Hans von Hammerstein
Wald
Hans von Hammerstein

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Von nun ab galt mir nur mehr die Zeit, die ich mit dem lieben Mädchen verbrachte. Das waren die goldenen Stunden des Tages, die ich mit wachen Sinnen und vollem Herzen lebte. Alles übrige war Erwartung und Nachklang, Trachten und Traum. Unterwegs war ich immer; die Mahlzeiten daheim nahm ich hastig. Ich wurde mager wie ein Hund, der Tauchens höhere Jagdschule besucht, und im Gesicht braunrot wie die Rinde einer Heideföhre.

Den Eltern schien es recht, daß ich munter war und gedieh und nicht schlafsüchtig und blutleer wurde wie andere junge Leute in dieser Zeit der raschen Entwicklung.

Am Morgen, wenn ich von der Frühpirsch kam, oder, soferne ich es vorgezogen hatte, diese 130 zu verschlafen, den ersten Reviergang machte, trafen wir uns zumeist im Fischwald, der gleich nahe zwischen Mühle und Schloß gegen Norden liegt. Martha mußte da den Lauf des Mühlbachs hinabgehen bis ungefähr zum Weiler Biberschlag, dann ostwärts eine sanfte Bodenwelle ersteigen, wo ein Wäldchen breitstämmiger, schwarzwipfliger Kiefern steht, und nun zwischen Birken- und Föhrenwuchs einen Heideboden überschreiten, den die mächtige Wand des Hochwaldes abschließt.

Der Fischwald ist recht ein Wald, wie ihn die Augen des Volksmärchens sehen. Die mächtigen Stämme stehen kühl und hoch wie Dompfeiler, unten breitet sich weithin der moosige, nadelbestreute Boden, der die Tritte dämpft und schwingen macht, im braungrünen Halbdunkel leuchten Pilze, breiten stille Pflanzen ihre gezackten Blätter, und manch eine seltene Blume neigt sich in Träumen wie eine verwunschene Prinzessin. Das Auge sieht fast ungehemmt unter den Bäumen weg, aber die grauen Felsstücke, die dort und da halbversunken und flechtenbewachsen hindämmern, die Mulden, wo verborgene Bächlein unter dem schuppenartig geschichteten Blattwerk des Lattichs träge quellen oder schwärzliche Tümpel stehen, die 131 modernden Strünke und Beerenbüsche blicken voller Geheimnis.

Dort lagen wir stundenlang an traulichen Plätzen, die von schwebenden Sonnentalern überschüttet waren, und ich las dem Mädchen Eichendorffs wundervolle Novellenträume vor, die so ganz deutsche Naturmusik sind und deren klingende, bildvolle Prosa an den tiefsten Stellen von selbst in Lieder übergeht, Lieder, die nichts Ähnliches haben in der Dichtung an weltahnender Einfalt und traumhafter Urmelodie.

Einmal überraschte uns der alte Tauchen. Hoch und hager kam die verwetterte Gestalt daher, fast lautlos, recht wie ein verschollener Waldgeist. Sein Hirschmann, eine unerwünschte Kreuzung zwischen Dackel und Griffon, ein lächerliches Ungeheuer mit schnauzbärtigem Zottenkopf und täppischen Krummbeinen so massig und verbogen wie die Äste einer Krüppelkiefer, mühte sich eifrig im halben Traversgalopp hinter dem langen Schritt des Alten her, schnoberte da und dorthin und lugte prügelscheu nach Wild aus, das er nicht jagen durfte. Wir verhielten uns still, aber der Hirschmann erspürte uns gleich mit den ewig bebenden Flügeln seines sanft gebogenen feuchtschwarzen Rüssels und stürzte sich mit wildem Mordiogekläff auf uns, als 132 wär' er die rechte Forstpolizei. Freilich war er sehr bestürzt, mich zu erkennen, und suchte seine Verlegenheit in hastigem Wedeln und einem jaulenden Übergang vom Zorngebell zum Freudegruß zu bemänteln. Die Müllerstochter indes blieb ihm verdächtig, und als er sich an Ehrerbietung vor mir genug getan, sah er sie mit seinen gelben Augen scheel an, knurrte, beschnupperte einen in der Nähe stehenden Baumstrunk, befeuchtete ihn und machte mit dem Gesicht eines Hundes, der weiß, was er weiß und zu tun hat, heftig Kratzaus darüber, daß Moos und Erde flogen.

