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4. Kapitel

Bis zum letzten Augenblicke hatten sich die Bopparder der Hoffnung hingegeben, daß der Kurfürst ebensowenig geneigt sei, mit der Schärfe des Schwertes eine Lösung der Verwicklungen herbeizuführen, wie sie selbst. Sie wußten, daß Johann der Zweite lieber Baupläne als Kriegspläne entwarf, daß er lieber in seiner chemischen Küche als im Lagerzelt weilte und als Verfasser eines dickleibigen Vocabularium juris Wörterbuch der Rechtssprache.] mehr nach dem Ruhme eines gewiegten Pandektisten als nach dem eines Strategen dürstete.

Aber sei es, daß der Kurfürst doch nicht so friedliebend war, wie man allgemein annahm, sei es, daß er seine Bopparder zu kennen glaubte und der Überzeugung huldigte, sie würden angesichts der drohenden Waffen doch noch zu Kreuze kriechen, genug, er traf die umfangreichsten Anstalten, seine Widersacher mit Krieg zu überziehen.

Täglich trafen Boten in der Stadt ein, die dem Magistrat über den Fortgang der feindlichen Rüstungen Bericht erstatteten. Man vernahm mit Schrecken, daß im ganzen Erzstift Truppen, Pferde, Wagen und Nachen ausgeschrieben worden waren, und daß sich an bestimmten Orten schon Hunderte der zum Kriegsdienst, zur Schanzarbeit und zur Fouragierung verpflichteten Untertanen versammelt hatten.

Die Stadt war kriegsbereit, und es blieb einem löblichen Rat nur noch übrig, in den zu Boppard gehörenden Dörfern das Vieh zu requirieren. Am Morgen des 21. Juni rückten die Mannschaften, die mit diesem Geschäft betraut worden waren, aus, aber schon um die Mittagstunde kehrten die ersten mit dem niederschmetternden Bescheide zurück, die Ställe seien überall leer gewesen, sintemalen Se. Kurfürstliche Gnaden den Boppardern die Arbeit habe ersparen wollen. Ja was noch schlimmer war: der Kurfürst hatte nicht nur rechtzeitig das Vieh an sich gebracht, sondern auch in seiner Burg zu Koblenz die Sendboten der Bopparder Dörfer empfangen, die sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben und dafür die Versicherung unwandelbarer Gunst und Huld erhalten hatten.

Diese Wandlung der Dinge veranlaßte Johann den Zweiten zu einer wesentlichen Abänderung seines Kriegsplans. Er gab seine ursprüngliche Absicht, die Mosel aufwärts zu ziehen und vom Gebirge her gegen die Stadt zu rücken, auf und beschloß dafür rheinaufwärts zu fahren und sofort im nächsten Umkreise Boppards feste Stellungen einzunehmen. Am 22. Juni setzte sich der Zug von Koblenz aus auf dem rechten Rheinufer in Bewegung. Er bestand in der Hauptsache aus geworbenen Söldnern, denen sich die von der Stadt Koblenz, von Niederlahnstein, Leutesdorf, Hönningen und Vallendar gestellten Mannschaften anschlossen. An der Spitze ritt der Kurfürst selbst, umgeben von seinem Stabe und dem Hofgesinde. In einiger Entfernung folgte die von reisigen Knechten bedeckte lange Wagenreihe mit dem Proviant, dem Kriegsgerät und dem schweren Geschütz. In Osterspay blieb man über Nacht und setzte am nächsten Morgen bei guter Stunde den Marsch fort, verließ aber die Straße am Ufer und zog über den Bergrücken nach Kamp.

Es war kurz vor der Mittagstunde, als der Turmwächter von Sankt Severus die Ankunft des Feindes signalisierte. Der Adel wappnete sich, die Bürger legten Koller und Sturmhaube an und griffen zu Armbrust und Handrohr, und jeder bezog den ihm angewiesenen Posten bei den Toren, auf den Türmen oder auf der Stadtmauer, wo die von der Stadt angeworbenen Söldner schon unter Gewehr standen. Aber auch Greise und Gebrechliche, Frauen und Kinder eilten jetzt auf die Mauer: jeder wollte das seltene Schauspiel eines anrückenden feindlichen Heeres genießen.

Und dieses Schauspiel war schon wert, daß man das Mittagessen darüber kalt werden ließ. Wie eine große Prozession kam die kurfürstliche Heeresmacht die steilen, gewundenen Wingertspfade herab, die Banner flatterten im Winde, die blanken Helme und Harnische blitzten und funkelten im Sonnenschein, und wenn man glaubte, der Zug sei zu Ende, dann erschienen droben aus der Höhe immer wieder neue Trüpplein, die sich aus dem schmalen Pfade zu einer schier endlosen Reihe auseinanderzogen. Die Bopparder standen und saßen auf den Mauerzinnen, lagen auf den Turmböden, hockten auf den Hausdächern und wurden gar nicht müde, ihre Beobachtungen auszutauschen und über die Stärke und die Bewaffnung des Feindes ihre Betrachtungen anzustellen. Manchmal, wenn sich irgend etwas besonders Merkwürdiges zeigte, waren sie nahe daran, zu vergessen, daß alle diese kriegerischen Vorbereitungen doch ihnen selbst galten, und sie lauschten mit schwer verhaltener Begeisterung den Worten der kriegserfahrenen Männer, die ihnen die Vorgänge da drüben mit großer Sachkenntnis und vielen Kunstausdrücken erklärten.

