Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. IV. Buch
Karl Gutzkow

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154 6.

Piter's Gesellschaftsabend näherte sich.

Eine Aenderung seines Programms durch die mit Delring und seiner Schwester Hendrika stattgefundene Scene konnte man »von ihm nicht verlangen«.

Selbst seine Mutter und seine andern Geschwister waren zu weit schon in den Zurüstungen ihrer Toiletten vorgeschritten, als daß eine so bedenkliche und für alle daran Betheiligten allerdings erschütternde Wendung der Dinge, wie Delring's Austritt aus dem Geschäft und die Aufgabe seiner Wohnung im schwiegerälterlichen Hause, hierin etwas hätte ändern können. Die Commerzienräthin weinte bittere Thränen, aber sie hütete sich wohl, daß eine davon auf die schweren silbergrauen Moiréestoffe fiel, die sie täglich zweimal bei ihrer Schneiderin anpaßte. Die Equipagen sowol ihres Hauses wie die des Procurators rasselten durch die Straßen mit einer Eile, als könnten in der Stadt plötzlich alle »schinirten« Sammete, aller Gros de Naples, alle Stoffe zu Borduren und Blonden aufgekauft werden.

Die obern Zimmer blieben von Hendrika Delring für den Piter'schen Gesellschaftsabend verweigert. Piter hatte dort eine »Retraite« für seine Freunde arrangiren wollen, wo sie sich in gemüthlicher »Nonchalance« hätten gehen lassen können; er wollte, das war seine Idee, höchsten Salon und tiefsten 155 Austernkeller für jenen Abend vereinigen. Gesang und »geistreiches« Gespräch sollte die Cigarre und einen »kleinen Ulk« nicht ausschließen. Die Wendeltreppe eignete sich so prächtig für diese gemüthliche Mischung! Indessen dies Arrangement war nicht zu ermöglichen und Johanna, seine jüngste Schwester, seine älteste, Josephine, die Frau Oberprocurator, sämmtliche Hausfreunde gaben unbedingt diesmal Piter Recht, wenn er von einem »denn doch kolossalen« Eigensinn sprach, und nur seine von ihm gebrauchten Kraftausdrücke ängstigten sie, besonders vor Fräulein Lucinden, deren hohe Bildung und schüchterne Sittsamkeit täglich hier im Hause Redensarten zu hören bekam, die sie bei soviel Frömmigkeit nicht hätte voraussetzen sollen.

Nur vor Dominicus Nück hatte Piter einige Furcht. Dieser Sonderling war immer noch im Stande, ihn zuweilen wie einen zehnjährigen Knaben zu behandeln. Eine Bürgschaft für den Bestand des Geschäfts konnte dem klugen Mann Piter's Alleinherrschaft nicht erscheinen. Letzterer ahnte dies und besorgte Erklärungen, um so mehr als Nück schon lange ein Gegner dieser projectirten Gesellschaft war. In Sack und Asche sollten wir gehen, hatte er zu seiner Frau gesagt, und dieser Mensch thut den Neunmal-Weisen den Gefallen und will illuminiren lassen –! Seine Gattin hatte seit lange keine so wortreiche Unterhaltung mit ihm geführt. Sie hätte schon um dieser seltenen Vertraulichkeit willen auf ihres Gatten Zorn über den »dummen Jungen«, wie Piter schon eine hübsche Reihe von Jahren bei ihm hieß, eingehen sollen; aber die Höhe ihrer Volants an einer wundervollen Rosatoilette nahm sie so in Anspruch, daß sie nichts vernahm, als das Rauschen ihres Eintritts in den Salon, nichts bedachte, als den Moment, wo sie sich an dem festlichen Abend zum ersten mal niederlassen würde, nicht zu nahe am Ofen und nicht zu dicht unterm Kronleuchter; denn die Arme litt 156 an solchen Abenden an einem krankhaften Echauffement, wo sie vor Zorn über sich selbst und den Schöpfer, der sie mit so empfindlichem Teint ins Leben gerufen, schon manchen kostbaren Fächer zerknittert hatte, dieser Röthe gedenkend, die ihr die Stirn, die Nase, besonders die Ohren mit einer unheimlichen Ziegelsteinfarbe überzog.

Die »Religion« war in der That auf einige Tage im Kattendyk'schen Hause suspendirt. Piter bekam in allen Punkten Recht, selbst wenn er seine Meinungen des Tages einige mal wechselte und sich selbst widersprach. Auch noch ein andrer, ganz besonders maliciöser Antagonist gegen ihn fehlte glücklicherweise, der außerordentliche Professor Guido Goldfinger, Johannens Verlobter, der erst zum Gesellschaftsabend selbst ankommen wollte. Dieser junge Mann machte mit einer glänzenden Heirath sein Glück, war aber für dies Glück bereits auch förmlich von seinem Vater, dem Medicinalrath, erzogen worden. Gerade die Sicherheit seines Benehmens gab ihm den außerordentlichen Vorsprung bei Mutter Walpurgis und bei Johannen. Er lehrte auf der mehrfach angedeuteten Universität Naturwissenschaften vom rechtgläubigen Standpunkte. Er bewies wissenschaftlich, daß es Pflanzen gäbe, welche in ihrem Kelch die Marterwerkzeuge schon von Anbeginn ebenso hätten tragen müssen, wie die Propheten bereits von allen Einzelheiten im künftigen Leben des Messias wußten. An einer »Heiligen Botanik« schrieb er, in welcher von ihm alle in der Bibel vorkommenden Pflanzen in alphabetischer Reihenfolge behandelt wurden. Wenn sein kurzes, schneidendes Wesen in den Abendgesellschaften (von seinem von drei bis vier Zuhörern umsessenen Katheder kam er wöchentlich einmal herüber) Piter gegenüber Stickstoff, Sauerstoff, Polarität und ähnliche schwierige Fragen zu sehr accentuirte und darüber Piter »unangenehm« wurde und vor solchen »Kindereien, die er sich schon 157 längst an den Schuhen abgelaufen hätte«, sich nicht im mindesten zu ängstigen erklärte, falls der Professor ihn rundweg anfuhr: »Das verstehen Sie nicht!« – so sagte der alte Sänger Ignaz Pötzl, dann einmal von den Bologneserhündchen die alten magern, sie streichelnden Hände ablassend, mit halblautem Seufzer: »O Ysop, Ysop! wann wirst du endlich an die Reihe kommen!« Darunter verstand Pötzl, wie alle Anwesenden aus dem engern Familienkreise wußten, den letzten Artikel der »Heiligen Botanik«; denn erst mit dem Abschluß dieses großartigen Werks, das auf Kosten der Commerzienräthin gedruckt werden mußte, sollte die Hochzeit stattfinden. Leider stand Professor Guido erst bei der Wurzel Jesse, bei welcher er sich, wie er mit sardonischer Galanterie hinter seiner blauen Brille hervor Johannen zuflüsterte, deshalb so lange aufhalten müsse, weil ihn zu sehr der Buchstabe J fesselte.

