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Siebenunddreißigstes Kapitel

Erzählt von neuen Planen der Gebrüder Schoppelmann und von einem Kriegsrathe, in welchem nicht viel beschlossen wurde.

Es war ein angenehmer, warmer Nachmittag im Spätsommer, gegen Anfang September, und um diese Zeit gegen zwei Uhr Mittags drang durch eine Häuserlücke in der Nachbarschaft ein kleiner Strahl der Sonne in den sonst so schattigen Hof des alten Hauses. Es herrschte dort um diese Zeit die tiefste Ruhe und Stille. Die zwei- und vierfüßigen Bewohner des Misthaufens und des kleinen Wasserpfuhls, befiedert und unbefiedert, die Ferkel, kleinen Hunde, Hühner und Enten, hielten nach eingenommenem Mittagsmahl ihre Siesta. Die großen Hunde, die Wächter des Hauses, hatten eifrigst einen kleinen Streifen Sonnenlicht aufgesucht, der schmal und lang auf dem Pflaster des Hofes glänzte; in der Verlängerung desselben aber, wo er sich an der Mauer des Hauses brach und auch diese bis oben hinauf beschien, befand sich ein Stuhl, und auf diesem Stuhle saß der Fuhrmann, Herr Fritz Schoppelmann, mit leicht verbundenem Kopfe, sich als Genesender an der freundlichen, warmen Luft erfreuend. Man kann leider nicht sagen, daß ihn das Gefühl des Dankes bewegte, welches fast immer in der Brust desjenigen wohnt, der von einem schweren und lebensgefährlichen Krankenlager aufstand; was sein Herz allenfalls bewegte, war Grimm und Wuth auf den, der ihn doch so rechtmäßiger Weise niedergeschlagen, und zugleich ein verdrießlicher Gedanke über die verlorene schöne Zeit, die er auf dem Krankenlager bei der mageren Kost der Mutter, welche der Arzt ihm vorgeschrieben, hatte verbringen müssen.

Sein Bruder Konrad, der vor ihm auf einem Schemel saß, war nicht minder schlecht gelaunt. Ihn hatte der strenge Wille der Mutter die ganze Zeit zu Hause gehalten; er hatte sogar ein paar Jagdpartieen auf Feldhühner ausschlagen müssen, und, was noch schlimmer war, die Gemüsehändlerin zog es vor, ein paar Prozente weniger zu verdienen, indem sie sich die Produkte nach der Stadt bringen ließ, statt dieselben, wie sonst, durch ihre Söhne an dem betreffenden Ort einkaufen zu lassen.

Konrad, der Jäger, hatte eine kurze Pfeife zwischen den Zähnen, und während er daraus rauchte, schaute er mißmuthig in dem Hofe umher. »Das ist doch hier gerade wie ein Gefängniß,« sagte er seufzend.

»Viel schlimmer!« meinte der Fuhrmann; »in einem Gefängnisse hat man doch Ruhe in seinen vier Wänden und wird nicht mit guten Lehren und dergleichen molestirt! Das sag' ich dir, Konrad, ich halt' es bald nicht mehr aus, und wenn ich wieder vollkommen gesund bin, so gehe ich der Alten durch und suche mir einen Dienst, mag es sein, wo es will.«

»Das ist auch meine Ansicht; soll der Teufel das langweilige Leben hier zu Lande holen! Mich ekelt die Stadt an und die ganze Geschichte; 's ist ja gar nichts mehr! Jetzt hab' ich doch seit einem halben Jahre keinen vernünftigen Schuß mehr gethan, und muß hier in der langen Weile sitzen. Und was für einen Genuß haben wir? Einen Schoppen Wein zu trinken. Hol' der Teufel die ganze Wirthschaft!«

»Ja, und den armseligen Schoppen Wein nur verstohlener Weise!« setzte ingrimmig der Fuhrmann hinzu. »Und für diesen Schoppen Wein werden wir von dem alten Vieh, der Schilder, noch betrogen und über's Ohr gehauen, daß es eine Schande ist. Die Hälfte müssen wir jedes Mal abgeben, und von der anderen Hälfte, die wir unter uns theilen, zieht sie uns das Meiste für alte und neue Rechnungen ab.«

»Meine Taschen sind leer,« sagte der Jäger mit einem trostlosen Blick in die Höhe. Und während er beide Füße weit von sich abstreckte, suchte er mit seinen beiden Händen in den wirklich leeren Taschen umher.

»Hat sie jetzt nicht schon an tausend Gulden der alten Jungfer abgezapft? und ich bin überzeugt, sie hat ihre fünfhundert Gulden bei sich verwahrt liegen, während wir, außer dem Kopfe in der Schlinge, nichts davon übrig behalten haben.«

»Das muß anders werden!« sprach giftig der Jäger und spuckte vor sich auf den Boden.

»Meinst du wirklich?« fragte Fritz mit einem lauernden Blicke.

