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Kaiserin Friedrich.

Wie von den Eisgipfeln einer fremden Tragoedienwelt wehte es her, als in die schwüle Alltäglichkeit die Botschaft fiel, des Deutschen Kaisers Mutter müsse nun, müsse sterben. Längst war, über ein Jahr schon, bekannt, daß ihrer Lebenstage Dauer nur knapp noch bemessen sei; und im Frühlenz wurde geflüstert, die Leidende werde die Blätter nicht mehr welken sehen. So lange Gewißheit stumpft sonst den Sinn; und daß einer Kaiserin Tochter, die Witwe eines Kaisers und eines Kaisers Mutter zu sterben kommt, hört die Menschheit meist ohne Schauer. Es war auch nicht der Gedanke: Da kämpft ein flackernder Wille wider eine Krankheit, deren zerstörende Kraft er genau kennt, deren sachtes bald und bald schnelles Vorschreiten er unter qualvollem Mühen erforscht, am Lager des Liebsten beobachtet hat. Die Kronprinzessin Viktoria hatte die unzwingbare Gewalt, die völlig noch nicht enträtselte Tücke des Krebsleidens fürchten gelernt und kein kleinster Zug war im klinischen Bild dieser Krankheit ihr fremd geblieben; die Witwe des Kaisers Friedrich sah sich, fühlte sich sterben, mochten die Ärzte ihr hundertmal mit lächelnder Lippe sagen, sie täusche sich über ihres Leidens Wesen. Das zu bedenken, war traurig. Tragisch aber stimmte der Blick auf das Menschenschicksal, das da vollendet ward. Mit der Wucht einer im höchsten, amoralischen Sinn gerechten Tragoedie packt uns dieses Schauspiel: wie ein starker Wille an den Schroffen rauher Wirklichkeit zerschellt. Wer es erlebt, verlernt für eine Weile das Lachen. Und war solchen Schicksals Schauplatz ein Kaiserschloß, umkrallte der Wille der Menschheit große Gegenstände, dann überläufts den Betrachter und ihm ist, als habe sein scheuer Bürgertritt sich in die fremde Schreckenswelt tragischer Dichtung verirrt und als solle er, der kleine Geschäftsmann, in dessen Leben bisher vielleicht ein Bankbruch die tiefste Furche gezogen hatte, zwischen Jokastes das Blut schändendem Mann und Macbeths bleichem Gemahl an der Prunktafel sitzen. Das ist nicht die Stimmung neudeutscher Hochzeitklage, neudeutschen Leichenjubels. An die Heldin des einstweilen letzten deutschen Dichters, der mit dem großen Blick eines ahnenden Auges die Germanenwelt schaute, an Hebbels Kriemhilde wird die Erinnerung wach, an die im schwarzen Witwenschleier einem Gedanken, einem fortschwälenden Wunsch nur Vermählte, die den Tod ihres Gatten starb, dem selben Verhängnis erlag wie der nach dem Sieg friedlich vertrauende Recke ... Doch schon hören wir von Husaren, Gendarmen, Patrouillen, von abgesperrten Gärten, weise ergrübelter Kleiderordnung und befohlener Trauer. Schnell finden wir uns nun zurecht: daheim sind wir, im neusten Deutschland, nah bei Phrasiern und Dekorateuren; die Tragoedienstimmung zerflattert und in wunderloser Welt verlernen geschwind wir das Wundern. Lesen, ohne daß uns die Wimper zuckt, was wir über jede Fürstin und jeden Prinzen, jeden Heerführer und Mandarinen in Nekrologen noch lasen: ausgezeichnet durch die edelsten Eigenschaften des Herzens und Geistes, eine lichte, flecklose Hochgestalt, der Liebe nur, eitel Liebe das letzte Geleite gibt. Sorgsam werden die Male der Menschlichkeit ausgekratzt; und wo eines Menschenfußes tieferer Eindruck nicht gleich weichen will, da wird säuberlich geharkt und aus voller Hand Kies gestreut: de mortuis nil nisi bene. So wird die Semelesehnsucht des Volkes gestillt, nur Götter zu heben. Leider sind die Götter tot; und nach kurzem Weilen in neugieriger Betrachtung scheidet das Volk von ihnen und nimmt nicht einmal ein Andenken mit. Früher wurde ihm an dynastischen Feiertagen, hellen und dunklen, frisch geprägte Münze zugeworfen, die der Vater dem Sohn hinterließ; jetzt streuen an Triumphbogen und Paradebetten die Säckelmeister nur noch abgegriffene, fettige Scheidemünze unter die Menge, – gerade genug, um in der nächsten Schänke das »stille Glas« zu bezahlen. Aus geistloser Vergottung und dem grauen Elend des Bierrausches entsteht keine Tragoedienstimmung. Und dennoch: die Schatten der großen Tragoedienweltdichter lassen sich diesmal nicht so leicht bannen. In ernstem Schwarz drängen die starken Weiber, die dem Hirn der Hellenen, des Angelsachsen und des Friesensprossen entsprangen, an die geputzte Bahre und rufen die tote Kaiserin aus leerem Prunk in ihren gemessenen Reigen. Und Günthers Schwester spricht das erste Wort, die, um im Mann ihrem Trachten das Werkzeug zu schaffen, sich, als Siegfried gemordet war, von Etzel umarmen ließ. Die Frau des Kaisers Friedrich hat ein Kriemhildenschicksal gehabt. Ein Leben lang ward sie, schien sie um ihres einzigen Sehnens Erfüllung betrogen; und als ihr Lebenswunsch wider Erwarten endlich dann doch sich erfüllte, mußte sie sterben.

