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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Worin Jungfer Clementine Strebeling große Beweise ihres guten Herzens, aber gar keine von Lebenserfahrung gibt.

»Geliebteste Clementine!

»Ja, ich kann mir schon erlauben, über das Theure hinwegzuhüpfen und Sie in einem Prädikat zu begrüßen, wie es aus der Fülle meines liebenden Herzens gewaltsam herausquillt. Nicht um alle Schätze der Welt – so nöthig mir von diesen Schätzen Einiges wäre – gäbe ich die Erinnerung der gestern mit Ihnen verlebten Stunden. O Gott, wie war ich so glücklich! Wie zittert noch jetzt meine Hand, indem ich es niederschreibe. Das war eigentlich zu viel Glück an Einem Tage. Ihre lieben Zeilen, welche ich durch die brave und würdige Frau Schilder erhielt, und jene Zusammenkunft an Einem Tage! Ach, geliebteste Clementine, konnte ich doch frei über meine Zeit verfügen, wäre ich doch nur in anderen Verhältnissen! Doch so bin ich ein armes, gefesseltes Wesen. – Aber, o Gott! wie kann man so etwas mit der Auserkorenen seines Herzens sprechen? Ich würde es auch nicht thun, wenn nicht meine grenzenlose Liebe mir den Muth dazu gäbe. Ach, wie gesagt, ich bin ein armes, gefesseltes Wesen, ja, gefesselt und geknechtet durch die drückenden Verhältnisse dieses miserablen Lebens – aber sprechen wir nicht mehr davon, kein Wort mehr hierüber! Nichts soll im Stande sein, mir etwas Näheres über diese meine Verhältnisse zu entlocken. Wen würde es auch interessiren? Sie? o Gott! Sie – du – Clementine! – – – – – Weg mit diesen Gedanken! Sie blitzen Höllenflammen in mein Herz.

»Auch die Frau Schilder, welche meine Verhältnisse genau kennt, habe ich aufs Dringendste beschworen, nie etwas darüber auszusagen. O, Clementine! machen Sie keinen Versuch, diese würdige Frau zu veranlassen, daß sie ihr ehrenhaftes Stillschweigen breche.

»Bis dahin

» Ihr ewig treu Liebender

Diesen Brief erhielt Clementine an einem der nächsten Tage früh des Morgens; sie hatte kaum ihren Kaffee zu sich genommen. Es war, wenn wir anders nicht irren, ein Sonntag. Draußen läuteten sämmtliche Glocken der Stadt, und im Nebenzimmer sang die Choristin des königlichen Hoftheaters:

Ist denn Liebe ein Verbrechen,
Darf man denn nicht zärtlich sein?

Abends war nämlich die Zauberflöte, und solcher Gestalt prävarirten sie sich zu der Probe, die diesen Morgen noch Statt fand.

Clementine las das Schreiben ein-, zwei- und dreimal durch und weinte, daß die Menschen nach ihrer Meinung so unglücklich seien. Denn welch' gefühlvolles Herz in dieses Schreiben hineinblickte! Sie konnte nur einen Augenblick zweifeln, der Verfasser desselben sei unglücklich, er bedürfe sehr eines freundlichen Trostes, und ihm diesen Trost zu reichen, ja auch Hülfe, wenn es nöthig sei, dazu war Clementine augenblicklich entschlossen. Aber nie sollte sie etwas von seinen Verhältnissen erfahren? Wem waren diese Verhältnisse bekannt? Niemanden als der würdigen Frau Schilder. Und hatte er nicht ausdrücklich gebeten, mit den rührendsten Worten gefleht, gerade dieser braven Frau nie das Geheimniß seines Lebens zu entlocken?

Clementine sann lange hin und her und seufzte tief: O Gott! Welcher Art konnten diese Verhältnisse sein, in welchen sich der junge Mann befand? Fesselten ihn am Ende andere zarte Bande oder war er – o schrecklicher Gedanke! – vielleicht mehrfacher Familienvater und durch ihren Anblick zum Verbrecher geworden?

Darum mußte Clementine Gewißheit haben, und zum ersten Male, so lange sie denken konnte, folgte sie nicht dem harmonischen Läuten der Kirchenglocken und ging mit zuckendem Herzen in die Nebengasse und dort in das Haus der Frau Schilder hinein.