Konrad nickte mit dem Kopfe und sah sich scheu um, dann rückte er seinen Stuhl so nahe wie möglich neben den des Bruders, beugte seinen Mund an dessen Ohr und sagte: »meinst du denn, ich hätte alles Ernstes Lust, mich drüben für die Hexe abzuplagen? Wir sollen die Arbeit thun und sie das Geld einstecken? Nein, das kann ich dich versichern, wenn sie einmal etwas Ordentliches angesammelt hat, so werde ich mich wahrscheinlich veranlaßt sehen, nötigenfalls selbst eine Zwangsanleihe bei ihr zu machen. He! was denkst du darüber?«

»Vollkommen einverstanden!« versetzte der Fuhrmann mit einem unangenehmen Lächeln. »Aber um die fünfhundert Gulden ist es nicht der Mühe werth. Wie ist's denn mit ihrer größeren Spekulation, von der sie heute Morgen gesprochen?«

»Die warten wir erst ab,« antwortete Konrad pfiffig lächelnd; »die Briefe dafür sind bereits geschrieben.«

»Und meint sie, es werde gehen?« fragte der Fuhrmann.

»Sie zweifelt nicht daran,« fuhr Konrad mit Bestimmtheit fort. »Die sechshundert Gulden, welche die Strebeling hergegeben, haben den armen Familienvater und den getreuen Freund aus dem Schuldgefängniß befreit. Seine Gläubiger scheinen geneigt, einen Vergleich mit ihm einzugehen, wodurch er wieder in den Besitz des Geschäftes käme und im Stande wäre, seine sieben oder acht Würmer vor dem Hungertode zu erretten. Aber die Gläubiger sind nur dann geneigt, etwas für ihn zu thun, wenn sich Jemand findet, der eine Bürgschaft übernimmt im Betrage von ungefähr zweitausend vierhundert Gulden. – Es ist von der Hexe, der Schilder, außerordentlich pfiffig, statt baares Geld jetzt eine Bürgschaft zu verlangen; denn das kommt am Ende für uns auf Eins heraus. Verlangen will sie auch nicht einmal eine solche Bürgschaft; Gott bewahre! Sie übergibt nur einen lamentablen Brief, wo so was von ewigem Abschied drin steht, vom Todtschießen und dergleichen, und dann wird sie der Strebeling erklären, sie wolle mit der Geschichte nichts mehr zu thun haben. – Gib nur Acht, das wirkt! Die alte Jungfer wird sie förmlich nöthigen, eine Bürgschaft von ihr anzunehmen, und das geht nur in dem Falle, wenn sie mit vollgiltigen Pfandscheinen oder Schuldbriefen herausrückt. Da sie obendrein ihr Geheimniß bewahrt haben will, so muß sie die Schilder noch bitten, daß diese selbst die Bürgschaft übernimmt, indem sie ihr die Pfandbriefe übergibt. Das wird aber die Schilder nur dann thun, wenn sie zu gleicher Zeit etwas Schriftliches bekommt, worin deutlich zu lesen steht, daß ihr jenes Geld von der Jungfer Strebeling zur Bezahlung einer alten Schuld oder dergleichen übergeben wurde.«

»Vortrefflich!« meinte der Fuhrmann; »wenn die alte Jungfer damit noch heraus rückt, so haben wir was Artiges bei einander.«

»Namentlich,« fuhr bedeutsam der Jäger fort, »wenn wir es zufälliger Weise verständen, die ganze Summe an uns zu bringen, und zwar mit den anderen, schon vorhandenen fünfhundert Gulden.«

»Dafür ist mir gar nicht bange,« sagte der Fuhrmann mit festem Tone, »wenn bis dahin meine Geschichte am Kopf vollkommen in Ordnung ist.« Mit diesen Worten schob er den Verband etwas auf die Seite und tastete mit den Fingern auf der verwundeten Stelle umher. »Wenn ich dahin lange,« fuhr er fort, »habe ich immer noch einen ganz verfluchten Schmerz; ich meine immer, die Sache ist noch nicht ganz in der Ordnung; auch des Nachts weckt es mich oft auf, gerade als bohre man mir ein glühendes Eisen dort hinein. – O, wenn es mir nur in diesem Leben vergönnt wäre, jenem Kerl alles das heimzugeben!«

»Glaube mir nur,« bemerkte der Jäger, »der hat auch sein gutes Theil bekommen. Du hättest einmal das Blut auf den Steinen vor dem Fenster sehen sollen; ich hab's den andern Morgen gleich abwaschen lassen. Es war ganz unnöthig, es da zu lassen. Die Alte ist eine kuriose Frau, das kann ich dich versichern; in ihrem Herzen hält sie doch mehr auf jenen Kerl als auf uns, und blos, weil er ihrer schönen Tochter nachgelaufen ist. Ha! hahaha!«

»Sei still!« sagte der Fuhrmann; »das Hofthor geht auf; die Alte kommt vom Markt.«

Und dem war in der That so. Das Hofthor öffnete sich knarrend, die großen Hunde, welche bis jetzt faul in der Sonne gelegen, sprangen empor und eilten in lustigen Sätzen und wedelnd auf die Gebieterin zu; ja sogar der Haushahn erwachte aus seiner stillen Betrachtung, hob den Kopf empor, schaute stolz um sich, und begrüßte die dicke Gemüsehändlerin mit einem majestätischen Krähen.

