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Lenbach.

Wenn Lenbach gewollt hätte, wäre er wie Velazquez begraben worden. Regirende Fürsten, der ganze Hofstaat, alle Ordensritter wären seiner Leiche gefolgt und an der Gruft hätte die hohe Geistlichkeit in Pompsymbolen gezeigt, daß der Römerkirche ein lieber Sohn gestorben sei. Er hats nicht gewollt. Der Maurersproß aus Schrobenhausen war geadelt worden, hieß Professor und Ehrendoktor gar, hatte in seinem Haus oft Monarchen empfangen, aber er war kein korrekter Hofmann wie der steife altspanische Grande, dem der Stammbaum und der Rang des Hausmarschalls mehr galt als Malerruhm. Lenbach war, als er den zweiten Ehebund schloß, aus der Kirchengemeinschaft geschieden. Der Schritt war nicht nöthig; da die erste Frau Protestantin war, hätten Roms Priester den zweiten Bund gern gesegnet. Doch der Franzl mochte, trotzdem er sein Leben lang Oberbayer blieb, von Dogmen und Kirchenpflicht nichts mehr hören. Von Goethes Heidengeschlecht wollte er sein und Schande dünkte ihn, äußerer Geltung wegen dem Drang des starken Herzens zu wehren. Bis zum letzten Wank blieb er fest. An frommem Eifer, dem Sterbenden schnell noch den Weg in den Himmel zu sichern, hats nichts gefehlt. Der Prinz-Regent, der seines Bayernlands größten Maler zärtlich liebte, ließ den Propst mehr als einmal anpochen; sehr leise, sehr zart. Abgezehrt, mit geschrumpftem, von langer Qual siechem Leib lag der Riese aus Schrobenhausen auf dem Marterbett, kaum mehr den Nächsten kenntlich; noch aber lebte der Wille. Rückkehr in den Schoß der Kirche? Die Hand winkte ab und der Friedensbote kam nicht bis ans Leidenslager. Als der Pfarrer von Saint-Sulpice dem röchelnden Voltaire die Frage ins Ohr brüllte, ob er an die Gottheit Christi glaube, erhielt er, nach Condorcets Bericht, die Antwort: »Au nom de Dieu, Monsieur, ne me parlez plus de cet homme-là et laissez-moi mourir en repos!« So ungefähr, spöttisch und doch mit einem Rest von Frömmigkeit, hätte auch Lenbach geantwortet, der in dem Dichter der Pucelle den ganzen Menschen, nicht den witzigen Kopf nur bewunderte. Unversöhnt, ungeweiht ging er ins dunkle Land. Kein Priester, kein Prinz durfte der Leiche folgen; und die Witteisbacher wären doch, Mann vor Mann, aufrecht im Feierzug mitgeschritten. Der Stolze wollte sich, konnte nicht untreu werden. Am achten Maitag trugen sie ihn hinaus; am Sonntag Rogate. Durch das Spalier der Kunstschüler, deren Fackeln im Lenzwind flatterten. Als der Sarg sichtbar wurde, flammte und qualmte von großen Dreifüßen düstere Gluth auf. Keines Priesters summende Gesänge; ein Heidenbegräbniß. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Sonnenschein, blühender Lorber, dickes Fliedergebüsch und auf dem ländlichen Friedhof ein Gewimmel von hellen Frühjahrskleidern und bunten Schirmen: nach Trauer sah es nicht aus. Dem Franzi aber hätte es just so gefallen; auch wenn die Grabreden ihm dünner klangen, als er erwartet hatte. Was sind denn Reden? Selbst die besten verhallen; nur das Werk bleibt. Im Charakter des Deutschen, sagt Goethe, liegt, daß er über Allem schwer, daß über ihm Alles schwer wird. Vom Schlag dieser Deutschen war Franz Lenbach nicht. Er lebte freudig, schlürfte aus vollen Schalen und hatte gehofft, so alt zu werden wie sein geliebter Meister Tizian, der an der Schwelle des hundertsten Jahres starb. Doch hinsiechen, elend verkrüppeln, nicht mehr schaffen, rüstig gestalten? Nein. Lieber ins letzte Haus. Und zum Henker mit allem Trauerpomp! Der Franzi war ja tot, seit er nicht mehr von früh bis spät vor der Leinwand stehen konnte. In die Erde, auf den Holzstoß mit ihm, je früher, je besser! Vielleicht hätte er ein Feuergrab vorgezogen, am Starnberger See sich den Scheiterhaufen geschichtet. Aber es ging auch so. Nur keine Häufung von Trauerlivreen; die waren ihm eben so widrig wie seinem größten Freund. Nach Bismarcks Tod sagte er zu mir: »Ich habe aufgeathmet; der Mann durfte nicht länger sterben.« Er selbst ist länger gestorben. Wir dürfen hoffen, daß sein letzter Hauch ein Aufathmen war. Lehnbach gelähmt, im Rollstuhl, mit schwerer Zunge und blödem Auge: wer ihn kannte, zitterte vor solcher Möglichkeit. Sie blieb ihm, blieb uns erspart. Und er hätte sich am Bestattungtage der Maienpracht, der lustigen Sonne, des bunten Gewimmels gefreut; hätte den Arm in die Hüfte gestemmt, den Kopf vorgereckt, schelmisch auf die Sonntagsgaudi herabgeblinzelt und, ohne Grauen, gekichert: So is recht!

