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Menzel.

Unter Goethes politischen Sprüchen ist einer, in dessen mild spottender Weisheit ernster Sinn heute oft Trost suchen muß; und manchmal auch finden kann. »Ob eine Nation reif werden könne, ist eine wunderliche Frage. Ich beantworte sie mit Ja, wenn alle Männer als dreißigjährig geboren werden könnten. Da aber die Jugend vorlaut, das Alter kleinlaut ewig sein wird, so ist der eigentlich reife Mann immer zwischen Beiden geklemmt und wird sich auf eine wunderliche Weise behelfen und durchhelfen müssen.« Ungefähr eben so, nur aus härterem Herzen, spricht des Dichters Alba zum Grafen Egmont: »Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein Volk bleibt immer kindisch.« Daß ers nicht glaubt, wird Egmonts Verhängniß. Im Kerker noch sieht sein Wahn ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den alten Freund erretten, sieht er der Freiheit des einbrechenden Tages sich fröhlich über gestürzte Mauern entgegensteigen: und das Volk, auf dessen wohlgemeintes Drängen er hofft, drückt sich vor seinem Namen weg, als das liebe Mädchen es mit schwacher Stimme zur Befreiung ruft. Ein Volk bleibt immer kindisch. Freilich wollte unser Dichter zwischen Volkheit und Volk unterschieden wissen. »Jene spricht immer das Selbe aus, ist vernünftig, beständig, rein und wahr. Dieses weiß niemals für lauter Wollen, was es will. Und in diesem Sinn soll und kann das Gesetz der allgemein ausgesprochene Wille der Volkheit sein, ein Wille, den die Menge niemals ausspricht, den aber der Verständige vernimmt, den der Vernünftige zu befriedigen weiß und der Gute gern befriedigt.« Ihn heute noch zu vernehmen, ist nicht leicht. Das Volk lärmt so laut, der Zeitungschreiber (vor dem auch Goethe schon warnte) kirrt mit so schlauer Geschicklichkeit den Kinderinstinkt, daß der erwachsene Wille der Volkheit sich kaum noch Gehör schaffen kann. Wenn es nicht arbeitet, für die Sättigung des Magens, der Eitelkeit, der Geschlechtslust sorgt, guckt das Volk in die Bilderfibel. Da ist der Reiche ein Geizhals und Leuteschinder, jeder Arme ein edler Held. Da tragen die Könige Kronen und Der noch, der sie zu schelten wagt, thuts im Ton des zur Wuth gereizten Lakaien. Da sind Paraden und Schlachten zu sehen, Hochzeiten und Trauerfeiern, Aufzüge jeglicher Art; natürlich auch all die Gräuel, die irgendwo in der Welt geschahen oder geschehen sein könnten. Und im Text steht, was der Beschauer von den abgebildeten Personen und Ereignissen zu denken hat. Daß auf dieser Erde Alles gut oder böse, schneeweiß oder pechschwarz ist. (Nur nicht verrathen, daß es Komplementärfarben giebt, aus w eißem Licht farbiges werden und kein beleuchteter Körper Farben zeigen kann, die in dem einfallenden Licht nicht schon vorhanden waren.) Steht, wen man zu lieben und wen zu hassen hat, wo Bewunderung und wo Verachtung ziemlich angebracht ist. Nichts von der Verschiedenheit der Zonen und Zeiten, Kulturen und Lebensalter; immer noch klingts, als lebten wir in dem undifferenzirten Sechstagewerk des Gartenherrgottes. Wer seinem Interesse gehorcht, wer gar, mit Haeckel, selbst im erhabensten Handeln die tiefe Wirkensspur des Egoismus findet, ist ein Wicht und gehört nicht in die Gemeinschaft der Reinen. Nicht Alle sind fibelgläubig; oft hört man Einen über das alberne Kinderbuch klagen. Nur nicht allzu laut. Der Unzufriedene schweigt auf dem Markt, meidet am Liebsten die laute Gasse, um nicht zwischen Kleinlauten und Vorlauten eingeklemmt zu werden, und drängt den Willen ins stillste Wesensgemach. Draußen empfinge den lästigen Mahner doch nur höhnischer Schimpf. Der? Dem ists Dünkelvergnügen, forderts wohl auch die Schachermachei, wenn er immer was Anderes sagt als der Chor der Verständigen, als verständig von der hohen Behörde Geaichten. Und von Dem laßt Ihr Tröpfe Euch aus fester Gewißheit locken? Solches Schreckgeschrei paßt in die Akustik der Kinderstube. Namentlich der deutschen, die ihre besonderen optischen und akustischen Gesetze, ihre eigenen Spiel- und Moralregeln hat. Unverkünstelte Kinder lehrt der Instinkt, was ihnen nützen, was schaden kann; wir sind stolz darauf, daß wir bei der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten nach Nutzen und Schaden nicht fragen. Auch anderswo giebts dumme und schlechte Zeitungen, nur bei uns aber eine Fibelpresse, die alle Psychologie verpönt, alle Personen aus dem weißen oder dem schwarzen Farbentopf tüncht. Nirgends wird so viel geschwatzt, so fruchtlos die Zeit vertrödelt wie bei uns. Der Reife muß sich auf eine wunderliche Weise behelfen und durchhelfen; und die Volkheit wird sich Gehör schaffen, wenn ihrem Leben Gefahr droht. Das Volk aber, das doch so gut zu wirthschaften, neue Handelswerthe zu rinden, seinen Privatprofit so sicher zu erjagen weiß wie irgendein anderes, scheint sich in kindischer Politiserei recht behaglich, zu ernster Behandlung öffentlicher Vorgänge heute noch unfähig zu fühlen.


