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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

In welchem Jungfer Clementine Strebeling als Nebenperson zu einem Rendezvous geht und durch sonderbare Fügung beinahe zur Hauptperson wird

Nach dem gestrigen Regen war der heutige Nachmittag frisch und angenehm. Der heiße Dunst des gestrigen Tages war vertrieben; Blumen, Kräuter und Moose streckten lustig ihre Köpfchen empor; das Laub der Bäume duftete; Schmetterlinge mit ihren bunten Flügeln schillerten auf dem dunkeln Grün und flatterten hin und wieder; ringsum war tiefe Stille, man hörte nichts vom Geräusche der Stadt, man konnte sich entfernt glauben von allen menschlichen Wohnungen – allein in der Einsamkeit.

Jetzt näherten sich die beiden Mädchen dem Platze, wo Eugen und der lustige Rath hinter einem dichten Gebüsche versteckt waren; doch hörte ersterer sogleich den Klang der Schritte, die sich näherten, und sprang den beiden Damen entgegen. Katharina zitterte mehr als je, und es war ihr fast unmöglich, so viel Athem in ihre Brust zu ziehen, um den freundlichen Gruß des jungen Mannes zu erwidern. Dieser war so ungestüm daher gesprungen, daß man wohl die Absicht voraussetzen konnte, er wolle die schone Katharina ohne langes Bedenken an sein Herz drücken; doch prallte er einigermaßen betreten zurück, als er das alte Gesicht der Jungfer Strebeling erblickte. Das junge Mädchen stellte ihre Freundin und Ehrenwächterin vor; Clementine knixte außerordentlich tief und war taktvoll genug, sich nach einigen wenigen Worten hinter das vorhin erwähnte Gebüsch zu verlieren und die beiden Liebenden ihrem Schicksale zu überlassen.

Wir können jedoch unmöglich verschweigen, daß die alte Jungfer, als sie sich Angesichts jener Bank befand und dort einen zweiten jungen Herrn erblickte, auf's Höchste erschrack und stehen blieb. Dieses Erschrecken verwandelte sich aber in ein wahrhaftes Entsetzen, so daß ihre Knie bebten, als nun jener junge Mann den Kopf aufhob und sie in ihm den erkannte, der sie vor einigen Tagen an dem Fenster so bedeutungsvoll und zart gegrüßt – der ihr gestern jenes Liebe athmende Billet geschrieben. Clementine überlegte einen Augenblick, ob es hier thunlich sei, in eine Ohnmacht zu fallen, oder ob es genug sei, wenn sie im Ausdrucke des höchsten Schreckens ihr Sacktuch vor die Augen presse; sie entschied sich für das Letztere und erwartete so gerüstet den Angriff jenes jungen Mannes.

Der lustige Rath war ebenfalls ein wenig überrascht, als er hier so unverhofft eine Dame auftauchen sah, deren Gesicht er sich schwach erinnerte, schon irgendwo gesehen zu haben; doch schien er hierüber gar nicht bestürzt zu sein; denn er ahnte den Zusammenhang und erhob sich von seiner Bank, die alte Jungfer freundlich begrüßend.

»Mein Fräulein!« sprach er, »Sie haben wahrscheinlich Ihre Freundin Katharina hieher begleitet, wie ich meinen Freund Eugen, und diesem Umstande verdanke ich das Glück, Sie wieder zu sehen.«

»Gewiß, nur diesem Umstände,« sagte die alte Jungfer und blickte schüchtern und ängstlich unter ihrem Hute hervor, – »nur ganz allein diesem Umstände, gewiß keinem andern, – o Gott! gewiß keinem andern.«

»Unsere jungen Leute,« fuhr der lustige Rath lächelnd fort, »sind den Weg dort hinab gegangen, und wenn Sie unterdessen mit meiner Gesellschaft fürlieb nehmen wollen, so würde ich mich außerordentlich glücklich schätzen. Hier ist ein sehr angenehmer Sitz; darf ich Sie vielleicht bitten, auf dieser Bank Platz zu nehmen?«

Clementine leistete dieser Aufforderung Folge, setzte sich aber so weit wie möglich von Herrn Sidel entfernt; auch hielt sie trotz des tiefen Schattens, der ringsum lag, den meergrünen Sonnenschirm vor die Augen und wartete mit hochklopfendem Herzen der schrecklichen Dinge, die hier kommen würden. Sie hatte die feste Ueberzeugung, daß die gottlose Katharina die Zusammenkunft veranstaltet; sie saß da in dem fürchterlichen Bewußtsein, zu einem Rendezvous gekommen zu sein: sie hatte das schmerzliche Gefühl eines halbgefallenen Engels. Auf ihrem Gesichte spiegelten sich allerlei schreckliche Gedanken, und so oft der lustige Rath zufälliger Weise mit dem Fuße scharrte und leise hustete, schauerte sie zusammen, wie die Lotusblume; denn sie dachte, jetzt sei der große Augenblick gekommen, wo er gräßliche Worte der Liebe an sie sprechen und in einem großen Satz zu ihren Füßen sinken werde.

