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Galliffet.

Auf allen Höhen und Hügeln gallischer Dichtung begegnet, von den Tagen d'Urfés, des Asträazeugers, bis in die Republikanerzeit der Banville, Coppée, Richepin, dem Wanderer der abenteuernde Ritter, dems nie an Witz, immer an Geld fehlt und der stets bereit ist, für eine gute Sache zu fechten und furchtlos mit dem Teufel selbst um eine arme Seele zu raufen. In Hugos Don César de Bazan (der in Deutschland erst bekannt wurde, als er die Operettenbühne erklettert hatte), in Gautiers Fracasse und in den Musketieren des alten Dumas hat sich der Typus, in je nach der Mode verändertem Kleid, dem lustig aufleuchtenden Auge gezeigt; und seit die Romantiker in der Paarung ungleich Geschaffener einen neuen Reiz entdeckt hatten, sah man den fröhlichen Landfahrer mit den leeren Taschen oft auch in ein über Menschenvorstellung edles Jungfräulein verliebt, als ver de terre amoureux d'une étoile, nach Hugos tönendem Wort. Aus dem spanischen Ritterroman, auf dessen Eisgipfel, in erhabener Einsamkeit, Don Quijote thront, stammt dieser Liebling romanischer Phantasie. Und als Herr Edmond Rostand ihm Cyranos Riechkolben und ein dem Modegeschmack angepaßtes Wams gab, jauchzte Allgallien in heller Lust. Endlich sah der Franzos auf seinen Brettern, wo allzu lange Skandinaven und Russen, Sozialisten und Symbolisten geherrscht hatten, wieder den echten Franzen mit dem blanken Degen und der spitzen Zunge, den Idealgallier, der auf Schlachtfeldern und in Schlafzimmern seinen Mann steht. Daß der Herkules von Bergerac so spotthäßlich und zum Liebhaber drum nicht geboren war, schadete ihm nicht; pfefferte noch den Genuß. Vor dieser Gestalt konnte die Nation sich in ihr Heldenalter zurückträumen, dessen letzter Glanzspender, Joachim Murat, in Kalabrien als Hochverräter und Usurpator erschossen ward. Reitergeneral und Boudoirheld: so recht ein Mann für die Gallierlegende. Dreizehnter Vendémiaire und achtzehnter Brumaire, Saint Jean d'Acre und Abukir, Austerlitz und Jena: überall vornan. Daß er den Rückzug von Smolensk nach Wilna leitete und, als König von Sizilien, nach der Schlacht von Leipzig zu den Österreichern überging, hat das Gedächtnis ihm nicht verargt. Murat hat dem Kaiser von Elba aus ja wieder auf den Thron geholfen und bis zum letzten Wank für Frankreichs Waffenehre gekämpft. Und wie viele Schlitzröckchen waren durch das bunte Leben des Gastwirtssohnes gerauscht! In Cahors, der Heimat Gambettas, ragt ihm ein Denkmal. Er blieb der Letzte, dessen Namen solche Leistung der Volksphantasie einprägte. Sein Erbe wurde im Heldenroman D'Artagnan, der berühmteste der drei Dumasmusketiere; in der Alltagslegende des Heeres Gaston Alexandre Auguste Marquis de Galliffet, der 1909, am achten Juliabend,gestorben ist. Ob er wirklich, wie, nicht erst seit der Dreyfuszeit, behauptet wird, von dem Juden Porceret Coulet abstammte, der sich am Ende des sechzehnten Jahrhunderts in der Provence taufen und als Franzosen naturalisiren ließ (Gallus factus: daher der Name Galliffet), ob er seines Stammbaumes Wurzel nur bis zu Joseph de Galliffet ertasten konnte, der im siebenzehnten Jahrhundert, als ein tapferer Flibustierhäuptling, im französischen Westen von Santo Domingo Gouverneur war: seine wahren Ahnen hießen Bayard, Lauzun, Murat, Bazan, D'Artagnan. Ihnen hat er zu ähneln versucht. Im Getümmel vornan, bis an die Schwelle des Greisenalters der Held beschwatzter Weibergeschichten, immer in Schulden und immer ein Epigramm auf der Lippe. Der repräsentative Mann des alten Frankreich (an dem noch das neuste in zärtlicher Andacht hängt). Der nicht seltene Fall, daß ein Lebender sich einem beliebten Literaturtypus anzupassen trachtet. Einzelne Wesenszüge der Abenteuerritter brachte Galliffet wohl aus der Wiege mit; doch er wollte alle haben und frisirte sich, bis er den Kopf der bewunderten Vorbilder hatte.

