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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Welches von Visiten im Allgemeinen, von Heiraths- und andern Spekulationen handelt

Unter vielen Sachen, welche die Menschen erfunden und eingerichtet haben, um sich gegenseitig zu langweilen und beziehungsweise sich das Leben sauer zu machen, stehen Höflichkeitsbesuche unbedingt oben an. Wir meinen natürlicher Weise nur solche Visiten, wo Beide, der Besucher und Besuchtwerdende, außerordentlich froh sind, wenn sie dieses Geschäft mit einer Visitenkarte abmachen können. Aber unter allen dergleichen Zeitverschwendungsgängen sind für beide Theile die unbehaglichsten und zeitraubendsten die sogenannten Digestions- oder Verdauungsvisiten, der Dank für ein genossenes Diner, ein Souper oder ein Soirée mit oder ohne Tanz. Man versäumt ja dergleichen so leicht und gewiß ohne die Absicht, dem Gastgeber eine Unhöflichkeit damit zu bezeugen. Man ist hingegangen, well man eingeladen war, man hat an den Wänden umhergestanden, man war in Verzweiflung wegen zu enger Stiefel und wegen seines Hutes, den man sorgfältig neben der Thüre unter den kleinen Tisch gestellt, nicht beachtend, daß der kleine Tisch zum Spielen gebraucht und der Hut von dem herrichtenden Bedienten zu zweihundert anderen Kopfbedeckungen in ein entlegenes Hinterzimmer verwiesen wurde. Man hat ihn endlich gefunden, man schleicht sich hinaus, und wenn man das Glück hat, nicht an der äußeren Thüre der Hausfrau zu begegnen, oder ihm, dem an einem solchen Abende sehr geplagten Ehemanne, so gelangt man unangefochten auf die Straße, nach Hause und in's Bett. Das wäre einmal wieder abgemacht; man ist wieder ein freier Mensch, man hat vorderhand keine weiteren Verbindlichkeiten, man denkt nicht weiter an den genossenen Abend, bis man vielleicht in einer Woche später einem Bekannten begegnet. »Apropos!« sagt dieser, »warst du schon bei der Frau von C.? Hast du der L. deinen Besuch schon gemacht?« – »Noch nicht.« – »Aber es ist Zeit, gehe bald hin, man sieht in dem Hause sehr genau darauf.« Der Bekannte hat Recht; dieser nothwendige Besuch, der dir am ersten Tage nach dieser Begegnung eine Kleinigkeit zu sein scheint, die man leicht abschütteln kann, wird immer schwerer, je weiter du ihn hinaus schiebst, und endlich sitzt er dir wie ein hohnlachender Alp auf der Brust. Du bist Geschäftsmann, deine Morgen sind dir kostbar; du hast überhaupt nur ein paar in der Woche, wo du dich losmachen kannst, und gerade an solchen, wenn du bereits angezogen bist und den Hut in der Hand hast, gibt ein Besuch dem anderen die Thüre in die Hand. Und das sind keine Visiten, die dich plagen, es sind lauter Geschäftsfreunde; und wenn auch jeder sieht, daß du eilig bist, und sich so kurz wie möglich faßt: es hilft Alles nichts. Die Minuten jagen sich mit unendlicher Geschwindigkeit. Es schlägt zwölf Uhr, ein Viertel, halb, und mit dem Schlage Ein Uhr ist, wie nächtlich um dieselbe Stunde, für die Geister, jetzt mittäglich für dich die Zeit zu Besuchen vorbei. Du kannst deinen Hut in die Ecke werfen, und wenn du Nachmittags zufällig der Frau von C. begegnest, so hustet sie bedeutsam, während sie für deinen Gruß flüchtig dankt, oder sie sieht ihre Schwester, die neben ihr geht, zufällig an; auch kann es dir sogar passiren, daß, wenn du vierzehn Tage gewartet hast, sie sich in dem Augenblicke, wo du den Hut ziehst, herumdreht und zu ihrem Manne sagt: »Das schöne Wetter ist schon vorbei, dort ziehen die Wolken auf.«

Wenn man in Abstattung der Visiten wirkliches Unglück hat, so kann man der wohlwollendste und höflichste Mensch von der Welt sein, man wird unter Umständen doch für einen Grobian gehalten. Hat man nun endlich Alles auf die Seite geschoben und stürzt auf die Straße, den lange verschobenen Besuch endlich zu machen, so ist man vielleicht in Gedanken und sieht nicht, daß dort, keine zehn Schritte von uns, das fragliche Ehepaar vorübergeht. Man rennt nach dessen Hause, man athmet freudig auf, als einem der Bediente sagt: »Die Herrschaften sind ausgegangen.« Man nimmt mit der größten Beruhigung zwei Karten, kneift mit wahrer Befriedigung ein Ohr hinein und gibt sie dem Bedienten während man unendlich bedauert, Niemanden zu Hause gefunden zu haben.