Auch in der Haltung der beiden Söhne hatte sich bei dem Eintritt der Mutter Einiges verändert. Der verwundete Fuhrmann ließ den Kopf auf die Brust hangen und sah offenbar sehr angegriffen und hinfällig aus. Konrad aber nahm eine große Flasche mit Bleiwasser aus der Tasche und befeuchtete mit demselben einen sehr trocken gewordenen Lappen, den er alsdann mit einer großen und wichtigen Handbewegung dem Bruder auf den Kopf patschte.

Madame Schoppelmann schien sich in ihrer guten Laune zu befinden, Sie hatte offenbar einen guten Markttag gehabt, was denn auch an den leeren Körben zu sehen war, welche zwei Mägde hinter ihr drein trugen. Vor ihren beiden Sprößlingen blieb die Mutter einen Augenblick stehen, stemmte ihre Arme in die Seiten und sagte lächelnd: »nun, wie sieht's aus? Heilt's tüchtig? Es wäre Zeit, daß die Geschichte einmal zu Ende ginge.«

»Ja, mir wär's auch schon recht,« brummte der Fuhrmann, und der Jäger setzte mit sehr wichtigem Tone hinzu: »Und mir erst! Ich muß gestehen, das Krankenwärterspiel ist nicht meine Passion.«

Auch Katharina kam hinter der Mutter vom Markte zurück. Sie hatte ein kleines leeres Körbchen in der Hand, und ihr großer Strohhut hing an einem rothseidenen Bande an dem rechten Arme. Ihr folgten noch ein paar Kolleginnen der Mutter, welche ebenfalls, ihr Bedauern ausdrückend, vor den beiden Brüdern stehen blieben.

Katharina aber, ohne sich viel nach ihnen umzusehen, schritt mit erhobenem Kopfe bei den Beiden vorbei und stieg die Wendeltreppe hinauf in ihr Zimmer.

»Nun, wie geht's, Herr Schoppelmann?« fragte eines der Weiber; »bald wieder gesund und munter?« Und eine andere setzte hinzu: »Ach, so ein junges Blut reißt sich bald wieder heraus!«

Auf diese teilnehmend sein sollenden Aeußerungen der beiden Weiber murmelte der ältere Herr Schoppelmann etwas zwischen den Zähnen, was ein argloses Herz für einen Dank wegen gütiger Nachfrage hätte hinnehmen können. Wir aber, die wir uns der strengsten Wahrheit befleißigen, sind leider in dem Falle, eingestehen zu müssen, daß die Aeußerung des Fuhrmanns so viel besagte als: sie sollten ihn zufrieden lassen und seinetwegen zum Teufel gehen.

Hierauf folgten die beiden Weiber der dicken Gemüsehändlerin, und alle Drei begaben sich in die uns bekannte Vorhalle.

Wir hatten schon vorhin Gelegenheit gehabt, zu bemerken, daß das Marktgeschäft heute äußerst gut von Statten gegangen zu sein schien, und dem war auch so. Frau Schoppelmann hatte nicht blos ihren eigenen Gemüsestand an Kleinhändlerinnen und tägliche Kunden ausverkauft, sondern auch die Waaren der ihr zugethanen Nachbarinnen waren unter ihrer Protektion ebenfalls auf's Schnellste verkauft worden.

»Es ist ein wahrer Segen,« sagte eines von den Weibern in der Vorhalle zu der dicken Frau, »wenn man mit Euch zu thun hat; da fliegt Alles nur so weg, und während die Anderen noch bis heute Abend draußen stehen müssen, wo ihnen Alles verdorrt und verwelkt, sind wir schon um zwei Uhr fertig; ja, es ist wahrhaftig ein offenbarer Segen bei Eurer Sache.«

Die Gemüsehändlerin hatte sich an ihren Tisch niedergelassen, einestheils um mit ihren Kolleginnen abzurechnen, anderntheils weil sie ermüdet war, und drittens, weil es einigermaßen ihr Hochmuth und Stolz war, wenn die anderen Weiber stehend mit ihr verkehrten. Heute aber lud sie die beiden Weiber durch eine Handbewegung und ein freundliches Wort ebenfalls zum Niedersitzen ein.

»Ja, ja,« sagte sie nach einer Pause; »unser Herrgott ist wirklich gnädig gegen eine arme Wittfrau und gibt seinen Segen, daß mein Geschäft so ziemlich gedeihen kann. Aber ach du lieber Himmel! es ist nichts vollkommen auf der Welt, und wo einem hier gegeben wird, da wird einem da wieder genommen.«

Hier seufzte die dicke Frau und die beiden andern Weiber seufzten ebenfalls, ohne eigentlich genau zu wissen, warum.

