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Kaufmann, Tierhändler und Pflanzer

Ich mache mich selbständig und gehe wieder nach Ceylon – Verflogene Perlenträume – Etablierung als Shipchandler und Stevedore – vom Kaufmannsleben in der heißen Zone – Man intrigiert gegen mich – Ein sauberer Anschlag und sein Fiasko – ich werde Tierexporteur und Pflanzer – Erholungsstunden – Wie Onkel Kravell in den Brunnen fiel – Hypnotiseur und Tiger


Nach Abschluß der großen Tournee mit der Singhalesen- und Elefantenkarawane trat ich aus der Firma Carl Hagenbeck aus, um meinem Drange zu völliger Selbständigkeit Folge zu leisten. Mit großen Plänen trug sich mein jugendlich unternehmungslustiger Kopf, und sie drehten sich in der Hauptsache wiederum Ceylon. Denn ich war nun einmal, soviel stand fest, dem fernen Tropenparadies rettungslos verfallen; mit magnetischer Gewalt zog es mich zu dem palmenumrauschten Strand, zu den bräunlichen Menschen, zu den Dschungeln mit ihrer unbändigen Schöpfungskraft, ihrer exotischen Tierwelt, zu den einsamen, wilden Bergen rings um den Adamspik, zu der glühenden Sonne und dem ewigen Meer. Ein ganz bestimmtes Gefühl sagte mir, daß ich mein Lebensglück nur in Ceylon finden könnte. Und in der Tat, das Gefühl hat mich nicht getäuscht. Ich habe mein Glück auf der Tropeninsel gefunden – um es zuletzt wiederum zu verlieren. Aber gleichviel, es war doch einmal mein, dieses Glück!

Was wollte ich also in Ceylon, was gedachte ich dort zu beginnen? Nun, so mancherlei. Ceylon ist ja nicht bloß die Insel der Elefanten und anderer Wundertiere, es gibt dort noch so viele andere Dinge, um die zu bemühen sich wohl lohnt. Zum Beispiel die Perlen. Die Perlen Ceylons waren schon im frühen Altertum, Jahrhunderte vor Christi Geburt, beliebt und geschätzt, die phönizischen und arabischen Seefahrer haben sie schon damals unter unendlichen Beschwerden für die Griechen und Römer geholt. Der Mittelpunkt der Perlenfischerei ist Marischchukkadi; hier treffen sich zu gewissen Zeiten Tausende von Eingeborenen der ceylonischen und der benachbarten Küsten mit ihren Booten, um dem Meere die Muscheln mit dem kostbaren Inhalt zu entreißen. Es war nun meine Absicht, erstens einmal eine größere Perlenfischertruppe zu engagieren und nach Europa zu bringen, wo sie in Schaustellungen ihre erstaunlichen Taucherkunststücke vorführen sollten, zugleich aber auch mich selbst in der Perlenverwertung zu betätigen. Aber ein bekanntes plattdeutsches Sprichwort lautet: »Nimm di nix vor, dann geiht di nix fehl.« Ich kam zwar, jetzt zum drittenmal, in Ceylon an, aus allerlei Gründen jedoch wurde aus der Verwirklichung meiner Perlenträume nichts. Überdies war meine Finanzkraft auch zu gering. Ich hatte in den vorhergegangenen Jahren wohl ganz hübsch verdient, aber doch nur wenig zurücklegen können. So sah ich mich nun alsbald nach meiner Ankunft in Colombo in die Notwendigkeit versetzt, zunächst einmal, bis sich mir bessere Aussichten zur Selbständigkeit boten, irgendeine Stellung anzunehmen. Dank meinen praktischen Erfahrungen und Sprachkenntnissen fand ich rasch einen Posten in einer Shipchandlery. Das englische Wort Shipchandler ist in die internationale Seemannssprache übergegangen; man versteht darunter einen Schiffslieferanten, der die Schiffe mit allen möglichen Bedarfsartikeln versorgt, vom Scheuerlappen an bis zum Kompaß und zum Proviant. In einem kleinen Betrieb dieser Art wurde ich also Clerk, das heißt Angestellter und Handlungsgehilfe.

Verschiffung der für China bestimmten indischen Ochsen im Hafen von Colombo

Einschiffung der für China bestimmten Ochsen im Hafen von Colombo

Es gab tüchtig zu tun. Das Geschäftsleben in Übersee, besonders an einem großen Hafenplatze, ist wahrlich keine träumerische Idylle. Man hat in Europa oft ganz merkwürdig falsche Vorstellungen von der Lebensführung des Kolonisten in exotischen Ländern. Junge Leute, die ihre Kenntnisse aus phantastischen Schmökern schöpfen, malen sich das Dasein des europäischen Kaufmanns oder Pflanzers in Übersee in den verlockendsten Farben als eine Art Schlaraffenleben aus, das einem nicht bloß die gebratenen Tauben direkt in den Mund spediert, sondern auch alles andere, was das Herz just begehrt, auf dem Präsentierteller vorlegt. Solch ein Kolonist und weißer Herr (so stellt sich das in der Einbildung des gutgläubigen jungen Träumers ungefähr dar) liegt den ganzen lieben langen Tag in der Hängematte und braucht nur mit den Händen zu klatschen, wenn er irgendeinen Wunsch erfüllt sehen will. Aber das ist kaum nötig, denn seine zahlreichen, treu ergebenen Diener sehen ihm ohnehin schon jeden Wunsch an den Augen ab. Er hat also weiter gar nichts zu tun, als feine Zigarren zu rauchen, erlesene Weine zu schlürfen und den Gaumen an den vollendeten Schöpfungen seines Leibkochs zu ergötzen. Vielleicht gelüstet es ihn zuweilen, auf die Jagd zu gehen und Elefanten, Tiger, Krokodile usw. serienweise zur Strecke zu bringen. Es ist alles da, er braucht nur die nötigen Befehle zu geben, er, der große weiße Meister und Herr …

