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Dreißigstes Kapitel.

In welchem man erfährt, wie Madame Schoppelmann ihre Kinder zu erziehen pflegt.

Draußen auf der Straße glänzte und jubelte der Feiertag in voller Pracht und Herrlichkeit. Der Himmel hatte sich dazu tiefblau angezogen, und die Sonne schien in ihrer besten und freigebigsten Laune; sie warf nur so ganze Massen von Sonnenschein, von Licht und Glanz herab, und das theilte sie aus so liebreich, so gut gesinnt, so ohne Ansehen der Person. Der goldene Knauf dort oben auf dem Thurme des Rathhauses erhielt von ihr nichts Besseres, als tief unten in dem Straßenwinkel auf dem Kehrichthaufen die kleine Glasscherbe, und beide funkelten und glitzerten in die Wette.

Und wie sich die Menschen so wohl befanden bei dieser allerwärmenden, allumfassenden Liebe des Sonnenlichtes! Da hatten sie massenweise die dunkeln Häuser verlassen und kamen hervor auf Plätze und Straßen, um zu sehen und sich sehen zu lassen. Zu den Thoren herein strömten sie aus den nächsten Dörfern, die Kirchen öffneten jetzt zur Mittagszeit ihre Halbdunkeln kühlen Hallen, und zugleich mit den tiefen Orgeltönen flutete die Menge aus ihnen heraus – Leute jedes Alters, jedes Standes; und auf Jeden schien der kirchliche Dienst anders gewirkt zu haben. Während hier zwei Männer mit weißen Haaren die Predigt einer scharfen Kritik zu unterwerfen scheinen, finden es dort zwei Frauen sehr passend, daß der sonst so sanftmüthige Prediger heute einmal einen scharfen Text unterlegt hatte und gesprochen von einem zornigen Gott, der da herfahren wird auf Gewitterwolken, sämmtlichen Sündern zum Verderben. Eine gute Kirchgängerin, die mit Herz und Seele bei der Predigt war, erkennt man noch viele Straßen weit an Gang, Haltung und Geberde; ja sogar jene jungen Mädchen, die es nicht unterlassen konnten, während der Predigt den neuen Shawl und Hut der Nachbarin zuweilen einer scharfen Musterung zu unterwerfen, gehen still und ruhig ihres Weges und blicken mehr zu Boden, als sie sonst zu thun pflegen.

So wogt Alles durch die Straßen dahin. Männer, Weiber, Kinder, Offiziere, Soldaten, und Alles strömt nach dem Hauptplatze der Stadt, um sich dort einen Augenblick sehen zu lassen und selbst zu sehen. Jetzt zieht auch die Parade dorthin mit klingender Musik, und die breite Straße, durch welche sie kommt, ist vollgepfropft mit Musikern und Militär und Volk von allen Sorten und unendlich vielen Kindern. Das alles bewegt sich bei den lustigen Klängen vorwärts, stampft daher, so gut wie möglich im Takt, schlenkert mit den Armen und versucht es, die Füße gleichmäßig zu heben, wie es das Militär in Reih' und Glied thut. Der Offizier, der die Wache führt, marschirt äußerst wohlgefällig durch die Straßen, den blanken Säbel in der Hand, zumeist angestaunt von den Landleuten beiderlei Geschlechts, die rechts und links mit ihm in gleicher Linie gehen. Zuweilen neigt er die Spitze des Säbels ein klein wenig, auf diese Art einen Bekannten grüßend. Ist dieser ein Offizier, so geschieht dies mit ernstem Blick, ist es aber eine Civilperson, mit herablassendem Lächeln. Auch an verschiedenen Häusern blinzelt er in die Höhe, und wenn er hier ein offenbares Zeichen des Erkennens macht, so gibt er dort durch einen schmachtenden Blick zu verstehen, daß er das Notwendige gesehen hat, und hofft ebenfalls, gesehen worden zu sein.