Laset Ihr, was nach dem Tode des Meisters Menzel gedruckt worden ist? Den schäbigen Anekdotentratsch und die dumme Mär, in Berlin habe Jeder den Maler gekannt und am Begräbnißtag sei in allen Zügen das Bewußtsein des Verlustes sichtbar gewesen, »den die gesammte Kunst- und Kulturwelt durch den Tod des genialen Mannes erlitten hat«? Daß es geglaubt werden könne, dünkt fast unmöglich. Hundertmal sahen wir den Maler in Frederichs Weinstube, in Jostys Konditorei sitzen; und staunten, daß diesen Zwerg, dessen körperliche Abnormität doch auffallen mußte, nicht mehr Gäste kannten. Von seinem Tod wurde weniger gesprochen als von dem neuen Abenteuer der Gräfin Montignoso. Muß denn immer gelogen werden? Adolf Menzel hat die Freude erlebt, noch ehe es nachtete, den Werth seiner bunten Schöpfung anerkannt und weit über die Grenzen der Heimath hinaus bewundert zu sehen. Ihm ward das Schicksal des Künstlers erspart, dessen »Erdenwallen« der Achtzehnjährige in einem Cyklus von Federzeichnungen beschrieb; unter dem letzten Blatt stehen da die Worte: »Der Baum ist zwar gefallen, aber erst, da er am Boden liegt, übersieht man ganz die Herrlichkeit seiner Fruchtpracht; und über ihm steigt leuchtend das Gestirn des Tages auf.« Für Menzel hat die Mitwelt so viel gethan, daß der Nachwelt fast nichts mehr zu thun bleibt. Populär aber ist er nicht geworden; konnte er auch nicht werden. Sein König hat den Lebenden, der ihm der Maler Fritzens und Wilhelms, ihrer Höfe und ihres Preußenheeres war, eifernd geehrt und dem Toten eine Trauerfeier gerüstet, wie sie auf märkischem Boden sonst nur Fürsten und Feldmarschällen gewährt wird; noch nie wohl schritt, seit Velazquez bestattet ward, ein Kaiser hinter dem Sarg eines Künstlers. Ein Verhältniß wie zwischen Karl und Tizian wars dennoch nicht; und Berlin ist durch Menzels Tod nicht, wie einst Venedig durch Tizians, verarmt. Auch die Reichshauptstadt hat den achtzigjährigen Menzel auf ihre Art »gefeiert« und dem Ehrenbürger in dicken Bündeln Lobsprüche aufs Grab gelegt; doch immer bliebs Rednerei. Vor neun Jahren schrieb mir Theodor Fontane, er habe sich in dem für die »Zukunft« bestimmten Artikel bei Menzels »Kunstthum nicht lange aufgehalten, aber Einiges über den Menschen gesagt, der vielleicht noch größer ist als der Maler; ein ganz grandioser kleiner Knopp. Die furchtbaren Anfeierungen und Ansingungen fallen auf das in all seinen Festen immer so elend abschließende Berlin, nicht auf den kleinen großen Mann. Mein Artikel hat wenigstens drei gute Stellen. Das will ich vorm Richterstuhl der Ewigkeit vertreten, während ich in sämmtlichen Menzelartikeln zusammengenommen noch immer keine drei guten Stellen gefunden habe. Blech, geist- und witzlos vom Anfang bis zum Ende, das Meiste mit der Elle zu messen.« Seitdem haben wirs noch weiter gebracht. In zwei, drei Nekrologen war ja Gescheites, war vielleicht Feines gesagt. Aber die Summe, der Massenchor, das große A der Allgemeinheit, das Alles überschrie, und nach dem ersten Gebrüll dann der Hundetrab der zur Anekdotenjagd losgekoppelten Meute: die stillen Menzelfreunde überliefs. Der größte Maler des Jahrhunderts. Von entscheidender Bedeutung für alle Nachgeborenen. Der preußische Malerfürst. Näher stand dem König Keiner, doch dem Volke schlug sein Herz. Und dieses Volk liebte, jedes Kindermädchen und jeder Schusterjunge kannte ihn, wich ihm ehrfürchtig aus. Und sein Freimuth, sein trutziger Künstlerstolz, seine göttliche Grobheit. Und so weiter. Nirgends ein Versuch zur Differenzirung, ein Bemühen, Grenzen zu ziehen und in der Begrenztheit persönliches Wesen zu zeigen. Wozu? Wer nach berühmtem Leben stirbt, gehört aufs Paradebett. Weg mit den Furchen, den Malen müder, zerquält er, vergrämter Menschlichkeit; Fettschminke decke die Stellen, über die der Pflugschar der Zeit hinging. Wascht die Leiche, balsamirt, parfumirt, frisirt sie, stopft die Backen hübsch straff; und hängt die Lippe, so setzt Zähne ein, daß der Kiefer uns nicht das Putzwerk verderbe. De mortuis nil nisi bene. Schade, daß man dem kleinen Menzel nicht rasch ein paar Schuhlängen ankleistern kann. Doch er liegt ja, steht nicht mehr auf; da merkt mans nicht. Erkennt Ihr ihn denn noch? Gleicht er, unter den papiernen Guirlanden, im Pomp nicht fast schon dem Titanen, den wir gestern beflennten? ... Was thuts? Die Leiche ist schön.