Die braue Wirthin saß in ihrem Hinterstübchen allein und hatte etwas in der Hand, das bei näherem Betrachten wie ein schmieriges Gebetbuch aussah. Sie schien diesen Morgen außerordentlich taub zu sein, denn sie vernahm durchaus nichts von den Schlitten der Ankommenden, hörte nichts von dem Geräusch, mit welchem sie die Thüre öffnete, und vernahm nichts von dem guten Morgen, mit welchem dieselbe sie begrüßte.

Clementine sah sich genöthigt, ihr Sprachorgan bedeutend anzustrengen und der tauben Wirtin mit übergroßer Anstrengung einen freundlichen guten Morgen zu wünschen. Entsetzt blickte diese in die Höhe, nickte einfach zum Gruß mit dem Kopfe und machte eine Bewegung mit der Hand, welche ausdrücken sollte: laß mich meine stille Andacht vollenden. Darauf las sie nur einige Augenblicke weiter in dem Buche, blickte zum Himmel und dann erhob sie sich von ihrem Sitze und reichte der alten Jungfer zur Begrüßung die Hand.

Clementine knixte schüchtern; da sie wußte, daß die Frau Schilder an Schwerhörigkeit leide, so brachte sie ihren Mund, so weit es thunlich war, an das Ohr dieser würdigen Frau und lispelte: »Ich habe den Brief gelesen.«

»Wirklich?« entgegnete die Wirthin, und auf ihrem gleichgültigen Gesichte war nicht die geringste Theilnahme zu lesen.

»Ich möchte mit Ihnen darüber sprechen,« fuhr die alte Jungfer fort.

»Mit ihm sprechen?« sagte die Wirthin, »schon wieder?«

»Ach nein,« erwiderte erröthend Clementine, »ich möchte mit Ihnen über diesen Brief sprechen.«

»Ah, ich verstehe!« meinte Frau Schilder, ich soll mit ihm über diesen Brief sprechen.«

»O Gott! Nein! nein!' rief Clementine mit aller Kraft ihrer Lungen.

»Ich habe Sie nicht recht verstanden, scheint mir,« sagte die Wirthin mit dem unschuldigsten Gesichtsausdruck. »O, es ist ein wahres Unglück; ich werde bald gar nichts mehr hören! Wissen Sie was, Jungfer Clementine? Gehen wir in mein oberes Stübchen, da kann ich meine Haube abnehmen und höre besser.« – Die gute Frau wollte in ihrer Unterredung mit der liebenden alten Jungfer nicht gestört sein; diese ging auf den Vorschlag ein, und Beide begaben sich eine Treppe hinauf, in das Zimmer, welches wir bereits kennen, nachdem Frau Schilder ihre Hausthüre vorher sorgfältig verschlossen. Dort oben nahm sie ihre Haube ab, strich sich die Haare von den Ohren hinweg und sagte: »Nun wird's besser gehen. Was soll es, mein Kind?«

»Ich habe hier einen Brief bekommen.«

»Ja.«

»Und darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.«

»Ah so! Wir Beide zusammen über den Brief?«

Clementine nickte mit dem Kopfe. »Ich möchte nun vor allen Dingen wissen,« fuhr sie fort, »wer er ist, der mir jetzt schon zweimal geschrieben hat.«

»Wer er ist?« sagte die Frau mit einem Blick zum Himmel und schlug die Hände zusammen. »Wer er ist? Ein braver, junger, armer Mensch, aber so geschickt, so gut, so fleißig, es gibt keinen Zweiten der Art.«

»Das glaube ich Alles, Frau Schilder,« sagte gerührt Clementine, »aber wie heißt er und was hat er für ein Geschäft?«

»Ja so, wie er heißt?« antwortete die Frau; »das hat er noch nicht einmal geschrieben? O der bescheidene, schüchterne, junge Mensch. Das ist ein Kleinod, Jungfer Strebeling; darauf können Sie stolz sein.«

Clementine schlug erröthend die Augen zu Boden und sagte nichts.

In diesem Augenblicke flog über die verwelkten Züge der Frau Schilder ein lebhaftes, höhnisches Lächeln und erhellte ihr Gesicht, wie der Blitz den zerstörten Kirchhof.

