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Viertes Kapitel

Der junge Galilei, der Sohn des Hofgelehrten, führte schon Ende Januar Sestilia zum Altar. Viele Herrschaften vom Hofe wohnten der Trauung bei, sogar der Kanzler selbst. Auch zum Hochzeitsmahl waren auserlesene Gäste erschienen. Den ersten Trinkspruch brachte der Kanzler Cioli aus; er ermahnte das junge Paar zu einem gottwohlgefälligen Leben. Es saßen auch viele Geistliche als Gäste am geschmückten Tisch. Der Großherzog, der von der letzten Station seiner Studienreise, vom kaiserlichen Hofe in Wien, zurückgekehrt war und nunmehr die Regierung als Achtzehnjähriger übernahm, ließ dem jungen Paar ein persönliches Geschenk überreichen. Cioli hatte versprochen, dem jungen Ehemann eine Stellung zu besorgen, so schnell es ginge, er möge sich nur noch etwas gedulden.

Das jungvermählte Paar nahm vorerst im väterlichen Hause Wohnung. Der zweiundzwanzigjährige Ehemann hatte nichts anderes zu tun, als glücklich zu sein. Trotzdem klagte er immer über zuviel Arbeit. Er müsse dieses und jenes besorgen, er habe Besuche zu machen … Der Vater hätte ihn gerne zum Diktat herangezogen, aber die junge Frau machte dann immer gleich ein weinerliches. Gesicht. So ließ er sie ungestört glücklich sein. Die Schwiegertochter gewann er sehr lieb. Sie war ein zärtliches, gutmütiges Geschöpf, immer fröhlich, bescheiden, anpassungsfähig, und so ergänzte sie die selbstherrliche und herrschsüchtige Natur Nencios vortrefflich. Besonders mit Celeste wurde sie bald gut Freund, und gerührt bemerkte Galilei, daß in Celestes Seele eine leise Eifersucht eingezogen war, die sich darin äußerte, daß sie von Sestilia ständig im Tone höchster Begeisterung sprach, ihren Vater hingegen mehr denn je mit schwärmerischer Anhänglichkeit überschüttete. Sie schrieb ihrem Vater, der nur selten nach Arcetri kommen konnte, sehr oft, und diese Briefe waren Balsam für sein altes Herz.

 

