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2. Kapitel

Als Regina am nächsten Morgen aus ihrer Kammer trat, fand sie das väterliche Haus schon in der größten Aufregung. Die geräumigen Gemächer im ersten Stockwerk, die jederzeit zur Verfügung der Äbtissin und ihrer Damen stehen mußten und für gewöhnlich verschlossen waren, wurden einer großen Reinigung unterzogen. Durch die weitgeöffneten Fenster drang die warme Luft des Junimorgens und kämpfte einen siegreichen Kampf gegen die muffige Kühle, die von den getünchten Wänden ausging. Der Staub, der monatelang auf den gewaltigen Schränken, Truhen und Tischen aus dunkelbraunem Eichenholz gelegen hatte, geriet bei dem plötzlich entstandenen Zugwind in Bewegung, und hie und da tauchte schon eine Magd mit Kehrbesen und Scheuersand auf, um den reinigenden Naturkräften zu Hilfe zu kommen. Die alte Metzlerin, des Küfermeisters Hausfrau, ein rüstiges, rundliches Weiblein, war überall zugleich, bestrich die weißen Dielen, die unter der von der Decke herabhängenden Zinnlampe einen kreisrunden Ölflecken aufwiesen, mit feuchtem Ton, fegte die Schränke aus und trug die Betten aus den mächtigen, mit Baldachinen und Stufen versehenen Laden auf die Fensterbänke in den warmen Sonnenschein.

Als sie den Schritt ihrer Tochter auf der Treppe vernahm, eilte sie ihr auf den Flur entgegen und rief:

Hast doch die Werktagskleider an, Gin? Und nun wacker mit zugegriffen! Müssen alles für die Frau Äbtissin und die Fräuleins parat machen. Es wird Krieg!

Krieg?

Frag nicht lang! Komm und hilf mir die Betten sömmern. Kann sein, daß die Fräuleins schon heute einziehen. Der Vater ist aufs hohe Kloster, der Frau Äbtissin die Nachricht zu bringen und ihre Befehle zu erbitten.

Krieg, Mutter? Zieht der Kurfürst doch wider die Stadt? fragte Regina.

Wer sonst als der Kurfürst? Nun steh nicht lang und halt Maulaffen feil, in der langen Kammer sind auch noch Betten, erwiderte die Mutter ungeduldig.

Ach, sagte Regina, indem sie ein schon in der Sonne liegendes Kopfkissen langsam umwandte, wenn Krieg wird, was mag dann mit denen in der Burg werden? Die armen Menschen leiden jetzt schon Hunger –

Was du nur immer mit den Kurfürstlichen hast! erwiderte die Alte streng, laß das nur den Vater nicht hören!

Will mir noch immer nicht in den Sinn, daß nun alles anders sein soll als vordem, sagte das Mädchen bekümmert. Früher, wenn da der Wygant zu uns in den Rebenstock kam, da war die Freude groß, und der Vater zapfte vom Besten, und Ihr selbst hattet immer ein Kümplein mit Brühe und etlichen Fleischstücklein vom Mittag her für ihn im Spind stehn – und jetzt soll man nicht einmal von ihm reden. Und war doch immer ein lustiger Gesell und gar nicht hochfahrend, ob er doch gleich vom Adel war. Und wie die Kleinen an ihm hingen und gar nicht die Vesperzeit erwarten konnten, wo er bei uns vorsprach, sonderlich das Peterlein, dem er die schöne Armbrust geschnitzt hat und das hölzerne Schwert und den Schild aus dem Faßdeckel!