Aber von allem dem geschah nichts; Herr Sidel, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, brachte die gleichgültigsten Dinge vor; er meinte, es sei ein herrliches und erfrischendes Wetter, zugleich aber fürchte er, es werde morgen sehr heiß werden oder gar in der nächsten Nacht ein Gewitter kommen, wie gestern geschehen.

Clementine faßte Muth und dachte: wie zart ist dieser junge Mann, wie versteht er es, sich zu mäßigen, wie weiß er das brennende Feuer seiner Liebe, das er in jenem Schreiben so glühend ausgedrückt, vor mir zu verheimlichen! – Gott! sie fürchtete immer, er werde jener Zeilen, die an sie gerichtet, erwähnen – doch er that das nicht. Nur einmal zitterte Clementine heftig zusammen; da nahm er nämlich seinen Stock zur Hand und schrieb damit einige Buchstaben auf die Erde, wobei er sie mit einem vielsagenden Blicke ansah. Weiter that er gar nicht, als ob je etwas zwischen ihnen vorgefallen sei. Clementine, entzückt über dieses äußerst zarte Benehmen, konnte nicht umhin, ihn mit einem dankbaren Blicke zu belohnen; doch hatte dieser dankbare Blick eine Beimischung von Liebe.

Das andere Paar war unterdessen den schmalen Pfad hinabgegangen und hatte anfänglich auch nicht viel Besseres und Wichtigeres gesprochen, als Herr Sidel und Jungfer Strebeling. Sie hätten auch vielleicht gerade eine eben so große Entfernung zwischen sich gelassen, wie die eben Genannten, wenn das möglich gewesen wäre, aber der Weg, auf dem sie wandelten, war so außerordentlich schmal, daß sie nothwendiger Weise dicht neben einander gehen mußten. Dabei berührten sich zuweilen ihre Hände, und wenn das geschah, so erröthete Katharina und blickte verlegen auf die linke Seite, während Eugen lächelte. Dieses Berühren der Hände kam nun nach und nach häufiger vor und auf einmal stockte das gleichgültige Gespräch über Wetter und Blumen, und gerade in demselben Augenblicke, wo Eugen ihre kleine Hand faßte und mit einem sanften Drucke festhielt, blieb auch das junge Mädchen stehen und holte so tief Athem, daß es wahrhaft erschrecklich war.

»Katharine,« sagte der junge Mann und machte den Versuch, sie an der Hand so weit herumzudrehen, daß ihr Gesichtchen, welches sie abgewendet hielt, sich nach ihm hinwandte; »Katharine,« wiederholte er nach einer kleinen Pause, »wie freut es mich, daß Sie gekommen sind, wie dankbar bin ich Ihnen dafür!«

Es ist etwas ganz Eigenthümliches um einen schmalen Weg und um eine einmal ergriffene Hand; die Wärme, die herüber und hinüber strömt, hat eine wahrhaft magnetische Kraft, und magnetische Kraft hat die bekannte Eigenschaft, entweder zwei Körper von einander abzustoßen oder zu einander hinzuziehen. Hier geschah nun das Letztere, und als Eugen zum dritten Male den Namen »Katharine« aussprach, drückte er das glühende zitternde Mädchen fest an seine Brust und hob ihr Gesicht ein klein wenig in die Höhe, und wir müssen eingestehen, daß er sie zuerst auf ihre beiden Augen küßte, blos in der guten Absicht, die Thränen daraus zu entfernen, und dann auf den frischen, leicht geöffneten Mund.

