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Waldersee.

»Generalfeldmarschall Graf von Waldersee, der allverehrte, rühmlichst bekannte Oberbefehlshaber der verbündeten Truppen in Ostasien aus den Jahren 1900 und 1901, hat seinen Lebenslauf vollendet. Mit tiefer Bewegung werden diese Trauerkunde Oesterreicher und Italiener, Russen und Engländer, Japaner und Amerikaner, Franzosen und ganz besonders alle diejenigen Deutschen vernehmen, die in jener denkwürdigen Zeit begeistert seiner Führung folgten. Noch bis vor wenigen Tagen im Vollbesitz beneidenswerther körperlicher und geistiger Frische, starb er schmerzlos nach kurzem Krankenlager am fünften März zu Hannover im fast vollendeten zweiundsiebenzigsten Lebensjahr. Der Stolz und die Hoffnung der Armee, gleich bewährt im Krieg wie im Frieden, in Rath und That, ein ganzer Mann und überzeugter Christ im Leben wie im Sterben, hat er ein glückliches, an Erfolgen überreiches Leben geführt und nun – in Erfüllung seines Wunsches, in den Sielen zu sterben – auch ein schnelles, harmonisches Ende gehabt. In uns aber wird er fortleben als das Vorbild eines königtreuen, echten Soldaten, eines großen Heerführers, eines edlen Vorgesetzten und eines treuen, allezeit menschlich fühlenden Kameraden«. Diesen Nekrolog schrieb, »im Namen der Offiziere und Beamten des ehemaligen Armeeoberkommandos in Ostasien«, der Generalmajor Freiherr von Gayl, der in Petschili Waldersees Stabschef war. Ein persönlich verpflichteter Mann; dankbares Erinnern an empfangene Gunst färbt dem Blick leicht die Wirklichkeit. Fast jedes Wort des Nachrufes wird von unbestreitbaren Thatsachen widerlegt. Alfred Graf von Waldersee war nicht »allverehrt«, war als Oberbefehlshaber der gegen China vereinten Kontingente nicht »rühmlichst bekannt«, sondern das Ziel unzähliger Witze. Er durfte die Truppen nicht ins Treffen führen: also konnten sie ihm auch nicht begeistert folgen. Seit der Heimkehr kränkelte er, den schon Jahrzehnte lang ein Venenleiden plagte, und hätte die Strapazen eines Feldzuges nicht mehr ertragen. Stolz mochte auf ihn in der Armee Mancher sein; für Keinen aber war er noch eine Hoffnung. Niemals fand er Gelegenheit, sich im Krieg zu »bewähren«. Sein Leben war an Erfolgen, die er ernsthaft erstrebte, nicht überreich, sondern bettelarm. Kein wichtiger Lebenswunsch ward ihm erfüllt; auch der nicht, sich der Nation als »großen Heerführer« zu zeigen. Er war kein Glücklicher, sondern ein Enttäuschter, Verärgerter, der sich selbst in seinen hellsten Stunden mit dem Schein der Macht begnügen mußte. Und er ist nicht in den Sielen gestorben, sondern auf einem Ruheposten, dessen Höhe meist nur Prinzen erklettern. Dennoch hatten fast alle Grabsprüche, die ihm nachgesandt wurden, die selbe Tonfarbe wie der, den Herr von Gayl inseriren ließ. Sogar in Demokratenblättern konnte man lesen, dem Grafen Waldersee sei »in der Geschichte des deutschen Heeres für alle Zeiten ein Ehrenplatz gesichert.