So zieht die ganze Menge bei uns vorüber, lachend, plaudernd und schreiend, die Töne der Musik nachäffend, und wir, die wir diesem Strome entgegen kommen, drücken uns in eine Thürvertiefung, um nicht mit fortgerissen zu werden.

Dorthin zieht die Militärmusik; wir wenden ihr den Rücken, lassen die neueren, helleren Stadtviertel hinter uns liegen und steigen zu dem Marktplatze hinab, der heute in sonntäglicher Feier und Stille daliegt, und auf welchem die heiße Mittagssonne gewaltig herrscht. Hier ist es schon im diese Zeit ruhiger. Der Bürger und Handwerker, der hier wohnt, hat sein Mittagsbrod schon längst verzehrt und gedenkt die heißen Tagesstunden im kühlen Zimmer zu bleiben, oder er rüstet sich, um mit Weib und Kind einen Ausflug zu machen und etwa auf einem benachbarten Dorfe nach ausgestandener Hitze und reichlich genossenem Staube auf der Chaussee sich einen mittelmäßigen Kaffee für theures Geld anzuschaffen.

Wir lassen den Marktplatz ebenfalls hinter uns und gehen bis zu dem Hause mit der Grafenkrone. Das Thor steht halb offen, und die Mittagsstunde, sowie der Feiertag haben eine tiefe Stille über den sonst so lebendigen Hof gebreitet. Madame Schoppelmann hielt diesen Ruhetag außerordentlich hoch, und von ihrer Seite geschieht Alles, daß derselbe, so weit die Grenzen ihres Hauses reichen, durch keinen unnöthigen Spektakel gestört und somit entheiligt werde. Zu diesem Zwecke wurden die sonst so lärmenden Thiere: Ferkel und Hunde, heute in ihren Ställen gehalten, und selbst dem Haushahn wurden nur Nachmittags ein paar Stunden vergönnt, seine Damen in freier Luft spazieren zu führen.

An einem solch hellen, sonnigen Tage, namentlich wenn man von dem blendenden Marktplatze her herein kam, war die Vorhalle oder das Wohnzimmer der dicken Gemüsehändlern, ein sehr trübseliger, trauriger Aufenthalt. Ja, man mußte seine Augen erst an das hier herrschende Dunkel gewöhnen, um nur die Gegenstände einigermaßen unterscheiden zu können.

Sobald wir dies nun ebenfalls gethan, sehen wir Madame Schoppelmann auf ihrem gewöhnlichen Platze neben dem niedrigen, rußigen Herde sitzen, auf welchem – wie fast zu jeder Tages- und Jahreszeit – ein mächtiges Feuer loderte. Die Frau war sonntäglich angezogen, ihr Kleid von dunklem Kattun; und dazu hatte sie auf dem Kopfe eine Haube mit langen himmelblauen Bändern. Dieser Anzug wurde durch eine weiße Schürze vervollständigt – ein großer Luxusartikel, den sich die Gemüsehändlerin nur an Sonn- und Feiertagen erlaubte. Sie saß auf ihrem starken Eichenholzstuhle sehr vornübergebeugt, und hatte die beiden Arme auf ihre Knie gestemmt. Vor ihr befand sich Jungfer Clementine Strebeling in weißem Kleide, mit einer hellblauen, ziemlich koketten Schürze, und sie hatte sich auf einen Stuhl so weit von der Madame Schoppelmann und dem Feuer niedergelassen, daß jene sie im Eifer des Gesprächs nicht auf die Schulter klopfen könne, wie sie gern zu thun pflegte, und daß dieses mit seinem Rauche weder dem weißen Kleide noch dem Teint der alten Jungfer Schaden brächte.

Die Unterhaltung der Beiden mußte einen Augenblick geruht haben, und die Gemüsehändlerin schien eifrigst über etwas nachzudenken.

