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Julius R. Haarhaus

Der Dichter, von dessen Werken den Lesern der Rheinischen Hausbücherei in diesem neuen Bande eins als Kostprobe geboten wird, gehört, wenn mich mein Auge nicht täuscht, zu den Sternen am Literaturhimmel, die sich noch im Aufstieg befinden. Seine Erscheinung gleicht zwar nicht den rasch emporflackernden, die ruhigen Sterne an Helligkeit überstrahlenden Meteoren, die meist allzu schnell auch wieder zu erlöschen pflegen, sondern einem bescheiden freundlichen Sternlein, das, von vielen vielleicht nicht beachtet, doch dem, der seiner Bahn folgt, durch sein mildes Leuchten die Seele wärmt, und das, wenn es nur erst den Kulminationspunkt seiner Bahn erreicht hat, doch auch stark genug glänzt, um so leicht nicht mehr übersehen zu werden.

Der Lebensgang des Dichters – was ich davon weiß, verdanke ich im wesentlichen seinen eigenen Mitteilungen – bildet in gewissem Sinne eine Parallele zu dem des Hamburger Lyrikers Gustav Falke. Wie dieser ist er in seinem geistigen Werden wesentlich ein »selbstgemachter« Mann, und bei beiden ging der Periode des Lebens, in der sie Bücher schufen, eine andere voran, in der sie sich auf eine ziemlich prosaische Weise von Berufswegen mit Büchern zu beschäftigen hatten: beide übten, ehe sie sich ganz als ausübende Künstler und Schriftsteller in den Dienst der Literatur stellten, den Beruf eines Buchhändlers, und bei beiden ist es unverkennbar, daß der Umgang mit Büchern, den sie niemals bloß äußerlich pflogen, sondern von vornherein zu einem ganz intimen gestalteten, ihre geistige Entwickelung mehr als alles andere fördernd beeinflußt hat, ohne daß sie dabei das geworden wären, was man gemeinhin mit dem Ausdruck »Büchermenschen« bezeichnet.

In einer Beziehung hat allerdings Haarhaus, der Sohn des Rheinlandes, ein glücklicheres Los gezogen als der Lübecker Kaufmannssohn; die äußere Not blieb seinem Leben fern. Seine Vorfahren von väterlicher Seite, ursprünglich kleine, aber freie Bauern, seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts aber bereits als Bleicher, Bandmacher, »Lindfabrikanten« an der Industrie des Wuppertals beteiligt, hatten sich im letzten Jahrhundert zu Fabrikanten größeren Stils heraufgearbeitet, die nicht nur die Messen zu Frankfurt und Leipzig besuchten, sondern auch lebhafte Handelsbeziehungen mit dem Auslande unterhielten. Der Vater des am 4. März 1867 zu Barmen geborenen Dichters konnte sich schon nach wenigen Jahren von den Geschäften zurückziehen. Er siedelte nach Honnef am Fuß des Siebengebirges über, und in dieser gesunden und landschaftlich schönen Umgebung verlebte der Knabe seine schönsten Kinderjahre. Auch der Großvater mütterlicherseits war Fabrikant; er hatte sich um die Hebung der Elberfelder Industrie hervorragend verdient gemacht und erfreute sich deshalb der besonderen Gunst König Friedrich Wilhelms IV. Die ältere Ahnenreihe der mütterlichen Familie weist aber durch viele Generationen Geistliche und Professoren auf, und der Dichter meint, daß diese Mischung bäuerlichen und theologischen Blutes seine geistige Eigenart wesentlich bestimmt habe.

