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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Herr Justizrath Werner entwickelt Heiratsprojekte, die aber nicht aufgenommen werden, wie er es voraussetzt.

An jenem Tage, wo Eugen die letzte Unterredung mit seiner Mutter hatte, in welcher er versprochen, einen Theil jener Papiere, die sich in dem kleinen versiegelten Pakete befanden, in ihre Hände zu liefern, hatte die Staatsräthin, wie wir bereits wissen, ihren Hausfreund, den Justizrath Werner, bitten lassen, sie doch ja im Laufe des Nachmittags zu besuchen. Daß er nicht erschienen, und welche Geschäfte ihn zurückgehalten, wissen wir ebenfalls. Madame Stillfried, obgleich sie nicht die geringste Kenntniß davon hatte, was sich an jenem Abend begeben, befand sich trotzdem den ganzen Rest des Tages in einer ahnungsvollen Sorge und Angst die sich als gerechtfertigt erwies, sobald nämlich – es war gegen zehn Uhr – der Justizrath Werner in höchster Aufregung in dem Stillfried'schen Hause erschien und, nachdem er sich der ungewöhnlichen Stunde halber bei der alten Dame hatte melden lassen, vorgelassen wurde und ihr darauf das Geschehene erzählte.

Der ganze Anschlag gegen Eugen, von dem übrigens die Mutter keine Ahnung hatte, war vollständig verunglückt; denn als man nach dem jungen Mann in seiner Wohnung gesucht, war er verschwunden, und was den Justizrath am meisten beunruhigte und in Sorgen versetzte, der getreue Pierrot mit ihm, der doch so gemessene Befehle erhalten hatte, nicht die Stadt, ja nicht einmal die Wohnung seines Herrn zu verlassen.

Da, zum erstenmal seit längerer Zeit, sowie auch einige Zeit später wegen der ähnlichen Veranlassung, hatte die Staatsräthin mit dem Herrn Werner mehrere ziemlich lebhafte, ja heftige Unterredungen, in deren Verlauf sie ihn gar beschuldigte, daß er, wie es schiene, sein Möglichstes thue, den Sohn von der Mutter gewaltsam zu entfernen, unter dem Vorwande, jene Papiere zu erlangen. Das war nun an sich auch vollkommen richtig; doch bemühte sich der Justizrath begreiflicher Weise, der Staathsräthin jene Gedanken auszureden, indem er ihr versicherte, es sei durchaus nicht glaubwürdig, daß Eugen ernstlich im Sinne gehabt, ihr einen Theil jener Papiere in die Hand zu geben. Doch wenn die Mutter auch am Ende dieser Behauptung gegenüber still schwieg, so glauben wir doch annehmen zu können, daß sie bei jener Unterredung in dem offenen, ehrlichen Auge ihres Sohnes nicht eine Spur von Falschheit entdeckt hatte, und daß sie auch heute noch seinem Versprechen mehr glaubte, als den Worten des Justizrathes.

Als dieser sie nun eines Abends verlassen, blieb sie noch einen guten Theil der Nacht in ihrem kleinen Lehnstuhl in der Fensterecke sitzen, hielt den Kopf in die Hand gestützt und dachte eifrigst an vergangene Zeiten, wohl auch zuweilen an die Zukunft. Bei den letzteren Gedanken verfinsterte sich ihr Gesicht und sah eine Zeit lang gehässig, menschenfeindlich aus. Sie sprang in solchen Momenten auf und eilte mit raschen Schritten durch das Zimmer. Plötzlich aber, während sie so heftig auf und nieder ging, konnten sich ihre Züge mit einem Male aufhellen, ihr Blick wurde alsdann freundlich, ja ein leichtes Lächeln spielte um ihren Mund, und dann konnte sie plötzlich stehen bleiben und sich selbst fragen: »Und warum nicht?« Auch schienen die freundlichen Bilder, die auf diese Art ihre Seele beschäftigten, häufiger wieder zu kehren, und unter dem Einflusse derselben begab sie sich endlich zur Ruhe. Wir glauben, annehmen zu können, daß die alte Dame seit langen Jahren zum ersten Male wieder freundliche und angenehme Träume hatte, und wenn auch zuweilen ein finsteres Bild hindurch schritt, so war es ein Gedanke an das, was an jenem Abend mit ihrem Sohne geschehen, von dem sie durch ihren Diener genaue Kunde erhielt.