In Muthers »Geschichte der Malerei im neunzehnten Jahrhundert« ist zu lesen, Lenbach sei »eben so unterwürfig wie stolz« gewesen. Wirklich? Wem unterwarf er sich denn? Nicht einmal seinem Fürsten. »Wenn ich eine Weile nicht in Friedrichsruh war«, pflegte er zu sagen, »zogs mich furchtbar hin; war ich aber drei Tage dort, dann hielt ichs nicht mehr aus. Bismarck war zu groß; er drückte mich«. Der ganze Lenbach. Der hätte sich unterworfen? Sein schönster Tag war, als er in seinem Hause den Fürsten herbergen konnte. Da hatte er ihn ganz für sich, war Wirth und durfte den Helden ehren, wie es ihm des Helden würdig schien. Nicht der Klerisei, die ihm entgegenkam, nicht dem Kaiser, dem er zur Versöhnung nur die Hand hinzustrecken brauchte, unterwarf er sich. Auch nicht der Mode. Er konnte, ohne an seinem Glauben zu sündigen, in den Sälen der Sezessionisten ausstellen; so gut wie Böcklin, mit besserem Recht als Thoma. Dann wäre er als Malerkönig gefeiert worden. Alle Troßknechte, alle Marodeure der »neuen Richtung« hätten ihm gehuldigt. Mancher Alte hats so gemacht, Freytag und Oberländer, Spielhagen und Hildebrand, und den Ruhm rasch gemehrt. Lenbach thats nicht. Auf diesen Blättern hat er vor elf Jahren gesagt: »Ein junges Geschlecht ist herangewachsen, das in pietätlosem Dünkel den großen Vorfahren nichts verdanken, aller Tradition den Rücken kehren, die Kunst von vorn anfangen will. Wer in der Wissenschaft oder im Handwerk die Erfahrungen und Erfindungen der Jahrtausende ignoriren wollte, würde nicht nur ausgelacht und für einen Narren erklärt, sondern müßte bei seinem thörichten Eigensinn auch verhungern. In der Kunst aber solls jetzt anders sein. Was unsere Alten geleistet haben, heißt es, war für ihre Zeit wohl recht löblich; wir aber sind Kinder einer anderen Zeit und dürfen nicht rückwärts schauen, dürfen nicht einmal die Mittel annehmen, die den Alten zu herrlicher Wirkung verhalfen. Diese Neusten bilden sich ein, sie würden an der Hand der bewunderten Meister nicht den Weg zur Natur und zur Wahrheit finden, der nicht zu verfehlen sei, wenn man nur den Muth habe, mit Scheuklappen vor den Augen der eigenen werthen Nase nachzugehen. Alle treten mit dem Anspruch auf, fertige Meister zu sein, die sich nicht dreinreden noch nach überlebten Kunsttheorien meistern zu lassen brauchen.« In diesem zuchtlosen Heerhaufen wollte er nicht fechten. Er war viel zu klug, viel zu sehr Künstler, um nicht zu fühlen, daß schon der junge Herr Liebermann auf ganz anderer Höhe stand als der reife Herr von Werner, und schätzte die akademische Kunstleistung recht gering. Verhaßt aber, in tiefer Seele ein Gräuel war ihm die Unbescheidenheit, die den Alten die Reverenz weigerte oder nur im Vorübergehen, mit keckem Achselzucken, erwies. Wie Anzengruber, wenn ein Tadelswörtchen seinen Heros Schiller antastete, so brauste Lenbach auf, wenn irgend ein Tartaglia sich vermaß, mit der Miene des weisen Richters über Velazquez und Rubens, Tizian und Murillo zu reden. Diese Großen waren ihm nicht Bonzen, sondern lebendige, ewige Götter; vor ihrem Werk wurde er fromm, schalt er Jeden, der nicht das Knie beugte, einen Barbaren. Solcher Gottesdienst war in den neunziger Jahren nicht beliebt. Was lag ihm daran? Er las, daß er ein überholter Mann, ein Erzfeind moderner Entwickelung, im Grunde nur ein mittelmäßiger Kopist sei. Las, lachte oder schimpfte sich den Grimm von der Leber und arbeitete weiter. In München; fast immer in München und nie in Berlin. Das war wichtig. Die schlimmsten Dinge, unsere Ruhmeshallenmalerei, die letzten Leistungen des seligen Becker, den von Sankt Anton Werner in die Nationalgalerie gelieferten Alvensleben und ähnliches Kaliber, bekam er kaum zu Gesicht. Er hätte vor solchem Schauspiel sein böses Zünglein gewetzt. In München war der Heilige Berg der Sezessionisten von der Sonne beschienen. Prinz Luitpold, dessen achtzigjährigem Auge ein Piloty gewiß mehr behagt als ein Uhde, blieb in dem Kampf der Jungen gegen die Alten stets neutral; und mußte vor Jahren deshalb schon aus dem Munde des Hohenzollern hören: »Ich halte der Gesellschaft den Daumen aufs Auge.« Wenn Lenbach in Berlin gelebt hätte, wäre er vielleicht mit der Jugend gegangen; eine Wegstrecke wenigstens. München aber hatten die Rebellen erobert; hier herrschten sie, hatten, mehr noch als in der Heimath der Rosenberge und Pietsche, die Presse für sich: und Lenbach wurde das Haupt der Opposition. Er konnte nicht anders; mußte immer Opposition machen. Denn er war ein kritischer Kopf und sah, wenn nicht Liebe ihn blendete – was viel seltener, als man glaubte, geschah –, mit scharfem Blick schnell stets die Schwächen einer Person oder Sache. Die Lust, die Sucht, kann man sagen, zu kritisiren, war ungemein stark in ihm. Er wußte genau, wie ers anfangen müsse, um auch bei den Neusten in die Mode zu kommen – auf dem Altan vor seinem Haus hat er mir die dazu nöthige Strategie und den zu erwartenden Erfolg einmal mit der ganzen Pracht seines Witzes geschildert –, aber er wollte nicht. »Is mir zu fad«. Talent hatten die Leute ja, doch ihm nicht genug Geist. Was es denn tauge, immer wieder irgend ein Bauernmädel aus der ammergauer Gegend zur Madonna herauszuputzen und mit dem Licht zu kokettiren, das wir doch nicht in unseren Pinsel zwingen können. Warum der Dienstmann von der nächsten Ecke als Tod oder Teufel frisirt und das Publikum vor Leinwände geschleppt werde, auf denen mit leidlicher Kunst vielleicht ein Stümpfchen dummer Natur nachgestümpert, des Geistes aber kein Hauch zu spüren sei. Das blitzte und prasselte nur so; und das Ende immer: »Ich bin halt Voltairianer«. Manchmal wars wirklich, als hörte man Herrn Arouet über kleine Shakespeares reden. Zu wenig Geist, fand er, zu wenig Ehrfurcht vor seinen Meistern. Er wollte nicht. »Kunst ist, was die großen Künstler geschaffen haben«: mit dem Liebermann, der dieses Wort des Heiligen Augustinus nachsprach, hätte er sich leicht verständigt. Da aber wars zu spät; der Franzi hatte schon den dicken Grenzstrich gezogen. Die Impressionisten blieben ihm bis zur letzten Stunde Bilderstürmer, Feinde der Kunstkultur, mit denen ein feiner Geist nichts zu thun haben mochte. Und schließlich hatte er sich in der Hitze so verrannt, von allen Lagern sich so weit entfernt, daß er für sein Haupt und für sein Leben fechten mußte.