»Aber wie er heißt?« fuhr die alte Frau nach einer Pause fort; »er heißt Johannes Müller und ist ein armer Kandidat der Theologie.«

»Er will also ein Pfarrer werden?« fragte Clementine mit einem seligen Gefühl.

»Ja, er möchte wohl,« meinte die alte Frau, »aber es fehlen ihm die Mittel. Er ist da bei dem Herrn Stillfried,« setzte sie leiser hinzu, »eine Art von Sekretär oder so was. Ach, das ist eine Existenz, Jungfer Clementine, bei so einem wilden, ausschweifenden jungen Menschen!«

Clementinen überlief es eiskalt, und sie dachte an die arme Katharina.

»Und warum bleibt er denn bei dem Herrn?« fragte sie nach einer Pause.

»O Gott! wo sollte er hin?« entgegnete die Frau Schilder und faltete mit dem wehmüthigsten Gesichtsausdrucke ihre Hände; »wo sollte er hin? Ach, es ist ihm schon lange verhaßt, das Leben, und die Zeit ist gekommen, wo er sich noch ein halb Jahr auf die Universität zurückziehen sollte, um sich zum letzten Examen vorzubereiten. Sie wissen doch, daß die Theologen acht Examen machen müssen, und sieben hat er schon glänzend bestanden, ungeheuer glänzend. Jetzt noch das achte, und dann wird er ein evangelischer Pfarrer und würde augenblicklich heirathen, wie es diese Herren in dem Falle immer zu machen pflegen.«

»Schweigen Sie davon,« sagte die alte Jungfer mit niedergeschlagenen Augen.

»Nein, es ist wahr,« fuhr Frau Schilder eifrig fort, »gewiß und wahrhaftig, dann heirathen sie augenblicklich, wenn sie eine gesetzte, sittsame, ruhige und gottgefällige Jungfrau finden.«

»Und warum thut er das nicht?« fragte Clementine, die den letzten Satz überhören zu wollen schien.

»Was? das Heirathen?«

»Ach nein! Das Fortgehen, das achte Examen machen!«

Frau Schilder strich bei dieser Frage ihre Schürze glatt und sagte nach einem längeren Stillschweigen: »das darf ich nicht sagen, das hat er mir streng verboten.«

»Aber ich bitte Sie, Frau Schilder!«

»Nicht um alle Schätze der Welt! Ich habe ihm das feierlich gelobt, und Sie wissen, ein Gelöbniß muß man halten. Wozu nützt es auch, hat er gesagt, wozu nützt es auch, was in ihren Augen – damit meinte er Sie, Jungfer Clementine – was mich vor ihr, die ich liebe, nur herabsetzen könnte?«

Wenn die Jungfer Strebeling ebenso schlau gewesen wäre, wie die Frau Schilder, so hätte sie in diesem Augenblicke, um das zu erfahren, was sie erfahren wollte, nicht schlauer handeln können, als sie ohne Absicht that, daß sie nämlich ganz still schwieg und in tiefes Nachsinnen versank. »Hollah!« dachte die würdige Dame; »mir gegenüber will sie wirklich nichts weiter wissen, will sich zurückziehen, da muß ich wahrhaftig ein Bischen nachhelfen. – »Ja, wenn es was nützen könnte,« sagte sie mit einem tiefen Seufzer, »dann würde ich mich wahrhaftig seinem ganzen Zorne aussetzen und sein Geheimniß verrathen.«

»Nützen,« entgegnete Clementine mit leuchtenden Blicken; »warum das nicht, meine gute Frau Schilder? Wenn ich ihm helfen kann, wenn ich ihm nützen kann, so ist ihm schon geholfen. Sprechen Sie ohne Scheu!« »Aber wollen Sie mich nicht verrathen?« bat die Wirthin; »wollen Sie nie sagen, daß ich mit Ihnen über diese Angelegenheit gesprochen?«

»Gewiß nicht!«

»Nun denn, so hören Sie! Gott! ich habe von der Sache so viel schon verrathen, was ich nicht hätte thun sollen, daß das Bischen mehr oder weniger auch nicht viel ausmachen wird.«