Mangel an äußeren Mitteln war es also nicht, was den jungen Haarhaus hinderte, sich von vornherein einem geistigen Beruf zuzuwenden. Wie es kam, daß er Buchhändler wurde, ist in der autobiographischen Skizze, die mir der Dichter auf meine Bitte freundlichst übersandt hat, so charakteristisch und zugleich mit so heiter-liebenswürdiger Selbstironie dargestellt, daß ich mich einer unverzeihlichen Unterschlagung gegenüber den Lesern schuldig machen würde, wenn ich den Abschnitt nicht wörtlich hierher setzte. Der Dichter spricht zunächst von den ungünstigen Schulverhältnissen der kleinen Rheinstadt, die ihn zwangen, sich die Vorbildung fürs Gymnasium durch Privatunterricht im benachbarten Königswinter zu erwerben, und fährt dann fort: »Schon bei der Aufnahmeprüfung in Neuwied stellte sich heraus, wie wenig ich wußte, und zugleich auch, wie schwer es mir wurde, das wenige von mir zu geben. Nun folgten mehrere böse Jahre. Ich konnte mich an die für mich neuen Verhältnisse nicht gewöhnen, vermochte dem Unterricht nicht zu folgen und hatte leider mehr Interesse für die Dinge, die uns nicht gelehrt wurden, als für die, die gelehrt wurden. Ich weiß heute noch nicht, wer mehr zu bedauern war: die Herren Pädagogen, deren Kunst mir gegenüber versagte, oder ich selbst. Zum Überfluß kam noch eine schwere Erkrankung hinzu, eine Folge des sonst sehr erfreulichen Winters 1882, wo das Hochwasser des Rheins uns zu unvorhergesehenen Ferien verholfen hatte. Bei meinen Bemühungen, für das kleine Kind eines Hausgenossen aus einem benachbarten Orte Milch zu holen, hatte ich mit meinem aus einem Waschfaß und zwei leeren Weinfässern zusammengefügten Fahrzeug kläglich Schiffbruch gelitten und mir bei dem eiskalten Bade eine Lungenentzündung zugezogen, an die sich noch ein paar andere Krankheiten anschlossen. Für mein Fortkommen in der Schule war das natürlich nicht gerade förderlich, und ich sah es selbst jedesmal als ein Wunder an, wenn ich, was ab und zu wirklich einmal geschah, »das Ziel der Klasse erreichte.« Unter diesen Umständen verzichteten meine Eltern darauf, mich studieren zu lassen, und stellten mir frei, welchen der »ungelehrten« Berufe ich ergreifen wollte. Da man mir die Landwirtschaft als zu »aussichtslos« hinstellte, entschied ich mich für den Buchhandel, von dessen Wesen, Organisation usw. ich zwar keine Ahnung hatte, von dem ich aber annehmen zu dürfen glaubte, daß er meinen Lesehunger befriedigen würde.«

Nach alledem wird nicht anzunehmen sein, daß das Gymnasium den jungen Haarhaus gerade für einen Musterschüler gehalten hat. Daß und wie dieser Schüler, der sich auf gymnasiale Art so wenig bildungsfähig erwiesen hatte, später dennoch, gewissermaßen trotz dem Gymnasium, ein guter Lateiner wurde, ist darum nicht allein für seine Persönlichkeit charakteristisch, sondern bietet auch einen nicht uninteressanten Beitrag zu der brennenden pädagogischen Tagesfrage der Schulreform; ich lasse deshalb die Mitteilungen, die mir der Dichter darüber gemacht hat, hier ebenfalls wörtlich folgen:

»In einem müßigen Augenblick blätterte ich in einem in Schweinsleder gebundenen Oktavbändchen, den Colloquiis des Erasmus von Rotterdam. Zu meinem größten Erstaunen merkte ich, daß es ein Latein war, das ich lesen konnte, ohne erst große Lexika wälzen zu müssen, und daß es ein amüsantes Latein war. Nun stürzte ich mich mit einem wahren Feuereifer auf die Neulateiner, las in buntem Wechsel Erasmus und Hutten, Angelus Politianus und Scaliger, Poggio und Filelfo, Enea Silvio Piccolomini und Petrarca. Dann ging ich langsam rückwärts zu den mittelalterlichen Latinisten, bis ich mich endlich mitten im schönsten klassischen Altertum befand und mit Cicero und Plinius dem Jüngern auf dem vertrautesten Fuße stand.«

Der Selbstunterricht des nunmehr äußerst lernbegierigen Buchhändlerlehrlings beschränkte sich aber selbstverständlich nicht auf das Studium der lateinischen Sprache. Intensive Beschäftigung mit der Kulturgeschichte des Altertums, praktisch gefördert durch Sammeln von römischen Kleinbronzen, Gläsern und Tongefäßen die in seinem damaligen Wohnorte Bonn bei jedem Haus- und Straßenbau massenhaft zutage gefördert wurden dann später mit der Geschichte des Rheinlandes, der Kunst- und Literaturgeschichte, ergänzte die philologischen Studien und bildete zugleich ihnen gegenüber ein wirksames Gegengewicht.