»Ich kenne Euch Beide schon längere Jahre,« fuhr das Oberhaupt des Gemüsemarktes fort, »und habe Euch von jeher als rechtschaffene Weiber kennen gelernt; deßhalb will ich nun auch Euren Rath in einer für mich besonders wichtigen Angelegenheit hören.«

Die beiden Weiber horchten geschmeichelt auf, und während die Eine demüthig ihren Kopf neigte, als wollte sie sagen, sie sei ganz zu den Befehlen ihrer reichen Collegin, legte die andere fest und sicher die Hand auf den Tisch, schaute keck in die Höhe und schien damit andeuten zu wollen: ihr wißt, daß ich mich vor dem Teufel nicht fürchte; meinen Rath sollt ihr haben, gerade heraus, mögt ihr ihn annehmen wollen oder nicht!

»Ihr alle habt die verdrießliche Geschichte mit meiner Katharine gehört,« sagte die dicke Frau, indem sie ihre Ellbogen auf den Tisch stützte, »Ihr habt sie von den Leuten draußen gehört, und ich habe Euch gesagt, was Wahres daran ist. Das ist nun freilich schon genug, um Jemand außer sich zu bringen; aber es ist doch nicht so arg, wie ich mir Anfangs gedacht. Ich habe die Wahrheit in der ganzen Geschichte auch erst so nach und nach erfahren, sonst wäre ich an dem Abend ganz anders aufgetreten.«

»Ja, das muß ich sagen,« meinte die Frau mit dem erhobenen Kopfe und dem herausfordernden Wesen, »an dem Abend seid ihr zu gut gewesen, und wenn es mich hätte mein Leben gekostet: todt hätt' er sein müssen.«

»Ach, Nachbarin,« sagte die andere Frau, die demüthig scheinende, »er soll ja auch so gut wie todt sein; so sagt man wenigstens, er liege in D. übel, sehr übel zugerichtet.«

»Narrenpossen!« entgegnete Madame Schoppelmann. »Wen meint Ihr denn eigentlich? Von wem sprecht Ihr?«

»Nun, von dem Herrn Stillfried,« sagte die Herausfordernde; »von dem spracht doch Ihr auch, als Ihr vorhin sagtet, es wär' Euch leid, daß es an jenem Abend nicht noch ganz anders gekommen sei.«

»Allerdings,« erwiderte die Gemüsehändlerin, »aber ich wollte mich ausdrücken, es sei mir eigentlich leid, daß dem jungen Menschen bei der Geschichte schon so viel geschehen sei, als ihm geschehen.«

»Ist er denn wirklich so arg zugerichtet?« fragte die Demüthige.

»Ein Arm soll gleich hin gewesen sein;« gab die Andere mit trotzig aufgeworfenem Munde zur Antwort, und dabei griff sie nach einem Messer, als fühle sie nachträglich noch ein Privat-Mordgelüste. »Ein Arm soll gleich hin gewesen sein,« wiederholte sie, und klopfte mit der Klinge auf den Tisch, »und zwar der linke, glaube ich, und den rechten Fuß hat man, wie man mir erzählte, den andern Morgen gleich abnehmen müssen.«

»Ihr seid ein recht albernes Weibsbild, Frau Klingler!« sagte ärgerlich die Gemüsehändlerin. »Wie kann man sich nur so dummes Zeug vorschwätzen lassen? Gott soll mich in Gnaden bewahren! Wenn das wahr wäre, so hätte ich meiner Lebtag keine ruhige Stunde mehr.«

»Also 's war nicht so schlimm?« sagte die Demüthige mit sanftem Gesichtsausdrucke; »ich habe mir das wohl gedacht.«

»Mir aber hat man erzählt,« fuhr Frau Klingler fort, »er sei übel zugerichtet worden. Nun, wenn dem nicht so ist, und er mit dem blauen Auge davon kam, da glaub ich wohl, wie Ihr vorhin sagtet, es thu' Euch leid, daß die Geschichte nicht anders gekommen sei. Ja, mir thät' das auch leid, das muß ich schon sagen.«

»Schwätzt doch nicht immer so in den Tag hinein!« sprach ärgerlich Madame Schoppelmann und schlug mit der Faust auf den Tisch; »laßt mich doch auch einmal zu Worte kommen und versteht mich recht! Wenn ich vorhin sagte, es thäte mir leid, daß die Geschichte so gekommen ist, wie sie kam, so wollt' ich damit sagen, daß es mir unangenehm ist, daß dem jungen Menschen überhaupt von meinem Hause etwas Widerwärtiges geschah; denn ruhig überlegt, hat er eigentlich die allerwenigste Schuld gehabt; meine beiden Galgenstricke da draußen haben die Sache wieder angezettelt.«

»Ah!« rief Madame Klingler und legte ihre Hände in den Schooß.