De mortuis nil nisi bene (nicht: bonum): Chilons Mahnung, nicht in unwürdigem Ton über Tote zu reden, wurde in den Fibelrath umgefälscht, von den Toten nur Gutes zu sagen. That Menzel selbst etwa so? Hat sein Stift uns, sein Pinsel flecklose Heroen gezeigt? Seht seinen Fritzen an, seinen Wilhelm, das ganze Gewimmel seiner Menschheit, von Voltaire bis zu den oberschlesischen Eisenarbeitern: sie Alle stehen mit festen Beinen auf unserer Erde und gucken nicht hinters Gewölk; sie Alle sind menschlich und schämen sich nicht, allzu menschlich zu scheinen. Der kleine Jesus sogar, auf dem merkwürdigen Bilde, das fast wie eine Mythenkarikatur wirkt, ist, trotz dem Glorienflimmer, ein altkluges Judenknäblein von Fleisch und Bein. Der kleine Hexenmeister, der dem Erzähler Auerbach selbst, trotzdem die sentimentale Spitzfindigkeit des als Bauer vermummten Sinnirers ihm unausstehlich sein mußte, Artiges zu sagen vermochte (und schon deshalb nicht gar so grob gewesen sein kann), hätte es eher vielleicht mit Voltaire gehalten, der einst schrieb: On doit des égards aux vivants; on ne doit aux morts que la vérité. Eher; auch gegen die Pflicht zu égards hätte er sich vielleicht noch gewehrt. Und dieses Kyklopchen, dieser echte Sohn der Gaea soll nun ins Kinderpantheon? Der Mann, der, wie der andere Preuße aus dem Jahrgang 1815, mit allen Mängeln, ohne alle Retoucheurkunst, im hellsten Licht ausgestellt werden kann?


Das Problem Menzel wurde wohl erst durch intime Kenntniß des Menschen gelöst. Mir war er stets ein unheimliches Räthsel. Ein Riesenschädel auf einen Zwergrumpf gestülpt. Der Kopf eines Gymnasialprofessors, der finster blicken gelernt hat, weil sonst die Schuljungen den Dreikäsehoch nicht recht respektirten? Wenn er die Brille abnahm, wars, mit der Maurerfraise, der Kopf eines alten Handwerkers. Nichts Artistisches; nur auffallend feine Hände. Das ganze Männchen fast zeitlos; zieht ihm einen Zunftkittel, den Rock eines Rathsschreibers an: und es paßt in das Saekulum frühdeutscher Stadtherrlichkeit. In Gang und Haltung noch kein Greis; und Einer doch, den man sich nicht jung denken konnte, beim Liebchen, in den Sauserjahren aufsteigender Säfte; der, wenn man ihn nach Lustren wiedersah, unverändert schien, unveränderlich. Dazu das fabelhafte, aller Schwierigkeit spottende Können und die scharfkantige Persönlichkeit, der doch der letzte Reiz fehlt, die ohne Leidenschaft ist und den Schauenden oft in Bewunderung frösteln läßt. Im sichtbaren Wesen die seltsamsten Widersprüche. Man sieht den trotz festen Sehnen zarten Zwerg, den Achtziger, abends hastig Portionen verschlingen, von denen ein stämmiger Drescher satt werden könnte, sieht die Excellenz, die auf Rang und Titel so stolz ist, zu mitternächtiger Stunde am Kaffeehaustisch zwischen Rennplatzjobbern und Strichgängerinnen schlummern. Hört, daß der Ritter vom Schwarzen Adler kein Hoffest versäumt und zu Haus, bei kaltem Ofen, auf seinem Leiterchen hockt, in Wollenhüllen, wie der Anstreicher in einem Neubau. Daß er die linke Hand durch strenge Erziehung gezwungen hat, ihm so sicher und pünktlich zu Dienst zu sein wie die rechte; daß er mit beiden Händen malt. Ein Maler, den nie der nackte Menschenleib reizte, der nie in Italien war, als er sich endlich dahin aufgemacht hatte, in Verona schon umkehrte, all die Schätze nicht sah, niemals, die Antike und Renaissance unter diesem Himmel gehäuft haben ... Ein Mensch wie andere oder ein Gnom, dems, weil dort unten nichts Rechtes zu schauen ist, hier zu wohnen beliebt?