Gegen ein Uhr kommen Herr und Frau von C. unter einem kleinen Wortwechsel nach Hause. »Aber wie kann man so etwas glauben?« sagt er. – »Du wirst es schon sehen!« entgegnete sie. Darauf treten Beide in's Haus, und ehe noch die Glasthüre des Hausganges hinter ihnen geschlossen ist, fragt man schon nach deinem Namen. »War der Herr X. heute Morgen vielleicht hier?« so fragt die Dame des Hauses, und die beiden Karten, die ihr der Bediente übergibt, hält sie nun dem Gemahl triumphirend unter die Nase, wobei sie indignirt ausruft: » Ah, c'est trop« Man muß schon gestehen, deine Herren Bekannten behandeln uns mit großer Aufmerksamkeit!«

Von dem Moment an bist du verloren; du hast absichtlich in den ersten acht Tagen keinen Verdauungsbesuch gemacht, du bist endlich absichtlich an dem Morgen hingegangen, wo du Herrn und Madame C. auf der Straße begegnetest und also genau wußtest, daß sie nicht zu Hause seien; du bist auf deinen unhöflichen Gängen ertappt worden, du bist ein gesellschaftliches Scheusal. – Die Folge von allem dem empfindest du zuweilen recht schmerzlich, denn wenn dich auch der Verlust der großen Soiréen nicht besonders bekümmert, so ladet man dich nicht mehr zu kleinen feinen Diners oder zu angenehmen Spielpartien ein. Du bist geachtet, verstoßen, verbannt, und hast nur drei gleich bedenkliche Wege, dich dafür zu entschädigen, indem du entweder zum Einsiedler zum Selbstmörder oder zum Ehemanne wirst. So viel ist gewiß, theurer Leser, nimm dich in Acht und unterlasse keine dergleichen nothwendigen Besuche! Das hat schon oft Manchen in's Unglück gebracht. Halte in Geduld aus, bis dir endlich der Tag der Erlösung schlägt und man übereinkommt, sich gegenseitig keine dergleichen Visiten mehr zu machen. Tröste dich unterdessen mit denen, welche die Besuche, die wir zu machen gezwungen sind, in Empfang nehmen müssen – jenen Opfern unserer gesellschaftlichen Zustände, die von einer großen Soirée nichts haben, als ein völlig derangirtes Haus, viel zerbrochene Gläser und viel zersprungenes Porzellan, einen halb geleerten Weinkeller, üble Nachreden, Undank und vor allen Dingen wenigstens ein Dutzend sehr langweiliger Vormittage, an welchen sie die mehrfach besprochenen Besuche zu empfangen haben und an welchen man ihnen erzählt, wie deliciös es bei ihnen gewesen sei, wie köstlich und amüsant, die Unterhaltung so geistreich, daß Souper so vortrefflich servirt.

In diesem letzteren Falle nun befindet sich zu Anfange des neunundzwanzigsten Kapitels dieser überaus wahrhaften Geschichte das freiherrlich von Brander'sche Ehepaar, namentlich die bessere und schönere Hälfte desselben, die Freifrau von Brander, auch Rosa Immergrün genannt.

Der Herr Gemahl hatte an den Vormittagen so außerordentlich viel auf dem Exercirplatze und in der Kaserne zu thun, daß es ihm unmöglich war, Einiges von seiner kostbaren Zeit damit zu vergeuden, daß er die Visiten der sehr dankbaren Eingeladenen hochselbst entgegen nahm.

An diesem Morgen aber ist er zufällig zu Hause; es ist ein Feiertag, und da an einem solchen nicht öffentlich exercirt werden darf, so hatte der Major seinen militärischen Kindern nur dadurch eine Freude zu verschaffen gewußt, daß er sie Morgens um sechs Uhr mit frisch angestrichenem Lederzeug und frisch lackirten Helmen und Patrontaschen antreten ließ. Diese Musterung war recht angenehm und befriedigend vorübergegangen, und der Major hatte sich in der besten Laune, nur begleitet von dem Adjudanten von Stifeler, nach seiner Wohnung zurückbegeben.

An Sonn- und Feiertagen war der Adjudant Vormittags meistens in dem Hause des Chefs zu finden. Er frühstückte dort mit dem Major in dem Arbeitszimmer desselben; dabei wurde die Dienstthätigkeit der vergangenen Woche ruhig durchgegangen und in ernste Erwägung gezogen und nebenbei erschrecklich viel geraucht.

Der Freiherr von Brander hatte an diesem Morgen seinen Waffenrock abgelegt, war in den leichten Schlafrock geschlüpft und rauchte eine neue Meerschaumpfeife, die er jeden Augenblick betrachtete und häufig mit dem Aermelaufschlag polirte.

»Ein Kapitalstück!« sagte er nach einer Pause; »sehen Sie, bester Stifeler, wie es anfängt, sich unten angenehm zu bräunen, es ist ein Prachtstück; der junge Herr von Steinbeck, der mir dringend empfohlen ist, der mich so zu sagen, als seinen zweiten Vormund betrachtet, brachte es mir aus Wien mit. Das muß man ihnen da unten schon lassen: Meerschaumköpfe verstehen sie zu schneiden. Ist dieser nicht famos?«

»Kapital!« sagte Stifeler mit einer tiefen Stimme.

»Sollten Sie wohl glauben,« fuhr der Major nach einer Pause fort, »daß es Leute gibt, die behaupten, es sei nicht mehr gentil und anständig, Meerschaumköpfe zu rauchen?«

Der Adjutant schauderte und sagte mit gepreßter Stimme, er glaube nicht, daß es solche Menschen gebe.

