Walther Harich
Jean Paul
Walther Harich

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Der Satirenschreiber

Auch als Jean Paul mit seinen Romanen in seine eigentliche dichterische Welt vorgestoßen war, blieb er seiner Satirendichtung bis zu einem gewissen Grade treu. Als Dichter rang er mit dem Urerlebnis, als Satirenschreiber immer noch mit den Bildungserlebnissen, die ihn in seiner Jugend erfüllt hatten. In seinem stark entwickelten Lebensoptimismus, in seinem Glauben an die Verbesserungsfähigkeit der Welt, an die»Behebbarkeit des Übels« trug er das Ideenerbe der Aufklärung bis zu seinem Tode in sich aus. In den eingeschobenen Extrablättern, seinen satirischen Abschweifungen, die alle seine ernsten Dichtungen durchziehen und immer wieder unterbrechen, rang er mit dem literarischen Erbe der Zeit, die ihm die ersten und stärksten Eindrücke vermittelt hatte.

Wir haben heute den Eindruck, als beginne mit unserer klassischen Epoche eine ganz neue Zeit der Dichtung, die von allem Vorhergehenden durch einen starken Trennungsstrich unterschieden wäre. Dieser Trennungsstrich ist aber erst durch die Romantik und ihre scharfe Kampfeinstellung gegen den Rationalismus gezogen worden, und zum Unglück für das deutsche Volk wurden dadurch Traditionen aufgegeben, deren Fortwirkung uns vor vielem hätte bewahren können. Jean Paul ist der einzige Träger der geistigen Tradition der Aufklärung, der ihr Bildungsgut bis weit ins 19. Jahrhundert hinein mit sich führte. Das machte ihn 107 selbst Goethe, der auf der Höhe der Bildung seiner Zeit zu stehen glaubte, und Schiller gegenüber, der allzu einseitig an Kant orientiert war, überlegen. Und als er sich in seiner »Vorschule der Ästhetik« mit den praktischen künstlerischen Problemen der Zeit theoretisch auseinandersetzte, konnte dieses unsterbliche Werk lediglich deshalb keine Wirkung ausüben, weil allen Lesern der Zeit die Universalität des Geistes und der Bildung des 18. Jahrhunderts fehlte, um Jean Pauls Gedankengänge in allen ihren Tiefen zu überschauen. Neben ihm sind alle die Dichter und Schriftsteller der Zeit auf philosophisch-ästhetischem Gebiet mehr oder weniger harmlose Dilettanten. Wie ein Koloß ragt die »Vorschule der Ästhetik« unter den theoretisierenden Schriften hervor, und selbst von Lessing wird ihre Bedeutung nicht überschattet.

In der »Vorschule der Ästhetik« hat sich Jean Paul fast zwanzig Jahre später mit dem Bildungsgut der Aufklärung auseinandergesetzt, das ihn zur Zeit seiner »Grönländischen Prozesse« beherrschte. Von hier aus erst verstehen wir, wie er Jahre um Jahre seines Lebens an das Schreiben von Satiren wenden konnte, die uns heute völlig ungenießbar geworden sind und die zur Zeit ihres Erscheinens ebenfalls bereits in eine fremde Welt hineinragten.

Im ersten Band der »Vorschule« gibt er ein Beispiel ironischer Behandlung eines Gedankenganges. Zuerst führt er einige ironische Mustersätze über die Parteiigkeit und Unsachlichkeit der Kunstrichter an:

»Es ist angenehm zu bemerken, wieviel eine gewisse parteilose Kälte gegen die Poesie, welche man unsern besten Kunstrichtern nicht absprechen darf, dazu beiträgt, sie aufmerksamer auf die Dichter selbst zu machen, so daß sie ihre Freunde und Feinde unbefangener 108 schätzen und ausfinden ohne die geringste Einmischung poetischer Nebenrücksicht. Ich finde sie hierin, insofern sie mehr der Mensch und Gärtner als dessen poetische Blume besticht, nicht sehr von den Hunden verschieden, welche eine kalte Nase und Neigung gegen Wohlgerüche zeigen, desgleichen gegen Gestank, die aber einen desto feinern Sinn für Bekannte und für Feinde und überhaupt für Personen (z. B. Hasen) beweisen, anstatt für Sachen.«

Man wird die feine Eleganz dieser Sätze erst deutlich spüren, wenn man denselben Gedanken in der »falschen und überall gewöhnlichen Manier« ausgedrückt findet, von der Jean Paul ein Muster folgen läßt:

»Man muß gestehen und alle Welt weiß, daß die Herren Kunstrichter zwar nicht für poetische Schönheiten (das ist ja eine lächerliche Kleinigkeit), aber doch für jeden, wer so unter der Hand ihr Feinsliebchen oder ihr Feind ist, eine gar herrliche Spürnase haben. Meine Ehrenmänner sind hier baß den Hunden zu vergleichen (doch mit allem Respekt und ohne Vergleichung gesprochen), welche usw.«

Schon der Anfang »man muß gestehen« oder »alle Welt weiß« in ihrer abgebrauchten Schablonenhaftigkeit zeigen im Vergleich zu dem »Es ist angenehm zu bemerken« der ersten Fassung den Gegensatz zwischen Klischee und Stil. Sodann das ironische »Das ist ja eine lächerliche Kleinigkeit« in der Parenthese und der Ausdruck »Ehrenmänner« mahnen an das Niveau heutiger Wahlkampfschreibweise. Jean Paul führt in der Folge das vollständige »ironische Idiotikon von wenigen Worten« auf, das er aus einer Reihe deutscher Rezensionen gezogen. Er schreibt: »Die Substantiva sind: Patron, Ehrenmann, häufiger Herr, Freund, 109 Gast, Hochgelahrter, Hochweiser, ferner häufige Diminutiva als Scheinzeichen der Liebe, z. B. Pröbchen. – Die Adjektiva sind stets die höchst lobenden: geschickte, unvergleichliche, werteste, hochgelahrte, treffliche, artige, weidliche, leckere, behagliche . . . – Die Adverbia sind: ganz, gar, baß, höchlich, ungemein, unfehlbar, augenscheinlich. Endlich braucht die After-Ironie noch gern das Pronomen mein, unser, ›mein Held‹. – Theologische Ausdrücke wie: fromm, erbaulich, gesalbt, Salbung; Kernsprüche, und veraltete wie: baß, gar schön, behaglich, männiglich usw. stehen im größten ironischen Ansehen, weil beide einen spaßhaften Ernst zu haben scheinen.«

Aus diesen angeführten Gedankengängen wird ersichtlich, daß Jean Paul und die Zeit der dichterischen Satire in der ironischen Behandlung eines Gedankens nicht eine leicht zur Hand liegende Waffe, sondern ein Problem der Darstellung sah. Nicht in übliche Schablone zu fallen, sondern neue Bilder zu schleifen, das Sprachgut zu vermehren, darin sah auch schon der neunzehnjährige Satirenschreiber seine Aufgabe. Aus einem gleichzeitigen Brief an Oerthel geht hervor, wie ihm stilistische Darstellung ein Problem war, über dessen Bedeutung und Umfang er genaueste Kenntnis hatte. Fast zwanzig Jahre später unterzieht er in der »Vorschule« die satirische Literatur einer kritischen Durchsicht, von Aristophanes über Shakespeare bis zu den Franzosen, Engländern und Deutschen des 18. Jahrhunderts. Boileau, Helvetius, Swift, Sterne, Lichtenberg, Rabener analysiert er mit genialer Intuition und zeigt an ihnen den tiefgreifenden Unterschied zwischen Satire, Scherz, Ironie und Humor auf. Man hat es bei dieser Betrachtungsweise zwar nicht durchweg mit Dichtung zu tun, aber doch mit einer aufs feinste ausgearbeiteten Kunstpoesie, deren Genuß höchst subtile 110 Geschmacksnerven voraussetzte, wie sie uns heute längst abhanden gekommen sind.

In dem Stadium der Reife, in dem er seine »Vorschule« schrieb, hat er auf seine ersten satirischen Versuche nicht ohne Verachtung zurückgesehen. Er spricht nicht ausdrücklich darüber, kaum daß man es aus seiner Vorrede zur zweiten Auflage der »Grönländischen Prozesse« herauslesen kann. Aber es ist doch in erster Linie gegen sein »Lob der Dummheit« gerichtet, wenn er schreibt: »Ebenso verwerflich ist Erasmus' Selbstrezensentin (nämlich die Narrheit, die er redend einführt), erstlich als ein leeres, abstraktes Ich, d. h. als Nicht-Ich, und dann, weil statt lyrischen Humors oder strenger Ironie die Narrheit nur Kollegienhefte der Weisheit aussagt, die aus dem Souffleurbuch noch lauter vorschreiet als jene Kolumbine selber.«

Es war ganz im Stile des 18. Jahrhunderts, daß Jean Pauls erste Bücher ohne irgendeinen inneren Drang gezeugt wurden. Wie Erasmus gegen die Schäden seiner Zeit, scheint auch Jean Paul in seinen Satiren fast von einer Art revolutionären Pathos erfüllt. Der Freiheit eine Gasse zu brechen, scheint der Zweck dieser satirischen Aufsätze, die gegen die Vertreter der Staatsreligion, der Staatsgewalt und der Gesellschaft gerichtet sind und diese Mächte bis in die abstoßendsten Vergleiche hineinzerren. Und doch ist diese Tendenz nur literarischer Vorwand. Erst später, als Jean Paul sich innerlich zu seinen großen Schöpfungen befreit hatte, klangen auch in seiner Gegnerschaft gegen die Zeitgötzen echte revolutionäre Töne auf. Der Zweck seiner Satiren waren sie selbst, das heißt: war Erfüllung der Kunstregeln im herrschenden Geschmack. So wie die Anakreontiker die Liebe und den Wein beim Wasserglase und am Schreibtisch besangen, so wurde das revolutionäre Pathos vom freien englischen Volk oder 111 von den Franzosen, die im Begriff standen, sich zu befreien, übernommen, um künstliche Antithesen daraus zu formen. Es war ein völlig anderes als revolutionäres Interesse, das bei Jean Paul hinter seinen ersten Schriften stand. Fast lyrischer Natur. Denn es galt, das Leben in Vergleichen und Bildern einzufangen und zu bezwingen, reine Kunstform zu geben.