Vor Aller Augen; an dem Schaufenster, vor das die Menge sich drängte. Je mehr über ihn geredet wurde, um so behaglicher fühlte er sich; schlürfte die boshafteste Anekdote wie Nektar. Fiel den Anderen nichts ein, so suchte und fand er selbst was. Der 1830, im Jahr des Romantikertriumphes, Geborene kennt seine Landsleute und weiß, daß Theophil Gautier, trotz dem Fortunio, den Emaux et Camées, dem Capitaine Fracasse, ohne die leuchtende Sammetweste nicht so rasch berühmt geworden wäre und daß einem französischen Kriegsmann, der populär sein möchte, nichts so nötig ist wie der panache, der ihn im dichtesten Gedräng dem Auge von Weitem erkennbar macht. Dafür sorgt er denn auch, in Afrika und der Krim, in Italien und Mexiko. Ist bis zur Tollkühnheit tapfer; vergißt nachher aber nie, zum Herold seiner Taten zu werden. »Bei Puebla reißt mich eine Granate vom Gaul. Als ich zu mir komme, sehe ich meine Eingeweide aus dem Bauch quellen. Was ist dabei? Einem Jagdhund, dem ein Eber den Bauch geschlitzt hat, stecken wir die Kutteln wieder hinein und nähen die Haut dann zu. Also vorwärts! Zuerst krabbelte ich mich auf, stopfte die Eingeweide in meine Mütze: und nun los ins Feldlazareth. Der Bauch wurde nachher mit einer Silberplatte geflickt. Als der Silberpreis ins Bodenlose sank, haben meine Gläubiger sich schön geärgert.« Das ist ein Pröbchen. So sprach er; schrieb er auch. »Ich habe ein Bombenglück gehabt. Wenn sich mir wieder eine Gelegenheit bot, dachte ich jedesmal: die Anderen müssen doch zum Riesenrindvieh gehören! Schließlich taugte ich nicht so viel mehr als sie; aber ich hatte Glück, witterte die Gelegenheiten und wußte stets, wohin ich gehen müsse. Deshalb lassen alle Redereien und Schimpfereien mich kalt wie eine Hundeschnauze. Ich tue meine Pflicht und pfeife auf Alles, was mir dabei passiren kann.« Mußte solcher Reiter sich nicht in die Volksgunst betten? Wenns drauf ankam, ein ganzer Kerl (die Attaque bei Sedan; die eiserne Henkersfaust gegen die Communards); und nach dem Frankfurter Frieden der Hort und die Hoffnung, der Drillmeister und Tröster des geschlagenen Heeres. Nicht ohne Grund hat ihn der Herzog von Aumale dem Montmorency verglichen, der Herzog von Luxemburg und Marschall von Frankreich hieß, vom Volk aber, weil er aus der Franche-Comte und aus Flandern so viele Fahnen heimgebracht hatte, der Tapezirer von Notre Dame genannt und, trotz seiner skrupellosen Wüstheit, vergöttert wurde. Feldsoldat und Lebemann, Heros und Gassenjunge, die Zunge beim Angriff so flink wie der Gaul: Das gefällt dem Franzosen; noch mehr der Französin. Die Schönen der republikanischen Gesellschaft waren in den Armeeinspecteur noch eben so vernarrt wie Eugenie einst in den Ordonnanzoffizier ihres Louis. Irgendein Herzkämmerchen hatte der Marquis auch immer frei. Mit der Bänkerstochter (Fräulein Laffitte) die er, nach dem Muster des zweiten Fürsten von der Moskwa, heiratete, um sich auf seine Art eine Finanzreform zu sichern, hielt er nicht lange aus; und der gesetzlose Weiberreigen währte dann länger, als dem Durchschnitt die Mannheit erlaubt. (Eine Weibersache hat ihn auch dem grimmen Rochefort verfeindet. Feindschaft, die ins Politische übergreift und neue Parteiung wirkt, ward oft in einem Alkoven geboren; modernstes Beispiel: King Edward und Sir Charles Beresford.) Ein kleines Wunder, daß dieser abgehetzte Schürzenjäger im Drang niemals die ruhige Sicherheit des Blickes verlor; noch in Algerien und später als Manöverkommandant so frisch und beweglich war wie der jüngste Lieutenant. Auch so bereit, über den Vordermann, wie über ein anderes Hindernis, nach kurzem Ansatz wegzuspringen. Sein Haß hat den Demagogen André eben so hitzig verfolgt wie den gaukelnden grand général Boulanger. »Der«, prasselte es von seiner Lippe, »darf nicht ans Ziel. Ein Infanterist, der zu Pferd schlecht aussieht. Und für die Rolle, nach der er langt, war ich geschaffen.« Der sollte sie ihm nicht wegschnappen. Wenns nach ihm gegangen wäre, hätte man den Paradegeneral vom Rappen geholt und, nach kriegsgerichtlichem Spruch, an der nächsten Mauer erschossen.