Die Unterwürfigen sind, scheint mir, aus anderem Stoff. Die schielen nach Sonne und Wind, ducken sich, wenns regnet, unter ein schützendes Obdach, denken bei jedem Schritt, jedem Zufallswörtchen, obs auch ihrem Biographen einst in den Kram passen werde, und besinnen täglich die wirksamste Inszenirung ihres Ruhmes. Lenbach war ein Festregisseur, wie er in Deutschland selten gesehen ward; er wäre der Mann gewesen, einem Magnifico die Säle mit wandelnder und gemalter Schönheit zu schmücken. Das bunte Fest seines Lebens hat er nicht nach den Regeln kluger Regiekunst inszenirt; er hat sich immer und überall, weil er sich gehen ließ, Feindschaft geweckt und meist, unter dem Zwang eines nie gezügelten Temperamentes, gethan, was ihm schaden, den Bereich seines Nimbus schmälern mußte. Auch der Freund, der ihn bewundern wollte, verstand ihn oft nicht. Keinem fremden Blick gönnte er die Schauer seiner Vision. Das Gefäß seines Wesens war mit Widersprüchen bis an den Rand vollgestopft. Aber es war eine Lust, ihn leben zu sehen. Ich sehe ihn in seinem Atelier. Rechts vom Haus der schöne Brunnen, den er irgendwo entdeckt hatte, kleine Säulen, Alles so altmodisch wie möglich; man merkte: hier soll nichts an den Alltag, ans Zeitgemäße erinnern. Im ersten Raum Renaissance aller Sorten. Wie bei Watts. Alte Bilder (ein paar Meisterstücke darunter), alte Möbel, Gobelins, Brokate, himmlischer Trödel. Daneben die Werkstatt. Zunächst fällt die Menge der Bilder auf. Sechs, acht, vielleicht noch mehr auf Staffeleien; und auf der Diele, in jedem Winkel ganze Stöße gestapelt. Das scheint schon ungeheuer viel. Im Gespräch aber greift er unter die Peluchebank und holt noch ein Dutzend bemalter Pappdeckel hervor, zieht ein zweites und drittes Dutzend von einem Schrank herunter. Das ist noch nichts. Als ich ein paar Tage bei ihm wohnte, sah ich erst, was in den Gängen, auf Treppenabsätzen, in Bodenkammern lagert. Die Diebe und Fälscher, die ihn bestahlen, hattens bei solcher Fülle leicht. Dieser Parvenü hatte den Fleiß des Genies von kräftigstem Wuchs. Er arbeitete eigentlich den ganzen Tag; es arbeitete in ihm. Wie viele Bilder, viele der feinsten Studienblätter sind ihm in Friedrichsruh entstanden, nach Tisch, während er seine bayerischen Epigramme unter die Gäste warf! Wer von ihm spricht, darf diesen Reichthum nicht vergessen. Der Mann brauchte nicht zu knausern, seine Kraft nicht ängstlich, wie den Nothpfennig für karge Jahre, zusammenzuhalten. Ganz glücklich schien er nur, wenn er malen konnte. Und er konzentrirte sich selten sehr lange auf einen Gegenstand. Einmal, als ich ihm zusah, kam eine Dame, eine Fürstin; gar nicht hübsch, aber schrecklich modern und ein Bischen beauté du diable. Er war gerade an einem Bismarck, einem seiner schönsten: dem im Freien sitzenden Bismarck mit dem Schlapphut und den überm Stock liegenden Händen; war recht con amore daran. Machte auch nicht viele Umstände; Jeder wußte ja, daß der Lenbach beim Plaudern malt, beim Malen plaudert. Also weiter gepinselt. Nach einer Weile immer ins Kämmerchen nebenan, um Farbe zu holen; denn er hatte stets nur ganz wenig auf der Palette. Nach und nach fängt das allerliebst zurechtgemachte Aeffinnenköpfchen, das sein Wirken begafft, ihn zu interessiren an. Er hat die Durchlaucht oft gemalt, sucht sie aber jetzt wieder ab, als müsse er ganz Neues aus dem Chiffongesichtchen herausholen. Vornüber gebeugt, umkreist er die Beute; das Auge – ich glaube, daß er nur mit einem ganz richtig sah, diesen Defekt aber mit merkwürdiger Scheu verbarg – blitzt unter der Brille vor, sucht, wägt, tastet, bohrt, die Hand streichelt die Kinnmähne, die dicken Lippen öffnen ein Spältchen, als gäbe es hier besonders Gutes zu schmausen, man fühlt förmlich, wies unter der Stirnsträhne arbeitet, drängt, assoziirt, – und jetzt hat ers. Den Pinsel weg, dem Bismarck den Rücken gekehrt, Pappdeckel und Pastellstifte her: und in fünfundzwanzig Minuten ist ein kleines Wunder fertig. Jeder Zug ist da, der Extrakt des Wesens, die ganze Willenssumme herausgeholt. Mit der Uhr in der Hand sagte ich zu ihm: »Wenns gar nicht mehr anders geht, fristet die Konzertmalerei noch ein leidliches Leben.« Und er hatte fast ohne Pause geredet. Aehnliches konnte man oft erleben. Ich habe ihm nie gesessen, er ließ seinen Photographen nur ein paar Aufnahmen von mir machen und brachte mir dann eine im Detail zum Entzücken feine Skizze nach Berlin. »Nix«, meinte er; »in Friedrichsruh haben sies gar nicht erkannt. Wir müssen mal ein anständiges Bild machen, so was mit Sitzen und richtigem Oel; aber wenn Sies behalten wollen....« Manchmal unterbrach er die Arbeit; wenn er warm wurde und jede Hemmung der Denkkraft aufheben wollte. Dann setzte er sich zu dem Gast auf das durch Stufen erhöhte Eckplätzchen und ließ seine Raketen steigen. Allzu lange dauerte es gewöhnlich nicht. Von oben her fing er sacht wieder zu äugen an, ging herunter und malte, kratzte, wischte an dem einen, dem anderen Bild. Und seine Rede war fast immer eben so gut wie seine Malerei.

Auch in der Allotria sehe ich ihn, unter den Künstlern. Während der Tarockpartie fallen nur Bröcklein von seiner Lippe; denn das Spiel ist eine verdammt heilige Sache. Inzwischen kann der Fremdling den Reiz der Ausstattung bewundern oder aus der Karikaturensammlung – vielleicht der reichsten, die je entstand – die stärkste Seite Kaulbachs und Stucks erkennen lernen. Erst wenn die Karten weggelegt sind, gehts los. Politik, Kunst, Lokales, Persönlichstes. Mit einer Rücksichtlosigkeit, vor der einem norddeutsch Gewöhnten der Athem stockt. Die »Viechkerle«, »Blödiane«, »Lausbuben«, »Verbrecher« fliegen nur so in der Luft herum. Einerlei, wer daneben sitzt: ein bayerischer Prinz oder ein preußischer Oberpräsident. Lenbach hat ja fast Alle selbst eingeführt und ist hier Gottvater in seiner Schöpfung. Mäßigen möchte er sich? Das könnte gerade noch fehlen. »Gehts doch hin und zeigts mich an!« Wer ihn schwichtigen will, reizt nur den Kampfhahn in ihm. Ganze Wolkenbrüche ergießen sich auf die Häupter der Sezession. Die sind nicht etwa fern, sondern blicken auf den selben Kneiptisch. Horchen, lachen mit, streiten, vertheidigen sich, klagen den Scheltredner schroff an, werden durch faunische Wendungen entwaffnet, – und bewundern, während der Wuthwallung, unter der Stachelpeitsche grausamsten Spottes, Alle doch im Grund ihres Künstlerherzens den Polterer, lieben die prachtvolle Persönlichkeit des gekrönten Tyrannen, der oft unbequem ist, für den Rang, die Geltung der Bildnerkunst aber allein mehr bedeutet als ein ganzer Schwarm betitelter Malbeamten.

