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Der Bopparder Krieg.

1. Kapitel

Auf der Ratsstube zu Boppard ging es am Abend des 10. Juni 1497, eines Samstags, geräuschvoller zu, als es sich mit der Würde des Ortes und der Bedeutung einer Versammlung, die weiland Kaiser Heinrich der Siebente in einer Bestätigungsurkunde als ein Kollegium weiser Leute bezeichnet hatte, eigentlich vertrug. Daran war hauptsächlich schuld, daß der gestrenge und ehrenfeste Bürgermeister, Herr Johann von Eltz, seit einigen Tagen abwesend war, um der nun schon länger als hundert Jahre dem Erzstift Trier verpfändeten freien Reichsstadt unter dem benachbarten Adel Fürsprecher und Bundesgenossen zu werben, deren sie bei den sich immer mehr zuspitzenden Zwistigkeiten mit ihrem Pfandherrn, dem Kurfürsten Johann dem Zweiten, jetzt mehr als je bedurfte.

Statt des Bürgermeisters präsidierte der Ratsversammlung heute ein Mann, der selbst nicht so recht wußte, wie er auf den mit dem Reichsadler geschmückten und auf einem erhöhten Platze stehenden Sessel des Stadtgewaltigen gekommen war, und der sich deshalb in seiner Haut keineswegs recht behaglich fühlte. Es war Herr Paul von Leye, ein ziemlich bedeutungsloser Wäpeling aus der Nachbarschaft, den die Bürger aus purer Opposition gegen den Kurfürsten zum Schultheißen gewählt und unter Glockengeläut in sein Amt eingesetzt hatten. Ob sich diese eigenmächtige Handlungsweise mit ihrem durch kaiserliche Gnade verbrieften Privilegium der höhern Weisheit vertrug, war ihnen bald nachher freilich selbst zweifelhaft erschienen, denn das Recht, einen Schultheißen zu ernennen, stand einzig und allein dem Kurfürsten zu, und wenn dieser, um die unbotmäßige Stadt zu bestrafen, Gericht und Recht zu Boppard niederlegte und seinen mit deren Wahrung betrauten Beamten abberief, so gab es immer noch einen Kaiser, an den man sich mit einer sicherlich nicht ergebnislosen Reklamation hätte wenden können.

Aber das hatte man nun einmal versäumt, und weder die Wähler noch der Gewählte erfreuten sich eines guten Gewissens. Nachträglich noch diesen Schritt zu tun und beim Kaiser die Bestätigung des neuen Schultheißen nachzusuchen, wäre bei der bekannten heftigen Gemütsart Maximilians und der Eifersucht, womit er über seine kaiserlichen Rechte wachte, zwecklos gewesen. Man war also gezwungen, das Süpplein, das man sich eingebrockt hatte, selbst auszuessen. Und da es den weisen Leuten von Boppard genugsam bekannt war, daß sich geistliche Fürsten durch das energische Vorgehen der Städte zuweilen hatten einschüchtern lassen, so blieb ihnen als der einzige Ausweg, dieses Mittel auch ihrem Widersacher gegenüber zu versuchen.

Den Anfang dazu hatte man glücklich gemacht: Ein gedrucktes Manifest, datiert vom Mittwoch nach Misericordia, verkündete allen Kurfürsten, Fürsten, Ständen und Untertanen des Reiches, daß denen von Boppard keineswegs wißlich sei, etwas Unbilliges verlangt zu haben, als was sie vorher in ihren Privilegien, Gebräuchen und Herkommen besessen hätten, welche Privilegien ihnen aber von Kurfürstl. Gnaden zu Trier dergestalt mißgönnet würden, daß selbiger, da sie sich entschlossen hätten, gedachte Privilegien bei Röm. Königl. Maj. konfirmieren zu lassen, sie bei Königl. Maj. hoch und schwerlich beklaget, als ob sie etwas Unbilliges wider das h. Reich und Se. Gnaden erlangt sollten haben, worauf der Erzbischof das Gericht und Recht zu Boppard niedergelegt und ungeachtet ihrer demütlichen Bitte, das Gericht wiederum zu eröffnen und Regiment und Ordnung aufrecht zu erhalten, in seinem Vornehmen bestanden und beharret, auch durch einen Subdelegierten eines päpstlichen Konservators, mit Namen Dr. Peter Schönau, Dechant zu St. Castor zu Koblenz, auf Sonntag Estomihi in Stadt und Dorf Boppard Bann und Interdikt habe verkünden lassen.

