Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. IV. Buch
Karl Gutzkow

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81 4.

In den einzelnen Seitenschiffen der großen Kathedrale liegen mehr als zwanzig Altäre zerstreut. In ihrer Nähe befindet sich, mit doppelten Eingängen und vergitterten Zwischenwänden, eine Anzahl Beichtstühle. Einige Schritte entfernt von ihnen stehen Bänke, auf welchen sich die Beichtbedürftigen, ehe an jeden die Reihe kommt, dem Gebet widmen können. Sie sind entfernt genug, um weder die Rede des Bußfertigen noch den Spruch des Priesters hören zu lassen, der oft statt der Absolution nur einen allgemeinen Segen ertheilt. Nie darf ersichtlich werden, ob jemand den Beichtstuhl im Stande der Ungnade verläßt.

In einem Gang, der sich von der Sakristei hinter dem Aufgang zur Kanzel, die das kleinere Vorderschiff beherrscht, zum Hochaltar hinzieht und in einem einzigen großen, drei Altäre erleuchtenden bunten Fenster endigt, liegen einige Beichtstühle allein und tief im Dunkeln. Es ist die einsamste und dem Andrang der Gläubigen oder nur Neugieriger gerade entgegengesetzte Gegend des gewaltigen, in manchen Tagen einem Marktplatz gleichkommenden Baues. Um den Schritt der Vorübergehenden zu dämpfen, liegen auf dem Fußboden Strohmatten ausgebreitet. Uralte Grabdenkmäler bedecken die eine Wand, die von der Sakristei ausgeht, hohe Bischofgestalten mit Krummstab und Mitra; ihre Namen sind nur an sonnenhellen Tagen zu lesen, wie an 82 jenem, als sich bei ihrem Anblick Pater Sebastus zu gewöhnen suchte, wie er, ein Meister des Worts, von einem größeren Meister – der nun auch wieder den seinigen gefunden –! – für einige Tage auf ein einfaches Ja und Nein gesetzt werden konnte. Nur der letzte dieser Beichtstühle, dem Hochaltar zu, ist allein von dem bunten Lichte des Fensters, dem er zunächstliegt, ein wenig erhellt. Die beiden andern liegen so im Dunkel, daß sowol die Seele, die sich hier aussprechen will, sich von aller Freude und allem Leid der Welt geschieden glauben kann, wie der hörende Priester von der ganzen Heiligkeit seines Berufs sich durchdrungen fühlen muß, soll ihn nicht, wie wol auch geschieht, gerade die Abgeschiedenheit dieser stillen Zwiesprache auf weltliche Gedanken führen.

Seit vier Monaten war es in diesem dunkeln Gange seltsam lebendig geworden. Die Bänke, die dem Beichtstuhl gegenüberlagen, wurden am Dienstag und Donnerstag Morgens und Sonnabends Nachmittags und in der allerersten Sonntagsfrühe von Beichtbedürftigen nicht leer. Soviel Stunden hatte man ausdrücklich von der Kanzel und durch Anschlag an die Kirchenthüren bewilligen müssen, um nur einigermaßen den Zudrang zu befriedigen. Er galt nur dem ersten der der Sakristei nahe gelegenen Stühle. Auf dem alterbraunen Holze saß seither der neue junge Domherr, dem zu Ende des September sogleich einige Messen und Predigten die Herzen der ganzen Stadt gewonnen hatten. Die hohe Würde seiner Erscheinung, die Milde seiner niedergeschlagenen Augen, ihr Glanz, wenn er die langen schwarzen Wimpern erhob, die feierliche und wieder so natürliche Art seines Benehmens, der Wohlklang seiner Stimme, alles das hatte ihm sogleich den Antheil derer gesichert, die zunächst nur auf Aeußerliches sehen, vorzugsweise derjenigen Frauen, die gewohnt sind, auch in ihrem kirchlichen Leben, immer 83 nach »dem Rechten« zu suchen. Und zu denen dann, die nur vom Aeußerlichen sich angezogen und, wie in solchen Fällen wol geschieht, sich beinahe magnetisch berührt fühlten, gesellten sich andere, die an dieser lockenden Schale auch den Kern erquickend fanden. Sie mehrten sich von Tag zu Tage. Der vom Lande berufene und so schnell beförderte junge Priester fesselte durch den Geist seiner Reden ebenso wie durch den Schwung des Vortrags. Predigte er, so waren der Chor und das für die Predigten bestimmte Vorderschiff überfüllt. Vertheilte er den Leib des Herrn, so drängten sich danach die Begehrenden. Und bald auch war sein Ohr, da ihm die Beichtabnahme erlaubt wurde, von denen belagert, die das Bedürfniß der Buße und Sühne hatten. Die beiden andern Stühle nebenan waren nur in den Sonnabendnachmittagstunden mäßig besetzt. So hochheilig das Sakrament der Buße gehalten wird, so hängt es doch mehr als irgendeine andere Institution der Kirche von des Priesters Persönlichkeit ab. Diese katholische Kirche, die aus dem Gottesdienst alle Zufälligkeiten der Individualität entfernt wissen will und auch darin ihre Erhabenheit findet, daß am Indischen Meerbusen und am Fuß der Cordilleren das Heiligste ebenso celebrirt wird, wie in einem Alpenthal der Schweiz oder in der Grabkapelle zu Jerusalem, muß dennoch im Beichtstuhl die Abhängigkeit ihrer Würde von den zufälligen Persönlichkeiten ihrer Priester ertragen. Sie kann schon die Aufforderungen, den Beichtstuhl häufig zu besuchen, nur zu Mahnungen, nicht zu absoluten Geboten machen.

Zum Stolz der Gläubigen auf den neuen jungen Domherrn gesellte sich das Lächeln der Zweifelnden. Die ohnehin der Beichte abholden Männer – sie gibt den Frauen eine das Glück der Ehe nicht eben mehrende Selbständigkeit und läßt in das innigste Selbander zweier Seelen einen oft räthselhaft spukenden Dritten eintreten – hatten zunächst nur in der Persönlichkeit des neuen 84 Domherrn den fesselnden Reiz gefunden; aber auch sie kamen. Sie kamen, scheinbar um zu bekennen; doch es erging ihnen wie denen, die zu Johannes in die Wüste kamen. Sie hatten einen Sonderling erwartet, der in härenen Kleidern ging und Heuschrecken aß, und sie fanden Johannes, den edelsten Bekenner, der auch sich Gott verwandt fühlen durfte und doch auf einen Freund, auf einen Jugendgenossen zeigen und sprechen konnte: Der ist größer als ich! (In der Geschichte des Geistes eines ihrer seltensten Kapitel –!)

Sogleich bei seinem Antritt hatte Bonaventura, der wahrlich die in ihm entstandene gebrochene Stimmung seines Innern zu einer Aenderung seines Berufs nicht mehr ausbilden konnte, vom Kirchenfürsten aufbekommen, zu seiner Antrittsrede den Text zu behandeln: Petrus, der, als Judas mit den Herrschern der weltlichen Gewalt in den Oelgarten kam, dem Herrn sagte: Siehe, Herr, hier sind zwei Schwerter –! Im Sinne Roms ist das eine dieser Schwerter, mit welchem Petrus dem Knecht des Malchus ein Ohr abhieb, die seit zwei Jahrtausenden angestrebte weltliche Gewalt der Kirche, das andere die unblutige, nur kirchliche. Dies Thema war gestellt wie eine Versuchung. Die weltlichen Behörden wohnten der ersten Einführung des neuen Domherrn bei. Michahelles hatte darauf gerechnet, daß Bonaventura sich sogleich dem Geist der beiden Schwerter Petri anschließen und für sich ein öffentliches Zeugniß ausstellen würde. Doch lobte der Kirchenfürst später selbst den jungen Priester um die geistliche Klugheit, die ihn bestimmte, die verlockende Aufforderung, gegen die nachgebornen, mit Titeln und Orden geschmückten Genossen des Judas Ischarioth zu reden, nicht in zu auffallender Form zu ergreifen, sondern einen Mittelweg einzuschlagen, der allerdings in der Theorie mehr sagen konnte, als der gegebene Text des Lucas sagen sollte, jedoch weniger in der Praxis. 85 Der Antrittsredner hatte zu den zwei Schwertern des Petrus noch zehn andere hinzugefügt, von denen der Evangelist Marcus erzählt. Der Heiland hätte, sagt Marcus, die Jünger erst aufgefordert, daß »jeder von ihnen sich ein Schwert« zulege und es zum Kampfe kommen lasse; dann aber hätte sich der Herr in seiner Liebe auf ein milderes besonnen und gesagt: »Stecke dein Schwert an seinen Ort, denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen! Oder meinst du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel?« Und über diese »zwölf Legionen Engel« dann, über diesen ewigen Entsatz der bedrängten Kirche, nicht über die zwei oder die zwölf unbedeutenden Schwerter nur, hatte Bonaventura gepredigt. Mit einer Begeisterung, die ihn in solchen Augenblicken alle nagenden Zweifel vergessen ließ, schilderte er diesen ewigen Beistand, den in der Weltgeschichte seit dem Sündenfall und dem Verlust des Paradieses das Gute zuletzt immer wieder am Guten gefunden hätte. Diese zwölf Legionen Engel waren ihm die ewigen Wahrheiten der Weltregierung, die immer wieder die Herrschaft der Bösen gestürzt hätten, jene Thatsachen, die mit Schwertern, öfter noch mit Palmen und klingendem Saitenspiel über die wildesten Schlachtfelder hinwegrauschten, in Hütten wohnten den Palästen gegenüber, ja in der eigenen Brust der Tyrannen und Bedränger der Menschheit, wo sie nicht selten die Gestalt der Träume angenommen hätten. Wie die Tyrannen dann, schilderte er, gezwungen gewesen wären einen Joseph zu rufen, der ihnen die Träume zum Wohl der Menschheit hätte deuten dürfen, oder einen David, der sie hätte beruhigen müssen durch die Zauber der Kunst. Diese zwölf Legionen Engel schilderte Bonaventura als den Trost und die Zuversicht der Menschheit in jeder Bedrängniß. Wie er mit hoch emporgehaltenen Händen, nachdem er die 86 Leiden der Erde geschildert hatte, auf die Tröstungen verwies, so sahen die Zuhörer diese mit Schwertern bewaffneten Engel, hörten sie wie mit Posaunen in den Kampf rufen, hörten ihr Schmettern und ihr Schwerterschlagen und das Dröhnen ihrer Schilde in den Lüften. Dann rief er begeistert wieder die Phantasie von ihrem Fluge zur Erde zurück, legte die Hand auf die Brust und sprach: Wo aber anders läge wol das wahre Schlachtfeld dieses großen Kampfes des Guten gegen das Böse, das Schlachtfeld, das die eigentliche Entscheidung der Dinge dieser Welt gibt, als im Herzen, im Gewissen und in der Furcht Gottes eines»Jeglichen unter uns«!