Ob sie aufgeathmet haben, als der Tyrann endlich hinsank? Sicher nicht. Münchens Kunst hat ihren König verloren. Die Stadt, das ganze Bayernland ist verarmt. Wie Venedig nach Tizians Tod. Früh oder spät wird die ganze Gilde des Heiligen Lukas es fühlen. Jahrzehnte lang hat Lenbach wie ein König gelebt. Nicht wie einer von Gottes Gnaden; in seinem Hause gings, wenn nicht ein Fest war, einfach zu und nie hat ihn der kleine Ehrgeiz geistloser Emporkömmlinge gelockt, deren höchstes Ziel ist, mit ihrem Aufwande den Bankdirektoren nachzutrumpfen. Wie ein Künstlerkönig. Wie Tizian. Der hatte in allem Aeußerlichen den größeren Stil, war lateranischer Graf und Ritter vom Goldenen Sporn, wohnte in einem Palast, der Königen königliches Obdach gewähren konnte, und hätte den Fuß nie ins Gewühl eines Lagerbierkellers gesetzt. Sechzehntes und neunzehntes Jahrhundert; Venedig und München. Der Freund des Aretiners wurde als politische Großmacht von Päpsten und Kaisern umworben. Auch von Lenbach aber könnte ein neuer Vasari, wie vom Tiziano der alte, sagen: »Ihn besuchten alle vorragenden Menschen, die in die Stadt kamen, Fürsten und Gelehrte, und ehrten den Meister der Kunst, der in seinem Wesen ein Edelmann war.« Auch Lenbach hat mit Gekrönten stets als mit Seinesgleichen verkehrt – wenn er sie nicht tief unter sich sah – und ihm hätte nicht die Wimper gezuckt, weil ein Kaiser, um ihm den entglittenen Pinsel aufzuheben, sich bückte. Warum denn? Versteht sich, wo Einer arbeitet, der Andere lungert, eigentlich doch von selbst; ist jedenfalls nicht langer Rede werth. »Danke, Majestät.« Und weiter am Werk. Als er Bismarck herbergte, ins Hofbräuhaus, in seine geliebte Allotria, in den Glaspalast vor seine Bilder führte, mag er mit noch persönlicherer Andacht als sonst des Malerfürsten von Venedig gedacht haben, dessen Wohngast Heinrich der Dritte war; mag gefühlt haben: Mir ward mehr Ehre, denn ich darf den Genius, nicht einen Dutzendkönig, bewirthen. Mit einem Maklerpatent, wie der friauler Alpensohn, wäre der schrobenhäuser Rebell nicht zu ködern gewesen. Der Starke, der als Maurerlehrling fünfzigtausend Meter barfuß durchlief, um sich ein Bischen Farbe zu holen, war als Künstler, als Gildenglied höllisch stolz. Wer was konnte, galt ihm unendlich höher als Einer, der in Purpurkissen gezeugt war oder einen Blinktitel erlistet hatte. Die Erniedrigung, jede winzige Devotion eines Künstlers empfand er als dem Stand angethane Schmach. Gegen einen seiner ältesten Freunde, der die Entwürfe dem Kaiser »zur Korrektur« vorlegt, konnte er Stunden lang in Zorn und Hohn toben. »Ehe ich mir von einem Dilettanten ins Handwerk dreinreden ließe, würde ich Parapluiemacher!« Die Künstler sollten nie vergessen, nicht eine Minute, daß ihnen der erste Rang unter den Menschen gebühre. Ihrem Ansehen hat er das Künstlerhaus gebaut, den Prunkpalast, dessen Steine dem Wanderer zurufen, was die Bildnerkunst in München bedeutet. Auch der Geselligkeit sollten sie den Ton geben; drum spornte er die Phantasie und hieß die niemals Müde immer neue Festpläne ersinnen. Von der Künstlermystik aus Oehlenschlägers Zeit, der Künstlerromantik der dreißiger Jahre lebte Etwas in ihm, der sich so gern einen Voltairianer wähnte, weil seinem Ohr der liebe Kirchengott nicht mehr sprach. Sagte ichs nicht, daß seines Wesens Gefäß bis an den Rand mit Widersprüchen vollgestopft war? Ni dieu ni maître, wenns in die Laune paßte; und kein Fäserchen doch von einem Rationalisten oder gar Demokraten. Eine Welt ohne Kirchenpomp und Fürstengepräng wäre gerade ihm unerträglich grau, leer, langweilig gewesen; trotzdem er weder Heiligenbilder noch Staatsaktionen gemalt hat. Und einen verdrehten Zwickel, in heißerer Stunde einen Barbiergesellen hätte er Jeden genannt, der ihm mit der blöden Behauptung gekommen wäre, ein Krupp könne sich auch nur neben einem Piloty sehen lassen. Seinem München gab die Kunstgenossenschaft wirklich den Ton und die Farbe. Alle empfandens; und wenn die Jugend den grimmen Zeus der Luisenstraße sah, seufzte sie: Nec tecum possum vivere nec sine te. Nicht mit ihm: das Amt des Führers hatte er, als es 1892 zur Sezession kam, rund abgelehnt; nicht ohne ihn: am herrlichsten Rumpf vermißt der Betrachter das Haupt mit dem leuchtenden Auge. Nein. Die Jugend hat gewiß nicht aufgeathmet, als der Tyrann endlich hinsank und der Thron frei ward. Von Uhde bis zu den Jüngsten kein Einziger. Keiner, der sich dem Stand zugehörig fühlt. Alle wußten: Wenns um die Kunst geht, ist der Franzl stets auf dem Posten. Was er für die Gilde that, werden selbst die Opfer seiner Spottsucht ihm niemals vergessen.