Mußt nicht mehr daran denken, mahnte die Mutter, deren Stimme jetzt ein wenig weicher klang, es hilft ja nichts. Er ist des Kurfürsten Schloßhauptmann und darum unser Feind. Seit der Vater im Rate sitzt, darf er mit denen in der Burg nichts mehr gemein haben. Hätt' der Kurfürst Recht und Herkommen nicht angetastet, wär alles geblieben wie zuvor. Aber nun müssen wir abwarten, wie alles ausläuft, und wie die lieben heiligen es fügen. Nun geh und trag die Betten ans Fenster, wir haben noch viel zu schaffen heut, und mit dem Schwätzen bringen wir nichts vom Fleck! –

Regina streifte die Ärmel empor und ging seufzend an die Arbeit. Die Mutter schob einen Schemel vor den großen Kredenzschrank im Staatszimmer, stieg hinauf und holte die zinnernen Prunkstücke herab, um sie zu scheuern. Da näherte sich von der Treppe her das Getrippel schneller Füße. Drei Bürschlein von acht oder neun Jahren stürmten in das Gemach, voran der kleine Peter, der verwöhnte Spätling des Hauses. Er war bis an die Zähne bewaffnet, schwenkte seinen Faßdeckelschild, fuchtelte mit dem hölzernen Schwert durch die Luft und rief:

Eia, es gibt Krieg! Feindio! Feindio!

Die Mutter fand trotz der dringlichen Arbeit Zeit, dem kleinen Gewappneten einen freundlichen Blick zuzuwerfen.

Ist brav von dir, Peterlein, daß du dich nicht fürchtest, sagte sie, will's dem Vater sagen, daß er dich mit auf den Wehrgang nimmt, dann wird der Feind gewißlich abziehn.

Oha! erwiderte der Junge, will gar nicht boppardisch sein, und der Balduin und der Heinz wollen's auch nicht. Weißt du, was wir sind, Mutter? Sind gut kurfürstlich und wollen auf die Burg, den guten Junker Wygant, den die bösen Stadtknechte so hart bedrängen und hungern lassen, heraushauen! Feindio! Feindio!

Dabei schlug er mit seinem Schwerte so gewaltig auf den Schild, daß die Mutter den zinnernen Pokal der Faßbinderzunft, den sie gerade in den Händen hatte, auf die Dielen setzte und sich die Ohren zuhielt.

Macht, daß ihr hinauskommt, ihr Lotterbuben! rief sie, und laßt mich nicht wieder solche unziemliche Reden hören, sonst sag ich's dem Vater!

Die Gewappneten stürmten davon, und Balduin und Heinz, die Nachbarsbuben, polterten die Stiege hinunter, als sei ihnen der Feind schon auf den Fersen. Peterlein wollte ihnen nach, fühlte sich aber plötzlich von den kräftigen Armen der Schwester in die Höhe gehoben und mußte es dulden, daß sie ihm ein paar tüchtige Küsse auf die von Kampfeslust geröteten Wangen drückte.

Bist ein braver Bub, sagte sie, und nachher, wenn die Mutter in der Küche ist, dann komm in meine Kammer, will dir den silbernen Gnadenpfennig mit dem Sankt Georg schenken, um den du mich solange gequält hast.

Der Knabe, der sich anfangs in seiner männlichen Würde gekränkt gefühlt und gegen die schwesterlichen Liebkosungen durch energisches Zappeln und Strampeln gewehrt hatte, gab jetzt seinen Widerstand auf, sah dem Mädchen in die Augen und fuhr mit seiner kleinen, nicht gerade übermäßig saubern Hand über ihr volles nußbraunes Haar, das in zwei starken Zöpfen bis auf den Gürtel hinabfiel.

Bist auch kurfürstlich, Gin? fragte er leise.

Regina nickte. Sag's aber keinem, bat sie, wollen hoffen, daß alles ein gut Ende nimmt.

Möchtest du nicht, daß Krieg wird? fragte der Junge.

Wär besser, er blieb uns erspart, antwortete sie.

Du, Gin – meinte Peter zögernd, aber die Stücke und die Feldschlangen möchte ich doch einmal donnern hören. Muß eine gar lustige Musika sein. Dann rannte er davon, seinen Spielgefährten nach, die schon gefürchtet hatten, ihr Anführer sei in die mütterliche Gefangenschaft geraten.