Das feindliche Fußvolk war unten auf dem Kamper Ufer vollzählig versammelt und hatte sich's angesichts der Flottille von Kähnen, die zum weiteren Transport der Truppen dort ausgefahren war, bequem gemacht. Aber der Troß, die Berittenen, das schwere Geschütz und vor allem der Kurfürst selbst waren noch nicht zu sehen, da sie die fahrbare Straße durch den Kamper Wald benutzen mußten und deshalb einen weiten Umweg machten. So wurde die Geduld der wackeren Bopparder auf eine harte Probe gestellt. Sie murrten und schalten, harrten jedoch trotz dem sengenden Sonnenbrande unverdrossen aus, bis sich endlich – es mochte gegen drei Uhr des Nachmittags sein – die ersten Reiter zeigten. Jetzt wollte jeder den Kurfürsten erkennen, bald war es der mit dem violetten Mantel, der den Schimmel ritt, bald der Gepanzerte auf dem Rappen, bald der im Leibrock von grünem Damast auf dem Schecken. Nun kamen wieder andere Reiter zum Vorschein, prächtiger gerüstet als die vorigen: flugs wurden der Violette, der Grüne und der Gepanzerte ihrer hohen Würde wieder entkleidet und einem beleibten Greise, dessen Roß von zwei Dienern geführt wurde, der Kurhut zugesprochen.

Und die das taten, hatten recht: der alte Herr war wirklich der Kurfürst. Er ritt mit seinem Gefolge aus dem Ufersaum eine lange Strecke stromabwärts, hielt sein Pferd an, stemmte die Hände auf den Sattelknopf und ließ den Blick zu der unbotmäßigen Stadt hinüberschweifen, die ihm alle die Sorge und Unbequemlichkeit bereitet und ihn gezwungen hatte, die Lenden mit dem Schwerte des Kriegers zu umgürten und das priesterliche Haupt mit dem Helme des Mars zu bedecken. Was hätte er darum gegeben, wenn sich jetzt, wo er vor der Entscheidung stand, noch zu guter letzt die Tore Boppards geöffnet hätten, wenn ihm die Bürger reuigen Herzens entgegengezogen wären! Er würde sie empfangen haben, wie ein Vater den verlorenen und wiedergefundenen Sohn empfängt, er würde ernste Worte an sie gerichtet, aber sicherlich auch ihren Wünschen und Forderungen Gehör geliehen und, soweit es sich mit seiner Würde als Pfandherr, Kurfürst und Erzbischof vertrug, auf seine Ansprüche verzichtet haben. Denn er war wirklich noch weniger kriegerisch gesinnt als die Bopparder, er hatte seine Drohung ebensowenig ernst gemeint, wie sie, aber auch er war durch die Entwicklung der Dinge vorwärts getrieben worden, weiter, viel weiter, als ihm lieb war. Bis zu diesem Augenblicke hatte er sich der Hoffnung hingegeben, seine Bopparder würden sich, erschreckt durch die gegen sie aufgebotene Waffengewalt, noch eines Besseren besinnen und seine Gnade anrufen, aber diese Hoffnung schwand angesichts der verschlossenen Tore, der von den Türmen drohenden Geschütze und der mit Gewappneten besetzten Mauern in nichts dahin.

Jetzt wandte er sich mit besorgter Miene zu den ihm am nächsten stehenden Begleitern, dem Kanzler Ludolf von Enschringen und dem Komtur des Deutschordens zu Trier, Herrn Jörg von Langelen, um und sprach mit ihnen über die Dinge, die sein Herz bewegten. Da machte ihn der Kanzler darauf aufmerksam, daß die getreue Besatzung der Burg an den Fenstern stehe und ihrem Herrn und Erretter durch Tücher- und Hüteschwenken einen Willkommensgruß darbringe. Der Kurfürst ließ sein schweres Streitroß noch ein paar Schritte vorwärts gehen, daß ihm die Wellen des Stromes die Hufe bespülten, entblößte sein Haupt und winkte mit der Rechten leutselig grüßend hinüber.

Die Bopparder, durch den aus dem jenseitigen Ufersaume starrenden Wald von Spießen noch versöhnlicher gestimmt als sonst, glaubten, daß dieser Gruß ihnen gelte, und waren zunächst sprachlos vor freudiger Überraschung. Dann aber schwenkte hier und da einer den Hut oder die Sturmhaube und brach in den Ruf Vivat Johannes secundus! Es lebe Johannes der Zweite! aus, und mit Blitzesschnelle pflanzte sich der Jubel über die ganze Stadtmauer fort und weckte auf allen Türmen und Dächern ein, vielstimmiges Echo.

