zu lesen. Schon dieses führte eine offene Sprache: ein gefährliches Feuer sei ausgebrochen, das man ein für allemal löschen müssen. Die Anspielung war unmißverständlich: man müsse den kopernikanischen Gedanken auf dieser Erde ausrotten. Und um zu zeigen, daß er stark genug sei, sein Vorhaben durchzusetzen, betonte der Verfasser der Schrift, daß hinter ihm geschlossen das Jesuitenkollegium in Rom stünde.

Pater Grassi hat also Farbe bekannt. Er greift an. Er setzt ein Ziel. Nachdem er Galilei durch andere hat wissen lassen, er suche seine Freundschaft. Nachdem er sich beim kranken Guiducci eingeschlichen, Galilei in den Himmel erhoben und erklärt hat, er neige gleichfalls zur kopernikanischen Weltauffassung! Das Buch ist sehr umfangreich, er muß also schon daran gearbeitet haben, als er Galilei seiner Freundschaft versicherte! Welch teuflischer Mensch, welch unglaublicher Dämon der Heuchelei, des flammenden Hasses und der Hinterhältigkeit!

Galilei las weiter. Schon auf der dritten Seite wurde er rot vor Scham und Zorn. Über hundert und aber hundert Seiten hindurch ein grober persönlicher Angriff nach dem anderen. Seine Unredlichkeit schrie förmlich aus jeder Zeile. Absichtlich legte er den Text der » Goldwaage« falsch aus und widerlegte dann siegreich diese falsche Deutung. Bei jedem Druckfehler verspottete er den Autor, warf ihm Unwissenheit vor und nahm keinerlei Kenntnis davon, daß am Ende des Buches alle Satzfehler nacheinander aufgezählt und berichtigt waren. Er war verletzend und roh. Zugleich aber auch ganz niederträchtig. Von der Wärmetheorie leitete er zum Beispiel ab, daß Galilei das Wunder des allerheiligsten Sakramentes leugne, somit also das Wichtigste in der römisch-katholischen Religion. Wenn das kein Fingerzeig für die Inquisition sein sollte, dann gab es überhaupt keine Denunzianten mehr in der Welt. Aber nicht nur Galilei wurde angeschwärzt. An einer anderen Stelle des Buches blieben die Augen des Lesers bei einem ganz hinterlistig abgefaßten Satz haften:

 

»Ich weiß, was du willst, Galilei: daß in deiner Angelegenheit die Worte Julians laut werden sollen: Vicisti, Galilaee. Von mir aber wirst du nie die Worte hören, die über die Lippen jenes Ungeheuers kamen.«

 

Das war eine Denunziation auch des Paters Ungeheuer, Riccardi, der die päpstliche Zensurerlaubnis zur Drucklegung der » Goldwaage« erteilt hatte. Er zeigte ihn an, weil er Bücher veröffentlichen lasse, die das Wunder der heiligen Sakramente leugnen, mithin also die größte Sünde, Gotteslästerung, begehen.