Am empfindlichsten war für Piter der Eindruck, den sein Bruch mit Delring auf Trendchen machte. Diese hatte der Scene nicht beigewohnt, nach welcher sich ihre Herrschaft in den Beichtstuhl Bonaventura's von Asselyn geflüchtet, aber sie erfuhr alles Geschehene, als sie von einem Einkaufsausgang nach Hause kam. Lucinde hatte ihr schon lange den Rath gegeben, Piter ein klein wenig zu tyrannisiren. So oft er ihr nun seitdem auf der Treppe begegnete, wobei ihm eine rasche Handbewegung, manchmal das Verlangen, ihm sofort auf der Treppe einen Knopf am hingehaltenen Hemdärmel anzunähen, schon zur Gewohnheit geworden war, zeigte sie ihr Schmollen. Piter hatte jetzt nur zu sehr mit seinem »Programm« zu thun, sonst würde ihm dies Ausweichen unerträglich gewesen sein. Schon weckte er durch seine Leidenschaft Spott und »Hohngelächter« und Zweifel des Neides, besonders bei den stillen Charakteren Weigenand Maus und Alois Effingh, die schon vor längerer Zeit über seine 158 Entzückungen die harmlosen, aber bedeutsamen Worte hatten fallen lassen: Nur nicht zu üppig, Kattendyk –.

Lucinden schonte Piter um Trendchen's willen. Auch sprachen ja Benno von Asselyn und Thiebold de Jonge mit einer höchst respectvollen Scheu von ihr. Benno war zu gewissenhaft, um die Leidenschaft Lucindens, die für Bonaventura's Lebensstellung nicht paßte, zu verrathen. Auch mußte er anerkennen, daß durch die fast schimpfliche Entfernung aus Kocher am Fall Lucinde vollkommen berechtigt war, auch ihm gegenüber jenen Humor aufzugeben, dessen Ausbrüche ihn dämonisch erst abgestoßen, dann gefesselt hatten. Die Wahrheit des einen Wortes, das Lucinde Benno beim ersten Begegnen am Theetisch der Frau Walpurgis zugeflüstert hatte: »In Kocher am Fall hab' ich Bitteres erlebt!« durfte er nicht anzweifeln. Wohl bemerkte sein scharfes Auge, daß Lucinde auch hier schon mit dem ganzen Hause und mit den Schwächen desselben spielte; aber Koketterie war es nicht, als sie ihn eines Abends bat, sich ihres vernachlässigten Latein anzunehmen – sie wollte, sagte sie, die Bekenntnisse des Augustinus, die Geschichte seines Lebens-Trahimur, in der Ursprache lesen. Zu Thiebold's Erstaunen über dies»Zauberweib« kaufte ihr Benno ein Lexikon, verschaffte ihr Uebungsbücher und mußte sich gestehen, daß die Art dann, wie sie ihm das Geld dafür wiedererstattete und ihren Dank in einem Briefe bezeigte, einen graziösern Geist verrieth, als er ihrer Schroffheit zugetraut hatte. Das Geld kam auf Nück's »Schreibstube« an und war dort in seiner Abwesenheit an seinen Principal abgegeben worden. Als Nück die Veranlassung dieser Geldsendung aus dem Kattendyk'schen Hause erfahren und auch den ihm von Benno dargereichten Brief mit eigenthümlich zwinkernden Augen gelesen hatte, erkannte letzterer, daß die Wirkung, die Lucinde hervorbrachte, immer allgemeiner wurde. Wo man nur auf das Kattendyk'sche Haus zu sprechen 159 kam, wurde nach Lucinden gefragt. Schön erschien sie allen; den Frauen nur entschieden unheimlich. Auch Männer brauchten zuweilen den Ausdruck, sie hätte etwas Geisterhaftes. Aber über ihre beispiellose Frömmigkeit waren alle übereinstimmend. Eines Tages erfuhr Benno von Thiebold, daß sich sein Procurator für Lucinden zu interessiren scheine. Nück hätte seit einiger Zeit häufiger den Theetisch seiner Schwiegermutter besucht und bei dieser Gelegenheit eines Abends Lucinden halblaut ein Wort zugeflüstert, das dieser die seit lange nur noch bleichen Wangen purpurn überfärbte. Es war von der schon zunehmenden Gewöhnung Lucindens an das Leben im Hause und in der Stadt die Rede und von ihrer frühern übergroßen Verschüchterung. »Sie sind eine Jerichorose!« hatte Nück, allen hörbar, wenn auch nur halblaut, gesagt. Thiebold verstand diese Vergleichung nicht. Er wollte »im Benno nachschlagen«, was sie bedeute und seine Auslegung mit der des Professors Goldfinger vergleichen. Benno gab die Erklärung: Eine Jerichorose ist ein rankenartiges Gewächs mit einer eigenthümlich gestalteten und duftenden Blume, die zeitweilig ganz ledern, welk und verkommen aussehen kann; legt man sie jedoch in heißes Wasser, so quellen ihre Blätter auf und sind, wenn sie auch seit Jahr und Tag vertrocknet schienen, plötzlich wieder so frisch, als wenn die Blume zum ersten mal blühte –! Der außerordentliche Professor, der an dem verhängnißvollen Abend, wo Nück poetisch wurde, gerade zugegen gewesen war, hatte die Jerichorose nur »lateinisch«, d. h. gelehrt gefaßt und gesagt: Die heilige Botanik hat es mit zweierlei Jerichorosen zu thun. Die eine ist die der Legende: Maria auf der Flucht nach Aegypten steigt von dem Esel und da, wo ihr Fuß den Wüstensand berührt, sprießt die Jerichorose auf. Die andern sind diejenigen Rosen von Jericho, die bei Sirach in der für die heilige Botanik so classischen Stelle vorkommen. 160 Thiebold that das Seinige, beide Auslegungen in Umlauf zu bringen. Natürlich mußte Lucinde für die ganze gebildete Gesellschaft immer mehr einen eigenthümlich verschleierten Reiz gewinnen.