Was sodann der Kirchenfürst, ganz nach Sebastus' Prophezeiung, zunächst gehofft zu haben schien, als er diesen Priester von einer kleinen Dorfpfarre in die großen Hallen seiner Kathedrale rief, war schon in kurzer Zeit eingetroffen. Vorzugsweise war es die Belebung des Beichtstuhls gewesen, auf die er gerechnet hatte. Diesen, wie alle Institutionen der Kirche, selbst die veraltetsten, in größere Aufnahme zu bringen, wurde immer mehr die Taktik des großen Feldzugs, dem hier und dort auch andere Kirchenfürsten die Oriflamme vorantrugen. Durch den Beichtstuhl war die mehrfach erwähnte Philosophie getödtet worden. Durch den Beichtstuhl theilt Rom seine Parolen aus. Im Beichtstuhl liegt das Mittel, die Fürsten wieder in die Büßerhemden von Canossa zu jagen. Die Leidenschaften regelt, erzieht und straft der Beichtstuhl, und keine mehr als die Liebe und den Haß. Der Beichtstuhl gibt Rathschläge, und für nichts mehr, als für die Verwickelungen und das Nebeneinander der Menschen, und für kein Nebeneinander mehr, als für die Ehe – »Aber auch die größte Kraft der Opposition gegen den Beichtstuhl« rief einst Benno, der in den Beichtstühlen das Räthsel seines Lebens begraben glaubte, »liegt ebenfalls in dem, was unserm 87 Jahrhundert das Heiligste geworden ist, in der Ehe und in der Familie. Wie mancher Vater hält seine Tochter zurück vom Beichten, weil sie dort – wie oft! – nach Sünden gefragt wird, von denen die Unschuld ihres Herzens und ihrer Phantasie noch gar keine Ahnung hat! Der Gatte sieht sein Weib mit Schmerz zur Beichte gehen; er kann die Vorstellung nicht verbannen, sie vollzöge einen Act der Untreue, die zwischen Liebenden auch in geistigen Dingen stattfinden kann!« – Bei alledem saß Bonaventura an dem großen Ohre des Dionysius und hörte der Menschen Bekenntnisse noch in dem Glauben, Gutes zu verrichten, Wahres, Erlaubtes. Fiel ihm auch immer und immer die lateinische Zuschrift aus Italien ein: »Quando quis tibi occurrit –«, so schrieb er doch das, was zwischen dem Kirchenfürsten und dem Mönche vorgegangen war, auf Rechnung – nur des römischen, nicht des katholischen Wesens. Der Grund des Katholischen selbst schien ihm unerschütterlich. Bonaventura glaubte an die höchste Bedeutung der Beichte.

Aber schon – die erste Erfahrung! Es hatte sich verzögert, daß mit seiner Amtseinführung auch zugleich Tag, Stunde, Ort seiner Beichtabnahme verkündigt wurde. Erst im Anfang des October war die Angabe gekommen und nicht sogleich allgemein war sie bekannt geworden, auch noch nach dem Anschlag. So saß er eines Morgens schon früh um sieben Uhr in seinem Stuhl zur ersten Anhörung und war noch allein. Den Tag vorher hatte er der Einweihung der Kirche in Drusenheim beigewohnt. Noch stand ihm das schöne Fest vor der Phantasie und gab sich wie ein fast materiell ihr eingeprägtes Bild. Erregten Naturen ist nach einer großen Anstrengung ein Auge gegeben, in welchem, wie auf des Lichtbilds feiner Silberplatte, gegen unsern Willen ein Eindruck ebenso sinnlich haften bleiben kann; wie auch das Ohr oft nicht verlassen wird von einer Melodie, ohne daß wir im 88 Willen haben, sie zu singen. Ein Beweis für die Unsterblichkeit der Seele das! sagte sich Bonaventura. Ein Bild, eine Melodie bleibt gegen unsern Willen im Auge oder Ohr haften! Warum hör' ich nur immer noch den Gesang des Veni creator spiritus? Warum seh' ich nur noch immer das feierliche Wandeln der Procession um die neu zu weihende Kirche? Nichts ruf' ich davon mit Absicht; alles kommt von selbst! So hat doch wol die Seele Eigenleben und ist von unserm Bewußtsein und Willen ganz getrennt! Drum kann und wird sie auch unsterblich sein –! So sinnend, träumend saß er und sah dann auch in ganz gleicher, unwillkürlicher, die Aerzte werden sagen, wie durch Blutandrang zum Ohr und Auge vermittelter Anschauung seinen Abschied von St.-Wolfgang. Damals war die Abwickelung der pfarramtlichen Geschäfte bald vorüber, der kleine Hausrath bald verpackt; selbst den wichtigsten Bestandtheil desselben, die Bücher, übernahm Renate nach dem Ort der neuen Bestimmung überzuführen, in das große »kaltgründige« Kapitelhaus. Alle Welt sah mit Betrübniß Bonaventura scheiden. War er auch einer von denen, die dem Volke, auch bei Gruß und Handschlag, immer »hochdeutsch« bleiben werden, so blieben ihm doch Liebe und Anerkennung gesichert. Als er, zunächst nach Kocher am Fall zum Trösten des dortigen großen Leides, abreiste, gaben ihm Männer, Frauen und Kinder das Geleite. Erst trennten sich von ihm die Männer; noch eine Viertelmeile weiter folgten die Frauen; dann eine fernere Viertelmeile die jungen Bursche und die Mädchen, die ihr Abschiedsgefühl mit Blumenspenden ausdrückten; am weitesten folgten die Kinder, die ein Fähnlein trugen. Diesen schenkte Bonaventura, beschienen vom Abendroth, abgestiegen von seinem Wägelchen, seinen letzten Vorrath von Heiligenbildern und entließ dann die kleine Ehrengarde, die ihm so ausdauernd gefolgt war und die in der Glückseligkeit über die 89 Bilder fast das Gebot der Mütter, ihm die Hände zu küssen, vergaß. Er entließ sie mit seinem Segen fürs ganze Leben und auf Nimmerwiedersehen – Einen Theil seines eigenen Lebens läßt ein Hirt zurück, wenn er von seiner Heerde scheidet –! Dann fand er die Aufregungen in Kocher! Die Ermordung der Schwester der Frau von Gülpen! Den Onkel noch in besonderer Verzweiflung über die schnelle Erfüllung seiner Besorgnisse wegen so enger Kettung des Neffen an die Römlinge! Da bereits Bonaventura nicht mehr widersprach, traten um so schärfer die Worte des Dechanten hervor: Noch zu Derwischen werden wir gemacht werden! Lies die Sprache unserer Kirchenzeitungen! Vergleiche die Ausdrücke, deren sich im Streit Menschen bedienen, die sonst nur mit elegischem Aufblick um die Passionsblumenkrone der heiligen Muse ringen –! Beda Hunnius war gemeint. Auch er hatte Bonaventura's Besuch empfangen, verzehrt vom Neid auf die Ehren, die an ihm vorübergegangen. Die von Schnuphase ihm in Aussicht gestellte Ernennung zum Ehren-Kanonikus war nicht eingetroffen. Wie hielt er dem Collegen die Theuerung der großen Stadt entgegen, die Mühen eines solchen Amtes, die Abhängigkeit von den Vorgesetzten, denen man auf diese Art viel zu nahe gerückt wäre! Hunnius that, als wäre der junge Domherr nur zu bemitleiden. Und in der Dechanei selbst war dann noch keine neue »Nichte« wieder angekommen und der Dechant, verdrießlich über alles, über Gott und die Welt, wollte gar keine mehr. Als Bonaventura von dem Obersten zurückkam, grämelte der Dechant: Ich muß nun noch den Obersten und Hedemann ernstlich auffordern, die Messe zu besuchen und die Beichte! Warum kommen sie nicht wenigstens zu mir! Wahrhaftig! Ich mache es doch so leicht –! . . . Glücklicherweise, setzte er hinzu, rüsten sich beide, unsere Gegend zu verlassen und können dann nicht länger ihre englisch-amerikanische 90 Gesinnung hier zur Schau tragen. In der Erörterung auch über Armgart, über ihre Flucht, über das Schicksal der armen Angelika, die nun irgendwo eine neue Stellung finden mußte, über den Proceß des Hammaker, über dessen vorauszusehende Hinrichtung – brach der Dechant, als Windhack gerade einige neue Kupferstiche brachte, Ausgrabungen in Ninive darstellend, in die Worte aus: Ja, auch ich hätte lieber vor zweitausend Jahren leben mögen! Aber auch damals regierten schon die Priester! Wie wäre mir's wol geworden, wär' ich ein Priester des Osiris gewesen, Windhack ein Sternseher auf den Pyramiden und unsere gute Frau von Gülpen die schöne Kleopatra! Wenn dereinst und nur zu bald alles, alles aus sein wird – wie gern kröch' ich da in den ungeheuern Cheops oder in eine von den großen Sphinxen und erwartete das Jüngste Gericht als Mumie! Windhack und die Tante legten sich dann auch als – Mumien neben mich! Bitte, warum denn nicht? Hunnius müßte das Räucherwerk zu unserer Einbalsamirung liefern; alle Spezereien, Myrrhen, Aloes, was nur in seiner Dichterapotheke an wohlriechenden Kräutern von ihm geführt wird! Das gäbe eine Genugthuung, wenn am Jüngsten Tage alles zu Staub geworden ist und nur wir drei kröchen aus unsern Cocons heraus wie die Kobolde, lachend, roth und frisch geschminkt und so wohlbehalten, ja hungerig, als wären wir gestern erst bei Major Schulzendorf zu Thee und Butterbrot gewesen –! – – Alle diese Bilder und Klänge der Erinnerung zogen an Bonaventura vorüber, blitzschnell, auch Lucinde und Sebastus mischten sich ein, beängstigend – sogar Schnuphase – Der menschliche Geist ist ein Vorrathshaus, zu welchem nicht der Wille den Schlüssel führt.