« Und der Kaiser schrieb, die Armee habe »mit unbedingtem Vertrauen zu ihm als zu dem berufenen Führer in ernst kriegerischer Zeit aufgeblickt«. Merkwürdig. Als Waldersee, nach nicht einmal dreijähriger Thätigkeit, die Leitung des Großen Generalstabes abgeben mußte und zum Kommandirenden General des neunten Corps ernannt wurde, schrieb der Kaiser, er habe ihn für den Kriegsfall zum Führer einer Armee ausersehen; einer Armee, nicht des gesammten deutschen Heeres. Der damals Achtundfünfzigjährige empfand die Versetzung als capitis diminutio; er wollte nicht in Altona still an der Kette des hohenzollernschen Hausordens liegen, erbat seinen Abschied und konnte, als der Befehl des Kriegsherrn ihn zwang, im Dienst zu bleiben, den Groll so wenig verbergen, daß er von den Generalstabsoffizieren mit den Worten schied: »Seine Majestät hat mich an eine andere Stelle gesetzt; es ziemt dem Soldaten nicht, nach den Gründen zu forschen«. Warum, darf man heute fragen, mußte der »berufene Führer, auf den die Armee mit unbedingtem Vertrauen blickte«, von der Spitze der Ehrenleiter heruntersteigen? Warum blieb er nicht noch zehn Jahre, nicht bis an seines Lebens Ende Generalstabschef? Für diesen Posten sollte der beste Mann doch gerade gut genug sein. Wir müssen annehmen, daß Waldersees Strategentalent 1891 nicht ganz so hoch geschätzt wurde wie 1904. Goethe hat den Tod einen sehr mittelmäßigen Portraitmaler genannt; er liebte die Ausstellung geputzter Leichen, die »Paraden im Tode« nicht und würde lächeln, wenn er sähe, daß die geheiligten Leichenbretter bei seinen Landsleuten wieder in die Mode gekommen sind. So lange, in heidnischer Zeit, der Leichnam in Tücher oder in Totenkähne aus Baumrinde geborgen und ohne festes Gehäuse in den Schoß der fruchtbaren, die eigene Frucht gefräßig verzehrenden Mutter Erde zur letzten Ruhe gebettet wurde, schützte das Rechbrett den kalten Leib vor den fallenden, beschmutzenden Schollen. Und als der Christenglaube mit anderen orientalischen Sitten auch den Brauch aus dem Osten brachte, dem leblosen Körper nach dem Muster der alten Sarkophage ein hölzernes Haus zu zimmern, bequemten die an eine Zeitwende gestellten Germanenstämme sich, wie auf manchem Gebiet, in ein Kompromiß: das Rechbrett, auf dem der Tote zuerst gelegen hatte, blieb auch ferner geheiligt, wurde nun aber, da es nicht mehr als Schutzwehr gegen die Schollen zu dienen hatte, mit Malereien und Inschriften verziert und auf belebten Wegen zur Schau gestellt, damit es den Wanderer an die Toten gemahne und die Gottheit den entflatterten Seelen günstig stimme. In manchem Gau hat sich die Sitte erhalten; im deutschen Süden und in einzelnen Kantonen der Schweiz sieht man noch jetzt Marterln, Laden und Trudenbretter. Ihre Bestimmung ist nicht mehr, dem Seelenheil der Entschwundenen die Gnade der Götter zu gewinnen, denen der Christensinn sich verschließt, sondern, die Thaten theurer Toten späten Geschlechtern zu künden. Da gehts denn oft wie in den Leichenreden der Imperatorenzeit, die weiland Herrn Cicero den Ruf entrissen: Multa eis scripta sunt, quae facta non sunt. Und seit, im Wechsel der Mode, die Presse, mit anderen Pflichten der alten Klerisei, auch das Amt des Leichenredners auf sich genommen hat, ist von der spröden Würde ernst gemeinter und ernst empfundener Trauer kaum noch Etwas zu spüren. Wie einst hölzerne Bretter den Leib, soll Holzpapier nun das geistige Bild des Toten vor beschmutzenden Schollen schützen. Doch die Erde sickert nach und zerlöchert den Holzschliff, den Celluloseruhm. Ists erst so weit, dann wird nicht mehr nach dem Nekrolog, nur nach der Leistung noch gefragt. Waldersee ein großer Feldherr? Mag sein; nur ward ihm nicht beschieden, sein Genie zu erweisen. Und es ist beinahe komisch, immer von einem Mann, der nie einen Kleiderstoff zugeschnitten hat, sagen zu hören, er mache unter allen Lebenden bekanntlich den besten Frack.