Um diesem papiernen Protest gegen die Willkür des Kirchenfürsten mehr Nachdruck zu geben, hatten die Bopparder aber noch etwas andres getan, was den Gegner empfindlicher treffen mußte als alles bisherige: sie hatten den kurfürstlichen Amtmann zu Boppard, Herrn Emmerich von Nassau, in der erzbischöflichen Burg, die auf der Rheinseite der Oberstadt lag, eingeschlossen und ihm und seiner kleinen Mannschaft die Zufuhr abgeschnitten.

Die anfängliche Reue der Bopparder über diesen kühnen Gewaltstreich war, als im kurfürstlichen Hoflager zu Koblenz alles still blieb, nach und nach der zuversichtlichen Überzeugung gewichen, der Gegner wage es nicht, mit der Stadt anzubinden und werde klein beigeben, und jeder der adligen und der bürgerlichen Schöffen und Ratsmitglieder hielt es für seine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß gerade er es gewesen sei, der den Anstoß zum offenen Widerstande gegeben und dadurch die Stadt aus ihrer schlimmen Lage gerettet habe.

Auch in der heutigen Ratsversammlung hatten die verschiedenen Redner ihr Bestes getan, ihre persönlichen Verdienste gebührend hervorzuheben, und der neue Schultheiß, der sich als tatenloser Mann unter all den Helden etwas bedrückt fühlte, sann schon darüber nach, wie er die Versammlung mit einer schicklichen Wendung schließen könnte. Da meldete sich noch einer der Räte von den bürgerlichen Bänken zum Worte: der Fischermeister Peter Bornhofen.

Mit Gunst und Verlaub, sagte er, was die Pfandschaft und die Gerichtssachen und die Kur des Schultheißen anlangt, so kann und mag ich nicht entscheiden, ob der Kurfürst in diesen Stücken recht oder unrecht hat, aber daß er den Salmenfang prätendieret, das ist ein neu und ärgerlich Ding, davon man vormals nie gehöret hat. Solches gehet wider Herkommen und Privilegien.

Insonderheit wider der Römischen Majestät Privilegium vom 27. Junius 1495, ergänzte Meister Severus Classen, der Ratsschreiber.

Und deshalb, fuhr Bornhofen fort, mag es mir vergönnt sein, einem löblichen Rate anzuzeigen, daß ich als einer uralten Fischergilde gekürter und vom Rate bestätigter Obermeister es für meine Pflicht gehalten habe, mich nach wie vor mit meinen Knechten des Filsener Salmenwassers zu bedienen. Als wir nun am vergangnen Donnerstag gerade wieder das Garn heben wollten, gewahrten wir am Ufer bei den Klippen vier kurtrierische Schützen, die uns anriefen, wir sollten uns von dannen machen, da des Salmenfangs Nutzung niemand denn Seiner Gnaden zustünde. Als wir dessen nicht achteten, schlug einer von ihnen sein Faustrohr auf uns an, tat auch alsbald einen Schuß. Da sprangen wir in unsern Nachen und ruderten flugs gegen das Filsener Ufer, landeten daselbst, nahmen Bootshaken, Äxte und Messer zu Händen und machten uns auf, die Schützen zu verfolgen. Den einen, der den Schuß getan hatte, erwischten wir, da er beim Laufen zu Falle kam, nahmen ihm sein Faustrohr ab und schlugen ihn damit, bis er für tot liegen blieb; den zweiten vertrieben wir mit Steinwürfen, deren einer ihn ins Kreuz traf, also daß er uns nur mit großer Not entkam; der dritte und der vierte entflohen durch die Wingerte in den Lieswald; der fünfte aber eilte in die Kirche, allwo wir von ihm ablassen mußten.

Sagtet Ihr nicht, es wären nur viere gewesen? erlaubte sich einer vom Adel, Herr Balduin unter den Jüden, einzuwenden.

Habe ich von vieren gesprochen? entgegnete Bornhofen, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. Das mag daher kommen, daß wir zu Anfang nur viere sahen. Es sind aber gewißlich fünf, wenn nicht gar sechs gewesen.

Ihr habt Euch wacker gehalten, sagte der Schultheiß, aber wer steht uns dafür, daß der Kurfürst uns die Unbill, so seinen Leuten widerfahren, nicht entgelten läßt? Den einen von den Schützen habt Ihr tot liegen lassen –

Mit Verlaub, Herr Schultheiß, verteidigte sich Bornhofen, so gar schlimm war es gerade nicht. Als wir im Nachen saßen und vom Lande abstießen, stand er eilig auf und rief uns nach, wir sollten seinetwegen keine Furcht haben, er wäre die längste Zeit Schütze gewesen und wollte sich nunmehr wieder einer friedlichen Hantierung zuwenden, wollte auch, wenn es ein löblicher Rat von Boppard verlange, Urfehde schwören.