Nicht durchweg ist dieses Ziel erreicht. Dreißig Jahre später tadelte Jean Paul selbst, daß sich Spottzorn mit der Lust, Bußpredigt mit dem Lustspiel, falsche Ironie mit echter Strafrede gemischt habe. Von echter Satire entfernte sich die Darstellung um so weiter, je weniger der Dichter seinen Stoff beherrschte.

Der erste, längste und beste der Aufsätze, die in den »Grönländischen Prozessen« vereinigt sind, behandelt ein Gebiet, auf dem Jean Paul sich trotz seiner Jugend einigermaßen zu Hause fühlen konnte. Bei dieser Satire »Gegen die Schriftsteller« konnte er am meisten aus Eigenem schöpfen; hier hatte er eigene Nöte, eigene Unzulänglichkeiten, eigene Lächerlichkeiten in Fülle zur Verfügung. Wenn er satirisch die leiblichen Triebe als Ursprung der Poesie anführt: Hunger, Krankheit und Geschlechtstrieb, so wollte er damit wohl die Parasiten der Literatur, sogar sich selber treffen, der er aus Not und Lebensgier zur Feder gegriffen, aber er drückte doch zugleich die materialistische Grundanschauung des Rationalismus aus. Auch in der zweiten Satire des Buches, »Über die Theologen«, stand er noch auf eigenem Boden. Aus dem väterlichen Hause, aus dem Verkehr mit Pfarrer Vogel, aus dem eigenen Studium waren ihm die Schattenseiten des theologischen Berufs zur Genüge bekannt. Er wußte um den dummen Stolz, um die Engstirnigkeit und Kaltherzigkeit dieser »Mitarbeiter am Weinberg«, die jeden freien 112 Gedanken aus Furcht vor dem Konsistorium und um die Futterkrippe unterdrückten. Besonders in dem »Superintendenten« schuf er ein fast mit individuellen Zügen ausgestattetes Exemplar dieser Gattung von theologischen Vorgesetzten: »Einige zwar meinen, er ziehe das orthodoxe Schafkleid wie andere Leute die Sonntagskleider nur einmal an; er ist aber seiner Frömmigkeit das Geständnis schuldig, daß er unausgesetzt ein treuer Freund des Schafseins gewesen.« »Er ist so heilig, daß er tugendhaft zu sein nicht nötig hat, daher er auch seltener in die glänzenden als nichtglänzenden Laster der Heiden verfällt.«

In den folgenden Satiren »Über den groben Ahnenstolz« und »Über Weiber und Stutzer« wagte Jean Paul sich auf ein ihm gänzlich entlegenes Gebiet. Hier führte keine eigene Erfahrung dem jungen Schriftsteller neuen Stoff der Darstellung zu. Die Bilder sind krampfhaft und ins Geschmacklose verzerrt. Es fehlt der Reichtum des eigenen Erlebens, der die ersten Aufsätze immerhin noch erträglich erscheinen läßt. Diese letzten Satiren nähren sich lediglich von literarischen Vorbildern, die peinlich übersteigert sind. Einige Seiten »Aus einem zweiten Lobe der Narrheit« und »Über die Konfiskation der Bücher« schließen das Bändchen.

Man kann heute niemand mehr die Lektüre der »Grönländischen Prozesse« empfehlen, und dennoch hat Jean Paul nicht umsonst sechs Monate über diesen nicht allzu zahlreichen Seiten zugebracht. Alle Bilder und Gleichnisse sind auf das Letzte geschliffen, und die Fülle der Einfälle ist außerordentlich. Er ruhte nicht, bis ihm jeder Satz Genüge tat. »Lieber Gott!« schrieb er an Oerthel, »wie unendlich klein wären meine Anlagen ohne die Verbesserungen des Fleißes!« Auch seine späteren Bücher, die wie von selbst aus ihm herausgeflossen erscheinen, sind mit derselben unendlichen Mühe 113 von ihm zu Papier gebracht. Aber nirgends können wir diese Qual des langsamen Gebärens so genau verfolgen als bei seinem ersten Bändchen. Er schrieb eben nie ins Ungefähr, sondern immer bewußte Kunstprosa, von ihm mühsam aufgebaut und gefügt, alle Assoziationen der gewollten Richtung zubiegend. Daher kommt das Polyphone in seine Schreibweise, das so viele Leser abschreckt und es ihm allein ermöglichte, die Fülle der Ideen zu bergen. Aus der Qual des mühsamen Suchens nach dem adäquaten Ausdruck kam ihm auch das Mißtrauen gegen den augenblicklichen Einfall. Wie sein Vater, der ein trefflicher Kanzelredner war, dennoch seine Predigten auswendig lernte, so suchte Jean Paul sich systematisch zu erarbeiten, was er dem Zufall der Eingebung nicht überlassen wollte. Wieviel pedantischer Unsinn ist über seine Sammlungen von treffenden Ausdrücken, Bildern, Synonymen usw. geschrieben worden! Er wollte diese Aufzeichnungen sicher nicht als Zettelkasten benutzen, sondern wie ein redlicher Künstler arbeitete er unausgesetzt, bloß schriftlich, an seinem Werkzeug, um es blank zu halten und zu verbessern.

Zu dem Reichtum seiner Ausdrucksweise, zu der virtuosen Behandlung der Sprache legten die »Grönländischen Prozesse« den ersten Grund. Sie waren auch der erste Versuch seiner später bis zum funkelnden Witz ausgearbeiteten Satire, die nicht nur seine ernsten Werke durchsetzte, sondern erst möglich machte.

 

In Hippel und Hamann sah Jean Paul seine unmittelbaren Vorbilder. Und es war wohl auch die äußere Ähnlichkeit seiner Satiren mit Hippels Buch »Über die Ehe« (z. B. daß die Vorrede an den Schluß angehängt ist), die Voß zur 114 Annahme des Erstlingsbuches bewog. Aber hinter den beiden Ostpreußen standen doch noch andere Mächte des Geistes. Mochte Hippels Witz auch so frei schalten, daß er unbeschadet des schriftstellerischen Wertes die Tendenz der ersten Auflage seines Buches »Über die Ehe« in der zweiten ins Gegenteil verkehren konnte, so ging doch immerhin die moderne Frauenemanzipation von diesem Buche aus, und schon die romantische Frau, die mit kühnem Geist von der Welt des Mannes Besitz ergreift, wäre ohne Hippels Einfluß kaum möglich gewesen. Und Hamann vollends schlug mit der dunklen Gewalt seiner sibyllinischen Schriften die erste Bresche in das Jahrhundert der Aufklärung, und hinter seiner Satire stand der ganze Ernst eines Kassandrarufes. Hamann wie Hippel drängten aus dem 18. Jahrhundert hinaus, während Jean Paul es noch zu erfüllen trachtete. Diesseitsoptimismus und Weltbürgerstimmung erfüllten seine Aufsätze, aber nicht mehr (oder schon) als treibende Tendenz, sondern als Literatur.

»Übrigens halt' ich von der Liebe zum Vaterland nicht viel«, schrieb er in dieser Zeit an einen Dr. Doppelmayer in Schwarzenbach, der sich an ihn gewandt hatte. Er fand, »daß sich die Liebe eines Landes wenig mit seiner Aufklärung vertrage«. Und seine Briefe an Vogel durchklingt das Leitmotiv: ». . . seitdem ich an allem zweifle.« Es ist der Geist des zugespitzten Rationalismus, der in diesen Briefstellen sein Gebiet absteckt. »Ich bin aus einem Paulus ein Saulus geworden.«

In Hof sprach es sich rasch herum, daß der junge Richter ein Buch geschrieben habe, das in allernächster Zeit herauskommen werde. Auch die Mutter hörte davon, daß ihr Sohn für sein Buch fünfzig Reichstaler erhalten haben solle. Obwohl das Honorar sechsundneunzig Reichstaler ausmachte, 115 leugnete Jean Paul ab. Er war in einer schlimmen Lage. Einesteils hätte er zu gern aus berechtigtem Autorenstolz seiner Mutter gegenüber das von Voß erhaltene Honorar so hoch als möglich angegeben, andererseits verbot ihm berechtigter Egoismus, das volle Honorar zu nennen, da sonst die Ansprüche der Höfer Familie ihn um einen Teil des Geldes gebracht haben würden, dessen er zum Fortarbeiten dringend bedurfte. Eine Fülle von Schulden war zu bezahlen, und außerdem schien es im Interesse der künftigen Produktion dringend geboten, den Lebensstandard hier und da zu erhöhen. Jean Paul merkte es selbst am deutlichsten, daß die Enge seiner Lebenshaltung nicht wenig zu der Schärfe seiner Schreibweise beitrug. Nur ein breiteres Leben konnte hier ausgleichen und runden. So mietete er sich im Frühsommer eine kleine Sommerwohnung im Garten seines Wirtes vor dem Tore, um die so lange entbehrte Berührung mit der Natur wiederzugewinnen.

