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10

Benoni ist auf den Lofotinseln; alle Fischer sind hingereist, das Dorf ist ohne Männer. Benoni führt die Galeasse und hat tatsächlich Wächter Svend als Mann mitgenommen. Und ebenso sind Macks zwei Jachten abgesegelt, die eine wird von Villads Bryggemand, die andere von Ole Menneske geführt. In der Bucht von Sirilund liegen jetzt nur noch ein paar Ruderboote und ein großes Hochseeboot, das die Verbindung mit dem Postschiff aufrecht erhält.

Benoni hatte Rosa nur ganz kurz Lebwohl sagen können; es war noch so vieles zu ordnen und zu bedenken gewesen am letzten Tag vor der Abreise, daß er ihr nur ganz kurz Lebwohl sagen und sie seiner Treue bis in den Tod versichern konnte. Er wandte sich auf dem Weg noch einmal um und rief, er werde ganz bestimmt einen Ring und ein Kreuz für sie kaufen. Dann segelte er zur Bucht hinaus, und Rosa stand in Sirilund am Fenster und sah ihm nach. Aber nach Verlauf von einer halben Stunde konnte es ebensogut ein Kleid sein, das dort am Fenster aufgehängt war, wie ein Mensch, der dort stand.

Daheim bei Mack auf Sirilund war nichts Neues vorgekommen; beim Küster Arentsen auf dem Küstershof aber geschah es eines Tags im Februar, daß der Sohn, der Rechtsgelehrte, nach Hause kam. Er hatte jetzt ausstudiert. Und der junge Arentsen hatte so weiße Hände und hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf, so daß die Leute begriffen, er müsse tief studiert haben. Er flößte auch eine ungeheure Achtung ein. Daheim auf dem Küstershof bekam er eine Kanzlei und ein Zimmer und bereitete sich darauf vor, die Prozesse auf eine neue und einfache Art zu führen; hiernach sollte niemand mehr jahrelang Unrecht erleiden müssen, sondern rasch zu seinem wohlverdienten Recht kommen. Oh, es gab gewiß allerhand anzupacken in der Gegend; der alte Lensmann hatte so hart regiert.

Und jetzt sollten die hinfälligen Küstersleute es gut bekommen; sie hatten sich auch ein langes Leben hindurch geplagt und geschunden, ohne sich Ruhe zu gönnen. Ihre ersten sechs Kinder hatten miteinander nicht so viel Geld gekostet, wie das siebente, der jüngste Sohn Nikolai, das Licht der Familie, der Jurist. Oh, wie hatten sie um seinetwillen geschafft und gestrebt, an Essen und Kleidern gespart, ihre letzten Taler hergenommen, Geld gegen Pfand geliehen – jetzt war der Junge heimgekommen, um alles zurückzuerstatten. Da stand nun sein Name an der Kanzleitüre und dazu einige bestimmte Stunden, in denen er zu treffen war.

Vorläufig trieb sich Jung-Arentsen auf den Wegen umher, ging von einem Nachbar zum andern und begrüßte die Leute, um nicht hochmütig zu scheinen. Mit ihm kam Kurzweil, er schien gutmütig und leichtsinnig zu sein und erzählte auch manch muntere Geschichte. Auch zur Kirche kam er und machte sich in weiten Kreisen bekannt; da aber von erwachsenen Leuten um diese Jahreszeit nur Frauen in der Gemeinde waren, kam niemand auf seine Kanzlei. Er mußte mit den Geschäften bis zum Frühjahr warten, wo die Fischer heimkehrten. Bis zu dieser Zeit war ja der Ort auch vollkommen ohne Geld.

Eines Tages kam Jung-Arentsen auch nach Sirilund geschlendert. Er ließ sich auf dem Hof draußen gut Zeit, – eine Weile stand er so da, beobachtete die Tauben und pfiff ihnen etwas vor. Da sich dies vor den Stubenfenstern zutrug, wurde er drinnen sowohl von Mack wie von Rosa Barfod beobachtet. Dann ging er hinein. Er behielt den Hut auf, bis er ganz drinnen war, denn er hatte eine Glatze.

Willkommen wieder daheim, ausstudiert und alles miteinander, sagte Mack zu ihm und war freundlich. Und väterlich nannte er ihn Nikolai.