Ist alles gut und recht, meinte der Maurermeister Nikolaus Mertloch, aber wenn es dem Kurfürsten zu Ohren kommt, wer weiß, ob er's so ruhig hinnehmen wird, wenn er nun doch noch wider unsre Stadt zieht?

Wenn er sich dessen getraute, warf Henrich Metzler ein, des hohen Klosters Marienberg Küfermeister, so hätte er's längst getan. Oder glaubt Ihr, daß er die Belagerung seiner Burg leichter hinnähme, denn die Kränkung eines einzigen Schützen?

Der Metzler hat recht, rief Engel Thull, der Gerber aus der Niederstadt, der Kurfürst wird sich schön hüten! was vermöchte er auch wider unsre Mauern?

Was wahr ist, muß wahr bleiben, pflichtete ihm Mertloch bei, unsre Mauern sind gut und stark, ausgenommen freilich das Stücklein zwischen dem Hexenturm und der Bälzerpforte, wo die Zwingelmauer fünf Schuh niedriger ist. Auch das Werk ist an dieser Stelle schlecht – ich hab es genau untersucht, – sind weiche Steine vom Eisenbolzkopf, und im Mörtel ist mehr Sand als Traß. Ist gewißlich Stümper- oder Lehrjungenarbeit.

Ist die Stelle, wo Anno 1327 Erzbischof Balduin hat sturmlaufen lassen, bemerkte der Ratsschreiber Classen, der seit Jahren an einer Chronik schrieb und in allem, was die Vergangenheit der Stadt betraf, trefflich Bescheid wußte. Die Mauer mag damals in großer Eile wieder aufgebaut worden sein.

Das ist leichtlich zu merken, fuhr Mertloch fort, und wenn es, was Gott und die lieben Heiligen verhüten mögen, wiederum zu einer Belagerung käme, so möchte der Feind an gedachter Stelle die Stadt schlecht bewehrt finden. Besser ist's, man sorgt beizeiten. Wenn ein löblicher Rat mich mit der Arbeit betrauen wollte, so würde ich mich der bösen Zeitläufte halber um ein Billiges bereitfinden lassen, eine neue Mauerkrone aufzusetzen, die auch der besten Hauptbüchse standhalten würde.

Die Mauer hat so lange gestanden, da wird sie auch noch eine Weile aushalten, meinte Herr Jakob von Rhens, und im Notfalle stellt man etliche Stadtknechte mehr darauf. Aber es wäre unbillig, wollte man jetzt dem Stadtsäckel neue Lasten auferlegen, wer sich auf das Waffenhandwerk versteht – er wandte sich zu seinen Genossen auf den Bänken des Adels um, weil er sich vergewissern wollte, daß er hier Zustimmung fand, – der weiß ohnehin, was er von der Stadt Wehren und Befestigungen zu halten hat. Wenn der Kurfürst sich scheut, Boppard anzugreifen, so tut er's nicht der Mauer, Türmlein und Tore halber, sondern weil er weiß, daß Ritterbürtige und gewappnete Knechte in der Stadt sind, die ihn übel genug empfangen würden. Ein Beifallsgemurmel beim Adel verriet dem Sprecher, daß er das Richtige getroffen hatte.

Überdies ist die Burg in unsrer Hand, bemerkte Herr Adam Beyer, der angesehenste von der städtischen Ritterschaft, und die Mannschaft wird sich nicht mehr lange halten können. In der letzten Nacht haben die Stadtknechte erst wieder etliche Hammel weggenommen, die Wierich von Salzig mit seinem Nachen unter der Burgpforte geländet hatte.

Man sollte den Knechten als Liebnis eine Weinspende reichen, schlug der Küfermeister Metzler vor, das wäre zugleich ein Ansporn zu weiterer Wachsamkeit. Im Ratskeller liegt ja Weins genug, und wenn wir erst die Burg haben, dann bekommen wir noch etliche Zuber dazu – jungen und firnen. Will nur hoffen, daß die in der Burg, bevor sie sich ergeben, nicht die Fässer auslaufen lassen.

Bei der Erwähnung des kurfürstlichen Weinlagers bemächtigte sich der ganzen Versammlung eine freudige Erregung.