Am Morgen nach jenem Vorfalle hatte sie den alten Jakob zeitig zu sich heraufkommen lassen, und ihm den Befehl ertheilt, sich augenblicklich nach den näheren Umständen jenes traurigen Vorfalles vom gestrigen Abend zu erkundigen. Doch wußte der alte Diener diesen bereits bis in die kleinsten Einzelheiten, und in der Küche hatte man schon vom frühen Morgen an debattirt und berathschlagt, auf welche Weise es am besten thunlich sei, der Staatsräthin die Wahrheit unumwunden mitzutheilen.

Jetzt, da ihm die Herrschaft mit dieser Frage auf halbem Wege entgegen kam, ermangelte Jakob nicht, den Sachverbalt aufs Klarste aus einander zu setzen, und obgleich er nichts Unwahres zu Gunsten des jungen Herrn Stillfried sagte, so stellte er doch das, was derselbe gethan und was ihn dazu angetrieben, in so klarem Lichte dar, daß an seiner Handlungsweise auch nicht der geringste Schatten kleben blieb. Dabei müssen wir eingestehen, daß der alte Jakob, der sich um das Thun und Lassen seines jungen Herrn fast nicht weniger als der Justizrath selbst bekümmerte, und der oftmals noch besser unterrichtet war, nicht unterließ, der Mutter einige von den Fäden zu zeigen, welche jene ganze Geschichte dirigirt. Daß dabei des Justizraths Werner gerade nicht schmeichelhaft erwähnt wurde, können wir uns leicht denken; doch verdächtigte dies leider in den Augen der Staatsräthin die Aussagen des alten Bedienten; denn sie wußte, wie feindlich ihrem Freunde sowohl Jakob, als auch die ganze übrige Dienerschaft gesinnt war. Sobald demnach Jakob auf das geneigte Gehör hin, das ihm die Staatsräthin geliehen, anfing, seine Herzensmeinung auszusprechen, brach sie die Unterhaltung kurz ab und blieb mit ihren Gedanken allein.

Mehrere Tage später, nachdem sie mit dem Justizrath die letzte lebhafte Unterredung über diese Gegenstände gehabt, schritt die alte Dame in ihrem Zimmer auf und ab; bald blieb sie nachdenkend hier, bald dort stehen, drückte zuweilen die Hand vor ihre Stirn oder stützte sich auf die Lehne ihres Fauteuils, um eine Zeit lang, in tiefes Nachsinnen verloren, in die Gegend hinaus zu blicken. Wir sind nicht im Stande, anzugeben, womit sich ihre Gedanken eigentlich beschäftigten; doch glauben wir annehmen zu können, daß sie eine Fortsetzung der freundlichen Bilder waren, welche schon ewige Mal seit der Unterredung mit Eugen ihrem Geiste vorgeschwebt. Und wenn sie heute Morgen wieder daran dachte, wie unendlich schön es doch sein müsse, sich mit ihrem Sohne auszusöhnen und im Verein mit ihm und vielleicht noch sonst einigen Personen ein freundliches, angenehmes Leben zu führen, so trat das Bild des Justizraths Werner finster und grollend zwischen diese Träume und zerriß sie, indem er wie beschwörend die Hand erhob.

So verflossen der Staatsräthin die ersten Stunden des Tages, und als es eilf Uhr wurde, erschien der Justizrath zu dieser seiner gewöhnlichen Zeit, um der Freundin seinen Besuch zu machen.

Er schien noch ernster als gewöhnlich gestimmt, legte nach einem kurzen Gruße seinen Hut ab und stellte sich mit über einander geschlagenen Armen vor den kleinen Lehnstuhl und die Fensternische, in welch letzterer die Staatsräthin Ihren Platz wieder eingenommen.