Der Kurfürst, der in diesem Augenblick die Gesinnung seiner Bopparder gänzlich verkannte, hielt diesen ihm unverständlichen spontanen Ausbruch der gleichsam unter der Asche böser Mißverständnisse fortglimmenden Untertanenliebe für eitel Hohn und Herausforderung, bedeckte sein Haupt mit dem Helm, riß sein Roß zurück, kehrte um und gab den Befehl, die Truppen über den Rhein zu setzen. Jetzt erst war der Krieg für ihn eine beschlossene Sache.

Einer der Reiter sprengte der kleinen Kavalkade voran und gab den Befehl an die Hauptleute weiter, Als der Kurfürst wieder bei der Überfahrtsstelle anlangte, waren die ersten der mit Söldnern besetzten Kähne schon vom Ufer abgestoßen und trieben stromabwärts auf das St. Martinskloster zu, wo die Truppen gelandet werden sollten. Inzwischen waren auch die Wagen mit dem Kriegsgerät und dem Geschütz von der Höhe herabgekommen und wurden mit der ganzen Bespannung aus die Fährnachen geladen. Zu allerletzt stieß die kurfürstliche Lustjacht ab, die schon einige Tage vorher von Koblenz nach Kamp geschleppt worden war, und deren mit purpurnen Zelttüchern überspanntes Deck für den Kriegsherrn und seine ganze Begleitung Raum bot.

Auf der andern Rheinseite angelangt, stiegen die Herren zu Pferde, die Hauptleute und die Rottmänner setzten sich an die Spitze ihrer Fähnlein, und die Armee rückte am Fuße des Eisenholzberges entlang geradewegs auf Marienberg los.

Die Bopparder, die darauf gerechnet hatten, der Feind werde das adlige Jungfernstift als ein neutrales Territorium verschonen, bemerkten mit Schrecken, daß Johann der Zweite gesonnen war, sich auch in diesem Punkte genau an sein Vorbild, den großen Erzbischof Balduin, zu halten, der allen Protesten des Konvents zum Trotz das hohe Kloster in sein Hauptquartier verwandelt und von dort aus den erfolgreichen Sturm auf die Stadt unternommen hatte.

Infolgedessen schlug die Stimmung der Bürger plötzlich wieder um, und der städtische Büchsenmeister, der die Kartaune aus der Bälzerpforte bediente, trug sich ernstlich mit dem Gedanken, dem Feinde einen gewichtigen Gruß aus ehernem Munde zuzusenden. Aber die reifliche Erwägung, daß eine so übereilte Handlung die noch immer nicht ganz aufgegebene Hoffnung auf eine friedliche Verständigung gänzlich vernichten müsse, veranlaßte ihn, das schon in Brand gesetzte Luntenende abzuschneiden und dem Kurfürstlichen anstatt der fünfundzwanzigpfündigen Steinkugel ein paar zornige Blicke zuzuschleudern.

Auf dem Waldeck, dem Turme der Stadtbefestigung, der dem hohen Kloster gegenüberstand, dachte man anders, hier führte einer von der Bopparder Ritterschaft, Herr Sifried von Schwalbach, das Kommando. Er hatte sich als kriegserfahrener Mann seine Leute – eigene Knechte und städtische Schützen – sorgfältig ausgewählt und wußte, daß er sich unter allen Umständen auf ihren Gehorsam verlassen konnte. Jetzt rief er sie zusammen, ließ sie zu den Waffen greifen, feuerte sie durch eine Ansprache an und machte mit seiner nur aus achtzehn Köpfen bestehenden Mannschaft einen Ausfall. Auf den Mauern beobachtete man das ebenso tollkühne wie aussichtslose Unternehmen mit einer aus Furcht und Neugier gemischten Teilnahme. Man sah, wie das Häuflein im Sturmschritt gegen den Feind rückte, wie die Schützen ihre Haken auf die Gabeln legten und abbrannten, und wie die kleine Heldenschar, als ihr eine mehr als fünffache Übermacht entgegenrückte, Kehrt machte und durch das Zwingelpförtchen wieder in die Stadt rannte. Aber von den neunzehn Streitern kamen nur siebzehn zurück: zwei von ihnen hatten das Wagnis mit dem Leben bezahlen müssen.

Die Kurfürstlichen, die ebenfalls zwei Tote hatten, setzten ihren Weg jetzt unangefochten fort und richteten sich auf Marienberg, die glückliche Lage des Klosters nach Kräften ausnutzend, so bequem wie möglich ein. Johann der Zweite bezog mit seinem Hofstaat die von den Konventualinnen verlassenen Gemächer, und an der Stätte, wo man sonst Orgelklang und Chorgesang, das Schnurren der Spinnräder und das Klappern der Webstühle vernommen hatte, hörte man jetzt den sporenklingenden Schritt schwerer Reitstiefel, das Klirren der Waffen und den Lärm rauher Männerstimmen. Bis hoch in das von zwei klaren Bergwässern durchströmte Tälchen hinauf war alles in lebhafter Tätigkeit, hier wurden Zelte aufgeschlagen und Lagergassen abgesteckt, dort Gräben aufgeworfen und Brustwehren aufgeführt, und hinter den Klostergebäuden, auf den Abhängen des Eisenbolzkopfes, waren emsige Zimmerleute beschäftigt, die beiden kurfürstlichen Hauptbüchsen »Ungnade« und »Snelgin« samt den dazu gehörenden Kartaunen, Feldschlangen und Hakenbüchsen zu lagern.

