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15

Benoni verbrachte einige bittere Tage. Er wurde mager und bleich, seine tierhafte Gesundheit war erschüttert. Er schaute in die vielen Schubladen des Rosenholznähtisches und sagte: was soll ich damit? Er rieb das Silberzeug blank und rieb das Klavier und sagte ebenso vernichtet: welchen Gewinn habe ich davon? Er versuchte selbst zu spielen, er ließ sein Hausmädchen kommen und die Tasten ganz vorsichtig berühren; aber es wurde keine Musik, und er sagte: Laß das, es könnte jemand kommen und uns hören!

Auch in den Nächten lag er mit tausend Gedanken da: Was nun, dachte er, ich kann ein anderes Mädchen nehmen! Er ging die ganze weibliche Jugend der Gemeinde durch und wagte sich wohl für jede beliebige für gut genug zu halten. Benoni Hartvigsen würde kaum ein Nein bekommen, haha; sie ahnten wohl, daß es bei ihm sowohl zu einem Tropfen zur Grütze als auch zu einer anständigen Manufaktur reichen würde, haha. Das hatte er noch jedesmal gesehen, so oft er mit Heiratsabsichten auf Wegen der Liebe und beim Weihnachtstanz und an der Kirche gewesen war, daß seine Zärtlichkeiten nicht abgewiesen wurden. Aber nun stand ja die große Stube da und das Klavier und der Nähtisch und die Schachtel mit den Silbersachen. Und vor allen Dingen: wie würden sich die Leute über seinen Fall ergötzen, wenn er nun zu einem Mädchen aus geringem Stande herabsänke. Da würde Rosa wohl nicken und sagen: das paßt zu ihm! Das sollte sie nicht sagen können  ...

In dieser großen Not mußte Benoni entweder religiös oder zum Trinker werden. Das war eine Wahl auf Leben und Tod. Ach, aber er hatte so wenig Begabung zum Laster, er war ein mittelmäßiger Mann und ein guter Mensch. Er konnte ja auch zur See gehen. Und das würde ihr gerade recht sein, Rosa, diesem schändlichen Fräulein ohne Herzen  ... Mit finsterer Miene sagte er zu seinem Hausmädchen:

Du brauchst für heute abend nichts zu essen zu richten.

Sie sollen wohl wieder in Gesellschaft auf Sirilund?

Nein. Hm. Aber ich werde nicht so hungrig.

Unglaublich! ruft das Mädchen erstaunt aus.

Ich kann nicht so oft hungrig sein, sagt Benoni gereizt. Das ist mir unmöglich.

Jaja. Wir werden alle einmal sterben, sagt er dann.

Sterben?

Ja, du auch. Aber daran denkst du nicht.

Das Mädchen gibt zu, daß sie leider nicht genug an den Tod denke, aber sie hoffe, einmal so weiß wie Schnee im Rosenblut des Lammes zu werden –

Ja, das ist nun so im großen und ganzen gedacht, antwortet Benoni. Aber ich denke jetzt, was es heißt, in Seenot zu sein und auf dem Meer zu sterben.

Ja, das verstünde sie auch, sie habe einen Schwager –

Du brauchst also kein Abendessen zu richten, sagt Benoni kurz.

Er schlägt den Weg nach Sirilund ein. Was wollte er dort? Das Meer lag gleich vor seiner Haustüre, wenn es das war, was er suchte. Er warf einen Blick umher, auf die Speicher, den Hof von Sirilund, den Trockenplatz, wo die Fahrzeuge angelegt hatten, und wußte, daß er an all dem teilhabe, er war Macks Mitbesitzer. Er ging zum Hof hin und fragte nach Wächter Svend.

Wächter Svend war immer noch auf Sirilund. Als er mit dem Funtus von den Lofotinseln gekommen war und seine Heuer ausgezahlt bekommen hatte, konnte er von hier nicht mehr fortreisen, da ihm Ellen, das Stubenmädchen, so lieb geworden war. Er hätte sofort das Postschiff nehmen und von ihr weg nach Süden reisen können; statt dessen ging er wieder auf Macks Kontor und stand vor Mack selbst mit der Bitte, bleiben zu dürfen. Wozu könnte ich dich brauchen? sagte Mack da und dachte nach. Zu jeder Art geringer Arbeit, antwortete Wächter Svend und verbeugte sich gewandt. Es gibt allerhand zu tun auf Ihrem großen Gut, antwortete er weiter, der Garten soll fertig werden, das und jenes soll angestrichen werden, vielleicht gibt es auch dann und wann eine Fensterscheibe einzusetzen.