Des Priesters innere Betrachtung und Sammlung soll der Beichte selbst gelten. Wirst du auch, dachte er, durch die einfachen Lebensvorgänge des Landvolks die Uebung gewonnen haben, 91 dich in die Bekenntnisse dieser Großstädter zu versetzen? Aber vielleicht nehmen die Städter nicht an den harmlosesten Dingen so vielen Anstoß wie die Landbewohner –! In St.-Wolfgang war vielleicht Bonaventura bereits mehr der Vertraute der Neidischen und Misgünstigen gewesen, als in den Städten diese Untugenden eingestanden werden. Wie trug er doch schon so schwer, tiefschwer an Sünden-, ja Verbrechenlast, die in das Beichtohr der katholischen Kirche gelegt wird und oft nie vor die Richterstühle der Erde gelangt. Selbst auf das Verkehrteste und Wunderlichste war er schon vorbereitet. Auf dem Lande war es ihm geschehen, daß ihm im Beichtstuhl eingestanden wurde, man hätte nur die Hälfte von der in der Communion dargereichten Oblate im Augenblick der heiligen Handlung verzehrt und zu nochmaliger Stärkung sich den Rest aufbewahrt für eine passende Gelegenheit, um ohne den Priester den Leib des Herrn zu genießen. Was von dieser Sünde zu halten sei, hatte man gefragt. Statt seiner antwortete die Weisheit der römischen und spanischen Gewissensräthe: Hatte die Frau, welche der Fall traf, so betrügerisch gehandelt in Verehrung vor dem Leib des Herrn, so wird sie losgesprochen; wußte sie aber und kannte sie die Verbrechen, die sie alle beging (1. das eigene Ergreifen der heiligen Gestalt mit ungeweihter Hand, 2. das Tragen derselben in ungeweihten Kleidern, 3. den Gottesraub, daß sie selber sich zum Priester wurde beim Empfangen der allerdings völlig zur gnadenreichen Wirkung ausreichenden zweiten Hälfte, 4. endlich, daß sie sich das Allerheiligste reichte im Stande der Todsünde), so hatte sie vier schwere Sünden begangen, für welche ihr vom Priester die Verzeihung des Himmels erst nach langer Buße verbürgt werden konnte. In solchen Gewissensconflicten übt sich selbst die Seelsorge eines Landpfarrers.

So konnte sich denn vertrauensvoll der junge Domherr das 92 Haupt in die Zipfel seiner Stola hüllen, konnte gefaßt das Schiebfensterchen rechts oder links aufziehen und auf das Beichttuch gebückt aufhorchen, welche Vergehungen ihm eingestanden wurden. Sein Herz schlug höher, als er eben die Hand ausstreckte, um den ersten Beichtbedürftigen zu vernehmen, den er auf dem Holze zu seiner Linken niederknieen hörte. O, sagte er sich, wie viele Vergehen hast du doch schon im Keim erstickt! Wie viele Rathschläge gegeben, wie viel Aufforderungen, den bessern Theil und den Frieden zu wählen, wenn auch einstweilen zu eigener Verkürzung des Reuigen! Wie manches Entwendete war still wieder auf den Platz zurückgelegt worden, von wo es genommen! Wie mancher Arme hat durch dich eine Spende empfangen, er wußte nicht wie und warum und von wem –! Dem poetischen Wesen Bonaventura's entsprachen Bußformen, wie: Gehen Sie und geben Sie dem ersten Armen, der Ihnen begegnet und dem Sie seine Bedürftigkeit, auch ohne daß er Sie darum anspricht, ansehen, nach dem Maß Ihrer Kräfte, ohne daß es jemand sieht! Oder: Gehen Sie in eine Armenschule und steuern Sie für das jüngste der Kinder, die nur in Holzschuhen oder barfuß gehen, eine Gabe! Oder: Knieen Sie in der nächsten Messe neben demjenigen, der Ihnen nach einem kurzen und nicht auffallenden Umblick in der Kirche durch den Zustand seiner Kleider als der Aermste erscheint –! Selbst an Trendchen Ley konnte sein liebevoller Sinn denken und an die Geschwister derselben, für die er im Waisenhause auf diese Art sorgen wollte. Auch an die Kerze, die er einst während des »innern Gebetes« Lucinden anzuzünden und niederbrennen zu lassen geheißen hatte. Er ahnt, daß es Lucinde sein würde, die sich diese erste Zwiesprache mit ihm nicht entgehen lassen würde.

Aber er öffnet muthig und sieht nicht den schwarzen Sammethut, sieht nicht das sich leicht erhebende, schleierverhüllte 93 weibliche Angesicht einer Beichtenden – sein Ohr will nur hören. Die Formel der Anrede ist dieselbe in Rom, am Fuß der Cordilleren und im Indischen Archipelagus. »Ich arme Sünderin bekenne vor Gott, dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, Jesu Christo meinem Erlöser, der heiligen Jungfrau und allen lieben Engeln und Heiligen und Ihnen, Priester an Gottes Statt, was ich seit meiner letzten Beichte gesündiget habe –!«

Seltsam! Die Knieende spricht – – diese Formel nicht. Schon ist ihm seine Ahnung bestätigt. Kaum kann er das Wort der Ermuthigung finden, das ihm sonst so geläufige: »Unser Herr Christus sei in deinem Herzen und auf deinen Lippen, damit du deine Sünden recht beichtest. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!« . . . Die Beichtende beginnt nicht. Er wendet sich, ihr Auge zu sehen. Es trifft ihn ein Strahl desselben und die in ihm selbst fortdauernde, wenn auch nicht eingestandene Spannung auf Lucinden gibt ihm die vollkommene Befähigung, die Scene zu verstehen, die ihn aufs tiefste erschrecken mußte –