Nach einer längeren Pause stützte sie ihr Kinn in die Hand und sagte: »Strebelinge, nehm' Sie mir's nicht übel, aber Sie sollte doch mit Ihrem Gelde nicht gar so großartig umgehen. Meint Sie denn, so ein Kapital sei nicht zu erschöpfen. Und wenn mir auch Ihr gutes Herz wohl gefällt, wenn ich auch begreife, daß Sie arme Verwandte, die sich in Roth befinden, gern unterstützt, so muß das doch mit Maß und Ziel geschehen. Hat Sie mir nicht gesagt, erst vor acht Tagen habe Sie Ihrem Vetter vierhundert Gulden geschickt? Nun ja, das ist aller Ehren werth, damit kann er wohl eine Zeit lang zufrieden sein.«

»O du lieber Gott!« seufzte Clementine.

»Ja, was, lieber Gott!« fuhr die alte Frau fort; »du lieber Gott! sagt Sie immer und thut doch, was Sie will, ohne meine gutgemeinten Ermahnungen nur im Geringsten zu befolgen. Ich habe doch recht in den meisten Dingen.«

»O lieber Gott!« sagte Clementine abermals.

»Jetzt will Sie also sogar sechshundert Gulden wegschicken? Weiß Sie, was sechshundert Gulden bedeuten? Das sind sechshundert einzelne Gulden, und jeder Gulden hat sechzig Kreuzer, und ein Kreuzer will verdient sein, das kann Sie mir glauben.«

»O du lieber Gott!« sagte hierauf Clementine; »ich weiß das alles, Frau Schoppelmann; und glaubt ja nicht, weil ich in meinem Leben noch nichts verdient habe, wüßte ich das Geld nicht zu achten.«

»Ich muß schon sagen,« entgegnete mürrisch die Frau, »auch ich habe früher nicht an Ihr entdeckt, daß es Ihr Spaß gemacht hätte, Ihr Geld hinauszuwerfen; aber jetzt mit Einem Mal fängt Sie an, recht toll zu wirtschaften. Nehm' Sie mir's nicht übel.«

»Ich weiß wohl, daß ich zu gut bin,« sagte die alte Jungfer und ließ ihr Köpfchen sinken, »viel zu gut. Du lieber Gott! wer kann für sein Herz?«

»Ach was, Herz!« entgegnete die alte Frau und hob sich etwas in die Höhe, indem sie sich auf ihre Hände stützte. »Mach' Sie mir die Pferde nicht scheu. Was ist da von Herz im Spiel? Gar nichts; das ist bei Ihr nur die Schwäche, daß Sie keinem Menschen was abschlagen kann: das weiß der saubere Vetter ganz genau.«

»O lieber Gott!«

»Und dann,« fuhr die dicke Gemüsehändlerin fort, »sag' Sie mir einmal aufrichtig, wer ist denn der Vetter eigentlich? Ich kenne doch so ziemlich Ihre Verwandtschaft, und die sind alle, Gott sei Dank! in solchen Umständen, daß sie Ihre Hülfe nicht brauchen. – Tausend Gulden – es ist ja ein ganzes Vermögen! Nun, wer ist denn der Vetter?«

»Das – – – darf ich um keinen Preis sagen. Ihr wißt selbst, Frau Schoppelmann, wenn man Jemand hilft und hängt es nachher an die große Glocke, so hat diese Hülfe schon gar keinen Werth mehr.«

Bei diesen Worten hatte Jungfer Clementine ihr Gesicht abgewandt; denn sie fürchtete, die Gemüsehändlerin mochte trotz der Dunkelheit, die in dem Gemache herrschte, die flammende Nöthe bemerken, in welche sich das Gelb ihres Gesichtes verändert.

»Nun, weiß Sie was?« sagte hierauf nach einem längeren Stillschweigen und nachdem sie in ihre vorige ruhige Stellung zurückgesunken war, Madame Schoppelmann, »mir kann's ja im Grunde gleich sein; ich habe mit Ihr über die Sache gesprochen, weil ich es gut mit Ihr meine. Sie ist anderen Sinnes – gut! Bring' Sie mir morgen früh Ihren Pfandschein – ich weiß, daß Sie ordentliche, solide Papiere von Ihrem Vater selig hat, – dann will ich Ihr in Gottes Namen die sechshundert Gulden dafür geben.« Damit erhob sich die dicke Frau so rasch als möglich von ihrem Sitze, anscheinend um den Wasserkessel etwas näher zu dem Feuer zu rücken: doch war dies nur Nebensache: die Hartnäckigkeit, mit der Jungfer Strebeling darauf bestand, ihrem Vetter zu helfen, hatte sie sichtlich erzürnt, und darauf hin stemmte sie ihre Arme in die Seite, hob den Kopf in die Höhe und ging mit hallenden Schritten auf und ab.