»Und doch!« rief der Major triumphirend, »sehen Sie unsern Generalauditeur an. Der Mann hat, Gott weiß, woher, so kleine schwarze Chemnitzer Thonköpfe bekommen und bildet sich nun ein, das sei etwas Elegantes. Ich hab's ihm aber auch gesagt: so ein Chemnitzer Kopf ist passend für einen Unteroffizier, aber Jemand, der Stabsoffiziersrang hat, kann sich, wenn er nicht den ganzen Tag Cigarren rauchen will, nur der Meerschaumköpfe bedienen. – »Zwiebel!« unterbrach hier der Major den Strom seiner Beredtsamkeit und schaute ärgerlich nach dem Bedienten nm, der in der Ecke drinnen beschäftigt war, die blank gewichsten Stiefel seines Herrn auf einem Gestelle in saubere Richtung zu bringen. »Zwiebel!« rief der Major abermals, »mach' keinen so höllischen Lärmen!«

Der Bediente duckte sich sichtlich zusammen und machte ein höchst jammervolles Gesicht; dann entfernte er sich auf den Zehenspitzen und zog die Thüre ohne Geräusch hinter sich zu.

Der Major sah ihm grimmig nach, zog einige gewaltige Züge aus seiner Meerschaumpfeife und sagte alsdann: »Sollte man das glauben, daß ich jetzt volle zwei Jahre an diesem Kerl erzogen habe, an ihm herumgeschliffen und polirt, und nun endlich finden muß, daß statt guten und brauchbaren Stoffes nur eine jämmerliche, nicht zu verwendende Masse an ihm ist? Ist das nicht fürchterlich, Herr Lieutenant von Stifeler?«

»Fürchterlich!« wiederholte der Adjutant und sah mit trostlosem Gesichtsausdruck nach der Thüre, durch welche Zwiebel so eben verschwunden.

»Ich habe mir,« fuhr der Major fort, »mit diesem Menschen die unsäglichste Mühe gegeben, ich habe ihm das Serviren beigebracht, ich habe ihm etwas gute Lebensart eingeprägt, ich habe ihm eine außerordentlich elegante Livree machen lassen und zu ihm gesprochen: Siehst du, Zwiebel, wenn du meinen Befehlen gehörig folgst, so kann aus dir ein ganz gewichster Kerl werden; wenn du ausgedient hast und ich mir einen neuen Burschen anschaffen muß, so soll es mir gar nicht schwer fallen, dir bei fortgesetztem gutem Lebenswandel eine anständige anderweitige Anstellung zu verschaffen.«

»Ich weiß, es,« sagte von Stifeler empört. »Der Herr Major haben für diesen Burschen väterlich gesorgt.«

»Ja wohl, Väterlich!« sprach groß der Major; »das ist das rechte Wort, und darnach geht diese undankbare Creatur hin und blamirt mich vor meiner ganzen Whistgesellschaft!« – Bei diesen Worten betrachtete der Major angelegentlich seinen Meerschaumkopf, und nur das sanfte Braun, das dort zu Tage kam, schien ihm einigermaßen einigen Trost zu gewähren.

»Waren Sie in dem Augenblicke in dem Zimmer?« fuhr der Freiherr von Brander nach einer Pause fort. »Gott der Gerechte! ich meine, mich sollte der Schlag treffen. Vorn die Theegesellschaft hatte sich glücklicherweise verlaufen, Madame sich in ihr Zimmer zurückgezogen, und da sitzen wir so harmlos beieinander und rauchen und plaudern, und der alte Oberst war so in seinem Gott vergnügt; er hatte einen glücklichen Tag gehabt, wir alle eigentlich mit ihm; denn bei der Parade, die an jenem Morgen stattfand – Seine Majestät der König hielt jene Parade ab – da wandten Allerhöchstdieselben Ihr Pferd herum, wie wir mit klingendem Spiel anrückten, und sagten zu ihrem eisten Adjutanten: Ah, das zwanzigste Regiment! und Sie begreifen, bester von Stifeler, was dieses königliche Wort heißen wollte. Seine Majestät wollte unzweifelhaft damit ausdrücken: bis jetzt habe ich nur so aus Pflicht die Parade mit ansehen müssen, aber von dem Augenblicke an, wo das zwanzigste Regiment aufmarschirt, macht es mir ein wahres Vergnügen. Für mich war dieses wichtige Ereigniß doppelt angenehm! denn in dem Augenblicke, wo seine Majestät sprachen: Ah, das zwanzigste Regiment! hatte ich das Glück, gerade mit meinem Bataillon vorbeizumarschiren. Dieser Ausdruck hat uns alle sehr glücklich gemacht. Er steht auch im Parolebefehl desselbigen Tages!«

»Es war in der That ein sehr glückliches Ereigniß,« sagte der Adjutant mit großer Rührung.

»Daraus sieht man,« fuhr der Major fort. »wie so leicht es den großen Herren wird, die Begeisterung für sich zu erwecken. Ich kenne mein Bataillon, Herr Lieutenant von Stifeler, und Sie kennen es auch. Mit jenem Wort im Leibe hätte ich mit meinem Bataillon an jenem Morgen eine Schanze genommen, und wäre sie mit vierundzwanzigtausend Teufeln besetzt gewesen. – Ah, das zwanzigste Regiment!«