Sie sprachen leise und gleichmäßig. Und Rosa, die einmal in dem Ruf gestanden hatte, seine alte Liebe zu sein, war zugegen, aber er war deswegen nicht feierlicher und führte wie gewöhnlich muntere Unterhaltung. Als Mack ihn nach seinen Plänen für die Zukunft fragte, antwortete er, er habe vorläufig keine anderen Pläne, als auf dem Küstershof zu sitzen und auf wütende Menschen zu warten. Die Leute sind es mir schuldig, daß sie zu mir kommen und über etwas streiten, sagte er. Und Rosa kannte ihn, sie lachte leise und gut, obwohl es sie verletzt hatte, daß ihre Verlobung ihn nicht ernster gestimmt hatte.

Aber es ist ja schrecklich, daß du alle Haare verloren hast, sagte Mack.

Alle? antwortete Jung-Arentsen unbeirrt. Keineswegs!

Aber Rosa hatte ihn schon vorher kahlhäuptig gesehen, für sie war das nichts Neues. Ach, in all diesen Jahren hatte sie ihn auf jeder Reise, die sie nach dem Süden machte, immer veränderter gefunden. Und jedesmal war er auch innerlich mehr verloren, voll von Schlechtigkeit, von Wortbrüchigkeit, Witzen und Faulheit gewesen. Das Stadtleben hatte diesen Bauernjungen zu einem kläglichen Kerl gemacht.

So wenig Haare ich auch da oben habe, sagte Jung-Arentsen und griff sich an seinen polierten Schädel, sind sie doch erst vor kurzem zu Berge gestanden. Tatsächlich bis aufs letzte zu Berge gestanden.

Mack lächelte und Rosa lächelte.

Der erste, den ich traf, war der Lappe Gilbert. Ich erkannte ihn sofort und fragte wie es ihm gehe, wie es ihm denn um alles in der Welt mit der Gesundheit gehe. Jada, antwortete Gilbert, aber Rosa ist mit Postbenoni verlobt, antwortete er. Mit P–o–s–tbenoni? sagte ich. Jada. Mit m–i–r! sagte ich. Aber Gilbert schüttelte nur den Kopf und stimmte mir nicht bei. Na, nun stellen Sie sich bitte meinen Schrecken vor, als er mir nicht beistimmte.

Es entstand eine verlegene Pause.

Da, fuhr Jung-Arentsen fort, da standen mir die Haare durch die Schädeldecke hindurch zu Berge.

Rosa ging langsam zum Fenster und sah hinaus.

Mack hätte jetzt eigentlich guten Grund gehabt, den flotten Emporkömmling zurückzuweisen; da er aber ein großer Herr und Denker war, fand er sofort heraus, daß er sich doch nicht mit Nikolai Arentsen, dem Rechtskundigen, verfeinden möchte. Nein, im Gegenteil. Aber er wollte ihn auch nicht in diesem vertraulichen Ton weitersprechen lassen. Mack sagte:

Ja, Ihr habt vielleicht allerhand zu besprechen  ...

Damit ging er.

Nein, durchaus nicht! rief Rosa ihm nach.

Hör nun zu, Rosa, dreh dich um, bat Jung-Arentsen. Er stand nicht auf und sah sie nicht einmal an. Dagegen blickte er sich in Macks Stube um, wo er heute zum ersten Mal war. Hier sind einige gute alte Stiche an den Wänden, sagte er und tat kundig.

Keine Antwort.

Nein, komm doch jetzt her, dann wollen wir ein wenig miteinander reden, wenn du willst, sagte Jung-Arentsen und erhob sich dabei. Er ging zu einem der Bilder an der Wand und besah es genau; die beiden standen in der Stube und drehten einander den Rücken zu. Das ist wirklich nicht schlecht, sagte er zu sich von dem Bild und nickte dabei. Plötzlich ging er ans Fenster und blickte Rosa ins Gesicht: Weinst du? Ach, das wußte ich ja.

Sie verließ das Fenster und warf sich auf einen Stuhl.

Langsam ging er ihr nach und setzte sich auf einen anderen.

Sei nicht so traurig, kleine große Rosa, sagte er; das Ganze ist so viel nicht wert.

Diese Taktik half nicht. Er versuchte eine andere:

Da sitze ich und rede und rede, ach, aber du bist zu faul mir zuzuhören. Du legst nicht viel Wert auf mich. Möchtest du, bitte, mir mit einer kleinen Miene zeigen, daß du meine Anwesenheit ahnst?

Schweigen.

Nein, weißt du was! sagte er und erhob sich. Da kehre ich nun gewissermaßen ins Vaterland zurück, und das erste was ich tue, ist, hierher zu dir zu eilen  ...