»Sestilia haben wir alle ins Herz geschlossen, weil sie so lieb und gut ist. Vor allem freut es uns aber zu wissen, daß sie Euer Gnaden liebt; denn so kann sie Euer Gnaden mit der Verehrung und Wärme umgeben, die wir Euch von hier aus nicht zuteil werden lassen können. Deswegen werden aber auch wir nicht versäumen, alles zu tun, was in unseren Kräften steht. Unaufhörlich befehlen wir Euch in unseren Gebeten dem Schutze des Allmächtigen, denn wenn Euer Gnaden nicht wären, hätten wir verlassene Waisen niemanden mehr auf dieser Welt. O, wenn ich nur fähig wäre, meine Gefühle in Worte zu kleiden! Euer Gnaden würden dann sicherlich nicht zweifeln, daß ich Euch so zärtlich liebe, wie kaum je eine Tochter ihren Vater geliebt hat. Aber ich kann nur schwer ausdrücken, was ich empfinde; vielleicht genügt es, wenn ich sage, daß ich Euch mehr als mich selbst liebe; denn nach Gott dem Allmächtigen verdanke ich Euer Gnaden nicht nur mein Leben, sondern auch unendliche Wohltaten, daß ich jederzeit imstande wäre, mein Leben für Euch hinzugeben, falls es erforderlich sein sollte, vorausgesetzt, daß ich damit die göttliche Majestät nicht beleidige. Euer Gnaden mögen mir verzeihen, wenn ich Euch langweile, aber meine Gefühle reißen mich hin. Ich habe mich auch nicht hingesetzt, um dieses zu schreiben, sondern weil Ihr so freundlich sein sollt, unsere Klosteruhr, sofern Ihr sie schon ausgebessert habt, bis Sonnabend abend zurückzuschicken, denn die Schwester Küsterin, die uns am Morgen weckt, braucht sie notwendig. Wenn man die Uhr aber in so kurzer Zeit nicht ausbessern kann, so wollte ich nichts gesagt haben. Es ist viel wichtiger, daß sie dann pünktlicher geht. Dann möchte ich Euch noch fragen, ob Ihr zu einem Tauschgeschäft bereit wäret und uns beiden für die Gitarre, die Ihr uns vor einigen Jahren geschenkt habt, nicht ein Breviarium schenken wolltet; denn das Exemplar, das wir zu unserer Einkleidung erhielten, ist schon ganz zerschlissen, wir haben es ja auch jeden Tag in Gebrauch, die Gitarre hingegen verstaubt nur in einer Ecke. Oder aber wir müssen sie jemandem leihen, wenn wir nicht unhöflich sein wollen. Dadurch aber wird sie erst recht abgenutzt. Die Breviarien sollen keinen Goldschmuck haben, darauf legen wir keinen großen Wert, aber die neuerlich heilig Gesprochenen sollen sämtlich darin enthalten sein, und auch der Druck soll sauber und deutlich sein, denn diese Bücher sollen dann bis in unser Alter reichen. Ferner möchte ich Euer Gnaden Obst einmachen, aber ich habe keine Gefäße. Schickt mir bitte welche von meinen alten Gläsern. Außerordentlich dankbar wäre ich Euch auch, wenn Ihr mir für die Apotheke einige Schalen schicken würdet, die zu Hause überflüssig herumliegen. Jetzt aber grüße ich Euch, auch im Namen Suor Arcangelas und im Namen aller anderen. Des Allmächtigen Gnade sei auch fürderhin mit Euch!«

 

Galilei war der Uhrmacher des Klosters und im großen und ganzen auch dessen Mechaniker. Die Klarissenschwestern waren sehr arm und hatten kein Geld, einen Handwerker zu bestellen, wenn die Uhr einmal nicht mehr ging oder sich ein Glied in der Kette der Ewigen Lampe gelockert hatte. Häufig gingen solche Briefe zwischen Arcetri und der Villa Segni hin und her, besonders im Winter, wenn Galilei die unwegsam gewordene Strecke nicht bewältigen konnte. Bis zum Pozzo Imperiale ging es noch, aber am Hange des Giuliani war die Steigung für Mensch und Tier gleich beschwerlich. Gepe, der junge Diener, beförderte die Briefe, Bücher, Nachrichten, Gebäck und alles andere, damit sie auch in der kalten Jahreszeit voneinander hörten, wenn der kränkliche alte Mann den beschwerlichen Bergweg nicht wagen konnte. Er fühlte sich gesundheitlich soweit ganz wohl, die bewegten Tage der Hochzeit seines Sohnes waren vorüber, und er machte sich nun ernstlich daran, den großen Plan seines Lebens zu verwirklichen. Das Material hatte er so ziemlich beisammen, aber seine Sorge galt ja nicht dem, was er sagen sollte, sondern wie er es sagen sollte. Seine Aufgabe hieß: ein Glaubensbekenntnis für die Unbeweglichkeit der Sonne und die Beweglichkeit der Erde in einer Form abzulegen, daß es nicht als positive Behauptung, sondern als Hypothese angesehen werden könnte. Vielerlei Möglichkeiten ging er durch, aber er verwarf sie alle der Reihe nach wieder. Einmal war es ihm nicht gelungen, Farbe zu bekennen, ein anderes Mal wieder nicht, den Erfordernissen der Kirche zu genügen.