Der verhängnißvolle Festtag erschien. Die Vorbereitungen sistirten bei Piter den ganzen geschäftlichen Ex- und Import. Heute galt es den Triumph seiner durchbrochenen Mauern, neugeschaffenen Kamine, portierenverdeckten Thüren. Auch hatte er im dienenden Personal schon seit lange manche Reformen angebahnt. Die alten hatte er zwar nicht entfernen können, aber sie für den einzuführenden bessern Ton »unschädlich gemacht«. Kathrine Fenchelmeyer behauptete sich in der Küche, trotzdem daß Thiebold eines Abends gesagt hatte: »Eigentlich mit Geist kochen kann nur ein Mann!« eine Behauptung, worüber ein fünfstündiger Streit unter den Freunden entstand, der für Piter so interessant und anregend wurde, daß er sich das neue Buch »Geist der Kochkunst« kaufte. Ueberhaupt gab er für diejenige Literatur Geld aus, die in schönen Einbänden hinter den Scheiben eines Glasschranks zu besitzen ihm nöthig schien, um jenes gewisse Etwas derjenigen Kaufleute zu gewinnen, die z. B. in allem, was die Zahl der Stecknadeln anbetrifft, welche eine birminghamer Maschine in einer Stunde hervorbringen kann, so »merkwürdig beschlagen« sind. Jedem Buch, das für Delring's Bibliothek vom Buchbinder ins Comptoir abgeliefert wurde, setzte er ein anderes entgegen und nicht immer Werke wie »Cavalierperspective«, »Diätetik der Seele«, Blumauer's »Aeneide«, die »Jobsiade« und ähnliche classische Schriften, die unter den Freunden bewundert wurden, auch Mac Culloch und Reisebeschreibungen aus Vorder- und Hinter-Asien. Kathrine hatte für den Abend einen Koch zu Hülfe genommen – Piter entließ die alte Köchin nicht, weil unter den Freunden, trotz aller Bewunderung vor den Speisen, die man in Paris bei Véry finden konnte, feststand, daß 161 Sauerkraut, Erbsen und Dürrfleisch nirgends so »famos« zubereitet wurden, wie bei ihm. Auch über die richtige Art, den Wein einzuschenken. trug im Freundeskreise Joseph Moppes förmliche Abhandlungen vor. Wehe den neuen Dienern oder den am Freitag zu Dienern avancirenden Hausknechten – auf die engagirten Lohnbediente war eher Verlaß – wenn sie beim Einschenken der Weine nicht der Theorie entsprachen, die ihnen Piter noch einmal kurz vor Eröffnung der Flügelthüren einschärfen wollte. Ob ihn nicht die der »trauernden Religion« wegen geltenden Scrupel hätten bestimmen sollen, die Diener sämmtlich, statt weißer, schwarzbaumwollene Handschuhe anziehen zu lassen? Diesen Piter'schen Gedanken hatte man neulich im Austernkeller erst bewundern wollen, ließ ihn dann aber doch fallen. Weigenand Maus hatte sogar gesagt: »Wehe dem Kaufmann, der überhaupt Religion hat –!« – »Sie meinen eine andere Religion, als die des ehrlichen Mannes?« polterte Thiebold auf, der an seine »vorhabende« Beichte dachte. Gebhard Schmitz, der Dialektkünstler, fiel, um etwaigem »Streite« vorzubeugen, mit dem allgemeine Acclamation findenden Worte ein: »Meine Herren! Ich sage, wehe dem Kaufmann, der jetzt eine andere Religion hat, als die jüdische –!«

Piter stand nun wie Napoleon vor einer Schlacht. Er hatte sich auf alles vorbereitet, sogar auf das Verdrießlichste, die Absagebriefe. Ja sein lebhafter Geist sah sogar sämmtliche Lampen nicht brennen, hörte Cylinder zerspringen, hörte stockende Gespräche. Aber er suchte durch Reservevorräthe allem zu begegnen; sogar von Anekdoten hielt er sich ein kleines Lager in Bereitschaft. Aus dem »Demokritos« hatte er sich einige Bonmots gemerkt, manche feine Antwort memorirt, die er anbringen wollte, falls es seinem rastlosen Ehrgeize gelang, irgendwo die ihr entsprechende Frage zu provociren. Die ganze Stadt wußte den Vorfall mit Delring. Wie hatte er da nun die Arme zu 162 verschränken und sich hinzustellen als die sturmfeste Mitte eines großen Ganzen! Und diese mindestens in zwanzigfacher Anzahl kommenden jungen Mädchen. denen er zeigen wollte, was ein »Herr der Schöpfung« ist! Sein Bärtchen war allerliebst gefärbt, das dunkelblonde Haar unternehmend gebrannt, die Hemdauslage zeigte das kunstvollste Steppmuster. Sie hätte Thiebold entzücken müssen, der zu sagen pflegte: »Was bei den alten Griechen, wie Benno von Asselyn versichert, einst die Bäder gewesen sind, das ist bei uns die weiße Wäsche.« Nur Piter's Schneider ließ ihn mit einem fast auf dem Leib ihm angenähten Frack noch bis sechs Uhr warten. Er selbst war das Atelier des geplagten Mannes geworden; seine Haut war nahe daran, durch gewissenhaftes Probiren mit festgenäht zu werden. Aber um sechs Uhr konnte er »auf Ehre und Seligkeit« die Ankunft des elegantesten Fracks gewärtigen. Das ganze Haus war geheizt, unten sogar die durch Glas verschlossenen, teppichbelegten, blumengeschmückten Treppen. Es konnte so auch nur möglich sein, daß Piter von drei Viertel auf sechs Uhr an Trepp auf Trepp ab in Hemdärmeln lief.

Berechnend, ob nicht ein zu frühes Anzünden der Kronleuchter und Wachskerzen zu zeitig dürfte »Friedland's Nacht« eintreten lassen, durchschritt er die öden, fast gespenstischen Zimmer, leise verfolgt von einigen bereits gekommenen Lohnbedienten, die sich nützlich machen und Vertrauen erwecken wollten. Die Mutter, die Schwester waren noch weit in ihrer Toilette zurück – auch Fräulein Schwarz war noch nirgends sichtbar. Trendchen Ley's Erscheinen ließ sich in keiner Weise voraussetzen. Wie fehlte ihm diese holde Ermunterung! Wie sehnte er sich nach einem Druck ihrer weichen Hand und ihrem gewöhnlichen: »Ach, Herr Piter –!« Wie erschöpft war er bereits von den Anstrengungen des Tages!