»Nun denn!«

»Also! Um jeden Preis würde Herr Johannes Müller das Haus des Herrn Stillfried verlassen, es wäre sein sehnlichster Wunsch, sich in eine Universitätsstadt zurückzuziehen und dort eifrigen Studien obzuliegen, um seinem heiß ersehnten, glückseligen Ziele sich nähern zu können – Sie kennen jenes Ziel, Jungfer Strebeling.«

»Weiter! weiter!«

»Aber! Nun ja, es muß endlich heraus: es fehlen die Mittel hierzu; gewiß, es wird mir schwer, es auszusprechen: es fehlt ihm an – Geld.«

»Und ist das Alles?« fragte Clementine mit freudigen Blicken, und dabei lächelte sie so glücklich, »ist das wirtlich Alles? Sind das die drückenden Geheimnisse unseres theuren Freundes Johannes? Nun, diesem Mangel kann gewiß abgeholfen werden, liebe Frau Schilder, ich versichere Sie, es wird ihm abgeholfen.«

»Glauben Sie?« fragte die Frau mit zweifelhaft tönender Stimme; »glauben Sie wirklich? Aber wer könnte sich für den armen jungen Müller verwenden?«

»Wer?« fragte erstaunt Clementine; »nun, wer sonst, als ich? Nennen Sie mir die Summe dieses Bedarfs, und wenn es in meinen Kräften steht, sie ihm zu geben, so bin ich gern dazu bereit.«

»O, Sie sind ein Engel!« sagte die Frau; »Ihnen muß es gut gehen!« Und darauf blickte sie gen Himmel und murmelte etwas, das wie ein Gebet klingen sollte. »Aber nein!« fuhr sie nach einer Pause fort: »das kann und wird Herr Müller niemals annehmen. Nie, nie, gewiß nie! Wenn ich ihm damit komme und ihm sage, ich hätte Ihnen seine Lage verrathen, und hinzusetzen muß, Sie wollten ihm helfen – das überlebte er nicht, das drückte ihn zu Boden.«

»Aber Sie können es ja anders einkleiden! Sie kennen ja gewiß seine Familie vollkommen, Sie können z. B. sagen: ein entfernter Verwandter, ein Vetter, ein Onkel und dergleichen habe an ihn gedacht.«

Frau Schilder beobachtete langes Stillschweigen und schien in ihrem Herzen das Für und Wider dieses edlen Vorschlages reiflich zu überlegen. Oftmals schüttelte sie heftig den Kopf, und Clementine saß dabei, in der quälenden Erwartung, die Frau würde sagen: nein, es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht! Aber dies that diese ehrwürdige Frau im Dienste des Herrn Johannes Müller nicht. Sie seufzte tief auf, sie verdrehte die Augen auf eine schreckliche Art, sie fuhr mit der Hand über ihr Gesicht, als ob sie ihre Thränen abwischte, und dann reichte sie dieselbe Hand der Jungfer Strebeling dar und sagte in entschlossenem Tone: »nun gut, ich will es wagen. Schicken Sie mir das Geld, ich will sehen, ob er es annimmt; aber wenn er es nicht thut, so müssen Sie es augenblicklich zurücknehmen, und dann schwöre ich Ihnen zu, daß ich nie mehr einen Schritt in der Sache thue. O, der Herr Müller ist so zart, so gefühlvoll! Sie haben gar keine Ahnung davon.«

»O doch, doch!« sagte Clementine lächelnd vor sich hin und dachte an das Gespräch bei der Zusammenkunft im Stadtgraben, namentlich aber an das Gänseblümchen.

Nachdem die Unterredung so weit gediehen, waren beide Theile froh, daß sie über diesen delikaten Punkt im Reinen waren.

»Nur die Größe der zu gebenden Summe muß noch festgestellt werden,« meinte Clementine.

»Um Alles in der Welt,« drohte Frau Schilder, »über diesen so außerordentlich delikaten Punkt kein Wort mehr verloren!«

Es bedurfte der ganzen Ueberredungskraft Clementinens, um aus der ehrwürdigen Frau Schilder die Erlaubniß heraus zu bringen, daß sie geneigt sei, das ungeheure Kapital von 400 st. dem Candidaten der Theologie, Herrn Johannes Müller, einzuhändigen. Sie wehrte sich anfänglich ungeheuer dagegen und konnte nur endlich dazu vermocht werden, ihre Einwilligung zu geben, nachdem sie bedacht, daß das Examen deßhalb um so glänzender ausfallen dürfte und die Pfarrstelle, die er vier Wochen darauf unfehlbar erhalten müßte, um so fetter sein würde.