Den ganzen Nachmittag über gab es für die Bopparder genug zu sehen, seit aber auf beiden Seiten Blut geflossen war, wollte die rechte, ungetrübte Schaulust nicht mehr aufkommen. Man bemerkte, daß drüben auf dem andern User, auf der Filsener Lei und neben der Filsener Kirche, wo das Aufgebot von Montabaur und Limburg lagerte, ebenfalls schweres Geschütz aufgefahren wurde, man glaubte oben auf der Höhe über den Wingerten des Hamms die Kriegsvölker zu erkennen, die von der Mosel her anrücken sollten, und man beobachtete, wie gegen sieben Uhr abends bei dem Martinskloster die reisigen Knechte und die Reiter anlangten, die Philipp, Pfalzgraf bei Rhein und Kurfürst, seinem Verbündeten zuführte. Jetzt entwickelte sich zwischen St. Martin und Marienberg ein lebhafter Verkehr, Berittene sprengten hin und her, und der Pfalzgraf beeilte sich, in Gesellschaft seines Feldhauptmanns, des Ritters Hans von Trade, dem lieben Oheim und Mitkurfürsten einen Besuch abzustatten.

Als er das hohe Kloster wieder verließ, schlossen sich ihm viele der erzstiftischen Vasallen, wie der Pfalzgraf Johann, Herzog in Bayern, die Grafen von Sayn, von Solms, von Westerburg, von Oberstein und von Wunnenberg an und machten, jeder von einem Diener begleitet, einen Spazierritt zur Besichtigung der Bopparder Befestigungen. Von einem Turm der Niederstadt wurde aus die kleine Kavalkade ein Schuß abgegeben, der sein Ziel zwar verfehlte, die Herren jedoch zur schleunigen Umkehr veranlaßte.

So kam der Abend heran, und auf das farbige, belebte Bild senkten sich allgemach die Schleier der Dämmerung. Die Städtischen verließen, soweit sie nicht Amt und Pflicht auf der Mauer und den Türmen festhielten, ihre Beobachtungsposten und suchten ihre Häuser auf – müde und hungrig, aber einigermaßen durch die Überzeugung getröstet, daß in der kommenden Nacht kein feindlicher Angriff auf die Stadt zu erwarten sei.

Als Regina, die den ganzen Nachmittag an der Seite ihres Vaters auf der Mauer geweilt hatte, in den Rebenstock zurückkehrte, schickte ihr die Äbtissin eine der Laienschwestern entgegen und ließ sie bitten, vor dem Schlafengehen noch einmal zu ihr zu kommen.

Das Mädchen begab sich sofort hinauf und fand die Domina in der größten Aufregung. Die hohe Frau hatte von den Vorfällen des Tages schon Kunde erhalten und war untröstlich darüber, daß sich der Kurfürst erdreistet habe, das adlige Jungfernstift zu einem Feldlager zu entweihen und die Stätte des Gebets, der beschaulichen Betrachtung und der stillen Arbeit in eine Mördergrube und ein Brutnest verderblicher Anschläge zu verwandeln. Am meisten schmerzte sie der Gedanke, daß der Klostergarten, an dem ihr ganzes Herz hing, und dessen Pflege sie täglich etliche Stunden widmete, von der Soldateska verwüstet werden könnte. Sie stellte sich vor, wie das rohe Volk die Axt an die schönen alten Walnußbäume und an die jungen Stämmchen des Bongerts legen würde, die in diesem Sommer zum erstenmal trugen, wie der Huf der Rosse die zarten Kinder ihres Würzgärtleins zertreten würde, die weißen Lilien und die roten Rosen, Salbei und Minze, Liebstöckel und Raute, Bockshornklee und Rosmarin. Und so gipfelte das Leid der sonst so weitschauenden, erfahrenen Frau in der Klage um das durch die Greuel des Krieges verkürzte Leben von Kräutlein und Stauden, die der Frühling Jahr für Jahr fast ohne menschliches Zutun aus dem Schoße der Erde ans Licht lockte, und denen auch der nächste Lenz eine fröhliche Auferstehung schenken würde.