Als Galilei aufsah, bemerkte er, daß es ganz dunkel geworden war, obgleich er sofort nach dem Mittagessen mit Lesen begonnen hatte. Dieser neuerliche Angriff hatte ihn aber so aufgeregt, daß er alles andere darüber vergaß. Er machte kein Licht, ließ das Buch in den Schoß gleiten und überlegte. Er stellte fest, daß er über alle Maßen erregt war und schneller atmete als sonst. Abermals tauchte in ihm das unerträgliche Gefühl auf, verfolgt zu sein. Abermals bemächtigten sich seiner jene Hirngespinste, die ihm schon einmal so fürchterliche Qualen bereitet hatten. Also doch! War es denn aber möglich, daß eine Geheimorganisation gegen ihn am Werke war und ihn auf dem Scheiterhaufen enden lassen wollte? Dieses Buch war in Paris erschienen. Warum hatte die Weltorganisation der Jesuiten diesen Erscheinungsort gewählt? Wollte man den Angriff gegen ihn von außen herleiten? Vielleicht war schon ein geheimes Verfahren gegen ihn im Gange und nur er wußte nichts davon? Oder nahm das geheime Verfahren erst mit diesem neuerlichen Angriff seinen Anfang? Eine fürchterliche Angst überkam ihn. Aber am nächsten Tage schon gedachte er besten, der schließlich über jeder kirchlichen Organisation stand und auch der Inquisition befahl. Wenn irgendeine Partei sein Verderben beschlossen hatte, so hatte sie ihre Rechnung ohne den Papst gemacht. Sicherlich waren das alles nur Erwägungen aus dem ersten Schreck heraus, kindische Hirngespinste! Die Weltorganisation der Jesuiten hatte jetzt anderes zu tun, als gegen ihn zu kämpfen. Es war alles nichts weiter als eine persönliche Aktion Grassis, dessen Zorn sich aus der Niederlage der Peripatetiker leicht erklären ließ. Vielleicht hatte er das Buch deswegen in Paris erscheinen lasten, weil in Rom sich kein Verleger bereitgefunden hätte, solch eine himmelschreiende Schmähschrift gegen den Günstling des Papstes zu drucken? Aber natürlich, daß er daran noch nicht gedacht hatte! So mußte es sein; es hatte sich ja gar nichts Besonderes ereignet! So beruhigte er sich selbst, aber nur, um nach wenigen Minuten von neuem zu zweifeln und nach neuen Verdachtsmomenten zu fahnden. Er schwankte hin und her, wie einer, der eine schwere Krankheit in seinem Organismus ergründen will und in der einen Sekunde seine Vermutungen verwirft, in der anderen dagegen alle Symptome klar zu erkennen glaubt.

Lange Wochen verbrachte er in dieser Seelenverfassung. Mit verzweifelter Spannung wartete er auf die ersten Nachrichten aus Rom. Würde dieses Buch viel Staub aufwirbeln? Welche Wirkung würde es auf die leitenden Stellen haben? Würde es in die Hände des Papstes gelangen? Vor allem aber, würde die Inquisition Schritte unternehmen? Allmählich sickerten Nachrichten durch. Das Buch hatte keinerlei Aufsehen erregt. Jedermann hatte die unsachlichen Dispute des Jesuitenpaters satt, die eher einer Zänkerei auf dem Jahrmarkt glichen als einem wissenschaftlichen Zweikampf. Auch teilte man ihm mit, daß Grassi tatsächlich gezwungen gewesen war, nach Paris zu gehen, da er keinen Verleger in Rom finden konnte. Dort hatte er auch finanzielle Unterstützung gefunden; denn alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß dem Jesuitenkollegium die Auseinandersetzungen zuwider waren und es die Druckkosten scheute. Der päpstliche Hof schwieg über das Buch, anscheinend hatte man es dort gar nicht zur Hand genommen. Mit nüchternem Verstande konnte man sich auch sehr schwer vorstellen, daß die Inquisition des Papstes ein Verfahren gegen die päpstliche Zensur einleiten könnte, die auf Grund eines autoritären Gutachtens die » Goldwaage« hatte erscheinen lassen.

Nach und nach beruhigte sich Galilei, aber er ließ sich diese große Aufregung zur Lehre dienen. Abermals mußte er feststellen, was für ein ungeschickter Politiker er war, obgleich ein Mensch, der vor die Öffentlichkeit treten will, auch ein wenig von dieser Gabe besitzen muß, sei er ein noch so großer Meister der abstrakten Wissenschaft. Abermals zeigte es sich, welch gutgläubige Natur in ihm wohnte und was für ein schlechter Menschenkenner er war. Er sprach mit Celeste viel über diese Dinge, denn mit dem Mädchen konnte man über alles sprechen wie mit einem Gelehrten. In der tiefen Reinheit ihrer siebenundzwanzigjährigen Seele war sie auch gelehrt. Er mußte sich immer wieder wundern, woher sie sich in so jungen Jahren zwischen den Mauern des Klosters soviel Lebenserfahrung, Urteilsfähigkeit und feste Grundsätze angeeignet hatte. »Sie ist viel reifer als ich«, dachte der dreiundsechzigjährige Vater, wenn er sich mit ihr unterhielt.