»Geht es Ihnen gut?« sagte er nach einer Pause; »haben Sie eine ordentliche Nacht gehabt? Es sollte mich das eigentlich wundern auf all den Schrecken, den Verdruß und Kummer, den man Ihnen gemacht; da ich namentlich nebenbei überzeugt bin, daß die Leute Ihres Hauses nicht ermangeln werden, Ihnen die Vorfälle jenes Abends auf ihre Art darzustellen. Nicht wahr? Doch gleichviel!« – Ohne indeß auf diese verschiedenen Fragen eine Antwort abzuwarten, fuhr er nach einer kleinen Pause fort: »So begab ich mich denn, wie schon gesagt, an jenem Abend spät und am anderen Morgen selbst in die Wohnung des Herrn Stillfried, und zwar in doppelter Eigenschaft: sowohl um mich der Papiere eines Mannes zu versichern, der unter schwerem Verdacht entflohen, wie auch als Bevollmächtigter der Mutter jenes jungen Mannes, fand aber,« setzte er bitter lachend hinzu, »weder in der einen noch in der anderen Eigenschaft das Gewünschte. – Ach, man hat trefflich gegen uns conspirirt, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte uns der Feind total aus dem Felde geschlagen; jener arme Teufel lag schwer darnieder.«

Hier schwieg der Justizrath einen Augenblick still, sichtlich in der Erwartung, die Staatsräthin werde ihm irgend eine Frage stellen. Dies geschah aber nicht; sie hatte die Hände gefaltet und schaute, scheinbar unbeweglich, zum Fenster hinaus.

Der Justizrath warf einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht, und ein Zeichen der Ungeduld flog über seine Züge. – »Die Wohnung fanden wir also,« sagte er nach einigen Sekunden, »wie er sie kurze Zeit vorher verlasse«. Sie müssen wenig Zeit gehabt haben, ihre Sachen einzupacken, denn es war fast Alles von Toilettegegenständen und Kleidern da. In seinem Schreibpulte, dessen Behälter und Schubladen alle verschlossen waren, stand nur ein geheimes Fach offen; aber es war ohne Gewalt und mit dem gewöhnlichen Schlüssel geöffnet. Daneben auf dem Boden befand sich ein sein gearbeitetes Kästchen, ebenfalls offen und – leer.«

Bei diesen Worten seufzte die Staatsräthin tief auf; doch war es unmöglich, auf ihrem unbeweglichen Gesichte zu lesen, ob dieser Seufzer getäuschter Erwartung galt, oder aber in einem gerade entgegengesetzten Gefühle seinen Grund hatte.

»Jener Kerl,« fuhr der Justizrath fort und ließ seine beiden Hände plötzlich herabhangen, »jener schuftige Bediente hat mich offenbar betrogen und verhöhnt, er, den ich vor dem Zuchthause gerettet –«

»Und – ihm zum Diener gegeben,« sagte die Dame mit sehr leiser Stimme.

Dem Justizrath klang das fast wie ein Vorwurf, und er schaute aufmerksam, fast verwundert auf das Gesicht der alten Dame. Diese aber hatte dasselbe nach wie vor abgewandt und blickte gleichmüthig wie vorhin zum Fenster hinaus.

Der Justizrath zuckte leicht mit den Achseln und fuhr fort: »Allerdings habe ich ihn dem Herrn Eugen zum Bedienten gegeben, und zwar mit Ihrer Bewilligung, Sophie, Sie wußten um diesen Schritt, Sie billigten ihn. Doch weiter! Jener Mensch hat mich also betrogen, das ist klar; denn ich kann mir nicht denken, daß die beiden Anderen ihn gewaltsam mit sich fortgenommen; dazu waren sie nicht in der Lage. Die Sache also kurz und gut genommen, wir haben umsonst gearbeitet.«

»Das weiß Gott in seinem Himmel!« sagte die alte Dame und wischte sich mit ihrem Taschentuche die Stirn.