Kaum sehr verschieden von einer Heunenhorde konnte der Britin das Preußenvolk scheinen, in dessen Hauptstadt Prinz Friedrich Wilhelm sie an einem grauen Februartag führte. Man schrieb 1858, sprach von finsterster Reaktion und hatte stöhnend eben Olmütz erlebt. Ein sehr tapferes, aber noch ganz unkultivirtes Volk, politisch auf der Stufe hilfloser Kindheit, wirtschaftlich unentwickelt, mit dem Ruf unausrottbarer Roheit, zum Hochmut vor dem Fall noch geneigt, doch ohne die ruhige Sicherheit nationalen Stolzes, – ein armes, rückständiges Volk, das der Engländer lächelnd verachtete und dessen hellste Köpfe in blindem Glauben alles Britische anbeteten. Das große Geheimnis war noch nicht enthüllt: noch galt Britanien als Hort der Freiheit, als Heimstätte von keiner Schranke beengten Menschenrechtes. Viel später erst, als Marx gehört war und Bucher aus der Schule des Parlamentarismus geplaudert hatte, kam das Festland allmählich dahinter, daß hier nicht der Freiheit und dem Naturrecht des Menschen ein sauberer, lichter und luftiger Palast errichtet, sondern die dem Bedürfnis einer jungen Industrie und eines alten Weltgroßhandels genügende staatliche Institution geschaffen war, eine neue – oder mindestens modernisirte – Form nur sozialer Knechtschaft; daß nicht Rousseau hier, sondern Hobbes die Geister beherrschte. Damals wirkte der schlaue Zauber der Cobden, Gladstone und Bright noch, war der Bereich des Union Jack noch das Gelobte Land und der Seligen Insel. Und hatte dieses Land nicht wirklich Vieles voraus, von der Magna Charta bis zu den großen Waschschüsseln? Alles mußte der jungen Fürstin in ihrer neuen Heimat mißfallen: die mangelhafte Körperpflege – ein Bad war für den preußischen Bürger im Winter damals ein Erlebnis –, die dem Engländer heute noch auffallende Fülle der fetten, häßlich greisenden Leiber, das niedere Niveau der politischen Erörterungen, die reizlose Armsäligkeit aller Verhältnisse. Wo waren da die Wiesen, auf deren üppigem Grün auch die Kinder der Armut sich fröhlich tummeln und für den Lebenskampf stählen, wo die ganze Tage freiwilliger Muße füllenden Riverfahrten, die Schaaren gut gekleideter, Jahrzehnte lang soignirter Männer und Frauen, die nicht im Hydepark nur, nein, auch in englischen Provinzstädten täglich zu sehen sind, wo im Haus dieser bald brüllenden, bald flennenden Abgeordneten die guten, alten Westminstersitten? Ein kleiner, schmutziger Fluß, enge Straßen mit offenen Rinnsteinen, im Weichbild der Städte selten ein grünes Fleckchen, kleine Kaufleute, die vor jedem Waffenrock scheu den Blick niederschlagen, und ein dem Briten unbekannter Götzendienst vor den Priestern und Küstern sogar des Staates, vor dem ganzen Troß der löblichen und hochwohllöblichen Beamtenschaft. Wie im Lande der Barbaren eine Kulturbringerin, mußte die Prinzessin Viktoria sich fühlen; und so wurde sie von allem in seiner Qual noch nicht völlig verstummten Volk auch begrüßt. Lange hatten die Engländer den Prinzen Albert von Koburg warten lassen, ehe sie ihm die dem prince-consort gebührende Ehre erwiesen, ihm sein fatherland und die kleindeutschen Manieren gnädig verziehen. Und dieses Prinzen Tochter wurde, als sie sich zum ersten Mal der berlinischen Intelligenz zeigte, wie des höchsten Heils Spenderin umjubelt, nicht, trotzdem, sondern, weil sie eine Fremde war, weil sie aus dem Lande der Erbweisheit ohnegleichen, dem Asyl der um ihres Glaubens willen Leidenden, der weltberühmten Riesenfabrik allen Volksglückes kam. Diese inbrünstige Bewunderung der Herrlichkeit Albions einte die politisch geschiedenen Schichten der Hauptstadt. Der irre König war in gesünderen Tagen überselig gewesen, wenn die erlauchte Base ihm einen huldvollen Gruß über den Kanal winkte, und hatte sich als Taufpate in London so beklommen gefühlt wie der kleine Handwerksmeister im Speisesaal des Millionärs. Der Prinz von Preußen hatte als Flüchtling drüben Schutz gefunden und dachte in dankbarem Gemüt des Koburgers, wie eines sehr reichen, sehr weisen Verwandten, der, wenn Not am Mann ist, gütig auch für arme, nicht allzu reputirliche Familienmitglieder sorgt. Und Alles, was auf moderne Bildung Anspruch machte, schwärmte für Großbritanien, das festeste Bollwerk gegen Tyrannenmacht, den selbstbewußt sich sonnenden Walfisch, den im Osten sogar der Eisbär fürchten gelernt hatte, und schob und quetschte sich dicht an den Brautwagen, in dem der Segen einzog. Auf den seidenen Kissen aber saß ein achtzehnjähriges Mädchen, ein englisch erzogenes Fräulein mit gutem Ohr und klarem, nüchternen Auge. Sofort mußte sie fühlen: Hier heischt man nicht Dank dafür, daß Dir der Weg zu einem an Ruhm reichen Thron, dem Thron Fritzens, geöffnet wird; hier stammelt Verzückung Dankgebete zum Himmel hinauf, weil Du, eine Britin, der Angelnkönigin älteste Tochter, die Gnade hast, unter Preußen zu wohnen, in Gnaden verheißest, einst über Preußen zu thronen. Mußte die von solchem Winseln Empfangene sich nicht mit dem ganzen Stolz ihres England umgürten?