Der Major schritt ein paar Mal würdevoll im Zimmer auf und ab und brummte jenen Parademarsch zwischen den Zähnen, unter dessen Klängen das Regiment damals vorbeimarschirt war. Endlich blieb er vor dem Adjudanten stehen, faltete seine Hände auf dem Bauche und sagte: »Aber hören Sie weiter! Diesen Tag wollte ich am Schlüsse meiner Whistpartie besonders feiern, mit Champagner feiern! Wir waren noch unser acht, darunter zwei Hauptleute, die in solcher Gesellschaft wenig zu trinken pflegen, und da hätten also zwei Flaschen vollkommen ausgereicht. Was geschieht? Als wir so fest bei einandersitzen, rufe ich dem Zwiebel zu: bringe uns Champagner! und nun denken Sie, bester von Stifeler, statt meinem Befehle stillschweigend Folge zu leisten, anstatt, wie ich es ihm befohlen, die Flaschen mit einer Serviette umwickelt zu bringen, sieht er mich groß und dumm an und sagt: Befehlen der Herr Oberstlieutenant, daß ich beide Flaschen auf einmal bringen soll? – – Da war alle Illusion zerstört; der Oberst lachte, die Gäste lachten, und ich mußte nothgedrungen am Ende auch mit lachen. – Aber dem Zwiebel werde ich das niemals vergessen.«

Wahrend der Major auf diese Act den Freuden der Erinnerung lebte, saß Rosa Immergrün in ihrem Zimmer neben dem Salon, das der geneigte Leser bereits kennt, auf dem Eckdivan –

unter blüh'nden Mandelbäumen.

Eigentlich waren es nur ein Kirschlorbeer- und ein Citronenbaum, welch letzterer seine Blätter einigermaßen verloren hatte. Da saß sie und nahm Besuche an. Neben ihr lag des Goldkäfers letzte Brautfahrt, einige Albums und das Bedeutendste, was die neueste Literatur in diesem Zeitpunkte hervorgebracht, deutsch, französisch und englisch. Diese Schätze war Zwiebel angewiesen, während des dasitzenden Besuches von Zeit zu Zelt noch zu vermehren; denn bald brachte er ein Buch herein, und wenn ihn Rosa Immergrün ziemlich unfreundlich fragte, was er schon wieder wolle, so war der unglückliche Zwiebel dahin instruirt, die Antwort zu geben: die Verlagshandlung von Knittel und Compagnie habe verlangt, daß dieses Werk im Namen des Verfassers augenblicklich übergeben werde. Auch Manuskripte schleppte der treue Zwiebel herbei mit kleinen Briefchen, und nachdem die Schriftstellerin solche gelesen, sagte sie unmuthig zu den vor ihr Sitzenden: »Ich habe, wie Sie sehen, nicht einen Augenblick für mich; da soll ich schon wieder ein Urtheil abgeben über einen dreibändigen Roman.« Auch ein armer, unglücklicher Maler wurde ihr zuweilen gemeldet, jedoch niemals vorgelassen; denn Rosa Immergrün hatte jetzt unmöglich Zeit, ihm eine Sitzung zu gewähren zu dem Porträt, welches demnächst in der Modezeitung von der gefeierten Dichterin erscheinen sollte.

So waren nach und nach sehr Viele zum Besuche da gewesen von der ästhetischen Theegesellschaft. Wenige von der Whistpartie. Da hatten die Erstgenannten, unter ihnen der treffliche Goldenstein, die genialen Silber-, Morgen- und Abendsteine, sich dankbar ausgedrückt, wie außerordentlich sie sich amusirt, wie göttlich, geistreich und genußvoll jener Abend für sie gewesen sei. Da hatte die dicke Regierungsräthin abermals schalkhaft mit dem Finger gedroht und lächelnd gefragt, was sie denn eigentlich thun müsse, um bei einer ähnlichen nächsten Gelegenheit auch in den ersten Kreis der Vertrauten gezogen zu werden. Da hatte die gutmüthige Frau des Kanzleirathes, die demselben am Morgen nach der Soirée versichert, unter Anderem seien bei Brander's die Salate so unverantwortlich schlecht gewesen, daß sie acht Tage lang an einer Unverdaulichkeit hätte leiden müssen, da hatte diese also im wohlwollenden Tone die Hausfrau gefragt: »Aber, beste Majorin, etwas dürfen Sie mir nicht vorenthalten, das ist das Recept zu Ihrem köstlichen italienischen Salate.«

Zwischen diese Besuche tröpfelte auch hie und da einer von der Whistpartie hinein; doch geschah dies nur spärlich, und die alten Herren wurden auch nicht mit jenem holdseligen Lächeln empfangen, wie die Beisitzer und Beisitzerinnen des geheimen ästhetischen Cirkels. Fanden sich zufällig von beiden Partien zusammen, so ließ das die Majorin auch so hingehen, und indem sie mit ihren Vertrauten sprach, wurden die anderen, prosaischen Elemente so nebenbei mitgeduldet. Traf es sich jedoch zufällig, das sie sich mit einem der letzteren allein befand, so wurde augenblicklich nach dem Major geschickt, der sich aber meistens mit wichtigen, unaufschiebbaren Geschäften entschuldigen ließ und den Besuch einlud, sich in sein Zimmer zu verfügen, was denn auch ein solcher Besuch gewöhnlich auf's Bereitwilligste annahm und, während er dann später bei dem Hausherrn eine Cigarre rauchte, das sanfte Gespräch der Hausfrau nicht leicht vermißte.