»Wir haben um so mehr umsonst gearbeitet,« sprach der Justizrath mit sehr gedehntem und lauerndem Blick auf die Dame weiter, »als durch das mißlungene Unternehmen jenes Abends die Unterhandlungen, die Sie mit Ihrem Sohne gepflogen, ebenfalls und wahrscheinlich für immer abgebrochen sind.«

»Um so mehr wohl für immer abgebrochen sind,« versetzte die Staatsräthin mit festem Tone, »als die Vorfälle jenes Abends für ihn gewiß keine Aufmunterung sein werden, wieder mit uns anzuknüpfen. Die Unterhandlungen zwischen streitenden Parteien sind doch jedenfalls eine Art Waffenstillstand, und vielleicht auf einen solchen vertrauend, ist er arglos in die Falle gegangen; während wir ihm die eine Hand zur Versöhnung boten, stießen wir mit der anderen nach seinem Herzen.«

»Das heißt,« entgegnete der Justizrath mit eiskalter, ruhiger Stimme, »wir sind in dem Falle verschiedene Wege gegangen; obgleich fest und innig Verbündete, hat doch ein Theil derselben mit dem Feinde verhandelt, während der andere schlachtfertig dastand.«

»Ich verstehe den Vorwurf, der in Ihren Worten liegt, vollkommen,« sprach die alte Dame, »doch glaube ich Ihnen schon neulich gesagt zu haben, daß Eugen unaufgefordert und freiwillig zu mir kam.«

»Unaufgefordert und freiwillig, so sagten Sie,« antwortete der Justizrath, und bei diesen Worten flog eine Sekunde lang über seine Züge ein eigenthümliches Lächeln. – »Doch lassen wir diese unangenehmen Auseinandersetzungen ruhen; die Sache ist abgemacht, wir müssen neue Pläne entwerfen.«

Hier wandte die alte Dame ihr Gesicht zum ersten Male von dem Fenster weg, und sah dem Justizrath aufmerksam, wir möchten fast sagen: ängstlich, in die Augen.

»Sie sind über die Grenze entstoßen,« sagte dieser nun, indem er seinerseits dem Blicke der Dame auswich. »Es wäre mir ein Leichtes gewesen, ihre Verfolgung nachdrücklich einzuleiten; doch wozu soll das führen? Zu neuen Unannehmlichkeiten, zu abermaligen Entwürfen, die vielleicht wieder fehlschlagen. Ich habe zu dieser Verfolgung keinen Schritt gethan; ich bin endlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß es besser ist, wir lassen den Herrn Eugen Stillfried für die Zukunft gänzlich aus unseren Berechnungen, aus unseren Planen.«

»Gott sei Dank!« sprach die Staatsräthin, doch klang das dem Ohr des Anderen nur wie ein leiser Seufzer.

»Lassen Sie uns wie bisher ehrlich zusammen verfahren,« fuhr der finstere Mann fort, indem er hastig mit der Hand über die Augen fuhr, um seine erregten Züge zu glätten; »lassen Sie uns unseren Weg klar machen, wenigstens das eine Ziel fest im Auge behalten, mit aller Kraft dahin streben, wenigstens dieses Eine zu erreichen.«

Die Staatsräthin, welche fragend in die Höhe blickte, nickte nun schweigend mit dem Kopfe, als der Justizrath mit dem Finger auf jenes kleine Kästchen wies, in welchem sich das uns bekannte Miniaturbild befand.