Die Bonaparterolle, von der Beide auf dem Marsfeld und hinter dem Invalidendom träumten, hat auch Galliffet nicht gespielt. Nur, ein halbes Menschenleben lang, Maske, Kostüm und Requisiten vorbereitet. Und am Abend vielleicht bitter bereut, daß er an die Inszenirung so viel Zeit verschwendet habe, statt das Drama beginnen zu lassen. Der Mann sah wohl stärker aus, als er war; und wenn der in heftigen Wehen sich windende Schöpferwille spürte, daß er nichts Rechtes gebären könne, half er sich mit einem Epigramm, einem frechen Scherz über so schmerzhafte Erkenntnis hinweg. (Der Fall Hans von Bülow. Auch Dem war solche Entladung Lebensnotwendigkeit und seine brüsken Spaße wurden fast so berühmt wie Galliffets.) Nach der Commune: »Man wirft mir vor, daß ich die Araber milder als die Pariser behandelt habe. Stimmt. Die Araber hatten einen Gott und ein Vaterland; unsere Communehelden waren stolz darauf, gottlos und vaterlandlos zu sein. Übrigens habe ich das Leben, namentlich das der Anderen, nie sehr hoch geschätzt. Und wenn ich der Mordskerl, den man aus mir machen will, gewesen wäre, hätten die Vorgesetzten mich nicht für den Kommandeurrang der Ehrenlegion vorgeschlagen. Ich hatte aber keine Lust, im Blut meiner Mitbürger ein Bändchen zu fischen.« Als sein Freund Gambetta an neue Diktatur dachte und den Corpsführer ins Geheimnis zog: »Für Krisenzeiten passe ich wie kein Anderer. Die Verantwortlichkeit, die ich ablehnen würde, möchte ich mal kennen lernen. Nur, lieber Freund: als Soldat bin ich stärker als Sie; und lasse Sie ohne Federlesen einsperren, wenn Sie mich langweilen.« (»Darauf bin ich gefaßt«, antwortete Gambetta; »da die Politik Ihnen aber keinen Spaß machen wird, werden Sie mich rasch wieder aus dem Gefängnis holen.«) Als die loi de prévoyance den firnen Fünfundsechziger zum Abschied von der Armee zwang: »So blödsinnige Gesetze konnten nur die Parlamentsidioten beschließen. Als ob ich nicht noch Kraft und Verve für zehn Dienstjahre in mir hätte!« Vier Jahre danach ließ er sich von den Parlamentsidioten ködern. Waldeck-Rousseau brauchte für das Kriegsministerium einen Namen, dem das vom Dreyfuszank desorganisirte Heer vertraute: und Galliffet ließ sich von den Brüdern Reinach zur Annahme des Amtes bestimmen, trotzdem ihm offen gesagt wurde, er sei auserwählt, die Rettung des jüdischen Hauptmanns mit seiner Verantwortlichkeit zu decken. Das graue Leben des verabschiedeten Offiziers, an dem die Schmeichler von gestern mit flüchtigem Gruß vorüberschritten, behagte dem Rüstigen, Betriebsamen nicht, der so lange in den Wonnen der Öffentlichkeit geschwelgt hatte: und so entschloß er sich schnell, der Kriegsminister der dreyfusards zu werden. »Durfte ich die Armee, der mein Leben gehört, ihren schlimmsten Feinden überlassen?« Daß man ihm nachsagte, er habe das alte Semitenherz wieder entdeckt und Josef Reinach (den Rochefort Boule-de-Juif nannte) habe ihn für die Judensache gekauft, kümmerte ihn nicht. Da ers nicht bis zum Generalissimus gebracht und nie ein Heer ins Treffen geführt hatte, wollte er wenigstens Kriegsminister sein. Elf Monate war ers. Saß, ein glitzernder, rasselnder Gallier, neben dem britisch kühlen Waldeck und, trotz dem Metzgerruf, neben dem Sozialdemokraten Millerand im Palais Bourbon auf der ersten Bank. Gab nach dem Spruch von Rennes die Losung aus: »L'incident est clos!« Setzte für alle in den Dreyfushandel Verwickelten die Amnestie durch und nahm den Hohn der Nationalisten und Antisemiten wie Hagelwetter im Herbst hin. »Das gehört nun mal zur Saison.« Dann ward er der neuen Rolle überdrüssig. Dreyfus vom Höchsten Gerichtshofe freisprechen lassen und an der Demokratisirung, der Sozialisirung des Staatswesens mitwirken? So hatte ers nicht gemeint. Wollte nicht immer Armee und Patriotenliga gegen sich, Ausland und Heeresfeinde für sich haben. Rechnete vielleicht auch auf eine Reaktion, die ihren Degen suchen würde. Sicher nicht im Parlament. Nur keine Gelegenheit versäumen! An einem Mainachmittag setzt er sich auf die stramme Hose und schreibt an Waldeck: »Ne pouvant digérer les énormes couleuvres et les crapauds que vous me faites avaler en ce moment, je donne ma démission.« Er hat das Abschiedsgesuch nachher in korrektere Form gebracht. In der ersten Wut aber wirklich von den Nattern und Kröten gesprochen, die er hinunterwürgen solle und nicht verdauen könne. Fand sich zu gut, um als Aushängeschild einer schlechten Firma verbraucht zu werden. Und war drei Tage lang wieder, wie nach Puebla und Sedan, der Held des Tages und das Hauptthema des Boulevardschwatzes.