Sie tats; und blieb dem Volke immer die »Engländerin«, wie Marie Antoinette den Bewohnern von Frankreich und Navarra immer die Autrichienne gewesen war. Doch die für die Sprache der Tatsachen taube Bewunderung großbritischer Herrlichkeit währte nicht ewig. Auf 1858 folgte 64, 66, 70, auf Olmütz folgte Düppel, Königgrätz, Sedan. Der Nationalstolz der zu unzerstörbar scheinender Einheit zusammengeschmiedeten Deutschen regte sich wieder, nach langem Schlaf, und in einem von Mörchingen bis Memel gesungenen Liede wurde Deutschland »über Alles in der Welt« gestellt. Staunend hörten es ringsum die Völker; keins von ihnen hatte in Singen und Sagen sich je zu solchem Selbstbewußtsein verstiegen. Und nun erwachte auch das Mißtrauen gegen das Fremde, dem jungen Nationalempfinden Gefährliche, gegen Franzosen, Polen, Engländer, Juden. Deutsch wollte man sein, ganz deutsch »bis in die Knochen«; und die Altpreußen, in deren Adern so viel wendisches Blut fließt, geberdeten sich als die Deutschesten der Deutschen. Die Kronprinzessin fühlte mit feinen Nerven das Nahen des neuen Windes; sie wußte, warum sie ihren Mann – der unter vier Augen doch zum Pastor von Bodelschwingh recht harte Worte über Sems Söhne gesprochen hatte – zum strengsten Tadel der antisemitischen Bewegung trieb. Der Boden, der unter dieser Bewegung dröhnte, war auch für sie ein unsicheres Gelände. Sie durfte, gerade sie, nicht dulden, daß der Deutsche nach seiner Abstammung gefragt und gewogen werde; denn sie wollte Engländerin sein, Engländerin bleiben und sah selbst mit geschlossenem Auge die lauernden, zweifelnden Bücke fanatischer Urteutonen auf sich gerichtet. Spricht sie nicht englisch, nennt sich Vicky, den ältesten Sohn William oder Willy? Zieht sie nicht englische Geistliche, Künstler, Gelehrte, Diener in ihre Nähe? Trägt sie nicht Kleider nach englischem Schnitt? Trinkt sie nicht im drawing room Tee, statt nach deutscher Hausfrauensitte in der Guten Stube bei der Kaffeekanne zu sitzen, und läßt von englischen Köchen Cake, Pudding, Jam und Pie bereiten? Sogar der Spargel soll bei ihr grün auf den Tisch kommen; und im ganzen Hause hört man kaum jemals ein deutsches Wort. Und Das ist der Hausstand unseres Fritz, des blonden, blauäugigen Hohenzollern, dem Jeder gleich ansieht: made in Germany ... So ging es von Mund zu Mund; und Böseres wurde in gespitzte Ohren gezischelt. Die liberale Aera hatte einen beträchtlichen Teil der britischen »Freiheit« gebracht, der deutsche Bürger war zu Geld und Ansehen gekommen, er fühlte sich und fing zu fürchten an, die Engländerin könne ihm die Dynastie verderben, die er rein deutsch wolle, wie in ihren nürnberger Jugendtagen. Vergebens mühte die Kronprinzessin sich, als emsige deutsche Hausmutter in Bornstedt, Potsdam, Berlin sich der Menge zu zeigen, in Volksküchen zu klettern, in Bazaren kleine Leute mit volkstümlichen Schlagwörtern zu bewirten, die Tür zur prinzlichen Kinderstube weit zu öffnen und ein angeblich altdeutsches Kunstgewerbe aus der Rumpelkammer zu zerren: der Liebe Müh war umsonst; sie blieb, trotz dem deutschen Vater, den Bürgern der neuen Heimat die Engländerin.