163 Guten Abend, Kattendyk! lautete es hinter ihm her, als er sich eben lässig in einen seiner neuen Fauteuils warf.

Es war Joseph Moppes – Bester! Haben Sie etwa Weiß aufgelegt? Sie sehen ja gottsjämmerlich aus! sagte der berühmte Sänger und ging mit Noten, die er brachte, rasch vorüber in die hintern Zimmer.

Finden Sie das? antwortete Piter hinter ihm her. Mit Apathie stand er auf und betrachtete sich beim Schein des Lichtes, mit dem er die Zimmer durchmusterte, in einem Spiegel, der oberhalb eines seiner neugebauten und heute zum ersten mal probirten, leider etwas rauchenden Kamine angebracht war.

Ich kenne das an solchen Abenden! Nehmen Sie doch einen kleinen Cognak! rief Moppes von hinterwärts her. Moppes legte mit diesen Worten auf das Pianoforte die Noten zu dem projectirten »Bouquet« des Abends.

Piter gefiel sich außerordentlich im Spiegel. Er fand sein languish interessant und bewunderte seine weißseidene Cravatte, seine weißseidene geblümte Weste, die gesteppte Brustauslage mit blitzenden Brillanten. Aber er war in der That zu blaß und zog deshalb an einem Schellenzuge, um sich den »kleinen Cognak« kommen zu lassen. Jedem andern würde er gesagt haben: Au contraire! Ein Glas Wasser wird mir besser thun! Aber seinen intimen Freunden trotzte er nicht. Trafen sie doch auch immer so recht das, was dem Manne ein schmeichelhaftes Lüstre gibt. Sie haben Recht, Moppes! sprach er hinhauchend und vollkommen beruhigt über die Epoche machende Wirkung seines Abends.

Der kleine Cognak kam. Piter trank ihn. Moppes rückte und schob hinten am Pianoforte. Auch der Frack kam. Der Schneider brachte ihn nicht selbst; der Arme ruhte erschöpft auf seinen schwer errungenen Lorbern. Aber der Frack saß 164 vortrefflich. Jetzt gedachte Piter liebevoll auch seines Freundes, der im Dunkeln die Arrangements für die musikalischen Genüsse traf, und rief mit elegischer Gelassenheit: Stoßen Sie sich doch nicht, Moppes! . . . Donnerwetter, brüllte er dann; steck' doch einer drinnen Licht an!

Alles rannte. Teufel! schrie er wieder. Noch nicht den Kronleuchter!

Alles zitterte und nur eine Girandole von drei Kerzen wurde angesteckt.

Piter sah sich im Spiegel und äußerte: Joseph soll doch auch für Moppes einen kleinen – oder warum denn nicht lieber gleich – Joseph soll die Cognakflasche schicken!

Inzwischen rief Moppes: Bester Freund, das Feuer hier lassen Sie nur ausgehen! Denn erstens wird es schon von der Beleuchtung formidabel heiß und zweitens werden noch die Ausdünstungen der Menschen eine Höllenhitze verursachen! Wir bedanken uns, in einer solchen Atmosphäre zu singen! Ohnehin muß ich gerade heute verdammtermaßen Katarrh haben!

Piter hatte sich zwar etwas eingebildet auf den malerischen Effect, welchen die Glut der feinsten entschwefelten Candlekohlen hervorbringen mußte – worauf alles bildete er sich nicht etwas ein! – doch goß er näher tretend ganz gern eine der nächststehenden Wassercaraffinen, die er hier und da mit einem Kranz von Gläsern hatte aufstellen lassen, geradezu in die Verhinderung der berühmten Quartette hinein. Freilich gab das nun einen nicht eben angenehmen Dunst, der sich mit Entschiedenheit dem unzweifelhaft sehr rauchigen der Kamine anschloß. Voll Zorn darüber riß Moppes die Fenster auf. Piter bat mit einem gewissen schmachtenden Tone um Verzeihung und lachte innerlich, er wußte nicht worüber. Dabei schenkte er sich und dem Freunde von dem inzwischen gekommenen Cognakvorrath eine fernere 165 Herzstärkung ein. Warum wollt ihr denn nicht hinten im Saal singen, ihr lieben Leute? fragte er mit einer träumerischen Gelassenheit und an seinem Frack hin- und herziehend und sich am Knacken der Nähte erfreuend.

Ein Männerquartett bedarf eines engern Raumes! Wir singen ohnehin Schweizerecho! Hier etabliren wir uns!

Damit ordnete Moppes einen Tisch und legte viele andere, schon vorausgeschickte Noten zurecht. Immer räuspernd und seinen Katarrh verwünschend lehnte er den Bescheid auf den ihm servirten Cognak ab, was Piter'n nicht hinderte, seinerseits dennoch sein zweites Glas zu nehmen und es zu leeren auf das classische Gelingen des von Moppes entworfenen musikalischen Programms. Eben kam auch ein großer Kasten mit einer Ventiltrompete, die ein berühmter Künstler blasen sollte. Auch das Pianoforte, zur Begleitung der eingeladenen Primadonna des Stadttheaters, wurde von Moppes anders gerückt und gerade so, wie es heute früh Piter's Schwester, Johanna, die musikalisch war, für zweckmäßig erachtet hatte. Ihr hatte Piter gesagt, daß sie sich erstens nicht lächerlich machen möchte und das Publikum ennuyiren mit ihren hundertmal gehörten Etuden, dann aber, daß sie den Flügel ruhig da stehen lassen sollte, wo derselbe von ihm hingerückt war, allen Widersprüchen über Schallwirkung und Resonanz mit brüderlicher Liebe ein einfaches: »Raisonnir' nicht!« entgegensetzend. Gerade aber das, was Johanna Kattendyk gesagt hatte, bestätigte Moppes. Still für sich hin empfand Piter eine Art Beschämung und mußte lächeln – über die furchtbare Autorität nämlich, die er doch selbst in verkehrten Dingen hatte! In der That – er war ein Tyrann. Das schmeichelte ihm und befriedigt nahm er einen dritten Cognak.