»Nur jenes einzige Ziel wollen wir erreichen, das Glück jener Verlassenen zu begründen, indem wir ihr einen Namen geben und sie in die Gesellschaft, der sie eigentlich angehört, zurückführen. Was das Erste anbelangt, so sagten Sie ja selbst, Sophie, daß Ihr Sohn sich nicht abgeneigt gezeigt hätte, der – Schwester zu Liebe einen Theil jener Papiere zurück zu geben. Wenn dem also ist, so wird er unseren ferneren Weg da er denselben Zweck hat, gewiß nicht durchkreuzen.«

»Aber er stellte eine Bedingung?«

»Ich kenne diese Bedingung, und es ist mir lieb, daß er sie gestellt; wir sind damit im Stande, seinen späteren Einreden zu begegnen. Lassen Sie mich Ihnen meinen Plan entwickeln; ist er zu verwirklichen, so werde ich es thun, und tritt dann Herr Eugen gegen uns auf, so erfülleben Sie ihm seine Bedingung in Betreff jenes Mädchens, und er wird uns in Ruhe lassen.«

»Ich soll eine solche Heirath gutheißen?« fragte erstaunt die Dame.

»Und warum nicht?« entgegnete gelassen der Justizrath; »die Stände sind freilich verschieden, aber erstens ist das Mädchen nicht ohne Vermögen, und zweitens, was für Sie das Wichtigste ist: ich habe mich in der letzten Zeit ernstlich bei verschiedenen Personen nach ihrem Lebenswandel erkundigt, und der ist vollkommen untadelhaft; man sagt nur das Günstigste über sie.«

Erstaunt blickte die Staatsräthin ihren Freund bei diesen Worten an; sie wollte auf seinem Gesichte lesen, ob er im Ernste oder im Scherze spreche. Doch behielten seine Züge den gewöhnlichen ruhigen, ernsten und nachdenkenden Ausdruck.

»Es ist mein Ernst,« sagte er, nachdem er jenen forschenden Blick der Staatsräthin bemerkt und ausgehalten; »was können Sie am Ende dagegen machen? Seien Sie froh, daß er keine schlimmeren Bedingungen gestellt.«

»Schlimmere Bedingungen?« fragte verwundert die alte Dame, worauf der Justizrath die Achseln zuckte, und lächelnd sagte: »Sie wissen so gut wie ich, daß Ihr Herr Sohn mich nicht besonders liebt; er hätte auch zum Preis für seine Papiere für immer meine Entfernung aus dem Hause verlangen können, und eine solche Bedingung,« setzte er mit einer tiefen Verbeugung hinzu, »wäre für mich viel schlimmer gewesen.«

»Daran dachte ich nicht,« entgegnete die Staatsräthin und sah wie früher, angelegentlich zum Fenster hinaus.

Ueber die Züge des Herrn Werner flog ein finsterer Schatten, und seine Mundwinkel zuckten einen Augenblick; doch war sein Gesicht gleich darauf wieder ruhig und freundlich wie vordem. Er rückte einen Sessel von der Wand vor die Fensternische, setzte sich hinein, nahm seinen Stock zur Hand, mit dessen Knopfe er zwischen seinen Fingern zu spielen begann.

»Es war schon einige Mal,« fuhr er nach einer längeren Pause fort, »unter uns davon die Rede, das Schicksal – Ihrer Tochter festzustellen; blos zu diesem Zwecke trachtete ich so unablässig nach dem Besitze gewisser Papiere, durch deren Vernichtung andere in unseren Händen befindliche volle Kraft und große Wichtigkeit erhielten. Nach den letzterwähnten Dokumenten gibt es mit dem gleichen Rechte ein Fräulein Stillfried – wie ein Herr Eugen Stillfried lebt und wirkt. Sobald wir uns dieses Recht festgestellt haben, und es vor den Augen der Welt unzweifelhaft ist, so wird es uns nicht schwer fallen, für Fräulein Stillfried eine passende, anständige Verbindung zu finden.«

»Eine Heirath?« fragte die Mutter überrascht.