Der Wein muß unter einen löblichen Rat verteilt werden, meinte Herr Sifried von Schwalbach, denen vom Adel kommt der firne zu, den Bürgerlichen der junge.

Könnte uns gerade fehlen! rief Engel Thull, denkt Ihr etwa, unsereins trinkt den firnen nicht auch lieber als den jungen?

Würde sich schlecht schicken, daß Ihr den firnen bekämet, verteidigte sich der Schwalbacher, wollet Ihr aber firnen trinken, so lasset den jungen etliche Jährlein liegen.

Der Streit um die Bärenhaut drohte die Versammlung ernstlich zu entzweien, als gerade im rechten Augenblick ein Knecht des Rates eintrat, der die Nachricht brachte, Thoms Senger, ein Kesselflicker, der seit einigen Jahren in Boppard ansässig war, gewöhnlich aber mit seinem Wagen im Lande umherzog und seinem Handwerk nachging, sei eingetroffen und verlange in einer dringlichen Angelegenheit vor den Rat geführt zu werden.

Da es schon zu dämmern begann und die Zeit heranrückte, wo man sich sonst nach der ernsten Arbeit auf der Trinkstube mit einem Quärtlein Hammer Ausbruchs zu stärken pflegte, ließ man den Ankömmling fragen, ob er nicht lieber sein Anliegen bei der nächsten Sitzung eines löblichen Rates vorbringen wollte. Der Knecht begab sich zu dem auf dem Vorsaal wartenden und kam bald ganz verdutzt mit dem Bescheide zurück, Thoms Senger habe gesagt, es sei besser, daß man ihn heute vorlasse, sintemalen keiner wissen könne, ob der löbliche Rat jemals wieder zu einer Sitzung zusammenkomme.

Diese Antwort machte die Herren stutzig, und man entschloß sich, Thoms trotz der vorgerückten Stunde zu willfahren.

Wenig Augenblicke später betrat er die Ratsstube. Es war ein seltsam aussehender Mann, dem man sofort anmerkte, daß in seinen Adern fremdes Blut floß. Seine Ahnfrau war die Tochter eines sarazenischen Großen gewesen, die weiland Ritter Heinrich von Ulmen nebst andern Kriegsgefangenen Töchtern ihrer fernen Heimat und etlichen Kisten voll kostbarer Reliquien als Beute von seiner Palästinafahrt mitgebracht hatte – nicht gerade zur sonderlichen Freude seiner Eheliebsten. Das straffe schwarze Haar des Mannes fiel bis auf die Schultern hinab, und die langen Enden des Schnurrbarts berührten die braune Brust, die das schadhafte Wams zum größten Teile freiließ. Im Gürtel trug er außer seinem Handwerkszeug ein langes Messer, dessen Spitze aus der zerschlissenen Lederscheide hervorsah, und die Beine und Füße waren mit Lappen umwickelt, die offenbar nur im höchsten Notfall erneuert zu werden pflegten. Zu der sklavisch demütigen Haltung Thoms Sengers standen die unter den dichten, zusammengewachsenen Brauen lustig blinzenden Äuglein und seine unbefangene Redeweise in einem merkwürdigen Gegensatz, und die Blicke, die sich aus den Ratsbänken auf ihn richteten, waren alles andre als wohlwollend.

Als er auf dem Sessel des Bürgermeisters einen ihm fremden Herrn sah, schaute er sich verwundert um, und da auch der Schultheiß, der den landfahrenden Mann nicht kannte, keine Miene machte, eine Frage an ihn zu stellen, zeigte er nicht übel Lust, seine Mütze aus Maulwurfsfell wieder über den Kopf zu ziehen und die Ratsstube zu verlassen.

Severus Classen, der Schreiber, hielt ihn zurück.

Was begehrt Ihr, Thoms? sprach er ihn an, aber faßt Euch kurz. Die Herren haben Eile.

Glaub's schon, erwiderte der Kesselflicker lachend, war ein warmer Tag heut, und da sitzt sich's auf der Trinkstuben besser denn auf der Ratsstuben.

Vergeßt nicht, Thoms, daß Ihr allhier vor einem wohlgebornen und ehrenfesten Rat steht, ermahnte Classen, bringt Euer Anliegen mit ziemlichen Worten vor und macht's kurz!

Werd schon kein Wort mehr reden, als vonnöten. Hab selber einen braven Durst. Bin erst um die Mittagstunde von Koblenz aufgebrochen und hab nicht einmal gerastet unterwegs.

Kommt zur Sache! rief jetzt auch der Schultheiß ungeduldig.