»Seht Ihr wohl!« sagte die Demüthige; »das habe ich mir doch gleich gedacht. Der arme junge Mensch hat gewiß keine Schuld gehabt.«

» Keine Schuld habe ich eigentlich nicht gesagt,« antwortete die Gemüsehändlerin. »Aber so junge Leute nehmen dergleichen Sachen nicht scharf; so den Bürgersmädeln nachzulaufen und ihnen den Hof zu machen, das halten sie obendrein noch für ein verdienstliches Werk.«

»Das weiß Gott!« sagte eifrig Madame Klingler; »darüber kann ich auch der Welt eine Geschichte erzählen, eine traurige Geschichte, ehe ich den seligen Klingler geheirathet. – Da war ein Offizier –«

»Ja, wir wissen das schon,« sagte Madame Schoppelmann, mit der Hand von sich weisend, »Ihr habt mir das schon oft erzählt; aber mit meiner Katharine ist es doch ganz anders.«

»Natürlich,« sagte die Demüthige, »ganz anders; Frau Klingler, das muß Sie zugeben.«

Madame Klingler that demgemäß auch, d. h. sie schwieg still; doch stieß sie, an jene Geschichte und den Offizier denkend, den sie vor dem seligen Klingler gekannt, einen tiefen Seufzer aus.

»Die Sache ist also die,« nahm Madame Schoppelmann wieder das Wort: »Der junge Mensch ist meiner Katharine auf Schritt und Tritt nachgelaufen. Ihr Beide habt mir das selbst oft erzählt.«

»Gewiß« warf Madame Klingler dazwischen, »ich hatte es nicht über's Herz bringen können, Euch das zu verschweigen, obgleich – das muß ich jetzt doch schon gestehen – der junge Mensch sich immer sehr ordentlich und anständig aufgeführt.«

»Ach ja,« seufzte die Demüthige, »es war etwas Rührendes darin. Du lieber Gott, es ist für mich doch gerade wie heute Morgen geschehen, als die Katharina meinem Buben, dem Fritzle ein kleines Kränzchen von Vergißmeinnicht geschenkt, und als der Herr Stillfried gerade dazu kam. Hat er nicht dem Kinde einen ganzen Gulden geschenkt und ist darauf ganz glücklich fortgegangen, d. h. der Herr Eugen nämlich; mein Bub' war aber auch zufrieden, denn –«

Madame Schoppelmann rückte auf ihrem Stuhle ungeduldig hin und her; ihre Hände suchten die Hüften, und sie rief mit sehr lauter Stimme: »Aber um's Himmels willen, unterbrecht mich doch nicht ewig! Wenn Ihr so fortfahren wollt, so kommen wir ja nicht zu Ende.«

»Das ist wahr,« sagte Frau Klingler und warf der Demüthigen einen ernsten Blick zu; diese dagegen der Frau Klingler einen sanften, worauf die dicke Gemüsehändlerin fortfuhr:

»Nun hat aber der Herr Stillfried gar nicht die schlechten Absichten gehabt, wie mich der Bub', der Konrad, wollte glauben machen; ich weiß das jetzt ganz genau, und wenn durch jenen unangenehmen Abend das Glück der Katharine verscherzt ist, so bin ich, leider Gottes! ganz allein daran Schuld.«

»Sieht Sie, Schoppelmann, sieht Sie,« antwortete eifrig Madame Klingler, »das kommt von Ihrer traurigen Heftigkeit! So armen jungen Leuten muß man ein anständiges Plaisir gönnen, und nicht gleich mit dem Knittel drein schlagen.«

»Halt' Sie Ihr Maul!« sagte Madame Schoppelmann so sanft wie möglich; »ich hätte Sie an meiner Stelle sehen wollen; da läuft einem das Blut über. Nicht wahr, Frau Claasen?«

»Allerdings,« entgegnete die also Angeredete. »Aber die Frau Klingler hat keine Kinder.«

»Weil sie mir leider gestorben sind,« seufzte diese; »gleich nachdem ich den seligen Klingler geheirathet. Ich hatte mit dem Mann gar kein Glück.«

»Sie haben dem Herrn Stillfried einen Brief geschrieben!« rief Madame Schoppelmann mit außergewöhnlicher Stimme. »Wer, das habe ich nicht herausgebracht; aber ich bin fest überzeugt, die Beiden da draußen. Sie haben ihm geschrieben, meine Tochter, die Katharine, hätte ihm etwas sehr Wichtiges mitzutheilen und erwarte ihn Abends um neun Uhr auf ihrem Zimmer. Darauf ist denn der arme Narr gekommen; ich hätte aber auch den sehen mögen, der einer solchen Einladung nicht gefolgt wäre!« Dabei erhob sie stolz ihr Haupt und sah die beiden Weiber wie fragend an.

Diese machten es unter sich ebenso, und wir sind vollständig überzeugt, wenn Madame Klingler auf dem Gesichte der Demüthigen den geringsten Zweifel in das Wort der Madame Schoppelmann bemerkt hätte, so würde es eine heftige Scene gegeben haben.

Aber diese sagte mild lächelnd: »Das muß schon wahr sein; darauf hin wär' die ganze Stadt gekommen, Grafen und Herren.«

»Er kam also,« fuhr die Gemüsehändlerin voll Selbstgefühl fort, »und das Weitere wißt Ihr, leider Gottes! so gut wie ich.«

»Der arme junge Mensch!« seufzten die beiden Weiber, dieses Mal von der gleichen Gesinnung beseelt.