Zum Richterspruch, ob er der größte Maler des Jahrhunderts war, bin ich nicht berufen; ist mir auch gleichgiltig. Ich weiß nur, daß er nicht so war, wie er auf dem Paradebett scheinen sollte. Nicht Malerfürst, nicht der Freund seiner Fürsten, auch nicht der Trutzige, der immer das schroffste Wort sprach und schwächliche Kompromisse verschmähte. Paul der Dritte schrieb aus dem Vatikan an Tizian anders als Wilhelm der Zweite an Menzel. Nie hat der Schlesier mit Potentaten verkehrt wie der robuste Rubens mit Isabella, der bleiche Grandseigneur Van Dyck mit Karl dem Ersten, noch gar Velazquez, in Leben und Kunst der vornehmste, mit seinem Philipp. Fürstlich lebte der König des venezianischen Cinquecento, dem die Wimper nicht zuckt, als der fünfte Karl, Imperator und Rex, ihm den entglittenen Pinsel aufhebt. Fürstlich hat, auf seine Weise, noch Lenbach gelebt. Das war nichts für Menzel. Dem war nur im Engen warm. Seit Jahrzehnten konnte er im Glanze sitzen, konnte ungefähr so viel Geld einnehmen, wie er just wollte; für seine alten Skizzenbücher (in denen, nach dem Zeugniß des Herrn von Angeli, ganze Haufen kleiner Wunder verborgen sein sollen) hätte er leicht wohl Hunderttausende bekommen. Aber den artiste parvenu spielen? Wagen und Pferde halten, ein Haus machen und, um zu zeigen, daß mans kann, hundert langweilige Leute mit Trüffeln und Sterlet füttern? Gräßlich. Er blieb in der Sigismundstraße und stillte seinen Hunger im nahen Stammlokal. Wenn sein König rief, war er da. Ein Glück für die Hohenzollern, daß sie ihn fanden. Er war ihr Mann; eigentlich nur noch der Mann Wilhelms des Ersten, schon nicht mehr Friedrichs, der Theaterausstattung und Coulissenlicht brauchte. Und gerade Menzel hatte das Historienbild enttheatralisirt. Nun war er einmal da, »ein Stolz der Nation«, hatte die Welt gezwungen, die Fritzenzeit aus seinen Augen zu sehen: nun mußte man ihn auch ehren. Höher noch als Antonium von Werner, Pape, Saltzmann und die Buonarottis der Puppenallee. Excellenz (wie Theodor Möller triumphans). Schwarzer Adler (wie Graf Görtz-Schlitz für einen überflüssigen Coligny). Wirklich hübsch und apart (wenn auch nicht im Künstlersinn schön) das fritzische Menzelfest in Sanssouci und die pomphafte Leichenfeier. Ists nicht seltsam, daß Menzel auf seinem eigensten Gebiet so stumm blieb, der kaiserlichen Kunstpolitik nie widersprach, den Geschmack des »wohlaffektionirten Königs« nie auch nur leise zu lenken versuchte? Wie viel Gutes hätte er mit seiner Autorität zu stiften, wie viel Schädliches zu hindern vermocht! Er liebte Klinger, umkreiste eine Stunde lang, fast wie mit frommem Schauder, den Beethoven, für den der Kaiser nur Spottworte hatte: und sah im Thiergarten die steinernen Gräuel entstehen, schien mit einem Melodramenfritz des Herrn Magnussen sehr zufrieden und rührte sich nicht, als unsere feinsten Talente gescholten, boykottirt, in den Rinnstein gewiesen, unzulängliche Pinsler begünstigt wurden, als der Dom, dieser Dom gebaut, der ehrwürdige Weiße Saal, das Hofschauspielhaus fürchterlich »modernisirt«, Schinkels Palais Redern, Knobelsdorffs Opernhaus dem hehren Geist der Zeit geopfert ward. Wo ihn nicht, wie beim wegwerfenden Urtheil über die Nazarener, der stärkste Trieb seines Wesens blendete, war er stets doch ein unbestechlicher Richter, schied sein durchdringender Blick scharf zwischen Echt und Unecht. Einmal, als man ihn, vor der Eröffnung, durch die moabiter Kunstmesse führte, blieb er vor einem Kolossalschinken Beckers,des Senatspräsidenten und Figurinenmalers, stehen, tippte mit dem Zeigefinger auf den Rahmen und fragte, mit der Miene bangsten Zweifels: »War die Jury hier schon?« Er mag Liebermann, den Thronprätendenten, nicht allzu zärtlich geliebt, muß ihn, der Könner und Kenner, aber unendlich höher geschätzt haben als den ganzen Troß der Protegirten. Muß die Gefahr gefühlt haben, die unserer dünnen Kunstkultur heraufzog. Sein Wort konnte hemmen, sein Zeugniß helfen; er schwieg. Nil nisi bonum? Solche Sünde darf an keiner Bahre verschwiegen werden.