Alfred Waldersee hat emsig für seinen Ruhm gesorgt; zu emsig. Daß er den Ehebund mit der Witwe eines Prinzen von Holstein, eines Augustenburgers, schloß, war klug. Er mehrte damit seine Hausmacht, wurde finanziell unabhängig und erlebte das Glück, eine Kaiserin als Nichte seiner Frau begrüßen zu dürfen. Der zweite Erfolg seiner Lebenstaktik war, daß der alternde Marschall Moltke, der selten Einen dicht an sich kommen ließ, ihn gern sah und zum Generalquartiermeister, zum Thronfolger wählte. Waldersees Verhängniß war aber und blieb: daß er nicht warten konnte und immer wieder versuchte, seine knospenden Wünsche am Lampenlicht zu wärmen, um sie schneller zu reifer Erfüllung zu bringen. Er hat manche steile Höhe erklommen, sich oben aber nicht zu halten vermocht. Man sollte von ihm reden, auf ihn nur blicken; und er selbst achtete nicht des jakobischen Rathes, die Zunge zu zäumen. Leicht zu verstehen war, daß dem fähigen Soldaten die schlaffe Friedenszeit lang wurde, daß der im Feld unerprobte Nachfolger Moltkes sich nach einem Krieg sehnte, in dem er beweisen könne, daß die große Erbschaft keinem Unwürdigen zugefallen sei. Doch der Schlaue mußte sich das richtige Augenmaß bewahren und durfte nicht wähnen, ein forscher Lanzenritt werde, wider Bismarcks Willen, die Kriegschance erzwingen. Der Ehrgeiz blendete ihn. Die alte Zeit ging still zu Ende. Jeder neue Morgen konnte die Kunde vom Tode des Kaisers bringen; der Kronprinz war unheilbar krank; nach Menschenermessen mußte Prinz Wilhelm, der Gatte einer Augustenburgerin, bald den Thron besteigen. Der Kampf um die Gunst des neuen Kaisers begann, ehe der Hand des alten noch das Szepter entsank. Schade, daß aus der Geheimgeschichte dieser unruhvollen Tage noch nicht Alles dem öffentlichen Urtheil unterbreitet werden kann. Die wichtigste Aufgabe schien, den künftigen Kaiser von dem ersten Kanzler zu trennen; und im frühsten Stadium dieses Feldzuges hat Graf Waldersee sich als guten Strategen bewährt. Prinz Wilhelm galt als eifriger Soldat, als ein junger Herr, der nicht lange zögern würde, keck nach dem Siegerkranze zu greifen, mit dem die Volkshymne den Herrscher geschmückt sehen will; galt auch als strenggläubig strammer Lutheraner und Verehrer des Hofpredigers Stoecker, dessen sittliche und geistige Größe er sogar vor Töchtern Abrahams enthusiastisch pries. Waldersee wollte auf beiden Feuern kochen. Schon als Generalquartiermeister war er, war die frömmere Gattin eine Stütze der Berliner Stadtmission Stoeckers, für die, in Gegenwart des Prinzen und der Prinzessin Wilhelm, in seinem Haus Propaganda gemacht wurde. Als er dann Generalstabschef war, am ersten Ziel seiner Wünsche, ließ er sich hinter dem Rücken des Kanzlers aus Paris und Petersburg diplomatische Berichte schicken; wie Bismarck oft behauptet hat: um die ruhige Politik des Fürsten beim Kaiser zu diskreditiren. Das Spiel war gefährlich, doch der Preis so hoch, daß man es wagen mußte. Der »Scheiterhaufenbrief', den Herr Stoecker an den Freiherrn Wilhelm von Hammerstein, den Autokraten der Kreuzzeitung, schrieb, hat uns erkennen gelehrt, wie fein damals gearbeitet wurde. Der Hofprediger fühlte, daß Wilhelm der Zweite noch an dem Kanzler hing und offener Kampf mit einer Niederlage der Angreifer enden müsse; deshalb schrieb er: »Merkt der Kaiser, daß man zwischen ihm und Bismarck Zwietracht säen will, so stößt man ihn zurück. Nährt man in Dingen, wo er instinktiv auf unserer Seite steht, seine Unzufriedenheit, so stärkt man ihn prinzipiell, ohne persönlich zu reizen. Er hat kürzlich gesagt: ›Sechs Monate will ich den Alten (Bismarck) verschnaufen lassen; dann regire ich selbst.‹ Bismarck selbst hat gemeint, daß er den Kaiser nicht in der Hand behält. Wir müssen also, ohne uns Etwas zu vergeben, doch vorsichtig sein.