Seit das Mädchen wußte, daß sie in dem kleinen Bruder, der im Rebenstock Regen und Sonnenschein machte und sogar dem strengen Vater gegenüber gelegentlich mit kindlichem Eifer seine Meinung vertrat, einen Bundesgenossen hatte, ging ihr die Arbeit leichter von der Hand. Sie ertappte sich sogar einmal zu ihrem eigenen Erstaunen dabei, daß sie, während sie vor dem Wäscheschränke stand und die lavendelduftenden Bettlaken von feiner Klosterleinwand abzählte, ein Liedlein vor sich hinsummte.

Als der Vater kurz vor Mittag heimkam, war schon alles zur Aufnahme der Gäste hergerichtet. Er ging von Gemach zu Gemach und prüfte die Vorbereitungen. Zum Essen nahm er sich kaum Zeit, denn die Äbtissin hatte ihm aufgetragen, für die Schwestern, die im Rebenstock nicht untergebracht werden konnten – und das waren im ganzen vierundachtzig, – in den angesehensten Bürgerhäusern der Stadt Quartier zu machen. Das war keine leichte Arbeit, denn der Konvent wollte schon am nächsten Tage in die Stadt ziehen, und der Häuser, die den adligen Damen standesgemäße Unterkunft bieten konnten, waren nicht allzu viele. Dazu kam, daß auch die Klosterfrauen des Franziskanerstifts St. Martin, das ebenfalls außerhalb der Stadtmauern lag, in Boppard beherbergt werden mußten, und daß man überdies in den nächsten Tagen den Adel aus der weitern Nachbarschaft, der in der Stadt begütert war oder mit der Einwohnerschaft in Schutz- und Trutzbündnis stand, samt einem großen Gefolge von Knechten erwartete.

In der Ratsversammlung, die heute schon kurz nach Sonnenaufgang zusammengetreten war, hatte man beschlossen, die befreundeten Ritterbürtigen durch reitende Voten nach Boppard laden zu lassen, auch Meister Mertloch den Auftrag erteilt, unverzüglich mit der Erhöhung der Mauer zu beginnen. So sah sich die ganze Stadt mit einem Schlage in die lebhafteste Tätigkeit versetzt: überall wurde geschlachtet und gepökelt, gebraut und gebacken, gezimmert und getischlert; neben Meister Mertloch und seinen Gesellen arbeiteten Ratsherren und Bürgersöhne freiwillig am Neubau der Stadtmauer, schleppten trotz der sengenden Junisonne unverdrossen Steine herbei und mengten den Mörtel. Andere erneuerten und verstärkten die Bedachung des Wehrgangs, die Schuster trugen ihre Pechvorräte auf die Türme, und die Steinmetzen hantierten Tag und Nacht mit Meißel und Schlägel, um die städtischen Kartaunen mit Munition zu versehen.

Am Montag um die Mittagstunde hielten die Klosterfräulein von Marienberg ihren Einzug in die Stadt. Zuerst kamen die Wagen mit der fahrenden Habe des Stifts: die mächtigen Kasten aus Eichenholz, die den Silberschatz des Klosters, die kostbaren Altargeräte und Meßgefäße, die massiven Statuetten der heiligen, die Leuchter und die Wandlichter, den großen Tafelaufsatz, die Karaffinen, Waschbecken, Gießkannen, Bratenschüsseln, Suppenschalen, Kredenzplatten, Teller, Becher, Löffel und Messer enthielten, dann das Klosterarchiv, die wertvollsten Stücke der Bibliothek, die gewaltigen Lederbände mit den Antiphonaren und den Gradualen, endlich die Vorräte an selbstgewebten Linnen und Wollenstoffen. Jeder Wagen wurde von zwei bewaffneten Knechten eskortiert, denen sich die Holzfelder Bauern, die als des Klosters Untertanen zur Hilfeleistung in außerordentlichen Fällen verpflichtet waren, anschlossen. Dann folgte Pater Vincentius, der Propst, mit der goldenen Monstranz und die beiden Mesner mit dem Reliquienschrein, und ihnen schlossen sich in langem Zuge die Chorfräulein, Laienschwestern und Novizen an, geführt von der Äbtissin, der Wild- und Rheingräfin Margaretha, der das jüngste Chorfräulein, Anna von Dalberg, den schweren, mit Edelsteinen besetzten Krummstab vorausgetragen.