Mack mochte den Burschen gut leiden. Er war ein heller und höflicher Mensch, und deshalb stand er nun da und überlegte. Außerdem sind die beiden Alten da, fuhr Wächter Svend fort, sie sind beinahe tot, die können das Holz nicht aufarbeiten. Mons hat sich für immer ins Bett gelegt, drei Wochen lang hat er dagelegen und nur gegessen, so viel ich höre, er steht nie wieder auf. Und Fredrik Mensa sitzt die ganze Zeit neben ihm und flucht, weil er nicht aufsteht, aber das Holz arbeitet er auch nicht auf. Vor einigen Tagen mußte Ellen, das Stubenmädchen, selbst in den Schuppen geben. Aber Herrgott, was können ihre unschuldigen Hände ausrichten! Mack fragte: Was tun dann die Knechte? Die fahren Dünger; alles muß auf Ihrem großen Gut erledigt werden. Da sagte Mack: Du kannst bleiben.

So blieb Wächter Svend auf dem Hof und machte alle möglichen Arbeiten. Die Mädchen brauchten oft eine Hilfe im Vorratshaus oder in der Milchkammer, und wie leicht kam es nicht bei Ellen, dem Stubenmädchen, vor, wenn sie die Zimmer aufräumte, daß ein Vorhang in Unordnung geriet oder ein Türschloß geölt werden mußte? Da ging sie dann ganz unschuldig zu Wächter Svend und ließ sich von ihm helfen. Und sie war wirklich in ihren fröhlichen Burschen ganz verliebt, so schien es.

Nun sollte man doch erwarten, daß die Knechte und Ole Menneske und Martin, der Ladengehilfe, froh gewesen wären, diesen geschickten Mann auf dem Hof zu haben; aber sie verfolgten ihn im Gegenteil mit ihrer Eifersucht und bereiteten ihm so viel Verdruß wie nur möglich. Wenn Bramaputra im Feuerhaus Kleider wusch und Wächter Svend bat, die Zuber mit ihr auf den Trockenspeicher zu tragen, schlich Ole Menneske hinterher und schrie kleinlich: Der Teufel hol dich, da stehst du schon wieder und umarmst meine eigene Frau! Und gleichermaßen hielt auch der Oberknecht genaue Rechenschaft mit Ellen und sagte, daß niemals so viel Zuggardinen kaputt gewesen wären wie nun, seit dieser Wächter Svend auf den kleinsten Wink hin bei der Hand sei, sie wieder in Ordnung zu bringen. O, aber Mack selbst sollte es schon eines Tages zu hören bekommen  ...

Benoni suchte Wächter Svend auf, um in seiner Verlassenheit ein gutes und munteres Wort zu hören. Er sagte:

Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern, ich schlendere in diesen Tagen nur so umher. Ich will weiter nichts von dir.

So umherschlendern, das ist gerade etwas, was ein Mann wie Sie sich leisten kann, antwortete Wächter Svend. Und Dank für die Zeit auf dem Funtus!

Ach, der Funtus  ... Da siehst du nun hier meinen Ring. Es ist nicht meine Absicht, ihn wieder abzunehmen.

Wächter Svend sah auf und verstand wohl alles. Da fing er an, seinen Schiffer so gut wie möglich zu trösten:

Ja, nehmen Sie ihn nicht ab, sagte er. Es gibt so viele, die es bereuen müssen, daß sie zu rasch gehandelt und nicht eine Weile gewartet haben.

Meinst du? Es könnte sein, daß du recht hast. Ich habe auch nicht vor, einen gewissen Strich auszulöschen, den ich in den Kalender gemacht habe. Was hältst du davon?

Man soll so etwas niemals tun! sagt Wächter Svend kurz und bündig. So wie Sie es hingesetzt haben, so steht es.

Meinst du? Aber Frauenzimmer und dergleichen, die sind eben so verschieden.

Richtig. Ich weiß nicht, wie das mit ihnen ist, sie sind nicht beständig. Es ist, als ließe man einen Wind los und bliebe mit leeren Händen zurück.

Nein, da irrst du dich, so ist es nicht, antwortet Benoni. Was Rosa betrifft, sie ist beständig, das kann ich nicht anders sagen.

Wächter Svend fängt an zu verstehen, wie übel es seinem Schiffer ergeht: daß Rosa zwar mit ihm gebrochen hat, daß sie aber trotzdem ohne Fehler ist. Rosa ist beständig, Rosa ist treu.

Sie werden sehen, es wird schon wieder gut, sagte er. Im übrigen gehe ich selbst in diesen Tagen in finsterer Stimmung umher. Ich würde niemals davon sprechen, wenn es in der Stadt wäre; dort gab es genug Mädchen, mindestens drei oder vier. Aber hier ist nur die eine.

Ist es Ellen, das Stubenmädchen?