»Es gibt nichts Traurigeres«, sagte er, als er mit ihr zusammensaß, »als sich zu täuschen. Anderen Menschen mag das vielleicht nicht so schmerzlich sein, meine Seele aber ist so beschaffen, daß sie glauben und vertrauen muß.«

»So ist eine Seele beschaffen, die Gott gefällig ist«, nickte Suor Celeste, »das Fundament der Welt ist ja der Glaube.«

»Aber warum müssen wir uns dann so oft täuschen?«

»Damit wir von der Kraft unseres Glaubens Zeugnis ablegen. Alle jene, die uns täuschen, können wir bemitleiden, sie sind die Unglücklichen, nicht wir. Jene sind schlecht, und deswegen wird ihre Seele keine Ruhe finden. Wir aber werden immer wieder das göttliche Geschenk erhalten, daß wir glauben können. Ihr könnt nie allein sein! Immer ist Gott da, dem ihr vertrauen könnt. Und in mir werdet Ihr Euch niemals täuschen. Ihr werdet Euch vielleicht außer in mir in jedem Menschen dieser Welt täuschen – dennoch sage ich Euch: liebet die Menschen und vertrauet ihnen; denn lieben ist eine viel größere Glückseligkeit, als über eine Enttäuschung Schmerz zu empfinden. Die Liebe kann vollkommen sein, die Täuschung nie, da wir bei Gott immer Trost finden. Darum lebt nur jener richtig, der glaubt; denn ziehen wir von der Glückseligkeit des Vertrauens auch den Schmerz über die Enttäuschung ab, so bleibt immer noch viel mehr übrig, als wir verloren haben.«

Galilei umarmte und küßte seine Tochter.

»Du bist die Tochter eines Mathematikers«, sagte er beglückt und lachte, »aber jetzt will ich nach Hause, um den Empfang Michelagnolos und der Seinen vorzubereiten.«

»Wann kommen sie denn an?«

»Irgendwann im nächsten Monat. Leider ist nicht alles so, wie ich es mir gedacht habe. Weißt du, Michelagnolos Frau hat eine Schwester, Massimiliana. Sie soll eine sehr liebe, gute Person sein. Eine richtige, alte Jungfer. Ursprünglich war es so gedacht, daß sie auch mitkommt, und ich hatte schon erwogen, sie hier zu behalten. Ich bin doch sehr oft krank und diese Wirtschafterinnen pflegen mich nur sehr oberflächlich. Eine nach der anderen muß ich immer wieder entlassen. Ganz anders, wenn man von einem Familienmitglied gepflegt wird. Aber daraus wird nun nichts. Massimiliana will aus München nicht fort und auch Michelagnolo ist gegen diesen Plan, ich weiß eigentlich nicht warum. Seine älteste Tochter Mechthilde darf deswegen auch nicht mit, sie soll zu Hause bleiben, damit Massimiliana nicht allein ist. Ich kann mir vorstellen, wie die Arme weint, denn sie hatte sich schon sehr gefreut, euch kennenzulernen. Aber was ist denn mit Angela, daß sie gar nicht kommt?«

Still und traurig lächelte Celeste.