Nachdem dies geschehen, war es, als sei ein Bann von den Beiden genommen, als haben sie jetzt erst die Sprache gefunden, in welcher zwei Liebende überhaupt zusammen sprechen sollen. Da wurde alles das ausführlich erzählt und beschrieben, alle die Einzelheiten, die für ein junges Paar so wichtig sind und für andere Leute so außerordentlich langweilig: wann sie sich zum ersten Male gesehen, was jedes dabei gedacht, geglaubt und gehofft, was unterdessen Wichtiges vorgefallen sei, kleine Verleumdungen guter ältlicher Damen und Herren, die man gegenseitig über sich habe hören müssen, aber natürlicher Weise nie geglaubt. Bei diesen lieblichen Redensarten hatte Eugen die Hand des Mädchens losgelassen, dabei aber den Arm um ihre schlanke Taille gelegt – und so gingen sie dabin unter dem freundlichen Dickicht, lachend und plaudernd.

»Wenn ich dich nur öfter sehen könnte, meine geliebte Katharine!« sagte Eugen und drückte das Mädchen fest an sich. »Ich bin dir freilich unendlich dankbar, daß du mir diese Zusammenkunft unter Gottes freiem Himmel gegeben; es war gut, daß ich dich hier zum ersten Male recht gesehen und gesprochen; mein Herz ist so voll Glück und Seligkeit, daß ich es in den engen Mauern eines Hauses nicht zu ertragen vermöchte. Aber ich will es nicht, daß du oft hieher kommst, wenn du auch aus Liebe zu mir nochmals in eine solche Zusammenkunft willigen würdest.«

»Nicht wahr, Eugen,« versetzte hierauf eifrig das Mädchen, »nicht wahr, wir wollen uns hier nicht mehr sehen? Es könnte uns doch Jemand begegnen, und du weißt selbst, wie böse die Leute dann über ein armes Mädchen sprechen.«

»Du hast ganz recht, mein Kind,« sagte Eugen innig und herzlich; »aber du bist kein armes Mädchen, du bist mein Kind, meine Liebe, mein Alles, meine kleine Braut.«

Bei diesem letzten Worte wand sich das junge Mädchen scheu aus seinen Armen los und sah ihn lange mit einem ernsten Blick an.

»Eugen,« sprach sie hierauf, »du mußt nicht so grausam mit mir scherzen: wenn du ein solches Wort aussprichst, so fühle ich es tief, wie Unrecht ich habe, deine Worte anzuhören, wie doppeltes Unrecht, dir zu sagen, daß ich dich so unendlich lieb habe.«

»Und warum das, mein Mädchen?« sagte Eugen und zog sie wieder fester an sich.

»Das weißt du besser, als ich es dir sagen kann,« entgegnete Katharina. »O Gott!« fuhr sie schmerzlich fort, »und wenn ich dir gestehe, daß ich fest überzeugt bin, unsere Liebe hat keine glückliche Zukunft – so mußt du mich für entsetzlich leichtsinnig halten, daß ich diese Liebe doch eingegangen; aber ich habe nicht anders gekonnt, Eugen, ich habe wahrhaftig nicht anders gekonnt! Wenn auch die Brüder hämisch über mich lachen, wenn auch die Mutter zürnt, wenn auch die Leute sagen: die Katharine rennt in ihr Unglück! so kann ich doch nicht anders, und so folge ich doch deinen Worten allein – glücklich und selig.«

»Mein gutes, gutes Mädchen!«

»Ich habe dir noch nicht gesagt,« fuhr Katharina eifrig fort, »daß meine Mutter bei der deinigen war – ja, sieh mich nur verwundert an: bei deiner Mutter, bei der Staatsräthin.«

»Der Tausend!« sagte Eugen lächelnd, »und was hat sie da gethan?«

»Nun, das kannst du dir denken; sie hat deiner Mutter gesagt, du liefest mir auf Schritt und Tritt nach, und ob das nicht vielleicht von hier aus zu ändern sei.«

»Und die Frau Staatsräthin?«

»Sie hat geantwortet, sie bekümmere sich um dergleichen Sachen nicht, du seiest von jeher deine eigenen Wege gegangen und würdest auch jetzt thun, was dir gut dünkte.«

»Nun, siehst du, meine Katharine,« redete der junge Mann lachend, »was wollen wir machen? Wenn's meiner Mutter recht ist, daß ich dich meine kleine Braut nenne, wer hat sich denn sonst noch darum zu bekümmern?«

»O, sprich nicht so!« sagte das Mädchen; »ich weiß leider, wie du mit deiner Mutter stehst, und du weißt genau, was für eine stolze Frau die Staatsräthin ist; sie bekümmert sich leider um dich gerade so viel, wie du dich um sie bekümmerst. Aber das kannst du mir glauben, wenn sie je erführe, daß du – so etwas zu mir gesagt, wie eben, es wäre ihr Tod.«

»Was habe ich denn gesagt?« lachte der junge Mann, »daß du meine – «

Katharina sah ihn ernst und fragend an.