Der Alte, nun auch aufmerksam geworden, grüßte und wollte, als hätte er nichts gesehen, was ihn anging, vorüberschreiten. Seiner Verschwiegenheit sicher, hielt ich ihn auf, ging zu ihm und sprach unbefangen von den Rehböcken. Nachdem er mir einige sichere Auszugplätze empfohlen hatte, meinte der Alte, ruhig an seiner Pfeife fortziehend und nur mit den kleinen, grünlichgrauen Augen lächelnd, daß meine heurigen Pirschgänge bisher wenig Erfolg hätten, wenigstens soweit es die Rehböcke beträfe. Der Herr Baron habe ihm schon einmal gelegentlich ans Herz gelegt, mir ein besseres Schießen beizubringen, da ich alles nach eigenem 133 Geständnis so schändlich verfehle. Er, nämlich Tauchen, habe allerdings in letzter Zeit niemals Schießen gehört, fügte er hinzu, und bisher von meiner Treffsicherheit recht viel gehalten. Lachend gab ich ihm einen Schlag auf die Schulter und sagte, ich würde schon alles ins Rechte bringen.

Damit ging er und verschwamm wieder, je ferner je geisterhafter in Gestalt und Farbe mit dem Forst, zu dem er gehörte. Und hinter ihm trabte, das struppige Fell von Sonnenflecken überlaufen und ein elendes Schwanzstümpfchen mit einem zausigen Haarbüschel wie ein Banner stolz emporstreckend, der Hirschmann drein als ein rechter Waldteufel, wie ihn etwa die Phantasie eines der alten Meister des Holzschnittes ersonnen hätte.

Ein wenig nachdenklich kehrte ich zu Martha zurück und teilte ihr meine Besorgnis mit. Ich müsse doch endlich einmal wieder was heimbringen, teils meines guten Jägerrufes, teils der Vorsicht halber, da meine stets erfolglosen Pirschgänge sonst doch Verdacht erregen könnten.

Es war nun gerade die Brunftzeit der Rehe.