Unterdessen hatte es zwölf Ubr geschlagen; die Stunden, in welchen die Majorin ihre Visiten empfing, waren vorüber, und Zwiebel erhielt den Befehl, Niemand Gewöhnliches mehr vorzulassen, das heißt Niemand, der blos durch die Einladung zum ästhetischen Thee oder zur Whistpartie sich ein Anrecht auf einen Besuch erworben hatte. Die Freunde des Hauses waren natürlicherweise in diesen Befehl nicht einbegriffen, weßhalb denn auch Zwiebel kurze Zeit, nachdem er diesen Befehl erhalten, die Thüre öffnete und hineinmeldete: »Herr von Steinbeck!«

»Sehr angenehm!« entgegnete die Majorin; »man soll es meinem Manne sagen.«

Zwiebel zog sich zurück, und man öffnete gleich darauf dem jungen Herrn die Thüre, der sehr elegant gekleidet war, aber etwas linkisch eintrat, schon an der Thüre seine Verbeugung anfing und dieselbe mit steter Hutbewegung so lange wiederholte, bis er sich einer der rettenden Hände der Majorin bemächtigt hatte, welche er ehrerbietigst küßte, und sich alsdann in einen Stuhl neben dem Eckdivan niederfallen ließ. Eine Zeit lang stierte er ziemlich nichtssagend vor sich hin, sah zuweilen seine Nachbarin an, schluckte dann einige Mal heftig, kratzte sich mit dem Knopfe seines Spazierstöckchens rechts und links an der Nase und sagte endlich, nachdem er sich auch mit dem Hutdeckel das Kinn gerieben: »ich versichere Sie, Frau Majorin, es ist heute verdammt heißes Wetter.«

»Sehr warm,« lispelte Rosa lächelnd und fügte verbindlich hinzu: »Wollen Sie nicht gefälligst ablegen?«

»Danke wirklich,« entgegnete der junge Herr. »Ich halte Hut und Stock gerne in der Hand; es sind das so artige Spielzeuge, wenn man so eigentlich über gar nichts plaudert, wissen Sie, wenn man eine so gewöhnliche Konversation macht.«

Rosa Immergrün schlug lächelnd die Augen nieder und entgegnete mit vielsagendem Tone: »gleich wird der Major kommen, Herr von Steinbeck. Mit dem haben Sie doch lieber zu thun, als mit mir, mit dem spricht sich leichter; nicht wahr?«

Der junge Herr wußte nicht, ob er Ja oder Nein sagen sollte. »O, nicht doch!« versetzte er nach einer kleinen Pause; »der Baron und ich haben freilich einerlei Thema's, worüber wir gern sprechen und worin wir uns vollkommen verstehen: Pferde, Hunde, Soldaten und was so drum und dran hängt; aber Sie müssen deßhalb nicht glauben, meine Gnädige, daß ich nicht ein Gespräch mit Ihnen vorzöge über das Theater, das Wetter, auch über Bücher.«

»Auch über Bücher?« fragte lächelnd Rosa Immergrün.

»Allerdings,« antwortete Herr von Steinbeck wichtig. »Ich habe neulich angefangen, mich sehr mit der Literatur zu beschäftigen! Ich lege mir eine Bibliothek an.« Bei diesen Worten streckte er beide Beine von sich, legte eines über das andere und bemühte sich, mit hoch emporgezogenen Augenbraunen und sehr spitzigem Munde den Staub von seinen glänzend lackirten Stiefeln wegzublasen. »Ja, ja,« wiederholte er, »eine vollkommene Bibliothek lege ich mir an.«

»Das wäre!« sagte erstaunt die Majorin; »und wie fangen Sie das an?«

»Nun,« erwiderte Herr von Steinbeck mit sehr ernstem Tone, »ich nehme die großen Zeitungen zur Hand, und was in denselben besonders gelobt ist, das kaufe ich.«

»Und nachher lesen Sie's durch?« fragte die Majorin.

»Nicht immer,« entgegnete der junge Herr. »Ich vertraue unbedingt dem Lob der großen Zeitungen und bin dann überzeugt, daß die Werke, welche darin angepriesen werden, sehr klassisch sind. Aber mich langweilen sie doch manchmal.«

»Das ist das Erste, was ich höre, daß Sie sich langweilen!« sagte laut lachend die Majorin; »wie kann man Langeweile haben, wenn man so viele Geschäfte hat wie Sie?«

Herr von Steinbeck sah die Dame des Hauses mit großem Blicke an und versetzte nach einer Pause: »Sie lachen über mich, und wenn Sie sagen, ich hätte viel zu thun, so wollen Sie damit ausdrücken, ich hätte gar nichts zu thun; aber ich versichere Sie, Frau Majorin, da irren Sie ganz gewaltig. Wer sich so seinen Freunden und den öffentlichen Angelegenheiten widmet, wie ich, der weiß kaum, wo er zu allem dem die nöthige Zeit herbringen soll. Sehen Sie« – bei diese« Worten zog er seine Uhr heraus – »jetzt ist es schon wieder ein viertel nach Zwölf, und ich sollte schon längst auf dem Schloßplatze sein.«

»Bei der Parade?« sagte lächelnd die Majorin.

»Die Parade bekümmert mich eigentlich nur in meinen Freistunden,« entgegnete der junge Herr mit wichtiger Stimme.