Was will der? fragte Thoms, sich nach allen Seiten umschauend, ist doch keiner von Boppard? Wenn's ihm zu lange dauert, mag er gehn, woher er gekommen ist.

Wenn Ihr Euch nicht gebührlicher betraget, wird Euch der Herr Schultheiß in den Turm setzen lassen, warnte der Schreiber.

Jetzt trat Thoms ganz dicht an Herrn Paul von Leye hinan, der sich unter den prüfenden Blicken des unheimlichen Mannes so weit als möglich auf seinem Sitze zurücklehnte, und sagte:

Das also ist der Schultheiß, dessentwillen uns der Kurfürst an den Kragen will, wo habt Ihr das Männlein aufgelesen?

Der Stadtknecht, der an der Tür stehen geblieben war, trat entschlossen auf den Kesselflicker zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Aber der Schultheiß selbst bedeutete ihn durch einen Wink, von dem Landfahrenden abzulassen.

Was ist's mit dem Kurfürsten? fragte er, woher wißt Ihr, daß er uns an den Kragen will?

Von einem, der Bescheid weiß. Dankt Gott und den lieben heiligen, ihr Herren, daß der heutige Tag so warm war. Sonst hätte ich's nimmer erfahren. Als ich zu Koblenz mit meinem Wägelein auf den Fährnachen fuhr, stand schon ein Reiter drauf mit einer Blechhaube, die war so blank wie ein neuer Breitopf und so schwer wie das Sterbeglöcklein zu Sankt Severi –

Macht's kurz, Thoms! mahnte einer von der vordersten Adelsbank.

Der Kesselflicker warf ihm einen unwilligen Blick zu.

Dankt Gott, ihr Herren, fuhr er fort, daß des Reiters Blechhaube so schwer war, denn ohne die schwere Haube wäre ich jetzt nicht klüger als ihr. Als wir auf der Pfaffendorfer Seite waren, stieg der Reiter auf und ritt auf dem Leinpfad weiter – rheinaufwärts. Da ließ ich meinen Gaul laufen, bis ich mit dem Wägelein neben ihm war. Ist ein heißer Tag heut, Landsmann, sagte ich. Ihr braucht nicht zu klagen, sagte er, Ihr sitzt unter Eurem Plandach und habt noch dazu ein Fäßlein Weins auf dem Wagen. Könnt auch gemächlich fahren, aber ich – ich muß vor Nacht in St. Goarshausen sein. Ihr wollt wohl morgen noch weiter? fragte ich, habt Ihr noch weit zu reisen? Nach Mannheim und noch weiter, sagte er. Weshalb reitet Ihr nicht auf dem andern Ufer? fragte ich wieder, da habt Ihr doch Schatten? Wenn's nach mir ging, sagte er, blieb ich überhaupt daheim, aber ich habe strenge Order. Versteh schon, sagte ich, Ihr steht in kurfürstlichem Dienst und reitet in einer wichtigen Sache. Er sah mich verwundert an und fragte: Woher könnt Ihr das wissen? Man sieht's Euch an, sagte ich, seht aus wie ein Ambassadeur. Nun nun, sagte er, das bin ich gerade nicht, aber Ihr habt nicht weit dran vorbeigeraten. Wußt ich's doch, antwortete ich, wenn Ihr auch den Titul nicht habt, so seid Ihr's doch. Nun wußt ich auch, wohin des Reiters Reise ging, denn wenn einer so im Lande umher kommt wie ich, dann merkt er fein auf alles, was er sieht und hört. Und weil ich schon in Koblenz allerlei hatte munkeln hören, könnt' ich mir auch einen Vers drauf machen, was es mit dem Reiter auf sich hatte. Ich hatte ein Fäßlein Wein im Wagen, das hatte ich in Koblenz für verrichtete Arbeit in Zahlung nehmen müssen. Davon zapfte ich jetzt einen tüchtigen Napf voll und bot ihn dem Reiter dar. Der ließ sich nicht lange nötigen, trank's auf einen Zug und meinte, die liebe Sonne hätte ihn schon so ausgedörrt, daß er leichtlich wie ein Stockfisch zu Heidelberg ankommen würde. Daß er nach Heidelberg wolle, das sollte er freilich niemand wissen lassen, und er bäte mich, es wieder zu vergessen, was ich auch treulich versprach. Als wir über die Lahn waren, gab ich ihm den zweiten Napf. Da sagte er, seine Blechhaube drücke ihm den Schädel ein, und an alledem sei kein andrer schuld als die Bopparder. Aber sein Herr würde ihnen schon zeigen, daß er nicht mit sich spaßen lasse, und würde einen Auszug wider sie tun mit großer Heeresmacht, und dürfe zu Boppard nicht ein Stein auf dem andern bleiben. Was alles wiederum ein großes Geheimnis sei, weshalb ich's ihm zuliebe vergessen möchte. Ich sagte ihm, da täte der Kurfürst klug daran, denn die Bopparder seien schon lange reif für den Galgen, und je eher kurfürstliche Gnaden wider ihre Stadt zöge, desto besser wäre es. Der Kurfürst müsse aber brav Hilfsvölker anwerben, denn die Stadt sei wohl bewehrt und würde sich wohl nicht leichtlich ergeben. Da sagte der Reiter, gerade deshalb reite er ja auf Heidelberg, denn sein Herr habe mit dem dasigen Kurfürsten, dem Pfalzgrafen Philipp, ein Bündnis gemacht, daß er ihm zweihundert reisige Pferde und dreihundert wohlgerüstete Fußknechte sende, die allesamt am Tag vor Sankt Johannes Baptista vor Boppard liegen müßten. Aber das sei das allergrößte Geheimnis, und kein Mensch dürfe davon erfahren, weshalb ich's wiederum alsbald vergessen solle. Bei Spay haben wir uns dann getrennt, weil er über das Gebirge reiten mußte, zuvor aber hat er mich noch schwören lassen, daß ich alles, so er mir anvertraut, auch wirklich und wahrhaftig vergessen wollte. Das hab ich denn auch treulich getan, als ich aber zu Boppard unter dem Tor gewesen bin, da ist mir alles wieder eingefallen, und ich hab zu mir gesagt: Jetzt gehst du auf die Ratsstuben und meldest, was du gehört hast.