Wächter Svend nickte, ja, es sei Ellen. Und gleichzeitig gestand er ein, daß er nicht die Kraft habe, mit dem Postschiff von ihr weg zu reisen.

Dann bleibe nur, meinte Benoni seinerseits. Denn dann wirst du sie wohl bekommen.

Darauf antwortete Wächter Svend, hier gäbe es sowohl ein Ja als ein Nein. Wenn er sie nicht für sich allein bekommen könne, wolle er sie nicht haben. Er habe einen Verdacht, daß Mack selbst hinter ihr her sei.

Benoni schüttelte den Kopf, dies sei so der Brauch auf Sirilund. Darüber wäre weiter nichts zu sagen.

Bleich und mit bebendem Mund erzählte Wächter Svend von seinem Verdacht: eines Morgens habe er im Garten gearbeitet, Ellen, das Stubenmädchen habe oben im Gang etwas zu tun gehabt, und sie habe leise vor sich hingesungen und geträllert. Da läutet Mack aus seinem Zimmer  ... Ich war im Garten unten und arbeitete und dachte: was hatte sie zu singen? Das war ungefähr so wie: hier bin ich! Ich höre Ellen zu Mack hineingehen und dort viele Stunden lang bleiben.

Viele Stunden lang? Nein, das ist nicht möglich.

Wächter Svend hält inne. Er bedenkt selbst, daß das unwahrscheinlich ist, und ist bestrebt, sich genauer auszudrücken: Ja, eine halbe Stunde oder eine Viertelstunde war es mindestens, sagte er. Es ist ja auch gleich. Aber als sie herauskam, waren ihre Augen schwer und träge. Ich rief sie an und fragte: Was hast du da drinnen getan? Ich habe ihm den Rücken mit einem nassen Handtuch abgerieben, sagte sie und holte Atem. Dazu brauchst du nicht mehrere Stunden, sagte ich. Oder vielleicht sagte ich eine halbe Stunde, aber es ist ja gleich. Sie antwortete nichts, sondern stand nur da und war träge.

Benoni überlegte einen Augenblick und meinte dann:

Jetzt will ich dir etwas sagen, Wächter Svend: du bist dümmer als ich geglaubt habe. Sie hatte sich doch mit seinem Rücken abgearbeitet und deshalb war sie müde, die arme Ellen.

Benoni sprach strenge, so gerne wollte er Wächter Svend trösten.

Meinen Sie, Hartvigsen? Ich habe selbst daran gedacht, aber  ... Denn Sie haben vielleicht Macks Bett noch nicht gesehen, in dem er sie einfängt? Ich war eines Tages auf seinem Zimmer und ölte das Türschloß. Dort stand nun das Bett. Es hat rote Seidendecken und an jedem Pfosten einen silbernen Engel.

Benoni hatte von den vier großen silbernen Engeln gehört, sie waren alt und einmal in einem fremden Land gekauft worden. Früher, in Madam Macks Tagen, stand jeder dieser Engel auf seinem Sockel in der Großstube und hielt einen Kerzenhalter mit einer Kerze in der Hand; jetzt hatte Mack sie an sein Bett gestellt, ausschweifend wie er war.

Das ist großartig, sagte Benoni von den Engeln.

Und der Klingelzug ist gleich über dem Bett, fährt Wächter Svend fort. Er ist aus Seide und Silberfaden gesponnen und der Handgriff ist mit rotem Samt bezogen.

Großartig.

Benoni wurde auf einmal nachdenklich: Er könnte sich vielleicht einen solchen Klingelzug anschaffen, wenn Rosa  ... Aber Rosa war ja  ...

Da stehe ich und schwätze! ruft Wächter Svend aus, der die Schwermut des Anderen bemerkte. Außerdem war er selbst jetzt bedeutend erleichtert, sein Schiffer hatte ja die kleine Ellen für unschuldig befunden  ... Ich habe Ihnen die Geschichte vom Schullehrer noch nicht erzählt, sagte er dann. Sie wissen doch, ich kittete ihm am Weihnachtsabend eine kleine Scheibe ein, haha.

Ist er hier gewesen?

Ja, und wie! Vollkommen verrückt. Ich bot ihm an, ihm etwas vorzusingen; nein. Bot ihm an, die Scheibe wieder herauszunehmen; nein.

Was wollte er dann?

Er wollte mich anzeigen. Hartvigsen, Sie sind so mächtig, was soll ich tun?

Benoni lebte bei diesen Worten auf und antwortete väterlich:

Ich werde mit dem Schullehrer ein paar Worte reden.

Er sagte, er wolle jetzt sofort hinuntergehen zu dem neuen Anwalt Arentsen, um die Sache vor das Thing zu bringen.