So trennten sich die beiden Damen nach dieser Verhandlung, welche in vielerlei Hinsicht für Jungfer Clementine Strebeling von großer Bedeutung war.

Als Frau Schilder sich wieder allein in ihrer Schenkstube befand, ging sie mit vergnügten Schlitten auf und ab und klopfte nachdenkend mit der linken Faust auf die rechte Handfläche. »Vierhundert Gulden,« murmelte sie, »die Hälfte wäre zweihundert; aber das will ich den beiden Galgenstricken sagen: gleich werden an diesem Gelde ihre alten Schulden abgerechnet. Ich hab' es satt, ihnen all' den Verzehr Jahre lang in meinen Büchern nachzutragen. Doch da kommen sie schon, die haben gewiß auf der Lauer gelegen.«

Und dem war also. Der Fuhrmann hatte Clementinen gesehen, wie sie sich in die Klause der Frau Schilder begab, und ebenfalls bemerkt, wie sie nach einer kleinen halben Stunde mit freudestrahlendem Gesicht wieder heraus kam. Darauf waren Beide, der Fuhrmann und der Jäger, gekommen, um sich zu erkundigen, wie die Sache eigentlich stehe.

»Nun,« sagte der Fuhrmann beim Eintritt in die Stube, »sitzt der Fisch an der Angel? Haben wir einen guten Zug gemacht?«

»Ach, geht nur, geht!« sprach die Frau plötzlich sehr mürrisch, »wir thun wahrhaftig groß Unrecht in der Geschichte; ich sollte meine Hand nicht dazu bieten.«

»Es ist Sonntag,« flüsterte der Jäger seinem Bruder zu, »und da hat sie einen moralischen; 's wird schon wieder vergehen. Na, bringt 'mal zwei Schoppen vom Besten!« fuhr er laut fort, »und dann rückt heraus; 's ist sicher was Gutes vorgefallen!«

Der Wein wurde gebracht, das würdige Kleeblatt setzte sich um den Tisch, und die Wirthin erzählte, was zwischen ihr und der Jungfer Strebeling vorgefallen.

Wir sind wirklich selber erstaunt, dem geneigten Leser mittheilen zu müssen, daß sie die reinste Wahrheit berichtete und daß sie der ganzen Summe von vierhundert Gulden erwähnte, welche sie der alten Jungfer herausgelockt.

»Das arme Thier!« sagte sie am Ende ihres Berichts; »ich habe mich fast geschämt über der ganzen Unterredung, die ich mit ihr hatte, und wenn sie nicht so bereitwillig von selbst eingegangen wäre, ich wäre nicht im Stande gewesen, sie zu überreden.«

»Geschämt?« versetzte lachend der Fuhrmann. »Na, Frau Schilder, das Wort kennt Ihr nicht.«

»Es ist schon etwas Wahres dran,« entgegnete verdrießlich die Frau, »in Eurem Umgang muß man alles Schamgefühl ablegen.«

»Warum habt Ihr uns so schlecht gezogen?« sagte der Fuhrmann, »wir sind doch bei Euch von klein auf in die Schule gegangen.«

»Laßt die Komplimente bleiben!« meinte die Frau; »wir sind nun einmal im Geschäft – wie haben wir doch neulich ausgemacht: ich die Hälfte und Ihr Beiden zusammen auch die Hälfte?«

»So ist's.«

»Das macht für Jeden von Euch, hundert Gulden.«

»Rechnen könnt Ihr,« lachte der Fuhrmann; »so zahlt denn aus, gute Frau.«

»Gemach, gemach!« entgegnete die Wirthin, »so weit sind wir noch lange nicht. Erstens hab' ich das Geld noch nicht bekommen, und zweitens werdet Ihr es gewiß nicht unbillig finden, wenn ich einmal mit dem Antheil von den hundert Gulden, die Jeder von Euch bekommt, einen Theil unserer Rechnung lösche.«