In Wirklichkeit verhält sich die Sache ein bißchen anders. Es mag ja sein, daß es irgendwo in der Welt noch Gegenden gibt, in denen der Kolonist das sprichwörtliche »Leben wie im Sommer« führen kann, streng nach der Weisheitsregel: »Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.« Aber in Süd- und Ostasien wird man solche Gegenden und solche Überseer vergeblich suchen, besonders an den großen Handelsplätzen. Dort sorgt schon der allgemeine Wettbewerb dafür, daß es ohne Umsicht, Rührigkeit und Ausdauer, von noch einigen anderen Eigenschaften ganz zu schweigen, keinen Erfolg gibt. Denn nicht nur die verschiedenen europäischen Nationalitäten sind an diesen Plätzen zahlreich vertreten, auch die Landeskinder selbst besitzen sehr namhafte kaufmännische Talente und sind durchaus nicht gewillt, sich von den Einwanderern einfach an die Wand drücken zu lassen. Es heißt sehr tüchtig sich regen, alle Möglichkeiten und alle Vorteile wahrnehmen, wenn der junge Kaufmann und Unternehmer es hier zu etwas bringen will. In den Handelskontoren von Colombo, Singapore, Batavia, Hongkong, Manila, Shanghai, Jokohama – um nur die wichtigsten süd- und ostasiatischen Handelsplätze zu nennen – wird mindestens ebenso fleißig gearbeitet, wie in den Kontoren von Hamburg, London, Amsterdam. Und das will etwas heißen in einem Klima, das die höchsten Anforderungen an die Widerstandskraft der Weißen stellt. Schon am frühen Morgen geht es zum Dienst, und mit geringen Unterbrechungen dauert die Arbeit bis zum späten Nachmittag. Sie verstärkt sich zu atembeklemmendem Tempo an den zahlreichen »mail-days«, den Posttagen, d. h. den Ankunftstagen der Dampfer mit Überseepost. Die eingegangenen Briefe müssen dann rasch beantwortet, die eiligen Bestellungen sofort erledigt werden. Wenn der Überseekaufmann nachmittags sein Kontor verläßt, dann weiß er, was er geleistet hat. Die Mußestunden, die ihm für Bewegung im Freien, für Sport und Unterhaltung übrig bleiben, sind kurz bemessen. Man geht in den heißen Ländern nach Anbruch der Nacht ziemlich frühzeitig zur Ruhe; ein sogenanntes »Nachtleben«, wie in den europäischen Großstädten, gibt es dort nicht, würde sich auch mit den Gesundheitsregeln nicht vertragen.

Ich habe bei diesem Punkt ausführlicher verweilt, weil mein Buch wahrscheinlich auch von vielen jungen Leuten gelesen wird, die von einer wohlbegreiflichen Sehnsucht nach der Ferne erfüllt sind, und weil ich für mein Teil dazu beitragen möchte, irrige Vorstellungen zu beseitigen. Es wird ja, und hoffentlich recht bald, die Zeit wiederkehren, wo der deutsche Kaufmann und Unternehmer sich ungehindert, wie einst, im Ausland betätigen darf. Im allgemeinen haben sich die deutschen Überseer draußen in ihren Stellungen glänzend bewährt, nicht bloß in den deutschen, sondern auch in den fremden Handelshäusern. Zahlreiche englische Kaufleute haben mit ihren deutschen Clerks die besten Erfahrungen gemacht und würden, wenn sie es dürften, sie gern wieder anstellen. Das beweist, mit welchem Ernst der junge deutsche Kaufmann draußen an seine Aufgabe herantritt. Natürlich kommen auch bisweilen, Gott sei Dank selten, Ausnahmen vor. Manche nicht hinlänglich gefestigte Natur erliegt den Versuchungen, die in den exotischen Ländern an den Kolonisten herantreten. Dann ist es das beste für ihn und auch für die ganze Kolonie (die, je kleiner sie ist, desto sorgfältiger auf tadellosen Lebenswandel ihrer Mitglieder achten muß), wenn er sich sobald wie möglich nach Europa zurückzieht. Es gibt keinen traurigeren Anblick als den eines heruntergekommenen und deklassierten Europäers in Ländern mit farbiger Bevölkerung.

Schon nach kurzer Tätigkeit in meiner Stellung hatte ich mich in dem neuen Fach soweit eingearbeitet, daß ich es wagte, mich mit meinen geringen Mitteln selbst als Shipchandler zu etablieren, in Verbindung mit einem Stevedoregeschäft. Unter einem Stevedore – das englische Wort ist dem Spanischen entnommen – versteht man eine Art Schiffsspediteur, der in den Häfen das Ein- und Ausladen von Waren besorgt. Dieser Geschäftszweig lag in Colombo damals ganz in den Händen von Eingeborenen. Ich sah die verheißungsvollen Entwicklungsmöglichkeiten eines derartigen Unternehmens voraus und dachte dabei hauptsächlich an deutsche Schiffe. Zwar liefen zu jener Zeit nicht mehr als 4-6 deutsche Dampfer im Monat in Colombo an, aber da wir uns gerade am Anfang der glänzenden Entwicklung des deutschen Weltverkehrs befanden, so vertraute ich auf ein sehr schnelles Anwachsen dieser Ziffer. Und wie sich bald herausstellen sollte, mit Recht. Meine Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sondern im Laufe der Zeit weit übertroffen; belief sich doch die Zahl der Colombo anlaufenden deutschen Dampfer in den letzten Jahren vor dem Kriege auf jährlich etwa sechshundert!

Es fiel mir als Deutschem mit einem auch in der Schiffswelt bereits sehr bekannten Namen nicht schwer, die nötigen Verbindungen anzuknüpfen, und da ich keinerlei Mühe scheute, um mich durchzusetzen, wurde ich aus kleinsten Anfängen heraus allmählich Lieferant und Verfrachter bei den Schiffen des Norddeutschen Lloyd, der Hamburg-Amerika-Linie, der Deutsch-Australischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft, der Bremer Hansa-Linie und anderer Reedereien. Das Shipchandler- und Stevedoregeschäft kann in einem exotischen Hafen wie Colombo nur dann erfolgreich gehandhabt werden, wenn man nicht nur die Europäer, die man bedienen will, sondern auch die Eingeborenen, die man dazu als Helfer braucht, richtig zu behandeln versteht. Wird unter den Eingeborenen, wie es so häufig geschieht, aus irgendwelchen Gründen die Parole ausgegeben, sich »bockbeinig« zu verhalten, so nützt dem Geschäftsmann das beste Wollen, die rührigste Tätigkeit nichts – er bekommt weder Arbeiter noch Material oder Proviant, überall stößt er auf jenen passiven Widerstand, worin es der Orientale zur Meisterschaft bringt.

