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21

Benoni wurde das, was er seine Schwermut im Kopf nannte, nicht los. Seit dem letzten Abschied auf der Straße im Frühjahr hatte er Rosa nicht ein einziges Mal mehr gesehen. Wie sie sich abschloß! Glück zu, Rosa; aber daß sie nicht zur Kirche ging, auf keinem Weg zu sehen war, nicht, wie in alten Zeiten alle Augenblicke auf Sirilund war! Jetzt war doch auch der alte Küster gestorben, sie hatte nun keinen Kranken mehr zu pflegen. Ach was, was ging Rosa ihn an!

Und obwohl Benoni den Steuerschätzer aufgesucht und gelacht und sich wild gebärdet hatte, hatte doch der Obersteuerrat es ihm nicht gegönnt, daß er zu den steuerpflichtigen Vermögensbesitzern gezählt wurde. Es war eine Verschwörung, sie wollten ihn herabwürdigen und wieder zu seinesgleichen machen.

Benoni durchlebte schlimme Tage und Nächte. Gott weiß, vielleicht hatte man recht, daß es mit ihm abwärts ging. Was er auch getan hatte, um den Leuten seine Mittel zu zeigen, es war umsonst: Er hatte seinen Kamin vom Bratendampf reinigen lassen, hatte von seinem kleinen Rest einen großen Teil für ein paar Klippfischfelsen weggegeben, die er vielleicht niemals brauchen würde, ja, vor lauter Hoffärtigkeit hatte er einen Diamanten zum Glasschneiden gekauft. Aber alle glaubten, daß Benoni sich kaum würde halten können, eines schönes Tages würde wohl Mack auf Sirilund ihn pfänden! Ich ziehe und ziehe im Joch, dachte Benoni biblisch; und weltlich dachte er ungefähr so: Ich habe nichts als Gegenwind und treibe immer mehr ab.

Der Weihnachtsabend kam, Benoni saß daheim. Es war nicht wie voriges Jahr, als er Hartvigsen war und zu Mack eingeladen wurde. Oh, aber jetzt sollte der große Mack auf Sirilund sich hüten! Das Geld, die fünftausend Taler, waren schon seit mehreren Wochen fällig, aber Benoni hatte es absichtlich unterlassen, hinzugehen und es zu verlangen, nur um zu sehen, ob er auch heuer eine Einladung zum Weihnachtsabend auf Sirilund erhalten würde. Benoni lag wahrlich nichts mehr daran, Mack zu schonen, nicht um seinetwillen gewährte er Frist, nur daß Rosa heuer ganz sicher am Weihnachtsabend bei Mack sein würde  ... Ja und, was ging denn Rosa ihn noch an!

Er hatte angefangen, von Zeit zu Zeit Sparsamkeitsanfälle gegen sich selbst zu bekommen. Jetzt hatte er so viel von seinem Bargeld vertan, daß er bald dazu gezwungen sein würde, Mack um Kredit im Laden anzugehen, etwas, das er so lange wie möglich hinausschieben wollte. Er schenkt sich zuerst den Rahm in die Tasse und danach den Kaffee, nur um den silbernen Löffel zum Umrühren zu sparen. Dann streut er Salz rings auf den Docht und sagt: So, mag es nun brennen in Jesu Namen! Das Salz aber streut er darauf, damit das Licht so sparsam, so sparsam brennen und lange in den Abend hinein dauern solle. Da sitzt er in seiner Einsamkeit und verzehrt das hingestellte Abendessen und trinkt ein paar Schnäpse dazu. Als das geschehen ist, liest er die Andacht und trinkt auch manchmal dazu, dann singt er den Psalm. Nun aber ist auch nichts mehr zu tun.

Und jetzt sitzt wohl Rosa in der Stube auf Sirilund und spielt auf dem neuen Klavier. Sie hatte solche Samthände, diese Rosa  ...