An der Bälzerpforte standen der Schultheiß, eine Deputation des Rates und der Stiftsküfermeister Metzler zum Empfange der Flüchtlinge bereit und geleiteten sie in ihre Quartiere. Auch wer von der Bürgerschaft gerade abkömmlich gewesen war, hatte sich am Tore eingefunden und begrüßte die Gäste entweder mit respektvollem Schweigen oder mit lautem Zuruf. Das leichtlebige Völkchen hatte sich in der kurzen Zeit mit dem Gedanken an die Belagerung der Stadt schon so vertraut gemacht, daß es keine ernstliche Sorge mehr empfand und den neuen, ungewohnten Zustand als eine ergötzliche Abwechslung im alltäglichen Einerlei des Lebens begrüßte. Auch die Konventualinnen schienen Ähnliches zu empfinden, und außer der Äbtissin trugen nur ein paar der allerältesten Damen besorgte Mienen zur Schau. Desto lustiger sahen Beatrix von Leiningen und Elisabeth Beyer, das unzertrennliche Freundinnenpaar, aus: sie freuten sich auf das ungebundene Leben, das sie nun in Elisabeths väterlichem Hause führen durften.

Die Damen verteilten sich durch die ganze Stadt, und die Äbtissin begab sich mit der Priorin Cäcilia von Ingelheim, der Kellnerin Apollonia von Solms, der Sakristanin Pfalzgräfin Katharina und den beiden zu ihrer persönlichen Bedienung verordneten Laienschwestern in den Rebenstock, dessen Tür mit einem Gewinde von frischem Grün und bunten Sommerblumen bekränzt war.

Auf dem kühlen Hausflur kam ihnen Frau Metzlerin entgegen. Sie hatte bis zum letzten Augenblick mit der Zurichtung des Mahles zu tun gehabt und machte nun erhitzt und kurzatmig ihre Reverenz.

Will hoffen, daß Ihr Luch unsertwegen nicht allzusehr bemüht habt, liebe Metzlerin, sagte die Äbtissin leutselig, in diesen bösen Zeitläuften wollen wir uns gern mit drei Platten begnügen.

Sind auch dieses Mal nicht mehr als drei, hochedelgeborne und ehrwürdige Frau, und noch dazu lauter gemeine Sachen, wie man's in der Eile zusammenbringen konnt. Zum ersten einen Salmen –

Einen kurfürstlichen oder einen städtischen? fragte die hohe Dame, heiter auf einen der wichtigsten casus belli Anlässe zum Kriege. anspielend.

Einen kurfürstlichen, der sich im städtischen Garn gefangen hat, erwiderte die Metzlerin dreist und schlagfertig.

Und sodann?

Sodann Brustkern mit Zugemüs, letzlich gebratne Hinkel mit einem Salätlein und gesottnen Stachelbeeren. Voran aber ein Süpplein –

Ach, über euch Bopparder Weiber! rief die Äbtissin, wir haben wahrlich an dem Süpplein genug, das uns eure Männer eingebrockt haben!

Jetzt wurde in der Tür zum Wohngemach der Kopf von Metzlers Jüngstem sichtbar.

Ei, da ist ja auch der Peter! sagte die hohe Frau, deren hellen Augen nichts entging, komm einmal her, Büblein, und laß sehen, wie groß du geworden bist seit der Weinlese.

Der Knabe zog sich langsam zurück und lauerte verlegen durch den Türspalt.

Er fürchtet sich noch immer vor unsern Kappen, meinte die Äbtissin, das tat er schon, als er noch ganz klein war. Und sich zu einer der Laienschwestern umwendend, sagte sie lauter:

Das Tütlein mit dem Marzipan, Schwester Agnes!

Die Angeredete zog das verlangte hervor und reichte es der Domina Abatissa hin. Da öffnete sich der Türspalt immer weiter, und Peterlein kam zum Vorschein.

Hab dir ein wenig Naschwerk mitgebracht, Bürschlein, sagte die Matrone, indem sie dem Kinde die Tüte hinhielt. Und zur Mutter gewandt, fügte sie hinzu: Ist Venediger Marzipan, aber freilich schon ein bißchen dürr, wir hatten's noch vom März her, wo der große Schmaus war, als die von Dalberg Profession tat.