Vier Wochen des Schmerzes, der Sehnsucht, der Erwartung, vier Wochen einer künstlichen Vernichtung ihrer selbst hatten Lucinden in einen Zustand versetzt, vergleichbar der Ansammlung atmosphärischer Niederschläge, die durch plötzliches Hinzutreten reiner Luft sich in Feuer verwandeln müssen. Die reine Luft war hier dies endliche Anredendürfen und Alleinseinkönnen mit dem, den sie zuerst, einzig und allein geliebt hatte und den sie noch mit ihrem ganzen Leben liebte; das Feuer war die Verwandlung des Herzenskrampfes in convulsivisches Weinen. So erliegt die härteste Natur dem allgemeinen Gesetz. Dann gibt es keinen freien Willen mehr. Irgendwie muß sich die Ueberspannung der Seelenkräfte helfen. Diese konnten entbehren bis zum Aeußersten; nun tritt sogar die Erfüllung ein und gerade 94 dann erst bricht recht die Kraft. Lucinde war über das, was ihr geschah, selbst in Verzweiflung. Sie hatte keine Scene beabsichtigt. Sie hatte eine Reihe von Sünden, Falschheit, Heuchelei beichten wollen, sie hatte sich mit keiner Tugend schmücken, nur auf der ganzen Höhe ihres bisherigen Lebens schwebend erhalten, in Seligkeit den Augenblick, dem Mann ihrer Anbetung so nahe zu sein, genießen wollen – nun war sie stumm und weinte wie über zwanzig Jahre eines verfehlten Lebens. Sie zahlte gleichsam nachträglich an die vielen Gelegenheiten, wo über das Schmerzlichste ihre Augen trocken geblieben waren, den schuldigen Tribut. Vorgänge dieser Art sind im Beichtstuhl nichts Seltenes. Bonaventura mußte Lucinden Zeit lassen, sich zu sammeln. Sah er auch wol, daß sich allmählich schon andere, die an sein Ohr zu kommen begehrten, eingefunden hatten, so bedurfte er ohnehin der Sammlung selbst. Endlich sprach er: Rufen Sie den Helfer an, von dem Sie ja wissen, daß wir auf dem Wege zur Buße vorzugsweise zu diesem zu beten haben, den Heiligen Geist!

Keine Antwort erfolgte. Das Schluchzen der Knieenden war jenes, das wir an uns kennen, ein Weinenmüssen, wo wir selbst sagen möchten: Welche Thorheit ist das nun von dir! Und wir können doch nicht anders –!

Wann haben Sie zum letzten mal gebeichtet? fragte Bonaventura mit Milde.

Nur Thränen antworteten.

Welcher Sünde zeihen Sie sich?

Da Bonaventura nach einer Weile die Frage wiederholte, war es ihm, als hörte er das Wort: »Aller!« Das Wort kam aber so schnell, so erstickt, so entsetzlich aufrichtig für sein Ohr, daß er keine weitere Gewissenserforschung anzuknüpfen wagte. Auch erhob sich Lucinde. Schlank und hoch, wie sie war, ging 95 sie ohne Segen und Absolution von dannen. Es war eine Flucht. Bonaventura sagte sich: Welch ein Anfang! Was wird da noch alles kommen –!

Und gewiß wurde für ihn dieser Theil seiner Seelsorge der mühevollste, ein zehrender an seiner geistigen und physischen Kraft. Wie blickte er in die Tiefen der menschlichen Herzen! In Abgründe, vor denen ihn Schaudern ergriff! Wie nur allein die Frauen zu ihm redeten! Solche zumal, die sein in der Stola verborgenes Auge kaum sah, denen er aber schon am Rauschen ihrer Kleider es anhörte, sie gehörten der vornehmen Welt an. Ihren Stand verrieth in ihren Haaren, in ihren spitzenbesetzten Taschentüchern, die sie vor die Augen drückten, der kostbare Duft. Manche dieser Frauen kannte er schon durch den immer gleichen Eindruck, den sie ihm verursachten. Immer derselbe Ton des Vortrags, dieselben Vorwürfe, die sie sich machten, dieselben Allgemeinheiten der Selbstanklage, die er zurückzuweisen pflegte. Viele kamen nur, um dagewesen zu sein. Wem er es anhörte, daß sein Beichtbedürfniß nur eine phrasenhafte Aeußerlichkeit, sozusagen ein Luxus der Gefühle war, den unterbrach er mit dem Wort der Schrift: »Die Lüge aber ist der Leute Verderben –!« Das Schmerzlichste war dabei, das Uebel sehen und trotz alles Vorbaues im Keime nicht ersticken können. Verbrechen hören und nicht anzeigen dürfen! Verbrecher hören und sie nicht einmal ansehen dürfen! In St.-Wolfgang war es ihm schon geschehen, daß ihm Bekenntnisse gemacht wurden von seinem eigenen Knecht, der ihn selbst – bestohlen hatte. Er durfte den Dieb nicht aus dem Dienst entlassen! Würde er es gethan haben, so hätte jener daraus einen Misbrauch des Beichtgeheimnisses entnehmen können.

Die Katastrophe des Kirchenfürsten hatte Bonaventura voraussehen müssen und doch erschütterte sie ihn und schloß eine Weile die zwiespältige Stimmung seines Innern. Als jüngster 96 Domherr, eben eingetreten, hatte er im engern Capitel noch keine Stimme. Die Curie übernahm die Regierungsgeschäfte des erledigten Kirchenthrons. Glücklicherweise blieb der Präsident, sein Stiefvater, diesen Wirren fern. Immer mehr verblaßten bei solchen Aufregungen die Schriftzüge des räthselhaften Briefes, den er, wie der Dechant, empfangen. Anfangs träumte er von ihm; in schlaflosen Nächten traten ihm die lateinischen Worte in Bildern entgegen, wie wenn er das Concil von Trient noch einmal versammelt sähe, noch einmal selbst mitstimmen müßte, ob in Kostnitz Huß und Hieronymus zu verbrennen wären – Bald aber ließ ihn die Seelsorge, sein Beruf, so voll außerordentlicher Mühen, doch auch voll Belohnungen und Erhebungen, die Versuchungen zum Zweifel vergessen.

Lucinde war nicht wiedergekommen. In der Kirche begegnete er ihr oft; sie schlug dann die Augen nieder. Klingsohr war unmittelbar nach seiner Abreise im September, anfangs vom Kirchenfürsten, später von der Regierung »bis auf weiteres« unter strengste Clausur gestellt worden. Als Bonaventura zurückkehrte, bewohnte er noch die Zelle im alten Profeßhause der Jesuiten, durfte sie aber nicht verlassen. Räthselhaft blieb ihm von Seiten der geistlichen Behörden diese fortgesetzte Strenge, über die er sich bei Michahelles erkundigte, aber nichts als ein ausweichendes Achselzucken zur Antwort erhielt. Hatte man von Lucinden erfahren? Traute man nicht der Selbstbeherrschung des Mönches? War Neues geschehen? . . . Eine Zeit lang schien Klingsohr als Gefangener seiner geistigen Hülfsmittel nicht beraubt. Artikel schrieb er nach wie vor. Jetzt erst konnte Bonaventura in den von ihm gründlicher gelesenen Aufsätzen Klingsohr's die Kraft der Darstellung, die nicht immer täuschende Kunst einer Beweisführung bewundern, die trotz der tiefsten Demüthigung durch die katholischen Institutionen nicht aufhörte die protestantische Welt 97 zu bekämpfen. Klingsohr klirrte an einer Kette, die er doch gelassen trug. Das eben war seine Art: Es mußte ihm etwas imponiren, wenn es ihn überzeugen sollte, und hätte das Imponirende in seiner eigenen Züchtigung gelegen! Er schrieb in jener Zeit, wo norddeutsche ihm geistesverwandte Philosophen anfingen mit Bewunderung von Asien und Rußland zu sprechen. So tief ausgehöhlt sich in sich selbst fühlend, so in ewiger Verneinung sogleich, ohne alle und jede Liebe selbst für das, dem sich selbst verwandt zu fühlen man doch verpflichtet ist, so von einigen Schwächen ihrer eigenen Partei sogleich erkältet, bedurften sie eines Ersatzes für die sie umgebende Schemenwelt. Sie bewunderten die Kosacken. Sie begannen das sogenannte »Naturwüchsige« zu preisen in jeder Form, wenn es nur nicht Fleisch war vom eigenen Fleisch, Bein vom eigenen Bein, zuletzt nichts, was die Signatur der Bildung trug. Einem Besuch, den Bonaventura beim Vater Sebastus machen wollte, stellten sich Hindernisse in den Weg. Andererseits schien das einst so lebhaft empfundene Bedürfniß des Mönches, gerade ihm zu beichten, vor dem vielleicht neuerwachten Hochmuth zurückgetreten. Zwei Seelen wohnten in dieser widerspruchsvollen Brust, von denen die eine sich von der andern ewig zu trennen suchte. Oder hatte Klingsohr von Lucindens Schwärmerei gehört für den »milden Versöhner«, wie er ihn genannt? Kurz, Bonaventura harrte vergebens. Kein Lebenszeichen kam aus dem alten Profeßhause.

Nach der Gefangennehmung des Kirchenfürsten verstummten eine Zeit lang die Artikel des Paters. Die Haft, die jetzt durch die gebrochene Macht des Kirchenfürsten hätte aufgehoben sein können, wurde nun erst recht gegen den Agitator mit der zweischneidigen Feder von der Regierung bestätigt, ja verschärft. Bonaventura bat Benno, sich nach dem Schicksal des Paters zu erkundigen. Nach dem, was Benno in Erfahrung brachte, ließ 98 sich annehmen, daß Klingsohr für seine Preßvergehen in Untersuchung, vielleicht schon in sein Kloster zurück war. Da tauchten wieder neue Artikel von ihm auf in dem in diese Stadt verlegten, von der Regierung aufs strengste überwachten »Kirchenboten«. Es war eine Reihe von fortlaufenden religiösen Betrachtungen unter dem Titel: »Stufenbriefe vom Calvarienberge des Lebens –« Es konnte also eine Begegnung mit ihm, dem neuen Domvicar, wol noch vorbehalten bleiben.