Clementine sah eingeschüchtert vor sich nieder und wagte es nicht, den Versuch zu machen, die Frau mit einem Worte zu besänftigen; denn das wäre in diesem Augenblicke vergebliche Mühe gewesen. Man mußte sie ihren Zorn austoben lassen, und dazu brauchte es nicht einmal lange Zeit, dann war sie wieder die guthmüthige Frau von früher.

Nachdem Madame Schoppelmann so ein Dutzend Mal auf- und abgerannt war, blieb sie vor der alten Jungfer stehen und sagte mit sehr lauter Stimme: »Aber jetzt hör Sie mich an, Strebelinge! Sieht Sie, die sechshundert Gulden zahl' ich Ihr aus; aber das sag' ich Ihr, kommt Sie mir wieder mit einer ähnlichen Geschichte, so höre ich Sie gar nicht mehr an und ihn' Ihr nicht so viel mehr zu Gefallen.« – Dabei schnippte die Frau mit ihren Fingern in der Luft und setzte mit einem tiefen Athemzuge hinzu: »Ich kann's nicht verantworten.«

Nach diesen letzten Worten drehte sich die Gemüsehändlerin so kurz wie möglich herum und wandte sich ihrem Wassertopfe zu, dessen Inhalt schon angenehm zu singen begann. Es kam nun die Stunde, welche ihr die liebste im ganzen Tage war; die Zeit des Kaffeetrinkens nämlich, und die Aussicht auf dieses harmlose Vergnügen beruhigten die Zorneswellen in ihrer Brust bedeutend, und Madame Schoppelmann würde in kurzer Zeit zu ihrem normalen ruhigen Gemütszustände zurückgekehrt sein, wenn nicht in diesem Augenblicke die Thüre des Nebenzimmers aufgerissen worden wäre, und wenn nicht schon diese Bewegung an und für sich die dicke Frau einigermaßen erschreckt hätte. Dieser Schrecken aber gab ihrem Zorne um so mehr eine Nahrung, als sie zu gleicher Zeit sah, wie ihre Tochter Katharina mit großer Heftigkeit in das Zimmer trat, die Thüre hinter sich zuschlug und sich mit blitzenden Augen der Mutter gegenüberstellte.

Das Aeußere des schönen Mädchens war merkwürdig, aber traurig verändert. Ihr volles schwarzes Haar, das sonst so zierlich und nett in dicken Flechten um den Kopf gelegt war, hatte sie offenbar in aller Eile nur leicht befestigt und ihr uns bekanntes rothes Tuch nachlässig darum gewunden. Ihr Gesicht war bleich, ihre Augen glühten, und aus ihnen war jener schelmische, neckende Blick verschwunden, jenes angenehme Feuer, das dieses ganze Gesicht so lieblich erwärmte, jenes Zeichen der Frische und Gesundheit. Ihr Körper, voll und doch schlank wie immer, zeigte durch seinen Anzug, daß sie heute keine Sorgfalt auf ihn verwendet hatte.

Katharina trat dicht vor die Mutter hin; sie ballte ihre rechte Hand fest zusammen und sprach mit bebenden Lippen: »Und jetzt könnt Ihr ferner sagen, was Ihr wollt, Mutter, ich thue keinen Schritt mehr in das Zimmer der Brüder!«

Statt aller Antwort zuckte die Gemüsehändlerin mit ihren Schultern, was so viel bedeuten sollte, als: »Das ist kindisches Geschwätz.« Nebenbei aber sah man an dem Gesichte der Frau, daß sie gewaltsam an sich halten mußte, um den Zorn, den Jungfer Strebeling erregt hatte, nicht gegen ihre Tochter aufflammen zu lassen.