Moppes plauderte viel Gutes über die Sängerin. Sie war 166 eine jener Provinz-Malibrans, die niemand mehr zu würdigen verstand, als Löb Seligmann. Sie bekam für den Abend fünf Louisdor und Piter beschloß, ihr sechs zu schicken. Die Sängerin war in ihrer Kunst, sogenannte bockgerechte Triller zu schlagen, berühmt. Ihre Stimme gab man auf, aber man rühmte ihre »Schule«, besonders die Kunst, in einem Septett in die Untiefen eines spurlos verlorenen Ensembles mit einem einzigen muthig eingesetzten hohen Cis Hülfe und Rettung zu bringen. Ausdrücklich bedungen war aus Weber's »Oberon« die Arie: »Ocean, du Ungeheuer!«

Piter nickte zu allem, lächelte, schlänkelte, auf einem Stuhle sitzend, mit den zierlichen Beinen und spielte mit dem Krystallstöpsel der schöngeschliffenen Cognakflasche. Die Sehnsucht nach der achten Stunde sprach sich bei ihm in einem gewissen Blick aus, der wie der eines Sehers in die Flammen eines inzwischen nun doch »zur Probe« angezündeten Kronleuchters gerichtet war. Er gedachte vielleicht, als Moppes von jener Arie sprach, Pyrmonts und was sonst schon für ihn im Leben ein »ungeheuerer Ocean« gewesen.

Moppes befand sich noch nicht in Toilette. Seine Hingebung an Piter's Abend war bewundernswerth. Bekanntlich war Stephan Lengenich, der erste Küfer seines Hauses, als Unruhestifter eingezogen und nicht unwahrscheinlich hatte sich Joseph den Katarrh in den Kellern seines Hauses geholt. Ihn sich mit dem Stechheber in der Hand unter den Fässern zu denken, hinderte an dem ihm schuldigen Respect nicht das Mindeste. Sechs weiße Zwillichhandschuhe griffen darum doch gleichzeitig nach der Thür, um sie Herrn Moppes junior zu öffnen, als er ging. Er entschlüpfte einem ihm nachgerufenen sentimentalen: Komm um alles in der Welt nicht zu spät! und ließ nur noch das Wort zurück, das er auszurichten fast vergessen hätte: Thiebold de Jonge 167 würde nicht kommen, mit Benno von Asselyn wäre er heute früh abgereist.

Piter, zwar auf Absagen vorbereitet, fand doch die Nichtachtung seines Abends gerade von dieser Seite »sonderbar« und erhob sich in gereizter Stimmung. Aufs neue einschenkend, wenn auch nicht trinkend, nahm er, um seinen Aerger zu verwinden, die Heerschau über seine Truppen ab. Er hätte eine Armee commandiren können, so mächtig rollte es durch seine Adern. Seine imperatorischen Anweisungen gingen auf die Beleuchtung, auf die Bedienung beim Thee, auf die Stille während der Musik, auf die Tische der Whistspieler in einem der hintersten Zimmer, auf das Arrangement der kleinen Gruppen, denen das Nachtmahl zu serviren war, und vorzugsweise auf die Vermeidung aller plumpen Formen des Einschenkens. Obgleich die Zuhörer zu allem, als wenn sein Gesagtes sich von selbst verstünde: Ja wohl, Herr Kattendyk! erwiderten, konnte er doch nicht umhin die Moppes'sche Theorie mit Feuer zu wiederholen. Einschenken und einschenken ist ein Unterschied! rief er. Der Stand des Herrn und Dieners unterscheidet auch die Art, wie man die Flasche angreift! Beim Beginn eines Diners oder Soupers – aufgepaßt! – greift der Herr, wie der Diener, die Flasche immer am untern Leibe an! Verstanden? Der Herr legt – alles das machte Piter nach an der freilich etwas schwierigen Form der Krystallflasche – den Zeigefinger bis an die Taille der Flasche, das ist sein Vorrecht! Untersteh' sich das jedoch von euch niemand! Verstanden? So darf Ich einschenken – tretet heran! – Ich als Herr! Ruhe da! Mit dem Zeigefinger darf ich die Flasche drücken! Das bedeutet Nonchalance, »Gerngegeben« und eine gewisse Mäßigung, gleichsam als wollt' ich sagen: Es kommt weder mir noch meinen Gästen darauf an, ob sie Wasser oder Lafitte trinken! Ihr aber – Ihr habt den 168 Zeigefinger an die andern drei Finger hinüberzulegen; sonst sieht's aus, als wenn ihr euch hier wie die Herren zu Hause fühlt . . . Das war früher so, Joseph – laßt den Alten vor! Guten Abend, Joseph! – früher, wenn Vater Gesellschaft gab! Verstanden? Diese Vertraulichkeit von Dienstboten: »Bitte, Herr Timpe oder bitte Herr Schmitz oder bitte Herr de Jonge, greifen Sie doch zu! Warten Sie, Herr Effingh, ich hole Ihnen noch ein Stück Rehrücken! Oder: Nehmen Sie das, Herr Maus, das ist ein hübsches Mittelstück!« Und dann so hineinlangen, Joseph, und dann wol gar dem Herrn Moppes selbst etwas vorlegen! Joseph, Joseph, Joseph! Die Zeiten sind gewesen, Joseph! Und den Hals einer Flasche greift ein Diener nie an! Nie! Nie!

Ja wohl, Herr Kattendyk! rief der Chor im vollen Einklang.

Alle diese Bemerkungen hatten, da sie durch energische Demonstrationen unterstützt werden mußten, naturgemäß das Leeren eines vierten der allerdings nur kleinen Cognakgläser zu Wege gebracht. Eben war Piter im Begriff, seine inzwischen ihm ganz vogelleicht gewordene und wie mit Schwingen begabte luftige Gestalt einmal noch die hintere Wendeltreppe hinaufzuschnellen, als die Diener die Thüren aufrissen und einen Mann eintreten ließen, von dem allen bekannt war, daß er in die vornehmsten Gesellschaften, auf Bälle, Diners und Soupers, nur im grauen Ueberrock kam, Herrn Dominicus Nück.

Der gefürchtete Procurator war eine gedrungene, breitschulterige Gestalt, Fünfziger, mit grauem, kraus verworrenem Haar, das in der Mitte eine kleine Glatze zeigte. Die starken Backenknochen, Schläfe, Kinn, alles bezeugte eine gewaltige Kraft, die durch eine scheinbare Lässigkeit gemildert wurde. Die dunkelbraunen Augen lagen in den von langen, fast zottigen und gleichfalls schon ergrauten Brauen beschatteten Höhlen mit einem 169 unheimlich und tief versteckten Feuer. Die Haut des Antlitzes war von Blatternarben entstellt. Nück mußte sich jeden Morgen selbst rasiren; die Barbiere hatten eine zu gefährliche Operation, wenn sie mit ihrem Messer durch die vielen Hügel, Verhacke und Versenkungen seines Gesichtsterrains hindurchkommen wollten. Und doch gab es an dem vielgefürchteten Manne einige Zierlichkeiten. Kleine Füße, weiche Hände, unter dem immer gleichen grauen Ueberrock mit silbernen Knöpfen weiße Westen und über diesen weiße Battisthalstücher, weit und bauschig um den Hals geschlungen, um diesen allerdings empfindlichen Hals, der nach dem bekannten Verhältniß mit Hammaker wohl Ursache hatte sich zu verbergen.