Durch den Beichtstuhl trat Bonaventura in die innersten Lebensbezüge auch solcher Bewohner dieser Stadt, die für uns vielleicht Interesse haben. Nicht daß wir die Wirthin »Zum goldenen Lamm« belauschen möchten, die nicht umhin konnte, gleichfalls den »schönen« jungen neuen Geistlichen mit ihrem bisherigen Beichtvater auf einige Zeit zu vertauschen. Selbst die Sünden, die Eva und Apollonia Schnuphase zu bekennen den tiefinnerlichsten Drang fühlten, verschweigen wir – obgleich das Beichtsiegel unlösbar, so gibt es doch im Reiche der Dichtkunst keine Geheimnisse – Eher würden wir Frau Commerzienräthin Walpurgis Kattendyk belauschen mögen, die sich förmlich – in ihren Sünden ausdampfte, wenn sie an das Ohr des jungen Domherrn gelangte, dem zu Liebe sie den Kanonikus Taube um Schlaf und Appetit brachte. Auch ihre Tochter, Frau Procurator Nück, fehlte nicht. Sie kam jedesmal in anderer Toilette; sie bekannte jeden Verstoß gegen die Fastenordnung, den sie sich hatte zu Schulden kommen lassen, nie eine tiefer gehende Herzens- und Nierenprüfung, nie den leisesten Schimmer der Erkenntniß ihrer Eitelkeit und Verschwendung. Johanna Kattendyk vollends, ihre jüngere, noch unverheirathete Schwester, war so fromm, daß sie für Zahnweh, das sie befiel, Messen bestellte; aber auch in ihr Innerstes mußte erst der »Beichtspiegel« greifen, dies sicher gehende Brecheisen der Verstockung, das ihr die Fragen 99 vorhielt: Warst du nicht hoffärtig? Warst du auch mildthätig? Bist du versöhnlich, liebevoll, nachsichtig –? Alle ließen sich deutlich von dem jungen, im edelsten Eifer sich hinopfernden Priester den bekanntlich so schmalen und engen Weg zeigen, von dem geschrieben steht: Ich bin die Wahrheit und das Leben –! und doch lag für sie ihr Handeln und Fühlen immer nur auf der breiten Landstraße des Alltäglichen. Nicht eine von den beiden letztern gedachte der Schwester Hendrika Delring anders, als mit bitterster Anklage. Namen zu nennen verbietet die Beichtordnung. Bonaventura verstand aber allmählich immer mehr manche Umschleierung, errieth manche Andeutung und warnte auch hier auf Anlaß eines Conflicts wegen »künftiger Religion« eines Familienmitgliedes vorläufig, bis er die Verhältnisse übersah, mit dem Wort des Apostels: »Verwirret die Geister nicht!« – einem Citat aus der schönsten Schutzrede der Toleranz, die man bekanntlich (oder vielmehr leider nicht bekanntlich) in Lessing's »Nathan« nicht so milde, als im Briefe Pauli an die Römer, Kapitel 14 und 15, findet – Trendchen kam zur Beichte nicht – Aus Rücksicht auf die Nonnen vom Römerweg durfte sie schon seit lange nur zu Cajetan Rother gehen.

Auf Weihnacht zu näherte sich die bange Prüfung der Reise nach Witoborn und Schloß Westerhof. Paula's Proceß hatte plötzlich eine für sie höchst ungünstige Wendung erhalten. Wie Benno schon lange versichert hatte, konnte der oberste Richterspruch von Nück's Fechterkünsten nicht länger parirt werden. Benno sah den Freund oft, doch seltener, als ihnen beiden Bedürfniß war. Zu sehr nahm Bonaventura sein Amt in Anspruch, zu sehr war auch die Gefangennehmung des Kirchenfürsten ein Ereigniß, das auf einige Zeit jedes Urtheil erschreckte und divergirenden Denkern gebot, mehr sich zu vermeiden als zu suchen. Nück's Federn rauschten von Morgens bis Abends. Er gab die 100 Mittel an die Hand, die gegenwärtige Stellvertretung des Kirchenfürsten als eine nicht berechtigte darzustellen und somit die Schwierigkeiten der Lage für die »Neunmal-Weisen« noch zu vermehren. Schon war von einer Gesandtschaft der Stadt und der Provinzialstände nach Wien an den damals allmächtigen ersten Staatsmann der Zeit die Rede und leicht hätte sogar Benno zu der Ehre kommen können, sie zu begleiten; wenigstens sprach ihm Nück davon. Und als dann Armgart's Mutter in der Nähe und in der Stadt auftauchte, da entdeckte Bonaventura wol, was in Benno's Innern über alles in der Welt die Oberhand behielt, Armgart's liebliches Bild. Nun war wieder Armgart's nahe Beziehung zu Paula eher ein Hinderniß der vertraulichen Ergießung, als eine Förderung.

Eines der schwersten Aemter seines Berufs wurde dem jungen Domherrn aufgebürdet, als er eines Tags die Anzeige erhielt, der Mörder der Schwester der Frau von Gülpen hätte ihn zu einer letzten Beichte über sein ganzes Leben gewählt. Wie kam Jodocus Hammaker zu dieser Wahl? Zum Richtplatz begleitete ihn der Seelsorger des Gefangenenhauses; aber dieser letzte Beistand schloß nicht aus, daß sein Beichtvater ein anderer war. Warum wählte er Bonaventura von Asselyn? Er hatte ihm, wie Benno, als Entlastungszeuge beistehen sollen für sein Alibi in jener Abendstunde, in welcher der Mord geschehen war. Da hatte jedoch schon das Blut an seinen Händen geklebt. In dem einsamen Hause am Stromesufer hatte er seinen Raub bei ihm bekannten Hehlern verborgen. Benno mußte für Hammaker's Besuche bei der Ermordeten gegen ihn zeugen, wie er gleich anfangs gewollt hatte. Als Nück beim Plaidiren dem »alten Freunde« die Prise verweigerte, wohnte Bonaventura der Gerichtsverhandlung als Zuschauer bei, gespannt auf die Worte, die Benno sprechen mußte. Der Verbrecher, kokett bis zur letzten 101 Stunde, sah die große Ehrfurcht der Menge vor dem Priester. So fiel ihm bei: Dem willst du dein letztes Testament übergeben! Dem, der ohnehin der Schwester deines Opfers nahe steht –!

Die Verbrechen, die er zu enthüllen hatte, gehörten den »reservirten Fällen« an, die vom höchsten Sitz der Kirchenprovinz diesem allein zu hören vorbehalten sind und deren Anhörung an einen untern Geistlichen nur durch besondere Vollmacht überlassen werden konnte. Benno hatte eine Ahnung, Nück, als Hammaker's Vertheidiger, würde Miene machen, diese an Bonaventura zu ertheilende Vollmacht zu hintertreiben, er würde die Competenz der gegenwärtigen kirchlichen Oberbehörde zu solchen Vollmachten bestreiten, würde erklären, daß das ganze Land im Augenblick gar keine kirchliche Regel besäße. Doch gab sich Nück zufrieden, in des Delinquenten Verlangen zu willigen, selbst auf Gefahr hin, daß die teuflische Seele gegen ihn undankbar blieb bis zum letzten Lebenshauch. Wie bereute er, ihm den Griff in seine Dose abgeschlagen zu haben! Er, der doch im Volkston plaidirte; er, der das Publikum durch seine schlagenden Witze und Späße bei den ernstesten Dingen belustigte –!

Eines Morgens nach der Messe machte sich Bonaventura zu dieser schweren Pflicht auf. Er fuhr in einem Wagen, im vollen Ornat seiner Würde. Als er in eine enge Gasse einlenkte und zu den Eisenstäben der Fenster eines alten Gebäudes aufsah, überfiel ihn ein Grauen. In diesen dunkeln Mauern verhallten schon so viele Wuthausbrüche der Verzweiflung, so viele Seufzer der bittersten Reue. Hier saßen einst jene Verbrecherbanden, durch welche die Länder zwischen der Maas und Mosel, bis zum Main, zum Rhein und zum Neckar hinunter unsicher gemacht wurden, unmittelbar in den folgenden Zeiten, nachdem Schiller das Räuberleben zu poetisch verklärt hatte. Diese Roller und Schweizer hatten 102 wirklich nur Schufterles, keinen Karl Moor an der Spitze, doch auch manche kräftige und bessere Natur, die im Sinnenleben und durch schlechtes Beispiel zu Grunde ging. Die Picard, die Bosbeck haben die Annalen der Verbrechergeschichte aufgezeichnet, wilde, grausame, verwegene Menschen, in der Mehrzahl Juden, bei denen sich die angeborene List ihres Stammes mit einem altbiblischen Muthe verband. Immer durch die Schrecken der Revolution hindurch sengten, plünderten und mordeten diese Menschen in Genossenschaften zu halben Hunderten. Ueber Holland und Deutschland hinweg waren ihre Hehler ausgebreitet, ja so weit, daß in fernen Gegenden selbst die Wächter der Ordnung, selbst die Büttel und Häscher ihre eigenen Angestellten waren. Als sich Napoleon's Herrschaft befestigte, gelang allmählich die Unterdrückung dieses Gaunerthums. Oft bestiegen an einem Tage ihrer zwanzig bis dreißig die Guillotine. Die Kinder gab man unter andern Namen hierhin und dorthin; in Holland schickte man die meisten nach Java.