Daran habt Ihr wohl getan, Thoms, sagte der Schultheiß, und ob Ihr zwar ein vorwitziges Maul habt, so sollt Ihr doch eine Liebnis in wein und drei Gulden als praemium Belohnung. erhalten. Geht einstweilen auf die Trinkstuben und erwartet uns.

Unter dem Beifallsgemurmel der Versammlung zog sich der Kesselflicker zurück.

Seht Ihr nun, wandte sich der Küfermeister Metzler an Herrn Hermann Kolbe, den geistigen Vater des verhängnisvollen Manifests, das haben wir nun von Eurer Schreiberei! Hab ich nicht immer geraten, dem Kurfürsten glimpflich zu begegnen?

Ich hab nichts andres geschrieben, als was allhier von einem löblichen Rate beschlossen worden ist, verteidigte sich Herr Kolbe. Wenn's nach mir gegangen wär, so hätte man's noch einmal mit einer demütlichen Bitte versucht und mit bescheidnen und sänftiglichen Worten an Seiner Gnaden Gunst und Huld appelliert, auch des Erzstifts Stände und ein hohes Domkapitel zu Trier um Intervention und Schied angerufen.

Davon habt Ihr damals nichts gesagt, entgegnete der Maurermeister Mertloch. Mir ist wenigstens nichts davon wißlich. Habt vielmehr das Manifest gleich in concepto im Entwurf. mitgebracht und eifrig dawider geredet, daß auch nur ein Wörtlein geändert würde.

Wer weiß, ob der Kurfürst des Manifestes halber so in Zorn geraten ist, warf Engel Thull, der Gerber, ein, mich will vielmehr bedünken, wir hätten seine Burg nicht antasten dürfen.

Das haben die vom Adel geraten, rief Johann Adenau, der Schmied.

Nein, nein, nicht wir, antworteten die Herren einstimmig, das hat der Bürgermeister getan, und deshalb ist er gewißlich auch gleich auf Reisen gegangen.

Und den Schultheißen hätten wir auch nicht küren sollen, meinte Peter Bornhofen, das war wider Recht und Herkommen. Zum wenigsten hätten wir uns des Geläuts enthalten sollen, denn das stehet als ein geistlich Ding nur dem Herrn Erzbischof zu.

Was sollen wir jetzt tun? fragte der Schultheiß mit unsichrer Stimme.

Standhalten! rief einer von den Adelsbänken. Mit Reue und Demut richten wir jetzt nichts mehr aus. Wir haben dem Kurfürsten den Handschuh hingeworfen, da dürfen wir uns nicht wundern, daß er ihn aushebt. Wenn wir jetzt nachgeben, ist's mit unsern Privilegien vorbei. Würden ärger bedrückt als je zuvor. Vielleicht, daß der Kurfürst nur droht, aber nachgibt, wenn er merkt, daß wir festbleiben.