»Allerdings, Sophie, eine Heirath!« sagte ernst und bestimmt der Justizrath. »Das sollte der Endpunkt sein,« setzte er finster hinzu, »um nicht zu sagen: der Lohn für meine langjährigen Bemühungen und Qualen, für durcharbeitete Tage, für durchwachte Nächte, das sollte mein Asyl sein, wohin ich mich zurückzöge, da doch sonst keine Heimath, kein Herd für mich zu erwarten steht. Jener neuen Familie wollte ich mich widmen, ihr helfen, wo Menschenhülfe möglich ist, sie in ihrem Fortleben, ihrem Wachsthum glücklich und still zufrieden beobachten, für sie leben und arbeiten, um für alles das eine einzige Belohnung zu erhalten, welche darin bestünde, daß einst – Ihre Enkel mir nach meinem Tode eine bessere Gedächtnißrede halten sollten. wie es Ihre Kinder – Ihr Sohn wollte ich sagen – zu meinen Lebzeiten thun wird.«

 

»So war mein Plan, und wie Sie mich kennen, Sophie, habe ich ihn festgehalten und halte ihn fest bis zum letzten Athemzuge. O, Sie wissen es nicht, was es heißt, ein Kind zu besitzen und dieses Kind nie das seinige nennen zu dürfen, nie mit dem Ausdruck väterlicher Zärtlichkeit seine Hände zu ergreifen, nie seinen liebevollen dankenden Blick aufzufangen; was es heißt, zuschauen zu müssen, wenn es sich an die Brust Anderer schmiegt, wenn es Anderen den vollen Ausdruck der Liebe und Zärtlichkeit zukommen läßt, und wenn dann plötzlich sein Blick erkaltet, sein zärtliches Lächeln sich in ein förmliches verwandelt, wenn es nun einmal dem – fremden Menschen die Hand reichen muß!!«

»Ob ich es weiß?« sagte die alte Dame erschüttert; »ob ich jene Qualen kenne?«

»Nein, Sie kennen sie nicht,« versetzte der sonst so ruhige Mann mit heftigem Tone; »Sie erhielten als Mutter das erste Lächeln Ihres Sohnes, die ersten freundlichen Blicke Ihrer Tochter. Und ich? – Eugen, den ich eine Zeit lang so sehr geliebt, für den ich in seinen Kinderjahren gethan, was in meinen Kräften stand, der auch mir Jahre lang mit größter Zärtlichkeit anhing – ihm wurde, sobald er denken konnte, gelehrt, mich zu hassen, mich als den schändlichsten und verabscheuungswürdigsten aller Menschen anzusehen. – Und was sie anbelangt,« setzte er mit unendlich weichem Tone hinzu, mit einem Tone, den man so selten von diesem harten Manne hörte, »so haßt sie mich nicht, aber ich bin ihr gleichgültig, und wenn ich je im Gefühle meines Unglücks ihr weiches Haar etwas heftig küßte oder ihre kleinen Hände zu innig drückte, so wandte sie sich erschrocken, ja sich fürchtend ab vor dem fremden Manne.«

 

»Doch genug von diesen Erinnerungen!« fuhr er nach einer längeren Pause fort, während er den vorhin weggeschleuderten Stock wieder aufgenommen und dabei seinen Zügen Zeit gelassen, sich wieder vollkommen zu ebnen und zu beruhigen. »Genug davon, Sophie! – Was sagte ich vorhin? – Ja so, ich sprach von einem Plane, den ich mir entworfen und den ich auf alle Fälle auszuführen fest entschlossen bin. Nur bin ich gezwungen, diesen Plan der gestrigen Vorfälle wegen vollständig umzukehren, und statt, wie es bisher meine Absicht war, durch den Besitz des Namens zu einer Heirath zu gelangen, muß ich jetzt den Versuch machen, durch eine gute Heirath zu dem Besitz des Namens zu gelangen.«

Die Staatsräthin sah erstaunt in die Höhe.

»Ich muß mich bemühen,« fuhr der Andere fort, »durch eine sehr anständige Partie die Leute vergessen zu machen, daß hier früher etwas vorgefallen, und wenn das Mädchen einmal »Frau von so und so« ist, dann wird nach dem Laufe der Welt kein Mensch es ferner wagen, daran zu zweifeln, daß sie wirklich ein Fräulein Stillfried gewesen.«

»Und diese Partie?« fragte mehr und mehr überrascht die alte Dame.