»Angela ist böse auf mich, obwohl ich sie um Verzeihung gebeten habe.«

»Was ist denn zwischen euch vorgefallen?«

Die junge Nonne zögerte. Jedes Wort mußte man einzeln aus ihr herausholen. Sie wollte offenbar nichts Schlechtes über ihre Schwester sagen. Galilei merkte langsam, daß hier etwas Ernstes geschehen sein mußte. Er schüttelte den Kopf und ging, die Oberin zu besuchen. Celeste wollte ihn zurückhalten, aber er wehrte ab. Bald stand er vor der Oberin.

»Was ist denn mit meinen Töchtern, hochwürdige Suor Virginia? Ich möchte alles wissen.«

»Auch ich wünsche, daß Ihr es erfahrt. Ich wollte Euch schon schreiben. Suor Angela und Suor Celeste haben sich entzweit.«

»Ja, das ist mir bekannt. Aber was ist geschehen?«

»Meiner Ansicht nach gibt es kaum jemanden, der es mit Suor Angela in einem Zimmer aushalten könnte. Nur Suor Celeste brachte das fertig, weil sie unendliche Geduld hat. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich von einer Eurer Töchter so etwas sagen muß, aber das Schicksal hat Suor Angela mit einer recht schwierigen Natur ausgestattet. Sie ist immer unzufrieden. Ständig hat sie eine Ausrede, eine Beschwerde. Und wenn sie ihre schweren Stunden hat, wird sie zur Furie. Sie beginnt, auf dem Gang herumzuschreien, daß das ganze Kloster widerhallt. Manchmal stellt sie sich dazu sogar auf den Hof und vollführt dort einen derartigen Lärm, das alles zusammenläuft. Ich habe sie schon oft mit einer Disziplinarstrafe belegt, und nur auf die Fürbitte Suor Celestes hin habe ich mit Euch nie darüber gesprochen. Aber auch die Strafen haben nichts gefruchtet. In der letzten Zeit machte sie jeden Tag einen höllischen Skandal, und immer hat sie etwas an ihrer Schwester auszusetzen. Und Euer Gnaden wissen ja selbst am besten, daß man mit Celeste wirklich auskommen kann. Schließlich erklärte Suor Angela, es sei ihr ganz gleich, was geschähe, sie bliebe unter keinen Umständen mit Celeste in einer Zelle. Ich kann Euch sagen, es war wirklich rührend mit anzusehen, wie sich Celeste benahm. Sie, die Schuldlose, bat die Schuldige um Verzeihung. Sie betete zu Gott, der Allmächtige möge die Seele Angelas mit mehr Geduld erfüllen. Auch bei mir wurde sie zweimal vorstellig, um Angela zu verteidigen. Schließlich habe ich im Interesse des Friedens in unserem Kloster nichts anderes unternehmen können, als sie zu trennen. Ich weiß, ich habe nicht richtig gehandelt; denn Suor Angela hat auf diese Weise mit Lärm und Gewalt ihr Ziel erreicht und hat eine Zelle für sich allein. Ich will gestehen, ich war auch ein wenig egoistisch, ich nahm Suor Celeste in meine Zelle. Aber Euer Gnaden mögen mir einmal sagen, was soll ich mit Suor Angela machen? Ihr seid der Vater, gebt ihr mir einen Rat, wie soll ich sie zur Ordnung bringen?«

Galilei schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht möglich. Es ist ausgeschlossen. Sie hat genau dieselbe Natur wie meine selige Mutter. Gott gebe ihr ewige Ruhe! Ich kann Euch, hochwürdige Schwester, nur darum bitten, geduldig mit ihr zu sein.«

»Ja, schon meine selige Vorgängerin, Suor Lodovica Vinta, bat mich darum. Was in meinen Kräften steht, will ich gern tun. Angela werdet Ihr aber eine Zeitlang nicht sehen, denn ich habe Zellenhaft über sie verhängt. Leider ist dies eher ein Geschenk für sie als eine Strafe; sie ist nämlich am liebsten allein. Ich habe wirklich keinen leichten Posten, Messer Galilei, das könnt Ihr mir glauben.«

Der Vater dankte für alles, dann ging er zurück zu Celeste, um sich nochmals zu verabschieden. Er erwähnte ihr gegenüber nichts. Sie umarmten und küßten sich wie zwei Menschen, die sich am nächsten auf der Welt stehen.