Seine buchhändlerische Tätigkeit begann Haarhaus, wie schon bemerkt, als Lehrling in einer angesehenen Bonner Buchhandlung, in der er auch nach beendigter Lehrzeit noch 1½ Jahre als Gehilfe verblieb. Dann siedelte er nach Leipzig über, wo er zuletzt im Hause Herm. Haessel als Gehilfe tätig war. Im Oktober 1895 vertauschte er seine bisherige Tätigkeit mit der eines Redakteurs und Herausgebers. Er arbeitete in dieser Form zunächst für den bekannten Reclamschen Verlag (erst bei der Universalbibliothek, dann bei der Zeitschrift »Universum«) gab unter dem Titel »Kennst du das Land?« eine Büchersammlung für die Freunde Italiens heraus, in deren einzelnen Bänden Schilderungen der Natur und des Volkslebens, Betrachtungen historisch-politischer Art, aber auch Dichtungen, die zu Italien in Beziehung standen, geboten wurden, zeichnete einige Jahre als Herausgeber eines literarischen Nachrichtenblattes, der »Blätter für Bücherfreunde«, und ist in ähnlicher Art auch heute noch für verschiedene Verlagsbuchhandlungen und Zeitschriften redaktionell tätig. –

Auch seine Laufbahn als Schriftsteller hat Haarhaus bereits in Bonn begonnen. Er war dort mit dem Professor Alfred Nicolovius, einem Enkel von Goethes Schwester Cornelia, bekannt geworden, und dieser hatte ihm viel aus seinen Erinnerungen an Goethe erzählt, bei dem er in seiner frühen Jugend längere Zeit gewohnt hatte. Als der Alte starb, setzte ihm sein junger Freund ein Denkmal, indem er seine Goethe-Erinnerungen im Bonner Tageblatt veröffentlichte. Die erste Arbeit des werdenden Schriftstellers beschäftigt sich also mit dem Altmeister der deutschen Dichtung, und Beiträge zur Goethe-Literatur sind auch seine beiden schriftstellerischen Hauptwerke. Im Jahre 1893 unternahm er eine Reise nach Italien und ließ sich dabei in der Festsetzung seines Reiseweges ganz und gar durch den Gang von Goethes Italienischer Reise bestimmen. Die Eindrücke die er auf dieser Reise von den gegenwärtigen Zuständen gewann, und eingehendes Studium der eigenen Mitteilungen Goethes über seine italienische Reise in den Tagebüchern und Briefen, lieferten ihm den Stoff für eine ausführliche Monographie, die er unter dem Titel »Auf Goethes Spuren in Italien« als ersten, achten und neunten Band der schon erwähnten Sammlung »Kennst Du das Land?« erscheinen ließ. Leipzig, C. G. Naumann. Es ist dies wohl das Ausführlichste, was wir über jenen bedeutungsvollen Abschnitt in Goethes Leben besitzen, und der Umstand, daß der Verfasser den Beobachtungen Goethes über das damalige Italien die eigenen über das heutige als Zeugnisse des Bestehens und Vergehens menschlicher Dinge gegenüberstellen konnte, macht die Lektüre doppelt interessant. –

Hatte Haarhaus in diesem Werke einen Ausschnitt aus Goethes Leben ausführlich dargestellt, so unternahm er es bald darauf, für die Reclamsche Universalbibliothek eine vollständige Goethe-Biographie zu schreiben. Er selbst meint, daß er zu diesem Wagnis heute schwerlich noch den Mut finden würde. Ich glaube, es wird nicht wenig Leute geben, die es ihm Dank wissen, daß er ihn damals gefunden hat. Wenn auch an Gründlichkeit, Vollständigkeit, vielleicht auch an Eleganz des Stils und der Diktion sein Buch hinter den vornehmsten Biographien zurücksteht, so gibt es doch auf Grund der Ergebnisse der neuern Goetheforschung eine anziehende, liebevoll auch das Detail berücksichtigende Darstellung von dem Leben unseres größten Dichters, die sicherlich einer großen Zahl von Volksgenossen zur Vertrautheit mit ihm und seinen Werken verhalfen hat, denen jene größeren Werke aus äußern und innern Gründen unerreichbar sind. –