»Thut nicht so,« fuhr diese fort, »als verständet Ihr mich nicht; ich habe mich freilich schon oft geweigert und bin doch immer wieder hinübergegangen; denn es war ja nun einmal mein Bruder! Jetzt aber, wo ich, Gott sei's geklagt! die volle Schuld an dem Unglück haben soll, das ihn getroffen –«

»Die hast du auch,« sagte die Gemüsehändlerin mit leiser Stimme, indem sie ihre Lippen aufeinander biß; doch wandte sie scheinbar ruhig noch keinen Blick von ihrem Feuer und ihrem Wassertopfe.

Katharina machte eine heftige Bewegung mit der rechten Hand, als wollte sie sagen: »sei es darum!« und gleichlautend dieser Bewegung antwortete sie auch: »Ihr habt darin Eure Ansicht ausgesprochen, und die will und kann ich nicht ändern. – Gut denn! seht mich als die Ursache an, daß der Fritz darniederliegt; – ich sage nochmals, es sei so, und wenn ich denn einmal die Ursache davon sein soll, gut! so bin ich sie und so bin ich sie gern; denn was dem dahinten geschehen, hat er hundert Mal an Euch und mir verdient.«

Bei diesen Worten wandte sich die Mutter mit einer erschrecklichen Geschwindigkeit von dem Feuer ab, und ihre Züge waren bleich vor Zorn über ihre Tochter; ihre Lippen bebten ebenso; und doch war etwas so fürchterlich Aufgeregtes in dem Auge und dem Körper des zitternden jungen Mädchens, daß die alte Frau, statt in die heftigste Wuth auszubrechen, einen Schritt zurück trat und sie nur mit rollenden Augen von oben bis unten maß.

Katharina folgte diesem Blicke fest und bestimmt; dabei war die Gluth ihres Auges so unnatürlich wild, gehässig, ja man könnte sagen: falsch, daß Jungfer Strebeling aufs Höchste erschreckt, es für sehr geeignet hielt, sich zwischen Mutter und Tochter zu drängen. Doch schob Katharina die alte Jungfer – dieses zarte Wesen – leicht mit der Hand zurück, und dabei glitt ein sonderbares Lächeln über ihre harten, marmorgleichen Züge, als wollte sie sagen: »du brauchst mich nicht zu schützen!«

Madame Schoppelmann schien der Ansicht zu sein, wenn sie vorderhand nichts weiter sage, so werde sich auch Katharina beruhigen und schweigen, und das erschien ihr in diesem Augenblicke das Passendste, weßhalb sie sich denn auch dem Feuer schon wieder zuwenden wollte, als Katharina mit der größten Heftigkeit fortfuhr: »Ihr habt mich verstanden, Mutter! Ich habe Euch das gesagt, weil Ihr mich durch Eure Behandlung seit acht Tagen dazu gereizt – ja gereizt; Ihr habt mir befohlen, ich soll meinen Bruder pflegen, weil er krank sei, krank durch meine Schuld, und dann habt Ihr hinzugesetzt: ich könne mich dabei meiner Sünden erinnern und der Schande, die ich über Euer Haus gebracht. Ich habe Euren Befehl erfüllt, obgleich – ich gestehe es Euch – widerstrebend, mit zerrissenem Herzen; ich habe mich meiner Sünden erinnert und der Schande, die ich über Euer Haus gebracht, und habe dadurch selbst für spätere Fehler im Voraus abgebüßt. So ist meine Meinung in Betreff der Sünde und Schande; – nun gut, ich habe meinen Bruder gepflegt, und in den ersten Tagen, wo er sehr krank und bewußtlos darnieder lag, mit der Liebe einer Schwester für den Bruder; denn er war hülflos, und wenn er zuweilen seinen Blick aufschlug und mich ansah, so konnte dieser Blick ja auch heißen: ich danke dir, Katharine! Ich habe es wenigstens so angenommen, obgleich er nie daran gedacht.«