« Wir: Das war die Triasformation Waldersee-Stoecker-Hammerstein. Als Stoecker allein übrig geblieben war, mochte er seufzen: Wir waren nicht vorsichtig genug. Wenn nach dem Rezept aus der Pastoralmedizin verfahren worden wäre, hätte der Dreibund länger dauernde Wirkung erzielt. Waldersee konnte die Ruhmsucht, Hammerstein die Parteiwuth nicht zähmen. Die ganze Meute ward losgekoppelt und umbellte den lästigen Riesen. Bismarck ist ein schwächlicher Ritschlianer, ein lauer Laodicäer und äugelt mit den liberalen Feinden des rechten Glaubens. Er behandelt die Sozialdemokratie falsch, die nur mit christlichem Sozialismus zu besiegen ist. Er ist müde, scheut die Anstrengung und Verantwortlichkeit eines Krieges und versäumt die dem unvermeidlichen Feldzug gegen Rußland günstigste Stunde. In der inneren Politik ist sein Allheilmittel das Kartell, dessen Fortbestand das Christenthum, die monarchischen und konservativen Interessen gefährdet. Als Diplomat überschätzt er den Werth unserer Bündnisse und vergißt, daß Deutschland allein stark genug ist, um jeder Koalition die Stirn zu bieten. So ungefähr las mans täglich. Zugleich erfuhr man, daß der Kaiser den Grafen Waldersee jeden Tag sehe, mit ihm im Thiergarten spazire und ihn, nicht einen Vertreter des Auswärtigen Amtes, auf die Reise nach dem Nordkap mitnehmen wolle. Die Kunst des Schweigens hatte der Generalstabschef von Moltke nicht geerbt. Er war der Herold seiner Thaten und plauderte jeden kleinen Erfolg mit unbedächtiger Schnelle aus. Als der Kaiser ihn abholte und mit ihm in die Wilhelmstraße fuhr, um dem Kanzler zum Geburtstag zu gratuliren, war ihm und, bei seiner Redseligkeit, bald natürlich auch seinen Freunden gewiß, daß er für die Nachfolge Bismarcks ausersehen sei.

Daß ers sagte, war unklug. Der Generalstabschef hatte allzu früh seine Batterien enthüllt. Zwar leugnete er, jemals Politik getrieben zu haben: »Ich diene Seiner Majestät als Soldat und bin nicht Parteimann.« Doch als Inspirator der im Militärwochenblatt und in der Kreuzzeitung erschienenen antirussischen Artikel und als Protektor Stoeckers war er bekannt. Und nun holte der Mann im Sachsenwald zum vernichtenden Streich aus. Er ließ über »politisch-militärische Unterströmungen« klagen, die dem ehrlichen Makler des Friedens sein Geschäft erschwerten, von einer dem Kaiser überreichten Denkschrift munkeln, die einen Präventivkrieg gegen Rußland empfehle, unter Berufung auf Clausewitzens »Theorie des Krieges« die Ansicht vertreten, daß der Stratege nur der militärtechnisch geschulte Helfer des dem Volk und dem König verantwortlichen Staatsmannes sein dürfe, dem die letzte Entscheidung über Lebensfragen der Nation stets vorbehalten bleiben müsse, und so deutlich, wie die Umstände es gestatteten, auf Waldersee als den Störenfried weisen. Die Wirkung des Schlages war nicht sofort sichtbar. Als der Abgeordnete Richter im Reichstag fragte, ob der Generalstabschef die Politik des Kanzlers zu durchkreuzen versuche, sprang Herr von Verdy, der Kriegsminister – den Bismarck für seinen Feind hielt –, hastig auf und erklärte jede Verdächtigung dieser Art für frivol. »Es ist beleidigend für die Armee, wenn man ihr überhaupt zumuthet, daß unter uns ein Geist bestehen könnte, der in irgendwelche Opposition zu der Regirung Seiner Majestät zu treten vermöchte«. Die Worte waren behutsam gewählt; schon damals gab es Leute, die meinten, Bismarck »verschnaufe« nur noch und gehöre nicht mehr zur »Regirung Seiner Majestät«. Die stilistische Feinheit des Zornrufes lernte man freilich erst später schätzen. Längst wissen wir ja, daß Waldersee damals wirklich eine der offiziellen feindliche Politik trieb und seine Leute in der