Das Gebiet der landschaftlich-historischen Schilderung, auf dem sich das Werk »Auf Goethes Spuren in Italien« bewegte, hat Haarhaus dann noch einmal mit einer Sammlung kurzer Skizzen Leipziger Spaziergänge. Verlag von Johannes von Schalscha-Ehrenfeld, Leipzig. betreten, in denen er nach der einen oder anderen Richtung hin interessante Plätze aus Leipzig und dessen Umgebung würdigt und so seine zweite Heimat gegen ein allgemeines Vorurteil, das ihr landschaftliche Schönheit abstreiten will, in Schutz nimmt. Vielleicht hat er durch diese Spaziergänge sogar manchem Leipziger die Augen für Schönheiten geöffnet, die ihm bisher verborgen waren; sicher wird ihm der Fremde, der Leipzig besucht, dankbar dafür sein, daß er ihm den Weg zu Sehenswürdigkeiten weist, die in einem Reiseführer zumeist nicht berücksichtigt werden.

Und nun endlich ein paar Worte über den Dichter Haarhaus, von den poetischen Versuchen, die er bereits in seiner Bonner Zeit in lyrischen Monatsschriften abgedruckt sah, kann ich nicht reden, da ich sie nicht kenne. Daß er zwei Lustspiele des Venezianers Carlo Goldoni, des Reformators der italienischen Komödie im 18. Jahrhundert, in Versen übersetzt und mit einem (Mirandolina) auch Bühnenerfolge errungen hat, während das andere (Der Fächer) bis jetzt das Licht der Rampen noch nicht erblicken durfte, mag kurz erwähnt sein. Wichtig sind für uns ja vor allem seine Erzählungen. In den frühesten – »Christnachtphantasien«, »Makulaturalia«, »Geschichten aus drei Welten« – tummelt sich der Dichter zumeist in der phantastischen Welt des Märchens; nur in der letzten Sammlung sind einige Erzählungen, die schon auf das Gebiet hinüberleiten, auf dem Haarhaus bisher sein Bestes gegeben hat, das der kulturhistorischen Novelle. Das erste größere Werk dieser Gattung war die Erzählung »Der Marquis von Marigny«, die uns mit den Schicksalen einer vor den Stürmen der Revolution nach Koblenz, der Residenz des gastlichen Erzbischofs von Trier, geflohenen französischen Adelsfamilie bekannt macht, dabei zugleich ein anschauliches Bild des Zeitalters entrollt und besonders in der äußerst lebensvollen Charakteristik der originellen Hauptperson von der Kunst ihres Verfassers ein rühmendes Zeugnis ablegt. – Die späteren Erzählungen sind, nachdem sie zunächst in den »Grenzboten« abgedruckt waren, in dem Sammelbande »Unter dem Krummstab« Verlag von Fr. Wilh. Grunow, Leipzig. enthalten. Eine davon ist »Der Bopparder Krieg«, über den ich füglich nicht zu reden brauche, da ja die Leser Gelegenheit haben, sich selbst ein Urteil darüber zu bilden. Sie lernen darin eine besonders liebenswürdige Seite des Dichters kennen: seinen echt rheinischen, schalkhaften und doch so warmen und gemütvollen Humor, mit dem er sich ebenso wie mit der Kunst, die Vergangenheit seiner Heimat lebendig in unsere Gegenwart emporzuzaubern, seinem älteren Landsmann Wilhelm Heinrich Riehl würdig an die Seite stellt. Dieser alle Erscheinungen des Lebens goldig umsäumende Humor fehlt auch in den Erzählungen nicht ganz, die, wie »Der Mönch von Weinfelden«, »Die St. Michaelskinder, »Das Georgenhemd«, ihrem eigentlichen Wesen nach ernst, ja tragisch gerichtet sind, und die hierdurch das Herz des Lesers zugleich rühren und ergreifen. –

Mehr über den Inhalt der Erzählungen zu sagen, unterlaß ich. Wenn meine kurzen Bemerkungen mit dazu beitrügen, die Leser des Bopparder Krieges, der ja selbst das meiste dabei tun wird, auch auf die übrigen Schöpfungen des Dichters neugierig zu machen, so würde ich mich darüber von Herzen freuen, und die Leser werden, glaube ich, wenn sie ihre Neugier befriedigen, nicht weniger erfreut sein. –

Berlin im Juni 1907.
C. L. A. Pretzel.


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