Die alte Frau hatte sich bei dieser längeren Rede, welche Katharina mit der größten Heftigkeit heraus sprach, sonderbarer Weise eher beruhigt, als noch mehr erzürnt. Es war dergleichen schon öfter vorgekommen, und dann mochte sie als Mutter es nicht ungern sehen, daß die Strafe, welche sie der Tochter durch die Pflege des Bruders diktirt, diese offenbar tief erschüttert hatte. Genug, sie hatte ihre Arme in die Seite gestemmt, sich auf ihren Stuhl am Feuer niedergelassen und schien ruhig erwarten zu wollen, was Katharina noch weiter zu sagen habe.

Katharina hatte einen Augenblick geschwiegen, offenbar eine Entgegnung von Seiten der Mutter erwartend. Als diese aber nicht erfolgte, schwellte ein tiefer Athemzug die Brust des schönen Mädchens, und sie fuhr fort: »So war er in den ersten Tagen, und obgleich ich weiß, daß Ihr, Mutter, mich bei dem Bruder ließet, um mich zu bestrafen, so habt Ihr doch selbst nicht gewußt, welche entsetzliche Strafe das für mich war, sonst hättet Ihr das gewiß nicht gewollt. – Ich wußte ganz genau, daß der Fritz nur so lange Ruhe geben werde, als er unfähig sei, zu sprechen; ich habe es Euch schon vor ein paar Tagen gesagt, daß er, sowie Konrad, die gehässigsten Reden gegen mich ausstoße, mich auf alle mögliche Art necke und plage, mir immer und immer wieder die traurige Geschichte jenes unglückseligen Abends vorerzähle; jene Geschichte,« fuhr sie erbittert fort, »wo es nur eines Zufalls bedurfte, daß Eure beiden Söhne nicht als ausgemachte Mörder eingesperrt wurden.«

Die alte Frau zuckte bei diesen Worten zusammen und ihre Hand faßte unwillkürlich das schwere Schüreisen.

Katharina, welche diese Bewegung wohl bemerkte, lächelte eigenthümlich und hob die linke Hand, wie leicht abwehrend, vor sich hin.

»Und was soll diese ganze Geschichte?« fragte die Mutter mit tiefer, sturmverkündender Stimme: »was soll dieser Auftritt zwischen mir und dir?«

»Er soll Euch einfach sagen,« entgegnete das Mädchen kurz und bestimmt, »daß ich von jetzt an keinen Schritt mehr in das Zimmer der Brüder hinüber thue.«

»Was!« schrie die Mutter und sprang heftig in die Höhe.

»Laßt mich ausreden!« rief gebieterisch Katharina; »und dann – macht was Ihr wollt. Diese Stichelreden der Beiden über jenen Abend hatte ich am Ende schon noch ertragen; aber jetzt fangen sie an, vor meinen Ohren andere Sachen zu sprechen, Sachen, die ich nicht hören sollte, die ich auch nicht verstehe, und die – obgleich ich sie nicht begreifen kann – mich doch mit einer solchen Wuth erfüllen, mit einem solchen Abscheu, daß ich, wie schon gesagt, nie mehr in dieses Zimmer zurückkehre, und sollte es mein Leben kosten.«

»Und wer sagt solche Dinge?« fragte die alte Frau erbleichend und mit vor Wuth erstickter Stimme: »wer führt solche Redensarten?«

»Nun, wer wird sie führen!« sagte verächtlich Katharina; »Beide, der Kranke am meisten.«

»Gottes Gerechtigkeit!« seufzte die Gemüsehändlerin; »der könnte doch wohl genug haben und Ruhe halten; aber ich will einmal hinüber, ich will den beiden Buben einmal die Tageszeit ansagen; bleib du nur hier, und wenn dem so ist, wie du gesagt, so sollst du freilich nicht mehr hinüber.«

»Und wer wird Euch sagen, ob dem so ist?« entgegnete Katharina mit finsterem Blick; »meint Ihr denn, einer von den Beiden? Die werden sich schon wieder gegen Euch hinauslügen und dann –«

»Man lügt mich nicht nur so an,« sprach die alte Frau, indem sie sich auf das schwere Schüreisen stützte; »ich will schon sehen, wer Recht oder Unrecht hat.«

»Und im Falle sie Euch beweisen, daß ich Unrecht habe?« fragte Katharina mit blitzenden Augen.