Als er eines Tages in alten Büchern blätterte, fiel ihm das Buch des Erasmus von Rotterdam in die Hände: »Lob der Narrheit.« Er las erst zerstreut, dann aber wandte er mit wachsender Aufmerksamkeit die Seiten um. Die unglaublich geschickte Form dieses Werkes erfüllte ihn mit Bewunderung. Erasmus legte der Narrheit alles in den Mund, was er über seine Zeit und die Welt zu sagen hatte. Er sagte alles, aber man konnte ihn nirgends packen. Hätte ihn die Kirche für irgendeine seiner Behauptungen zur Verantwortung gezogen, so hätte er seelenruhig erwidern können: er lasse doch die Narrheit sprechen, also könne er es auch nicht ernst meinen. Eine ausgezeichnete Form! Galilei war in großer Versuchung, dies nachzuahmen. Aber dann kam er auch davon wieder ab. Dieses Schwert war zweischneidig, insbesondere in einer Zeit, wo es Brauch war, alles umzudrehen und falsch zu deuten.

Etwas behielt er aber doch von dieser Anregung. Nach langer Überlegung faßte er den Entschluß, sein Buch in Dialogform zu schreiben. Zwei Personen wollte er über seine große Idee reden lassen. Auch die Namen hatte er bereits gefunden. Den einen Partner nannte er Sagredo, in Erinnerung an seinen früh verstorbenen guten Freund aus Venedig, den anderen Salviati, im Gedenken an seinen ehemaligen Schüler in Padua und späteren Hausherrn in Florenz. Beide waren längst tot. Bei Lebzeiten aber waren sie tief überzeugte Kopernikaner gewesen. Ihnen wollte er jetzt ein pietätvolles Denkmal errichten, indem er ihnen die Verkündigung seines großen Gedankens überließ. Mit ihren Namen wollte er die Starre der Wissenschaft vor allen Denkern der Welt auflösen. Aber nur zwei Personen reden zu lassen, die denselben Standpunkt einnehmen, das fand er eintönig und langweilig. Wo bliebe da der Meinungsaustausch, die Lebendigkeit von Rede und Widerrede? Durch irgendwen mußte er auch die peripatetische Anschauung vertreten lassen, damit Sagredo und Salviati jemanden hätten, mit dem sie streiten könnten. Darum fügte er noch eine erdachte Person hinzu: den Beschränkten, Einfältigen, der mit dem Gehirn des anderen denkt, den hartnäckig Bequemen. Er nannte ihn Simplicio. Die ganze peripatetische Rückständigkeit verbarg sich für ihn unter diesem Namen. Er meinte alle jene, mit denen er schon seit mehr als vierzig Jahren kämpfte und sich abquälte.

Nun ging die Arbeit schnell voran. Die drei Personen konnten lebhaft miteinander disputieren. So war es auch ungleich einfacher, das gesamte Arsenal der peripatetischen Argumente unterzubringen. Und auch seine schriftstellerische Begabung erhielt Nahrung: er bemühte sich, genauestens darzustellen, wie ein dummer Mensch denkt und seine Schlüsse zieht. An den Menschen hatte ihn von jeher nie etwas anderes interessiert als ihre geistigen Fähigkeiten, ihr Verstand. Der kluge Mensch zog ihn sogleich an und entzückte ihn, wenn er auch sein Gegner war. Der Dumme hingegen erregte ihn im ersten Augenblick, forderte ihn zum Angriff heraus, wie die Wildwitterung den Hund. Jetzt nahm er den Dummen in seine Hand, besser gesagt, seine dummen Gegner alle zusammen, und braute aus ihnen einen Extrakt in dieser selbst erdachten Figur. Endlich konnte er all die Unbill, die ihm seine unverständigen Gegner vierzig Jahre lang zugefügt hatten, rächen. Mit wilder Gier machte er diesen Simplicio lächerlich. Nacheinander legte er ihm alle jene Argumente in den Mund, die einstmals die Beschränkten gegen ihn ins Treffen geführt hatten. Auf besondere Zettelchen schrieb er sich diese Argumente auf, wie er sie aus seinem Gedächtnis hervorholte. Es waren eine Unmenge! Bei den meisten wußte er gar nicht mehr, wer sie innerhalb der vielen Jahrzehnte gegen ihn vorgebracht hatte.