Der Knabe streckte die Hand nach der seltenen Leckerei aus und sagte freimütig:

Dürr oder frisch – das tut nichts, wenn einer solang hat hungern müssen, der ißt's schon.

Die Frauen sahen einander erstaunt an.

Hast hungern müssen, armes Peterlein? fragte die Äbtissin lachend. Siehst aber wahrlich nicht aus, als ob du bei deinen lieben Eltern Not littest! Sie klopfte mit ihrer kräftigen, aber wohlgepflegten weißen Hand dem Kinde die vollen roten Backen.

Nein, erwiderte der Knabe, ich nicht, aber ein andrer.

Wer denn?

Darf's nicht sagen, sonst haut mich die Mutter.

Sag's getrost, Bub, sagte die Domina, wenn ich ein Wort für dich einleg, haut dich die Mutter nicht.

Gewiß nicht? fragte der Knabe, die Mutter mit einem ungläubigen Blicke streifend.

Gib der hochedelgebornen und ehrwürdigen Frau getrost Antwort! befahl die Metzlerin.

Willst du den Marzipan nicht selber essen? fragte die Äbtissin, sich zu dem Kinde niederbeugend, wem willst du's denn geben?

Dem Junker Wygant, den die garstigen Stadtknechte wollen Hungers sterben lassen.

Junker Wygant? Die Dame sah die Hausfrau verwundert an.

Ist der Modersbacher, hochedelgeborne, der kurfürstliche Schloßhauptmann, kam vorzeiten, da man noch nichts von den Händeln wußte, zuweilen in den Rebenstock, antwortete Frau Metzlerin verlegen, und da hat er mit dem Peter seinen Spaß getrieben.

Mit der Gin noch viel mehr, ergänzte der Knabe den mütterlichen Bericht, und weil er nun hungern muß, deshalb sind wir betrübt – ich und die Gin, und weil die Gin manchmal weint, hab ich ihr versprochen, ich will dem Wygant Speise bringen. Die Stadtknechte werden mich gewißlich in die Burg lassen.

In den Mienen der Domina kämpfte weibliches Mitgefühl mit dem überlegenen Spott der welterfahrenen Frau, die den Dingen auf den Grund zu schauen versteht. Über das Mitgefühl trug den Sieg davon: sie zog das Kind an sich und legte ihm beide Hände auf die blonden Locken.

Bist ein braves Büblein, sagte sie, mußt fleißig zu den lieben Heiligen beten, daß sie wieder Frieden werden lassen. Dann wird auch der Junker wieder aus der Burg können und im Rebenstock vorsprechen und seinen Spaß mit dir treiben – mit dir und der Gin, setzte sie hinzu, indem sie der Metzlerin einen verständnisvollen Blick zuwarf.

Dürft nichts Übles davon denken, hochedelgeborne, beeilte sich die Mutter zu bemerken, ist alles in Ehren und Züchten geschehen. Und die Regina ist doch ja auch noch ein halbes Kind. –

Das Gespräch der Frauen wurde durch den Eintritt der Knechte unterbrochen, die damit begonnen hatten, die Wagen abzuladen und Kisten und Kasten in das Haus zu tragen. Die Äbtissin begab sich mit ihren Damen in die Gemächer des Oberstocks, um die Arbeit der Leute zu überwachen und jedem einzelnen Teile der geflüchteten Habe seinen Platz anzuweisen. Bald darauf erschien auch der Propst und meldete, daß der Reliquienschrein in der Sakristei der Severikirche niedergesetzt und der Obhut der Chorherren anvertraut worden sei.

Gott sei Dank! sagte die Domina, der Sorge sind wir ledig. Nun, da unsre lieben Heiligen geherbergt sind, dürfen wir getrost an uns selber denken. Und sie sandte Schwester Agnes mit der Weisung in die Küche, man möge das Mahl auftragen.