»So gehst du wieder hinüber, wie ich es befohlen,« versetzte schwer athmend Madame Schoppelmann.

»Nie, Mutter!«

»Katharine!« schrie die Frau, und die Hand, in welcher sie das Eisen hielt, zitterte.

»Niemals wieder, Mutter, geh' ich hinüber in das Zimmer,« sagte mit fester Stimme das Mädchen und trat furchtlos einen Schritt näher zum Herde, neben welchem die Gemüsehändlerin stand.

»Und – wenn – ich – es befehle?« schrie diese, und ihre Lippen bebten, und sie brachte die Worte nur stoßweise hervor.

»Auch dann nicht!« betheuerte Katharina und sah festen Blickes und ohne Furcht, wie die Mutter im Uebermaße des Zornes das schwere Schüreisen aufhob, um damit einen Streich auf das unglückliche Mädchen zu führen. Wer weiß auch, was geschehen, wenn nicht Clementine in diesem Augenblicke abermals zwischen die Streitenden gesprungen wäre! Sie wollte den Arm der Gemüsehändlerin fassen, bekam aber das Eisen zwischen ihre Hände, welches sie, trotzdem, daß es heiß war, mit Aufwendung all ihrer Kraft fest hielt. Madame Schoppelmann, welche solcher Gestalt sah, daß ihre Waffe ihr nichts nütze, ließ das Eisen fahren, welches klirrend zu den Füßen der alten Jungfer niederfiel. Doch hatte diese Hülfe derselben den Zorn der alten Frau nicht gedämpft; im Gegentheil, ihre Hand, die nun im Schwunge war, setzte ihren Weg fort; indeß mochte das weiße, erstarrte Gesicht Katharinens, ihre weit aufgerissenen, glühenden Augen, ja ihre ganze entschlossene Haltung es sein, was die Mütter abhielt, einen Streich nach der Tochter zu führen. Ihre zuckenden Finger berührten nur das rothe Tuch auf dem Kopfe Katharinens, welches sie herabriß; ihm folgte das lose aufgesteckte Haar, und die dicken schwarzen Flechten desselben sanken über die Schultern, Arme und Hände des bebenden Mädchens herab. Noch einmal griff die Mutter nach diesem Haar, aber als sie eine der dicken Flechten gefaßt hatte, war es vielleicht die Kälte und Glätte derselben, was sie einigermaßen zur Besinnung brachte; genug, sie ließ ihre Hand langsam heruntersinken, und ihr Zorn schien plötzlich eine andere Richtung zu nehmen. Sie griff das Schüreisen wieder auf und eilte mit einer überraschenden Geschwindigkeit durch die Vorrathskammer nebenan nach dem Schlafzimmer ihrer Söhne.

Katharina blieb noch einen Augenblick regungslos stehen, dann blickte sie um sich; ihre Brust holte tief Athem, und es war, als sei sie von einem schweren und tiefen Traum erwacht. In diesem Augenblicke schien auch ihre ganze Entschlossenheit und Fassung von vorhin entschwunden. Sie schaute schaudernd um sich; ihr ganzer Körper zitterte, und ihr Blick haftete einen Moment entsetzlich an der Thüre, durch welche die Mutter verschwunden war. Zuerst machte sie eine Bewegung, als wolle sie ebenfalls dort hinein stürzen, dann aber raffte sie sich plötzlich zusammen, ergriff die Hand Clementinens und zog sie mit sich über die kleine schmale Treppe hinauf in ihr Zimmer.


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