Einige Tage darauf kam Michelagnolo mit seiner Familie aus München an. Nur Mechthilde war daheimgeblieben, alle anderen Kinder waren mitgekommen. Sie standen nebeneinander wie die Orgelpfeifen. Vincenzo, der älteste, war schon neunzehn Jahre alt, Alberto zehn, dann Cosimo, Michele, Elisabeth, Anna und zum Schlusse Fulvia, die erst wenige Monate alt war. Es waren alles aufgeweckte Kinder, die untereinander lebhaft Deutsch sprachen. Michelagnolo selbst war schon ein ganzer Deutscher geworden. Über fünfzig Jahre alt, hatte er einen ansehnlichen Bauch und verlangte gleich nach den ersten Freuden des Wiedersehens Bier. Seine Frau, die einstmals so schlanke und lebhafte Anna Chiara, war gleichfalls recht breit geworden; keuchend schleppte sie ihren schweren Körper, und auch sie sprach deutsch mit ihrem Mann. Zu der neunköpfigen Familie Michelagnolos kam noch Galileos Sohn Vincenzo, der für die Ferien nach Hause gekommen war. In der Villa Segni, wo Galilei bis jetzt ganz allein in Ruhe gelebt hatte, waren elf Personen untergebracht. Statt der tiefen Stille, die bisher höchstens von Vogelgezwitscher unterbrochen worden war, herrschte jetzt ein aufgeregtes Kommen und Gehen, Schreien und Greinen von Kindern.

Dieser Lärm aber störte Galileo nicht. Er war glücklich, die Seinen um sich zu haben. Da die beiden ältesten Söhne Vincenzo hießen, mußte man sie irgendwie unterscheiden. Der Sohn Galileos erhielt den Namen Nencio, wie man ihn schon als Kind genannt hatte, und der Junge aus München wurde Cencio genannt. Die beiden Ältesten verstanden sich vom ersten Augenblick an. Sie sonderten sich von den anderen ab, machten tagsüber Besuche und saßen allabendlich im Wirtshaus. Wenn die Mutter die Kleinen zu Bett gebracht hatte, blieben sie zu dritt: die beiden Brüder und die Schwägerin. Sie saßen im kühlen Garten, Anna Chiara schlürfte eine gezuckerte Limonade, Michelagnolo bekam Bier und Galileo ließ sich Wein vorsetzen. Viele Stunden verbrachten sie auf diese Weise gemeinsam, und jeder berichtete über seine wichtigsten Erlebnisse aus den letzten zwanzig Jahren. Michelagnolo klagte ebenso wie sein Bruder. Er hatte zwar Familie, war auch gesund, aber die Ruhe fehlte ihm, weil er sich vor dem Krieg fürchtete. Der bayrische Kurfürst nahm auf katholischer Seite auch an dem großen Kriege teil, da ihn eine innige Freundschaft mit dem Kaiser Ferdinand verband. Beide waren von den Jesuiten in Ingolstadt erzogen worden. Dreißigtausend bayrische Soldaten kämpften auf der kaiserlichen Seite, und zwar mit großem Erfolg. Die Grausamkeiten des Krieges hatten Bayern bisher verschont, aber das Schicksal konnte sich ja wenden, und Michelagnolo konnte den Gedanken nicht loswerden, was mit seiner Familie geschehen sollte, wenn die Protestanten München erobern würden.