Zweimal erst hatte Bonaventura den Procurator Nück gesehen, bei seinem Vetter und vor Gericht. Heute begrüßte er ihn beim Verlassen des Doms, beim Einsteigen in den Wagen. Dann aber mußte ihm Nück nachgefahren sein; denn er stand auch am Wagenschlag, als er ausstieg. Es sprach wie Todesfurcht aus dem sonst so furchtlosen Manne.

Bonaventura, geleitet von dem Gefängnißwärter, einer Wache und dem gewöhnlichen Seelsorger der Gefangenen, einem Kaplan, trat in das finstere Gebäude, stieg eine schmale steinerne Wendeltreppe empor, hörte die Schlösser fallen, die Riegel klirren und stand darauf in einer fast dunkeln Zelle vor einer von einer Pritsche sich aufrichtenden Gestalt, deren linker Fuß durch eine Kette an die Mauer befestigt war.

Grauenvoller Gegensatz! Dieser heutige Morgengruß und 103 jener abendliche vor vier Monaten. Es war als huschte die Fledermaus hin wie damals, als Bonaventura und Benno so spät noch am Ufer saßen und den im Mondlicht fischenden Knaben zusahen. Dann – die Erinnerung an das Aufhängen des Procurators, seines Vertheidigers, der in einiger Entfernung sogar noch dem Hinaufsteigenden gefolgt war! Jene Mittheilung Benno's! Was konnte hier noch enthüllt, was von der Seele abgewälzt werden und zu welchem Nutzen?

Die Thüren blieben offen. Die Begleiter verharrten auf den vordern Gängen. Einmal hörte man noch das Geräusch des Holzzulegens in dem kleinen eisernen Ofen der Gefängnißzelle, einem sogenannten »Hund«, der von außen geheizt wurde. Dann war alles still. Bonaventura setzte sich und der Verbrecher kniete vor ihm nieder.

Wie ein böser, ängstlicher Traum war das alles – ein Traum, an dessen Wirklichkeit der Priester nicht glauben mochte. Und doch saß er da im weißen reinen Gewande der Unschuld, ernst das Haupt senkend, und vor ihm lag eine verfallene Gestalt im grauen Kittel, mit welken, schlaffen Zügen, kahlem Schädel, entkleidet aller Hülfsmittel, um Kraft und Unbefangenheit zu lügen, die Hände abgemagert, das Auge weiß und so unheimlich, als könnte in diesem verworfenen Leben noch jeden Augenblick eine ruchlose That lauern, in einem Leben, das nach raschem Instanzengang und verweigerter Majestätsgnade in einigen Tagen durch die Guillotine enden sollte.

Nach den ersten von Bonaventura mit klopfendem Herzen gesprochenen Gebeten und Ermahnungen, der Gnade Gottes zu vertrauen, gab Hammaker ein Bild seiner Jugend. Ohne Zweifel wollte er, daß die Welt von ihm erfuhr, er hätte gründlich und fromm gebeichtet. Er wollte, daß sie ihm Theilnahme schenkte, selbst noch auf dem Richtplatz. So erließ er dem Hörer 104 nichts von dem, was in den verstecktesten Winkeln seines Innern lebte. Aller Hohn, alle Verwünschung wird schweigen, dachte er, wenn man erfährt, wie du dich so demuthsvoll unterworfen! Mit tonloser, weicher Stimme hauchte der Unselige die Worte: Von meinen Aeltern, die später zurückkamen und nichts behielten, als ein Witwenhäuschen für meine arme Mutter, eine Frau von nahe achtzig Jahren, bin ich gut erzogen und studirte die Rechte – mit nur zu vielem Beruf dafür. Ich drehte den Spieß um und sagte: Summa injuria summum jus: wo du alles gegen dich hast, gerade da übe dich in deinem Spiel! Erst wurde das meine Devise aus Uebermuth, dann aus Noth; wild lebte ich und hatte Bedürfnisse, die Geld kosteten. Schon damals bekam ich einen so übeln Ruf, daß mir die Niederlassung als Anwalt nur versuchsweise auf dem Lande gestattet wurde. In den Sieben Bergen drüben wohnt' ich – am liebsten aber war ich hier in der Stadt und nun mußt' ich Geld machen! Hätten die Bauern mich doch schon damals todt geschlagen! Um eine Person, die sich an mich hängte, hatt' ich zwei Termine versäumt, darüber einen Proceß verloren – erst später kam es heraus; der Bauer, dem die Sache Geld gekostet, wollte mich wirklich todt schlagen. Es wäre besser gewesen –! – Schon jetzt verließ den Sprecher die Kraft. Die Reue läßt sich nicht vergebens nachäffen. Sie bewältigt den Heuchler wider Willen.

Bonaventura übersah vollkommen diesen Zustand. Schon sofort beim Eintritt war ihm die geringe Bußfertigkeit des Verbrechers erwiesen. Er faltete gelassen die Hände und betete, nicht etwa um Vergebung und mit ermunternder Zuversicht auf Gottes Gnade, sondern um Bewahrung eines reinen Sinnes und um Schutz vor Heuchelei. Hammaker fühlte, daß er in seinem begonnenen Ton nicht fortkommen würde. Er folgte der Weisung des Priesters, sich zu erheben und auf der Pritsche Platz zu 105 nehmen. Die Kette rasselte an seinem Fuße. Er sank mehr nieder, als er sich setzte –

Einmal, begann er aufs neue – und in dieser Stille klangen die Worte hohl wie aus dem Grabe – einmal kam ich an einen Weg, wo ich hätte umkehren können! Es war durch einen Mönch, der an meinem unseligen Leben nur zu verhängnißvoll zum Rächer für alles Unterlassene werden sollte –

Rächer – ein Mönch? warf Bonaventura mit Vorwurf ein –

Würden Sie diesen Bruder Hubertus kennen, hochwürdiger Priester, Sie gestatteten mir mein Wort!

Bonaventura hörte den Namen, den er aus der Verhandlung zwischen Sebastus und dem Kirchenfürsten als den »Bruder Abtödter« kannte. Dieser Name war in den Verhandlungen vor den Assisen genug genannt worden. War es doch der Erbe der ermordeten Hauptmännin –

Ich verlor meine Stelle auf dem Lande, fuhr Hammaker fort, zog in die Stadt und arbeitete bei meinem Freunde – meinem Vertheidiger – ich meine Nück. Nück hatte mit mir studirt. Nück schlug einen andern Weg ein, als ich. Aber auch ihn lockte der Sirenensang der Freude –

Sprechen Sie von sich selbst! unterbrach Bonaventura den Verbrecher, der diese Worte mit Gefallen betonte – Dieser Teufel, sagte sich vielleicht Nück draußen, opfert mich – um eine verweigerte Prise –!

Der Verbrecher knüpfte die graue Jacke, die er trug, fester zu, als fröre ihn. Es war dies das Geburtsfieber, das er sich bei seinem verstockten Gemüthe mit solchem Ernste nicht möglich gedacht hatte. Eine Weile zitterte er sich aus. Nach dem Schauder gewann er neue Kraft – Ich arbeitete bei Nück, lenkte er ein, und erhielt einen Auftrag, in eine süddeutsche 106 Stadt zu reisen zur Regulirung einer Streitfrage über geistliche Güter. Gerade war ein Mönch bei Nück, der dieselbe Reise zu machen hatte und dem man mich zum Begleiter gab. Wir reisten zusammen. Vierzehn Tage, die ich mit diesem Mönche zubrachte, sind mir unvergeßlich geblieben – der Bruder sprach nicht viel und aß und trank nur wenig. Ein Laienbruder der Franciscaner war es. Er hatte Reisen gemacht, war in Indien gewesen und ein Sonderling. Aus dem Kloster Himmelpfort bei Witoborn hatte man ihn entsendet, um in einem süddeutschen Convict eine Heilung zu versuchen mit dem Rector desselben, einem Pater Fulgentius. Dieser Unglückliche hatte die Gewohnheit –

Sprechen Sie von sich selbst! unterbrach Bonaventura aufs neue –

Ich wollte nur sagen, was ein gutes Beispiel thut, ehe ich bei Nück –

Warum behielten Sie das Vorbild der Strenge, der Selbstkasteiung, der Entbehrung, das Ihnen jener Mönch gab, nicht vor Augen?