Verständlich ist sie. Der Kaiser ließ nach der Leichenfeier den letzten Brief drucken, den er von Menzel empfangen hatte. Der war lehrreich. Aus der Tiefe schickt da ein begnadeter, persönlich verpflichteter Mann seinen Dank auf die steile Höhe, wo Fürsten stehen. Nicht höfisch klingts, gar nicht schranzenhaft; doch man merkt: da wird der Abstand als so unermeßlich empfunden, daß ungeforderte Einrede lächerliche Ueberhebung schiene; daß der Mund nur ausspricht, was dem Kopf abgefragt ward. Dieser Maler konnte zu seinem Kaiser nicht reden wie der alte Schadow zu Friedrich Wilhelm. Die Zumuthung eines Dienstes, der ihm wider sein Künstlergewissen gegangen wäre, hätte er sicher rund abgelehnt. Dreinreden aber, dem Monarchen sich etwa gar zum Magister setzen? Unmöglich; selbst wenn sichs um Lebensfragen der Kunstpolitik handelt: undenkbar. Gerade weil er selbst sich in seine Sache nicht dreinreden ließ. Seine Sache war das Malen und Zeichnen. Das hatte er, der aus der Nothecke des Kleinbürgerthumes kam, mit zähestem Fleiß, ganz auf eigene Faust, gelernt. Das konnte er wie nur irgendwo Einer. Doch sagen, was dort oben, weit oben geschehen soll? Weiß Unsereins denn, wie die Welt von oben aussieht und welche Gedanken auf solchem Gipfel dem Geist aufgehen? Nein. Jeder soll machen, was er zu machen versteht, und der Schuster bei seinem Leisten bleiben. Der Brief klingt kaum anders als der, den im September 1523 Albrecht Dürer »in allerunterthäniger Dienstbarkeit« an seinen gnädigsten Herrn, den Kurfürsten Albrecht von Brandenburg schrieb. Und der Nürnberger dachte von Beruf und Weihe des Künstlerwesens vielleicht höher noch als der Breslauer. »Die Kunst des Malens kann nit wol geurtheilt werden dann van den, die so selbs gut Maler sind. Aber fürwahr den anderen ist es verborgen wie dir eine fremde Sprach. Die groß Kunst des Malens ist vor viel hundert Jahren bei den mächtigen Küngen in großer Achtbarkeit gewesen. Dann sie haben die fürtreffentlichen Künstner reich gemacht und wirdig gehalten. Dann sie bedaucht, daß die Hochverständigen ein Gleichheit zu Gott hätten, als man schrieben findt. Dann ein guter Maler ist inwendig voller Figur, und obs möglich war, daß er ewiglich lebte, so hätt er aus den inneren Ideen, dovan Plato schreibt, allweg etwas Neues durch die Werk auszugießen. Es geschieht oft durch die groben Kunstverdrücker, daß die edlen Ingeni ausgelescht werden.« So stolz hörten wir Menzel niemals sprechen. Der Sohn des breslauer Lithographen war auch darin Realist, daß er die Dinge nahm, wie sie nun einmal geworden waren. Sollte er sie etwa ändern? Das war nicht seines Amtes; wie auf Faustens Schloßwarte der Sänger, nur nicht so fromm noch so rhythmisch, mochte er fühlen: »Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, dem Thurme geschworen, gefällt mir die Welt.« Und mit Dürer rufen: »Der alleredelste Sinn der Menschen ist Sehen!« Einen, der nur sehen und Gesehenes nachgestalten will, kann der Weltlauf nicht ernstlich ärgern; zu sehen und zu gestalten giebts überall und immer genug. Wird ein fürtreffentlicher Künstner nicht würdig gehalten, werden edle Ingeni von groben Kunstverdrückern ausgelescht: sie mögen sich wahren, die Ohren steifhalten und sich durchsetzen. Nie vernahm man, Menzel habe einem Jungen vorwärtsgeholfen. Er hatte es selbst schwer gehabt, in Frankreich früher als in Deutschland Anerkennung gefunden und war hart geworden. Nachhilfe schadet nur. Und gar »Richtungen« protegiren und in die Kunstpolitik pfuschen? Unsinn, wie alles Gerede. Wer was kann, kommt schon ans Licht; um so früher, je stiller er bei seinem Leisten bleibt.


Böcklin hat den Preußenmaler, nicht ohne Bosheit wohl, einen großen Gelehrten genannt. Kein unkluges Urtheil. Menzel arbeitete ja wie ein Gelehrter; ging stets bis zu den Quellen zurück, durchstöberte Archive, Museen, Zeughäuser, plagte sich mit dem Studium alter Exerzirvorschriften und Kleiderordnungen und zeichnete keinen Soldatenstiefel und keinen Stehspiegel, ehe er genau wußte, wie das Ding in Olims Zeit wirklich ausgesehen hatte. Fleiß und Akribie des Gelehrten. Oder des Handwerkers vom alten Schlag. Das Wort scheint hier noch paßlicher. Der rechte Gelehrte macht nicht so Vielerlei, sondern bleibt bei seinem Stoff oder Stoffrestchen, bis alles Erdenkliche daraus gezogen ist. Der helläugige Handwerker ist froh, wenn er sich Abwechselung verschaffen kann. Und Menzel ... Ich muß noch einmal Fontane citiren:

Ja, wer ist Menzel? Menzel ist sehr Vieles,
Um nicht zu sagen: Alles; mindstens ist er
Die ganze Arche Noae, Thier und Menschen:
Putthühner, Gänse, Papagein und Enten,
Schwerin und Seydlitz, Leopold von Dessau,
Der alte Zieten, Ammen, Schlosserjungen
Katholsche Kirchen, italiensche Plätze,
Schuhschnallen, Bronzen, Walz- und Eisenwerke,
Stadträthe mit und ohne goldne Kette,
Minister, mißgestimmt in Kaschmirhosen,
Straußfedern, Hofball, Hummermayonnaise,
Der Kaiser, Moltke, Gräfin Hacke, Bismarck ... Er durchstudirte
Die groß' und kleine Welt; was kreucht und fleucht,
Er giebt es uns im Spiegelbilde wieder.