Der literarische Erfolg ihres Sohnes konnte die Mutter in Hof nur mäßig beglücken. Sie fragte ihn an, was es für Bücher seien, die er schreibe, und als sie erfuhr, daß es spaßhafte Bücher oder Satiren wären, drang sie auf Fortsetzung des theologischen Studiums. Es ist eine Tatsache, daß sich Menschen des gemeinen Volkes unter einem Büchermacher nichts vorstellen können. Nur Honorare überzeugen sie davon, daß Büchermachen eine christliche Beschäftigung ist, und auch diese eigentlich nicht. Frau Richter war nicht geneigt, auf ihre Lieblingsidee, den Sohn von der heimatlichen Kanzel predigen zu hören, zu verzichten. Während der Pfingstferien, hatte sie sich ausgedacht, sollte Jean Paul zum erstenmal als Kandidat der Theologie die Kanzel in Hof besteigen. Er antwortete ihr Anfang April 1783: »Fast mußte ich lachen, da Sie mir den erbaulichen Antrag tun, mich 116 in Hof in der Spitalkirche z. B. vor alten Weibern und armen Schülern mit einer erbaulichen Predigt hören zu lassen. Denken Sie denn, es ist soviel Ehre, zu predigen? Die Ehre kann jeder miserable Student erhalten, und eine Predigt kann einer im Traume machen. Ein Buch zu machen ist doch wohl zehnmal schwerer.« Und auf ihre nochmalige Ermahnung, zwei Wochen später: »Sie glauben, es ist so leicht, ein satirisches Buch zu schreiben. Denken Sie denn, daß alle Geistlichen in Hof eine Zeile von meinem Buch verstehen, geschweige denn machen können? . . . Wenn ich nun Theologie studiert hätte, von was wollt' ich mich denn nähren? . . . Ich getraue mich noch, Bücher zu schreiben, wo ich für ein einziges so kleines wie das jetzige 300 Reichstaler sächsisch bekomme.«

Am 20. Februar bereits hatte Jean Paul das erste Exemplar seines Buches an Pfarrer Vogel schicken können. Aber er war schon in der Arbeit für das zweite Bändchen, das Voß zur Michaelismesse herauszubringen versprochen hatte und auf das er im Mai einen stattlichen Vorschuß gab. In diesem zweiten Bändchen suchte Jean Paul die Fehler des ersten zu vermeiden. »Mein Buch hat tausend Fehler und ist mit Gleichnissen, wie das Lob der Dummheit mit Antithesen, überladen«, schrieb er an Vogel. Aber wenn er auch Fehler zu vermeiden sich angelegen sein ließ, so steht das zweite Bändchen doch hinter dem ersten zurück. Man erkennt den Schweiß der Arbeit hinter der angestrebten Leichtigkeit und Witzigkeit.

Im ersten Aufsatz untersucht Jean Paul die Frage, ob dem Genie oder der Kritik zu folgen sei. Für die Wichtigkeit der Regeln und der Kritik führt er neunundzwanzig Gründe in Form von Gleichnissen an, um sie durch zweiunddreißig das Gegenteil beweisende Gründe zu widerlegen. Man sieht, 117 daß hier die rationalistische Methode zum reinen Spiel ausgeartet ist, und begreift, wie notwendig die Zeit einer kritischen Überlegung über die Reichweite der Vernunft überhaupt bedurfte. Die übrigen Teile des Bändchens bewegen sich, wenn auch mit neuen und reichen Bildern und Gleichnissen, in dem Gebiet des ersten Bändchens. Manches unter den Epigrammen, die den Schluß bilden, ist reizvoll, ohne das Ganze heben zu können.

Und doch klingt in den letzten Epigrammen zum erstenmal ein Ton auf, der Jean Pauls spätere Entwicklung vorwegnimmt und aus der Nachbarschaft der kalten Satire fortdrängt. Ein Bild von Tod und Auferstehen, wie es Jean Paul später immer wieder gebraucht: »Gleich den meisten Raupen kriecht der Mensch eine Zeitlang auf der Erde umher, wird dann von der Erde in der hölzernen Verpuppung des Sarges aufgenommen, ruhet da einen Winter, durchbricht endlich im Frühling die Puppe und flattert aus der harten Erde mit neuer und unverletzter Schönheit hervor.«

Entgegen der sonstigen Sprachbehandlung in dem Bändchen ist dem Bild nicht das Äußerste an Verdichtung und Prägnanz abgewonnen worden. Eher herrscht das Bestreben liebevollen Ausmalens vor. Und das Bild selbst ist eingebettet in die rationalistische Anschauung von der Unzulänglichkeit der Metaphysiker, Dichter und Theologen. Es heißt in diesem »Ernsthaften Epigramm«, das schon durch seine Überschrift auf seinen ungewöhnlichen Stimmungsgehalt hinweist, etwa: Wenn man schon dem Lehrsatz der Theologen von der Auferstehung der Toten eine schöne Form geben wollte, dann müßte sie etwa so aussehen. Und nun folgt das angeführte Gleichnis, das den rationalistischen Rahmen sprengt und fast wider den Willen des Verfassers den 118 Hymnus von Tod und Auferstehen anhebt. Ein erster Akkord, der sieben Jahre später Jean Pauls gesamtes Schaffen durchschwingen sollte. –

Wir dürfen vorwegnehmen, daß die Aufnahme des Buches keineswegs den kühnen Träumen seines Verfassers und auch nicht den Erwartungen des Verlegers entsprach. Das Zeitalter der Satire war vorüber, und Bemühungen um die mehr oder minder reine Form des Witzes mußten eine Welt kalt lassen, an der der Sturm und Drang junger Genies vorübergebraust war. In Hof lösten die»Grönländischen Prozesse« allgemeines Kopfschütteln aus, und so ganz unrecht können wir den Höfern nicht geben. Schon der Titel mußte befremden. Jean Paul erklärt ihn damit, daß in Grönland die Parteien ihre Streitigkeiten durch gegenseitiges Satirisieren abmachen. Es lag in seiner Auffassung des Witzes, das Nächste mit dem Fernsten zu verbinden (Witz ist, heißt es in der »Vorschule der Ästhetik«, die Bemerkung des Verhältnisses zwischen entfernten Ideen, während der Tiefsinn die Bemerkung des Verhältnisses zwischen den nächsten ist), es lag in seiner Auffassung vom Wesen des Witzes, daß er die entlegensten Tatsachen und Merkwürdigkeiten des Daseins aus ihrem Winkel hervorholte, um sie in einen überraschenden Zusammenhang zu stellen. Er übersah, daß der schöpferische Witz diesen Zusammenhang wirklich erlebbar machen, daß er wie ein Blitz von einem Pol zum andern springen muß, um die wirklich bestehende Verwandtschaft des scheinbar Entferntesten aufzuzeigen. Seine ersten Satiren aber blieben bei der Zusammenstellung des Außergewöhnlichen stehen und suchten das Tertium in ausgeklügelten Eigenschaften. Immer geistvoll und ausgesucht, immer aber auch im eigentlichen Verstande des Wortes »weit hergeholt«. Diese Anhäufung von Seltsamkeiten – im Titel ist 119 eigentlich schon das ganze Buch enthalten – mußte bei der Lektüre einen fatalen Geschmack hinterlassen und war wenig geeignet, die Leser nach neuer Nahrung von gleicher Art begierig zu machen. Ja, für Jean Paul selbst bedeutete sein Erstlingswerk keine Befreiung. Nichts von glücklicher Schöpferfreude ist bei ihm während seiner Arbeit bemerkbar. Selbst als er in der neuen Gartenwohnung vor dem Tor das zweite Bändchen zum Abschluß brachte, klingt kein Ton innerer Befriedigung in seinen Äußerungen auf. Im Gegenteil, ganz verschieden von der Schärfe seines satirischen Stils, scheinen weichere Stimmungen in ihm die Oberhand zu gewinnen. »Aber mein Herz ist mir hier so voll, daß ich schweige«, schreibt er an Vogel. Und an späterer Stelle: »In künftigen Briefen, auf die ich mehrere Zeit wenden kann, will ich Ihnen vom Skeptizismus und von meinem Ekel an der tollen Maskerade und Harlequinade, die man Leben nennt, schreiben.« Es ist die Stimmung, die ihn während der nächsten Jahre beherrschte, solange er krampfhaft seine Natur vergewaltigte.

An einem kleinen Erlebnis in seinem Garten erhielt er einen Vorgeschmack dessen, was ihm für die nächsten Jahre bevorstand. Ein Magister Gräfenhain nahm an der Kleidung des jungen Genies Anstoß, und da der Magister der bessere Zahler war, stellte sich Herr Körner, der Wirt, auf dessen Seite und verbot Jean Paul das Betreten des Gartens, falls er nicht seine Kleidung den allgemeinen Sitten anpasse. Es half Jean Paul wenig, daß er einen hochfahrenden Brief an den Magister schrieb. »Sie verachten meinen geringen Namen, aber merken Sie ihn auch; denn Sie werden das letztere nicht lange getan haben, ohne das erstere mehr zu tun.« Wie nah dünkte sich der Dichter der Zeit, daß die Magister seinen Namen mit Ehrfurcht nennen würden, und 120 wie fern war sie ihm noch! Bald sollten ihm noch ganz andere Proben bevorstehen.