Im Kriegsministerium habe ich ihn kennen gelernt. Ein ihm befreundeter Akademiker hatte mir vorgeschlagen, mich bei ihm einzuführen. »Sie werden etwas Merkwürdiges sehen; das letzte Exemplar einer aussterbenden Gattung.« Galliffet mußte in der Kammer einem nationalistischen Abgeordneten Rede stehen; hatte aber anderthalb Stunden für uns frei. Da steht der fast Siebenzigjährige. Kaum mittelgroß; schlank und biegsam noch wie eine junge Gerte. Dichte weiße Stoppeln über dem bronzirten Gesicht mit der keck vorspringenden Nase und den lustig funkelnden Flibustieraugen. Die Händchen soignirt wie einer Modedame. Trotz dem Schnurrbart mit den gezwirbelten Spitzen nicht martialisch; mehr Kavalier als Kavallerist. Die elegante Gestalt vom Hauch des Ancien Régime umwittert. Sichtbar (wie bei seinem Todfeind Rochefort in dessen bester Zeit) das Streben, den Marquis und den homme à femmes auf den ersten Blick, erkennen zu lassen. Vom Wirbel bis zur Zehe Edelmann und Salonheld. Und das Plaudertalent des echten Parisers. Das sprudelt wie ein unversiechlicher Born. »Heute muß ich wieder mal vor die Scheibe. Macht nichts. So leicht bin ich nicht unterzukriegen. Aber komische Käuze sind unsere Patrioten. Ihr Kaiser, der mit aller Gewalt die Versöhnung beschleunigen möchte, kennt die Sorte nicht. Wenn er nur den Gedanken aufgäbe, nach Paris zu kommen! Wir hätten ja nichts dagegen. Aber da ist Déroulède, den ich sehr hoch schätze, da sind die beiden Patriotenligen, da ist Herr Rochefort, den jeder Droschkenkutscher liest. Wenn diese Herren Lärm schlagen, haben wir den schönsten Straßenskandal mit unabsehbaren Folgen. Schon deshalb dürfte keine Regirung die Verantwortlichkeit für solchen Besuch auf sich nehmen. Den muß man dem Kaiser ausreden. Wer kanns? Mich hält er vielleicht für nicht ganz glaubwürdig, seit ich im August wider meinen Willen ins Fettnäpfchen geraten bin. Eine wunderliche Geschichte. Erinnern Sie sich der Rede, die er im August auf dem Schlachtfeld von Saint-Privat hielt und die, sozusagen, zwei Fronten hatte? ›Auch der französische Soldat hat tapfer für Kaiser und Vaterland gefochten; und wir gedenken in trauernder Bewunderung all Derer, die, Deutsche und Franzosen, nach heißem Ringen jetzt in ewigem Gottesfrieden am Thron des höchsten Richters vereint sind.‹ Die Rede hat hier nicht gewirkt; wurde eher als peinlich empfunden. Ihr Kaiser muß aber viel davon erwartet haben. Zwei Tage vorher ließ Fürst Münster, der Botschafter, fragen, ob ich ihn am Achtzehnten sehr früh empfangen könne. Gern. Im letzten Augenblick mußte ich absagen, weil ein Ministerrat einberufen war. Der ging doch vor. Als Münster dann kam, war er genirt und beinahe ärgerlich. Der Kaiser, sagte er, habe ihm ausdrücklich befohlen, mir den Text der Rede in der selben Stunde, in der sie an unserer Ostgrenze gehalten werde, vorzulesen; und nun müsse er melden, daß die pünktliche Ausführung des Befehles vereitelt worden sei. Sehr artig; nur ein Bißchen zu romantisch. Seitdem bin ich nicht mehr ganz so gut angeschrieben wie früher. Diese Diplomaten denken immer, Unsereins habe eben so wenig zu tun wie sie und müsse stets zur Verfügung sein. Gerade bei Ihnen sollte mans aber besser wissen; da kennt man die Arbeit, die auf einem armen Kriegsminister lastet. Ihre Armee ist höchster Anerkennung würdig. Sie hat uns geschlagen. Als Franzose, der sein Vaterland liebt, kann