Neben dem ersten Gatten ruht sie nun in der Friedenskirche, die der Lebenden Fuß, seit sie den Witwenschleier ablegte, kaum noch betrat. Was am offenen Sarg verschwiegen ward, darf jetzt gesagt werden. Der Volksinstinkt hat diesmal nicht geirrt: Viktoria von Preußen blieb, auch auf dem Thron des Deutschen Kaisers, die Engländerin. Das soll kein Vorwurf, soll noch weniger Nachwurf oder Herabsetzung ihres Wertes sein. Rühmen muß man vielmehr die Frau, die stark genug war, ihres Stammes Art unversehrt zu bewahren, und klug genug, sich nicht von der nährenden Wurzel zu lösen. Daß Blut dicker als Wasser ist, haben wir in neuerer Zeit oft gehört; doch auch der ganz besondere Saft zeigt sich nach Gewicht und Mischung dem prüfenden Auge verschieden. In dem Ehebund, der Viktoria und Albert vereinte, war die Frau stärker als der Mann, die für den Thron geborene Britin stärker als der unsinnig überschätzte Phrasier aus Koburg, der es so eilig hatte, sich seiner Nationalität zu entkleiden, mit allen Mitteln bewußter mimicry den Peers und Prinzen von England ähnlich zu werden. Das Schauspiel ist leider nicht neu: in Schaaren anglisiren und amerikanisiren sich der Heimat entfremdete Deutsche; Niemand aber sah noch einen Briten oder Yankee, der Deutscher wurde, ein Deutscher auch nur scheinen wollte. Das wird erst anders sein, wenn der Deutsche eine Kultureinheit erworben hat, deren Tradition das ganze Feld seines Empfindens tränkt; einstweilen bleibt er nur da deutsch, wo er sich schroff gegen Fremdes abschließt: in Böhmen und Siebenbürgen, an der Wolga und in den brasilischen Dorfkolonien. Der Kronprinzessin von Preußen war – jeder Blick auf ihre Nachkommenschaft lehrt es – das welfisch-koburgische Vatererbe nicht vorenthalten; doch mit kräftigerem Schlag pochte in ihren Adern das Britenblut. Gewiß meinte sie es gut mit dem Land ihrer Kinder, aber sie sah es von außen, als eine Zugereiste, der keine Schwäche und kein fauler Fleck entgeht, nicht mit der zärtlichen Befangenheit des Eingeborenen, der aus der Mutterbrust Liebe zum Mutterland sog. Und darf man ihr, die 1840 im Buckingham-Palast geboren war, ernstlich verdenken, daß ihr schwer wurde, sich in den Gedanken zu schicken, das Deutsche Reich habe als Staat das selbe Recht, habe auf dem Erdball die selbe Macht wie Großbritanien? Während sie erwuchs, gab es kein Deutschland, keinen faßbaren politischen Begriff, den dieser Name deckte; und Preußens seit Jena verschleierte Stimme wurde in London wie eines lästigen Hündchens Gebell überhört oder höchstens wie eines armen Verwandten Flehen mit Gönnermiene vernommen. Als dann die großen Tage der deutschen Kämpfe kamen und dem blutenden Schoß lange geschiedener Volkheiten unter Kanonendonner das Reich entbunden ward, glaubte Viktoria, auch dieses junge Geschöpf müsse nach den bewährten Rezepten englischer Pädagogie erzogen werden, wie andere Kindlein von einer nursery governess. Das würde ihm frommen, ihm und der Dynastie. Denn die Britin konnte nur lächeln, wenn man ihr sagte, Englands Herrscher seien ohnmächtige Schattenkönige. Sie hatte gesehen, was ihre Mutter vermochte, ob Peel nun, D'Israeli oder Gladstone unbeschränkt die Geschäfte zu führen schien, und wußte, daß seit der Stuartzeit und länger jeder Starke auf Englands Thron, trotz dem parlamentarischen Spuk, sich, seines Wollens Summe, durchgesetzt hatte. Für die Notwendigkeit organischer Entwickelung fehlte ihr, wie den meisten Frauen, völlig das Verständnis. Warum sollte man das Gute nicht nehmen, wo man es fand, warum nicht nach Deutschland importiren, was im Inselreich als nützlich erprobt war? Wie sie zu unheilvollem Leben ein Kunstgewerbe erweckte, das keinem Bedürfnis der Deutschen von heute entsprach, für den »altdeutschen« Tand der Täfelungen, schwer beweglicher Sessel, Schränke, Truhen schwärmte, die in Renaissanceschlösser, nicht in die enge Zufallswohnung moderner Nomaden taugten, so meinte sie auch, das Deutsche Reich britisch möbliren zu können, und bedachte nicht, daß auf dem Boden und unter dem Himmel, wo seit Jahrhunderten Kiefern wachsen, nicht von heute auf morgen Bananenfrucht zu ernten ist. Was wider den englischen Strich ging, ärgerte sie. Weil in England der ehrwürdige Plunderprunk mittelalterlichen Zeremonials stets einen breiten Raum einnahm, wollte sie den Segen solcher Sitte auch dem Land ihrer Kinder sichern. Unlösbar sollte das neue Deutschland dem alten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verbunden sein. Deshalb wollte sie den Kaisertitel, das ganze Gepränge verblichener Kaiserei, eine Krönung im Stil der Elektorentage; deshalb ließ sie den Lehnsherrnstuhl der alten Sachsenkaiser in den versailler Spiegelsaal schieben. Weil in England zwei Parteien, als gleichberechtigte Vertretungen von nobility und gentry, einander in der Regirung ablösen, begriff sie nicht, warum im preußischen Deutschland nicht endlich einmal auch die Liberalen regiren sollten. Sie kannte ja diese deutschen Liberalen; an ihnen, Kaufleuten, Industriellen, Technikern, unbefriedigten Politikern, deren Geschäftstendenz und Mißvergnügen eine Entwickelung nach englischem Muster wünschen mußte, hatte die unter Altpreußen vereinsamte Kronprinzessin die stärkste Stütze gefunden; bei ihnen nur war sie wirklich beliebt, war sie noch nach dem großen Krieg eine Hoffnung. Diese Leute – eine kluge Frau konnte es nicht verkennen – waren der deutschen Krone nicht gefährlich; mit ihnen ließ sich noch bequemer als mit den Junkern regiren; sie würden zufrieden sein, wenn man sie streichelte, und, durften sie nur erst an den Hof, ins Offiziercorps und in die hohen Verwaltungstellen, niemals wider den Stachel löcken. Und waren sie der verärgerten Stimmung unfruchtbarer Opposition entrissen und fühlten, aufatmend, die Wonne, im Rat des Königs zu sitzen, dann war der Bann gebrochen, der seit den vierziger Jahren über dem deutschen Norden lag. Dann konnte von jungen Händen das neue Haus ausgebaut, die Halle geweitet, mit Licht und Luft jeder Winkel gewärmt, erhellt werden; und wo gestern noch morsches Gerümpel trübsälig himmelan ragte, würden morgen sich Wiesen dehnen, so grün wie bei Richmond, so sorgsam gepflegt wie am Fuß des Witwensitzes der Isle of Wight. Die Losung würde dann lauten: Jedem Verdienst seinen Rang, jedem Rechtsanspruch Erfüllung! An die Stelle der sinnlos und nutzlos gewordenen Erbfreundschaft mit rückständigen Moskowitern würde der Bund zweier stammverwandten Nationen treten, in dem England der lenkende Kopf, Deutschland der starke, bewaffnete Arm wäre und dem keines Weißen Zaren Gewalt fortan Etwas anhaben könnte. Dann würde Viktoria an Friedrichs Seite über ein freies, ein in rüstiger Arbeit den Nationalreichtum mehrendes Volk als vergötterte Kaiserin herrschen. Herrschen! Es war die große Hoffnung der politisch ungemein begabten Frau. Im Sinn dynastischer Rangordnung war ihre Heirat keine »gute Partie« gewesen, war die Britin ins Preußenhaus herabgestiegen; doch diese Ehe stellte eine wichtige Aufgabe. England hatte es mit Preußen ja immer sehr gut gemeint, in Georgs wie in Castlereaghs Tagen, beim Rastatter wie beim Pariser Frieden, und meinte es noch zur Zeit der beginnenden deutschen Auseinandersetzung mit ihm gut. Als Friedrich Wilhelm der Vierte, um bei Alberts erstem Sohn, dem jetzigen König von Engelland, Pate zu stehen, mit dem von Cornelius gezeichneten Glaubensschild nach London kam und andächtig in Sankt Pauls Kathedrale kniete, wurde er eindringlich, in magistralem Ton, über seine Pflichten belehrt. Er solle, sagte die Presse, sagte Lord Brougham im Oberhaus, sich an britischer Monarchenweisheit ein Beispiel nehmen und schleunigst die schon vom Vater verheißene Verfassung geben. Solche Sorge für das Wohl der Borussen war rührend; nur sind wir, die den englischen Lärm über bulgarian und armenian atrocities erlebt haben, gar nicht mehr dankbar dafür. Denn wir wissen: England kümmert sich nur um das Schicksal der Völker, die es als Schutzwehr gegen Rußland brauchen zu können hofft; diese Völker will es mit modernen Einrichtungen beglücken und so mehr und mehr dem Moskowitertum entfremden. Preußen, das von den Taten Friedrichs und Blüchers her den Nimbus des Waffenruhmes bewahrt hatte, konnte das Schwert Englands auf dem Kontinent werden; dazu war eine Entwickelung nötig, die den Hohenzollernstaat aus der russischen Freundschaft riß. Noch war, nach Revolution und Reaktion, im Grunde Alles beim Alten geblieben und englische Publizisten konnten spotten, Berlin und Potsdam röchen nach Juchten. Das mußte anders werden, wenn eine Königin britischen Geblütes das Volk aus feudalen Banden befreite. Und lange konnte es nach Menschenermessen nicht währen, bis Viktoria den Preußenthron bestieg. Der König unheilbar krank, der Prinz von Preußen alt und unbeliebt: die ersehnte Stunde mußte bald schlagen. The readiness is all. Friedrich Wilhelm, der ja wirklich bald Kronprinz hieß, mußte von den Anglophilen gestimmt werden, den Stockmar, Bunsen und Genossen, mußte überall sich zu liberaler Gesinnung bekennen und, ob es auch gegen jede preußische Tradition verstieß, offen sich gegen vom Vater verfugte Maßregeln erklären. Er liebte den Prunk: und sollte schlicht bürgerlich scheinen; er war sehr stolz: und mußte herablassend, leutsälig sein. Sollte und mußte. Denn dieser schöne Mann, der Wuchs und Haupt eines germanischen Kriegshelden hatte, war im Verhältnis zur Frau von holder, liebenswürdiger Schwachheit. Sie sein nennen zu dürfen, empfand er als ein unverdientes Glück; ihre Abkunft, ihren Geist, am Meisten wohl ihren unbeugsamen Willen bewunderte er mit früh und spät dankendem Aufblick des sanften Auges; was sie tat, war wohlgetan; daß sie, die beste Gattin und Mutter, verkannt und verketzert wurde, kränkte ihn tief; und um ihr vor der Nachwelt den Maezenatenruhm zu retten, scheute der sonst so selbstbewußte Königssohn nicht die Bitte, Gustav Freytag möge ihr die Romanreihe der »Ahnen« widmen. So herrschte sie im Haus; und das Verhältnis dünkte Viktorias Tochter natürlich, die, wie Maria Theresias glückloses Kind, das Beispiel der Frauenherrschaft von Jugend auf vor Augen gehabt hatte. Und sie wartete, bis ihrem Herrscherwillen der Kreis weiteren Wirkens sich öffnen würde.