Diese letzten Worte warfen einen schwachen Hoffnungsstrahl in die Herzen der Versammelten. Du lieber Himmel, man hatte es wirklich nicht so bös gemeint, man hatte den Kurfürsten ja nur ein wenig einschüchtern wollen! Wer hätte ahnen können, daß er die ganze Sache nun plötzlich ernst nahm!

Herr Im Hof hat recht, meinte Metzler, der Kurfürst will uns angst machen. Da müssen wir ihm zeigen, daß wir nicht gleich in ein Mausloch kriechen. Wenn er die Stadt wohlbewehrt und die Tore verschlossen findet, wird er gewißlich wieder abziehn.

Ich möchte den wohlgeborenen und ehrenfesten Ratsherren proponieren, die heutige Sitzung zu beschließen, dafür uns aber morgen zu guter Stunde wiederum zu versammeln und darüber zu beraten, wie wir als kluge und fürsichtigliche Männer dem feindlichen Angriff begegnen mögen, sagte der Schultheiß. Über Nacht ist schon manchem guter Rat gekommen.

Der Vorschlag fand allgemeine Billigung; als man sich jedoch erhob, meldete sich noch einer von den Adelsbänken, Herr Jakob von Rhens, zum Worte. Es war derselbe, der vorher die Ansicht geäußert hatte, daß die Ritterbürtigen mit ihren gewappneten Knechten ein besserer Schutz für die Stadt als alle Befestigungen wären.

Mit Gunst und Verlaub des Rates möchte ich noch als dringliches propositum Vorschlag. einbringen, daß Meister Mertloch gehalten werde, die Mauer binnen dem Bälzertor und dem Hexenturm, wie er sich freiwillig erboten, um fünf Schuh zu erhöhen, sagte er. Es ist nur darum, daß nachher niemand behaupten kann, ein löblicher Rat hätte etwas unterlassen, so für der Bürger Sicherung vonnöten gewesen.

Darüber können wir morgen früh abstimmen, erwiderte der Schultheiß. Meister Mertloch kann mit der Arbeit ohnehin nicht bei nachtschlafender Zeit beginnen. Er mag indessen einen Anschlag aufsetzen, was es kosten wird, soll aber ein Einsehen haben und kein Sündengeld fordern, denn die Stadt ist in Bedrängnis, und bei Kriegshändeln muß man ungebührlich tief in den Säckel greifen.

Dabei blieb's, die Sitzung wurde geschlossen, und die Väter der Stadt zerstreuten sich. Auf die Trinkstube gingen heute freilich nur wenige; die meisten drängte es, das, was das eigne Herz bekümmerte, so schnell wie möglich daheim und in der Nachbarschaft zu erzählen.

Um diese Zeit wanderte auf dem Leinpfade unter der Stadtmauer ein Mädchen auf und nieder, warf ab und zu einen verstohlnen Blick zu dem Obergeschoß der kurfürstlichen Burg empor und spähte, wenn sich ihr der Stadtknecht, der hier die Wache hatte, näherte, rheinaufwärts, als ob sie von dort irgend etwas erwarte.

In der Burg war alles totenstill, der düstre Bau mit den vier Ecktürmchen und dem die ganze Umgebung überragenden Hauptturm lag im Zwielicht des Sommerabends so ruhig und friedlich da, als sei er ausgestorben oder beherberge doch zum mindesten alles andre als eine kriegsbereite Besatzung. Das niedrige Zollhaus daneben, von der Burg nur durch den Wassergraben getrennt, war der kleinen Belagerungsmannschaft, die aus einem Dutzend städtischer Söldner bestand, als Wachtlokal eingeräumt worden, hier ging es lebhafter zu: die Helden saßen mit Ausnahme des einen, der draußen auf dem Leinpfade patrouillierte, drinnen auf Fässern und Kisten, verzehrten ihr Abendbrot und unterhielten sich mit Würfelspiel. Sie hatten es sich der Hitze wegen bequem gemacht, Koller und Ringkragen abgelegt und Schwerter und Partisanen in eine Ecke gestellt.

Als der Wachthabende wieder bei dem Mädchen vorüberkam, blieb er stehen und faßte sie näher ins Auge.

Jungfer Regina, sagte er, so spät noch hier draußen?