Die Sense hatte schon die meisten Saatfelder umgelegt, und wenn auf den hochbegrasten Waldschlägen die Mittagshitze lag, war es leicht, 134 einen vernarrten Bock mit dem Ruf heranzulocken. Dies erwägend, schlug ich Martha vor, mich ein Stückchen heimwärts zu begleiten, wo ich unweit der Stelle, an der wir uns befanden, eine Lichtung wußte. Dort angelangt, nötigte ich sie an einer schattigen Stelle am Rand des Schlages zum Niedersitzen, zog das Pfeifchen hervor und ahmte das Fiepen einer Ricke nach. Erst blieb es ganz still, nur Fliegengesumme und Heuschreckengewirr war vor uns im brütenden Sonnenglast. Bald aber raschelte es irgendwo im hohen, rötlichen Gras zwischen den Brombeergestrüppen, und ehe Martha es nur ahnte, sah ich schon das Haupt eines mäßigen Sechsers unbewegt zwischen den Rispen auf uns gerichtet. Ich suchte Marthas Blick durch einen leisen Wink dorthin zu lenken. Und als sie das Gesicht wandte, machte der Bock einen Satz und stand plötzlich breit im Schlag, immer zweifelnd nach uns hinäugend und in seiner Liebestollheit der sonst so sicheren Witterung nicht mächtig. Die Büchse hatte ich im Arm, nun spannte ich den Hahn geräuschlos. Marthas bunte Kleidung war dem Tier aber doch verdächtig, und als sie sich nun etwas erhob, um besser schauen zu können, fegte es, immer wieder stockend und scharf herüberäugend, mit 135 hohen Fluchten durchs Gras hin, in dem es stellenweise halb versank. Fast unbewußt hatte ich angelegt und ging mit dem Korn nach. Jetzt stand der Bock so schön. Mein Finger krümmte sich, ein scharfer Knall, der Bock fuhr steil in die Höhe, schlug mit den Hinterläufen hoch aus und verschwand. Eine Weile hörten wir noch sein Poltern dem jenseitigen Wald zu. Dann Stille. »Gefehlt!« sagte Martha, nicht ohne Schadenfreude, und erhob sich. »O nein!« versetzte ich mit fast schuldbewußtem Lächeln. »Der liegt mausetot dort in der Dickung.« Sie wollte es nicht glauben. Ich bat sie, zu warten, und ging auf die Anschußstelle, fand dort den schönsten, schaumigen Schweiß mit dunkelroten Brocken dazwischen und, wo der Bock hinuntergegangen, in den gebogenen Grashalmen eine gefärbte Gasse. Er hatte nicht einmal die Dickung erreicht. Am Saum der Lichtung lag er und regte sich nicht mehr. Die Kugel saß mitten auf dem Blatt. Ich zog das Messer, weidete ihn kunstgerecht aus, wusch mir dann in einem naheliegenden Wassertümpel die Hände, schwang die Beute mit verschränkten Läufen auf die Schulter und kam zu Martha zurück. Sie sah verwundert bald auf den erlegten Bock, den ich ihr zu Füßen legte, bald auf mich. »Gib mir 136 einen Bruch!« bat ich. Sie knickte willig ein Zweiglein von einer jungen Tanne und steckte es mir auf den hingehaltenen Hut. Dann bückte sie sich nieder und strich mit der Hand dem Rehbock über Haupt und Hals hin. »Armes, dummes Tier«, sagte sie. Als wir Abschied nahmen, wollte ich sie küssen. »Geh!« sagte sie, mir mit gespreizten Fingern ins Gesicht fahrend. »Ich mag dich heut' nicht!« Ich begann flehentlich zu bitten. »Gut!« gab sie endlich nach, »aber du mußt mir versprechen, daß dies das letzte Reh ist, das du umgebracht hast!«

Was tut man nicht alles für so schöne liebe Lippen!

Ich schwur und trug die Beute heim.

Schon nach drei Tagen, als Martha eines Abends beim Vater blieb, wurde ich meineidig und holte mir den Grenzbock, dem die Schirmannsreiter bisher vergeblich aufgelauert hatten. Er war ein besonders kapitales Stück und zeigte an einer der schön geperlten Stangen ein voll ausgebildetes achtes Ende. Das erregte Aufsehen genug und Zusammenlauf aller aufs Jagen erpichten Bürger und Bauern der Umgebung. Jeder wollte neiderfüllt das Wunder sehen. Ich mußte es in der Schloßtaverne zu allgemeiner Besichtigung ausstellen. So erfuhr 137 auch Martha davon und stellte mich heftig zur Rede. Ich log und sagte, eigentlich habe der Tauchen den Bock geschossen und nur mir die Ehre davon gelassen für einen Lohn von zehn Gulden. Und so ist nun einmal das Weibsvolk! Dieser Betrug machte ihr eine närrische Freude, und ich bekam viele Küsse, die ich nicht verdient hatte, aber um so lieber nahm.

*

Der liebe Sommer hatte seine Höhe überschritten. Allenthalben in den Stoppeln wälzte der Pflug die schwarze, duftende Erde auf. Und durch das Sonnenblau des grillenfrohen Tages trug der frischere Hauch der Ostluft manchmal einen langen Silberfaden her, der schwebte und zog, hängenblieb und sich bog, zerriß, wie Seide aufglänzte und im Strahlenflittern verschwand.