Stille gegen Bismarck mobil machte; wenn er nichts weiter sein wollte als des Königs gehorsamster Soldat, brauchte er dem verbummelten Redakteur Hammerstein nicht à fonds perdu hunderttausend Mark zu leihen, dem vielseitigen Journalisten Normann-Schumann nicht beträchtliche Summen zu schenken. Im November 1880 konnte der Staatssekretär Graf Herbert Bismarck nur »aus vollem Herzen« der Erklärung des Kriegsministers zustimmen. Das klang nach Chamade; und der jüngere Bismarck fuhr stracks nach Berlin, schüttelte den hellen Kopf und sagte: »Wenn Ihr den Mann nicht unterkriegen könnt, wärs besser gewesen, ihn ungeschoren zu lassen.« Der Vater hatte dennoch weiter gesehen als der Sohn. Seine Streiche haben Waldersees Hoffnungen geköpft. Der als Frömmler, als Antreiber zum Zweifrontenkrieg Verdächtigte konnte nicht Kanzler werden. Der Ulan hat die Wucht dieser Hiebe empfunden; im Oktober 1894 schrieb er: »Es paßte schon dem Fürsten Bismarck gut, mich als Mucker, Stoeckerianer, schwarzen Reaktionär, Kriegstreiber u. s. w. darzustellen, so daß der Durchschnittsphilister Gänsehaut bekam, wenn von mir die Rede war. Herr von Caprivi gefiel sich darin, in das selbe Horn zu stoßen, und ist mein Ruf unter ihm nicht besser geworden.« So sprach er fünf Tage nach der Ernennung des dritten Kanzlers. Daß er noch einmal ins alte Palais Radziwill einziehen werde, glaubte er selbst wohl nicht mehr. Nach Straßburg wollte er, Statthalter werden; und »es paßte ihm gut«, sich für einen nationalliberalen Mann und überzeugten Exportpolitiker auszugeben. Vorurtheile kannte er nie. 1888 setzte er auf Stoeckers Karte und war Hyperkonservativer von der schwarzen Talarfärbung; 1904 saß er mit dem Theaterdirektor Lindau am Eßtisch des Geheimraths Goldberger, von dem er Empfehlungen an amerikanische Großkapitalisten erbat. 1889 sagte er: »Euer Majestät glorreicher Ahnherr wäre seinem Volk nie Friedrich der Große geworden, wenn er neben sich die Allmacht eines Ministers geduldet hätte«; 1891 stöhnte er in Friedrichsruh über das persönliche Regiment, das einem Staatsmann von starkem Verantwortlichkeitgefühl keinen Raum gewähre. Im August 1900 nannte er sich in einer Depesche an den ihm eng befreundeten altonaer Oberbürgermeister Giese einen »Oberbefehlshaber in partibus infidelium«, verglich sich also selbst den Titularbischöfen, die in akatholischen Ländern keinen Sitz und keine Diözesanthätigkeit finden; bald danach zog er, auf dem Wege nach China, als Triumphator durchs deutsche Land und that, als hinge Heil oder Unheil des Reiches von seinem Wirken ab.

Er konnte die Zunge nicht im Zaum halten. Konnte es, trotz höfischer Gewöhnung, auch nicht, als er in Schlesien die Manöverleistung des Kaisers zu kritisiren hatte. In seinen Nerven zitterte noch der Groll darüber, daß Caprivi, den er spöttisch den genialen Feldwebel zu nennen pflegte, ihm vorgezogen worden war; der fromme Ulan vergaß, daß sein Kaiser aufgehört hatte, sein Schüler zu sein, und es kam vor versammeltem Kriegsvolk zu einer peinlichen Szene. Der Generalstabschef fand seine Autorität vor jungen Offizieren geschmälert, wollte gehen, wurde aber von einem ironisch lächelnden Mund zum Bleiben bestimmt. Nicht lange danach saß er in Altona, wo er im praktischen Truppendienst neue Erfahrungen sammeln sollte. Mit ihm schied sein Adjutant, Major Jahn, und sein Vertrauensmann, Major Liebert, aus dem Großen Generalstab. »Personalwechsel im Interesse des Dienstes.« Allzu oft war geraunt worden, der Mann der verwitweten Prinzessin von Holstein sei der einzige Mensch, der auf den Kaiser Einfluß habe. Zäumt, Ihr Frommen, die Zunge, mahnt Jakobus. Waldersee, Verdy, Stoecker: Alle fielen. Und es war ein karger Trost, daß vor ihnen Bismarck gefallen war.