In diesem Kummer wollte die Domina, die soviel Lenze mehr gesehen hatte, als das Mädchen, von ihrer jungen Freundin getröstet sein. Aber Regina war eine schlechte Trösterin. Erstens hätte sie jetzt eigentlich selbst des Trostes bedurft, denn die Freude darüber, daß die kleine Besatzung der Burg und im besonderen Junker Wygant durch ihre List vor dem Hungertode bewahrt worden war, wurde ihr durch die Furcht vergällt, die erboste Bürgerschaft könnte den wiederholt geäußerten Vorsatz ausführen, die Burg zu stürmen und die Kurfürstlichen zur Strafe für die dem Magistrate durch den herausgesteckten Ochsenkopf zugefügte Beschimpfung bis auf den letzten Mann – will sagen bis auf Nickel Langhenne – niederzumachen. Zweitens aber – und das war das wichtigste – hatte sie trotz ihrer Jugend den Grundsatz, sich nicht mit Klagen über Geschehenes und Bevorstehendes aufzuhalten, sondern dem Schicksal, das ja blind sein soll, mit eigener Hand den rechten Weg zu weisen, wenigstens den Weg, der ihr selbst der rechte zu sein schien. In diesem Grundsatz war sie durch ihren jüngsten Erfolg bestärkt worden, und sie hielt sich im stillen für berufen, noch weiter in die Händel dieser Welt, die für sie freilich nur ein Dornengerank waren, das den geliebten Mann immer fester zu umstricken drohte, mit schlichtender Hand einzugreifen.

Hätte Regina allein dagestanden, so hätte sie ihren Vorsatz, den Geliebten um jeden Preis zu retten, wohl nie verwirklichen können. Da sie aber über eine einflußreiche Bundesgenossin verfügte, deren Hoffnungen und Wünsche, was die Beilegung des Streites zwischen der Stadt und dem Kurfürsten anlangte, mit ihren eigenen zusammenfielen, so hatte sie kein allzu schweres Spiel. Es galt nur, die Äbtissin für ihren Plan zu gewinnen oder vielmehr, sie diesen Plan selbst entwerfen zu lassen, ohne daß die hochedelgeborene auf den Gedanken kam, sie sei eigentlich nur ein Werkzeug in der Hand ihres Schützlings.

Seit undenklichen Zeiten pflegte die Bopparder Bürgerschaft alljährlich am dritten Montag nach Pfingsten auf einer zum Gebiet des Jungfernstifts gehörenden Wiese ein Volksfest zu feiern, das unter dem Namen der Orgelborner Kirmes im weiten Umkreis bekannt war. Dieses Fest, bei dem die ganze Einwohnerschaft mit Sang und Klang zum Kloster hinaufzog, war ursprünglich nur eine jährlich zu wiederholende öffentliche Anerkennung der territorialen Unabhängigkeit des Stifts gewesen, gleichsam ein Besuch, den die freie Reichsstadt dem benachbarten reichsunmittelbaren Kloster abstattete. Aus diesem Gebrauch hatte sich im Laufe der Zeit ein Rechtsverhältnis entwickelt, das den Bürgern die Feier der Orgelborner Kirmes zur Pflicht machte, wenn sie nicht gewisser Gerechtsamen, die ihnen das Stift eingeräumt hatte, und zu denen der Anspruch auf eine bedeutende Wein- und Brotspende an die Armen der Stadt, sowie die Nutzung der Klosterwaldungen gehörten, verlustig gehen wollten.

Das Fest hätte am nächsten Montag wieder begangen werden müssen, aber dir Bopparder hatten ihre sonst so angenehm empfundene und gern erfüllte Verpflichtung in dieser bösen Zeit entweder ganz vergessen oder gedachten mit stillem Kummer der früheren Jahre, wo man draußen auf der Wiese am Born so fröhlich gewesen war und sich bis in die späte Nacht den Freuden des Tanzes und des Weines sorglos hingegeben hatte. Daß man das Fest auch in diesem Jahre feiern müßte – trotz den Spießen und Partisanen, den Kartaunen und Feldschlangen, die den Zugang zu der Stätte ungebundener Lust versperrten, darauf konnte in ganz Boppard nur ein liebendes Mädchen kommen, das entschlossen war, aus allen Hindernissen der Welt dem Geliebten eine Brücke zur Freiheit, zum Leben und zum Glück zu bauen.

Um die Blumen und Würzkräuter solltet Ihr Euch nicht grämen, Domina, sagte Regina, als die Matrone mit ihrem Klagelied zu Ende war, die kommen wieder, und was Ihr davon für die Apotheke braucht, das könnt Ihr leichtlich beim Krämer oder vom Abt zu St. Matheis erhalten, was aber den Bongert anlangt, so fürchte ich auch, daß sie die Kirschen und die Frühbirnen gleich über der Wurzel abpflücken werden. Aber Ihr mögt Euch dessen trösten, denn von dem ganzen Handel hat kein andrer Nutzen denn das hohe Kloster.

Das Kloster den Nutzen? fragte die Äbtissin aufhorchend, wie soll ich das verstehen?

Ihr mögt fortan den Städtischen verwehren, ihre Säue in Euern Wald zu treiben, werdet auch ein Erkleckliches an Wein und Brot ersparen.

Die Matrone sah das Mädchen verständnislos an. Sie wußte nicht, worauf Regina hinauswollte.

Die Domina hat die Orgelborner Kirmes vergessen!

Die Kirmes! Richtig, die Kirmes! Daraus wird heuer freilich nichts werden, sagte die Äbtissin nachdenklich, wenn der Kurfürst zum Reigen aufspielt, werden die Bopparder nicht tanzen wollen.