Ein Handwerksmeister. Wie die alten Künstler; nur ohne den Dämon Buonarottis. Vielleicht der letzte Altmeister der Lukasgilde? Keine Spur von Künstlermystik, von lüdrianischem Zigeunerthum. Alles solid und der Regel gerecht. Nach langer Arbeit der Nachttrunk, reichlich, wies dem braven Mann ziemt; aber nie zu spät aus den Federn. Tiefste Verachtung der Sammetenen, die auf Inspiration, auf Stimmung warten, gute und (meist) schlechte Stunden haben und sich die Werkstatt mit Kostbarkeiten staffiren, um »angeregt« zu werden. Hosenmätze sinds, Gecken und Pfuscher. Wer sein Handwerk gelernt hat, kann immer und überall was Ordentliches leisten. Menzel hatte es gelernt; hat, wie nach ihm bis heute Keiner in Deutschland, jede Technik beherrscht. Das hob ihn über Alle. Mit dreizehn Jahren schon, mit neunundachtzig noch den Zeichenstift in der Hand. Das giebt meisterliche Sicherheit. Wenn jetzt ein Maler oder Meißler Handwerker genannt wird, bäumt er sich. Ists denn ein Schimpfwort? Michelangelo wollte in seinem Käfig nicht mehr sein; war ganz zufrieden, wenn der Besteller ihn Handwerksmeister hieß. Menzel gewiß auch. Sehr stolz, daß in ihm das Handwerk geehrt wurde. Drum vertiefte er sich ins Hofceremonial und probirte emsig, ob er das Festkleid der Adlerritter auch richtig trage. Ein Anderer hätte sich, den Prinzen aus Genieland, über solche Kleinlichkeit erhaben gedunkelt. Er nicht; die vornehmen Herren sollten nicht über den winzigen Handwerker spotten; gerade er mußte vom Kopf bis zur Sohle korrekt sein. Er hat einmal gesagt: »Wir hätten eine bessere Kunst, wenn wir eine bessere Kritik hätten«. Ein Spruch von anfechtbarer Weisheit. Doch sicher hätten wir eine bessere Kunst, wenn unsere Künstler bessere Handwerker wären, sich nicht fast schon schämten, sobald von ihrem Handwerk auch nur geredet wird.

Mancher, der nur den Handwerksmeister sah, hat Menzel die Phantasie abgesprochen. Er brauchte nur die Zeichnungen zu Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen zu betrachten (oder sie gar dem schwächeren Vorbilde, dem von Horace Vernet illustrirten Napoleonbuch, zu vergleichen), um den Irrthum zu erkennen. Das ist nicht nur mit unglaublich sicherer und geschmackvoller Kunst gezeichnet: da spricht aus kleinen Vignetten oft mehr Phantasie als aus Pilotys Tafelbildern und Kaulbachs Fresken. Ein Handwerker großen Stils ist ohne einbildnerische Schöpferkraft ja auch nicht zu denken. In Menzel war sie von einem scharfen Verstande, der nie trunken wurde, gezügelt; von einem Geist, der vor Heroengröße so gelassen blieb wie der Meissoniers (des ihm befreundeten Zwerges) und so witzig, so graziös sein konnte wie der eines Rokokofranzosen. Meisterliches Können, Phantasie, Geist, Humor sogar (der »zerbrochene Krug«, Wagonszenen und allerlei kleines Schelmenwerk zeigen ihn deutlich): was fehlt da noch? Enthusiasmus vielleicht, den Schiller als »unsere erste treibende Kraft« pries. Mir wird, ich muß es gestehen, vor diesen Meisterbildern nicht warm; eigentlich nur vor dem ganz impressionistisch gemalten pariser Theaterbild und dem »Flötenkonzert«, in dessen hörbaren Rhythmus das Licht so entzückend hineinhüpft, hineinkichert. Die Zeichnungen, Vignetten, Adressen, Tischkarten wirken stärker als Oel und Gouache; da ist leise Andeutung, sind manchmal doch Lücken. Die Bilder geben Alles so vollständig, erzählen so viel Anekdotisches, sind von so geistreicher Beredsamkeit, so erschreckend fehlerlos und undiskutabel, lassen der Phantasie des Beschauers, die gern still mitarbeiten möchte, nichts mehr zu thun. Der sie schuf, hat im Grunde gewiß nur sein Metier geliebt. Nichts Anderes. Prozession oder Ballsouper, Verona oder Gastein, brandenburgischer Grenadier oder Rabbi, Eisenwalzwerk oder Courcercle des alten Kaisers: nur die Linie (kaum noch die Farbe) interessirt ihn. Die will er festhalten; und hält sie fest, ohne sich von Emotionen je aus der Handwerksandacht rütteln zu lassen. Vielleicht muß es so sein, könnte eine so ungeheure Sammlung bildlicher Dokumente sonst nicht entstehen. Meissionier, der ihn an Wuchs nicht erreicht, ist ähnlich; Courbet, der Einfluß auf ihn gehabt haben soll, ist anders. Charakter, sagt der ältere Humboldt, wird dadurch möglich, daß Jeder seine Eigenthümlichkeit aufsucht, sie reinigt und das Zufällige absondert. Das hat Menzel früh gethan. Er hat sich eine Persönlichkeit, seiner Kunst einen unverkennbaren Charakter anerzogen. Nie unternommen, was er nicht leisten konnte. Daß er sich an den Preußenfritz machte, war wohl Zufall, die Folge des ersten Auftrages, der den Kleinen aus der Noth riß; nicht aber, daß er so lange bei ihm blieb. Ein Schlesier, aus Wratislaws Stadt, die Friedrich nach Leuthen zum zweiten Mal genommen hatte, in der, als Menzel erwuchs, die