»In Ihren Freistunden?«

»Gewiß, nur dann; aber meistens betrachte ich die Zeit der Parade als eine Art gesellschaftliche: Börse, als wenn ich mich militärisch ausdrücken soll, einen bürgerlichen Apell, wo man seine Bekannten trifft, wo man sich gegenseitig die Parole gibt und empfängt, d. h. wo ausgemacht wird, an welchem Ort man Nachmittags seinen Kaffee trinkt, ob man in's Theater geht oder wo man sich sonst amusirt.«

»Auf diese Art aber haben Sie außerordentlich viel zu thun,« antwortete die Majorin.

»Ich brauche in der That meine ganze Zeit,« versicherte Herr von Steinbeck. Dabei zupfte er an seiner Halsbinde, strich sich durch's Haar und stützte darauf den Stockknopf mit wichtiger Miene unter das Kinn.

»Meine ganze Zeit,« wiederholte er nach einer Pause; »jetzt geht es indeß besser, ich kann mich doch wieder rühmen, ich habe hie und da einen freien Moment. Aber ich versichere Sie, Frau Majorin, vor einem halben Jahre, bei Eröffnung der Eisenbahn, da war ich der geplagteste Mensch unter der Sonne.«

Die Majorin hatte ihr Buch von des Goldkäfers letzter Brandfahrt die Hand genommen und blätterte darin herum; zuweilen bei dem Geschwätze des Herrn von Steinbeck schaute sie einen Augenblick in die Höhe, um ihm damit anzuzeigen, daß sie weit entfernt sei, seinen Worten keine Aufmerksamkeit zu schenken. Gelegentlich sah sie auch sehnsüchtig nach der Thüre, wo der Major noch immer nicht erschien.

Wenn Herr von Steinbeck einmal im Flusse der Rede war, so hörte er sich gern sprechen, und dann plätscherten seine Worte nieder, wie ein Herbstregen, aber auch wie ein solcher langweilig und unerquicklich.

»Ja, die Eisenbahn,« fuhr er fort, »nahm mich sehr in Anspruch, anfänglich die Probefahrten; ich habe keine einzige versäumt, ich war sogar auf dem Zuge, als seine Majestät der König zum ersten Male fuhr. Eine kleine Bestechung, und so was gelingt immer! – Nachdem die Bahn dem Verkehr übergeben war, hatte ich wirklich außerordentlich viel zu thun, um die Züge ankommen und abfahren zu sehen, und mir genau zu notiren, wie viel Minuten jeder einzelne zu früh oder zu spät eintraf. Es ist das von großer Wichtigkeit, und ich habe nicht verfehlt, meine Bemerkungen während des ersten halben Jahres dem Eisenbahndirektor mitzutheilen. Er war mir dankbar dafür. – Jetzt aber ist diese Geschichte in Ordnung, sie nimmt mir nicht viel Zeit mehr weg, und ich kann jetzt meinen Beschäftigungen regelmäßig wieder nachgehen.«

»Es ist ganz erstaunlich,« sagte die Majorin, abermals aufblickend; sie hatte aber während der Zeit einen halben Gesang ihres Gedichtes durchgelesen.

»Wenn nur nicht wieder in nächster Zeit die Assisen eröffnet würden!« fuhr Herr von Steinbeck mit einem tiefen Seufzer fort, »in der Zeit bin ich immer außerordentlich geplagt.«

»Wie so?« fragte die überaus höfliche Majorin.

»Ich habe noch nie eine wichtige Sitzung versäumt,« entgegnete stolz der junge Herr; »ich halte das für meine Schuldigkeit, aber ich versichere Sie, man muß darunter leiden. Die Hitze in dem Saal, das stundenlange Hinstehen, die oftmals sehr langweiligen Reden der Advokaten, das kann einen schon zur Verzweiflung bringen. Ich war bei der letzten Session – der berühmten Falschmünzergeschichte – außerordentlich froh, als sich auf einmal in dem Saal die Nachricht verbreitete, es sei zwei Stunden vor der Stadt eine Lokomotive stecken geblieben, wodurch ich einen genügenden Grund bekam, den heißen Saal zu verlassen, und wodurch ich es bei meinem Gewissen verantworten konnte, den Schluß der wichtigen Sitzung nicht mit anzuhören. – Die Lokomotive saß ungeheuer fest; wir mußten den ganzen Nachmittag arbeiten, um sie wieder auf die Schienen zu bringen; und es war an dem Tage verflucht heiß.«

»Ah, da kommt der Major!« rief nun plötzlich das unglückliche Schlachtopfer dieses Geplauders, und in demselben Augenblicke öffnete sich die Thüre und der längst erwartete trat ein.

Der Freiherr von Brander war in Uniform: Waffenrock mit sehr dicken Epauletten, und er eilte auf den jungen Herrn zu und reichte ihm beide Hände zur Begrüßung dar. Herr von Steinbeck konnte aber von dieser großen Freundschaftsbezeugung nur einen sehr mäßigen Gebrauch machen; denn mit der einen Hand hielt er den Hut, mit der anderen den Stock, und so blieben für den Major nur zwei Finger übrig, die er auf's Liebreichste mit seinen beiden Händen umfaßte und schüttelte.