Benoni duselt an seinem Tischende ein und schlummert ein wenig. Aber das Licht sprüht und spritzt wegen des Salzes und gibt dann und wann einen kleinen Ton von sich, der ihn wieder aufweckt. So fängt er denn an, zum tausendsten Mal über sein ganzes Dasein zu grübeln und über Rosa und seine Mittel und über die Kleinodien und das Großnetz. Na, es kam wohl zum Bankrott mit ihm, jaja. Und als er an die Fischklippen dachte, die er kürzlich von Aron in Hopan gekauft hatte, stellte er sich vor, daß diese Felsen in der Besitzmasse vielleicht ein wenig bedeuten würden, sie würden die Aktiva vermehren, mehr taugten sie nicht. Gut, aber war er ein Fant, so war er eben ein Fant, er wollte Rosa den Löffel und die Gabel senden, die er einmal für sie auf die Seite gelegt hatte  ...

Da klopft Wächter Svend an und kommt in die Stube herein.

Ich will dir sagen, rief Benoni augenblicklich aus, du hast sicher noch nicht gegessen und getrunken an diesem Weihnachtsabend? Hier sollst du alles bekommen, was du brauchst, fuhr er angeregt fort. Er beachtete Wächter Svend kaum, sondern redete weiter: Ich begreife nicht, was mit dem Licht ist; es ist doch ein jämmerliches Zeug, das man jetzt bekommt, es leuchtet gar nicht.

Es ist hell genug, antwortete Wächter Svend geistesabwesend. Er schien traurig und schwermütig zu sein.

Benoni schenkte einen Schnaps ein, forderte den anderen zum Trinken auf und schenkte noch ein paarmal ein. Dann ordnete er den Tisch, stellte etwas zu essen zurecht und redete dabei:

Ja, du kommst jetzt von einem feineren Tisch als der meine ist; aber wenn du es nicht verschmähen willst  ...

Ich verschmähe es nicht, antwortete Svend und fing an, zuzulangen und fing auch an, ein wenig zu kauen.

Du sitzt ja ganz trocken da, sagte Benoni und schenkte wieder ein. Ja, das war wohl ein großer Tisch heute abend auf Sirilund?

Das war es, ja.

Hm. Waren Fremde da?

Ich weiß nicht, ich war nicht drin.

Du warst nicht drin?

Nein. Mir lag nichts daran.

Erstaunt sah Benoni ihn an.

Nein, ich trieb mich eine Weile umher, erklärte Wächter Svend, und dann kam mir der Einfall, zu Euch herzugehen.

Du bist heute abend anders als sonst. Du hast wohl einen Grund gehabt, daß du draußen bliebst, sagte Benoni.

So viel auch Wächter Svend trank, es tat ihm doch nichts, unverändert bleich und geistesabwesend saß er da. Er würde wohl nach Art gesunder und frischer Leute auf einmal betrunken werden und zusammensinken –

Nein, ich trieb mich nur so herum, fing er an. Und Ellen ging auch mit.

Dann mußte die kleine Ellen wohl hinein, ich weiß nicht.

Ja, das mußte sie wohl.

War Rosa auf Sirilund?

Ja.

Benoni nickte vor sich hin:

Ja ja, nach den Feiertagen werde ich mit Mack reden.

Wollen Sie auch mit Mack reden?

Ich will mein Geld haben.

Ich muß auch mit Mack reden. So gebt es nicht mehr länger weiter, sagte Wächter Svend, Fredrik Mensa stirbt nicht; aber ich will mich auch nicht verheiraten und in die Kammer ziehen, so wie es jetzt steht.

Wenn du sie nur im Guten bekommst.

Im Guten oder im Bösen.

Benoni hatte zu den kleinen Worten mehr Vertrauen wie zu den großen. Um auf etwas anderes zu kommen, sagte er:

Dann war wohl auch der Rechtsanwalt da?

Ja. Der war es, der mich überraschte.

Er überraschte dich?