Ihr hättet's in der Hand, den Kurfürsten und die Bopparder miteinander tanzen zu lassen, Domina, sintemalen Ihr doch den Tanzboden stellt. Beim Reigen sind sich schon manche gut geworden, die vordem nicht viel voneinander haben wissen wollen. Brauchtet nur zu sagen: das Stift besteht auf seinem Recht. Wenn der Kurfürst und der Rat ihr vermeintliches Recht mit dem Schwerte verfechten, warum wollt Ihr das Eure, das doch unbezweifelt ist, fahren lassen?

Die Äbtissin machte sich am Dochte der vor ihr stehenden Lampe zu schaffen und schaute nachsinnend in das knisternde Flämmchen. Was das Mädchen da geäußert hatte, ließ sich hören. Es hatte sie schon lange gewurmt, daß sich die streitenden Parteien nicht mit der Bitte um Vermittlung an sie gewandt hatten, die doch wegen ihrer Geburt, ihrer Stellung und ihrer bewährten Klugheit wie kein andrer zu diesem Geschäft befähigt gewesen wäre. Jetzt, wo sich der Kurfürst im Kloster festgesetzt und dadurch dieses zum Ziel für das städtische Geschütz gemacht hatte, mußte sie zeigen, daß sie auch noch da war, mußte sie auf ihrem Recht bestehen und die gewohnte Anerkennung der stiftischen Souveränität verlangen. Daß sich die Stadt ihren Wünschen gefügig zeigen würde, war gewiß, denn diese hatte den Vorteil davon. Die Frage war nur, ob der Kurfürst genügendes Verständnis für ihre Lage beweisen und der Stadt den zur Erfüllung ihrer Pflicht notwendigen Waffenstillstand bewilligen würde. Die Domina glaubte diese Frage bejahen zu dürfen. Denn erstens mußte ihm in einer Zeit, wo Domkapitel, Adel und Städte eifrig bemüht waren, seine Macht zu beschneiden, daran liegen, sich mit den geistlichen Stiftern gut zu stellen, und zweitens konnte ihm, der, wie die Äbtissin nur zu gut wußte, wider Willen in den Krieg hineingetrieben worden war, nichts erwünschter sein, als daß ihm die Möglichkeit geboten wurde, die Waffen aus der Hand zu legen und noch zu guterletzt eine Verständigung mit dem Feinde zu suchen.

Kam diese zustande, so war das Kloster gerettet, und die Äbtissin hatte sich beide Parteien zur Dankbarkeit verpflichtet und ihr Einsehen als umsichtige und diplomatisch gewandte Regentin aufs neue gerechtfertigt.

Der Gedanke beschäftigte sie so lebhaft, daß sie darüber den gefährdeten Garten, die jungen Obstbäume und die Würzkräutlein vergaß, und da sie nun auch des Trostes nicht mehr bedurfte, Regina mit dem Hinweis auf die vorgerückte Stunde entließ.

Am andern Morgen erhob sich die Domina nach einer schlaflos verbrachten Nacht zu zeitiger Stunde und ließ Meister Metzler zu sich entbieten. Sie richtete die Frage an ihn, wie denn die Stadt in diesem Jahre die Orgelborner Kirmes zu feiern gedenke, und ob ein löblicher Rat schon Schritte getan hätte, bei Seiner kurfürstlichen Gnaden für den Tag des Festes einen Waffenstillstand auszuwirken. Metzler mußte bekennen, daß bisher noch niemand an die Kirmes gedacht habe, und meinte, man werde dieses Mal wohl mit dem Feste aussetzen müssen, sintemalen der Kurfürst in der Nacht Sukkurs vom Markgrafen von Baden und vom Landgrafen von Hessen erhalten habe, auch noch die Völker des Schwäbischen Bundes erwarte und mit dieser gewaltigen Heeresmacht wohl eher zu einem Sturmlauf auf die Stadt als zu Unterhandlungen geneigt sein werde. Aber die Äbtissin zeigte sich diesen Gründen nicht zugänglich. Mit einer Bestimmtheit, die den Küfermeister beinahe erschreckte, erklärte sie, wenn einem löblichen Magistrat so wenig an den freundnachbarlichen Beziehungen zum hohen Kloster liege, daß er nicht einmal den Versuch machen wolle, über Mittel und Wege nachzusinnen, wie die Stadt ihre Verpflichtungen erfüllen könne, so werde sie genötigt sein, den Rebenstock zu verkaufen und die stiftische Kellnerei in ihr allzeit getreues Dorf Holzfeld zu verlegen, auch fortan der Nutzung des Klosterwaldes durch die Bopparder Einhalt zu tun und die Labung der Armen mit Brot und Wein einem löblichen Rate selbst zu überlassen.