Erinnerung an Vandamme, an die Freiwilligen Jäger und den Königsaufruf von 1813 noch lebendig war. Dazu der von Chodowiecki geschaffene Altfritzentypus; die Lust des Kleinen, der im Waffenrock lächerlich gewesen wäre, an kühnem soldatischen Wesen; und die Freude des Rationalisten, in Preußens größtem König, dem einzigen genialen Hohenzollern, einen Verwandten zu finden. Alles paßte hier. Wer vor diesen Bildern und Blättern steht, ist überzeugt: So wars, so sah Fritz, Voltaire, so Macchiavell aus und genau so wurde die Tafelrunde bedient. Die Vignetten in Kuglers Buch und namentlich in Friedrichs eigenen Schriften müßten dem Zweifler selbst die Verwandtschaft der beiden Preußen beweisen. Nur einmal gelang solche Anpassung. Menzels Wilhelm hat uns von seinem Wesen, seiner besonderen Welt nichts Rechtes zu sagen, Bismarck und Moltke bleiben Komparsen und die als Zeichnerleistung wohl unübertrefflichen Illustrationen zur Dorfrichterkomoedie sind Menzel, nicht Kleist. Die Vorstellung aber, das Alles könne Einer ohne Phantasie vollbringen, sei nur Sache unermüdlichen Archivarienfleißes und virtuoser Handfertigkeit, braucht man nicht zu widerlegen. Wir werden Keinen sehen, der eine Krönung, ein Marktgewimmel, ein Hoffest so meisterlich wie Menzel malt; der so klar und sicher über lange Zeitstrecken auszusagen vermag; Keinen vielleicht, der so scharf beobachtet und so fest, in so starrer Selbständigkeit, auf eigenem, selbst errungenem Boden der Mode trotzt. Ists aber nöthig, die Persönlichkeit des Malers nun gleich ins Grenzenlose zu recken, den Zwerg unsanft ins Riesenmaß zu zerren? Ein großer Handwerksmeister, der nur sein Metier geliebt hat, ein Patriarchenleben lang nur sein Metier. Nicht die Natur, nicht den Menschen. In diesen kunstvoll gemalten, nie aufgeputzten Landschaften rauscht es nicht durch die Zweige, sang nie ein Vogel, spricht nicht das Schweigen, dem Böcklins Einhorn lauscht. Dieses Gewimmel giebt fast immer ein Bischen mehr, als es geben müßte; alle Gruppen, die der Stift in verschiedenen Stunden festhielt, werden zum Bilde vereint und die Lust an der absonderlichen Linie verführt leicht zu karikirender Darstellung. Hinter dieser Prozession ragt keine Römerkirche und dieses Walzwerk seufzt nichts vom Leben der Menschen, die drin hausen. Braucht auch nicht, sagt man uns heute barsch; soll nicht einmal: der Maler soll malen können, nichts weiter; das Unglück ist eben, daß Ihr Banausen immer »Seele« und ähnlichen altmodischen Zauber von ihm verlangt. So rückständig, fürchte ich, werden wir noch eine ganze Weile bleiben. Das Handwerk ehren, dem Techniker, der Alles meistert, Reverenz erweisen, gern und dankbar uns auch von Denen belehren lassen, die l'art pour les artistes wollen; unser dummes, sehnsüchtiges Herz aber auch fortan nur den starken Herzen schenken. Den großen Seelen, die uns in ihre Vision zwingen. Das ging über Menzels Kraft. Das hat er auch nie versucht. Er war »inwendig voller Figur«, doch ohne Lyrik, ohne Leidenschaft. Ein großer Lehrer, nicht ein Erzieher. Dem Kamenzer Lessing weit näher als dem Frankfurter Kleist. Seinen Volksmengen, deren äußere Bewegung und Grimasse so meisterlich wiedergegeben ist, fehlt das Temperament; die Leute, die sich um den Wagen des auf den Kriegsschauplatz reisenden Königs drängen, sind im Innersten kühl. Kein Menschenantlitz hat diesen geistreichen Maler je zu psychologischer Versenkung gelockt. Frauenreiz fand ihn vollends blind; wer die berühmten amoureuses nur von Menzels Stift gezeichnet sah, kann nicht begreifen, mit welchen Waffen sie, die Pompadour oder die Barbarina, ihre Siege erstritten. Hat für diesen Mann das Weib nie gelebt? Gings ihm wie Rostands armem Spötter Cyrano, den die Mutter ungern ansah, der sich, aus Furcht, komisch zu wirken, den Frauen fern hielt und spät erst, am Ende des bitteren Narrenlebens, sagen konnte: Une robe a passé dans ma vie? Das mags gewesen sein. Kein Frauenrock raschelt durch dieses Leben. Eros winkt nicht noch dräut. Werkstatt und Schänke sind die Schauplätze. Als Jüngling kein Liebchen, als Mann kein Kind, als Greisender eigentlich kein Heim. Ein duftloses Handwerkerdasein, das sich vor der Welt absperrt und ihr doch kein Geheimniß zu bergen hat. Alles klar und kühl, in Kunst und Leben korrekt und solid. Vielleicht hat dieser wimmelnden Schöpfung nur die Vollmenschlichkeit ihres Schöpfers zur letzten Wirkung gefehlt. Dessen schüchterne Seele wohl, vor weher Enttäuschung bang, sich aus dem Zwergenleib nicht ins Getümmel wagte. Ihr Feinstes hinter einer dicken Schutzkruste versteckt hielt. Die schmerzenden Stacheln nach außen kehrte. Und deren Werk man nun fröstelnd bewundert. Wer weiß? ... Erst die intime Kenntniß des Menschen vermochte das Problem Menzel zu lösen.