Deshalb hatten auch meine englischen Vorgänger, die es mit diesem Fach versucht hatten, so wenig erreicht, daß sie bald wieder die Flinte ins Korn warfen. Bei mir lag die Sache anders. Ich war von meinem Tierhandel her auf Ceylon schon sehr bekannt, ja, ich darf wohl ohne Überhebung sagen: beliebt und wußte die Eingeborenen von der rechten Seite zu nehmen. So kam es, daß es mir an der benötigten Hilfe nicht fehlte. Mein Geschäft ging vorwärts. Leicht ist es mir freilich nicht geworden. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend und oft noch tief in die Nacht hinein galt es die Hände zu rühren. Nicht etwa in einem hochkomfortabel ausgestatteten, angenehm kühlen Kontor. Nein, sondern bald hier bald dort, jetzt in den Baracken der eingeborenen Unterhändler, dann im Kohlenstaub der Lagerplätze am Hafen, dann wieder in den zum Umfallen heißen Laderäumen der Schiffe, und das immer bei einer ziemlich gleichmäßigen Temperatur von 40 Grad, manchmal auch mehr! So sah mein »idyllisches Tropenleben« aus, von dem mancher gute deutsche Landsmann zu Hause träumt!

Wenn ich vorhin den Ausdruck gebrauchte, daß es mir nicht schwer gefallen wäre, ins Shipchandlergeschäft hineinzukommen, so bedarf das einer Einschränkung. Denn ich hatte doch heftige Widerstände zu überwinden, und zwar gingen die von einer Seite aus, die sich durch mein Auftreten stark beeinträchtigt wähnte: nämlich von der farbigen Konkurrenz. Mein wütendster Gegner war ein intelligenter Singhalese, der sich, ganz zu Unrecht, einbildete, daß ihm der junge Europäer, wie man zu sagen pflegt, Knüppel vor die Beine werfen und ihm das Wasser abgraben wollte. Und wie das nun einmal Landessitte ist, wurde der Kampf gegen mich nicht offen und ehrlich, sondern mit allerlei versteckten Mitteln geführt. Zuerst suchte man mir meine Arbeiter und Lieferanten abspenstig zu machen, und als das nichts nützte, wollte man irgendeinen kleinen »Unfall« inszenieren in der Hoffnung, meine Person vielleicht als das »bedauernswerte Opfer« des Unfalls beklagen zu können. Vor dem offenen Angriff auf einen Europäer scheut der Singhalese und Tamule zurück. In meiner ganzen indischen Zeit ist in Ceylon kein einziger Europäer von Eingeborenen ermordet worden. Die persönliche Sicherheit des Weißen ist auf der Insel, selbst in entlegenen Gegenden, so gut wie verbürgt. Diebereien ist er häufig ausgesetzt, Gewalttaten nie. Denn, wenn der Eingeborene den »Mahatma«, den weißen Herrn, auch nicht sonderlich liebt, so hat er doch eine tief eingewurzelte Scheu vor ihm, und überdies hat er allen Respekt vor der strengen Justiz.

Aber es lassen sich ja, wie gesagt, mit einiger Erfindungsgabe sonderbare »Zufälle« konstruieren, wenn man einem verhaßten Nebenbuhler etwas auswischen will, ohne sich selbst zu gefährden. Solch ein Zufall ereignete sich eines Abends, als ich in einem Boot durch den Hafen fuhr. Da tauchte im Dunkeln ein anderes Boot neben mir auf, und das meinige ward plötzlich zum Kentern gebracht. Zwar wurde ich tüchtig naß bei der Geschichte, aber den Gefallen, zu ertrinken, habe ich meinen Widersachern nicht getan. Scherze ähnlicher Art wiederholten sich, natürlich immer im Schutz der Dunkelheit. Auch eine Flintenkugel, die eines Abends in mein Kontor schlug und mir dicht an der Nase vorbeipfiff, hatte ihren Beruf verfehlt und vermochte mich nicht aus diesem irdischen Jammertal zu vertreiben. Da holten die dunklen Ehrenmänner zu einem letzten und, wie sie wähnten, vernichtenden Schlage aus. Ein heruntergekommener Portugiese von jener Sorte, die man im Englischen »Loafers« (Herumtreiber) nennt, erschien in meinem Kontor und erzählte mit geheimnisvoller Wichtigtuerei eine lange Geschichte. Er hätte nämlich – und zwar, wie er durchblicken ließ, auf unlautere Weise – einen größeren Posten Opium in seinen Besitz gebracht und wollte diesen nach Holländisch-Indien durchschmuggeln, wo die Einfuhr streng verboten ist und das auf Schleichwegen ins Land gebrachte Opium deshalb von dem der Opiumleidenschaft Verfallenen hoch bezahlt wird. Da ich nun öfter Gelegenheit hätte, Schiffe, die nach Holländisch-Indien gingen, zu befrachten, würde es mir ein Leichtes sein, den Opiumballen mit anderer, harmloser Ware zusammenzupacken und durchzuschmuggeln, so daß er den Adressaten in Batavia unangefochten erreichte. Eine sehr anständige Provision sollte mein Lohn sein. Das Opium befände sich bei einem Geschäftsfreund, einem Moorman (Indo-Araber) in der entlegenen Vorstadt Mattakkuliya. Dort sollte ich mir den Ballen ansehen und mit den beiden, dem Portugiesen und dem Moorman, das noch Nötige besprechen.