»Ist bereits gefunden,« entgegnete ruhig der Justizrath, »und Ihnen dies anzuzeigen, war eigentlich der Zweck meines heutigen Besuches.«

»Ich könnte fast erschrecken,« antwortete die Staatsräthin; doch fiel ihr der Justizrath schnell in's Wort: »Wenn Sie nicht überzeugt wären, daß das Wohl und Wehe jener jungen Dame mir ebenso nahe am Herzen liegt wie Ihnen.«

»Aber es betrübt mich in der That, es schmerzt mich,« sagte die Dame nach einer Pause, »daß Sie mir eine so wichtige Sache erst dann mittheilen, wenn sie, wie ich nach Ihren Aeußerungen schließen muß, als eine abgemachte zu betrachten ist.«

»Abgemacht freilich in so weit, als mich nur die triftigsten Gründe dazu bewegen könnten, diese Verbindung, welche ich für das Glück des jungen Mädchens betrachte, rückgängig werden zu lassen. Aber ich bin von Ihnen überzeugt, Sophie, Sie haben nichts Ernstliches dagegen einzuwenden.« – Bei diesen Worten nahm der Justizrath den Stockknopf zwischen die Finger und rieb ihn emsig mit der Handfläche, während er die alte Dame fest ansah.

Diese zuckte die Achseln, blickte zum Fenster hinaus, und als sie ihr Gesicht dem Freunde wieder zuwandte, glänzten Thränen in ihren Augen. »Und es ist derselbe, von dem Sie früher sprachen?« fragte sie mit leiser Stimme.

»Derselbe, Sophie!« entgegnete der Justizrath. »Der junge Herr von Steinbeck, von einer sehr anständigen Familie, obwohl nur ein kleines Vermögen da ist.«

»Und er will das Mädchen heirathen, ehe er sie gesehen?« fragte die Mutter und biß ihre Lippen fest zusammen.

»Nicht bevor er sie gesehen,« antwortete lächelnd der Justizrath; »er hatte Geschäfte dort oben im Lande, und da autorisirte ich ihn, sich bei der jungen Dame vorstellen zu lassen.«

»So, das thaten Sie?« sagte die alte Dame und blickte ihn mit großen Augen an, und man wußte im ersten Augenblicke nicht, war diese Frage im Voraus zustimmend gemeint, oder drückte sie einen tiefen Schmerz aus über das, was die Fragende eben erfahren. Aber während sie diese Frage stellte, preßte sie ihr Schnupftuch fest in die Hand, und diese Hand zitterte heftig.

»Das that ich,« erwiderte der Justizrath mit ruhiger Stimme. »Sie wissen, theure Sophie, wie sorgfältig ich einen Plan von allen Seiten beleuchte, und wie ich stets nur nach reiflichem Nachdenken zur Ausführung schreite; überlegt haben wir nun in dieser Sache wahrhaftig genug. Und doch war ich fest überzeugt, daß wenn ich ihn nun vor endlicher Ausführung ausgesprochen hätte, Sie mich mit tausend Gründen zurück gehalten haben würden. – Ich kenne das und habe deshalb gehandelt zu Ihrem Besten und zum Besten des jungen Mädchens.«

»Herr von Steinbeck!« sagte die alte Dame leise vor sich hin, und ein unangenehmes Lächeln glitt über ihre Züge.

»Es ist das leider einer von den vielen jungen Leuten, die nicht in Ihrer Gnade stehen,« sprach achselzuckend der Justizrath; »aber seine kleinen, unbedeutenden Fehler abgerechnet – und wer hätte keine? – ist Herr von Steinbeck sehr anständig.«

»Er ist schlimmer als fehlerhaft,« sagte die alte Dame wegwerfend; »er ist lächerlich.«