»Nun, sprich, was habe ich gesagt, du seiest meine – «

»Eugen!«

»Nun, wiederhole das Wort, ich möchte es gern aus deinem Munde hören, du seiest meine kleine Braut. Ich bitte dich, Katharine, sprich mir das Wort nach!«

»Nein, nein!«

»Mir zu lieb, ich bitte dich darum, sprich nach, was ich dir vorsage: ich sei – «

»Ich sei – « sagte lächelnd das Mädchen.

»Nun weiter!«

»Deine kleine Braut« – fuhr Katharina mit leiser Stimme und erröthend fort.

»Ja,« rief Eugen stürmisch und küßte sie auf die Stirn, »ja, du bist meine kleine, geliebte, schöne Braut! Bei allem, was mir heilig ist, du sollst es sein!«

»Aber ich bin es nicht, gewiß nicht,« sagte ernst und ein wenig trotzig das Mädchen – »ja,« setzte sie nach einer Pause hinzu, »ich will es nicht sein; ich will dich nur lieben, unendlich lieben; ich will keine Versicherungen von dir, nur deine Liebe, deine Treue, mag kommen, was da will. – Sag kein Wort mehr darüber; laß mich in dem süßen Glauben, daß ich dir von mir aus etwas geben kann; nichts wiedergeben gegen große und glänzende Versprechungen; ich bin dein, ganz dein. – Nimm mich hin, aber liebe mich treu und wahr. Und wenn du nach einiger Zeit zu mir sagst: steh, Katharine, unser Verhältniß muß sich lösen, so werd' ich ohne Vorwürfe zurücktreten und werde mich glücklich fühlen in dem Bewußtsein, daß du mich wirklich und einzig geliebt – und, nicht wahr, Eugen, das kann ich jetzt von dir verlangen?«

»Ja,« antwortete der junge Mann feierlich und drückte ihre Hand an sein Herz, »das kannst du von mir verlangen, und ich werde dieses Verlangen ehrlich und gewissenhaft erfüllen; ich nehme dich hin, wie du dich mir gegeben.«

Von diesem Augenblicke an wurde die Unterredung wieder einsylbig, wie zu Anfang; aber es waren die Gedanken des jungen Mannes ganz anders geworden. Ihre Lippen sprachen nur einzelne Worte, und ihre Augen glänzten und glühten. –

Unterdessen hatte sich der lustige Rath bestrebt, die Jungfer Clementine so angenehm und nützlich zu unterhalten, wie nur immer möglich, war aber dabei immer außerordentlich zart und zurückhaltend geblieben, wofür ihm die alte Jungfer auf's Innigste in ihrem Herzen dankte. Er hatte von den Vögeln des Waldes und von den Bäumen der Flur gesprochen; er hatte seine sämmtlichen botanischen Kenntnisse zu Hülfe gerufen und in seiner Eigenschaft als Elephantenführer das Uebermögliche gethan, damit der Ehrendame die Zeit nicht lange würde. Er hatte gesprochen von Sternen und Blumen, in kindlichster Einfalt, und Clementine hatte ebenso kindlich gelauscht. Nur einmal, und darüber schauderte sie noch nach acht Tagen, hatte sie in diesem harmlosen Gespräche die Offensive ergriffen und ihn gefragt, was eine Lotusblume sei, und darauf hatte sie zitternd gesessen, indem sie gefürchtet, er werde diese Frage zum Anknüpfungspunkte nehmen und darauf von seinem Herzen sprechen, das erzittert und gebebt unter der Liebe Macht. –

Aber er that es nicht, er bezwang sich auch dieses Mal und versicherte mit einem lächelnden Blick, die Lotusblume sei ein orientalisches Gewächs und ihm nur aus Liedern bekannt.

Aus Liedern, hat er gesagt und dann einen Augenblick geschwiegen? Wie dankte ihm Clementine in ihrem Innern auf's Neue für diese überzarte Aufmerksamkeit! Ja er trieb die Unbefangenheit noch weiter, und als er von der Lotusblume gesprochen und dann geschwiegen, bückte er sich zur Erde nieder und zupfte ein harmloses Gänseblümchen, daß er der alten Jungfer mit freundlichem Blick vor's Auge hielt.

»Kennen Sie dies?« fragte Herr Sidel.

»Ja wohl,« antwortete Clementine.