Es war bei seinem nächsten Besuch in der Heimat, daß er zum erstenmal die Mißachtung der Höfer in ganzer Breite an sich zu fühlen bekam. Zu Pfingsten besuchte er seine Mutter, um bis Ende August bei den Seinen zu verweilen. Wenn die Mutter sich ausgemalt hatte, wie an diesem Pfingstfest ihr Sohn von der Kanzel herunter predigen und die Bewunderung der Höfer erwecken würde, so war sie sicher durch die allgemeine Mißachtung, die die »Grönländischen Prozesse« dem jungen Verfasser eintrugen, am meisten betroffen. Kommerzienrat Maier, Inhaber der Vierlingschen Buchhandlung, hatte das Buch in seinem Laden ausliegen, und die braven Höfer, wenn sie es sich auch nicht kauften, warfen neugierige Blicke hinein. Sie werden gefunden haben, daß ein Grünschnabel ihre höchsten Ideale, die bekanntlich Spießbürger immer dann haben, wenn eine neue Werttafel aufgestellt wird, in den Schmutz zog. Gegen die Mächte des Glaubens, des Staates, der Gesellschaft war hier das Geschütz einer niederziehenden Satire aufgefahren. Und wie vollends mußte die Person des Verfassers mit der freien Brust und dem frei wehenden Lockenhaar auf eine Gesellschaft wirken, für die der Zopf noch eine ewige Institution war!

Jean Paul schilderte den Eindruck seiner Person in einem Brief an den Freund Oerthel, der in Leipzig geblieben war. Er gebrauchte das Bild einer Stadt, in der die Honoratioren einen Esel an ihrer Narrenkappe tragen, und eines fremden Ankömmlings, der statt des Esels einen Maulesel als Zeichen trägt. »Der Superintendent sagte bei seinem Anblick: der junge Mensch verachtet die Geistlichen, denn er verachtet die Esel; Gott bessere sein Herz! – und vorher 121 seinen Zwölffingerdarm, sagte der rote Doktor darauf; der ja mit altem Unrat seinen Kopf verrückt . . . Die Weiber sagten: der Mensch ist ein affektierter Affe, denn er hat keinen Esel. Alle Bürger sagten: wer keinen Esel trägt, ist ein Esel; dieser Kerl trägt sogar einen Maulesel, er ist also, Gott sei bei uns! ein Maulesel.«

Man kann annehmen, daß es sich bei dem »Superintendenten« um den wirklichen handelte, denn ein Superintendent war ja in der Tat in dem Satirenbuch arg mitgenommen worden. Auch der »rote Doktor« scheint der Wirklichkeit zu entsprechen. Es gab in Hof zwar keinen roten, wohl aber einen schwarzen und einen weißen Doktor. So wurden nämlich die beiden praktizierenden Brüder Joerdens genannt, von denen der ältere, der weiße Doktor, Stadtphysikus, der jüngere, der schwarze Doktor, Landphysikus in Hof war. Diese beiden Ärzte gehören zu dem Bilde der Stadt, in der Jean Paul bald so viele Märtyrerjahre verleben sollte.

Aber es blieb nicht bei der allgemeinen Mißachtung der gleichgültigen Menschen. Auch Pfarrer Vogel im nahen Rehau drückte sein Mißfallen an dem anstößigen Äußeren seines bisherigen Schützlings aus, und es gab einen harten Zusammenstoß der Ansichten, der das freundschaftliche Herüber und Hinüber empfindlich störte. Auch die Schwarzenbacher Freunde ärgerten sich über das Auftreten des jungen Menschen. Völkel, der einstige Kaplan, der in seinen freien Mittagstunden dem Knaben freiwilligen Unterricht in Philosophie und heterodoxer Theologie gegeben hatte, war inzwischen Nachfolger des Pfarrers Richter geworden. Neben ihm stand Aktuar Vogel, der noch immer nicht die Stelle eines Gerichtshalters bei Kammerrat von Oerthel einnahm, und der Amtsverwalter Kletterer. Dieser Kreis freier und interessierter Menschen hatte sich sicher nicht wenig auf den 122 jungen Feuergeist gefreut, als er der Stadt seiner Schülerjahre einen Besuch abstattete. Aber über das genialisch forcierte Äußere konnten auch sie sich nicht hinwegsetzen. Die entblößte Brust und der abgeschnittene Zopf blieben ein Stein des Anstoßes, und die Schwarzenbacher verstärkten die Partei des Pfarrers Vogel, mit dem es einen erregten Briefwechsel gab.

Jean Paul fühlte sich bei seinem damaligen Aufenthalt weder in Hof noch auch vielleicht in seiner Haut besonders wohl. Nur mit dem Freunde in Leipzig verband ihn ein reger Briefwechsel. Hermann, der ihm gerade in dieser Zeit viel hätte sein können, war nicht anwesend. Alle andern Verbindungen waren problematisch geworden. Es war wohl Geldnot, die ihn an das mütterliche Haus so lange Zeit fesselte. Der Vorschuß, den Voß auf den zweiten Band der »Grönländischen Prozesse« gegeben hatte, war nahezu aufgebraucht und neues Honorar stand erst bei Herauskommen des Buches zu erwarten. An dem Manuskript wurde in Hof immer noch gefeilt, aber von dieser Arbeit ging kaum Befriedigung aus. Der Rationalismus mit seinem ihm wesensfremden Lebensstil hielt die Kräfte seines Herzens gefesselt. Ohne es zu wissen, wartete er auf die Befreiung und mußte doch seiner Umgebung gegenüber eine Weltanschauung verteidigen, die ihn innerlich erdrosselte. Kein Wunder, daß er den Ausweg in der Liebe suchte.

Sophie Ellrodt, vier Jahre älter als er, war die Tochter des Stadtvogtes in Helmbrechts. Bruder Gottlieb war bei dem Stadtvogt als Schreiber untergekommen, und auf diesem Wege hatte Jean Paul das ländlich starke, naturfrische, aber kaum gebildete Mädchen kennengelernt und sich bald mit ihr verlobt. Ein jüngerer Bruder Sophies, der das Höfer Gymnasium besuchte, besorgte die Briefe der Liebenden. Ein 123 kleines Wäldchen bei Leopoldsgrün, zwischen Hof und Helmbrechts, war ihr Treffpunkt.

Keine Jugendseligkeit überkam den jungen Bräutigam, und das Wäldchen von Leopoldsgrün hat wohl kaum dionysischen Taumel der Liebenden gesehen. Jean Pauls Briefe an seine Freundin halten sich durchaus im Stil seiner Satiren, sind voller Antithesen und Gleichnisse, und kein Naturton durchbricht die abgezirkelte Prosa. Auf seiten Sophies war wohl der größere Gefühlseinsatz. Ihre Gedanken sind erfüllt von den kleinen Listigkeiten eines liebenden Mädchens, das sich aus dem Hause stehlen muß, ohne Verdacht zu erregen. Sie überdenkt Pläne und Ausreden. Der »schwarze Doktor« hat dem kleinen Ellrodt den Mittagstisch aufgekündigt, weil dieser »bald käme, bald nicht käme«. Jean Paul schlägt vor, daß Sophie in die Stadt komme, um ihrem Bruder einen neuen Mittagstisch zu besorgen. Aber Sophie durchdenkt den Fall genauer: Wie habe sie es denn erfahren können, daß der schwarze Doktor den Tisch kündigen will? Werden ihre Eltern nicht Verdacht schöpfen? So kommt sie wieder nur bis in das Wäldchen. Aber während sie hier ängstlich jeden ihrer Schritte überlegt, reift in ihr ein großer Plan: sie wird nach Leipzig in Stellung gehen, um dem Geliebten nahe zu sein. In wenigen Tagen steht seine Abreise bevor. Noch einmal wird sie verzögert, weil Jean Paul sein ganzes Geld der Mutter geben muß und sie es ihm erst in Tagen wieder geben kann. Noch einmal treffen sich die Liebenden in dem Wäldchen. Dann reist er nach Leipzig.

Aber von Leipzig aus sah Jean Paul die ganze Angelegenheit mit andern Augen an. Er macht Ausflüchte wegen ihrer Stellung, und als sie ihn für wenige Tage um den Ring bittet, den sie ihm geschenkt, da ihre Eltern ihn 124 vermissen, benutzt er die Gelegenheit, den Erzürnten zu spielen und die Verlobung zu lösen. Ein verschnörkelter Abschiedsbrief in Rokokostil endet sein erstes Verlöbnis. »Also ist der Vorhang zerrissen, auf dem so viele Hoffnungen gemalet standen? Und unsere Liebe mit den Blumen verblüht, mit denen sie ihr kurzes Dasein anfing?« In Hof entsteht allerhand Gerede über die Verlobung, von der erst nach ihrer Lösung einiges bekannt wird. Die Mutter fragt mehrmals nach Sophie in ihren Briefen. Vielleicht hofft sie von der Liebe des Sohnes Umkehr und Fortsetzung des theologischen Studiums. Er aber antwortet sarkastisch und ablehnend. Bruder Gottlieb muß die Stellung in Helmbrechts aufgeben. Kleine Gehässigkeiten züngeln dem ausgebrannten Feuer hinterher.

 

In Leipzig umfing ihn die alte trostlose Welt. Novemberstimmung lag über dem Abschied von Sophie. Leipzig »vult exspectari«. Noch einmal versuchte er, den Dämon dieser Stadt zu bezwingen. In den gedruckten Satirenbändchen glaubte er die Mittel in der Hand zu haben, sich seinen Anteil an dem festlichen Leben der Stadt und ihren künstlerischen und gesellschaftlichen Genüssen zu erzwingen. Ende Oktober 1783 erhielt er das erste Exemplar des zweiten Bändchens und bekam den Rest des Honorars, das ganze 126 Reichstaler betrug. Für eine Weile glaubte er seinen Lebensunterhalt sichergestellt, jedenfalls so lange, bis ein neues Buch von ihm die Presse verlassen würde. Schon hatte er eine Reihe neuer Satiren vollendet, die zu einer neuen Sammlung unter dem Titel »Auswahl aus den Papieren des Teufels« zusammengestellt werden sollten.