»In Ihren Augen, Sophie,« entgegnete der Justizrath; »wann hielten Sie von jungen Leuten aus unserer Zeit nicht alles für lächerlich! und diesen Fehler – ich muß es so nennen – haben Sie bis heute nicht abgelegt. Der junge Mensch, von dem wir reden, hatte bis jetzt nichts zu thun und füllte seine Zeit mit lauter unnützen Dingen aus; das ist wahr. Aber man kann dagegen nicht sagen, daß er zuweilen ausschweifend oder verschwenderisch sei; im Gegentheil, er hält das Seinige zu Rath und ist in seinen Finanzen sehr geordnet. – Schließlich werden Sie mir erlauben, Ihnen die Bemerkung zu machen, daß ich glaubte, in Ihrem Sinne zu handeln, als ich die Verhandlungen bis auf jenen Punkt betrieb, wo sie jetzt angekommen sind. Sie – als Mutter haben freilich am Ende das Recht, Ihren – Geschäftsfreund zu desavouiren und jene Verhandlungen kurzweg abzubrechen; aber Sophie, dieser Geschäftsmann, dieser Geschäftsfreund könnte alsdann geneigt sein, künftig unbedingt seinen eigenen Weg zu gehen und ohne alle Rücksicht über das Schicksal jenes jungen Mädchens zu bestimmen, die ihm das Schicksal – nun doch einmal anvertraut hat,« schloß er mit einem leichteren Tone und einer Verbeugung.

Er war bei der letzten Rede von seinem Stuhle aufgestanden und ging, die Hände auf den Rücken gelegt, in dem Zimmer mehrmals auf und nieder. Die alte Dame blickte zum Fenster hinaus und drückte ihr Schnupftuch an die Augen, aus denen die Thränen niederströmten, obgleich sie weit aufgerissen in die Ferne starrten. Die Staatsräthin dachte an Eugen, der sich ihr neulich so liebevoll genähert, und wie es doch wohl ganz anders gehen könnte, wenn sie jenem ernsten Manne dort zu sagen vermöchte: »Sprechen Sie mit meinem Sohne darüber, er weiß um Alles, er soll auch ein Wort mitreden dürfen, wo es das Schicksal seiner Schwester gilt.« Aber das war unmöglich. Sie hätte nimmer gewagt, dem Anderen gegenüber ein solches Wort zu sprechen. Und Eugen – wo war er? Hatte er nicht die Stadt verlassen, ohne in Bezug auf die gehabte Unterredung der Mutter noch ein einziges Wort zu sagen? konnte sie sich auf ihren Sohn verlassen? – Ohne seine Kraft versucht zu haben, war sie fest überzeugt, er würde ihr eine schwache Stütze sein, und ein solches Mißtrauen, das immer bestanden, hatte von jeher ein trauliches Verhältniß zwischen Mutter und Sohn verhindert.«

Der Justizrath trat nach einiger Zeit wieder vor die Fensternische, und nachdem ihn die Staatsrätin eine Weile kopfschüttelnd angeblickt, sagte er endlich fest und bestimmt, fast ärgerlich: »Laß das Weinen, Sophie! Ohne mich zu compromittiren, ist an jener Sache nichts mehr zu ändern. Glauben Sie mir um Gotteswillen, daß ich Alles genau überlegt und geprüft. Ich verlange ja nicht Ihre Einwilligung zur Hochzeit auf morgen oder übermorgen; Sie sollen sich nur dem ganzen Projekte nicht abgeneigt zeigen und den Herrn von Steinbeck, der sich Ihnen morgen vorstellen wird, nicht ungnädig aufnehmen.«

Die alte Dame machte eine ungeduldige Bewegung mit dem Kopfe, und nachdem der Justizrath längere Zeit vergeblich hatte warten müssen, sagte sie kurz und mit schneidendem Tone: »Es wird mir also sehr angenehm sein, den Herrn von Steinbeck bei mir zu sehen.«

»In seiner Eigenschaft – ?« setzte der Justizrath lauernd hinzu.

»In seiner Eigenschaft als Bräutigam,« sagte die alte Dame mit schon viel ruhigerer Stimme.

So endigte diese Unterredung, wie schon so viele ähnliche in diesem Hause, in diesem Zimmer. Der Justizrath entfernte sich nach einigen unbedeutenden Worten, und die Staatsrätin blieb wie immer mit ihrem Kummer, mit ihrem Schmerze allein. –


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