Mancherlei aber, dünkt mich, war auch von fern, auch vom Fremden über den Mann zu sagen, der endlich nun Rast hielt. Warum er, gerade so, wie in ihm sich die Kräfte mischten, ins Preußenreich paßte. Paßte und doch nicht populär, nicht der Volkheit vertraut werden konnte wie der andere Borusse aus dem Jahr 1815. Warum der Amusische, dessen Wesenston scharf klang und ohne Innigkeit war, allein bleiben mußte und fast nur Werners aus seiner Saat nachwachsen sah. Wie verschieden er, je nach dem angewandten Handwerkszeug, wirkte: zum Entzücken graziös mit dem Stift und mit dem Pinsel schon als Rüstiger beinahe altmännerhaft. Wie es kam, daß er, lange vor Manet noch, den Reiz des plein air erkannte und ihm doch nichts Rechtes, Eigenes, fruchtbar Fortwirkendes daraus ward. Und ob nach ihm unsere deutsche Malerei Wesentliches gewonnen hat. Vor vierzig Jahren hat er in Koösen badende Knaben gemalt. Ein von Liebermann oft mit bescheidener Meisterschaft behandeltes Motiv. Was giebt das alte Bild nun, wenn mans den neuen vergleicht? Wo stehen wir heute? War alles über Menzel hinaus Versuchte wirklich nur, wie man oft hört, von der Reklame aufgedonnertes Gestümper? Niedergang, was als Fortschritt ausposaunt wird? Hundert ähnlichen Fragen konnten Sachkundige die Antwort suchen. Sie durften nicht. Feine Differenzirung taugt nicht für die Totenfeier. Das aufgebahrte Genie muß grenzenlos sein. Der größte Maler des Jahrhunderts. Die Kindlein, heißts, wollen von Riesen hören.


Im Reich der Künste läßt sichs ertragen. Früh oder spät: eine Wahrheit kommt an den Tag. Die Ernsthaften, deren Gesichtsfeld nicht nur Pechschwarz und Schneeweiß kennt, flüchten aus der Zeitung in die Revuen; und aus der Polyphonie wählt jedes Ohr die Stimme, die ihm behagt. Schlimm ist hier eigentlich nur die Erziehung zur Unaufrichtigkeit, zu heuchlerischer Adoration. Von Allem, was über Menzel gedruckt worden ist, ward beinahe nichts vom Drang der Empfindung hervorgetrieben. Und keine Spur drückt sich ins Gemüth. Immerhin dürfen die feinen Köpfe mitreden. In der Politik müssen sie schweigen oder werden nur halb mit Erbarmen, halb mit Hohn angehört. Hier ist die Nuance verpönt, wird schon der Versuch psychologischer Erkenntniß wie gröbster Unfug geahndet. Public opinion, die gefällige Tante, spricht nur die Kindersprache, veranstaltet, wie im Fröbelheim, Beschäftigungspiele fürs kleine Volk. Ich hielt mich, im Laieneifer, zu lange bei Menzel auf und kann den spielerischen Hang nun, die Kindergärtnerei heute nicht mehr bis ins Einzelne nachweisen. Das ist kein Unglück; auch wenn ich den großen Zwerg falsch sah, keins. Hat dieser Tote uns nicht viel zu sagen? Der Lebende schwieg und blickte zu Lob und Tadel bärbeißig drein. »Mit keiner Arbeit hab' ich geprahlt, und was ich gemalt hab', hab' ich gemalt.« In ihm war der Ernst, der unserem öffentlichen Leben, öffentlichen Meinen verloren ist. Nichts Kindliches, doch auch nichts Kindisches. Was uns an ihm so seltsam schien, war am Ende nur die wunderliche Weise des Reifen, der sich in seiner Zeit behelfen und durchhelfen mußte. Goethe, dessen Trostspruch wieder ins Ohr klang, hat die Mär von dem ephesischen Goldschmied erzählt, der ohne Unterlaß in seiner Werkstatt bei zierlicher Arbeit saß und sich auch von der Windsbraut des Gassenvolkes nicht aufscheuchen ließ, das draußen brüllte: Groß ist die Diana der Epheser! Seinen Knaben ließ er auf den Markt, er aber »feilt immer fort an Hirschen und Thieren, die seiner Gottheit Kniee zieren, und hofft, es könnte das Glück ihm walten, ihr Angesicht würdig zu gestalten.« Auch anders, sagt der duldsame Dichter, kanns Einer halten; nur soll er nicht das Handwerk schänden. Von der Art dieses alten Handwerkers, alten Künstlers war Menzel. Er blieb, was auch auf Markt und Gasse geschehen mochte, bei seinem kunstreichen Streben und hat drum nicht schlecht und schmählich geendet. Er hatte so viel erlebt; multa et multum. Fünf Könige, drei Kaiser. Preußens Elend und Preußens Größe. Die erste Nachwirkung kantischer Lehre und das Geheul ungeweihter Nietzschejünger. Cornelius auf dem Götterthron und bald danach im Exil. Auch ihn mag es einst auf den Markt, ins Breite gezogen haben. Aus seinem Achtundvierzigerbild spricht Parteigeist; leise zwar, doch vernehmlich. Freiheit und Menschenrecht: welchen Dreißiger hätte die Losung nicht gelockt? Früh aber ekelte ihn das unwahrhaftige Treiben. Die Epheser mochten nach Belieben neue Gottheit erfinden. Er kroch nie wieder aus seiner Schale. Sah nur noch und notirte das Gesehene für die Nachwelt. Jetzt hat man ihn für die Parade herausgeschält; und in all dem Leichenjubel nur Eins zu sagen vergessen: daß er seiner unernsten Zeit aus dem Wege ging und von dieser Zeit nie gekrönt worden wäre, just von dieser unernstesten niemals, wenn sie ihn nicht schon im Glänze gefunden hätte.


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