Die beiden Brüder sahen einander an. Obgleich sie große Lust zu haben schienen, ihrem gerechten Unwillen über diesen Vorschlag Luft zu machen, so konnten sie doch im nächsten Augenblick nicht umhin, in lautes Gelächter auszubrechen. »Hab' ich's denn nicht gesagt,« meinte der Fuhrmann, »so wird sie's uns wieder machen?« und der Jäger setzte hinzu: »Ei, es ist in der That miserabel, Frau Schilder, so mit seinen Bundesgenossen umzugehen; das können wir wahrhaftig nicht zugeben.«

»Wie Ihr wollt,« sagte kaltblütig die Frau und zupfte gleichgültig einige Fäden aus ihrem verschossenen, schwarzen Merinokleide, »ganz nach Eurem Gutdünken. Von dem Gelde hab' ich bis jetzt keinen Kreuzer, und wenn Ihr Euch lange besinnt, meiner gerechten Forderung nachzugeben, nun gut, so sag' ich mit zwei Worten der Jungfer Strebeling, daß sich der Johannes Müller ausdrücklich geweigert, einen Kreuzer von ihr anzunehmen. Dann seht Ihr zu, wie es weiter geht, und namentlich, wenn ich mich darauf genöthigt sehe, meiner guten Nachbarin, der Frau Schoppelmann, Eure Rechnung mitzutheilen.«

Bei diesen letzten Worten drückte die Frau ihre Haube zurecht und blickte unbefangen zum Fenster hinaus.

Herr Konrad Schoppelmann zuckte leicht die Achseln gegen seinen Bruder, worauf Herr Friedrich Schoppelmann sein rechtes Auge zukniff und dabei leicht mit dem Kopf nickte. Diese gegenseitig gewechselten Pantomimen mochten so viel ausdrücken, als: es ist besser, wir geben nach; die Alte ist im Stande, uns wirklich im Stiche zu lassen, und wenn unsere Rechnungen einmal getilgt sind, so können wir gleich wieder einen neuen Pump anlegen.

»Johannes Müller!« sagte der Fuhrmann und trommelte beifällig auf den Tisch, »schöner Name; der wird bei der alten Jungfer einen gewaltigen Eindruck gemacht haben; habt Ihr den Namen erfunden?«

»Allerdings!« erwiderte die Frau, und es glitt ein leises Lächeln über ihre Züge.

»Also machen wir die Geschichte so,« nahm der Jäger das Wort, »rechnen unsere Schuld ab, das heißt theilweise; denn etwas klingende Münze müssen wir schon in die Hand bekommen, Ihr werdet es selbst einsehen. Ich brauche sehr nothwendig einiges Geld.«

»Ihr habt mich immer bereitwillig erfunden,« entgegnete die Frau, »und ich will auch dieses Mal nicht knauserig gegen Euch sein.«

»Aber wird jetzt die Geschichte weiter gehen?« sprach gierig der Fuhrmann; »so einem famosen Schatz, wie der Herr Johannes Müller sind 400 ffl. ein wahres Lumpengeld, um was der Johannes Müller nicht Alles gelernt haben wird.«

»Und wie er so fromm und tugendsam ist!« sagte der Jäger.

»Ja,« setzte die Frau lächelnd hinzu, »und wird nächstens Pfarrer werden, und das kann gar nicht lange mehr anstehen.« – Und darauf lachten alle Drei laut hinaus und freuten sich ungeheuer über ihre außerordentliche Erfindung.

Dieses Lachen wurde plötzlich unterbrochen durch den Eintritt eines neuen Gastes in der Person Joseph Pierrot's. Dieser treue Diener schien in schlechter Laune zu sein und hatte offenbar gehofft, die kleine Kneipe leer zu finden, um mit der Frau Schilder ein vertrauliches Wort sprechen zu können. Herr Pierrot war sehr unangenehm überrascht, als er die Beiden hier sitzen sah, und diese Ueberraschung verwandelte sich durchaus in keine erfreuliche, als er im Eintreten die beiden jungen Schoppelmann erkannte. Doch wußte er sich als Mann von Welt augenblicklich zu fassen und ließ sich mit vieler Seelenruhe am unteren Ende des Tisches nieder.

Die Anderen sahen ihres Theils den Bedienten ebenfalls mit keiner großen Freude eintreten. Ja, Herr Friedrich murmelte etwas von einem lästigen Gesellen, und Herr Konrad ließ eine zarte Anspielung auf einiges Hinauswerfen mit gedämpfter Stimme vernehmen.


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