Sie verlor ihre Zeit nicht. Die Kinder erzog sie nach ihrem an britisch-koburgischen Mustern gebildeten Wunsch. Das home hielt sie, trotzdem die Mittel knapp waren und der Schwiegervater in Geldsachen keinen Spaß verstand, in vorbildlicher Ordnung. Und geräuschlos schuf sie sich eine Gemeinde, eine Schaar Hoffender, die ihrer Standarte folgten. Den Platz der still frondirenden, leise liberalisirenden Prinzessin, die an keinem Hofe fehlen darf, hatte sie schon besetzt gefunden. Aber Augusta, der »Feuerkopf«, wie ihr Mann sie seufzend zu nennen pflegte, war doch gar zu unmodern, zu kleindeutsch-weimarisch, zu sehr im Bann der üblichen Kronprinzenpolitik. Thronerben – und mehr noch deren Frauen – sind nach dem ersten Blick in die Schwarze Küche der Politik stets von grausem Entsetzen gepackt; sie begreifen nicht, warum es da so unsauber zugehen müsse, und lernen erst allmählich erkennen, daß auch den Völkern ohne zerschlagene Eier kein Kuchen zu backen ist und der Politiker sich begnügen muß, nach Goethes Macchiavallirat hinterdrein die Hände zu waschen. Das hat Augusta unter der Krone rasch eingesehen und seitdem eigentlich nur noch ihrem Groll gegen des ihr verhaßten Ministers Gewalt Luft gemacht; sie war habsburgisch, als Bismarck den Kampf gegen Österreich nicht länger vermeiden durfte, schwärmte für französisches Wesen, als er das Empire niederzwang, und überließ sich katholisirenden Neigungen, als der Kulturkampf den Protestantismus endlich wieder zum Protestiren trieb. Einen festen Regentenplan, eine politische Weltanschauung hatte sie nicht; sie wollte nur mitraten und ärgerte sich leicht, wenn sie übergangen wurde; und wenn sie ärgerlich war, bebte am Friedrichsdenkmal, in Koblenz und Babelsberg der Boden. Viktoria war von ganz anderem Schlag; der an Körper und Geist robusten Engländerin war die Methode der Schwiegermutter so wenig sympathisch wie deren in nervösem Flackerfeuer kränkelnde Persönlichkeit. Sie wollte wirken, wollte nicht den Schein, sondern die Macht selbst, die glanzlose Macht als Mittel zu ihrem Lebenszweck. Sie sah um sich. Was fehlte in Preußen? Das Nächste: jegliche Intimität des Herrscherhauses mit den die Zeit determinirenden Kräften. Der alte König war Soldat, fühlte sich unter Gelehrten und Künstlern nicht behaglich und Augusta sprach zwar gern von Goethe, dessen Hand noch auf ihrem Kinderhaupt geruht habe, hatte den Marken aber kein augustisches Alter heraufgeführt. Da war Raum für den Betätigungdrang der Kronprinzessin. Ihren Kunstgeschmack preist heute nur noch Byzanz und die Protzenwelt der Parvenus, die sich unter Renaissancemöbeln als Schloßherren fühlen; sie liebte die glatten Schönpinseleien der Angeli und Werner und beschwor den Kunsthändler Gurlitt, Lenbachs Menschenbild ihres Mannes nicht der Menge zu zeigen, weil es »zu häßlich« sei. Sie hatte, als Dilettantin in allerlei Künsten, den rechten Respekt vor der Kunst verloren, wollte die Meister meistern und machte ihnen mit Vorschriften und Korrekturen das Schaffen schwer. Dennoch muß man dankbar daran denken, daß sie zum ersten Mal wieder Künstler an einem Hohenzollernhof heimisch werden ließ. Und sie zog die ersten Gelehrten, die Helmholtz, Virchow, Dubois, in ihre Nähe, verstand überhaupt, die kantigen Härten der Militärmonarchie unter Blumen zu bergen und eine anregende Atmosphäre freieren geistigen Lebens um sich zu verbreiten. Nie drang sie bis zu den Wurzeln sozialer Rechtsfragen, nie nur bis zum ernsten Ziel der Frauenbewegung vor. Immerhin aber hat sie vielfach den richtigen Sinn für das in einer bestimmten Zeit Notwendige bewiesen. Sie kannte die Macht klingender Worte, sprach öffentlich stets in gutem Deutsch und hat sicher an Friedrichs schönem Landestrauererlaß, an Geffckens Entwürfen zu den ersten Kaisergrüßen an Volk und Heer mitgearbeitet. Das Interesse gebot ihr, den Wünschen der modernen Elemente entgegenzukommen. Da von den Trümpfen, auf die sie gerechnet hatte, die meisten inzwischen schon ausgespielt, die deutschen Stämme geeint, die Wahlschranken gefallen, der Industrie in Nord und Süd Hochburgen entstanden, dem Nationalreichtum neue Quellen geöffnet waren, sollte man wenigstens wissen: unter Viktorias Scepter werden die Wissenschaften, die Künste blühn, wird es auch für den Bürger, den geistig Arbeitenden eine Lust sein, im preußischen Deutschland zu leben ... Dreißig Jahre lang hat sie, ohne je zu ermatten, an dem Thron gebaut, der ihren Plan tragen sollte; dreißig Jahre lang hat sie in Bereitschaft der Schicksalsstunde geharrt. Wer wirft den Stein auf die Frau, die ungeduldig wurde, weil ihr starker Gedanke sich nie zur Tat rüsten durfte?