»Ständig in einer solchen Angst zu leben, ist gar kein Leben mehr, das kannst du mir glauben. Wenn ich vor der Zeit ergraut bin, so ist dieser Krieg daran schuld. Ich wage gar nicht daran zu denken, was alles geschehen sein kann, bis wir wieder zu Hause sind.«

Galileo hingegen klagte über seine Gesundheit. Er erzählte von den entsetzlichen Qualen, die mit seiner Krankheit verbunden waren; er klagte, daß sein Sohn in Pisa sei und seine beiden Töchter im Kloster, so daß er niemand auf der Welt um sich habe. Er erzählte, daß er sich schon ernsthaft überlegt habe, sich mit seinem Schwager Landucci auszusöhnen, der nach dem Tode seiner Frau wieder in Florenz aufgetaucht sei. Wenn sie sich aber auf der Straße träfen, grüßten sie einander nicht.

»Er hat sich Virginia gegenüber wirklich schändlich benommen, und trotzdem habe ich mir schon überlegt, mich mit ihm zu versöhnen, so einsam bin ich. Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß ihr da seid. So schnell lasse ich euch nicht wieder fort.«

»Auch wir sind sehr glücklich, daß wir da sind«, sagte Michelagnolo, »wenn nur das Bier besser wäre.«

Galileo hatte die ganze Stadt in Bewegung gesetzt, um ein besseres Bier aufzutreiben, aber umsonst. Der Bruder war nicht zufriedenzustellen. Auf jede nur erdenkliche Weise suchte Galileo seinem Bruder gefällig zu sein. Jahrzehntelang hatte er ihn doch nicht gesehen! Er spielte mit den Kindern und war sehr liebenswürdig zu seiner Schwägerin. Und seine Gäste lebten wie die Fische im Wasser. Der Gedanke an die Heimreise kam ihnen überhaupt nicht. Besser konnten sie es nirgends haben. Denn wer konnte wissen, was die Zukunft brachte, wer hätte im Buche des Schicksals lesen können?

An einem glühend heißen Sommertage saß Galilei im Park und schrieb. Langsam begann er nun mit den Vorbereitungen zu seinem großen Werk. Da setzte sich sein Sohn Nencio zu ihm, der seit einiger Zeit aus Pisa heimgekehrt war. Er hatte dort seine Prüfung mit Erfolg bestanden und das Doktordiplom erhalten. Die große Freude hierüber half Galilei den Abschiedsschmerz über die Abreise seines Bruders Michelagnolo mit seiner Familie überwinden, der nach fast einjährigem Aufenthalt wieder nach München zurückgekehrt war.

»Schadet es nicht, wenn ich Euch einmal störe? Ich hätte eine große Bitte an Euch.«

»Es schadet nichts, mein Sohn, verlange nur kein Geld von mir, denn das habe ich jetzt nicht. Aus Pisa kam soeben eine Rechnung über deine Promotionskosten: zweihundertzweiundsechzig Lire. Keine Kleinigkeit! Aber das macht nichts, dafür bist du nun auch Doktor. Also verlange nur kein Geld von mir, mein Sohn.«

»Habt keine Angst, ich will keins haben. Ich hätte nur gerne, daß Ihr den Ministerpräsidenten besucht, wenn Ihr Euch diesen Weg machen wolltet. Ich war heute bei ihm und er erwartet Euch.«

»Wer? Cioli? Warum?«

»Ich habe Euch etwas anzuvertrauen, mein Herr Vater. Ich will heiraten und bitte um Eure väterliche Zustimmung.«

»So sprich doch, so sprich doch! Du machst mich so neugierig, daß ich es kaum erwarten kann.«

»Ich will die Tochter Bocchineris heiraten, mein Vater. Mit ihr bin ich schon übereingekommen, nur Eure Zustimmung steht noch aus. Außerdem besteht ihr Vater darauf, daß der Ministerpräsident für mich werben soll. Deswegen möchte ich Euch bitten, mit Cioli zu sprechen. Er spricht gern mit Bocchineri, aber zuvor will er mit Euch reden.«