Die Damen nahmen ihre Plätze an der Tafel ein, und der Propst, den man heute mit einer durch die besondern Umstände gerechtfertigten Abweichung von der Klosterordnung zu Tisch gezogen hatte, sprach das Gratias. Dann erschienen Regina und die beiden Mägde mit den Speisen, die in dem schweren Silbergeschirr des Klosters aufgetragen wurden. Die Äbtissin rief die Tochter des Hauses, die sie vorher nur flüchtig gegrüßt hatte, zu sich und reichte ihr die Hand zum Kusse. Das Mädchen fühlte, daß die hellen, alles durchdringenden Augen der Matrone heute ganz besonders prüfend auf ihr ruhten, und errötete.

Nach Tisch zog sich die Domina in ihr Kabinett zurück, und bat Regina, ihr zu folgen. Sie selbst setzte sich in den hohen geschnitzten Lehnsessel am Fenster, während das Mädchen auf einem Schemel zu ihren Füßen Platz nehmen mußte. Das war nichts Außergewöhnliches. Die Äbtissin war dem muntern, aufgeweckten Kinde schon zu der Zeit, wo sie noch das Amt der Priorin bekleidet hatte, immer herzlich zugetan gewesen, und daran hatte auch ihre Erhebung zu der höchsten würde nichts zu ändern vermocht, wenn die Damen im Rebenstock wohnten – und das geschah alljährlich gewöhnlich um die Fastnachtszeit und während der Weinlese, – mußte Regina den ganzen Tag über der Domina zur Verfügung stehen, der es Freude machte, sich mit ihr zu unterhalten und sie in den mancherlei Künsten und Handfertigkeiten, wie sie im Kloster geübt wurden, zu unterweisen. So hatte sich zwischen der hohen Frau, die einem der edelsten Geschlechter des Landes entstammte, und die schon in ihrer äußeren Erscheinung: dem stattlichen Wuchs, der zarten, rosigen Hautfarbe und den kühlen, blauen Augen das Urbild einer geistlichen Würdenträgerin war, und dem jungen, braunen Bürgermädchen eine Art von freundschaftlicher Zuneigung entwickelt. Regina pflegte der Gönnerin von ihren kleinen Freuden und Sorgen zu berichten – besonders von solchen, für die sie bei ihrer tüchtigen und derben Mutter kein Verständnis erwarten durfte, – und die Äbtissin hörte ihr mit ungeheuchelter Teilnahme zu und wußte für alles Rat. So war es schon vor zehn Jahren gewesen. Damals war Regina aus kindlicher Begeisterung für das der Kirche geweihte Leben ihrer frommen mütterlichen Freundin auf den Gedanken gekommen, ihre Puppen geistlich werden zu lassen, und die Äbtissin hatte ihr aus allerlei Läppchen schwarzen Wollenstoffs und weißer Leinwand bereitwillig Habits und Kappen für die hölzernen Döcklein zurechtgeschneidert. Als aber die älteren Damen des hohen Klosters ob dieser von weltlicher Eitelkeit abgewandten Gesinnung des Kindes große Freude an den Tag gelegt und der Mutter zu der künftigen jungen Laienschwester gratuliert hatten, da hatte die Domina mit Entschiedenheit geäußert, Regina passe ganz und gar nicht für den geistlichen Beruf und werde als ein echtes Weltkind nie daran denken, den Schleier zu nehmen.

Und darin hatte die Domina recht behalten – zu ihrer eignen Freude und Genugtuung. Schon seit etlichen Jahren hatte sie mit liebevoll beobachtendem Auge bei dem zur Jungfrau erblühenden Kinde nach den kleinen aber untrüglichen Anzeichen ausgeschaut, die über kurz oder lang dartun mußten, daß ihr Schützling gesonnen sei, sich noch enger an die Welt zu ketten, aber bis dahin war kein solches Anzeichen zu entdecken gewesen, heute jedoch glaubte die Matrone auf der rechten Spur zu sein.

Von dem Salmen ist ein gut Teil übrig geblieben, sagte die Äbtissin, während sie so gleichgültig wie möglich auf die Gasse hinabschaute, schade, daß wir's nicht denen in der Burg senden können. Würden uns gewißlich Dank wissen.