Des Malers Schicksal hat sich vor vierzig Jahren entschieden. Der einundzwanzigjährige Schüler Pilotys hatte in den Freistunden fleißig Wirthshausschilder, Marterln, Scheibenbilder, auch wohl den heiligen Herrn Joseph für eine Kirchenfahne gemalt und im oberbayerischen Heimathbezirk so das Sümmchen zusammengescharwerkt, das ihm gestattete, den Lehrer ins Römerland zu begleiten. Da wirkte zunächst die heiße Fülle der Natur auf das Kind einer kälteren Zone. Herrgott: Der Himmel! Wer den so, sammt dem großen Gluthlicht, auf die Leinwand zwingen könnte! Franz Lenbach versuchts; verläßt sich dabei, wie Courbet, von dem er nichts weiß, wissen kann, nur auf seine gesunden Sinne und Kräfte, nicht auf Phantasietrug und akademische Muster: und es gelingt. Der »Hirtenknabe«, der in der Schack-Galerie hängt, gilt Alten und Jungen längst als ein Meisterwerk. Hochsommermittag. Man glaubt, unter einem Sonnengedröhn das Gras, die Blüthen, den Landstraßenstaub, Libellen und Schmetterlinge zittern zu sehen. Der junge Hirt liegt auf dem Rücken, die linke Hand überm Auge, und räkelt sich in sattem Wohlgefühl. Kein klassischer, kein romantischer Hirtenknabe; Preller, Lessing, Schirmer hätten ihn so nicht gemalt. Ein Bengel aus Fleisch und Blut, der in der nächsten Minute aufstehen, dem Hund pfeifen, auf der schmutzigen Hornhaut der Füße davonlaufen könnte; denn dieser Hütejunge Lenbachs hat wirklich eine Schmutzkruste an den Sohlen. Ekelhaft nannte mans und schalt die Ausschweifung eines Realismus, der so rüde Trivialität nicht meide. Lang ists her. Doch muß heute nicht Jeder merken, daß der Jüngling, der mit solcher Wucht die Tatze zu regen, ohne Vorbild so das prallste Licht zu fangen und solchen Körper zu modelliren vermochte, auch als Naturalist, Impressionist recht Ansehnliches erreichen konnte? Wenn er nur wollte. Am Können fehlte es wahrlich nicht. Gustave Courbet, der robuste Bauernsimson aus Ornans, hätte, als er 1869 nach München kam, in dem Oberbayern vielleicht einen Bruder gefunden, wenn Adolf Friedrich von Schack nicht gewesen wäre. Am Neujahrstag 1865 schrieb Anselm Feuerbach aus Rom an seine Mutter: »Herr von Schack hat mir Herrn Lenbach, der so weit ein bescheidener Mann und ein intimer Freund Böcklins ist und bei Schack Alles gilt, quasi zur Beaufsichtigung geschickt.« (Die Intimität mit Böcklin endete allzu früh; und der bittere Anselm fand bald »zu viel Absicht« in Lenbachs Bildern, die ihn an »verputzte alte Gemälde« erinnerten.) In dem selben Neujahrsbrief aber stehen die Sätze, die den Gönner hart anklagen: »Ich habe die Festtage allein und ohne Geld zugebracht. Den Künstler viel zu geringem Preis arbeiten zu lassen, ist keine Hilfe und bleibt eine Abhetzerei. Ich bitte, man möge mich als Mann und Künstler behandeln. Man muß mit mir im Geldpunkt nobel sein und ich leiste das Doppelte. Wenn ich meine Bilder zu dem doppelten Preis, wie es vor Gott Recht wäre, verkauft hätte, so wäre Dir und mir geholfen und all diese Schreiberei und Bettelei wäre unnöthig; es ist Schicksal, aber deshalb brauchen wir nicht das Maul zu halten«. Außer Feuerbach hatten schon Genelli, Schwind, Böcklin für den mecklenburgischen Juristen, Dichter, Diplomaten, Literarhistoriker und Höfling gefront. Jetzt witterte der knausernde Maecen eine neue Möglichkeit; er schickte Lenbach, dem die weimarer Kunstprofessur nicht behagt hatte, 1863 nach Italien, 1867 nach Spanien und ließ ihn Giorgione und Tizian, Rubens und Velazquez kopiren. Meisterlicher hat Keiner je Meister kopirt. Wer bei Schack die Venus, den Philipp sieht, mag glauben, hier sei Einer, ehe er den ersten Pinselstrich wagte, ins innerste Seelengehäus der Alten gekrochen, in ihrem Sensorium heimisch geworden. Wie ein Wunder wirkts; das Wunder einer Auferstehung. Als hätte Lenbach von Velazquez und Tizian, von Rubens und Rembrandt, von wem er just wollte, den Sehnerv entlehnt. Kein Rest persönlicher Sehgewöhnung. Nie gab so völlig sich ein Mädchen dem Mann; solches Wunder empfängt nur der Schoß, der in dem Zeuger den Gott verehrt, in brünstigem und religiösem Beben sich der Befruchtung öffnet. Und wer sich so hingab, Jahre lang, behält, bis die Pulse stocken, einen fremden Tropfen im Blut. Lenbach hats erfahren. Seit der Kopistenzeit in Florenz und Madrid hat ihn weder Gebirg noch Wald, nicht Himmel und Meer, Landschaft und Architektur wieder gelockt. Mit mildem Lächeln sprach er vom »Sonnenfanatismus« seiner Jugend. Nur Menschen hat er seitdem gemalt; im Altmeisterstil. Menschenbilder für reiche Wohnräume und kunstvoll belichtete Galerien.

Meister, hat ein Franzose gesagt, darf sich nur nennen, wer Keinem ähnelt. Dann stünde es schlimm um die Alten. Aehnelt Velazquez, der Einsamste, nicht dem Landsmann Zurbaran? Correggio kam von Mantegna und Leonardo. Van Dyck begann als Rubenskopist. Selbst in Tizians Werk sieht das Auge des Kenners die Spur, die Leonardo, Giorgione, Bellini sogar im Hirn dieses Mächtigen ließ. Nach und nach erst erwuchsen sie zur Selbständigkeit, fanden ihre besondere Art der Synthese; Aehnlichkeit aber, Verwandtschaft blieb dem scharfen Blick fast immer sichtbar. Lenbachs Entwickelung scheint anders. Ist in dem Hirten, dem Titusbogen nicht mehr Persönlichkeit als in den später bewunderten Portraits? Mehr vom »Geist der Zeit« vielleicht; nicht mehr von Lenbach. Der war nicht Erfinder noch Naturforscher; seine Phantasie gebar nicht Gestalten, sein nervus opticus reagirte nicht stark auf die Lichtwirkung der Atmosphäre. Der kam aus dem München Ludwigs des Ersten, dem München Schwanthalers, der Propyläen, des nachgekalkten Athenerthumes; und aus der Pilotyschule. Kam nach Florenz, Rom, Madrid und fragte sich, als ein bescheidener Jüngling vom Lande, in staunender Andacht, wo das große Geheimniß solcher Kunst denn vergraben sei. Jeder muß so fragen, der nicht den Stein der Weisen oder die Kappe des Modenarren im Handkoffer mitbringt. Saal an Saal, kein leeres Fleckchen; und Alles mindestens als Handleistung würdig der Meisterehre. Hängt die längst Verschollenen nur zwischen moderne Bilder und prüft redlich den Unterschied! Und da draußen wollten sie von vorn anfangen, geistlose Natur nachpfuschen und hieltens für eine Errungenschaft, wenn ihnen zu zeigen gelang, wie die Atmosphäre auf den eigenen Lichtton der Gegenstände wirkt? Albernes Gedünkel. Wollen froh sein, wenn wir je wieder dahin kommen, wie die Alten zu malen. Courbets Einfluß begann. Was schon dran lag, Steinklopfer richtig zu malen, ein Bauernbegräbniß, einen Weiher, Marktvieh, häßliche Frauenzimmer! Malt Menschen – Lenbachs Weltempfinden war immer anthropocentrisch –, Menschen, die der Mühe werth sind; geistvolle Männer und schöne Weiber. Doch man verkriecht sich nicht ungestraft in ferne Jahrhunderte. Dem Dreißiger, der aus dem Prado, den Uffizien, dem Pittipalast heimkehrte, gefiel sein Deutschland, das ganze Europa nicht mehr. Schlote, Asphalt, Fracks, Hosenuniform, Plättkragen und ausrasirte Bärte. Mit den Frauen gings noch; der farblose, formlose Sackpaletotmann war ihm ein Gräuel. Am Liebsten hing er ihm irgend was Altmodisches um; wenigstens einen Pelz. Einen sah er als Kardinal, den Anderen als halslosen Judenheiland auf dem Tuch der Veronika. Auch die Häuser, Stuben, Möbel ärgerten sein Auge. Zwischen Marmor und dunklem Gold wollte er wohnen, über Mosaikboden schreiten, seinen Rock in einen geschnitzten Florentinerschrank hängen; einen in München anno 1880 oder 90 gemachten Gehrock. Da klaffte ihm kein Spalt. Renaissancebauten! Wenn auch kein Renaissancemensch drin lebt. Der Kluge schien nie zu begreifen, daß der Wesensinhalt die Form schafft, der Geist sich den Körper baut. Er hätte den Münchenern gewiß gern eine Bauordnung und ein Kleiderreglement aufgezwungen. Das war die gefährlichste Frucht, die er vom Arno und Manzanares heimbrachte. Er haßte das Gewand seiner Zeit, wollte sie ins Fremde vermummen; und hat nie auch nur versucht, im Kleid modernen Lebens Schönheit zu finden.