Ach, Ihr seid's, Bürvenich! erwiderte sie, indem sie sich den Anschein gab, als habe sie den Stadtknecht jetzt erst erkannt, das trifft sich gut. Könnt Ihr mir sagen, ob Just Wollenweber mit seinem Nachen schon von Wellmich zurück ist? Er sollte der Frau Äbtissin Nelkenpflänzlein mitbringen, und weil ich morgen doch auf das hohe Kloster muß, so könnte ich dem Alten wohl den Weg ersparen.

Just Wollenweber? Den hab' ich nicht gesehen, antwortete Bürvenich, hab auch erst seit dem Aveläuten die Wache, will gleich einmal nachfragen. Er trat in die Tür des Zollhauses und fragte: hat einer heut abend den Wollenweber gesehen?

Die Antwort mußte verneinend ausgefallen sein, denn er kehrte kopfschüttelnd zu Regina zurück.

Wird sich wohl verspätet haben, meinte er.

Seht Ihr dort oben keinen Nachen? fragte das Mädchen. Ihr habt doch schärfere Augen als ich. Der Stadtknecht wandte sich nach dem Rhein um und reckte den Hals.

Tut mir's zuliebe und geht einmal bis zum Sandturm, da könnt Ihr bis Kamp sehen, bat Regina.

Bürvenich zögerte einen Augenblick, stieß dann aber schnell entschlossen seine Partisane in den Boden und rannte zu dem Turme, der als der am weitesten nach dem Strome vorgeschobene Teil der Stadtbefestigung den Blick vom Leinpfade aus rheinaufwärts behinderte.

Jetzt trat Regina dicht an den Burggraben und erhob den rechten Arm.

Da flog, von unsichtbarer Hand geschleudert, aus dem Giebelfenster der Burg ein Stein herab, auf den ein zusammengefaltetes Blatt Papier gebunden war. Das Mädchen schaute sich nach dem Zollhause um und bückte sich dann rasch nach dem Steine, den sie sogleich in ihrer Gürteltasche verbarg.

Bürvenich kam von seinem Auslug zurück, trocknete sich mit dem Ärmel seines Wamses den Schweiß von der Stirn und sagte:

Bis Kamp ist nichts zu sehen, wer weiß, ob er heut noch zurückkommt!

Wenn er doch noch kommt, erwiderte Regina, so richtet ihm aus, er solle die Pflänzlein in den Rebenstock bringen. Ich mag nicht länger mehr warten, habt Dank für Eure Bemühung!

Und mit schnellen Schritten betrat sie durch das Pförtchen hinter dem Zollhause die Stadt, in deren engen Gassen schon völlige Dunkelheit herrschte. Als sie auf den Markt einbog, kam gerade ihr Vater, der Küfermeister Metzler, aus der Trinkstube und ging nebenan in seine Behausung, ein stattliches Gebäude, das dem adligen Fräuleinstift Marienberg als Kellnerei und Kelterhaus diente und den Namen Rebenstock führte.

Regina mußte gute Gründe haben, ein Zusammentreffen mit dem Vater zu vermeiden. Sie wartete eine Weile, bis er in dem breiten, mit Steinplatten belegten Hausflur verschwunden war, und schlüpfte dann geräuschlos und behende wie eine Katze in das Haus und über die steile Holzstiege in ihre Kammer.

In dem ewigen Lämpchen, das nicht viel Heller als ein Glühwürmchen über der Tür vor dem Bilde der schmerzensreichen Gottesmutter brannte, entzündete sie ein Licht, riegelte die Tür ab, holte den Stein hervor und faltete das Papier auseinander. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und las:

Herzinniglichen und treuen Gruß zuvor. Ist uns durch Gottes gnädige und wunderbare Fügung kund worden, daß von Wesel zween Ochsen gebracht werden. Es bringt sie Simon von Bacharach, der Jude, also daß sie am Sankt Vitustag zu Salzig sind. Bei Nacht sollen sie dann in die Burg geschafft werden. Wenn die Städtischen sie wegnehmen, müssen wir gewißlich Hungers sterben. Trage deshalb Sorge, daß der Leinpfad um die zweite Nachtwache frei ist. Sieh zu, wie du es fertig bringst, bist ja ein kluges Jüngferlein und wirst schon Rat schaffen. Der, den du kennst.

Wenn das Schreiben auch keine Unterschrift aufwies, viel weniger noch ein Sigill, so war es doch ein erfreuliches Dokument für die Tatsache, daß die Beziehungen zwischen Kurtrier und Boppard wenigstens an einer Stelle noch nicht gänzlich abgebrochen worden waren, und daß es noch zwei Menschen gab, die ein rein menschliches Interesse daran hatten, daß die bösen Händel endlich ein Ende nahmen.


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