Das Mädchen sah erstaunt zu der Äbtissin empor.

Wird wohl nun bald an die sechs Wochen sein, daß sie eingeschlossen sind, fuhr diese fort, und wer weiß, ob sie sich zuvor mit Speise versehen hatten.

Sechs Wochen und vier Tage werden's heut, berichtete Regina, der plötzlich die Tränen in die Augen traten.

Sechs Wochen und vier Tage? Das weißt du ja recht genau, hast wohl ein herzliches Mitleid mit ihnen? fragte die Domina teilnehmend.

Das Mädchen preßte beide Hände vor das Antlitz und schluchzte zum Erbarmen. Die schlimmen Stadtknechte lassen nichts hinein, sagte sie, in der Samstagnacht haben sie erst wieder drei Hämmel weggefangen. Und so werden die armen Menschen Hungers sterben müssen.

Sind gewißlich böse Gesellen, die kurfürstlichen, und verstockte Sünder, denn sonst würden Gott und die lieben Heiligen wohl ein Wunder tun. hat nicht einst ein Rabe unserm Patron Sankt Benedicto Brot gebracht, da er vor seinen Widersachern in die Einöde geflohen war?

Ach – heilige sind's wohl nicht, sagte Regina, aber arge Sünder auch nicht, wenigstens nicht alle. Es möchte doch wohl ein Gerechter darunter sein.

Herr Emmerich von Nassau?

Den kenn' ich nicht.

Der Junker von Modersbach?

Welcher? Sind zwei Modersbacher in der Burg, heißt nicht einer Wygant?

Bei der Nennung des Namens brach das Mädchen in einen neuen Tränenstrom aus.

Sieh einer an! sagte die Äbtissin, indem sie mit beiden Händen leise über Reginens Haar strich, also der Junker Wygant! Um seinetwillen zürnt mein Ginlein den Stadtknechten, die doch an den Händeln keine Schuld haben und nur nach des Rates Gebot tun.

Ach Domina, gestand Regina zerknirscht, und ich hab ihnen alles Üble auf den Hals gewünscht, sonderlich den beiden, die die Hämmel weggeschnappt haben!

Das hätte mein kluges Ginlein nimmer tun dürfen. Wir Weiber sollen uns nicht in die Händel der Männer mengen. Ist wider geistlich und weltlich Gebot. Wie willst du das wieder gut machen?

Das Mädchen trocknete die Tränen und schaute zu Boden.

Mit der Reue allein ist's nicht getan, fürcht' ich, sagte sie, während über ihr noch feuchtes Antlitz ein Schimmer von Heiterkeit glitt, ich werde den Knechten wohl etwas Liebes erweisen müssen. Wenn ich dürft', würd ich ihnen eine Kanne Weins hinaustragen – aber nicht von dem geringen, vielmehr ein gutes Tröpflein, wie sie noch keins getrunken. Ob das wohl die rechte Sühne wär'?

Woher denkst du den Wein zu nehmen? fragte die Matrone lächelnd.

Das ist's ja grad, was mir Sorge und Pein macht, erwiderte Regina, sintemalen der Vater nichts davon erfahren darf.

Und wann willst du den Knechten die Liebnis hinausschaffen?

In der Nacht zum Samstag. Sind alsdann dieselben vor der Burg, die die Hämmel abgefangen haben. Der Wein muß draußen sein, sobald die zweite Nachtwache begonnen hat.

Die Domina faßte Reginens Kopf zwischen beide Hände und sah ihr prüfend in die Augen. Sie hatte plötzlich alles verstanden.

Ei ei, Ginlein! sagte sie, das ist also deine Reue! Der Wein muß um die zweite Nachtwache draußen sein. Grad um die zweite! Soll ich dir sagen, weshalb? Weil um die zweite Nachtwache wiederum Hämmel geländet werden sollen. Hab' ich recht?

Regina preßte ihr Gesicht in den Schoß der Gönnerin und stammelte verwirrt und beschämt: Gewißlich keine Hämmel, Domina Abatissa, aber – zween Ochsen.