Die Eltern hatten eine Fahrt ins Unterland, zu der ich nicht eingeladen wurde. Das war mir lieb, und ich verabredete für diesen Tag mit Martha einen Gang zu den Heidesteinen. Zeitig am Morgen schon trafen wir uns und wanderten, die Straße vermeidend, den Wald entlang auf das Spielberger Moos zu. Wir gingen, wie es uns gefiel, und blieben, wo es uns gerade hielt. Das Moor mit seinen stillen 138 Seltsamkeiten durchkreuzten wir einige Stunden lang. Gegen Mittag stiegen wir den Hügel hinan, wo das lichte Häuschen steht und die großen Steine liegen. Dort machten wir Rast, verzehrten einen Imbiß, den ich mitgebracht hatte, und ließen uns von den zwei freundlichen Alten einen Napf Milch dazu geben. Martha scherzte mit dem braunen Hüterbuben, der schnell ein Zutrauen zu ihr faßte. Sie redeten eine ganz eigene Sprache miteinander, eine Wald- und Heidesprache, deren Ausdrücke alle seltsam naturhaft und aus Wind und Wetter geholt schienen. Die Augen und Lippen des Burschen wurden immer lebhafter, und über Marthas Fragen und Bemerkungen erlustigte er sich in schallender Heiterkeit. Alle seine Ziegen führte er uns vor, nannte sie beim Namen und legte die Besonderheiten jeder einzelnen mit Wichtigkeit dar. Ein Wunder an Klugheit sei der alte Bock mit dem starken Gehörn und den langen, silberweißen Zotten, der sich immer ein wenig abseits hielt und das schalksnärrische Volk der Jüngeren verachtete. Behaglich wiederkauend, wobei sein langer Kinnbart sich hin und her schob, lag er eben in der Sonne und blickte so weise und überlegen drein, als hätte er die Erschaffung der Welt mitgemacht. Ich kraute ihn 139 zwischen den Hörnern und dachte mir, daß er die Augen des großen Pan habe.

Später, als die Alte den Buben zum Essen rief, erklommen wir den höchsten der rundlichen Felsblöcke und ließen uns auf der warmbesonnten Platte nieder.

Die Mittagsluft schillerte um uns in weiten, feinbewegten Wellenschichten, auf denen die sommerliche Musik der Heuschrecken, der Zikaden, der Grillen, der Lerchen wie ein leichtes, silbernes Tongewebe traumhaft ineinandergewirrt steigend und sinkend schwebte.

Fern im Süden über dem dunklen Waldgewoge standen blaudunstig die Alpen, breit nach unten verfließend der Ötscher, dann die steilen Ennstaler und die schimmernden Dächer der Prielgruppe, weiße Wolkenballungen tragend, und weiterhin, immer mehr in Duft gelöst und im Gesichtskreis versinkend, einzelne Gipfel, daß man oft nicht wußte, ist's ein Berghaupt, oder ist's Gewölk. Im Westen, von einer Höhe der Waldgebirge, die sich dort lebhaft heben und senken, starrte abenteuerlich in die Luft gerissen der gespaltene Ruinenturm von Arbespach empor. Nordwärts davon schwoll die unendliche Wälderflut in immer blaueren und dichteren Wellungen dem breiten Kamm des Böhmerwalds zu. 140

Gerade unter uns aber begann eine breite Senkung, in der sich die Hochfläche hier den westlichen Tälern zuneigt. Auf eine weite Strecke liegt die Heide da voll von diesen gewaltigen Felstrümmern, die wundersam in Gestaltung und Lagerung sind, manche wie Basteien, Türme, abgebrochen aufragende Mauerzinnen, andere wie Kugeln, die eine übermächtige Hand geschleudert hat. Einzelne hängen gleich eingestürzten Brückenbogen zwischen zwei Pfeilern, und einer der größten Klötze, der Brotlaib genannt, weil er genau diese Bildung hat, ruht scheinbar schwebend auf einem bedeutend kleineren, kopfartigen Stück, als müßte ihn jeder Windstoß, jeder Kinderfinger aus dem Gleichgewicht bringen und stürzen machen. Verloren dazwischen und in dieser Riesenwelt fast unscheinbar wie niederes Gesträuch stehen verkümmerte Kiefern, von denen sich manche in den Ritzen der Blöcke verankert haben und ihre wilden schwarzen Wipfel an den verbogenen Zweigen übers graue Gestein hinauswerfen. Und steile, finstere Wacholderbüsche heben sich vereinzelt und gruppenweise aus dem dürren Boden oder lehnen sich spalierartig an die Felswände.