Und fand sie doch auf den ersten Blick in den Köpfen moderner Menschen. Wie dumm ists, ihn Kopisten zu schelten! Technik hat er nachgeahmt, nie, seit er das Kopiren, den Schackdienst aufgab, aus Anderer Geistesbesitz gezahlt. Zwei so verschiedene Dinge soll der Gerechte nicht verwechseln. Auch den Mann, der sich, ohne innere Klarheit freilich, ins Haus und Kleid kräftigerer, stolzerer Tage zurücksehnte, nicht zu den Kitschern und Maskengarderobiers werfen. Es war ein feiner Einfall Tilgners, Hans Makart, den immer im Farbenrausch schwelgenden Sohn eines gepuderten, betreßten Hoflakaien, im Festzugskostüm auf die helle wiener Straße zu stellen; eine monumentale, nicht lieblose Kritik. Wer aber möchte Franz Lenbach als Venezianer oder Vließritter konterfeit sehen? Ein Bischen Duldsamkeit ziemt auch der Jugend; und unsere Sezessionisten haben schon Glatzen. Lenbach liebte Goldglanz und Perlmutterton, wandte künstliche Mittel an, um seinen Bildern den Schein ehrwürdigen Alters zu geben, putzte die Räume, in denen er ausstellte, mit Truhen und Prunkgeräth, auf daß der Betrachter sich in ein Florentinerschloß oder an die Lagune träume. Nennts Schrulle und sagt, daß er nicht in die Geschlechtsreihe gehört, deren Stammvater Manet war, daß von ihm, der keinen Schüler hatte, nichts Gemeingiltiges zu lernen ist. Nur verschont uns mit dem Gerede, er sei unmodern gewesen, ein Epigone, der den Ahnen nachsprach, nur die Gedanken der Vorfahren hatte, nur Anderer Kinder aufzog.

Menschenbilder, wie Lenbach sie gemalt hat, sind vor ihm nicht gemalt worden; konnten wohl auch nicht gemalt werden. Sie sind nicht so bescheiden, vor der Person so streng sachlich wie die alter deutschen Meister, Holbeins und Dürers; wo Geist sich an Geist wetzt, sprühen leicht Funken auf die Leinwand. Nicht so vornehm ruhig wie die Hofmalerei des Granden Velazquez. Nicht von so lässiger Grazie wie mancher Whistler und Sargent. Nicht so intim wie Leibls Bauern und Liebermanns Elternportrait. Sie geben fast immer nur den Kopf. Tausendmal ward es ihm vorgeworfen. Das Uebrige interessirte ihn eben nicht. Malen konnte ers. Hatte er nicht das Recht, sich den Gegenstand selbst zu wählen? Zu machen, was nur er machen konnte, und sich bei Anderem nicht aufzuhalten? Auch Rodin, der viel stärkere Schöpfer, giebt nur Theile, Glieder, die aus dem unbehauenen Klumpen hervorwachsen. Ihn reizt die Bewegung; den Bayern »das Genie: ich meine den Geist«. Was nicht dazu gehört, mögen Andere machen. Den Schlußband meiner Römergeschichte kann ja ein Gymnasiallehrer schreiben, pflegte Mommsen zu sagen. Wenn Lenbach seine Portraits mit pedantischer Sorgfalt ausgeführt hätte, wäre nicht ein Drittel fertig geworden. Das wäre kein Unglück? Mag sein. Nur soll man nicht schwatzen, er hätte es nicht gekonnt. Er war unersättlich, wollte Jeden, in dem er was Eigenes witterte, vor der Palette haben, das Tröpfchen besonderen Saftes herauspressen, den persönlichen Charme hübscher oder fein welkender Frauen fortleben lassen. Da hieß es, eilen und sich mit Kleinigkeiten nicht lange abgeben. Einer, der nur Maler ist, etwa, wie Whistler, im Portrait einen aparten Farbenreiz sucht, würde niemals so denken. Für Den giebts keine Kleinigkeit; für den schlichten Malersmann auch nicht die Frage, ob eine fromme Einfalt oder ein Helmholtz vor ihm sitzt. Als Böcklin mit Flörke über unseren Herrn von Werner sprach, nannte er ihn »den empfindunglosesten Unteroffizier« und fügte hinzu: »Panoramenmaler. Die Stiefel, die Sporen, die Pflastersteine werden auch noch gemalt, – Alles, was ein commis voyageur sieht, aber ein Maler nicht.« Auch ein Maler, dünkt mich, der nur Maler ist; und deshalb noch lange kein Anton zu sein braucht. Auch Monet hat Pflastersteine gemalt. »Der Böcklin war ein Riesenkerl, aber eigentlich kein Maler«, sagte Lenbach mir; und ungefähr so sagtens Andere wieder von dem Franzl. Nicht ganz ohne Grund. Wer ihn nur als einen Maler beurtheilt, thut ihm Unrecht. Er war sui generis. Psychologe, Historiker, Kritiker. Namentlich Kritiker. Er erfand nichts und schuf doch, bedurfte der Reibung und schlug Feuer aus dürrem Stein. Er schrieb über die Menschen; nicht mit der Feder, wie Lessing über Corneille, Sainte-Beuve über Hugo, Schopenhauer über Hegel, Taine über Bonaparte: dennoch sind diese Schreiber seinem Wesen näher als der Schwarm der Manetjünger. Er wollte die Menschen ausschlürfen und dann berichten, wie der Trunk gemundet hatte. Etwas über die Menschen aussagen. Daß sein Werkzeug der Stift oder Pinsel war, schien uns schließlich Zufall.