Mich will bedünken, die lieben heiligen wollen doch ein Wunder tun, sagte die Äbtissin milde, aber mit leisem Spott, sie wollen die Kurfürstlichen nicht Hungers sterben lassen. Da müssen wir ihnen freilich zu Hilfe kommen. Geh, Kind, und schick den Vater herauf.

Regina erhob sich und bedeckte die Hände der Matrone mit Küssen. Dann verließ sie das Gemach und eilte schnell wie ein Wiesel die Treppe hinab.

Wenige Augenblicke später stand Meister Metzler vor der Gebieterin.

Sind neue Nachrichten vom Kurfürsten da? fragte sie.

Ist ein Reitender von Koblenz angekommen, der hat dem Rat kundgetan, daß der Kurfürst Söldner anwirbt, berichtete Metzler. Der Zug soll die Mosel hinaus gehen bis Hatzenport und dann über das Gebirge.

Ist die Stadt wohl mit Speise versorgt, sonderlich mit Vieh?

Wir schreiben heut erst den zwölften, hochedelgeborne und ehrwürdige Frau, und der Feind wird nicht vor Sankt Johannisabend vor die Stadt rücken. Ein löblicher Rat hat deshalb beschlossen, das Vieh erst am einundzwanzigsten aus den Dörfern zu holen, also daß man zuvor nicht unnütze Arbeit mit dem Warten und dem Füttern hat.

Wenn es alsdann nur nicht zu spät ist, bemerkte die Äbtissin nachdenklich, aber das mag des Rates Sorge sein. Wie steht's denn mit denen in der Burg?

Sind wohl verwahrt, hochedelgeborne, nicht anders denn die Mäuslein in der Falle.

Regina hat mir erzählt, daß sie Hunger leiden.

Metzler machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: Also bleiben sie vor der Sünde der Völlerei bewahrt. Was kümmert's die Gin?

Eure Tochter hat mit den Leuten ein christliches Erbarmen, Metzler. Daß Ihr sie mir deshalb nicht scheltet! hab ihr selber schon einen Sermon gehalten, sonderlich weil sie den Stadtknechten ihrer Wachsamkeit halber Übles wünschte. Aber eine kleine Strafe soll sie doch haben. Meint Ihr nicht auch?

Metzler rieb sich die Hände, er wußte offenbar nicht recht, worauf die Domina hinauswollte.

Eine Strafe könnt' der Gin nicht schaden, sagte er endlich, sonderlich da sie's heimlich mit den Kurfürstlichen hält, ob ihr Vater gleich im Rate sitzt.

Seht, das ist's, warum ich ihr eine Buße auferlegen möchte, sagte die Äbtissin. Und wißt Ihr, worin die bestehn soll? Regina muß den Knechten selbst eine Liebnis an Wein hinausbringen – natürlich in meinem Namen, von der Greifenklau Zeiten her müssen im Keller noch etliche Fäßlein Malvasier liegen.

Nur noch zwei, hochedelgeborne. Es waren vordem vier, aber eins ist bei Eurer seligen Vorgängerin Gräbnis getrunken worden, das andre, als die von Manderscheid Profeß tat.

Wißt Ihr, wieviel die Fäßlein halten?

Das große eine halbe Ohm, das kleine vielleicht vier Sester.

Gut. So soll der Balthes das kleine auf ein Wägelein laden und vor die Burg fahren, und Eure Tochter mag mitgehn und es den Knechten darreichen. Aber erst in der Nacht zum Samstag, wenn die Guardia auf dem Leinpfad steht, die neulich die Hämmel erwischt hat.

Hat die Domina sonst noch Befehle?

Weiter keine.

Metzler verneigte sich und zog sich zurück. Er hätte gar zu gern seinem Befremden darüber Ausdruck gegeben, daß der kostbare, starke griechische Wein an die städtischen Knechte verschwendet werden sollte, für die doch der saure Filsener auch genügt hätte, aber er wußte, daß die hohe Frau keine Widerrede duldete, und zog es deshalb vor, seine Meinung für sich zu behalten.


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