Diese ungnädigen Worte seiner Gebieterin veranlaßten Metzler, schleunigst den Schultheißen aufzusuchen und ihm von seiner Unterredung mit der Domina Mitteilung zu machen, Herr Paul von Leye, der mit den Verhältnissen in der Stadt viel zu wenig vertraut war, als daß er sich in dieser verwickelten Angelegenheit ein Urteil zugetraut hätte, nahm Metzler mit auf das Rathaus und ließ die Glocke läuten, deren Klang die Mitglieder des Rats gewöhnlich zusammenrief. Dann mußte der Meister seinen Bericht vor der Versammlung wiederholen, und bei der nun folgenden Verhandlung stellte es sich heraus, daß bei weitem die meisten der Ratsmitglieder die Forderung der Äbtissin gerechtfertigt fanden und ihren Antrag auf Entsendung einer Deputation an den Kurfürsten mit großem Eifer unterstützten. Über die Zusammensetzung dieser Deputation einigte man sich bald. Die Wahl fiel auf Herrn Adam Beyer als den vornehmsten aus dem städtischen Adel, aus Meister Metzler, der als einer der angesehensten unter den bürgerlichen Ratsherren und wegen seiner engen Verbindung mit dem hohen Kloster zu einer solchen Mission doppelt geeignet erschien, und auf den Ratsschreiber Severus Classen, der als rechtskundiger und redegewandter Mann den Sprecher machen sollte.

Als sich die Gesandtschaft in Festtagskleidung, aber ohne Waffen auf den Weg machte, saß Kurfürst Johann mit seinem Kanzler, Herrn Ludolf von Enschringen, und seinem Rentmeister, Theiß von Honefels, im Gemache der Äbtissin und bemühte sich, Klarheit darüber zu gewinnen, was ihn der Krieg, der noch nicht einmal recht begonnen hatte, da die Lagerung der Geschütze wegen des abschüssigen Terrains unvorhergesehene Schwierigkeiten bereitete, bis jetzt an barem Gelde koste. Der Rentmeister beugte sich über seine mit Zahlen bedeckten Papiere, rechnete und schrieb und teilte, sobald er mit einem Posten zu Ende war, seinem Gebieter das Ergebnis mit.

Kurtrierische Söldner den Tag 740 Gulden rheinisch, sagte er, drei Tage unterwegs facit 2220 Gulden, die Pfalzgräflichen den Tag 520 Gulden, fünf Tage unterwegs facit 2600 Gulden, die Landgräflichen idem, die Markgräflichen sechs Tage unterwegs 1860 Gulden, Jülich 50 Reiter, fünf Tage 280, Sponheim, will sagen Herzog Hans, 30 Reiter zwei Tage facit 144, dazu für die Büchsenmacher 73 ½, den Zimmerleuten 24, den Schiffern 120 und dem Schanzmeister 12, facit in summa Macht zusammen. 9903 ½ Gulden rheinisch, wobei der Schwäbische Bund, das Pulver und die extraordinaria Außerordentlichen Ausgaben. nicht einmal gerechnet.

Der Kurfürst seufzte und wiederholte:

Facit in summa 9903 ½ Gulden.

Er war an das Fenster getreten und schaute ernsten Antlitzes auf die Stadt hinunter, plötzlich hellten sich seine Mienen auf.

Enschringer und Ihr, Honefelser, tretet einmal hierher, sagte er, und schaut, was es da unten gibt! Mich dünkt, die Knechte geleiten drei Männer aufs Kloster, die nicht von den Unsrigen sind.

Werden Gefangene sein oder Überläufer, meinte der Kanzler.

Da lachte der Kurfürst laut auf und schlug dem Rentmeister so derb auf die Schulter, daß diesem die Knie zusammenknickten.

Ach, Leute, rief er, ihr wollt meine klugen Räte sein, und wißt nicht, was das bedeutet? Legati Baudobrigenses! veniunt pacem petentes! Bopparder Gesandte! Sie kommen mit der Bitte um Frieden!

Der Hauptmann, der auf dem Vorsaale die Wache hatte, trat ein und meldete, es seien Abgesandte von den Städtischen angelangt, die dem Kurfürsten eine Botschaft zu bringen hätten und um die Gunst bäten, mit seiner kurfürstlichen Gnaden selbst verhandeln zu dürfen.

Herein mit ihnen! flugs! flugs! rief Johann der Zweite, dessen breites Gesicht die Freude gerötet hatte.

Mit Verlaub, bemerkte der Kanzler, Ihr solltet die Männer zuvor ein weniges warten lassen.

Warten lassen – wo uns jede Stunde 170 Gulden kostet.

Er erhob sich und wanderte mit großen Schritten im Gemache auf und nieder.

Facit cum extraordinariis Macht mit den außerordentlichen Ausgaben. mehr denn 10 000 Gulden, und dabei hat das grobe Geschütz noch nicht einen Schuß getan! O Enschringer, wir haben uns eine böse Last aufgeladen, für gedachte Summa hätten wir leichtlich unsere verpfändeten Herrschaften einlösen können.

Eure kurfürstliche Gnade durfte den Schimpf, so die von Boppard Euch zugefügt, nicht so hinnehmen, tröstete der Kanzler. Und wenn Ihr erst über die Stadt triumphieret, so mag sie Euch alles, was die Fehde gekostet, bei Heller und Pfennig zurückzahlen.

Wenn wir die Städtischen nicht bald zwingen, so möchte der Krieg wohl mehr kosten, als ganz Boppard wert ist, antwortete Johann der Zweite mit unverhohlenem Kleinmut.