Die Steine blieben ihr nicht erspart. Und wer allzu lange warten muß, wird doch gar leicht ungeduldig. Von Jahr zu Jahr wurde ihre Freude an der deutschen Entwickelung geringer, bis schließlich nichts ihr mehr gefiel und sie – und mit ihr der Mann – der Politik Wilhelms und Bismarcks völlig entfremdet war. Sie fürchtete, der Acker, auf dem sie säen wollte, könne verbaut, ihres Hoffens Ernte vernichtet werden, und hehlte ihre Bekümmernis nicht den Getreuen, die wispernd jedes Wort aufsteigenden Unmutes weitertrugen. Dann sah sie neben sich den Mann vergehen, in dem sie nicht den Gatten nur und den Vater der Kinder, nein: auch ihres Herrscherwillens Vollstrecker liebte. Keine Täuschung war möglich: er mußte sterben. Und dem Arzt, den die Herzensangst der Frau aus der Inselheimat rief, war, wie dem Pathologischen Anatomen, der ihn unterstützte, eine politische Aufgabe gestellt; an Heilung war, als das Krebsleiden fühlbar wurde, nicht zu denken, aber das Leben des Leidenden konnte gefristet werden. Der Kronprinzessin lag gewiß nichts daran, eines Sterbenden Kaiserin zu sein, und es ist töricht, ihr persönlichen Ehrgeiz nachzurügen. War es nicht für unser inneres Erleben, für die ganze Genesis des Deutschen Reiches segenvoll, daß auf Wilhelm, wenn auch für kurze Tage nur, Friedrich folgte, daß diese Hoffnung des jüngeren Geschlechtes und der dem preußischen Wesen mißtrauenden Deutschen nicht ungekrönt ins Grab sank? Oder möchte Einer im Speicher des Erinnerns die Gestalt des Kaisers missen, dem der Märker Theodor Fontane auf die Gruft schrieb:

Du kamst nur, um Dein heilig Amt zu schaun,
Du fandst nicht Zeit, zu bilden und zu baun,
Nicht Zeit, der Zeit den Stempel aufzudrücken, –
Du fandst nur eben Zeit noch, zu beglücken?

Die Tochter der Britenkönigin war niemals schön gewesen. Jetzt, in den Tagen schwersten Kummers, schien der verhärmte und doch von der Sonnenkraft Sieg heischenden Wollens durchleuchtete Kopf beinahe schön. Neben dem hageren, ergrauten, fahlen Mann, der nicht mehr sprechen, nur gütig noch blicken konnte, saß die Frau; und aus dem stählern glänzenden Auge schaute ein ungebrochener, zum Äußersten bereiter Wille in die lenzlich geschmückte Welt. Und die selbe unbeirrbare Entschlossenheit im dunkleren Blick des schwarzgekleideten Arztes, dessen gelbes Clergymangesicht lauernd aus den Kissen des nächsten Hofwagens spähte. Durch den Park von Sanssouci fuhr der sorgenvolle Zug, nach Bornstedt, in den Neuen Garten, nach Alt-Geltow; einmal gings gar bis nach Berlin. Das Volk sollte den Kaiser sehen. Wenn er in Charlottenburg oder Friedrichskron verborgen blieb und draußen Jubelrufe den Kronprinzen Wilhelm an der Spitze der Truppen grüßten, mochte die Britin an Shakespeares Vierten Heinrich denken, der beim letzten Erwachen die Krone auf des Sohnes jungem Haupt fand. Und Kaiser Friedrich hob die Hand an den Helm und blickte freundlich wie ein Genesender ... Dann tagte der Junimorgen, wo am Saum des Wildparkes die Purpurstandarte sank und das Totenhaus von Reitern und Schutzmannschaft umzingelt wurde. Ein paar Stunden später mußte Sir Morell Mackenzie vor Kaiser und Kanzler Rede stehen. Heiß brannte die Sonne. Viktoria war Witwe geworden.


Als Bismarck vom Schloß her, im weißen Koller der halberstädter Kürassiere, der Wildparkstation zuschritt, rannen ihm die dicken Tränen über das erhitzte Gesicht. Als Viktoria, allein, mit den Töchtern oder dem Grafen Seckendorff und einem Lakaien, im englischen Witwengewand wieder unter die Menschen trat, war ihr Auge trocken, die Haltung straff, im Blick noch der alte Wille. Die Pfeile und Schleudern des wütenden Geschickes hatte sie getragen; die Steinwürfe der Menge, die mehr als je in ihr die Fremde sah und ihr, der Engländerin, einen Teil der Schuld an Friedrichs frühem Scheiden zuwälzte, waren an dem Erz ihres Wollens wirkungslos abgeprallt. War die kleine schwarze Frau wirklich stärker als der wuchtige Riese im weißen Reiterwamms?

Vielleicht. Wer für eines großen Reiches Schicksal die Verantwortung trägt, an jedem neuen Morgen aus neuen Möglichkeiten das Notwendige wählen, mit neuer Kunst und List das Notwendige möglich machen muß, Der kann nie so stark, so unbeirrt sicher sein wie Einer, der, ohne die Last der Verantwortlichkeit mit sich zu schleppen, nach einem vorbedachten Plan handelt und, was auch geschehen mag, ans Ende der Willenslinie den Weg sucht. Hilde Wangel ist stärker als der Baumeister Solneß, den in Lysanger doch das schwindlige Gewissen noch nicht schwächt; aber nur die Baumeister schaffen Häuser für einen Gott und Heimstätten für Menschen. So stark wie die Princess Royal von Großbritanien war selbst Bismarck erst, als ihm des Amtes Bürde genommen war. Da erst durfte auch er sich den Luxus gestatten, unbekümmert um Sonnenschein, Sturm und Schnee wie Albas Philipp seinen Willen zu wollen.