Rosa sah ihn mit offenem Munde an.

Jung-Arentsen rief aus:

Jetzt habe ich einen Funken aus dir geschlagen. Nun lächelst du. Mein Gott, dein glühendes Kupferlächeln und deine waschechten Lippen!

Nein, bist du verrückt! rief nun Rosa.

Ja, antwortete er augenblicklich und nickte. Seit ich heimgekommen bin, bin ich verrückt. Weißt du, was ich von dir gehört habe? Daß du mit dem Postbenoni verlobt seist. Hast du selbst schon so etwas je gehört? Verrückt, sagst du. Nein, gelähmt, erschlagen, tot, oder so etwas. Tagsüber gehe ich umher und grüble nach, ob ich mir nicht irgend etwas ausdenken kann, aber es taugt nichts. Als ich heute hierher ging, schickte ich ein Gebet zu Gott. Das war gewiß nichts Großes, und ich bat auch nicht um etwas Besonderes, aber der Sinn war, daß ich darum bat, meinen Verstand zu behalten. P–o–s–tbenoni! Ja, und ich? Verrückt, sagst du. Jawohl, verrückt und krank. Ich stehe hier und liege förmlich im Bett. Ja, das tue ich. Ich bin so erfüllt von Krankheit, daß es einen Schleifstein umbringen könnte.

Aber mein Gott! rief Rosa wieder in der höchsten Verzweiflung. Hat denn das alles auch noch einen Sinn.

Dieser echte Ausbruch traf ihn ein wenig, ein Zucken ging über sein Gesicht, und er sagte in einem etwas zahmeren Ton:

Na, so sage wenigstens ein Wort, und ich setze eigenhändig meinen Hut auf die paar Haare und gehe meines Weges.

Als sie eine Weile dagesessen und nachgedacht hatte, sah Rosa erhobenen Kopfes auf und sagte:

Jaja, jetzt ist es ja gleich. Aber ich muß schon sagen, der Ton  ... Du könntest wohl ein wenig ernster sein. Ich hätte dir schreiben müssen, von dem, was sich zutrug, aber  ... Ja, wir sind verlobt, es mußte doch ein Ende haben. Nun kann es gleich sein.

Nicht so traurig! Laß uns nur erst ein wenig darüber sprechen. Du weißt doch, daß wir die besten Feinde der Welt sind.

Darüber ist nichts mehr zu sagen. Wir haben genug gesprochen; ich glaube, es sind vierzehn Jahre her, seit wir angefangen haben.

Ja, das ist im Grunde eine fabelhafte Treue. Wenn du eine Reise unter die Menschheit unternimmst und eine ähnliche Treue suchst, wirst du sie nicht finden. Na, aber jetzt kehre ich ins Vaterland zurück  ...

Ja, jetzt ist es zu spät. Und das ist gut so.

Da wurde er ernsthaft und sagte:

Es ist also der Taubenschlag und der große Schuppen, die dich dazu bestimmt haben.

Ja, antwortete sie, das eine mit dem anderen, das kann ich nicht leugnen. Im übrigen war es auch zum Teil um seiner selbst willen. Und dann wollte ich ja der Sache ein Ende machen. Und da er mich so haben will  ...

Pause. Beide saßen da und dachten für sich. Plötzlich wandte Rosa sich um, sah auf die Uhr an der Wand und sagte:

Ich weiß nicht –

Ich weiß es! antwortete er und nahm seinen Hut.

Ja, denn Mack könnte glauben, wir säßen hier und seien verlobt, sagte sie mit großer Deutlichkeit. Plötzlich erfaßte sie eine Art Zorn, und sie fragte: Sag einmal, man spricht davon, daß du schon vor drei, vier Jahren mit diesen armseligen Examina hättest fertig sein können.

Ja, antwortete er in seiner Flauheit; aber dann würde die Treue nur zehn bis elf Jahre alt geworden sein.

Sie machte eine müde Bewegung und erhob sich. Er sagte ohne die Hand auszustrecken Lebewohl und fügte hinzu:

Nicht weil es also noch irgendwelche Bedeutung hätte; aber was sagtest du, wenn ich jetzt auch anfinge, mir Reichtümer zuzulegen?

Ja? Ja, das solltest du tun.

Nein, um Gottes willen, das ist kein Manifest. Ich sage nur: von jetzt ab wird sich mein Ehrgeiz auf ein Taubenhaus und einen Schuppen richten.


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