Ich hörte mir die Geschichte ruhig an und machte mir gleich im Stillen meine Gedanken darüber. Irgend etwas stimmte da nicht. Daß es dem Loafer geglückt war, einen Opiumballen zu »finden«, das mochte schon möglich sein. Und, daß er das Opium auf gewinnbringende Weise nach Java zu »verschieben« gedachte (wie der herrliche Ausdruck heute lautet), das war ja, von seinem Standpunkt aus betrachtet, ein ganz gesunder Gedanke. Aber dazu brauchte er keinen respektablen Stevedore, für solche dunklen Geschäfte gab es im Hafenviertel Biedermänner genug, die jederzeit gern bereit und in der Lage waren, die Sache prompt zu besorgen. Warum in aller Welt wandte er sich also gerade an mich? … Mißtrauisch, wie ich infolge der letzten »Zufälle« nun einmal war, stand ich der ganzen Geschichte sehr skeptisch gegenüber und zweifelte keinen Augenblick daran, daß der elende Portugiese nur ein Werkzeug meiner Widersacher war. Zwei Möglichkeiten schienen mir vorzuliegen: entweder wollte man mich auf raffinierte Weise in einen kompromittierenden Handel verwickeln, um im geeigneten Augenblick die Aufmerksamkeit der Behörde darauf zu lenken und meine Existenz in Colombo für immer zu vernichten – oder es war eine noch ärgere Falle aufgestellt und ich sollte zur Nachtzeit draußen in Mattakkuliya, wo kein Hahn nach mir gekräht hätte, geräuschlos verschwinden.

Begreiflicherweise hatte ich weder zum einen noch zum anderen Lust. Aber allen Bedenken zum Trotz reizte es mich doch, auf das Abenteuer einzugehen und das damit verbundene Risiko auf mich zu nehmen. Ich wollte der dunklen Sache auf den Grund kommen und mit meinen Feinden, wenn irgend möglich, endlich einmal definitiv abrechnen. Also sagte ich dem Portugiesen, daß ich bereit wäre, abends zu seinem sogenannten »Geschäftsfreund« zu kommen und mir die Schmuggelware anzusehen. Der Kerl grinste von einem Ohr zum anderen und verduftete in des Wortes wahrster Bedeutung, denn sein Körper war mit Arrak und Whisky förmlich durchtränkt.

Ich überlegte nun, ob es nicht das beste wäre, mich gleich an die Polizei zu wenden. Der Vorsteher des Detektiv-Departements war ein guter Bekannter von mir, und er hätte zweifellos mit Vergnügen sofort alle Maßregeln zu meiner persönlichen Sicherheit und zur Festnahme der am Komplott Beteiligten getroffen. Aber ich kam von diesem Gedanken wieder ab. Es widerstrebte mir doch, mich ohne die äußerste Notwendigkeit unter den Schutz der Behörden zu stellen. War etwas Böses gegen mich geplant, so wollte ich mit den Burschen schon allein fertig werden. Im Notfall genügten mir meine eigenen Leute als Beistand.

Noch im Lauf des Nachmittags schickte ich also zwei intelligente und absolut verläßliche Diener nach Mattakkuliya voraus. Sie hatten den Auftrag, sich in unauffälliger Weise in nächster Nähe des mir bezeichneten Hauses aufzuhalten und in dem Fall, daß ich ihnen später mit meiner Torpedopfeife ein Signal geben sollte, sofort, nötigenfalls mit Gewalt, in das Haus einzudringen und zu mir zu eilen. Der Abend kam. Ich steckte meinen Sechsläufigen ein, fuhr mit einem Wagen bis in die Nähe des Hauses, in dem der Moorman wohnte, und legte die letzte Strecke zu Fuß zurück. Es war um die achte Stunde, und in dem nur spärlich bewohnten, nicht mit Straßenlaternen beleuchteten Viertel war es so finster, daß ich Mühe hatte, mich zurechtzufinden. Endlich stand ich vor dem bezeichneten Hause, das eigentlich nur den Namen einer etwas größeren Bude verdiente, und ich bemerkte zu meiner Genugtuung unweit des Hauses die beiden Diener, die am Straßenrand lagen und so taten, als ob sie schliefen.

Auf mein Klopfen öffnete sich die Tür. Der Moorman, ein spitzbübisch aussehender Alter, wollte sie nach meinem Eintritt wieder zumachen und verriegeln, aber mit den Worten, daß ich sehr erhitzt wäre und unbedingt frische Luft brauchte, bestand ich darauf, sie mit einem Spalt offen zu lassen – ersichtlich zum Mißvergnügen des Moorman sowohl wie des Portugiesen, der nun in dem wüsten Durcheinander des halbdunklen Zimmers auftauchte und mir entgegentrat.

Es ist noch zu erwähnen, daß das Haus mit seiner Rückseite an einen Kanal grenzte und daß sich dort eine kleine hölzerne Altane befand, die über den Rand des Kanals hinaufragte, unter welcher also das Wasser floß. Der Moorman und der Portugiese begannen geschwätzig auf mich einzureden, aber um die Sache kurz zu machen, schnitt ich den Wortschwall mit der Frage ab: »Wo ist das Opium? Ich habe nicht lange Zeit.«

In geheimnisvoll tuender Weise zogen mich die beiden zwischen dem im Zimmer verstreuten Plunder nach der Tür hin, die zu der Altane hinausging. Ich war auf meiner Hut. In der linken Hand hielt ich die Torpedopfeife verborgen, meine Rechte umklammerte den in der Rocktasche steckenden Revolver.

»Die Kiste steht draußen auf der Altane«, flüsterte der Portugiese. »Dort ist sie in größerer Sicherheit, hier ins Zimmer kommen zuviel Geschäftsfreunde hinein, die haben ihre neugierigen Augen überall.«

Er ging auf die Altane voran und deutete auf eine in der Ecke liegende Kiste. Als ich ihm zögernd nachfolgen wollte und die Schwelle zwischen Zimmer und Altane betrat, fühlte ich plötzlich den Boden unter mir weichen … die Bretter gaben unter meinen Füßen nach … ich stürzte in die Tiefe …

Aber da ich auf irgendeinen Anschlag gefaßt gewesen war und deshalb Körper und Geist in Spannung gehalten hatte, konnte mich dieser »Zwischenfall« (in des Wortes wörtlichster Bedeutung) keinen Augenblick lang um meine Geistesgegenwart bringen. Schon rein instinktiv breitete ich beim Stürzen die Arme aus und hielt mich, als ich bis zu den Achseln zwischen den Planken steckte, daran fest – dann stemmte ich mich flugs wieder hoch, sprang auf die Füße, und in der nächsten Sekunde bekam der Portugiese, der vergeblich zu entweichen versuchte, einen Tritt in den Leib, daß er aufheulend zusammenbrach.