Weiter unten, an einer Biegung der schmalen Straße, liegt eine Ortschaft mit altertümlicher 141 Kirche, heimlich in Wiesen und Wälderschatten gebettet.

Da hatten wir nun auf einen runden Blick die ganze Heimat in ihrer einsamen, schwermütigen Schönheit, getaucht in den schweren Goldschein des sinkenden Sommers und leise überahnt vom Duft des nahenden Herbstes.

Wie eine schweigsame Frau, der dunkles Haar lang über Schläfen und Schultern niederwallt, sah sie aus großen, traumvollen Augen mit uns in den Kreis der Lande hinaus. »Wandern, wandern!« lockt stumm das Duftblau der Ferne, die hinter Gebirgen und Wolken Wunder verheißt. Und »weilen! weilen!« flüstert um uns ein weicher Hauch, der Gräser und Wipfel kaum merklich nur wie ein leises Schlafatmen regt.

Ich hatte meinen Arm um die schlanken Hüften des Mädchens gelegt, und in dem unerklärlichen Gefühl, das mich bei dem weiten Blick überkam und mich froh und traurig zugleich machte, neigte ich mich zu ihr und schloß meine Lippen auf die ihren. Sie schien zu empfinden, was mich bewegte, und hielt mich fest in einem langen, trinkenden Kuß, als wolle sie mein ganzes Wesen in sich empfangen.

Dann saßen wir aneinandergelehnt und 142 schwiegen, und die Sonne floß warm und golden über uns herab.

Der Tag stand hoch, und wir fühlten keine Müdigkeit. So dehnten wir unsere Wanderung bis zu dem Dorf aus, das wir liegen sahen, und dessen Kirche, wie ich wußte, schöne Holzbildnereien verwahrt. Wir betraten sie und standen lange in die Betrachtung der geschnitzten und bemalten Figuren des Altars versunken, die Meisterwerke spätgotischer Kunst sind. Eine Madonna von mildem, frauenhaftem Ausdruck, der wohl eine junge Bürgersfrau Modell gesessen haben mag, umgeben kraftvoll dargestellte Heilige, wehrhafte Männer oder tüchtige Arbeitsleute ihrer Zeit, und im reichen Beiwerk des Rahmens hat der Künstler mancherlei Humor aus dem Leben der Natur und des menschlichen Alltags gestaltet. Vergoldet steigen über den einzelnen Gruppen die gotischen Türmchen auf, und die Dreifaltigkeit sieht wohlwollend vom höchsten derselben auf das starke und fromme Bild deutschen Christendaseins nieder.

Als wir die Kirche verlassen hatten und am Waldsaum hinaufschritten, begegnete uns der Pfarrer des Ortes im kurzen, dunklen Rock, gestiefelt und eine Flinte über der Schulter. Er war landbekannt wegen seiner Derbheit. Wie 143 rechte Waldviertelstürme brausten seine Predigten den Bauern über die starren Querköpfe hin, und manch ein harter Wortprügel schlug dabei des Heiles halber an die verrammelten Pforten ihrer Gemüter. Aber gerade deshalb liebten sie ihn, und seiner rauhen Mildtätigkeit wurde das Sprüchlein geprägt, damit ja seine Rechte nicht wisse, was die Linke tue, begleite das Almosen in der Regel eine kräftige Ohrfeige. Als er uns kommen sah, blieb er stehen und stieß den Knotenstock in den Weg, daß die Steinchen auseinanderfuhren. Scharf unter den buschigen weißen Brauen heftete sich der Späherblick seiner hellblauen Augen auf uns, und um die breit vorgeschobene Unterlippe zuckte sogleich ein Predigtgewitter. Wir grüßten und wollten vorbei. Aber da gab es kein Weiter.