»Nachdem nun das Unglück einmal geschehen war,« fuhr Madame Schoppelmann fort, »und ich der festen Meinung war, Katharine sei ebenfalls mit im Einverständniß und deßhalb auch im Unrecht, so zwang ich das Mädel, ihren Bruder während der Krankheit zu pflegen, und das war unter besagten Umständen nicht gut, es war hart von mir.«

»Es war sehr hart,« sagte bestimmt Madame Klingler und schaute die Claasen herausfordernd an, ob sich diese vielleicht unterstände, anderer Meinung zu sein.

»Durch diese Geschichten ist mir nun das sonst so gute und folgsame Mädel ganz rappelköpfisch geworden, und wenn ich nicht mit Gewalt an mich halten müßte, so gäbe es oftmals arge Händel.«

»Sieht Sie wohl, sieht Sie wohl?« konnte sich Madame Klingler zu sagen nicht enthalten.

»Mit ihren beiden Brüdern,« sprach Madame Schoppelmann weiter, »kommt sie natürlicher Weise gar nicht mehr aus; ich begreife es vollkommen, daß sich ihr Alles im Kopf herumdreht, wenn sie den Fuhrmann ansieht, der zuerst nach dem Herrn Stillfried geschlagen.«

»Das begreife ich auch vollkommen,« sagte die Klingler mit einer Bestimmtheit und Ruhe, welche deutlich anzeigte, daß sie entschlossen, sich nicht wieder über das Maul fahren zu lassen, sondern um jeden Preis ihre Meinung zu sagen. »Das begreife ich,« wiederholte sie, »ich habe damals mit dem Offizier eine ähnliche Geschichte gehabt. Dem klemmte mein Bruder beinahe einen Finger ab, ebenfalls an meinem Fenster, worauf ich augenblicklich in Ohnmacht fiel, dann mich aber anders besann, in die Höhe sprang und ihm – meinem Bruder nämlich – das Gesicht so arg zerkratzte, daß er sich während vier Wochen nicht konnte sehen lassen.«

»Thu' Sie mir den einzigen Gefallen und schweig Sie mir endlich von Ihrem Offizier und von Ihrer ganzen Leidensgeschichte!« sagte Madame Schoppelmann sehr ernst. »Ich habe Sie und Frau Claasen daher gebeten, weil Ihr ein paar rechtschaffene Weiber seid, um Eure Ansichten, Euren Rath zu hören, aber zu sonst nichts. Vergeßt das nicht!«

»Ja, Ihr müßt das nicht vergessen,« sagte die Demüthige, worauf Madame Klingler bemerkte:

»Nein, ich werd's wahrhaftig nicht vergessen.« Doch dachte sie bei diesen Worten an ihre harmlose Jugendzeit, an den Offizier mit dem eingeklemmten Finger und an den Bruder mit der zerkratzten Nase.

»Nein, es thut sich länger nicht,« fuhr hierauf Madame Schoppelmann nach einem kleinen Nachdenken und mit einem tiefen Seufzer fort. »So leid es mir in meinen alten Tagen noch ist, das Mädel nicht mehr um mich zu sehen, so muß sie doch fort aus dem Hause hier. Nur weiß ich nicht, was ich mit ihr beginnen soll, ob ich sie auf das Land zu meinem Bruder thue oder ob ich ihr irgend einen Dienst suche. Und darüber möchte ich Euren Rath haben. Jetzt sprecht, was meint Ihr davon?«

Madame Klingler warf den Kopf in die Höhe und sah die Demüthige stolz und herausfordernd an. Obgleich sie sich selbst natürlicher Weise noch keine Ansicht gebildet hatte, so wartete sie doch begierig auf ein Wort aus dem Munde der Madame Claasen, um, diese augenblicklich bekämpfend, der entgegengesetzten Meinung zu sein.

Madame Claasen aber faltete demüthig ihre Hände, und während sie die Schultern hoch empor zog, senkte sie den Kopf tief herab auf ihr Halstuch. Dann blickte sie Madame Schoppelmann von der Seite an und sagte gar nichts.

»Nun,« fuhr die Gemüsehändlerin nach einer längern Pause fort, »was denkt ihr darüber? Sprecht Ihr zuerst, Frau Klingler! Seid Ihr für das Land oder für den Dienst?«

»Ja,« sagte die also Aufgeforderte nach einem augenblicklichen Stillschweigen, »also daß die Katharine überhaupt aus dem Hause soll, das steht fest bei Euch!«

»Unwiderruflich!« antwortete die Mutter.

Hierauf versank Madame Klingler in ein tiefes Nachdenken; denn sie hoffte, Madame Schoppelmann würde während desselben mit ihrer eigenen Ansicht herausrücken und ihr solcher Gestalt erlauben, sich derselben anzuschließen. Da aber die Gemüsehändlerin die Antwort der Madame Klingler erwartend, ebenfalls still schwieg, die demüthige Frau Claasen es aber am allerwenigsten wagte, ihre persönliche Meinung Preis zu geben, so entstand eine große Pause, welche sich unter den obwaltenden Umständen wahrscheinlich in's Unendliche ausgedehnt hätte, wenn in demselben Augenblicke nicht ein Mann unter der Thüre der Vorhalle erschienen wäre, der den Namen der Madame Schoppelmann ausrief.