ich nie aufhören, dieses nationale Unglück zu beklagen. Doch der Soldat, der Fachmann muß offen aussprechen: Unsere Niederlage war verdient. In Organisation, Strategie und Mannszucht war das deutsche Heer unserem weit voraus und sein Sieg drum kein Glücksfall, sondern eine dem Völkerschicksal abgerungene Notwendigkeit. Wenn die ungeheure Arbeit Ihrer Moltke und Roon fruchtlos geblieben wäre, müßte der Zunftsoldat an seinem Berufe verzweifeln. Warum hatten wir nicht eben so fleißig geschuftet? Warum haperte es in unseren Generalstäben fast überall? Wir hatten unsere Niederlage verschuldet. Und mein altes Soldatenherz freut sich, in allem Patriotenschmerz, der Erfahrung, daß die große Leistung nach Gebühr belohnt worden ist. Die Gerechtigkeit forderte damals Deutschlands Sieg.... Aber verraten Sie mich, bitte, nicht. Sonst wird aus allen Kübeln der Unrat auf mein Haupt geschüttet.«

Das prasselte wie Granatenregen. Keine Spur von Heucheltünche. Eher das Streben, den Fremdling zu verblüffen. Der hatte gewiß noch mit keinem französischen Kriegsminister gesprochen und mußte die Augen aufreißen, wenn er just von Galliffet, dem Abgott seiner Reiter, solches Urteil über das deutsche Heer hörte. Dem witzigen General wäre schließlich auch diese Lebererleichterung verziehen worden. Er durfte, in der Heimat des Herrn Chauvin, sagen, in der französischen Armee genüge eigentlich nur die Musik berechtigtem Anspruch: und die Hörer lachten. Als Ferrys Sturz vorbereitet wurde, lief Galliffet, der damals das Zwölfte Corps führte, in Paris herum und erzählte Jedem, ders hören wollte, daß er der Republik nächstens das Lebenslicht ausblasen werde. Als exécuteur de la volonté nationale, versteht sich. Das Volk sei der Republik satt und würde sich laut für die Monarchie erklären, wenn es nicht fürchten müßte, daß Deutschland darin den casus belli sehe. Ein antirepublikanischer Artikel in der Kölnischen Zeitung: und die Wahlen bringen eine konservative Kammer. Dieses Stichwort rufe ihn aus der Coulisse. Er werde die frechsten Republikaner henken, die Preßfreiheit abschaffen und mindestens anderthalb Jahre ohne Parlament regiren. Dann erst könne Frankreich den Liberalismus und den Regenschirm des Grafen von Paris vertragen. George Monck, der für Cromwell focht, dann dessen Parlament Fehde ansagte und Karl den Zweiten nach London zurückführte, war sein Vorbild. Jeden Anderen hätte die leiseste Andeutung solcher Absicht (über die Hohenlohe als Botschafter einen langen Bericht an Bismarck schickte) vors Kriegsgericht gebracht. Gaston Alexandre Auguste blieb der blanke Degen von Frankreich. Decazes und seine Leute nannten ihn »unseren Monck«; doch er hat für die Restauration der Orleans nichts Wirksames getan und mit all seinem Wortgeknatter nicht erreicht, daß die Politiker ihn je ernst nahmen, Gestern Gambettas Intimus und heute die Hoffnung der Monarchisten; gestern Rebellenschlächter und heute Kollege des Genossen Millerand. Flibustier, wie der Ahn, mit einem Stich ins Taraskonische. Aber Puebla, Sedan und der weithin flimmernde panache: genug für eine Unsterblichkeit, die bis ans Lebensende währt. Nicht länger. In der Legende mag Galliffet weiterleben; die Geschichte wird ihn vergessen. Denn sein Wille zur Macht ward nur von kurzatmigen Knirpsen bedient und von Fortunen drum immer wieder genarrt.


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