Meine draußen wartenden Diener hatten den Lärm und den Schrei gehört und drangen zur Tür herein. Nun vollzog sich ein kleines Strafgericht. Der portugiesische Loafer und der Moorman, der sich hinter einen Ballen verkrochen hatte, erhielten von meinen handfesten Leuten eine tüchtige und wohlverdiente Tracht Prügel, obwohl sie beteuerten, an meinem Unfall schuldlos zu sein, die Bretter der Altane wären leider morsch gewesen, es handele sich um ein bedauerliches Mißgeschick usw. usw. Ich sagte den beiden auf den Kopf zu, daß es auf Anstiften der mir wohlbekannten Hintermänner ihre Absicht wäre, mich im Wasser des Kanals verschwinden zu lassen, und stellte ihnen Verhaftung und Kriminalverfahren in Aussicht.

Aber in Wirklichkeit dachte ich nicht daran, die Sache an die große Glocke zu hängen, denn das Schlußresultat hätte für mich nur darin bestanden, daß ich die mir feindlich gesinnten Kreise und ihren weitverzweigten Anhang noch mehr gegen mich einnahm und meine Lage noch schwieriger machte. Als nun die Burschen, die doch eine höllische Angst vor der Justiz hatten, zu winseln begannen, erklärte ich mich bereit, sie unter gewissen Bedingungen laufen zu lassen. Der Portugiese sollte sofort Colombo verlassen; sobald er sich in der Stadt noch einmal blicken ließe, würde ich für seine endgültige Unschädlichmachung sorgen. Der Moorman aber sollte seinen Hintermännern ausrichten, daß alle ihre Manöver und Nachstellungen nicht den geringsten Eindruck auf mich machten und daß ich sie unfehlbar vor das Kriminal bringen würde, wenn sie nicht sofort mit ihren Umtrieben aufhörten.

Ich habe mich in der bestimmten Erwartung, damit das Richtige getroffen zu haben, nicht getäuscht. Der portugiesische Loafer verschwand und ist mir nie wieder vor Augen gekommen. Vor meinen Nachstellern aber hatte ich in Zukunft Ruhe. Sie sahen wohl ein, daß sie mit mir doch nicht fertig werden könnten und daß es vernünftiger wäre, sich mit der Tatsache meiner Existenz endlich abzufinden und ins Einvernehmen mit mir zu kommen. Jedenfalls bin ich in der Folgezeit in meinem geschäftlichen Wirkungskreise niemals mehr auf Widerstand gestoßen, weder auf offnen noch auf versteckten. Ja, im Gegenteil – jener Singhalese, den ich wohl mit Recht im Verdacht hatte, daß er die Haupttriebkraft der gegen mich eingefädelten Intrigen war, suchte jetzt freundliche Annäherung an mich, und wir haben dann später manches Geschäft miteinander gemacht – ohne jemals über die vorgefallenen Dinge zu sprechen. Es zeigte sich da wieder, daß auf die Eingeborenen nichts so starken Eindruck macht, wie feste Haltung und Unerschrockenheit.

Neben dem Shipchandler- und Stevedoregeschäft wandte ich mich bald wieder meiner alten Liebhaberei, dem Tierhandel, zu. Die Arbeit im Kontor und im Hafen allein konnte mich auf die Dauer nicht befriedigen, denn es war mir geradezu ein Lebensbedürfnis, Tiere um mich zu haben, möglichst viel Tiere zu besitzen und im Interesse des Tierhandels Jagd- und Einkaufsreisen zu unternehmen. Deshalb dauerte es gar nicht lange, und ich hatte auf dem Grundstück hinter meinem Bungalow bald einen Tierpark eingerichtet, der anfangs nur klein war, aber schon nach kurzer Zeit immer größeren Umfang annahm. Neben den fortlaufenden alten Beziehungen zum Hause Carl Hagenbeck in Hamburg knüpfte ich neue Verbindungen an, u. a. mit dem durch seine originelle Riesenreklame berühmt gewordenen Menagerie- und Zirkusbesitzer Barnum in New York, dem »König des Humbugs«, wie ihn seine Beneider nannten, der aber in Wirklichkeit ein ebenso großzügiger wie zuverlässiger Geschäftsmann war, wenn seine amerikanischen Reklamemethoden auch etwas Verblüffendes hatten.

Barnum beauftragte mich, nicht nur eine Reihe Elefanten und andere Tiere zu liefern, sondern auch eine große Singhalesentruppe zusammenzustellen. Ich war in der Zeit von drei Wochen damit fertig und sandte den ganzen Transport, der außer den Singhalesen auch sechs große Arbeitselefanten, eine Anzahl Zebuochsen, Zwergesel, Schlangen, Leoparden und andere Tiere umfaßte, unter Führung eines Angestellten nach New York, wo die Truppe fabelhaften Erfolg erzielte. Im darauffolgenden Jahre lieferte ich eine noch viel größere Karawane für Schaustellungszwecke nach Amerika, die auch aus Bajaderen, Zauberern, Teufelstänzern, Schlangenbeschwörern, Fakiren, Akrobaten usw. bestand und da sie sich von der zuerst gesandten Truppe vollkommen unterschied, noch größeren Beifall fand und auf ihrer amerikanischen Tournee überall riesiges Aufsehen erregte.