Nun aber kamen Schlag auf Schlag die Mißerfolge.

125 Zuerst scheiterte der Versuch, gesellschaftlich in Leipzig festen Fuß zu fassen. Voller Hoffnung übersandte er die »Grönländischen Prozesse« dem liebenswürdigen Hauptmann Friedrich von Blankenburg, einem bereits alten Manne, der sich durch einen Roman und eine Reihe kleinerer Schriften einen Namen gemacht hatte und im Leipziger Literaturleben eine gewisse Rolle spielte. Jean Paul hatte Blankenburgs »Versuch über den Roman« in seinem zweiten Bändchen erwähnt, sogar mit Angabe des Verlages und der Jahreszahl, und man gewinnt fast den Eindruck, daß dies ausdrücklich zu dem Zweck geschehen wäre, Beziehungen zu Blankenburg anzuknüpfen. Aber gerade diese Erwähnung in einem unklaren Zusammenhang und in einem zweifelhaften Buch mochte den alten Herren, der an Huldigungen der jüngeren Generation nicht mehr gewöhnt war und wohl eher eine Verulkung vermutete, mißtrauisch machen. Jedenfalls antwortete er nicht.

Nur wenig besser ging es ihm mit Christian Felix Weiße, der in Leipzig als Kreissteuereinnehmer wohnte. Man sieht schon an der Auswahl der Schriftsteller, an die Jean Paul sich wandte, daß er noch ganz in einer entschwundenen Zeit lebte. Um Weiße lag der Glanz alter Tradition. Er war noch mit Lessing und der Neuberin bekannt gewesen, hatte einen (durch Goethe verewigten) Streit mit Gottsched gehabt, war mit Gellert und Rabener befreundet gewesen und hatte sich nach gescheiterten Bemühungen um das deutsche Drama der Schäferpoesie des Rokoko und den Kinderbüchern zugewandt. Dieser freundliche alte Herr empfing Jean Paul, ging mit ihm seine Satiren durch und tadelte, bei allgemeiner Anerkennung, daß der Scheinernst der Satire nicht durchgehalten sei. Jean Paul glaubte, in Weiße den langgesuchten älteren Berater und Freund gefunden zu haben. 126 In einer neuen Arbeit vermied er die von diesem gerügten Fehler und sandte sie ihm nach einiger Zeit zu. Aber Weiße ließ nichts mehr von sich hören. Das kaum geöffnete Tor schloß sich wieder. Jean Paul stand einsamer als zuvor in der fremden Stadt.

Eine herunterziehende Kritik der »Grönländischen Prozesse« in dem »Leipziger Allgemeinen Bücherverzeichnis« war vollends geeignet, ihm jede Hoffnung zu nehmen. »Die Sucht, witzig zu sein, reißt ihn durch das ganze Werkchen so sehr hin, daß wir nicht zweifeln, die Lektüre desselben werde jedem vernünftigen Leser gleich beim Anfang so viel Ekel erregen, daß er sich, solches aus der Hand zu legen, genötigt sehen wird.« Es ist dieselbe Besprechung, deren Jean Paul noch in der Vorrede zur zweiten Auflage dreißig Jahre später im Unmut gedenkt.

Diese Kritik entsprach nur der allgemeinen Aufnahme des Buches durch das Publikum. Voß lehnte es ab, einen dritten Band der Satiren oder ein neues Satirenbuch des Verfassers zu verlegen. Mit den fertigen »Teufelspapieren« ging Jean Paul wieder wie einst auf die Verlegersuche.

Inzwischen war das Honorar für die »Grönländischen Prozesse« nahezu aufgebraucht, und hinter dem Suchenden drängte die Not. Noch einmal wandte er sich an Weiße mit der Bitte, sein Bändchen bei seinem Freund Reiche, dem Besitzer der Weidmannschen Buchhandlung, unterzubringen. Auch dieser Brief blieb unbeantwortet, obwohl Jean Paul unmißverständlich auf seine dringende Not hingewiesen hatte. Am 22. Mai versuchte er sein Glück bei dem Rigaer Buchhändler Hartknoch, dem Verleger Herders, der die Leipziger Messe besuchte. Diesen originellen, aber in seinem Ausgang für Jean Paul beschämenden Versuch hat er später genau in den »Flegeljahren« geschildert. Er suchte Hartknoch auf 127 und überreichte ihm einen Brief, in dem er sein Manuskript zum Druck anbietet. Er hatte sich ausgemalt, wie Hartknochs Gesicht sich allmählich zum Lachen verziehen, wie das Überraschende der Situation sie beide in einem Augenblick zu Freunden machen würde. Aber Hartknochs korrektes Gesicht veränderte sich während der Lektüre nicht. Am Ende sagte er nur kalt, er bedaure, überlaufen zu sein, und schlage kleinere Buchhändler vor.

Noch einmal glaubte er mit Reiche einen direkten Versuch wagen zu sollen. Aber wiederum blieb sein Brief unbeantwortet. Nicht besser ging es mit auswärtigen Größen, die er sich bis zum Schluß aufgehoben hatte in der Hoffnung, daß ihm auch diesmal, wie bei seinem ersten Werkchen, das Glück aus der Ferne lachen würde. Aber weder Nicolai noch Lichtenberg, der in Göttingen eine Professur hatte, beantworteten seine Hilferufe. Eine Satire »Zerstreute Betrachtungen über das dichterische Sinken«, die er für Lichtenbergs »Magazin« gedacht hatte, wanderte in seine Dachstube zurück.

Hingegen konnte sie im Oktober desselben Jahres (1784) in Archenholz' »Literatur- und Völkerkunde« erscheinen, die im Laufe der nächsten Jahre mehrere Aufsätze aus seiner Feder brachte. Archenholz, heute noch als Geschichtsschreiber des Siebenjährigen Krieges bekannt, übte damals hauptsächlich durch sein Buch »England und Italien« Einfluß aus, das auch Jean Pauls Begeisterung für das freie England zum Teil mitbestimmte. Nicht minder wichtig war für ihn die Verbindung mit August Gottlieb Meißner, der sich durch »Skizzen« und seinen historischen Roman »Alzibiades« einen Namen gemacht hatte und damals in Dresden (zusammen mit Canzler) eine Zeitschrift »Für ältere Literatur und neuere Lektüre« herausgab. Auch bei Meißner gelang es, einige kleinere Arbeiten anzubringen. Meißner, der ein Jahr später 128 eine Professur in Prag erhielt, äußerte sich 1805 über die damaligen Arbeiten Jean Pauls folgendermaßen: »Ich stand mit ihm schon vor sechzehn Jahren in Briefwechsel und hätte mir damals wahrlich eher, daß die Sonne bei meinen Lebzeiten im Norden aufgehen, als daß er ein Lieblingsschriftsteller unserer Damen werden würde, werden könne, eingebildet. Ich ließ, weil wahrlich seine Briefe trefflich waren, ein paar seiner Aufsätze . . . einrücken, und niemand wollte sie lesen.« Nach diesen Äußerungen kann es nicht wundernehmen, daß er es ablehnte, sich für die »Teufelspapiere« bei den ihm bekannten Verlegern Dyk und Breitkopf zu verwenden.

Die kleinen Erfolge mit Archenholz und Meißner mochten das drohende Unheil aufhalten, abwenden konnten sie es nicht. Die Mittel Jean Pauls waren völlig erschöpft. Lediglich weil er seinen Hauswirt Körner und seinen Speisewirt Weinert eine Zeit hindurch mit dem Honorar aus den »Grönländischen Prozessen« bar bezahlt hatte, gewährte man ihm noch Kredit. Aber es war klar, daß diese Quelle eines Tages versiegen würde. Im Juni verkaufte seine Mutter endlich das von den Großeltern geerbte Haus. Es kann kaum mehr als eine Kleinigkeit gebracht haben, denn es war verwohnt und reparaturbedürftig. Eine namhafte Hilfe erwuchs für ihn aus diesem Verkauf nicht. Die wenigen Honorare für die Zeitschriftenbeiträge, die sich über lange Monate verteilten, gingen in wenigen Tagen darauf. Ein Ausweg war nicht abzusehen.