Das wurde gerade die Ursache meines Falls –

Bruder Hubertus die Ursache Ihres Falls?

Eine Handlung von ihm, deren Zeuge ich durch Zufall wurde! Schon einige mal hatte ich den Bruder in das Convict begleitet, wo er einen Auftrag zu erfüllen hatte, von dem ich nichts erfuhr. Da ich regelmäßig eine Aufregung unter den Scholaren bemerkte, so oft der Bruder zu ihnen kam, verfiel ich auf diese und jene Vermuthung. Keine derselben war so geheimnißvoll, als mir die spätere Entdeckung zeigte. Eines Abends sah ich den Mönch, wie so oft, ins Convict eintreten, wo er nicht wohnte. Ich folgte; der Thürhüter kannte mich und hatte kein Arg. In den Gängen der untern Klassen war alles wie sonst. Oben aber 107 war es einsam. Dann hört' ich ein eilendes Rennen und Laufen, der Thür zu, wo die Wohnung des Rectors lag –

Ein seltsames Rollen hatte schon einige mal Bonaventura's Aufmerksamkeit erregt. Ueber der kleinen Zelle ging es wie ein sich ankündigendes Gewitter hin und her –

Es sind Gefangene, erklärte der Verbrecher, als Bonaventura aufblickte, solche, die Kugeln an den Füßen tragen – Der Boden ist hohl – Wer ihn durchbrechen könnte! lag in dem Blicke, den Hammaker auf die Decke richtete. Seine eigene Kette ließ ihn sich nicht fünf Schritte von der Mauer entfernen – Ich horchte in die Ferne, fuhr er dann sinnend und zerstreuter fort, und hörte geheimnißvolles Wispern, ja jetzt wie ein Gehen nur auf den Zehen. Im Kreise von Lehrern und Alumnen stand mein Mönch, hielt feierlich alle zurück, schritt auf die Thür zu, die ich, hinter eine Treppenlehne zurücktretend, sehen konnte, da sie querwärts den langen Gang beendete, er öffnete und – allen bot sich der Anblick eines Mannes, der an einem Fensterhaken sich erhängt hatte! Der Mönch ging unerschrocken auf ihn zu, schnitt mit einem aus der Tasche gezogenen Messer den Strick durch, hielt dann in der kräftigen Linken den Leichnam und rief die Fernstehenden näher. In diesem Augenblick wurde ich gestört und mußte mich entfernen –

Bonaventura hatte die Frage auf der Lippe: War der Unglückliche der Pater Fulgentius? Doch unterdrückte er sie als einen bloßen Beweis seiner Neugier.

Noch am selben Abend, bestätigte aber der Mörder, hieß es, der Rector wäre gestorben. Auch die Art seines Todes blieb nicht verschwiegen. Von Melancholie wurde gesprochen. Ein Arzt sprach von Selbstzerstörungswahn. Ja am Wirthstisch hieß es: Ein Mönch hätte ihn davon heilen sollen. Heilen? Das schien mir seltsam. Die Heilung hatte hier sehr fehlgeschlagen. 108 Als ich endlich von dem Bruder Hubertus Abschied nehmen mußte, fand ich ihn in dem Garten des Klosters, wo er eingekehrt war, beim einsamen Wandeln. Rings ragten hohe graue Mauern auf, alles war still und fast wie auf einem – – Kirchhof. Rücksichtslos fragte ich ihn: Sie sollen ja so viel vermögen, Sie sollen Hunger und Durst, Frost und Hitze ertragen lehren; konnten Sie nicht auch jenen Mann von seinem Wahne heilen –? Er erwiderte: Ist der Tod bei solcher Krankheit nicht die beste Heilung –? Dabei stand er still und jetzt erst war es mir, als ich ihn genauer betrachtete, als säh' ich einen Boten des Todes, ein Gerippe. Seine Hand war mager, seine Wange hohl, seine Stimme klanglos. Ich fürchtete mich vor ihm und glaubte, schlüge er die braune Kutte auf, so würd' ich ein Skelet sehen. Der Bruder war aber selbst in großer Aufregung. Offenbar hatte man im Convict von ihm anderes erwartet. Er hatte heilen, nicht bestatten sollen. Er verschwieg dies nicht. Nie hatte er zu mir so viel gesprochen, als diesmal in dem einsamen Klostergarten, in den er sich gleichsam geflüchtet hatte. Ja, sagte er feierlich, ich hatte verboten, ihn zu bewachen, ich hatte ihn sein Werk ausführen, hatte ihn so lange allein gelassen, bis seine That vollendet war! Denn, Herr – ich horchte hoch auf – der Erhängte stirbt sehr langsam, stirbt erst spät! Das weiß ich genau! Ich habe gegen hundert Menschen erhängen sehen! Ich habe aber auch – setzte er mit leiser Stimme hinzu – Menschen gekannt, die sich einschlossen, um – die Wonnen dieses Todes zu genießen. Denn das wissen Sie vielleicht noch nicht, erst wählt diesen Tod die Melancholie, und wurde man zufällig ins Leben zurückgerufen, so tritt eine Besinnung ein wie auf den seligsten Opiumrausch! Bilder, Gestalten sind am schwindenden Bewußtsein vorübergegangen, die nie eine menschliche Hand würde zaubern können! Das Süßeste, was die Erde kennt, trinkt 109 und empfindet der Gehängte in langen, endlosen Zügen! Den, an dem man diese Verirrung wahrnimmt, macht die Scham sich einsam verbergen, aber nichts kommt dem gleich, was die Scham dann wieder aufwiegt und sie ertragen läßt! Zur rechten Zeit von der tödtlichen Schnur befreit, langsam zurückkehrend zum Bewußtsein, erhebt man sich wie aus einem Traum, den man ewig träumen möchte! Wieder jung wird der Greis, die Matrone eine Braut, der Arme schwelgt in Reichthümern, der Verbrecher ist ein König. der Feige ein Held, vor ihm liegt eine Welt auf den Knieen und bietet sich lachend dar, sogar um mit ihm zu sterben! Nie hat man so gelebt wie in diesem Tode, nie das Paradies so vorausgenossen, so die Schrecken vergessen dieser Erde – . . . Ein Grauen durchzuckte die Erinnerung des Mörders an das, was ihm so nahe bevorstand. Er hatte sich erhoben und fiel betäubt zurück.

Auch Bonaventura hatte sich eine Weile erheben müssen. Der Anblick der wilden Erregung des Mörders war entsetzlich. Hammaker starrte, aufgerichtet, gierig im Kreise umher; die Gewänder des Priesters betrachtete er, als könnte sich eine Schnur an ihnen befinden, die auch ihm diese Hülfe des süßesten Todes brächte. Er streckte sich aus, als ließe sich ein Zipfel am Priesterkleide ergreifen, zur Schnur winden – die Kette an seinen Füßen faßte er und sank wie ohnmächtig auf sein Lager zurück.

In der reinen Seele des Priesters wogte ein Feuerstrom. Das also ist das geheimnißvolle Räthsel, das den nicht minder unseligen Nück und diesen Elenden verbindet! rief es in ihm, da er schon lange nur der Erzählung Benno's gedenken mußte von jenem Abende her. Dieser da hat seinen Wohlthäter verführt! Hat eine Neigung desselben zur Melancholie so ausgebeutet! Hat ihn eines Tages sicher gemacht in dem Vertrauen zu ihm und ihn dann – nicht ins Leben wieder zurückrufen wollen, bis der 110 Kronleuchterhaken half und nachgab oder die Hülfe der die Thür Sprengenden die Schlinge löste – – Alles das stand einen Augenblick klar vor Bonaventura's Augen und doch sagte wieder sein Herz: Es ist ja unmöglich! So weit kann der menschliche Geist sich nicht verirren –!

Hammaker kehrte zur Besinnung zurück, krümmte sich wie ein Wurm, zog über der Brust die graue Jacke zusammen und fuhr mit stoßweisen Zuckungen auf, wie wenn er von eisigen Schrecken gepackt würde. Dann sprach er, als Bonaventura sich gesetzt hatte und das Antlitz, wie ein Beichthörender soll, in einen Zipfel seines Kleides hüllte: Der Bruder Hubertus sprach. Ich sollte heilen? Zu richten kam ich! Das Gericht Gottes ist unser, wenn wir seine Gebote gelästert sehen! Wie durfte dieser Unglückliche leben, leben in solcher Umgebung! Ich sage nicht, daß auch er die Wonnen dieses Todes suchte; er suchte vielleicht nur den Tod selbst. Warum ihm die Hülfe versagen! Warum Schonung einer solchen menschlichen Schwäche, die vielleicht Heldenmuth war! Seid männlich und seid stark! spricht der Apostel. Und nun, nach dem Preisen seiner That von meiner Seite, erweichte sich des Bruders Gemüth und er erzählte mir, wie er von frühester Kindheit an Gottes Finger sich nahe gefühlt, wie er schon als Knabe hoch aus Flammen hinuntergeworfen wurde, drei Stockwerke tief, wie er sich ganz aus sich selbst hätte zum Menschen machen müssen, wie ihn daraus Verrath und Undankbarkeit verfolgt und so gehetzt hätten, daß er nothwendig entweder zu Gott oder zum Teufel hätte entfliehen müssen. Er glaubte, sagte er, auf der richtigen Straße zu sein. Ein Weib, erzählte er, ein Weib war die Ursache meines tiefsten Kummers – Dieselbe, hochwürdiger Herr Pfarrer, dieselbe, die ich – –

Wer? unterbrach Bonaventura schaudernd.