Unter den zahllosen exotischen Tieren, die ich in der Folgezeit nach allen Ländern der Erde exportierte, sind außer Elefanten, meiner Spezialität, und Leoparden und Schlangen auch die berühmten Nellore-Zebubullen aus Indien zu erwähnen, die ich in kolossal großen Exemplaren aufzufinden wußte. Die Regierung von Ceylon beauftragte mich, diese Zebuochsen zu Kreuzungszwecken auch in Ceylon einzuführen, und die damit angestellten Versuche hatten in der Tat den besten Erfolg. Sehr interessante Geschöpfe waren auch die seltenen Schuppentiere, die bis dahin fast niemals lebendig nach Europa gekommen waren. Das kurzschwänzige Schuppentier oder Pangolin, das auf Ceylon wie in ganz Ostindien heimisch ist, gehört zur Gattung der Zahnlücker, wird 65 cm lang, mit ebenso langem Schwanz, lebt paarweise und erzeugt jährlich zwei oder drei Junge. Bis auf die Kehle, die Unterseite und die Innenseite der Beine ist das Tier mit großen, harten, scharfrandigen Hornschuppen besetzt; diese Schuppen gewähren, wenn sich das Tier zusammenkugelt, wie ein Panzer Schutz gegen feindliche Angriffe. Die Schuppentiere halten sich hauptsächlich in Termitenhügeln auf und nähren sich von Termiten und Ameisen, die sie dadurch fangen, daß sie ihre weit vorsteckbare runde Zunge in den Haufen hineinstecken, so daß die Ameisen daran kleben bleiben. Es glückte mir, einige Schuppentiere lebend nach Europa zu schicken, ein sehr schwieriges Unternehmen, weil die höchst empfindlichen Tiere auf der langen Reise mit Milch, Eiern und rohem Fleisch ernährt werden mußten.

In einem anderen meiner Tiertransporte befanden sich die beiden größten Orang-Utan von Borneo, die mir jemals zu Gesicht gekommen waren. Sie entwickelten eine gewaltige Kraft und waren so ungebärdig, daß ich erleichtert aufatmete, als ich die Tiere endlich auf einem nach Marseilles bestimmten Dampfer glücklich untergebracht hatte. Diese Orang-Utan gingen nach dem Pariser Zoologischen Garten und wurden mit 55 000 Franken bezahlt – damals eine unerhört hohe Summe für ein paar Tiere.

In lebhafter Erinnerung sind mir auch sechs wilde Sumatra-Tiger von ungewöhnlicher Größe geblieben, die sich durchaus nicht beruhigen wollten und in ihren Käfigen einen derartigen Spektakel verübten, daß es kaum auszuhalten war. Eines Nachts stürzte mein Tierwächter zu mir ins Schlafzimmer mit der Meldung, daß einer der Tiger, der größte und wildeste, nahe daran wäre, sich aus dem Käfig zu befreien. Man kann sich meinen Schreck vorstellen, denn wenn dem Tiere das Entweichen gelang, stand großes Unheil bevor. Ich war also mit einem Sprung aus dem Bett, und beim flackernden Licht einer Fackel vernagelten wir nun den Käfig, durch dessen Eisenstäbe sich der Tiger bereits bis zu den Schultern durchgezwängt hatte, auf allen Seiten mit Brettern, während sämtliche Tiger fauchten und brüllten und sich wie Verrückte gebärdeten. Auch in diesem Fall war ich heilfroh, als ich die Bestien endlich glücklich verfrachtet hatte.

Meine Einkaufsreisen führten mich nicht nur kreuz und quer durch Ceylon, sondern auch wiederholt zum indischen Festland hinüber, bis zum Himalaja hinauf, ferner nach den Andamaninseln, nach Java und Sumatra. Aber hiervon wird erst im zweiten Teil dieses Werkes die Rede sein.

So blühte mein junges Geschäft erfreulich auf, vergrößerte sich von Jahr zu Jahr und nahm einen Umfang an, den ich bei Begründung der Firma kaum zu erhoffen gewagt hatte. Das hing auch zum Teil mit der Zunahme des deutschen Schiffsverkehrs zusammen, der mir immer größere Lieferungen für die Colombo anlaufenden Dampfer verschaffte. Zur Zeit des Boxeraufstandes in China hatte ich im Auftrag der deutschen Regierung tausend große indische Schlachtochsen und eine große Ladung Brennholz und Futter nach China zu schicken, zu welchem Zweck ich einen Hamburger Dampfer charterte. Es gelang mir, diesen umfangreichen Transport in der kurzen Zeit von einer Woche zu erledigen. Aber nicht nur für deutsche Schiffe und in deutschem Auftrag war ich tätig, sondern auch für die Schiffe und Regierungen anderer Nationen, besonders zur Zeit des Japanisch-Chinesischen und des Burenkrieges.

Mit der Zeit erfuhren meine Unternehmungen eine Erweiterung noch dadurch, daß ich mich auch als Pflanzer zu betätigen begann, zuerst als Kokosnußpflanzer auf einer der schönsten Plantagen im Regombodistrikt. Hier erhielt ich häufig Besuch von deutschen Pflanzern, die in unseren Südseekolonien Kokosplantagen anlegen und sich in Ceylon zunächst über die besten Methoden des Anbaues unterrichten wollten. Bald darauf kaufte ich eine zweite Plantage in Alava, die noch nicht so weit vorgeschritten war, sich aber später auch aufs beste entwickelte. In den folgenden Jahren ging ich dann zum Anbau von Tee, Kakao und Kautschuk über. Von den Kautschukplantagen befand sich die eine in der Nähe von Kandy, die andere bei Kurunegalla, auf beiden habe ich recht schöne Erfolge gehabt.