Die Bopparder haben Eure milden und väterlichen Mahnungen nicht hören wollen und haben in ihrem Ungehorsam beharret; was bleibt Eurer kurfürstlichen Gnade nun anders, als zornig mit ihnen zu reden durch den Mund der Hauptbüchsen und mit der barschen Stimme der Kartaunen?

Ach Enschringer, wie man in den Wald schreit, so klingt es heraus. Ich fürchte, die Bopparder werden auf den barschen Anruf nicht minder barsch antworten.

[Zeile fehlt im Buch. Re] kostet? donnerte der alte Herr, flugs herein mit ihnen! Je eher wir sie hören, desto besser!

Die drei Bopparder wurden in das Gemach geführt und näherten sich in ehrerbietiger Haltung dem Kurfürsten, der wieder in seinem Sessel saß und mit gleichmütiger Miene in den Papieren des Rentmeisters blätterte.

Mir kommen im Namen eines löblichen Rates der freien Reichsstadt Boppard, begann Severus Classen seine Rede.

Eines löblichen Rates? unterbrach ihn Johann. Ist ein Rat löblich zu nennen, der sich wider den von Gott über die Stadt gesetzten Herrn auflehnt?

Nicht von Gott gesetzt, Kurfürstliche Gnaden, erwiderte der Ratsschreiber keck, die Stadt erkennet keinen als ihren Herrn an denn den Kaiser. Allerdings hat König Heinrich der Lützelburger unsre Stadt dem Erzbischof Balduin und seinen Nachfolgern zum Pfande verschrieben, aber nur als Gubernatoren und Vögten an seiner und seiner Nachfolger Statt. Ist auch ausdrücklich verordnet und bestimmt, daß sie nur die Abgaben erheben, und daß sie die Stadt nicht mit neuen Lasten beschweren, vielmehr Recht, herkommen und privilegia unangetastet lassen sollen. Aber dieses Handels halber sind wir nicht gekommen, sondern um einer andern Ursache willen. Übermorgen, als am dritten Montag nach dem heiligen Pfingstfeste, muß die Stadt die Orgelborner Kirmes feiern hier draußen auf des Klosters Wiese.

Der Kurfürst schlug so stark mit der Faust auf den Tisch, daß sich der Rentmeister veranlaßt fühlte, das Tintenfaß in Sicherheit zu bringen, und sagte lachend:

Kirmes feiern? Kanzler, habe ich recht gehört: Kirmes feiern? Jetzt, wo unsere väterliche Hand die Zuchtrute über sie ausreckt, wollen sie Kirmes feiern? Wo wir mit tönendem Erz zu ihnen reden wollen, steht ihnen der Sinn nach Tanzen und Saufen?

Ist nicht des Tanzens und Saufens wegen, daß die Stadt das Fest zu begehn wünscht, sondern zum ersten aus schuldigem Respekt gegen das adlige Jungfernstift, und zum andern, weil die Stadt, so sie die Feier unterließe, der klösterlichen Gerechtsame verlustig ginge, als da sind: die Nutzung des Waldes, die Labung der Armen –

Halt, ihr Leute! sagte der Kurfürst, das läßt sich hören! Gerechtsame sind kein Mausdreck –

Und deshalb bitten wir Eure kurfürstliche Gnaden, der Stadt am Montag von Sonnenaufgang bis zum Niedergang ein armistitium Waffenstillstand. zu bewilligen, also daß die Bürgerschaft in guter Ordnung und Ruhe die Kirmes feiern kann.

Der alte Herr überlegte eine Weile und sagte dann: Concedimus. Genehmigt! Aber wir stellen eine Bedingung.

Und die wäre? fragte Meister Severus.

Daß uns die Stadt mit einer Einladung beehrt. Meint Ihr nicht auch, Enschringer? Es wäre unbillig, zu verlangen, daß wir zusehen und uns das Maul lecken sollten, indes sich die Städtischen hier auf dem Anger verlustieren.

Wir haben die Weisung, postulato concesso Wenn die Forderung erfüllt ist. Eurer kurfürstlichen Gnaden Dank zu sagen und zugleich die Bitte auszusprechen, Ihr möchtet samt dem Hofgesinde, den Verbündeten und den Feldhauptleuten bei dem Feste zugegen sein, antwortete der Ratsschreiber schlagfertig.

Die beiden andern Mitglieder der Gesandtschaft sahen einander erstaunt an. Ihnen war von einer solchen Weisung nichts bekannt. Aber diese Eigenmächtigkeit konnte man dem Sprecher schon verzeihen. Der Kurfürst als Gast der Stadt – das war mehr, als man in den kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte!

Und als die drei Männer eine halbe Stunde später wieder in Boppard anlangten und dem noch immer versammelten Rat über das Ergebnis ihrer Mission Bericht erstatteten, da brach die Versammlung in lauten Jubel aus, und dieser Jubel pflanzte sich fort durch den Markt und über die Gassen, und von den Mauern, den Toren und den Türmen erscholl zum zweitenmal der vielstimmige Ruf: Vivat Johannes secundus!


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