Vielleicht achtete Jean Paul in seinem Streben nach glänzenderen Bekanntschaften das Geschenk der Freundschaft zu gering, das ihm in reichem Maße zuteil wurde. Noch immer Wand an Wand mit ihm lebte sein Herzensfreund Oerthel, und Hermann studierte unter fast noch schlimmeren 129 Verhältnissen in der gleichen Stadt. Ein junger Student Schütze aus Hamburg gesellte sich öfter zu den Freunden, wenn sie in der Abenddämmerung auf ihrem Zimmer zusammensaßen. Seiner und Oerthels, der bei Erscheinen der »Teufelspapiere« schon gestorben war (Hermann weilte damals noch unter den Lebenden), gedenkt Jean Paul am Schluß des Buches: »Und du, lieber Sch(ütze) in H(amburg), wenn du dächtest, der V(erfasser) d(er) G(rönländischen) P(rozesse) oder R(ichter) könne dich und deine dichterische Schwermut und das Abreisen im b(osischen) Garten in L(eipzig) vergessen, irrtest besonders. Ich wollte hier noch einen anreden, der beim Anfange dieses Buches noch in diesem träumenden und stummen und mit bunten Dünsten um uns her spielenden Leben war: aber die zitternde Brust hat keine Stimme und die Toten stehen hoch gegen ziehende Schatten unter den Wolken, und eine Ephemere zerrinnt doch nur ein wenig früher als die andere . . .«

Von diesen Sätzen, die sein letztes Satirenbuch beschließen, kann man vielleicht einen Schluß auf die Stimmung ziehen, die die letzten Monate in Leipzig beherrschte. Hermann berichtet in einem Brief dieser Zeit über die wunderlich mißtrauische Gereiztheit Jean Pauls. Sie kann nicht in Erstaunen setzen, denn die Qual des hoffnungslosen Wartens muß seine Nerven bis zum äußersten gespannt haben. Diese Leipziger Zeit war vielleicht noch schlimmer als das übliche Martyrium der armen Theologen des Fürstentums Baireuth. Wie war es möglich, diese Zeit zu überwinden?

In einem kleinen Heft, das er sein »Andachtsbüchlein« nannte, rang er mit der Verzweiflung und gewann schreibend die stoische Haltung, die ihn über diese Monate hinübertrug. »Jedes Übel ist eine Übungsaufgabe«, heißt es darin, »und ein Lehrer der Standhaftigkeit. – Es wäre ein 130 unmögliches Wunder, wenn dich keines anfiele; stelle dir daher seine Ankunft vor; jeden Tag mache dich auf viele gefaßt. – Denke dir das Weltenheer und die Plagen auf diesem Weltstäubchen. – Was ist sechzig Jahre Schmerz gegen Ewigkeit?« Oder er suchte sich über seine Mißerfolge zu trösten: »Die meisten Menschen urteilen so elend; warum willst du von einem Kinde gelobt werden? – Niemand achtet dich in einem Bettlerrock; sei also nicht auf eine Achtung stolz, die man dem Kleide bezeugt.« In diesen Aufzeichnungen schlug der Puls seines wahren Wesens, reiner als in den Satiren.

»Jeden Tag mache dich auf viele Wunder gefaßt«, hatte er in das Trostbüchlein eingetragen, aber keines wollte sich ereignen. Die Michaelismesse mit neuen Versuchen, Verleger zu gewinnen, war vorüber. Jeden Mittag mahnte die Speisewirtin: »Nun, Herr Richter, ist denn das Goldschiff noch nicht angekommen?« Aber es kam kein Goldschiff, ja, es war nicht einmal eines zu erwarten. Das Abendbrot bestand aus einem Buch, etwas trockenem Brot und getrockneten Pflaumen. Er verzehrte es im Spazierengehen und stierte gierig in die mit elegantem Leben erfüllten Kuchengärten hinein, von denen er ausgeschlossen war. Jeden Tag deutlicher wurde ihm der Kredit aufgesagt. Seine Lage war verzweifelt. Er konnte nicht in Leipzig bleiben, weil er kein Geld hatte. Er konnte aber auch nicht nach Hof fahren, um am Tisch der Mutter wenigstens Obdach und Nahrung zu finden, weil seine Schulden ihn hielten.

Wie ein drohendes Gespenst standen die Schulden vor seinem Auge. Schon sah er sich mit Gefängnis bedroht. In dieser Lage ergriff er den einzigen Ausweg, der ihm blieb: die Flucht. Das Geld zur Abreise sollten ihm die kleinen, von Meißner angenommenen Arbeiten verschaffen. Am 131 19. Oktober bat er den Herausgeber um ein möglichst hohes Honorar. »Ich bin arm; und bin es jetzt, da mir so viele unreife Hoffnungen zugrunde gegangen, mehr als jemals und als vermutlich künftighin. . . . Ich will Leipzig etwa in acht Tagen verlassen; ich darf hoffen, Sie tragen dazu bei, daß ich es kann.« Etwa drei Wochen darauf wurde der Plan ausgeführt.

Mit Recht konnte er annehmen, daß sich sein Hauswirt seiner Abreise widersetzen und auch den Speisewirt benachrichtigen würde, wenn er von seiner Abreise das geringste ahnte. Oerthel mußte vorsichtig in der Dämmerung den Koffer aus dem Hause tragen. Er selbst machte sich durch einen angehängten Zopf und einen Hut, den er sonst nie trug, nach Möglichkeit unkenntlich. Es herrschte bereits eine ziemliche Kälte. Oerthel hatte ihm seinen Mantel zu der beschwerlichen Fahrt geborgt. Mit hochgeschlagenem Kragen schlich er sich durch die Straßen, immer voll Angst, einem seiner Gläubiger zu begegnen. Vor dem Tore auf der Landstraße wartete Oerthel mit dem Koffer auf ihn. Hier ließ er sich von dem vorüberfahrenden Postwagen aufnehmen und reiste, für alle Fälle unter dem Namen des Freundes Hermann, der Heimat zu, dem verhaßten und nun doch einzig möglichen Asyl.

 

Am 16. November 1784, ungefähr ein Jahr nach dem Bruch mit Sophie, traf er in Hof ein. Trotz des von Oerthel geborgten Mantels hatte er sich auf der Reise die Hand angefroren. Nur einen flüchtigen Blick warf er in die kleine Wohnung, in der er künftig mit seiner Familie hausen sollte. Schon am nächsten Tag eilte er nach Töpen, dem Gute des Kammerrats, um Grüße von Adam zu bestellen. Dann erst richtete er sich bei der Mutter ein.

132 Das Haus in der Klostergasse war im Sommer verkauft worden, und Richters hatten nur ein einziges Stübchen für sich behalten. (Erst im August 1786 konnten sie in die neue Wohnung »Auf dem Graben« ziehen.) In dieser Stube, die er mit der Mutter und den Brüdern teilte, mußte er seinen Schreibtisch aufschlagen. Nicht einen Augenblick war er allein. Ständig umknarrte ihn das Geräusch des ärmlichen Haushalts. Sehr bald wurde es ihm klar, daß er einen schlechten Tausch gemacht hatte. Außer dem eignen umgab ihn hier das Elend der ganzen verarmten Familie. Wenn sein Mittagessen in Leipzig auch nur geborgt war, so war es doch reichlich und regelmäßig gewesen. Hier sah er, daß er, verglichen mit der Lebenshaltung seiner Familie, dort wie ein Fürst gelebt hatte. Seiner schäbigen Kleidung war er sich dort kaum bewußt geworden, hier sah er sich auf einmal von zerlumpten Menschen umgeben, die die Seinen waren. Die Mahlzeiten bestanden meistens nur aus Salat mit trockenem Brot. »Wenn einmal ein Gulden ins Haus kam,« pflegte er später zu erzählen, »so war unter uns ein solcher Jubel, daß wir die Fenster hätten einschlagen mögen.«

Dazu kam die ihm verhaßte Stadt, eine Stadt »mit grauen Haaren«, wie er sie nannte. Mit düsteren Straßen lag sie in einem engen, freudlosen Talkessel. Nur die baumumkränzten Ufer der Saale bildeten einige hübsche Partien. Dies war die Gegend, in der einst Adam von Oerthel als Gymnasiast sein kleines Gartenhäuschen bewohnt hatte und an die ihn einige angenehme Erinnerungen knüpften. Das Schlimmste aber war der eingeengte und nur auf Erwerb gerichtete Sinn der Höfer, kleiner Kaufleute und Fabrikanten, unter denen er erst allmählich einige befreundete Familien fand.

133 In dieser Umgebung sollte er die nächsten Jahre seines Lebens zubringen, noch immer mit der Ausarbeitung der »Teufelspapiere« beschäftigt, die er immer und immer wieder umschrieb. Schon am 5. Dezember schrieb er an Oerthel nach Leipzig: »Seit meiner Abreise hab' ich zwölf Bogen umgearbeitet, die neu gearbeiteten ungerechnet.« Ein Dämon zwang ihn, in dieser ihm im Grunde widerstehenden Manier fortzufahren, in der er immer noch am ehesten seine Ziele erreichen zu können hoffte. Dabei hatte er schon von Leipzig aus an Meißner über Leute geschrieben, die »oft mehr aus Nachahmerei als aus angeborener Neigung« sich aufs Spotten verlegten. Welch ein Kontrast zwischen dem satirischen Lachen seiner Arbeiten und der eignen Lage. Welch ein Kontrast aber auch zwischen seinem weicher und weicher werdenden Gemüt und dieser Spottsucht, die mit der satirischen Geißel um sich schlug.

Im »Siebenkäs« hat er später die Zeit geschildert, in der die »Teufelspapiere« entstanden. Der furchtbare Kampf mit der drückendsten Armut, die ein Stück des Hausgeräts nach dem andern ins Leihamt wandern ließ, und der noch schlimmere Kampf der in einen Raum gepreßten Menschen gegeneinander. Die Mutter, ewig mit geräuschvollen Hausarbeiten beschäftigt, und daneben in der gleichen Kammer er, den Kopf in seine Manuskripte gebeugt, nicht hören wollend, was um ihn vorging. Eine ungeheure Kunst der Konzentration entwickelte sich in ihm. Christian Otto schildert den Freund in dieser unglücklichen Epoche: Auch jetzt habe ihm sein hohes Selbstvertrauen und seine Gemütsruhe und selbst Freudigkeit nicht gefehlt, die nur eine ungemeine Geisteskraft und eine ununterbrochene Geistesrichtung nach dem Höchsten gewähren könne. Durch sie allein wäre es ihm möglich gewesen, alle Gedanken, die sich auf die unwillkommenen 134 Äußerlichkeiten des Lebens bezögen, mit Blitzesschnelle abzuschneiden, und alle Not, in der er war und die ihn täglich umgab, als sei sie nicht da oder nie dagewesen, zu vergessen; wobei er zuweilen mit einer schmerzlichen Bewegung der Hand über die Stirn einen Ideengang, den er zu beseitigen sich bestrebt, gleichsam ab- und hinweggestreift habe.