»Halt!« rief er, den Stock wie ein Schwert vor uns hinstreckend, »halt, junges Volk auf den Pfaden der Heimlichkeit! Da schau mir einer das verliebte Blut an! – In meine Herde gehören die netten Schäfchen nicht – so feine Zucht hab' ich nicht. Seid wohl entloffen, habt den Eltern was vorgemacht und wollt dem Himmel auch was vormachen mit einer verliebten Wallfahrt zur Gottesmutter von der Waldrast! – Er«, dabei stach er mit der Stockspitze 144 an meine Schulter, »er ist wohl so ein junger Jagdhund, so ein windiger Hubertusjünger, eben aus der Forstschul in Aggsbach gelassen – hm? – Und schnobert gleich mit guter Nas auf der frischen Weiberspur und hat auch schon was aufgestöbert, was Feines – he? – das ist freilich kurzweiliger, als Pflanzen setzen und im Forstamt Holztabellen schmieren. Und sie gehört auch ins Jägerische oder hat doch vor, sich dazu zu schlagen – nicht wahr? – Na ja! paßt ja recht schön zusammen, wird aber noch eine Weil warten und zeitiger werden müssen. Wie alt ist er denn?« »Bald neunzehn«, sagte ich lächelnd. »Und Sie?« »Bald siebzehn«, richtete sich Martha keck auf. »Haha!« lachte der erfahrene Hirte ländlicher Seelen. »Just die leckersten Teufelsbraten, dumm und hitzig! Das wär' eine schöne Geschicht! Ich möcht' euch das Flanieren schon einstellen, wenn ihr in der Pfarr wärt! – Also brav sein«, fuhr er in verändertem Ton fort und schlug mir derb mit der breiten Hand auf die Schulter, »das irdische Paradies hat noch keine reifen Äpfel für ihn, drum schleich' er nicht füchsisch um die Pforte und lug' durchs Schlüsselloch, sondern arbeit' er wacker und werd' was Tüchtiges, bis er sich den Eintritt ehrlich verdient. Ist so nicht viel dahinter, schaut 145 wie ein Wundergärtlein und Schlaraffenland her, und wenn einer dann drin ist, nämlich im heiligen Eh- und Wehstand, findet er manchen Baum voll Holzäpfel und Felder, die Müh' und Sorg' und Schweiß kosten, statt lauter Blumenbeeten, wie er sich's wohl eingebildet. Sie aber, sie hüt' den Riegel fein gut und laß sich nicht betören von dem süßen Gemaul dieses Windhunds da – nicht da am Zaun stehn und schäkern und das Türl ein bissel aufmachen, weil er gar so schön bitten tut und es ja doch nichts macht, oder im Fenster liegen, wenn der Mondschein schön scheint und sich was musizieren lassen, denn ist der Rammel einmal in der Kammer, dann ist er auch gleich im Bett, und – hin ist das Fensterl, das kein Glaser mehr flickt! – Na na, wie sie gleich rot wird, als wüßt' sie noch nicht, daß der Storch die Kinder bringt! – Aber da im Waldviertel bringt sie nicht der Storch – was? – Da bringt der Auerhahn die Buben, davon sind sie so brunstig, und der Vogel Kiebitz die Mädel, davon sind sie so schnippisch und neugiersam – was?« Wir lachten alle drei, und Martha barg ihre Verlegenheit in der Schürze. »Nun«, setzte er hinzu, indem er sein Brevier aus der Rocktasche zog, »wie heißt sie denn? – Martha! – Die Heilige hab' ich 146 grad' nicht vorrätig – aber da schau – das ist die heilige Wilburgis. Die war auch hübsch, so hübsch sogar, daß sich der eigene Vater in sie verliebt hat, da ist sie ausgerissen in die Einöd und hat ihre Schönheit dem lieben Gott geschenkt und ist eine große Heilige davon worden. Die nehm' sie sich zum Muster, bis der Bursch da ein wohlbestellter Adjunkt ist – mindestens – und bis der Pfarrer das Pförtl aufzuschließen erlaubt – nicht wahr? Und nachher kann sie der da nacheifern, der Sankt Elisabeth, was eine brave deutsche Frau und Mutter gewest ist, von der man lernen kann, seinen Mann lieben und Gott nicht vergessen dabei. Er aber – Kunz ist sein Nam', sagt er? – er möcht' wohl einen Hubert oder Eustachi haben – wie? Ist auch einer da, schau her, der Hirsch mit dem Kreuz im Gehörn, das betracht' er recht oft und denk' dabei, daß Glück und Weiberlieb auch ihr Kreuz haben. Drum laß dir Zeit, junger Jägersmann – du erwischst es noch früh genug! – Na also, b'hüt Gott jetzt alle zwei! Geht's heim und seid's brav. Und wenn euch einmal die große Not anläuft, dann kommt nur zum Waldpfarrer daher, der wird schon Rat wissen!« Damit gab er mir der Festigung halber, wie er sagte, ein beträchtlich schmerzendes Kopfstück, 147 Martha aber einen Backenstreich mit zwei Fingern, grüßte lachend und ging.