Ob seine Aussage objektive Wahrheit gab? So fragen Landgerichtsräthe. Keine Wahrheit ist Allen wahr. Das Auge wandelt sie. Und je stärker das Temperament des Sehers ist, desto kräftiger färbt es den Gegenstand. Ist Schopenhauers Hegel, Taines Bonaparte dem Urbild ganz ähnlich? Sicher nicht. Dennoch leben sie und verdunkeln, trotz dem Professorengeschrei, alle anderen Portraits, die nüchterne Durchschnittsfertigkeit pinselte. In seinen besten Stunden hat Lenbach die Menschheit gezwungen, mit seinen Augen zu sehen. Das vermochten bis heute nicht allzu Viele. Velazquez, schreibt Mengs, hat mit dem Willen gemalt. Auch von dem größten deutschen Velazquezschüler durfte mans sagen. Vor dieser Willensgewalt war keine Rettung. Lenbach nahm den Menschen, der ihm saß, in sich auf, mit Allem, was er von ihm wußte, gelesen hatte, ahnte, ließ ihn von der Zwangsvorstellung im Hirn bebrüten und malte ihn dann, wie er sein sollte, gewiß auch geworden wäre, wenn nicht ein gleichgiltiges Ungefähr die natürliche Entwickelung durchbrochen hätte. Mit Adam verfuhr er so; nicht mit Eva. Es war sein Schicksal, auf Schritt und Tritt sich selbst widersprechen zu müssen. Die Neigung ins Dekorative trübte, wenn er vor schönen Frauen stand, oft dem Psychologen den Blick. Manchmal trank er sich dann einen makartischen Farbenrausch. Die Sinne schwelgten, die Seele, der Intellekt schwieg. Ich muß gestehen, daß mir nur sehr wenige von seinen Damenbildern gefallen. Er paar feine Matronen gehören zu seinem Besten; in denen war die Weibheit schon der Menschlichkeit gewichen. Auch die Duse, aus deren Nervenbündel nie ein sinnlicher Laut kommt, hat er mit klugem Instinkt höchst reizvoll ins Madonnenhafte stilisirt. Spielerinnen, Tänzerinnen, Alles, was leben und lieben läßt, trifft er meisterlich. Die Weltdamen werden ihm leicht animalisch oder theatralisch. Grellrothe Lippen, umränderte Augen und oft Blicke wie aus dem Lupanar; in Dutzenden ein Familienzug müder Sinnlichkeit, die gern wachgekitzelt sein möchte. Wenig Individualität, viel sexe. Fast beleidigend für die lieben Frauen. Die waren aber entzückt, liefen dem Franzl das Haus ein und tätschelten ihn, damit er sie nur ja male. Die Damenköpfe, die er mit Kreide oder Stift auf Pappe nur gerade andeutete, scheinen mir viel feiner. Er war sehr männlich. Am Ende wollte er mit dem Pinsel seine Kritik des modernen Weibgeschlechtswesens geben und war gegen Eva noch unbarmherziger als gegen Adam.

Der mochte sich aber auch in Acht nehmen. In Lenbach war so viel Grazie, Geschmack, Kultur, daß seine klügsten Modelle meist gar nicht merkten, wie er sie erkannt, Anderen kenntlich gemacht hatte. Heyses Seelöwenauge scheint in einer wunderschönen Fleischsauce zu schwimmen; Alles ist weich, knochenlos; adelig, doch schwach; ein sanfter, seelenvoller Schwärmer, dessen Korpulenz sichs gern in einer Poetenpose bequem macht. Björnson ist Theaterdirektor und Pastor, Tribun und Zelot; der prachtvolle Kopf ganz mit »demokratischem Oel« gesalbt. Herr Rudolf Mosse blickt staatsmännisch kühl und will in der Haltung den königlichen Kaufmann markiren; die Beine sind ein Bischen kurz und der Betrachter ahnt, daß der Mann nicht ganz so majestätisch ist, wie er aussehen möchte. Wenn mans so niederschreibt, klingts nach Satire. Keine Spur davon auf Lenbachs Bildern. Der sagt viel subtiler aus. Heyse und Björnson sind, wie in der Wirklichkeit, bedeutende Menschen und echte Dichter, Mosse ist ein tüchtiger, gut gesäuberter Mann. Sacht nur ist das Allzumenschliche angedeutet. Keinen kenne ich heute, der so die ganze Persönlichkeit packt, so rücksichtlos und doch so diskret ist. Da wird nichts verzierlicht noch verniedlicht. Dem Damendante Liszt wird keine Warze, dem bayreuther Meister nicht die schönselige Maestrogrimasse geschenkt; selbst auf den Bismarckbildern nicht der märkische Junker verschwiegen. In Moabit war ein kleines Pappdeckelchen mit Coquelins Kopf zu sehen. Vielleicht in zwanzig Minuten, beim Plaudern, entstanden. Doch in den paar Strichen ist Alles, was von Coquelin in treuer Erinnerung haftet; Figaro und Cyrano, Molières Schelmendiener und Gambettas Freund. Ein unübertroffenes, unübertreffliches Meisterwerk, das einem Blick wiederholt, was sich dem Gedächtniß in Jahren eingedrückt hat. Lessing, glaube ich, wars, der mal gesagt hat, kein Künstler könne geistige Potenzen darstellen, die höher als seine sind. (Daher das ewige Mißgeschick der Genies in genielosen Dramen.) Lenbach konnte über Wilhelm Busch und Coquelin hinaus; sogar über Björnson und Heyse, Gladstone und Döllinger. Bis zu Schopenhauer, Wagner, Leo Pecci und Otto Bismarck. Jeden Geist vermochte er zu begreifen; vor keinem lag er, ein weggekrümmter Wurm, wie der Magister Faust vor dem schrecklichen Gesicht, das sein Bannspruch gerufen hatte.