Zu Arentsen? Zu Nikolai auf dem Küstershof? Wann ist das Thing?  ... Benoni dachte ein wenig nach, dann sagte er mit einer machtvollen Gebärde: Das sollte er nicht versuchen.

Er ging zum Laden hin und las die Thingankündigung, las, daß das Thing am siebzehnten auf Sirilund abgehalten werde. Es waren nur noch ein paar kurze Tage übrig. Während er dastand und las, stellte sich der Lappe Gilbert neben ihn. Er war bereits am Branntweinschenktisch im Laden gewesen und war sehr aufgeräumt und vergnügt.

Boris, Boris! grüßte er. Und ich kann Euch von Rosa, der Pfarrerstochter, grüßen.

Benoni starrt ihn an:

Und ich habe neue Nachrichten, ich sprach gestern abend mit ihr, fuhr Gilbert pfiffig fort. Ja, das war großartig. Hoho! Habt Ihr es gehört?

Benoni entgegnete nichts als ein ungewisses Nein.

Sie soll den Anwalt bekommen, sagte Gilbert lachend.

Das weiß ich, erwiderte Benoni.

Wenn der Fisch von den Trockengerüsten heruntergenommen wird, werde ich Hochzeit haben, sagte sie.

Sagte sie das?

Ich stand so nahe bei ihr, wie jetzt bei Euch. Was meinst du dazu, Gilbert, sagte sie, am zwölften Juni wird Hochzeit sein? sagte sie. Und sie lachte und war sehr zufrieden. Es geht ihr also gut.

Benoni ließ den Lappen stehen und ging heim. Er dachte in seinem verwirrten Kopf: es sind noch zwei Tage bis zum Thing, dann wird der Pfandbrief verlesen werden, was wird Mack dazu sagen? Dann wird er nicht mehr den Fürsprecher für mich bei Rosa machen. Was dann? Glück zu, Rosa war doch verloren, sie sollte am zwölften Juni Hochzeit haben, wenn der Fisch vom Gerüst heruntergenommen wurde. An diesen Gedanken mußte er sich nun gewöhnen, und noch einmal Glück zu! Sollte er denn etwa wie ein Esel in der Bibel sein, auf dem die Leute herumritten?

Immer aufgeregter und verwirrter kam er nach Hause. Sein Mädchen war gegangen, es war kein Essen bereitgestellt. Er holte sich selbst etwas zu essen und ging zu Bett.

Am nächsten Morgen begab Benoni sich von zu Hause fort, er wollte nun doch den Diener des Lensmannes aufsuchen und seinen Pfandbrief zurückholen. Nein, jetzt wünschte er Rosa nicht mehr Glück, Mack durfte durch die Verlesung des Pfandbriefes auf dem Thing nicht gereizt werden.

Aber der Diener des Lensmannes hatte den Pfandbrief bereits im Winter abgesandt, er war längst in den Händen des Hardesvogtes. Benoni war betroffen. Das ist nun wohl vom Schicksal so bestimmt, sagte der Diener des Lensmannes auf einmal, daß Ihr diesen vergeblichen Gang habt machen müssen. Ihr begreift doch, daß ich ein so kostbares Dokument nicht längere Zeit bei mir behalten konnte; wenn es nun verbrannt wäre? Benoni bat ihn zu versuchen, es unverlesen vom Thing zurückzubekommen. Ich will es nicht verlesen haben, sagte er, versucht es zurückzubekommen, ich werde es Euch reichlich vergelten.

Dann schlug Benoni den Weg zum Schullehrer ein. Ach, den guten Schullehrer wollte er bald zur Vernunft bringen. Er hatte Wächter Svend nichts davon gesagt, aber er wußte es ja im stillen, daß der Schullehrer Geld von ihm geliehen hatte, ein paar Speziestaler im vergangenen Frühjahr, das würde die Durchführung der Sache erleichtern. Nein, er hatte nichts zu Svend geäußert, er hatte nur mit einer machtvollen Gebärde seine Hilfe zugesagt. Auf diese Weise ging auch Mack auf Sirilund vor und ließ seine Macht groß und mystisch erscheinen.

Und selbstverständlich, auf Benonis erstes Wort versprach der Schullehrer die Sache vom Anwalt Arentsen zurückzuziehen. Es sei ja auch nur eine Übereilung gewesen, er sei ärgerlich geworden auf diesen Landstreicher, der die Frau und die Kinder, ja sogar fast ihn selbst, an einen Spuk in der Weihnachtsnacht habe glauben lassen.

Schließlich ließ Benoni sich mit einem Boot weit ins Meer hinausrudern, zu den Schären, um sich nach dem Hering zu erkundigen.


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