»Nicht so schnell, nicht so schnell! Handelt es sich etwa um Carlo Bocchineri aus Prato? Einen seiner Söhne kenne ich sehr gut. Der ist Sekretär des Kardinals Carlo Medici in Rom. Ist er das?«

»Ja.«

»Eine gute Familie, dagegen läßt sich nichts einwenden. Aber warte doch, kenne ich dieses junge Mädchen nicht auch schon? Ist es nicht das hübsche, schwarze Fräulein, das einmal bei uns zum Abendessen war, als Michelagnolo noch hier war und wir die große Gesellschaft gaben?«

»Ja, das ist sie. Sie heißt Sestilia.«

»Ein sehr liebes Mädchen! Ich bemerkte es schon damals, daß sie in dich verliebt war, aber ich dachte natürlich nicht, daß die Sache so ernst sei. Und wie steht es mit der Mitgift?«

»Den genauen Betrag weiß ich noch nicht, aber sie bekommt eine Mitgift. Ich habe mit Sestilia besprochen, daß wir auch auf Eure Unterstützung rechnen können und das Geld in einem Haus anlegen wollen. Ich möchte gern eines am Costa San Giorgio kaufen.«

»Das ist nun nicht so einfach, Nencio. Wir haben ja aber noch Zeit, darüber zu reden. Vorerst könntet ihr bei mir wohnen. Hier ist reichlich Platz, und zwar nicht nur für ein Ehepaar. Aber wir haben noch etwas Wichtiges miteinander zu besprechen, mein lieber Sohn. Seit du Doktor geworden und nach Hause gekommen bist, haben wir darüber noch nicht gesprochen. Sieben Jahre hast du auf der Universität verbracht. Wesentlich länger als alle anderen. Aber lassen wir das jetzt. Die Hauptsache ist, daß du jetzt ein fertiger Mann bist. Und was soll nun werden? Was sind deine Absichten? Wovon willst du deine Familie ernähren?«

»Auch hierüber müßt Ihr mit Cioli sprechen, Vater. Hoffentlich könnt Ihr mir irgendeine Stelle am Hofe verschaffen. Es ist doch selbstverständlich, daß ich nicht ewig auf Eurer Tasche liegen will. Ich mochte Euch aber bitten, mir wenigstens in den ersten Jahren zu helfen.«

»Es ist gut, mein Sohn; was in meiner Kraft steht, werde ich tun. Sobald es meine Füße erlauben, gehe ich zu Cioli. Nach alledem ist also nichts anderes mehr zu tun, als dir mit aufrichtigem Herzen für dein ganzes künftiges Leben Glück zu wünschen.«

Herzlich umarmten sie einander, der Sohn küßte dem Vater die Hand.

»Wann wollt ihr heiraten?«

»Im Januar.«

»Recht so. Das lange Warten hat gar keinen Zweck. Aber das erste Enkelkind muß ein Sohn sein!«

»Ob es ein Sohn wird, kann ich Euch nicht versprechen«, entgegnete der junge Mann stolz, »aber nächstes Jahr habt Ihr Euer Enkelkind, dessen könnt Ihr gewiß sein!«

»Gut, mein Sohn, das will ich aber auch stark hoffen. Wissen es denn deine Schwestern schon? Es wäre doch am Platze, daß du es ihnen mitteilst.«

Der Junge machte ein unwilliges Gesicht.

»Arcetri ist doch so fürchterlich weit, und ich habe jetzt so viel zu tun, daß ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Es wäre besser, wenn Ihr es ihnen gelegentlich mitteiltet. Aber jetzt muß ich fort.«

Galilei verspürte einen kleinen Schmerz in seiner Herzgegend, aber jetzt konnte er doch nicht böse sein. Er erhob sich und rief den Diener, stützte sich auf dessen Schulter und ging ins Hans zurück, um einen Brief zu schreiben.

»Eine große Nachricht, Gepe«, sagte er strahlend zu seinem Diener, »dein Herr wird Großvater werden!«


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