*

»Tages Arbeit, abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste …« War das Leben in Colombo für mich, besonders in den ersten Jahren meiner Selbständigkeit, auch hart und sauer, so fehlten doch keineswegs jene Pausen der Erholung, des harmlosen Daseinsgenusses, die gerade der tätige Mensch zu seiner Entspannung absolut braucht. So lange ich als Junggeselle wirtschaftete, war das Bungalow, das ich anfangs mit ein paar Landsleuten teilte und in dem wir uns sehr gemütlich eingerichtet hatten, der Mittelpunkt so mancher heiteren geselligen Veranstaltung. Auch unser kleiner Deutscher Klub, in dem ich bald die Rolle eines »Haupthahns« und »Obermimen« zu spielen bestimmt war, hielt fest und treu zusammen und bereitete seinen Mitgliedern – auch einige wenige Damen gehörten dazu – schöne Stunden, von denen mir manche unvergeßlich blieben. Neben sportlicher Betätigung, die auch in den Tropen zur Kräftigung und zur Erhöhung der Elastizität des leicht erschlaffenden Körpers unentbehrlich ist, wurden gemeinschaftliche Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung Colombos unternommen und natürlich wurden auch alle freudigen Ereignisse, vor allem die großen vaterländischen Fest- und Gedenktage, nach guter deutscher Sitte gebührend gefeiert. Es herrschte, wie gesagt, ein guter Geist in unserer kleinen deutschen Kolonie. Am gemütlichsten aber ging es gewöhnlich zu, wenn wir den Besuch eines deutschen Kapitäns oder anderer Schiffsoffiziere von den Colombo anlaufenden deutschen Dampfern bekamen, was bei dem regen Seeverkehr mit Deutschland recht häufig der Fall war. Dann gab es immer viel zu erzählen, man erfuhr viel neues von der Heimat, auch solche Dinge, die von den Zeitungen gar nicht oder nur oberflächlich behandelt wurden, und alles mögliche Interessante aus aller Welt, aus allen den vielen Hafenplätzen, die zwischen Hamburg und Yokohama oder Adelaide liegen. Und wenn die Herren Kapitäne und anderen Schiffsoffiziere auch sonst nicht viel mitzubringen pflegten, so ließen sie es doch niemals an einem fehlen: an ungeheurem Durst. Unser gutes deutsches Exportbier erfreute sich in Seemannskreisen derselben Beliebtheit wie unser nicht minder berühmte Whisky und übte eine Anziehungskraft aus, der kein sturmerprobtes Seemannsherz zu widerstehen vermochte.

Von den vielen drolligen Zwischenfällen, die sich bei solchen Besuchen in unserem Bungalow ereigneten, sind mir manche in heiterer Erinnerung geblieben, zum Beispiel der folgende.

Wir hatten also wieder einmal einen Hamburger Kapitän zu Gast und saßen in unserem gemütlichen, nach dem Garten zu offenen Eßzimmer um einen runden Tisch, auf dem die große Petroleumlampe mit Windschutzvorrichtung stand (elektrische Lichtanlagen gab es damals bei uns noch nicht). Durch die geöffneten Fenster drang das Rauschen des Meeres hinein und eine angenehm frische Seebrise. Das auf Eis gekühlte bayrische Export-Flaschenbier hatte eine vergnügte Stimmung erzeugt und der lustigsten einer war das älteste Mitglied unserer Kolonie, der fidele Onkel Kravell, den wir deshalb Onkel nannten, weil er schon Ende der Vierziger war und wir anderen erst 25-30 Jahre, so daß er gut unser Onkel hätte sein können. Er erzählte seinen Tischnachbarn die unmöglichsten Jagdabenteuer und sagte: »Wissen Sie, Herr Kapitän, als ich neulich mit Karlchen auf der Krokodiljagd war, da schlängelt sich mir eine Riesenschlange um den Leib und will mich zu sich auf den Baum hinaufziehen. So in der Luft schwebend nehme ich mein Jagdmesser und schneide mich ab, so daß ich hinunterplumpse – beinahe in den Rachen eines großen Krokodils. Nicht wahr, Karlchen?« – »Jawohl, Sie haben die Geschichte schon zum 999zigsten Male erzählt, und da muß sie natürlich wahr sein!« bestätigte Karlchen. Freund Adalbert aber, der gerade erst kürzlich von Europa zurückgekehrt war und wieder eine etwas stürmisch verlaufene »Entlobung« glücklich hinter sich hatte, deklamierte:

Dahin sind Lerchen nun und Nachtigallen,
Und durch den sangverlassenen Strauch
Weht nur des Windes kalter Hauch –
Mein Glück ist mit dem Laube abgefallen! –

Auf meinen Vorschlag wurde nun das Lied »Deutschland, Deutschland über alles« angestimmt und dermaßen mit Betonung, daß es weit in die stille Nacht hinaus erklang. Onkel Kravell hatte inzwischen einmal »das Lokal verlassen«, und sein längeres Verschwinden war keinem weiter aufgefallen. Da kommt plötzlich der alte singhalesische Koch ins Eßzimmer gelaufen und ruft etwas auf Singhalesisch, wovon ich nur die Worte verstehe: »Mr. Kraul – Brunnen.« Er fügte dann in gebrochenem Englisch hinzu: »Master Kraul has fall into the well.«

Die Tischgesellschaft, gefolgt von der Dienerschaft, stürzte nun auf den mondbeschienen Hof hinaus, in dessen Mitte sich eine Zisterne, befand, ein Brunnen mit kreisrunder, niedriger, weißgetünchter Mauer als Rand. Wir rufen hinunter: »Onkel Kravell, haben Sie Grund?« und es erschallte dumpf herauf: »Nein, ich trete hier Wasser.« Wir ließen nun eine dicke Bambusstange, die im Hof lag, in den Brunnen hinab, um den Onkel herauszuziehen, aber der rief: »Nein, das geht nicht, der Bambus ist zu glatt.« Ich rief den versammelten Eingeborenen auf Shingalesisch zu: »Loku Lanoak genen, vigahata!« (Bringt ein großes Seil, schnell!) dachte aber dabei: Wo sollen die Leute so schnell ein großes Seil hernehmen. Doch dauerte es nicht lange, bis sie einen schönen langen Strick brachten, den sie in der Nachbarschaft aufgetrieben hatten.