» Dialoge über die beiden wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und kopernikanische«, so lautete der Titel des Werkes. Er teilte es in drei große Kapitel ein. Im ersten Teil wollte er über die auf der Erde feststellbaren Erscheinungen berichten, und zwar sowohl nach der ptolemäischen wie auch nach der kopernikanischen Auffassung. Im zweiten wollte er die Erscheinungen der Himmelskörper erklären, im dritten besonders eingehend die Erscheinung von Ebbe und Flut behandeln, weil er der Meinung war, daß hier der schlagendste Beweis für Kopernikus sei, obwohl Kepler anders dachte und Ebbe und Flut der Anziehungskraft des Mondes zuschrieb. Er aber hielt an seiner Ansicht fest. Er teilte das Buch also dementsprechend in drei »Tage« ein: Sagredo, Salviati und Simplicio kommen an drei aufeinanderfolgenden Tagen zu einem wissenschaftlichen Gedankenaustausch zusammen.

Er hatte den »ersten Tag« schon fast beendet, als es mit einem Male Frühling wurde und er seine Töchter wieder in Arcetri besuchen konnte. Er fand das ganze Kloster in Aufruhr. Die Oberin, die ihre Zelle mit Celeste teilte, hatte in einem Anfall von geistiger Umnachtung versucht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Eine unfaßbare Angst hatte alle erfaßt, und auch jetzt noch, in den Nachmittagsstunden, lastete eine qualvolle Spannung über dem Kloster. Fast jede Nonne zitterte und weinte. Nur Celeste verhielt sich ganz anders. Erschütterung und Mitleid hatten ihre Ruhe nicht beeinträchtigen können. Sie sprach mit inniger Anteilnahme von der Verirrung der armen alten Frau, und war fest davon überzeugt, daß ihr der Allmächtige verzeihen würde, denn sie sei ja nicht bei Sinnen gewesen. Celeste hatte ihre Zelle mit einer Irren geteilt, und erst jetzt stellte sich heraus, daß sie das schon seit Monaten wußte. Mit unbeschreiblicher Geduld hatte sie die alte Oberin immer wieder getröstet.

»Warum erzählst du denn nicht«, sagte Suor Chiara, ihre Kusine, »daß sie dich auch schon einmal mit dem Messer bedroht hat?«

»Das war doch nicht ihr Ernst!« erwiderte Celeste sanft, aber zurückweisend. »Und es ist auch unnütz, vor meinem Herrn Vater darüber zu sprechen, denn der Gedanke, daß ich in Gefahr gewesen, könnte ihn noch heute beunruhigen.«

»Ich denke, jetzt wirst du Oberin«, sagte Galilei, »wenn du auch noch nicht das Alter dazu hast.«

»Ich bin noch viel zu jung. Und das ist auch gar nicht wichtig. Wichtig ist einzig und allein, daß ich, wenn mich der liebe Gott liebhaben soll, nicht Oberin werden kann, denn für mich ist es eine Qual, anderen zu gebieten und sie zu strafen. Die größte Seligkeit für mich ist, mich zu fügen. Ich möchte Euch gleich bitten, mein Herr Vater, Euren ganzen Einfluß aufzubieten, wenn dieser Gedanke hier Platz greifen sollte.«

Galilei kehrte aus dem Kloster mit dem Gedanken zurück, vor seiner Tochter tief den Kopf neigen zu müssen. Er schien sich unwürdig im Vergleich zu ihr. Gleichzeitig verspürte er aber auch einen großen Stolz in sich: dieses Mädchen ist sein Fleisch und Blut und ein Teil seiner Seele. Wenn also ihre Seele so erhaben ist, so ist sicher auch in seiner Seele etwas Gutes. Trotz seiner unendlich vielen Fehler darf er sich also auch als Menschen betrachten, der mehr dem Guten als dem Bösen zugeneigt ist. Diese Gedanken veranlaßten ihn, zu Hause lange zu beten, was er nur sehr selten tat, nur wenn sein Herz durch irgend etwas so bewegt war, daß er seine Freude oder seinen Schmerz dem Allmächtigen mitteilen mußte. Dann ging er wieder an seine Arbeit, um den Menschen die bewunderungswerte Welt Gottes näherzubringen, damit ein jeder sich mit ihm darüber freuen möge.