»Guten Morgen, lieber Major!« sagte der junge Herr freundlich lächelnd; »Sie sehen, ich bin pünktlich, ein Viertel nach Zwölf, und ich hätte wahrhaftig auf Sie warten müssen, wenn nicht die gnädige Frau so freundlich gewesen wäre, mir zu erlauben, sie ein wenig zu unterhalten.«

»Richtig! schon ein Viertel nach Zwölf,« entgegnete der Major, bedeutsam hustend, und sah seine Frau dabei an. Diese schien den Blick vollkommen zu verstehen; sie legte das roth eingebundene Buch nieder und setzte sich, aber mit einem etwas verdrießlichen Gesichte, in Position. Der Major rückte seinen Stuhl neben den des jungen Herrn, und es gelang ihm nach einigen fruchtlosen Versuchen, demselben Hut und Stock freundschaftlich zu entwinden und Beides auf dem Tische niederzulegen.

»Ja, mein Bester,« sprach nun der Major wieder nach einer Pause, während welcher er seine Stiefelabsätze zusammenschlug, daß die Sporen klirrten, »wir haben uns also verabredet, ein Viertel nach zwölf Uhr zusammen zu kommen, um das Nähere zu besprechen, ehe der Justizrath Werner erscheinen wird, der sich bis um ein Uhr angemeldet hat.«

»Ganz recht, ganz recht!« sagte Herr von Steinbeck. »Ich war also in der vorigen Woche mit dem Schreiben des Herrn Justizraths auf dem Schlosse – wie heißt es doch?«

»Gleichviel, gleichviel!« versetzte eifrig der Major; »also Sie waren da? nun, da bin ich begierig, zu erfahren, welchen Eindruck Sie von dort mitnahmen.«

»Ach, ich muß gestehen, einen überaus günstigen, besonders was die junge Dame anbetrifft; auch ist das Landgut schön gelegen, die Gebäude vortrefflich, die Gegend allerliebst. Es hat mir im Ganzen recht wohl gefallen – aber –«

»Sie soll sehr gut erzogen sein,« sagte der Major mit großer Würde, »sie soll die besten Lehrer gehabt haben; man hat in ihrer Erziehung nichts versäumt.«

»Das schien mir auch so,« entgegnete Herr von Steinbeck, »und ich muß gestehen, ich bin wohl entschlossen, diese Verbindung einzugehen, aber –«

»Sie ist außerordentlich reich,« warf die Majorin leicht hin, »und die Familie sehr respektabel.«

»Ja, aber –« sagte Herr von Steinbeck und schaute die Majorin mit einem ziemlich nichtssagenden Blicke an. »Die Familie ist allerdings sehr respektabel; der Mann wenigstens, obgleich viel geschehen ist, diesem Namen Unangenehmes anzuhängen.«

»Das ist wahr,« seufzte die Majorin, »aber nur allein durch den Sohn, durch jenen Herrn Eugen. Was der der alten Staatsräthin schon für Kummer verursacht hat! – Und nun erst diese letzte Geschichte! Gott! wenn ich bedenke, daß er erst wenige Tage vor dem Vorfall hier in diesem Salon war, hier bei mir in meinem Hause?«

»Die Schwägerschaft ist mir gerade nicht das Angenehmste bei der Sache,« antwortete der junge Mann.

»Der ist beseitigt!« sprach der Major in bestimmtem Tone; er wird es nicht wagen, sich vor einem Bekannten sehen zu lassen. Wenn er auch jenen jungen Schoppelmann, einen braven jungen Menschen, der die Ehre seiner Schwester vertheidigte, wenn er ihn auch glücklicher Weise nicht todtgeschlagen hat, so hat er ihn doch so darniederlegt, daß derselbe gewiß über sechs Wochen das Bett hüten muß. Es ist das ein Kriminalfall.«

Rosa Immergrün schauderte. – Hier in diesem Zimmer hatte er gesessen, der hart an dem Mörder vorbeigestreift war und der jetzt, dem Kriminalgericht verfallen, flüchtig in der Welt umherirrte. Sie hatte schon angefangen, das in einen kleinen Roman zu bringen; doch können wir dem geneigten Leser zu seiner Beruhigung versichern, daß er nicht in den Fall kommen wird, auch noch obendrein diese Bearbeitung der Eugen Stillfried'schen Thaten lesen zu müssen, indem jeder Roman weder beendigt noch gedruckt wurde.

»Es ist eigentlich merkwürdig,« sagte der Herr von Steinbeck, »daß ich diesen Eugen Stillfried nie gesehen, wenigstens nicht gekannt habe; er könnte mir heute begegnen, und ich würde nicht wissen, wer er ist.«

»Das ist begreiflich,« meinte sehr ernst der Major und drückte seine dicken Epauletten etwas nach hinten. »Die Beschäftigungen und Liebhabereien jenes Herrn Stillfried waren auch beständig der Art, daß er anständigen jungen Leuten fern blieb.«

»Kommen wir also zu Ende!« fuhr der Herr Steinbeck fort. »Wie ich Ihnen schon vorhin bemerkte, hat mir die junge Dame außerordentlich wohl gefallen. Ihr Vermögen ist sehr beträchtlich.«

»Ueber hundertfünfzigtausend Thaler!« schaltete der Major ein.

»Aber,« sagte der junge Mann, an den diese Worte hauptsächlich gerichtet waren, »wir sind ja unter uns und können diese Sache offen besprechen; es soll da in dem Stillfried'schen Hause, namentlich in Betreff dieser Tochter, Manches räthselhaft sein. Und wir müssen doch zuerst klar sehen, wie sich diese Sache verhält.«

»Das müssen wir vor allen Dingen,« versetzte der Major, »und da Sie sich in dieser Sache vertrauensvoll an mich gewandt, so versäumte ich nicht, mich mit dem Justizrath Werner ernstlich darüber zu benehmen.«

»Nun?« fragte gespannt der junge Mann.