Schweigend setzten wir eine Strecke unsern Weg fort. Dann blieben wir im Wald einmal stehen und mußten beide herzlich lachen. Unter allerlei Gedanken wanderten wir heimzu Arm in Arm, recht wie ein verlobtes Paar. Die Sonne ging unter, und der volle Mond sah auf einmal groß und blaß durch die Wipfel. Der Atem feuchter Wiesengründe wurde sichtbar, und um den dunkelnden Waldweiher, als wir zu ihm kamen, braute ein feiner Nebelkranz. Dort nahmen wir Abschied und – wer weiß warum? – küßte mich Martha plötzlich noch einmal und zeichnete mir mit dem Daumen Kreuze auf Stirn und Lippen. Ich sah das Bild des Mondes feuchtglänzend in ihren erhobenen Blicken schwimmen. Und als ich heimwärts schritt und das Dunkel immer dichter um mich emporquoll, hatte ich ein Gefühl, als ginge von den Zeichen, die sie mir auf Stirn und Mund gemacht, ein kühles Leuchten aus.

*

Die Eltern brachten einen Gast mit, Onkel Artur, einen kleinen, lebhaften Mann, der sich 148 wie ein Engländer trug und für sehr geschäftskundig gelten wollte. Der bisherige Erfolg seiner Unternehmungen war, daß er ein schönes Gut im Unterland verwirtschaftet hatte und ziemlich viel Schulden besaß. Er war viel auf Reisen und stets von Agenten umgeben, die ihm herrliche Gewinnaussichten verrieten und dafür ein Taschengeld von ihm bezogen, das nebst andern bescheidenen Einkommensquellen einen Lebensunterhalt abgeben konnte. In der Regel kam es darauf hinaus, daß der Onkel als Unternehmer auftrat, alle Kosten bestritt, zur Finanzierung des Projektes Darlehen, die ihm die Agenten vermittelten, aufnahm und schließlich den ganzen Schaden des Fehlschlages seufzend auf sein Konto buchen durfte, während die Unterhändler an Maklergebühren allein beträchtlich verdient hatten. Dies vornehm übersehend, glaubte er dann willig ihren Trostsprüchen, mit denen sie nicht kargten, und ließ sich gern zu weiteren Versuchen ermuntern, wobei er mit der Hartnäckigkeit des Spielers auf den glänzenden Enderfolg rechnete.