Sestilia war seit vier Monaten vermählt, als ihr jugendlicher Gatte seinem Vater melden konnte, daß zum Weihnachtsfest ein Enkelkind zu erwarte« sei. Diese Botschaft begleitete er mit einer Miene, als wäre er in der Lage zu behaupten, daß es ihm ganz allein gelungen sei, den Dom zu erbauen oder mit einer Hand das dänische Heer zu besiegen. Aber Galilei bewertete diese Freudennachricht tatsächlich nicht viel geringer. Stürmisch umarmte er Nencio und eilte sofort zu der jungen Frau, um auch sie zu umarmen, zu streicheln und zu liebkosen.

»Kinder, jetzt beginnt ein spannender Wettlauf«, rief er mit strahlenden Augen, »Ihr erwartet das Kleine im Dezember, und auch ich möchte mit meinem Buch im Dezember erscheinen. Von heute an stehen wir im Zweikampf miteinander, wessen Kind zuerst zur Welt kommt.«

Errötend strich Sestilia über das greise Haupt ihres Schwiegervaters. Der junge künftige Vater aber zog seine Stirn in düstere Falten wie ein Herrscher, der über das Wohl und Wehe seiner Untertanen nachdenkt, und durchmaß mit langen Schritten das Zimmer. Dann blieb er plötzlich vor seinem Vater stehen.

»Nun müßten wir aber einmal über den Hausankauf sprechen, mein Herr Vater.«

»Meinetwegen«, erwiderte Galilei mit gedämpfter Laune, »das können wir ja tun. Aber auch wegen deiner Stellung müßte nun endlich etwas geschehen.«

»Ja, das wäre sehr gut«, entgegnete der Sohn ein wenig vorwurfsvoll, »ich bin schon lange bereit, die Arbeit aufzunehmen. Auch mir paßt es auf die Dauer keineswegs, mich ohne Beschäftigung in der Welt herumzutreiben. Aber das ist eine Frage zweiten Ranges. Das Wichtigste ist das Haus, damit ich meiner Familie ein Heim schaffe. Ihr habt bis jetzt aus Eurer Zuneigung zu Sestilia nie ein Hehl gemacht, jetzt könntet Ihr Euer Herz auch einmal für Euren Enkel sprechen lassen. Wir setzen großes Vertrauen in Eure väterliche Liebe.«

»Schon gut. Ich will sehen, was sich tun läßt. Morgen gehe ich gleich zu Cioli, um deine Angelegenheit zu beschleunigen.«

Am anderen Tage machte er dem Ministerpräsidenten seine Aufwartung, aber es war nicht nötig, ihn zu drängen, denn Cioli stand zu seinem Versprechen. Er hatte schon einen Posten in Aussicht. Nur noch einige Tage möge man Geduld haben, bis er die Ernennung dem Großherzog vorgelegt habe. Aus einigen Tagen wurden zwar einige Wochen, aber nicht ohne Erfolg. Der Großherzog berief den Doktor Vincenzo Galilei in die Hofverwaltung als Kanzleipraktikant mit einem festen Anfangsgehalt. Das war zwar herzlich wenig, aber dennoch mehr als nichts. Nun lag sein Schicksal in seiner Hand, denn selbst das Kanzleramt war vor ihm nicht verschlossen. Nencio begann also zu arbeiten. Der Großherzog empfing ihn sogar in Audienz, ließ seinem Vater die wärmsten Grüße auftragen und mitteilen, daß er leider durch den in Europa wütenden Krieg dermaßen in Anspruch genommen sei, daß er zu seinem größten Bedauern so gut wie nie Zeit fände, die Gesellschaft des großen Gelehrten zu genießen.