»Kennen Sie auch das Spiel, das damit getrieben wird?«

»Das Spiel, das damit getrieben wird,« wiederholte Clementine, und es fiel ihr plötzlich ein, daß junge, naseweise Mädchen die Blätter dieser Blume einzeln abzurupfen pflegen und dazu allerlei schreckliche Worte sprechen.

»Um Gottes willen!« dachte sie, »hat er deßhalb nur von Blumen geredet, um nun zuletzt mit der gefährlichen Gänseblume einen Sturm auf mein Herz zu wagen?«

»Sie kennen das Spiel nicht?« fragte Herr Sidel, über alle Möglichkeit unbefangen aussehend.

»Ja, ich kenne es,« hauchte Clementine hervor.

»Die Worte hiezu,« fuhr der schreckliche junge Mann fort, »werden hie und da verschieden gesprochen. Wie sagen die jungen Mädchen in hiesiger Stadt?«

Die jungen Mädchen, hat er gesagt und hatte dazu die Gänseblume in ihre Hand gelegt? Dieser Augenblick war entscheidend, und die feinfühlende Clementine konnte es nicht über ihr Herz bringen, nachdem er sich auf so zarte, blumige Weise ihr genähert, ferner noch die Unempfindliche, die Hartherzige zu spielen; auch war er ihr bedeutend näher gerückt.

»Nun, mein verehrtes Fräulein,« sagte der stürmische Mann, »so zupfen Sie einmal die Blättchen da ab und lassen sich prophezeien.«

»Er liebt mich,« sagte erröthend Clementine.

»Von Herzen,« setzte der lustige Rath hinzu.

»Mit Schmerzen,« seufzte sie.

»Ueber alle Maßen.«

»Ein klein wenig.«

»Ach, gar nicht,« sagte der lustige Rath; »aber weiter, weiter es sind nur noch wenige Blättchen da.«

»Er liebt mich,« fuhr Clementine fort.

»Von Herzen,« sagte er.

»Mit Schmerzen,« lispelte sie.

»Ueber alle Maßen,« jauchzte lustig und laut lachend Herr Sidel. »Nun, das ist prächtig, wertheste Jungfrau,« setzte er laut hinzu, »Sie können zufrieden sein, er liebt Sie über alle Maßen.«

»O, wenn ich wüßte!« seufzte Clementine.

»Was?«

»Daß das Spiel nicht trügt.«

»O, darüber beruhigen Sie sich,« wiederholte der lustige Rath und unterdrückte mit Mühe sein Lachen. »Das kann ich Sie versichern, wenn Sie einmal geliebt werden, so muß es über alle Maßen sein – über alle Schranken, ja, das ist nicht anders möglich. – Wollen Sie vielleicht noch einmal zupfen?«

»Gott soll mich bewahren!« sagte erschrocken die alte Jungfer. »Ich bin zufrieden, denn er liebt mich ja über alle Maßen.«

»Bravo, bravo?« rief in diesem Augenblicke eine lachende Stimme hinter der Bank, und Clementine, die bestürzt empor fuhr, sah das Gesicht der gottlosen Katharina, die am Arme des Herrn Eugen hinter ihr stand und wahrscheinlich die ganze Gänseblumenzupferei mit angesehen hatte.

»Bravo, bravo!« wiederholte sie laut lachend, und ihre Augen glänzten vor Vergnügen. »Kommen wir vielleicht zu früh zurück? Stören wir?«

»O, in dem Falle,« setzte Eugen lustig hinzu, »wollen wir Beide noch einen kleinen Spaziergang machen. Ihr habt nur zu befehlen.«

»Ach, wie garstig!« sagte Clementine mit gesenktem Haupte, »wie complicirt abscheulich! so was hätte ich von Ihnen, Katharine, in meinem ganzen Leben nicht gedacht.«

»Ich auch nicht von Ihnen,« versetzte vergnügt das junge Mädchen, »das ist ja erschrecklich!«

»Er liebt Sie,« sagte Eugen.

»Ueber alle Maßen,« setzte der lustige Rath hinzu.