Nück sah sich spähend um und erwartete wahrscheinlich noch nicht seinen jungen Schwager zu finden, der eben noch einige Körbe voll Wein von einem der in Livree gesteckten Hausknechte in die hintern Zimmer tragen lassen wollte, wo bereits die zahllosen Gläservorräthe aufgehäuft standen. Piter hatte sich nach dem Vorfall mit Delring vor dem Wiedersehen des Schwagers gefürchtet. Da aber Nück gegen diesen Gesellschaftsabend gewesen war und dennoch eben in eigener Person erschien, so faßte er Muth und begrüßte ihn mit einer schmunzelnden Vertraulichkeit. Nück, der ihn nicht erwartete, fuhr fast vor ihm zurück und sagte im Volksdialekt der Stadt: Guten Abend, Piterchen! – – Nück's Cynismus ging bis zur Verachtung aller Bildung, durch deren Geringschätzung er viele Menschen um so zutraulicher machte. Selbst vor Gericht sprang er oft, zum Jubel der Zuhörer, in den Volksdialekt über, wo ihm dann beinahe nie der Sieg fehlschlug. »Wir Gelehrte« betonte er den Proceßführenden nie anders, als ob er sagen wollte: Wir Esel! Bei alledem vernachlässigte er nichts, was zur Bildung gehört. Er kaufte Bücher und las sie sogar. Er schrieb vortreffliche 170 Broschüren über die gelehrtesten Fragen des Privat- und Lehrrechts und las oft Nachts bis zum frühesten Morgen – man sollte es glauben – Romane! Dann schlief er bis elf Uhr und eilte auf seine Termine. Eine Gewohnheit, die er vor längern Jahren einmal angenommen hatte, Tag in Nacht und Nacht in Tag zu verwandeln, konnte er nicht durchführen; zwei Jahre lang war das Mittagessen sein erstes Frühstück und das Nachtessen sein Mittagsmahl – – Sind das deine Reservebataillone? sprach er im gemüthlichsten Schlendrian und mit Belächeln der glänzenden Vorrichtungen und der nun schon immer vollständiger sich entwickelnden Beleuchtung.

Piter, entzückt von des ihm zuweilen so aufsätzigen Schwagers friedlicher Gesinnung, offerirte von diesen Bataillonen und schenkte vom feurigsten Burgunder eine vorläufige – Vedette ein.

Nück bemerkte davon nichts. Er bürstete seinen Hut, der sogar heute ein neuer war, und sah nur nach rechts und links, horchte und spähte, ob außer Piter und den Dienern nicht vielleicht noch sonst jemand in den glänzenden Zimmern war. Dies Benehmen nahm Piter für aufrichtigste Zustimmung und offerirte zum Anstoßen die Gläser.

Jetzt aber nahm Nück plötzlich eine feierliche Miene an und sagte mit einem nicht unangenehmen Organ: Piter, Piter! Eine Schande! Hier Freude und Jubel, während die Welt in Trauer lebt!

Aber schon blätterte er dabei in den Noten und schien so abwesend, daß Piter diesen Gegenstand für abgemacht erklären konnte und dem Schwager wiederholt sein Glas Burgunder anbot.

Nück lehnte nicht ab. Er nippte ein wenig. Piter, glückselig, sich heute nicht als Knabe von zehn Jahren, sondern 171 als Mann und vollkommen ebenbürtig behandelt zu sehen, schüttete sein ganzes Glas hinunter.

Mama noch bei der Toilette? fragte Nück forschend und bemerkte jetzt erst, daß Piter von einer eigenthümlichen Elasticität war. Piter hielt sich, da die Dinge dieser Erde ihm plötzlich etwas wirblich zu werden schienen, an einer Stuhllehne. Recht, mein Sohn! sagte Nück, der jemand, den er offenbar zu suchen schien, nicht fand und die Miene machte sich entfernen zu wollen; recht, daß du in deinem Leiden dich tröstest!

Leiden? Wie so?

Verlierst oben die schöne Nachbarschaft!

Hahaha! lachte Piter hell auf und schenkte wieder ein . . . Das ängstliche Kapitel wegen Delring behandelte ja der Schwager ganz harmlos.

Nück's Augen gingen wie Feuerräder. Beim kleinsten Geräusch sah er auf die Eingangsthür. Da die Bediente nicht zu nahe waren, ließ er die Worte fallen: Mit Delring, hör' mal – das ist ja ein curioser Spaß von dir!

Von mir? Wie so? fragte Piter trotzig und griff in den Ausschnitt seiner Weste mit der linken Hand und mit der rechten zum Glase.

Nück schien sich nicht im mindesten ärgern zu wollen. Er machte sogar Miene stillschweigend wieder zu gehen. Dennoch konnte er nicht umhin noch fallen zu lassen: Delring – hm – austreten? Piterchen, Piterchen! Welche Garantieen gibst du denn deinen Geschwistern?

Garantieen?

Delring, glaubst du, geht nach Bremen und wird da ein Geschäftchen mit Cigarren oder Europamüden etabliren? Ich meine, er bleibt doch wol hier, fängt ein eigen Geschäft an, nimmt unsere besten Verbindungen mit; Farbhölzer sind seine 172 Lieblingsbranche; die Lederhändler von Malmedy besucht er persönlich – Wie gesagt, ich dächte, es wäre besser – es bliebe beim Alten und die kleine allerliebste Blondine kochte dir nach wie vor Kamillenthee, wenn dir schlimm wird, Piterchen –

Spott' verbitt' ich mir! rief Piter und griff zur Flasche, um einschenkend zu zeigen, daß der Schwager mit einem Manne redete.

In der That! Ein gemüthlicher Junge warst du immer! fuhr ohne Schonung Nück fort. Und zum Berge Karmel ließ ich das hübsche Ding an deiner Stelle doch auch nicht so oft gehen! Pfarrer Rother entdeckt so viel Sünden an ihr, daß er vorzieht, ihr jetzt die Beichte bei sich zu Hause abzunehmen!