Der Gelehrte aber arbeitete verbissen an seinem neuen Werk, das an Umfang und Gehalt immer mehr und mehr zunahm. Auch seine großen physikalischen Entdeckungen fanden in diesem Buch Erwähnung. In den Dialogen ließ er seine Lehre von der Fallgeschwindigkeit nochmals aufleben, die er selbst als epochal bezeichnet hatte. Ebenso erklärte er in Übereinstimmung mit Kopernikus, daß die Kometen sich um die Sonne bewegen, weil sie ihre Bewegung von der Sonne selbst erhalten und dieser Bewegung kein Hindernis im Wege steht. Und noch viele andere kleine Einzelheiten fanden Platz in dem großen Buch, alle Erfahrungen, Entdeckungen und Gedanken seines arbeitsreichen langen Forscherlebens. Jede Beweisführung gipfelte in einem Punkt: nämlich, daß sich die Erde bewege. Anschließend erläuterte er eingehend die Erscheinung von Ebbe und Flut, und zwar so ausgiebig, daß er dem »dritten Tag« noch einen »vierten Tag« folgen lassen mußte.

Im Wettkampf innerhalb der Familie errang aber Sestilia die Siegespalme. Am fünften Dezember kam das Enkelkind zur Welt, und es war tatsächlich ein Junge, ein häßliches, rotes, jämmerlich schreiendes kleines Etwas, aber für den Großvater das schönste Kind auf der ganzen Welt. Er war so überglücklich, daß er seinen Sohn, seine Schwiegertochter, das Kind, die Hebamme und selbst den Türpfosten umarmte.

»Wir kaufen das Haus, Junge!« rief er übermütig, »du kannst mit dem Handel schon beginnen!«

»Der Handel ist längst beendet«, erwiderte sofort der stolze Vater, »der Vertrag ist auch schon fertig, er muß nur noch unterzeichnet werden. Wir haben sogar schon die Zimmer aufgeteilt. Die beiden jüngeren Brüder von Sestilia werden auch dort wohnen. Ich hole gleich das Dokument, damit Ihr es lesen könnt.«

»Du hast schon verhandelt, Einzelheiten vereinbart und mir kein Wort darüber gesagt?«

»Ich wollte Euch nicht stören, mein Herr Vater, Ihr habt doch gearbeitet.«

Für den Bruchteil einer Sekunde wallte in ihm der Zorn auf. Aber in dieser großen Freude wollte er das Familienglück nicht trüben.

»Und dann will ich Euch noch etwas sagen, mein Herr Vater. Ich habe mit meinem Schwiegervater vereinbart, daß wir aus Liebe und Achtung Euch den Vorrang lassen. Das Kind wird den Vornamen ›Galileo‹ erhalten.«

Der Großvater lächelte, er war besiegt.

»Also gut, gib mir den Vertrag.«

Am zwanzigsten Dezember war das Kind bereits getauft. Die junge Mutter durfte schon wieder aufstehen, und der jüngste Galileo Galilei brüllte Tag und nahm nur auf das Stillen und Schlafen Rücksicht. Auf seinen eigenen Schlaf versteht sich, nicht auf den der anderen. Und mehr als einmal stand der weltberühmte Gelehrte mitten in der Nacht auf, um sein Enkelkind auf seinen Armen hin und her zu tragen und wieder in Schlaf zu wiegen.

»Könntet Ihr heute zum. Notar kommen, mein Herr Vater?« fragte Nencio eines Tages, »aber nur, wenn es Eure Arbeit erlaubt.«

»Sie erlaubt es, mein Sohn. Vor einer halben Stunde habe ich mein Werk beendet. Jetzt bin ich sehr traurig.«

»Warum? Ist das Werk nicht gelungen?«

»Es scheint mir sehr gelungen. Ein Meisterwerk! Aber ich bin traurig, weil es beendet ist. Es war mir so ein Genuß, es zu schreiben …«


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