Das Tau wurde hinabgelassen und Onkel Kravell band sich das Ende um die Hüfte. Wir Europäer faßten in der Mitte und die Eingeborenen am anderen Ende an und der Kapitän rief: »Zieht Leute, zieht! One, two, three!« Bei drei zogen wir jedesmal an, aber wir mußten tüchtig ziehen, denn Onkel Kravell wog die Kleinigkeit von mehr als zwei Zentner. Wir waren froh, als wir das lächelnde Gesicht und den schön gerundeten Bauch des Onkels über dem Brunnenrand auftauchen sahen. Auf unsere Frage, wie er das Kunststück angestellt hätte, berichtete er, er hätte sich in einer unwiderstehlichen Anwandlung von Weltschmerz auf die Brunnenmauer gesetzt und wäre dann hintenüber gepurzelt. Die Zisterne hatte einen Durchmesser von etwa drei Meter und bis zum Wasserspiegel war sie vier Meter tief. Das Wasser muß den Sturz gemildert haben, jedenfalls bewahrheitete sich hier wieder die landläufige Ansicht, das »animierte« Leute ihren eigenen Schutzgeist haben und sich nicht entzweifallen. Völlig nüchtern war der Onkel jetzt aber, und nachdem er sich seiner nassen Kleider entledigt hatte, packte er sich ins Bett. Wir gratulierten uns, daß er nicht das Genick gebrochen hatte – und pokulierten weiter. Böse Zungen behaupteten später, Onkel Kravell hätte am Brunnenrand ein Stelldichein mit einer eingeborenen Schönheit gehabt. Aber das war Verleumdung, denn dann hätte er doch unfehlbar das Mädchen mit sich in die Tiefe gerissen – und wir haben ganz bestimmt nur eine Person herausgefischt.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein anderes Geschichtchen aus jener Zeit zum besten geben, nämlich: Wie ein Königstiger hypnotisiert werden sollte.

Wir Insassen unseres Bungalows waren mit einigen anderen Mitgliedern der deutschen Kolonie von einer befreundeten italienischen Familie zum Dinner geladen. Noch ein fremder Gast nahm teil, der uns als ein italienischer Graf Vittorio vorgestellt wurde. Bei Tisch kam die Rede auf übersinnliche Kräfte, Hypnotismus usw. Ein Teil der Gesellschaft glaubte daran, andere wollten von deren Existenz nichts wissen – die letztere Partei nahm auch ich. Nun sagte der Graf, er wolle uns nach Tisch ein kleines Experiment zeigen, und als die Tafel aufgehoben war und wir bei Kaffee und Zigarren weiterplaudernd beisammen saßen, bat der Graf die Gesellschaft, einen Herrn zu bestimmen, der einen Augenblick hinausgehen sollte. Durch allgemeinen Zuruf wurde Freund Adalbert erwählt, hinauszugehen. Nun fragte der Graf, was dieser Herr beim Wiederhereinkommen tun sollte, und man einigte sich dahin, daß Adalbert vor der Hausfrau niederknien und sich einen »Whisky und Soda« erbitten solle. Kaum war Freund Adalbert gerufen, als er ganz verstört hereinstürzte, mit langen Schritten auf die Dame des Hauses, die am anderen Ende des Zimmers saß, zuging, sich ihr zu Füßen warf und die Worte hervorsprudelte: »Give me a Whisky and Soda« ohne erst »Please« hinzuzufügen. Nachdem er den Whisky bekommen und getrunken hatte, beruhigte er sich wieder, aber wir waren durch das vollkommen gelungene Experiment höchst verblüfft, und es war so unheimlich gewesen, daß wir auf weitere Proben der Kunst des Grafen verzichteten. Nachher erzählte mir eine Dame, die mit zur Tischgesellschaft gehörte, welch unangenehmes Gefühl sie gehabt hätte, wenn sie nur einen zufälligen Blick des Grafen auffing.

Am nächsten Tage besuchte mich Freund Adalbert, den ich mit den Worten begrüßte: »Schön, daß Sie kommen; ich hab von Kalkutta einen bengalischen Tiger bekommen, der in einen größeren Käfig umgesetzt werden soll.« Wir gingen nun nach dem Hintergarten, wo unter den Kokospalmen eine große längliche Kiste stand, deren eine Schmalseite von einem starken Eisengitter gebildet wurde, hinter dem ein stattlicher Königstiger sichtbar war. An der entgegengesetzten schmalen Seite war eine Falltür, an diese lehnte sich eine andere ähnliche, aber etwas größere Kiste. Wir versuchten durch lautes Einreden auf den Tiger und durch Schreien, das Tier zu bewegen, rückwärts in den anderen Käfig hineinzugehen, denn umdrehen konnte er sich in dem schmalen Kasten nicht. Aber der Tiger blinzelte nur mit den Augen. Dann versuchten wir, das Tier mit einer Stange rückwärts zu treiben, aber es bog dieselbe nur wild fauchend mit den Tatzen zur Seite. Ich sagte nun zu Freund Adalbert, mehr im Scherz: »Was meinen Sie, könnten wir den Tiger nicht durch den Grafen Vittorio hypnotisieren lassen? Sein durchbohrender Blick treibt den Tiger vielleicht zurück.« Da der Freund der Ansicht war, dies könnte versucht werden, sandten wir einen Boten an den Grafen ins Hotel, und bald kam er auch angefahren und erklärte sich in liebenswürdiger Weise bereit, sein Heil bei dem Tiger zu versuchen.

Nun spielte sich eine eigentümliche Szene ab. Während mein Jäger Fernando oben auf der Kiste hockte und die beiden Falltüren hochhielt, stand der Graf vor den Eisenstäben und schoß durchbohrende Blicke auf den Tiger ab, der den Grafen nur verwundert ansah, sich mit der Zunge einmal rechts, einmal links das Maul leckte, sonst aber keine Miene machte, sich rückwärts zu konzentrieren. Das Talent des Grafen, das sich in der gestrigen Abendgesellschaft so wirksam gezeigt hatte, versagte dem Tiger gegenüber vollständig. Es blieb nun nichts anderes übrig, als zum Feuerbrand zu greifen, obwohl mir lieber gewesen wäre, den Schnurrbart des Tigers nicht zu gefährden. Man brachte eine lange Fackel herbei, aus getrockneten Palmenblättern, mit etwas Kolophonium untermischt, und dem Tiger wurde damit unter die Nase gefuchtelt, so daß er sich endlich langsam und fauchend rückwärts in Bewegung setzte. Freund Adalbert kommandierte »Let go« und Fernando ließ die Falltür hinunterrasseln. Der Tiger war glücklich in dem größeren Käfig angelangt, wo er sich nach der bisherigen Enge ein paarmal vergnügt um sich selbst drehte und sich dann gemächlich niederlegte.


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