Fürsten und Denker, Forscher und Poeten: Alle hat er gemalt. Keiner sollte ihm entschlüpfen. Ists etwa nicht der Rede werth, daß dieser vom Genie bediente Wille uns das Bild der in Deutschlands Heroenzeit ragenden Menschen gab? Nicht ein nie laut genug zu preisendes Glück? Als Goethe die Sammlung der portraits historiques von Gérard beschaut hatte, schrieb er: »In Paris als Künstler von Rang anerkannt, malte er die bedeutenden Einheimischen und Fremden. Bei einem sehr treuen Gedächtniß zeichnete er außerdem auch die Besuchenden, die sich nicht malen ließen, und so vermag er uns eine wahrhaft weltgeschichtliche Galerie des achtzehnten Jahrhunderts und eines Theils des neunzehnten vorzulegen.« Und über das Portrait Talleyrands: »Hier sehen wir den ersten Diplomaten des Jahrhunderts ... Wir erwehrten uns nicht des Gedankens an die epikurischen Gottheiten, welche da wohnen, ›wo es nicht regnet noch schneit noch irgend ein Sturm weht‹; so ruhig sitzt hier der Mann, unangefochten von allen Stürmen. Wir mögen hier physiognomisiren und deuten, wie wir wollen, so finden wir unsere Einsicht zu kurz, unsere Erfahrung zu arm, unsere Vorstellung zu beschränkt, als daß wir uns von einem solchen Wesen einen hinlänglichen Begriff machen könnten. Wahrscheinlicher Weise wird es künftighin dem Historiker auch so gehen, welcher dann sehen mag, inwiefern ihn das gegenwärtige Bild fördert.« (In Parenthese: so »kritiklos« begeistert der alte Goethe sich für einen fremden Minister, einen Diplomaten der staubigen Schule, für Deutschlands schlausten Gegner; wer heute bei uns so über Bismarck spräche, hieße, selbst wenn er Mahadöh und Faust geschaffen hättte, ein elender Speichellecker. Wir habens doch weiter gebracht.) Goethes Sätze rühmen noch besser das Lebenswerk unseres deutschen Meisters. Die Vorstellung, wir hätten nur von Winterhalter, Werner, Angeli, Koner und den Tausendsassas aus Ungarn offizielle Portraits, jagt Schrecken ins Gebein. Von Lenbach wird der Historiker lernen. Lenbachs Gemälde werden die Ruhe aller Legenden stören. Wilhelm der Große? Dieser gütige, matte, gar nicht heldische Greis mit dem Gemisch von Wehmuth und Bauernklugheit im Blick? Zwischen Bismarck und Moltke wäre Der groß gewesen, die Beiden Handlanger seines Willens? Dann hätte kein Kanzler den Muth gehabt, dieses Bild in seine Stube zu hängen. Auch die Portraits des zweiten und dritten Kaisers holt der Historiker dann wohl aus dunklen Winkeln; den Bestellern gefielen sie nicht. Friedrich ein schön verwitternder Held mit wundervoll gesträhltem Bart und studirtem Herrscherblick; letzter Akt einer Großen Oper, die nicht von Meyerbeer ist. Friedrichs Sohn wirft den Kopf in den Nacken, als wolle er sein Jahrhundert in die Schranken fordern, zu Aeonen reden, ist aber nicht ganz sicher, ob das Säklum dem Rufe folgt und ob die Aeonen zuhören werden. Und wie ist das tüchtige, doch karge, humorlos klare Römerthum in Moltkes schmalem Bauernschädel getroffen! Dem Marschall hat der Schrobenhauser die Perrücke abgeschmeichelt; Anderen riß er sie mit derbem Griffe vom Haupt und zeigte, was unterm Toupet so lange verborgen ward. Manchmal wars dann nur ein toupet de Nîmes gewesen. Und Lenbach lächelte in den Bart. Mit Eiserner Stirn ist man noch kein Eisenkopf.


Kein kompetenter Zunftbeschauer hat hier gesprochen; ein durch Freundschaft persönlich verpflichteter Laie. Doch der Kunstbeschreiber war nie Lenbachs zuständiger Richter. Der Zünftige mag auf der Kathedra verkünden, Lenbach habe nichts Neues gebracht, keine neue Art, Irdisches zu betrachten, das Licht zu zerstäuben und strahlend, zurückstrahlend die Körper formen zu lassen; mag ihn einen Virtuosen schelten, der als grauer Meisterschüler aus der Reckenreihe Derer von Manet bis Hofmann zu scheuchen sei; mag an jedem Bild unbestreitbare Fehler nachweisen und anatomisch feststellen, daß mancher Bismarckkopf sogar nur ein Lederlappen mit zwei Titanenaugen ist, – mag. Und wenn jedes Bild, ohne Ausnahme jedes, hundert Fehler hätte: hinter all diesen mangelhaften Bildern stünde noch immer ein großer Mensch; und schwerer als Alles, was Einer kann, fällt ins Gewicht, was er als Persönlichkeit zu bieten hat. Ich glaube, daß Lenbach sich selbst nicht für einen im höchsten Sinn großen Maler hielt; mir wenigstens hat er, in fast frommer Demuth, vor seinem Tizian gesagt, er sei »nur so ein Bisserl ein Student in der Menschenthierkunde« und für die Alten nur zum Schuhputzen gut genug. Neben kleinem Dünkel fühlte er sich freilich groß; und wie mir scheint, mit stolzem Recht. Keiner der größten Maler wahrscheinlich; doch gewiß einer der geistreichsten. Und nicht von der Klüglersorte der kalt Geistreichen; der Sehnerv des schärfsten Kritikers saß ihm im Gehirn eines Visionärs. Der Franzl ist mit den Fremdwörtern nie so recht fertig geworden; aber er empfand, verstand, überflog oft noch die einsamsten Geistesfirnen. Wenn er wollte, bezauberte er Jeden. Mit seinem Funkelwitz, seiner bärbeißigen Grazie, seinem Humor, – mit tausend Menschlichkeiten. Keine war ihm fremd; auch die nicht, die nicht gern hüllenlos gehen. Egmont und Vansen, Lorenzo und Aretin, Heinz von England und Sir John: seine Sonne tönte in allen Farben. Er vereinte Manneswürde, Frauenlaunen, Kinderfreude am blanken Unsinn im Spektrum seines Räthselwesens. Schenkte wie ein Fürst der Fabelzeit und aß dann in einer qualmigen Höhle ein Gselchtes. Warf einem Großwürdenträger grobe Hagelkörner an den Dickschädel und umzirpte dann wie ein Himmelstrostbringer ein Straßenmädel, das sich eine Beule geschlagen hatte. Arbeitete Tage lang, Wochen, um für drei Abendstunden einen Maskenball auf die Beine zu bringen. Unberechenbar, sagten die Kühlen; unerschöpflich, unersetzbar jauchzten die Freunde. Ein ganzer, unangekränkelter, nie vom Bourgeoisfirniß berührter Mensch. Und ein Künstler, der mit dem Schöpferwillen des Genies geniale Menschheit in langes Leben rief.

Ruhm und Liebe hat ihn gekrönt. Ich habe ihm Lorber und rothe Rosen aufs Lenzgrab gelegt.


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