Da das einzige Fenster in dem Gemache zu wenig Licht herein fallen ließ, um Jemand augenblicklich erkennen zu können, namentlich wenn dieser unter der Thüre stand und so auch von dort das volle Licht abhielt, so war es der Gemüsehändlerin, trotzdem, daß sie ihre rechte Hand wie einen Schirm über die Augen hielt, nicht möglich, zu wissen, wer dort stand und wer ihren Namen gerufen.

»Nun, das muß ich sagen,« rief der Eintretende lustig, »Ihr scheint Eure alten Freunde schnell vergessen zu haben, Frau Schoppelmann! Kennt Ihr denn den Jakob nicht mehr? Sollt' Euch doch Euer Herz sagen, daß ich's bin. Alte Liebe rostet nicht! so heißt's wenigstens im Sprichwort.«

»Ei, der Jakob!« rief lustig die Gemüsehändlerin und erhob sich so schnell wie möglich von ihrem Sitze. »Wo kommt Er her? Weiß Er wohl, daß Er ein Schalk ist, solche Dinge von alter Liebe da vor den beiden Weibern auszuplaudern!«

Madame Claasen und Madame Klingler, die sich vor der Livree des herrschaftlichen Bedienten respektvollst erhoben, kicherten leise über diesen ungeheuren Spaß, und die Erstere erlaubte sich, die Bemerkung zu machen: »So also kommt man hinter Eure früheren Geschichten, Frau Schoppelmann!«

»Das ist schon lange her,« sagte lächelnd der Bediente, »und war Alles in Ehren mit der damaligen Jungfer Margareth; konnte nichts machen: der selige Schoppelmann war der Glückliche.«

»Nun, setzt Euch einmal daher,« antwortete vergnügt die dicke Frau und machte dazu einen tiefen Knix, »wenn es dem Herrn Kammerdiener anders recht ist, in so geringer Behausung einen Stuhl zu nehmen.«

Die beiden weiblichen Räthe der Frau Schoppelmann wußten in diesem Augenblicke nicht, wie sie sich zu benehmen hatten. Sie knieten ebenfalls und waren im Begriff, sich knixend und rückwärts zur Thüre hinaus zu ziehen; doch sagte Jakob, der ihre Absicht merkte: »ich will die Damen durchaus nicht stören; ich habe auch im jetzigen Augenblicke zu einer längeren Unterredung nicht die Zeit; was aber,« setzte er bedeutsam hinzu, »durchaus nichts zu sagen hat, denn ich werde bald Gelegenheit haben, Euch wieder zu sehen. – Ich komme in einem Auftrag der Frau Staatsräthin an Euch; sie läßt Euch nämlich ersuchen, heute Nachmittag so gegen vier Uhr mit Eurer Tochter, der Katharine, zu ihr zu kommen.«

Hätte man in diesem Augenblicke der Frau Schoppelmann gesagt, draußen auf offenem Markt tanze der Rathhausthurm auf dem Pflaster umher, sie hätte sich nicht mehr gewundert, als über diese Botschaft. Sie wußte anfänglich nicht, was darauf zu antworten sei, und behalf sich statt der mangelnden Worte mit einem neuen, tieferen Knixe.

Die beiden anderen Weiber sahen, gerade so verblüfft von dem eben Gehörten, hierin eine Aufforderung, gleichfalls zu knixen, und thaten es so ehrerbietig wie möglich. Doch gewährten diese drei Knixe einen mannigfaltigen Anblick, und während die der Madame Klingler und der Madame Claasen in die Tiefe gingen, schien Madame Schoppelmann auf eine außergewöhnliche, noch nie dagewesene Art in die Breite zu knixen.

Jakob nahm diese Höflichkeitsbezeugung sehr herablassend auf, schützte aber dringende Geschäfte vor und entfernte sich eilig mit der Bemerkung, Madame Schoppelmann und Katharina möchten um vier Uhr ja nicht fehlen.

Die Gemüsehändlerin hatte kaum so viel Ueberlegung, den so schnell entschwundenen alten Freund bis an die Schwelle des Gemachs zu begleiten. Das Anerbieten von einem Gläschen Liqueur blieb ihr auf der Zunge stecken und wurde erst gemacht, als Jener das Hofthor schon längst hinter sich hatte, auch großmüthiger Weise nicht mehr zurückgezogen, als die beiden Weiber, es auf sich beziehend, freundlichst bejahend dankten.

Madame Schoppelmann rückte nun auch wirklich, aber wie im Traume, mit einer großen Flasche hervor, schenkte drei Gläschen voll ein, sank dann auf ihren Stuhl nieder und ließ die Hände in den Schooß fallen. »Um vier Uhr mit der Katharine!« sagte sie und schaute kopfschüttelnd die beiden Weiber an.