Er hat während der letzten Lebenstage sehr freundlich von Friedrichs Witwe gesprochen. Eine kluge Frau, mit der er vorzüglich fertig geworden sei. Die Worte, die sie dem jäh Entlassenen im März 1890 sagte, als er mit der Frau von ihr Abschied nahm – die Behauptung, er habe vorher vergebens bei ihr Hilfe gesucht, gehört ins Märchenreich – hatten den Stachel ja nicht gegen ihn gekehrt, hatten in des Erbitterten Sinn vielmehr eine Saite berührt, deren Klingen er gern vernahm. Seitdem schien die Erinnerung an frühere Konflikte weggewischt. Und an solchen Konflikten hatte es doch nicht gefehlt. In Bismarck lebte viel männischer Geschlechtsstolz. Er gönnte den Weibern Luft und Licht, sah sie ohne Begehren, doch mit herzlichem Wohlgefallen und ehrte noch in der niedersten Bauernmagd des Mannes zarte Gehilfin. Aber wie Hagen von Tronje und Friedrich Hebbel liebte auch er nicht den Anblick der Frau, die mit kühner Hand ins Männergewerbe greift. Wie Hebbel, meinte auch er, wenn die Blumenzwiebel ihr Glas zersprenge, müsse sie sterben. Und wie dem Tronjer, wäre auch ihm eine Kriemhilde ein Gräuel gewesen. Schon diese Grundanschauung mußte ihm das Wesen der Kronprinzessin verleiden, deren welfisch-koburgische Neigungen er nicht ohne Angst wachsen und im Herrscherhaus fortwirken sah. Und sie war Engländerin, wollte nur Engländerin sein; und er brauchte für den Bau seines Reiches harten deutschen Stein, brauchte zu seinem Werk starke nationale Regungen und hielt jeden Versuch, Deutschland an Großbritanien zu ketten, für die unheilvollste Gefährdung der deutschen Zukunft. Das wußte Viktoria. Hätte Friedrich als ein Gesunder den Thron bestiegen: der offene Kampf wäre kaum zu vermeiden gewesen. Die Frau eines sterbenden Kaisers, der ein wichtiger Teil des Volkes finstere Mienen zeigte, mußte sich bescheiden. Sie konnte Puttkamer, den der Kanzler schon ziemlich verbraucht hatte, stürzen – die Antisemiten ahnen noch heute nicht, wer damals der Instigator war – und Forckenbeck dekoriren; aber die Hauptschlacht war in einem Krankenzimmer nicht zu schlagen. Ein Einziges wagte sie, – und verlor das Spiel : die Depesche, die den Bulgarenfürsten zur Verlobung nach Potsdam rufen sollte, wurde, trotzdem Friedrich sie schon gebilligt hatte, nicht abgeschickt, weil der Generaladjutant vom Dienst im letzten Augenblick noch den Kaiser ehrerbietig beschwor, sie erst dem Kanzler des Reiches vorzulegen. Bei diesem einen Versuch ist es geblieben; glückte er, dann war das Haus Hohenzollern in Südeuropa gegen Rußland engagirt; seit er mißlungen war, standen Viktoria und Bismarck einander gegenüber wie auf der Mensur ebenbürtige Gegner, die schon die Klingen gebunden hatten, als dem einen von höherer Macht die gute Waffe entwunden ward. Solche Gegner achten einander; denn einer kennt des anderen Kraft ... Bismarck sprach freundlich und respektvoll von Friedrichs Frau, die ihn nie, wie Augusta, mit Sticknadeln gereizt hatte. Und als er gefragt wurde, warum er sie in den neunundneunzig Tagen nicht gegen Schmähreden geschützt habe, sagte er ungefähr: »Die Sache steht einem gewissenhaften Minister höher als die allerhöchste Person. Gegen den Schimpf, der auch mich natürlich verdroß, gab es Staatsanwälte; die kräftige nationale Reaktion gegen Fremdländerei aber konnte mir kein Ärgernis sein, schon der Seltenheit wegen, und weil dem Kaiser von der Vorsehung – oder wie Sie die Maschinerie sonst nennen wollen – doch nun einmal kein längeres Regiment beschieden war. Die arme Frau tat mir leid. Aber eine politisirende Dame begibt sich selbst ihres Damenrechts.«

Sprach ungefähr so nicht Hagen an Kriemhildens Bahre?


Als Viktoria zwei Jahre alt war, ließ Preußens Minister für Auswärtige Angelegenheiten, der Bülow hieß, nach London, wo über Siegesbotschaften aus Asien gejubelt wurde, durch den Ritter von Bunsen melden: »Mit Großbritanien verbunden durch die Bande einer langen Alliance und beständiger innigen Freundschaft, sind wir gewohnt, Alles, was den Ruhm und das Wohlsein des britischen Reiches vermehrt, fast eben so anzusehen, als wäre es uns selbst widerfahren.« Auch diese beinahe dienerhafte Zärtlichkeit blieb damals ohne Erwiderung. Als Viktorien der Tod nahte, hielt England sich am Yang-tse, am Vaal und bei Lourenco-Marquez nur noch durch deutsche Macht; war es an seines Weltreiches morschesten Stellen nur durch die Gewißheit der Feinde noch gestützt, daß Deutschland ihm in der entscheidenden Stunde nicht Hilfe versagen werde; war es im Sitze seines Lebens gefährdet, wenn Deutschland sich von ihm kehrte, und mußte jedem Sohn, jeder Tochter drum dankbar sein, deren kluger Patriotismus das deutsche Schwert für die Britensache aus der Scheide lockerte.

Viktoria von England, die Kaiserin Friedrich, hat nicht vergebens gelebt. Und da der schwarze Vorhang gefallen ist, atmet der Zuschauer auf und fühlt, Großes besinnend: hier hat ein der Bewunderung würdiger Wille das persönliche Glück dem Sieg der Sache geopfert, in deren Dienst er getreten war, seit er erwuchs. Solches Gefühl hemmt nicht der Tränen zärtlich heißen Strom. Denn die Frau des Kaisers Friedrich hat ein Kriemhildenschicksal gehabt. Ein Leben lang ward sie, schien sie um ihres einzigen Sehnens Erfüllung betrogen; und als ihr Lebenswunsch wider Erwarten endlich dann doch sich erfüllte, mußte sie sterben.


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