Wenn jemals ein Dichter, so lebte Jean Paul in jener Zeit ein heroisches Leben der Menschheit vor. Nicht daß er von Not und Elend umgeben war, ist das Erschütternde daran, sondern dieses Hinwegstreifen des Elends mit einer Handbewegung. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, mit einer schmerzlichen, nicht mit einer gleichgültigen Bewegung, und war durch Willensakt wieder in der Welt seiner Gedanken. Was er in dem Leipziger Trostbüchlein geschrieben hatte, hier lebte er es. Man muß den Aufsatz »Die Kunst immer heiter zu sein«, der später in den »Papierdrachen« aufgenommen wurde, lesen, um zu wissen, welcher Heroismus hier am Werke war, das Leben eines großen Menschen aufzubauen. Nur eines Dinges bedurfte er, um sein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten: des Kaffees. Bis in seine spätesten Jahre trank er ständig während der Arbeit starken Kaffee. Dazu wußte er sich immer noch die Mittel zu verschaffen.

Mit Vogel stellte sich das alte gute Verhältnis bald wieder her. Das letztemal hatten Kleidung und abgeschnittener Zopf ihre Beziehungen ernstlich getrübt. Jetzt wurde seine Eigenwilligkeit von den Freunden gutwillig anerkannt. Vogel freute sich um so mehr seiner Gesellschaft, als er damals selbst an einem satirischen Buch arbeitete, das im nächsten Frühling bei Lübeck in Baireuth erscheinen sollte. Jean Paul gab ihm den Titel: »Raffinerieen für raffinierende Theologen«. 135 Das Herüber und Hinüber von Hof nach Rehau wurde wieder aufgenommen. Wie ehemals machte einer der jüngeren Brüder den Brief- und Bücherboten, und Vogels Bibliothek wurde wieder zu Jean Pauls »Akademie«. Öfters verbrachte der Jüngling einige Tage in Vogels Hause, wo ihn die Pfarrerin auch leiblich pflegte und mit neuen Kräften in sein Elend entließ.

Einige trügerische Hoffnungen auf Verleger für die »Teufelspapiere« zerrannen bald. Ein Leipziger Leihbibliothekar Seiler, dem Jean Paul noch zwölf Taler schuldete, hatte sich erboten, sein Manuskript bei einem Verleger unterzubringen. Es wurde nichts daraus, und eine Zeitlang hatte Jean Paul den freundlichen Mann sogar im Verdacht, daß er sich nur seines Manuskriptes als Pfand für das ihm geschuldete Geld bemächtigen wolle. Ebensowenig gelang es, den Höfer Buchhändler, der erst Hoffnungen gemacht hatte, zur Übernahme des Werkes zu bewegen. Ein neuer Versuch, den Oerthel in Leipzig mit den umgearbeiteten Satiren bei Reiche machen mußte, scheiterte gleichfalls. Neben allem Elend zerrte die Erfolglosigkeit seiner Arbeiten immer wieder an seinen Nerven und riß die alte Wunde immer von neuem auf. Den Winter und den nächsten Sommer über wanderte das Manuskript in der Welt umher. Von den »Grönländischen Prozessen« fielen ebenfalls in Gestalt von absprechenden Kritiken noch Schatten in dieses trostlose Dasein.

Das Schlimmste vielleicht war, die Not der Seinen nicht lindern zu können und noch fortgesetzt dem Freunde Ungelegenheiten zu bereiten. Oerthel war in Schulden geraten, weil er alles entbehrliche Geld und mehr an Jean Paul geliehen hatte. Dieser konnte nicht einmal seine Briefe an ihn frankieren und stand bei jeder Sendung in dem Konflikt, 136 nichts von sich hören zu lassen oder dem Freund neue Opfer aufzubürden.

So ging der schlimmste Winter vorüber. Der Frühling brachte wenigstens einige Bewegungsfreiheit. Im März fuhr er nach Schwarzenbach, die dortigen Freunde zu besuchen. Wie zu Vogel ergaben sich diesmal auch zu den Schwarzenbacher Freunden rein herzliche Beziehungen. Der Streit über Zopf und Kleidung wurde vorläufig beiseitegelegt.

Zu Ostern kehrte Oerthel aus Leipzig nach Töpen zurück. Die Nähe des Freundes trug wesentlich dazu bei, Jean Pauls Stimmung zu heben. Er bedurfte ständig eines Menschen, der an allem seinigen Anteil nahm und völlig in ihm aufging. Er sprudelte im Verkehr ständig von bizarren Einfällen über, für die er einen Hörer brauchte. Oft verweilte er jetzt in Töpen, wo er in der Mutter des Freundes eine von ihm hochverehrte Gönnerin gewann, während der von ihm verachtete und fast gehaßte Kammerrat ihm fremd blieb. Er konnte bald nach Mitternacht aufstehen, den Freund in Töpen aus dem Bett holen und zu einem Frühspaziergang zwingen. Am Vormittag saß er dann schon wieder in Hof über seinen Manuskripten, die er auch auf seinen Wanderungen innerlich nie verließ. Damals wird er sich auch an die Familie von Spangenberg angeschlossen haben, die das Töpen benachbarte Gut Venzka besaß. Adam von Oerthel zog es mit tausend Fäden dorthin, wo die von ihm in seiner Jugend angebetete Beata von Spangenberg ihre Jugend verbracht hatte. Noch jetzt war ihr Namenstag ein Festtag der Freunde. Inzwischen war sie längst die Frau eines Amtmanns Schäfer. Dafür bemühte sich ihre jüngere Schwester Wilhelmine, ausgezeichnet durch eine griechische Nase, über die Jean Paul gern spottete, offensichtlich um den jungen Erben von Töpen und Hohen- und Tiefendorf.

137 Trotz dieser grünenden Oasen blieb das Elend seiner Lage sich gleich. Noch immer war es ihm nicht gelungen, auch nur einen Heller zu verdienen. Im Juli mußte er sogar die Überraschung erleben, daß sein Leipziger Speisewirt Weinert, der von Zeit zu Zeit einen Mahnbrief geschickt hatte, in Hof auftauchte, um das ihm schuldige Geld einzutreiben. Es war für Jean Paul ein furchtbarer Tag. Unmöglich konnte er den Mann, der ihm gutmütig über ein Jahr lang Kredit gewährt hatte, ohne Bezahlung fortschicken, und Weinert war auch keineswegs geneigt, sich leicht zufriedenzugeben. Jean Paul wandte sich in seiner Not an Joerdens, den »schwarzen Doktor«. Dieser schlug ihm die Bitte um ein Darlehen glatt ab. Da griffen die Brüder Otto ein und befriedigten den Gläubiger für einige Zeit. Dieser Vorfall legte den Grund zu der lebenslangen Freundschaft, die Jean Paul mit den Brüdern, hauptsächlich mit dem jüngeren Christian, verbinden sollte.

Albrecht und Christian Otto, die Söhne des Höfer Vesperpredigers, hatten wie Jean Paul das Höfer Gymnasium besucht und es fast gleichzeitig mit ihm verlassen. Auch in Leipzig hatten die Mitschüler zusammen studiert, ohne daß sich nähere Beziehungen zwischen ihnen ergeben hätten. Wiederum ungefähr gleichzeitig mit Jean Paul hatten die Ottos Leipzig verlassen und Anfang 1885 in Hof eine juristische Kanzlei eröffnet, die sich gut anließ. Der Vorfall mit Weinert führte bald zu näherer Bekanntschaft. Bei dieser Gelegenheit gewannen die Brüder Einblick in Jean Pauls trostlose Lage und zugleich in seinen unbeschreiblichen Heroismus. Im weiteren Verlauf der Angelegenheit lernten sie auch seine gänzliche Hilflosigkeit in praktischen Dingen kennen. Weinert nämlich, als er sah, daß sein Schuldner opferwillige Freunde hatte, tauchte immer wieder mit neuen 138 Forderungen auf, da Jean Paul nicht mehr wußte, wieviel der Speisewirt von ihm zu verlangen hatte. Wie ein Alpdruck lagen diese immer erneuten Forderungen Weinerts auf Jean Paul, bis ihn die juristisch geschulten Brüder von dem Quälgeist befreiten. Immerhin hatte Weinert bereits das Mehrfache von dem, was er zu erhalten hatte, aus dem Armen herausgepreßt.