Dessen Nachbar wurde Graf Alfred nun; Nachbar und Wächter. Der General von Leszczynski hatte dem Entlassenen zu hohe Ehre erwiesen und sich dadurch, trotz seinen Meriten, mißliebig gemacht, Der neue Kommandirende war vorsichtiger. Er kam zwar manchmal in den Sachsenwald, ließ aber von der Schweiz aus durch sein journalistisches Gesinde verkünden, er habe keine persönlichen Beziehungen zum Fürsten Bismarck, und hielt sich streng an die berliner Ordre. Das wurde ihm leicht; denn der Fürst liebte ihn nicht, schätzte ihn nicht einmal als Intelligenz besonders hoch ein und hat wahrscheinlich nie ein intimes Wort mit ihm gewechselt. »Ich habe bei seinen Besuchen immer das Gefühl, er wolle – oder solle – nachsehen, ob es schon Zeit sei, einen schicklichen Kranz zu bestellen. In meiner amtlichen Thätigkeit war ich gewöhnt, bei Tisch, wenn es sein mußte, Jagd- und Ballgeschichten der insipidesten Art zu erzählen; außerdem sorgten Armeefragen und gemeinsame hamburger Bekannte dafür, daß der Stoff niemals ausging.« Beide waren Gegner der zweijährigen Dienstzeit und Beide verkehrten ungefähr mit den selben hanseatischen Patriziern. Waldersee paßte sich rasch dem neuen Milieu an. Keine Spur mehr von altpreußischer Orthodoxie: ein moderner Mensch, der dem Großhandel wohlwollendes Verständniß entgegenbringt. Auch keine Spur mehr von Animosität gegen Bismarck. »So lange der Fürst lebt«, pflegte er zu sagen, »wird es immer zwei Kanzler geben; und der zweite ist nicht zu beneiden.« Er operirte sehr geschickt, stieß nirgends an, war bei den Senatoren eben so beliebt wie in seinem Corps; sprach nur auch dort noch zu viel. Alle paar Monate wurde mir berichtet, was der General wieder ausgeplaudert habe; die sekretesten Dinge. Auch anonyme Briefe kamen, in Spiegelschrift, mit dem Poststempel Altona; kleine und große Bosheiten gegen Caprivi, Hohenlohe, Bronsart und ...

Also spricht in dem goethischen Thierepos der Held: Ich habe mich wieder In die Gunst des Königs gehoben, ich werde, wie vormals, Wieder im Rathe mich finden und unserm ganzen Geschlechte Wird es zur Ehre gedeihn. Er hat mich zum Kanzler des Reiches Laut vor Allen ernannt und mir das Siegel befohlen ... So weit hat es Alfred Waldersee, der ein prachtvolles Fuchsgesicht hatte, trotz allem Mühen nicht gebracht; doch auch nicht das schmähliche Ende gefunden, das der Wolf mit seinen Verwandten Herrn Reineke wünschte. »Ueber und über gesalbt«, schlich er sacht sich in allerhöchste Gunst zurück Zwölfter Gesang: »Reineke neigte sich tief vor dem Könige, neigte besonders vor der Königin sich und kam mit muthigen Sprüngen nun in den Kreis.« Schwarzer Adler, Generaloberst, Generalfeldmarschall, Pour le mérite, Generalinspekteur. Der Mann, der nie ein Heer zu ernstem Kampf geführt hat, ist 1904 unterm Marsmond wie der ruhmreichste Feldherr bestattet worden. Lorber und Holzcellulose ...

Hochgeehrt ist Reineke nun. Zur Weisheit bekehre
Bald sich Jeder und meide das Böse, verehre die Tugend!


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