Onkel Artur war gewiß ein unterhaltsamer Gesellschafter. Ärgerlich an ihm war mir, daß er nichts gut fand und alles immer besser wußte, wie er denn auch in einer halben Stunde 149 wenigstens siebenmal das Wort »modern« gebrauchte. Von mir wollte er durchaus, daß ich das sterile Studium der Humaniora aufgeben und mich den Handelswissenschaften widmen solle, wozu ich um so weniger Lust hatte, als ich mit der Mathematik seit jeher auf Kriegsfuß stand. Meine Zukunft sah ich im Wald, in der forstgerechten Betreuung meines Erbes und der Führung der kleinen Landwirtschaft, die unsere Wälder umgeben, wobei mir freilich gewisse kaufmännische Kenntnisse nützen mußten, die ich mir aber später noch in Theorie und Praxis zu ausreichendem Maße aneignen konnte. Die Mutter hielt in dieser Frage wacker Widerpart an meiner Seite, wie sie überhaupt den Einfluß des Oheims bei aller schwesterlichen Liebe vom Hause abzuhalten suchte und seine Besuche aus diesem Grund stets mit geteiltem Herzen aufnahm, während der Vater ganz unter dem Bann dieses eifrigen Geschäftsoptimisten stand und von seiner beredten Sanguinik immer angesteckt wurde.

Auch diesmal gab es manchen Wortstreit. Der Onkel entwickelte weitblickende Pläne, deren Ausführung die Erträgnisse des Gutes, wie er behauptete, in fünf Jahren verdoppeln mußten. Hauptsächlich plädierte er für die Errichtung eines großen »modernen« Sägewerkes und den 150 Bau einer Bahnverbindung ins Unterland, für welches Projekt er immense Beteiligung unzähliger Interessenten und auch die Unterstützung der Regierung versprach. Allein der Gedanke, daß hier in den heiligen Wäldern der Pfiff einer Lokomotive ertönen sollte, machte mich schaudern, und ich widersprach heftig diesem für mein Gefühl meuchelmörderischen Plan, der Zivilisation einen Weg in unsere Einsamkeit zu bahnen. Im übrigen aber ließ ich die Großen, die auf meine Stimme doch kein Gewicht legten, über das Für und Wider und alle Schwierigkeiten forthadern und begnügte mich damit, im stillen mit der Mutter, die mir in diesen Tagen recht sorgenvoll schien, das Projekt zu verdammen.

Als ich eines Abends kurz nach der Abreise des betriebsamen Oheims mit Martha von einem Spaziergang zurückkehrte und mich am Waldsaum oberhalb der Mühle wie gewöhnlich von ihr verabschieden wollte, sah ich zu meinem großen Erstaunen den Vater unten auf der Brücke beim Müller stehen, mit dem er in ein Gespräch vertieft schien. Beide sprachen heimlich und eifrig miteinander, und der Müller begleitete schließlich den Vater noch zur Straße hin, wo, wie ich jetzt bemerkte, unser Wagen 151 stand und wartete. Dort verabschiedeten die beiden sich sehr höflich voneinander, und der Vater fuhr heimwärts, während der andere nachdenklich und öfter stehen bleibend zur Mühle zurückkehrte.

Meine Bestürzung war groß und ich mochte vor Martha gar nicht viel davon reden, die das Beobachtete zwar sonderbar fand, sich jedoch weiter nicht viel Sorge darüber machte. Sollte der Tauchen geschwätzt, der Waldpfarrer uns ausgekundschaftet und dem Vater verraten haben? Beides hatte wenig wahrscheinliche Begründung für sich. Mit einigem Bangen trat ich abends vor die Eltern. Doch wuchs meine Sicherheit in dem Maße, als ich nichts Ungewohntes im Benehmen und Reden des Vaters zu finden vermochte, und schließlich war ich für mein Teil beruhigt, als ich bemerkte, daß der Vater selbst seinen Abstecher vor der Mutter zu verheimlichen schien und auf ihre Frage, wohin ihn seine heutige Ausfahrt geführt habe, wie absichtlich eine Gegend nannte, die diesem Ort fernab lag.

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