Der Major klirrte abermals mit seinen Sporen, öffnete sodann ein paar Knöpfe an seinem Waffenrock und steckte seine rechte Hand dort sehr würdevoll hinein. »Sie bemerkten vorhin, mein lieber junger Freund,« nahm er alsdann das Wort, »daß in dem Stillfried'schen Hause manch Räthselhaftes vorgefallen sei, und das ist durchaus nicht in Abrede zu ziehen. Was mich anbelangt, so habe ich den alten Staatsrath noch genau gekannt. Das war ein braver, redlicher Herr und ungeheuer wissenschaftlich gebildet. – Er ist todt, das wissen wir alle. Seine Frau nun, die Staatsräthin, war eine Dame von Welt, eine brillante Erscheinung in der Gesellschaft. Gott der Gerechte! wie oft war sie hier in diesem Salon! Dort in jenem kleinen Fauteuil pflegte sie zu sitzen.«

»Herr von Steinbeck folgte mit den Augen den Fingern des Majors und blickte den kleinen Fauteuil so genau an, als wollte er jetzt noch die Gestalt der Staatsräthin dort entdecken.

»Nun hatten sie also einen Sohn, das war jener Herr Eugen, und vielleicht nach zehn Jahren verbreitete sich das Gerücht, der Staatsrath sei nun ebenfalls mit einer Tochter beschenkt worden. So viel ist sicher, daß unser alter Oberst, der im Hause sehr befreundet war, den Staatsrath einmal über diese Angelegenheit befragte und dieser zur Antwort gab: ja, wir haben eine Tochter, und dann setzte er hinzu: sie ist sehr kränklich und schwach, sie muß auf dem Lande erzogen werden.«

»Das ist schon etwas,« entgegnete Herr von Steinbeck, der dem Major aufmerksam zugehört.

»Und daß der Staatsrath so gesprochen, darauf gibt der Oberst sein Ehrenwort.«

»Und das ist wie ein schriftliches Dokument,« antwortete, sich vorbeugend, der junge Mann.

»Was nun Alles die böse Welt über jene Tochter gefabelt, das kann uns im Grunde sehr gleichgültig sein, d. h. in dem Falle, wenn Sie fest entschlossen sind, mit jener jungen Dame eine Verbindung einzugehen, zu der weder ich noch meine Frau an- oder abgerathen haben. Das müssen Sie nicht vergessen, Herr von Steinbeck. Wenn Ihnen also diese Verbindung wünschenswerth erscheint – und das junge Mädchen soll ein wahrer Engel sein – so halten Sie an jenem Ausspruche des Vaters fest, namentlich aber an den vollgütigen Papieren über Geburt und Taufe, welche der Justizrath Werner jeden Augenblick bereit ist, Ihnen im Auftrage der Staatsräthin vorzulegen.«

»Ist er das wirklich?« fragte der junge Mann. »Man hat mir gesagt, mit dem Justizrath sei sehr schlecht Kirschen essen, und er pflege gerne Ausflüchte zu machen.«

»In diesem Falle gewiß nicht!« sagte der Major. »Es handelt sich ja nur um Ja und Nein. Legt er die Papiere vor – gut, wir prüfen sie und sind nach Befund zufrieden; legt er sie nicht vor oder finden wir die Dokumente nicht in der Ordnung, so gehen wir in der Sache nicht vorwärts. Das ist meine Ansicht.«

»Und auch die meinige,« bemerkte Herr von Steinbeck, wobei er den Knopf seines Stockes, den er wieder vom Tische an sich genommen, mit einer außerordentlich entschlossenen Miene unter das Kinn stützte.

Daß auch Rosa Immergrün dieser Ansicht sei, bestätigte sie durch ein stummes Nicken mit dem Kopfe.

Schließlich konnte Herr von Steinbeck sich nicht enthalten, die Ansicht auszudrücken, daß, wenn sich also sämmtliche Papiere in Ordnung befänden, er durchaus nicht abgeneigt sei, jene Verbindung einzugehen. Doch setzte er hinzu, der Major sowohl wie die Majorin möchten nicht glauben, daß ein wenn auch noch so gefürchteter Mann. Wie der Justizrath, ihm zu imponiren im Stande sei, daß er sich vorgenommen habe, diesem Geschäftsmanne der Staatsräthin gegenüber ernst und fest aufzutreten.

Es war nachgerade ein Uhr geworden, und der Justizrath Werner erschien zu dieser vorher bestimmten Stunde, um wegen der Angelegenheit die wir eben dem geneigten Leser mittheilten, mit dem Herrn von Steinbeck zu unterhandeln. Da wir alle Wiederholungen scheuen, so erlauben wir uns nur zu sagen, daß nach einer guten Stunde die Sache so gut wie abgeschlossen betrachtet werden konnte. Doch können wir nicht verschweigen, daß während dieser Unterredung der Justizrath zuweilen seltsam lächelte, wenn der Herr von Steinbeck mit großen Redensarten begann; daß ferner nur im Allgemeinen der Vorlage der besprochenen Dokumente als wünschenswerth erwähnt wurde; und schließlich, daß Herr von Steinbeck dem Geschäftsmann der Staatsräthin gegenüber durchaus nicht fest und sicher auftrat, ihm aber noch weniger im Geringsten imponirte.


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