Dieses Wort sollte den unberufenen Zuhörern vergnügt und heiter klingen, aber Clementine glaubte einen tiefen Ernst zu verstehen, die schwere Bedeutung, welche in diesen dreien, an sich so unschuldigen Worten lag. – »Ueber alle Maßen,« hatte er gesagt und dabei dem Herrn Eugen mit dem rechten Auge zugeblinzelt. Ach! dieses Geblinzel im Uebermaß seines Entzückens konnte ihm Clementinens sonst so reizbares Herz verzeihen; war Eugen nicht sein Freund, und war es nicht begreiflich, daß der Freund dem Freunde durch eine kleine Pantomime zu verstehen gab: Ich habe gesiegt, ich bin im Reinen, ich liebe sie über alle Maßen? Ach! und er that es gar nicht so, als habe er wirklich erreicht, was er gehofft; er war so unbefangen und natürlich, und als Eugen ihn nochmals fragte, ob er mit Katharina nicht noch einen Spaziergang machen solle, antwortete er mit seltener Selbstverläugnung: »nein, nein!« und setzte hinzu: »Laß, Vater, genug sein des grausamen Spiels!«

Somit waren diese Unterredungen zu Ende, und beide Paare gingen auf verschiedenen Wegen nach der Stadt zurück – die Promenade im Stadtgraben blieb in ihrer Stille und Einsamkeit hinter ihnen. Alles war glücklich von Statten gegangen und sie von keiner Menschenseele gesehen worden – so glaubten nämlich die zwei Paare. Wir aber, die wir in unserer Eigenschaft als Erzähler das Terrain sorgfältiger untersuchen müssen, als Jene es gethan, können leider nicht umhin, dem geneigten Leser zu eröffnen, daß jene Zusammenkunft nicht nur nicht ungesehen, sondern theilweise sogar nicht unbehorcht geblieben war. Wir glauben schon Eingangs der Beschreibung dieser Promenade bemerkt zu haben, daß hier eine Menge Singvögel ihre lustigen Lieder erschallen ließen, namentlich Nachtigallen, denen das schattige Gebüsch an den Ufern des kleinen Baches ein sehr lieber Aufenthalt war. Diese verschiedenen Singvögel nun als ein angenehmes Wild zu betrachten, war eine der Lieblingsbeschäftigungen des Herrn Konrad Schoppelmann, namentlich in Zeiten, wie die jetzigen, wo er sich im Besuche der Herrschaftswaldungen allzu sehr angestrengt hatte und dort jedem Jäger und Jägerburschen bekannt war wie ein bunter Hund. Dieses Einfangen von Singvögeln war auch eine Art Jagd, und als angenehme Abwechslung auf das Erlegen von Ratten wohl mitzunehmen.

Herr Konrad Schoppelmann hatte nun leider diesen Morgen einige freie Stunden gefunden, welche er dazu anzuwenden beschloß, dem Stadtgraben einen Besuch zu machen und mit Netz und Falle einige arme Singvögel einzusaugen. Er saß zu diesem Zwecke, noch ehe die beiden Paare ankamen, nicht weit von oben erwähnter Bank, und war nicht wenig erstaunt, als er eine halbe Stunde später Menschenstimmen vernahm, und als er diejenige seiner Schwester, sowie des Herrn Eugen und der Jungfer Clementine erkannte. Er rührte sich nicht von der Stelle, er strengte seine Ohren übermenschlich an, um, so viel ihm möglich war, die geführte Unterhaltung zu vernehmen. Dieses gelang ihm einigermaßen bei der alten Jungfer und Herrn Sidel, aber nicht so bei seiner Schwester und Eugen. Doch sah er sie zusammen den kleinen Weg hinab gehen, und das war ihm vor der Hand genug. Nachdem die Sache beendigt war und er bei sich gedacht, jetzt könnten sie weit genug entfernt sein, erhob er sich auch und ging mit leeren Fallen und Netzen, aber trotzdem mit außerordentlich vergnügtem Herzen fort, dem elterlichen Hause zu. Unterwegs überlegte er, wie diese Sache eigentlich zu behandeln sei, um etwas daran zu verdienen; denn er betrachtete alles, was in diesem Leben vorkam, als zu diesem Zwecke erschaffen. Sollte er die Mutter davon in Kenntniß setzen? – gewiß, um der Katharina tüchtig Eins hinauf zu geben! aber vor allen Dingen sollte die Mutter aufs Feierlichste versprechen, gegen die Tochter nichts davon zu erwähnen. Der Jäger wollte das Wild sicher machen und calculirte so: Ich will schon dafür sorgen, daß Katharina mit der alten Jungfer nicht mehr zum Spazieren gehen kommt, und dann wirb es nicht lange anstehen, daß Herr Eugen Stillfried sich einmal verstohlener Weise in unsere Höhle schleicht – dann haben wir ihn und er soll mir jeden Besuch theuer bezahlen. – So dachte der Jäger und trat nach einer kleinen halben Stunde, innerlich triumphirend, in das alte Haus am Marktplatz.


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