Den Oktober brachte Jean Paul bei Aktuar Vogel in Schwarzenbach zu. Sein Aufenthalt dort hatte einen besonderen Anlaß: Der dortige Freundeskreis: Vogel, Völkel und Amtsvorsteher Kletterer wollten ein gemeinsames Buch herausgeben, zu dem sie auch von Jean Paul Beiträge erwarteten. Er sagte zu. Es war ihm wohl ein kleines Zeichen der Anerkennung, daß wenigstens die literarisch interessierten Männer seiner Heimat sich um ihn bemühten. Auch Pfarrer Vogel hatte ihn gebeten, ihm für den zweiten Band seiner »Raffinerieen« einige Beiträge zu geben. Im Höfer »Intelligenzblatt« hingegen glückte es ihm erst im Jahre 1788, mit einer Satire vertreten zu sein. Seine Beiträge für die Schwarzenbacher Sammlung »Mixturen für Menschenkinder aus allen Ständen« zeichnete er mit H., einer Abkürzung für den sich selbst verspottenden Namen J. P. F. Hasus, unter welchem er in der letzten Fassung der »Teufelspapiere« auftritt. So entstand nicht zum wenigsten durch sein Beispiel in der Umgegend von Hof doch eine Art von literarischem Leben, das für die Beteiligten seine mannigfachen Freuden hatte. Briefe und Anregungen flogen von Freund zu Freund. Man konnte sich über allerhand Gerede belustigen. Zum Beispiel, wenn das Gerücht auftauchte, daß die natürlich anonym erschienenen »Raffinerieen« von Vogel, Völkel und Richter gemeinsam verfaßt wären, oder wenn festgestellt werden konnte, daß 139 Vogel in seinem Buch fünf Gleichnisse aus den »Grönländischen Prozessen« gestohlen hatte.

Mit dem Oktoberaufenthalt in Schwarzenbach war der Sommer mit seinen Freuden vorübergegangen, und die Kälte schloß den gerne Schweifenden wieder in das Zimmer mit seiner Familie zusammen. Von Herder aus Weimar, an den Jean Paul sich gewandt hatte, kam ein Manuskript ohne Erfolg zurück. Herbstmelancholie erfaßte den Hoffnungslosen. Er glaubte sogar an schwerer Lungenerkrankung zu leiden, was ihm der medizinkundige Hermann in einem von Zynismus strotzenden Brief ausredete. Ohne Unterbrechung hielt ihn das häusliche Elend wieder gefaßt. Ununterbrochen wurde an den alten Satiren gefeilt, wurden neue erdacht. Nur für die Mutter abgefaßte Bittschreiben, etwa an die Patronatsfamilie von Reitzenstein, die sich der Familie ihres alten Pfarrers ein wenig annahm, brachten eine niederdrückende Abwechslung in die Stube, in der die verschiedensten Menschen nebeneinander herlebten.

In diesem Winter wurden die »Teufelspapiere« wiederum umgearbeitet und wanderten bei Verlegern herum. Verschiedene andere Aufsätze entstanden, wurden in die Welt geschickt, so einer zu Wieland, dem Herausgeber des »Merkur«, nach Weimar. Einiges Honorar lief von den »Mixturen« ein, und gewiß hat Pfarrer Vogel auch einige Beiträge Jean Pauls für den zweiten Band seiner »Raffinerieen« honoriert. Die Mitarbeit am Höfer »Intelligenzblatt« scheiterte wiederum. Aus älteren Satiren wurde noch einmal ein drittes Bändchen zu den »Grönländischen Prozessen« zusammengestellt. Auch diesmal lehnte Voß in Berlin ab. Im März 1786 kam die abschlägige Antwort von Wieland. Meißner hatte seine Prager Professur angetreten und zog sich von Jean Paul zurück. Nur Archenholz nahm wieder einen 140 Aufsatz, »Von der Verarbeitung der menschlichen Haut« für seine nunmehr bei Göschen erscheinende Zeitschrift an. Von einigen leicht aufgeklärten Mißverständnissen mit Vogel und den Schwarzenbacher Freunden abgesehen, waren dies die einzigen Erlebnisse des Winters, der nicht enden wollte.

Das Frühjahr schien eine günstige Entscheidung zu bringen: Der Buchhändler Beckmann in Gera nahm die »Teufelspapiere« zum Verlag an, aber es dauerte noch drei Jahre, ehe sie erschienen. Monate lang zogen sich allein die Kontroversen über den Titel hin, den Beckmann durchaus in »Faustin« umgeändert wissen wollte. Der Zustand des Manuskriptes mit seinen vielen Korrekturen, Einschachtelungen, Zusätzen erschwerte gleichfalls den Druck, und endlich glaubte Jean Paul das ganze Manuskript noch einmal umschreiben zu müssen, als neue Erlebnisse ihn bereichert hatten. Auch wenn nun endlich der lang gesuchte Verleger da war, so wurde dieser Sommer doch der schlimmste von allen. Die alte Wohnung mußte endlich geräumt werden, aber es fehlte das Geld zum Umzug. Demütige Bittbriefe mußten geschrieben werden. Der Stadtsyndikus Ruß von Wunsiedel wurde um Unterstützung angegangen und der Umweg über seine Frau nicht gescheut. »Sollten sich Dieselben nicht mehr an die älteste Kuhnin des Tuchmachers Kuhn erinnern, von der Sie eine so gute Freundin waren?« »Nun muß ich zu Jacobi, künftigen Montag aus meinem Logis ausziehen, und da ich noch das vorige Vierteljahr Miete schuldig bin, so muß ich auch 15 Gulden fränkisch zahlen, sonst lassen mir die Leute, die hier ohnehin so grob und ohne Mitleid sind, nichts verabfolgen.«

Der August sah die Familie in der neuen Wohnung beim Stadtgerber Beyer »Auf dem Graben«. Aber die Verhältnisse blieben die alten. Den kommenden Winter glaubte 141 Jean Paul in dieser Umgebung nicht mehr ertragen zu können. Er sann auf einen Ausweg, und schließlich nistete sich in seinem Kopf der Plan fest, nach Töpen zu gehen, um dort Christian, des Freundes jüngeren Bruder, zu erziehen.

Schon im Februar 1785 hatte er den kleinen Oerthel liebgewonnen. Damals schrieb er über ihn an den Freund: »Dein kleiner Bruder wird mehr, als er sonst versprach; er lieset die Bücher aus der Lesegesellschaft von selbst in den Nebenstunden und begreift und fragt vortrefflich.« In dieser Beobachtung tritt zum erstenmal Jean Pauls erzieherisches Interesse hervor. Auf seinen zahlreichen Besuchen in Töpen beschäftigte er sich oft mit dem Knaben, und dieser faßte eine warme Zuneigung zu dem Freunde des Bruders, die Jean Paul wohl zuerst seinen Plan eingab. Schüchtern, in französischer Sprache, bat er Oerthel, seinem Vater diesen Gedanken nahezubringen, und schon nach wenigen Tagen drang er auf Antwort. »Wenn du am Mittwoche nicht kommest: so sei doch so gut und gebe mir auf meinen Brief eine geschriebene Antwort; sie kann – damit ich dir jeden Vorwand des Stillschweigens abschneide – in bloßes Ja oder Nein ganz wohl zusammengepresset werden.« Man sieht seine Ungeduld und die ängstliche Spannung, ob es ihm gelingen werde, den Ausweg ins Freie zu finden. Und vielleicht hat ihn nicht weniger als der Ausweg aus seiner unerträglichen Lage die Aufgabe angezogen, die ihn in Töpen erwartete. Jäh wurde die Spannung durch Oerthels plötzlichen Tod am 13. Oktober abgerissen. Jean Paul eilte zu dem Sterbenden, und der Freund verschied in seinen Armen.

Kein Ereignis in seinem Leben hat auf ihn einen stärkeren Eindruck gemacht als der Tod Adam von Oerthels. Aus 142 Dürftigkeit und Elend hatte er sich immer wieder in seine geistige Welt emporgerissen, auch wenn die Qual der zerschundenen Kreatur mehr und mehr in seine letzten Arbeiten eindrang. In Oerthels Tod aber stand das vernachlässigte Leben mit furchtbarer Drohung auf und offenbarte in der Erleuchtung eines blitzartigen Ereignisses die Ohnmacht alles Lebendigen. Zum erstenmal fuhr der Strahl in seinen eigensten Lebenskreis. Es war nicht so wie beim Knaben, als sein Vater oder sein Großvater starb, daß das Ereignis des Todes durch Wände von ihm getrennt, gleichsam in einer andern Welt, der Welt der Erwachsenen, vor sich ging und ihn nur sein fernster Schatten streifte. Diesmal erkaltete ihm der Nächsten einer in den eignen Armen, sah er unmittelbar in brechende Augen, und zum erstenmal durchschaute er die Künstlichkeit seiner geistigen Welt und ihre Entferntheit von den Urproblemen des Daseins. Eine Ader in seinem Innern war gesprungen, ein Suchen nach einer neuen Form hub in ihm an, das nicht enden sollte, bis sein Tun zwischen Leben und Geist die engsten Beziehungen gespannt.

Unter Todesahnungen hatte Oerthel die letzten Jahre seines Lebens verbracht. Ein seltsamer Einfall tauchte anderthalb Jahre vorher in dem Briefwechsel der Freunde auf: Oerthel litt unter der Vorstellung von der kosmischen Verbundenheit alles Seins und konnte des Gedankens nicht Herr werden, daß seine Gesundung vielleicht einen Bewohner des Sirius auf magische Weise mit Krankheit bedrohe. Deutliches Anzeichen, daß schon damals sein Lebensnerv durchschnitten war und er Tod und Leiden für seinen Anteil an der Welt ansah. Die düstere Schwärmerei ihrer Knabenjahre lastete immerwährend auf ihm und legte auch über Jean Pauls Leben einen dunklen Schleier. Sein Tod ließ 143 dem Freunde die Zeit wieder erstehen, da er mit ihm an den Ufern der Saale sich den Träumen einer todbeschatteten Melancholie ergeben hatte, und seine Gedanken begannen, an die Tage seines Jugendromans von Abelard und Heloise wieder anzuknüpfen.

Wenige Wochen später siedelte er nach Töpen als Lehrer Christians über. 144

 


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