Ich hatte sie ja doch erstechen wollen  ... Wächter Svend zieht das lange Schlächtermesser des Knechtes aus seiner inneren Tasche, sitzt ganz ernst da, sieht es an und streicht mit dem Finger über die Schneide.

Du bist wohl ganz verrückt! ruft Benoni aus. Gib mir das Messer.

Aber Wächter Svend steckt das Messer wieder in die Tasche und fängt an zu erzählen, sich zu erklären.

Mack bat die Haushälterin um das Badewasser. Ja, sagte die Haushälterin. Dann bat er Ellen, am Weihnachtsabend zu kommen und sich durchsuchen zu lassen, nein, das wollte Ellen nicht. Untersteh dich! sagte ich zu ihr. Das war heute morgen. Jetzt gegen Abend erwischte Mack Ellen wieder und bat sie, sich vom Abendtisch eine Gabel einzustecken und dann zu kommen und sich durchsuchen zu lassen, und da versprach sie es. Als ich das hörte, ging ich zum Knecht und sagte: Leih mir dein großes Messer. Was willst du damit? fragt er, es ist zu gut für dich. Ich will mir meinen Bart damit rasieren, sagte ich. Ich erhielt das Messer, aber ich rasierte mich nicht damit, sondern steckte es in die Tasche und ging zu Ellen. Ich bat Ellen, mit mir hinauszukommen, aber sie fürchtete sich vor mir und wollte nicht mitgehen: ich habe keine Zeit, sagte sie. Ich bat sie wieder, und da antwortete sie: Ja, ja, in Gottes Namen! und ging mit mir hinaus. Hast du versprochen, heute abend zu kommen und dich untersuchen zu lassen? fragte ich. Nein, sagte sie. Untersteh dich! sagte ich wieder, du bist zu gutmütig, das darf nicht geschehen! Ich begreife keinen von Euch, sagte Ellen, alle miteinander wollt Ihr mich immer haben, ich habe keinen Frieden, ich komme fast nicht dazu, ein wenig für mich selbst zu nähen. Ich sagte: Außerdem bin ich es, der dich haben, soll, aber noch nicht ein einziges Mal habe ich etwas anderes als ein Nein von dir bekommen; und im übrigen werde ich abreisen. Ja, ja, sagte sie. Du sagst ja, ja? frage ich und schreie laut dabei; dann weißt du nicht, was ich vorhabe! Ellen sah mich einen Augenblick an und lief dann durch den Kücheneingang ins Haus. Ich trieb mich umher, es dunkelte immer mehr, ich ging rings um das Haus und kam zum Haupteingang; niemand war dort, das Licht im Gang leuchtete ganz allein. Als ich in die Gesindestube kam, wurden die Leute eben zum Essen eingeladen, sie sollten jetzt alle in die Küche kommen und sich dort zum Abend versammeln. Ich ging zum Haupteingang zurück und wartete davor. Nach kurzer Zeit kam Ellen. Ich suche dich überall, sagte Ellen, bitte, komm zum Essen herein! Da war es mir nicht möglich, es zu tun, so schön bat sie mich zu kommen. – Ist es wahr, daß du heute abend zu ihm hinauf sollst? fragte ich. Ja, das ist schon wahr, antwortete sie. Kannst du es nicht sein lassen? fragte ich. Ach nein, das kann ich nicht, sagte sie. Dann ging sie auf mich zu, schlang die Arme um mich und küßte mich. Ich merkte, daß sie etwas Starkes getrunken hatte. Du hast wohl etwas Starkes getrunken, weil du keine Angst vor meinem Messer hast? sagte ich da. Ich fürchte dein Messer nicht, erwiderte sie; sowie ich schreie, wird Mack kommen. Ich werde ihn auch töten, sagte ich. Da antwortete Ellen: Da habe ich auch noch mitzureden.