Piter hätte sein gefülltes Glas jetzt nehmen und es vor Zorn über eine Thatsache, die ihm selbst schon lange höchst befremdlich war, an den Kamin werfen mögen. Die Splitter und die schönen gelbseidenen neuen Sessel bedenkend, trank er es lieber aus, setzte es aber dann kräftiglich auf den Sims und stand wie ein Löwe.

Nück brach ab von diesem empfindlichen Gegenstande und kam nur auf seine Besorgnisse wegen Delring's Austritt zurück. Gib dem »Hofrath« ein gutes Wort! sagte er.

Nimmermehr! antwortete Piter, versöhnt durch ein Stichwort auf den Schwager.

Ich will es statt deiner thun! Du weißt, ich bin sonst kein Freund von dieser geleckten Sorte –

Ich verjag' ihn ja nicht –!

Dir wär' es lieber, er lebte dir nahe genug, um dich immer bewundern zu können! Indessen – Piterchen – ich trau' dem Zeitgeist nicht –

Wie so?

Unserm ganzen Jahrhundert nicht! Wenn ihr einmal alle so dasäßet, ihr altehrwürdigen Firmen, mit ein paar Commissionen und Speditionen und zuletzt trotz eurer Alongenperrüken nichts weiter hättet, als ein paar Feuerversicherungsagenturen –!

Hahaha! Kommt bei uns nicht vor! versicherte Piter und wurde immer sicherer durch die gemüthliche Sprache des Schwagers, der überhaupt in neuerer Zeit, schon seit Hammaker's Gefangennehmung, vielfach verändert war und erst seit dessen Hinrichtung wieder etwas aufthaute.

Weißt du, Söhnchen, sagte er, ohne darum aufzuhören nach der Thür zu lauschen; weißt du, ich habe immer eine fatale Ahnung von einer ungeheuren Weltverschwörung der Juden gegen die Christen! Pater Sebastus schrieb das einmal in seinen frühern Artikeln, die mir immer aus der Seele kamen! Jetzt ist der arme censurirte Chrysostomus nicht mehr wiederzuerkennen, falls die anonymen »Stufenbriefe vom Calvarienberge des Lebens« von ihm sind. Ahasver, sagte er einmal, das ist – Rothschild! Der alte Kurfürst von Hessen nämlich, weißt du, Piter, der mit dem Zopf – Kerl, trink doch nicht so viel –! . . . Piter hatte wieder eingeschenkt, vor Behagen über eine so gelehrte Unterhaltung, deren er gewürdigt werden konnte . . . Jener Kurfürst, der sein durch amerikanischen Menschenhandel erworbenes Geld dazumal in Frankfurt am Main in dem alten Amschel und – ich glaube – von einem Bäcker namens Binding auf der Fahrgasse hatte vergraben lassen, als Napoleon draus so gern wieder Soldaten geschmolzen hätte – früher, verstehst du, Piter, war umgekehrt das Geld aus Soldaten geschmolzen worden! hast doch »Kabale und Liebe« schon gesehen –? – Also der alte Stammhalter der morganatischsten aller Dynastieen sag' ich – Piter, was morganatisch ist, das mußt du doch wissen –?

Piter war in vollkommener Harmonie mit dieser Behandlung, 174 die ihm die Ehre wissenschaftlicher Erörterungen zuzog. Und da sich bei ihm jetzt das Denken von innen mit der Beleuchtung von außen und dann wieder auch mit der Erwärmung vom physischen Innern verband, so stand er wie eingeweiht in alle Geheimnisse der Erde und der Conversations-Lexika und nickte bejahend. Er war vollkommen jetzt der »große Charakter«, der er auch zu bleiben gedachte, auch wenn er wirklich von sich hätte eingestehen müssen, daß ihm als Ehegattin »ein Mädchen aus dem Volke« lieber wäre, als eine dieser »bleichsüchtigen«, »musikklimpernden«, »wespentailligen« u. s. w. –

Bitte! unterbrach Nück seine derartigen Gedanken und zog Handschuhe an – er war ohne solche eingetreten – Bitte, wenn ich dir etwas Bekanntes sage! Frau Morgane war die wunderschönste Dame an König Artus' Hofe und von dieser Dame möcht' ich die morganatischen Ehen, die Ehen der Mesalliancen, verstehst du? lieber ableiten, als von – Denn vielleicht war Frau Morgane ihrer Herkunft nach auch gleichsam aus Kocher am Fall – in diesem Fall, siehst du, darin liegt bereits die ganze Andeutung, Piter; nicht in deinem, sondern in dem kurfürstlich hessischen Fall, mein' ich! Und wenn andere dann glauben, morganatisch käme von dem alten gothischen Worte Morgan, welches, wie du weißt, so viel heißt als: beschränken– nämlich z. B. ein Morgen Acker, d. h. eine Schranke, ein Theil Ackers – Nicht etwa, versteh' mich recht, als wenn ich beschränkt die Menschen nennen wollte, die nicht den üblichen Vorurtheilen folgen, und als ob der Westfälische Friede Recht gehabt hätte, als dieser schon Anno 1648 sagte: Alle alten Herkommen in der Ehe sollen bleiben, sublatis omnibus quae bellicorum temporum injuria irrepserunt confusionibus – Confusionibus! Verstehst doch, Piter? Confusionibus –!

Nück's Betonung dieses letzten Wortes in seiner ganzen 175 verworrenen Spottrede war bedeutungsvoll. Denn eben jetzt hatte er keinen Zweifel mehr, daß Piter in höhern Sphären schwebte. Eben sah er die Cognakflasche wegräumen und bemerkte eine Verwirrung in des ihm im Geiste folgenden Schwagers Gesichtszügen, eine Verwirrung, welche allerdings die Folge seiner eigenen anakoluthischen Rede sein konnte, aber auch die Folge des auf Cognak gesetzten Burgunders – freilich aber auch die Folge eines plötzlichen heftigen Klingelns, mit welchem sich bei Gesellschaften oder beim Ausfahrenwollen der wichtige Moment anzukündigen pflegt, wo Mutter und Schwester die allerletzte Hand an ihre Toilette legten. Dann war nur noch im Rückstand, daß über die bereits fertige Frisur, die bombenfesten Corsets, die steifen Unterröcke sanft und vorsichtig das elegante Hauptkleid herabgelassen wurde. Schon war es halb acht Uhr und durch dies Klingeln wurde regelmäßig der Moment bezeichnet, wo die Mutter und die Tochter sofort in die geschmückten Räume treten konnten, kühn, unternehmend, erwartungsvoll und sich dann nur verdrießlich umsehend, wenn nicht sogleich auch schon die Hausfreunde da waren und sie mit einem bewundernden Ah! empfingen –