»Das muß ich sagen,« meinte Frau Klingler, »das ist eine sehr merkwürdige Geschichte; das hat jedenfalls was zu bedeuten.«

»Zu bedeuten hat's was,« pflichtete die demüthige Frau Claasen bei und nahm heimlicher Weise einen großen Schluck aus ihrem Glase.

»Aber der Katharine muß ich es doch jetzt schon sagen,« rief schnell aufstehend die Gemüsehändlerin. Damit eilte sie zur Thüre hinaus an die kleine steinerne Treppe und rief mehrere Male den Namen ihrer Tochter.

Als die Mutter wieder zurück in die Vorhalle ging, kam die Tochter die Treppe herab und trat in das Gemach, wo sie von den beiden Weibern mit Freundlichkeit, ja mit einem Anflug von Hochachtung begrüßt wurde.

Wenn auch Katharina nicht mehr so entsetzlich bleich aussah, wie an jenem Tage, wo wir sie zuletzt gesehen, und wenn auch das tiefe Weh, das damals aus ihren Augen zuckte, vor einem schmerzlichen Zuge verschwunden war, der jetzt um ihren verschlossenen Mund spielte, so sah man doch ihrem ruhigen, leidenden Blicke an, wie vielen Kummer das Mädchen in letzter Zeit gehabt, und eine Vergleichung gegen sonst und jetzt mußte für den ruhigen Beschauer wahrhaft erschütternd sein. Das waren freilich noch die glänzenden Augen von ehemals; doch hatte das Mädchen die langen Wimpern tief gesenkt, und die ganze Welt schien ihr in diesem Augenblicke nicht mehr der Mühe werth zu sein, sich froh darin umzuschauen. Ihr Mund, der sonst so heiter geöffnet war und wo die frischen Lippen und weißen Zähne glänzten, wie ein Strauß von weißen und rothen Rosen, die noch nichts berührt hat, als der herabfallende Morgenthau, war jetzt ernst geschlossen und zeigte höchstens ein wehmüthiges Lächeln; ja der Körper des schönen Mädchens, sonst so elastisch und frisch beweglich, schien alles Leben verloren zu haben, denn Katharina, die sonst in voller Kraft der Jugend auftrat, ein Bild der frischesten Gesundheit, schlich jetzt verdrossen und still umher, und sie, die früher so fest, ja herausfordernd Jedem gegenüber trat und zum Gruße leicht und lächelnd mit dem Kopfe nickte, trat jetzt, ohne ein Wort zu sprechen, vor die Mutter hin und stützte sich, wie ermüdet, mit der Hand auf den Tisch, was sie vordem nie gethan.

Wenn Katharina von der Botschaft, die man ihr nun mittheilte, auch nicht so außerordentlich erfreut und überrascht schien, wie ihre Mutter, so malte sich doch ein Erstaunen, und keineswegs ein unangenehmes, in ihren Zügen.

Madame Klingler stellte sich vor sie hin, stemmte sehr herausfordernd die beiden Arme in ihre Seiten und sagte: »Nun, mein Schatz! was meinen Sie dazu, Jungfer Katharine?« Dann wandte sie sich an die Mutter, hob vielsagend die rechte Hand in die Höhe und fuhr in einem Tone fort, der ein Widersprechen von vorn herein abschneidet: »Ihr könnt mich nun meinetwegen für eine alte Gans erklären oder nicht, so viel ist gewiß und das steht fest: die Staatsräthin hat Euch nicht umsonst mit Eurer Tochter rufen lassen. Gebt nur Achtung, da hat sich was zugetragen; am Ende ist der Herr Eugen mit seiner Mutter ausgesöhnt, und wir können morgen schon unser Compliment der gnädigen Frau machen.« Bei diesen Worten sah sie die demüthige Frau Claasen mit wahrhaft wildem Blick an, hoffend, dieselbe würde sich unterstehen, irgend welche Einsprache gegen ihre Worte zu machen.

Doch mochte die Demüthige dieselben Gedanken hegen, wie ihre Collegin, oder nicht, genug, sie sprach kein Wort, wischte sich aber wehmüthig die Augen, trank ihr Schnapsglas leer und deutete alsdann auf ihr Herz, als wollte sie sagen: hier steht's geschrieben!

Madame Klingler, die sehr in der Laune war, einen kleinen Streit anzufangen, hätte gewiß gar zu gern gefragt, was denn eigentlich da geschrieben stehe; doch hob Madame Schoppelmann die Sitzung auf und verabschiedete die beiden Weiber.

Katharina ging in ihr Zimmer zurück, setzte sich mit gefalteten Händen an ihr Fenster, und wenn auch zuweilen in ihrem Herzen etwas aufzucken wollte wie ein früherer glücklicher Gedanke, wie das Bild eines neuanbrechenden sonn- und rosenbeglänzten Lebenstages, so zerriß doch gleich darauf ein heftiger Schmerz diese glückseligen Phantasieen; sie preßte die rechte Hand fest auf ihr wild klopfendes Herz und sagte: Er hat mir ja nicht die geringste Nachricht von sich gegeben, er hat mir ja nicht ein einziges Wort geschrieben, nicht einmal zwei kleine Worte – er hat mich vergessen!


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