Wächter Svend hielt inne und dachte nach, dann leerte er ein paar Gläser Schnaps, richtete seine Augen auf Benoni und wiederholte:

Da habe ich auch noch mitzureden, sagte sie.

So, ja, ja, was meinte sie damit?

Das kann ich nicht sagen.

Hast du dann Hand an sie gelegt?

Ich faßte sie am Haar; aber sie hielt mich so fest umschlungen, daß ich das Messer nicht packen konnte. Ich schlug ein paarmal auf sie ein und zwang sie auf die Knie. Jetzt rufe ihn! sagte ich. Nein, antwortete sie, ich rufe ihn nicht. Und ich will dir sagen, ich war heute nachmittag bei ihm oben, sagte sie, und ich gehe wieder zu ihm, niemand sonst wird zu ihm gehen, sagte sie. Ich stand da und hörte zu, und ich fühlte, daß mir ganz wunderlich zumute wurde. Als ich nach dem Messer greifen wollte, hatte Ellen selbst das Messer in der Hand. Ich zerpreßte ihre Hand und nahm ihr das Messer wieder ab, – da war sie auf einmal wie ein Wurm und entkam mir auf der Erde, ich hielt sie nicht mehr zwischen den Händen, sie lief in den Gang hinein. Ich machte ein paar Sprünge ihr nach und sah den Rechtsanwalt in der Stubentüre stehen und auf den Gang herausblicken. Mit einem Satz hielt ich an. Was ist das für ein Lärm? fragte der Rechtsanwalt und schloß die Türe wieder. Ellen hielt ihr Haar mit der Hand und lief die Treppe hinauf. Ich wäre nachgekommen, aber der Rechtsanwalt steckte den Kopf noch einmal zur Stubentüre heraus und sah sich um.

Benoni verstand diese große Wildheit nicht, er hörte dem Bericht zu wie einer Geschichte aus den Zeitungen. Mechanisch leerte Wächter Svend noch ein Glas und fing an zu erschlaffen.

Ich konnte sie also nicht umbringen, sagte er.

Wenn es wahr ist, daß sich das so zugetragen hat, sagte Benoni, und du bist wie ein wildes Untier gegen sie gewesen, sagte er, dann müßte ich dich eigentlich mit einem Tau fesseln.

Ja, es hat sich so zugetragen.

Heute abend?

Jetzt: vor ganz kurzem.

Benoni sagte:

Dann weiß ich nicht, ob du hier in meiner Stube sitzen darfst. Du kannst von hier aus gehen, wohin du willst. Weißt du, wie du dich aufgeführt hast? Wie eine tierische Person.

Wächter Svend sitzt nur still da und denkt. Dann fragt er:

Was meinte sie damit? Daß sie auch mitzureden habe? Sie ist verliebt in ihn.

In Mack? fragte Benoni wie aus den Wolken gefallen.

Ja.

Vornübergebeugt saß Wächter Svend da, dachte nach und blinzelte mit den Augen; er wurde immer stumpfer. Benoni wurde es allmählich klar, daß dieser verrückte Mann sehr litt und zum äußersten gebracht worden war. Ach, aber da war er wohl ganz von Sinnen, wenn er glaubte, daß Ellen, das Stubenmädchen, in Mack verliebt sei.

Bleibe nun eine Weile ganz still und ruhig sitzen, sagte Benoni. Dann soll es mir nicht darauf ankommen, mit dir nach Sirilund zu gehen. Und du kannst ruhig gehen, wenn ich dich begleite.

Wächter Svend aber fiel nach all der Spannung, in der er sich jetzt befunden hatte, rasch zusammen, bald schlossen sich seine Augen. Mit Willensanstrengung öffnete er sie wieder weit und sagte:

Sie hat sich doch wohl mit dem Messer nichts getan? Nein, kommen Sie und gehen wir jetzt gleich.

Er versuchte sich zu erheben, fiel jedoch wieder zurück und konnte nicht gehen. Benoni nahm ihm das Messer aus der Tasche.


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