Piter'n war das seit Jahren imprägnirt. Bei diesem Klingeln besann er sich auf die ungeheuere Aufgabe, die er heute zu lösen hatte. Repräsentant des Hauses! Eine Vision ging ihm auf aus dem Reich jener Erinnerungen, denen zufolge er schon an einem solchen Abend unter hundert Menschen gewesen war, ohne daß er sich auf das Mindeste, was andere und sogar, was er selbst gesprochen, hatte besinnen können. Und als nun das Klingeln auch bei Schwester Johanna wiederholt wurde, als er die Bewegung um sich her zunehmen, das Laufen und Rennen bemerkte und im Augenblick nicht wußte, welche gelehrten Ansichten er soeben ausgesprochen hatte, da erinnerte er sich, wie er 176 einst auf einem Dampfschiff aus dem ruhigen Spiegel der Themse plötzlich in die Hebungen und Senkungen des Meeres einfuhr und sich rasch in seine Koje erster Klasse zurückzog. Auch jetzt ging er »still und bewegt« und ohne das leiseste Wort noch zu reden in die hintern Zimmer und suchte mit mancherlei ihn erschreckendem Tastenmüssen die Wendeltreppe, die ihn zu seinem at home führte, wo er beschloß, sich um Gottes und aller Heiligen willen vorher noch eine kleine kurze Rast und Sammlung zu gönnen. Zwar sprach noch Nück etwas von Delring, von einem Familienconvent, sogar von Knabenstreichen, aber Piter vernahm nichts mehr; er ging auseinander wie eine Nebelgestalt, die Morgenluft wittert.

Nück selbst aber begab sich an den Eingang zurück. Er vermied, mit seiner Schwiegermutter, die er so hier unter vier Augen am wenigsten gesucht hatte, allein zu sein. Die Garderobe für die Gäste war im Parterre. Dort hatte er einen alten Mantel abgelegt, in dessen Umhüllung, wenn er so Abends an den Häusern hinschlich, man keinen Mann vermuthet hätte, der leicht ein Vermögen von einer Viertelmillion besaß und aus seiner eigenen Thätigkeit noch Jahreseinnahmen von zuweilen zehntausend Thalern dazu. Auf dem Vorplatz blieb er einige Augenblicke stehen und sah in einen kleinen Corridor hinaus, auf welchen drei bis vier Zimmer ausliefen. Eine Thür, die hinterste, führte zu Lucinde Schwarz, der Gesellschafterin seiner Schwiegermutter. Auf das Erstaunen des alten Joseph, daß er fortginge, und dessen »Hoffen, daß er wiederkäme«, sprach er kein Wort. Aber seine Augen waren Feuerzungen. Auf diese Sprache verstand sich Joseph nicht. Ein paar Schritte machte Nück auf den Corridor hinaus. Dann kehrte er wieder um und hielt sich an dem Treppengeländer. Jetzt bellten und kratzten an einer der Thüren die Bologneserhunde, um hinauszukommen; denn unten hörte man 177 den gemüthlichen Ton des alten Pötzl, der bereits von unten herauf mit den Hunden sich zu necken pflegte. Auch der Medicinalrath kam und noch ehe sich Nück von dem biedern Händedruck Pötzl's freigemacht hatte, war auch der Kanonikus da, der trotz Kirchentrauer und Kaiser und Papst am Whisttisch unter keiner Bedingung fehlte. Alle drei rivalisirten, der erste zu sein, der die Toilette der Commerzienräthin bewunderte.

Nück sagte allen, er würde wiederkommen – er hätte nur seiner Frau zu Gefallen erst sämmtliche Kamine wollen auslöschen lassen. Er beruhigte die Ankommenden, daß »Lieb Mutterchen« – so nannte Pötzl die Commerzienräthin –; »Lieb Töchterchen« – so der Medicinalrath –; »Lieb Schwesterchen« – so der Kanonikus; – noch nicht in den Zimmern wäre, und stieg die Treppe nieder, begleitet vom Joseph, dem er, als dieser dem Kutscher, welcher heute als Garderobier fungirte, beim Ueberwerfen des Mantels half, nur die einfache Frage vorlegte: Kommt denn – ich meine die Mamsell oben – na, die Gesellschafterin – kommt denn die nicht auch heute – in den tollen Trubel?

Herr Oberprocurator –! sagte Joseph und seine Miene deutete die Sehnsucht dieses Fräuleins nur nach überirdischen Dingen und ihre außerordentliche Frömmigkeit an.

Der Portier stand schon im Thorweg in einer Gala, wie wenn sein Stab mit dem goldenen Knopf heute nur Fürsten zu empfangen hätte.

Nück lächelte noch lange über den Glauben der Menschen an Lucindens Frömmigkeit. Als er das Haus verlassen hatte, drückte er sich an den Häusern entlang, wie mit verstörtem, ruhelosem Gewissen. Vorüber an ihm rollten Wagen, um die Gäste in sein schwiegerälterliches Haus zu führen. An solchen Abenden, wo alles dort in Festesglanz strahlte, konnte man ihn wol im düstersten Winkel einer kleinen Schenke sehen, wo er Rettiche aß 178 und dazu ein Glas einfachen Biers trank. Heute huschte er in eine alte finstere Kirche, wo beim Schein einiger Lichter eine Abendandacht gehalten wurde. Nicht weit vom Weihbecken erwartete ihn eine Dame, die ihn an eine Todtengruftkapelle zog und ihm im Dunkeln einige geheimnißvolle Worte flüsterte. Die Dame trug einen orangegelben Hut mit schwarzem Sammetbesatz. Das Gespräch war kurz und schien ihn verdrießlich zu stimmen. Er brach unwillig ab.

Als er allein war, ging er tiefer in die dunkle Kirche; dann setzte er sich, seinen Mantel weit um sich geschlagen und den Kopf auf ein Betpult legend, in einen der leeren Stühle, tief brütend und versunken in die aufgeregtesten Gedanken.

Es war anzunehmen, daß Lucinde in diesem unheimlichen, aber mächtigen, reichen, geistvollen Manne eine neue Eroberung gemacht hatte. Was Nück erstrebte und begehrte, hatte er auch die Energie durchzusetzen und – zu gewinnen.


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