111 Hammaker schwieg. Die Hände, welche die Hauptmännin erwürgt hatten, zuckten.

Ihr Opfer? fragte Bonaventura wiederholt – Wie hätte es ihn nicht reizen sollen, etwas aus dem Leben der Schwester der Frau von Gülpen zu erfahren! . . . Doch – er war das Gewissen selbst. Er bekämpfte seine Neugier und sagte nur: Warum zogen Sie nur aus dieser Begegnung mit einem so vielgeprüften, wenn auch vermessenen und Gott strafbar vorgreifenden Mann nicht eine heilsamere Lehre für Ihr Leben –?

Die Frauen, das Spiel – und die Ehre –! O wenn ich –

Haben Sie sonst eine Handlung, die vorzugsweise noch Ihr Gewissen belastet? unterbrach Bonaventura den Beginn einer eiteln Selbstbeschönigung –

Ich log – ich betrog – unzählige male –

Kein anderes Menschenleben auf Ihrer Seele –?

Der Mörder schüttelte den kahlen, häßlichen Kopf.

Bonaventura sah die Verstockung und wiederholte seine Frage.

Da rief der Gefangene plötzlich und erhob sich wild und klirrte mit seiner Kette: Emollit mores didicisse fideliter artes! Das zu verstehen, das sprechen können, Bildung besitzen – und um – so –!

Oeffnen Sie Ihr Herz der Reue! unterbrach Bonaventura den Ausbruch eines halb wahren, halb mit seiner Bildung kokettirenden Ehrgeizes. Was Ihnen als einem Studirten auch Gott sein und als was er Ihnen erscheinen mag, ob als Begriff, ob als Wesen welcher Art und Größe, und wären Sie ein Pantheist und suchten den Schöpfer in sich selbst, dem Geschaffenen – Sie wissen, daß in unserer Brust Eine sichere Wahrheit liegt, eine unumstößliche Gewißheit: der Unterschied von Gut und Böse! Was Sie auch mit menschlichem Witz wegzuleugnen suchen von den Grenzen, die zwischen beiden liegen, diese 112 Grenzen sie wachsen immer wieder, wenn Sie sie auch noch so klug niederrissen. Blicken Sie mit Sehnsucht aus dem Dunkel, in dem Ihre Seele lebt, in das Licht, das Licht der Unschuld, das Sie sehen, fassen, ahnen können, und nennen Sie wenigstens dieses Licht – Gott! Sprechen Sie zu diesem Lichte: O wär' ich in deinem Abglanz, umstrahltest du mich, gäbst du mir Helle, Wärme, wahren Ruhm und wahre Ehre! Lassen Sie durch dies reine Licht der Unschuld alle die wandeln, die in diesem reinen Geiste lebten! Lassen Sie alle hindurchziehen, die Ihre Bildung kennt: Sokrates, Plato – Einer ist vielleicht auch unter ihnen, der selbst dem kältesten Urtheil am leuchtendsten stehen muß, Jesus der Gekreuzigte! Mit seinem blutigen Haupte strahlt er wenigstens als Märtyrer und blickt voll Ernst auch auf Sie! Beten Sie doch zu dieser vielleicht noch einzigen lichten Stelle Ihres Innern! Bekennen Sie beim Blute dieses Märtyrers, der allen Sündern Gnade vor Gott verhieß, Ihr ganzes Elend und was etwa sonst noch vor Gott und Menschen Sie belastet –

Hammaker faltete die Hände; aber schlaff hingen sie nieder und der Ausdruck seiner Miene war der, als wollte er sagen: Was hilft mir alles das? Der grausige Tod und die fürchterliche Veranstaltung desselben ist da und bleibt gewiß! Was ist eine Reue, die von einem Willen kommt, der nicht mehr sündigen kann! Eine Reue über die Thorheiten der Jugend – von einem Greise!

Der Priester überblickte diese Empfindungen und sagte seufzend: Nun denn! Ihre einzige gute Stelle ist vielleicht nur noch Ihr Stolz! Wohlan! Warum trieb Sie der Stolz zu Ihrer Missethat?

Zögernd sprach Hammaker: Man hatte mich beschuldigt –

113 Daß Sie früher einmal Ihren Freund, Ihren Wohlthäter hatten ermorden wollen! Hatten Sie damals diese Absicht?

Vor den Assisen hatte Hammaker, wie immer: Nein! gesagt. Hier wiederholte er die gleiche Aussage, fügte aber hinzu: Wüßten Sie nur das Nähere –

Wenn es Sie entlastet von dem Verdachte – sprach Bonaventura; sonst – Er lehnte die Belastung des Procurators ab –

Ich handelte – vielleicht – wie der Mönch –

Unwürdige Vergleichung! wallte Bonaventura auf.

Auch Nück suchte den Tod – versicherte Hammaker.

Die Wonnen des Todes! Sie, Sie verführten ihn zu einer Handlung des Wahnsinns! Sie hatten ihm die Geständnisse des Mönches mitgetheilt! Sie machten ihn sicher, immer sicherer, bis Sie ihn zuletzt bei einer so teuflischen Gelegenheit berauben und morden wollten –

Hochwürdiger Priester! Ja, ich beraubte ihn – Als es aber geschehen war – that ich, was ich zehn Jahre lang gethan – ich hob die Schlinge aus ihrer Angel. Freilich – diesmal stieg ich aus dem Fenster – warf das Schlüsselbund zurück – half ihm nicht zum Bewußtsein durch kaltes Wasser und das Reiben seiner Schläfe zurückzukehren – ich entfloh –

Als Mörder! Sie durften annehmen, daß er diesmal nicht wieder zum Leben erwachte –!

Der Mörder schwieg. Es war eine Bejahung. Die tückische List seiner Erzählung stellte aber nicht ganz die Aufrichtigkeit aller seiner übrigen Geständnisse in Abrede. Er kam auf seine Bekanntschaft mit Frau von Buschbeck, auf die Vermittelung ihrer Anliegen wegen ihrer Gelder, auf ihren bösen, menschenfeindlichen Sinn. Er deutete die Beziehungen der Hauptmännin zu dem Krieger, Jäger, dann Mönche Hubertus an, Beziehungen, 114 die in Erfahrung zu bringen Bonaventura wiederholt ablehnte. Er berief sich für seine letzte That auf das, was vor den Assisen bereits darüber bekannt geworden. Der schrillste Nachklang, der durch alle diese Worte hindurchtönte, blieb die Andeutung über Dominicus Nück. Sie war eine Rache für den verweigerten Griff in die Dose. Vielleicht auch hatte der Mörder ein Entkommenkönnen durch Nück gehofft, vielleicht Nück durchschaut, der ihn im Gegentheil viel lieber für immer aus der Welt geschafft sah. Ein noch Lebender, rastlos und muthvoll in der Gegenwart wirkend, lag nun da in seinem tiefsten Lebensgeheimnisse aufgedeckt vor den Augen eines Priesters, der täglich mit ihm verkehren, täglich harmlos und scheinbar unbefangen mit ihm sprechen konnte, auch so nur mit ihm sprechen durfte! – Das sind Bürden! sprach es in Bonaventura's Innerstem. Zwar wandte er noch die ganze Kraft seiner Beredsamkeit an, die Stunde, die er an diesem düstern Orte verweilt hatte, zu einer für den Bewohner desselben heilsamen zu machen – um den Segen Gottes für den Unglücklichen betete er, wünschte ihm Muth für seine letzte Stunde – war dann aber im Begriff, mit den Fragen: Haben Sie mir keinen weitern Auftrag auszurichten? Keinen an Ihre unglückliche alte Mutter? An sonst Zurückbleibende? eine heilige Handlung abzuschließen, die ihn selbst mehr erschütterte, als den Verbrecher.

Lauernd sprach dieser: Ich könnte noch etwas Gutes thun!

Thun Sie es! Gott wird es Ihnen anrechnen –

Es war eine That im Werke –

Ein neues Verbrechen –?

Eine Urkunde – die ich – schreiben ließ –

Eine verfälschte –?

Sie sollte bei einer – angelegten Feuersbrunst –

All ihr Heiligen! rief Bonaventura. Wer ist davon bedroht? 115 Wen kann ich über die Gefahr warnen? Ist die Gefahr schon nahe?

Einen Menschen hatt' ich gewonnen – einen – der sich verbergen muß – den ich aber nicht nennen kann –

Ich will ihn nicht genannt wissen, ich will ihn ungenannt und ungesehen von dem Verbrechen abmahnen. Durch irgendeine Adresse! Reden Sie! Was kann ich thun, ein solches Verbrechen zu hindern?

Hammaker schwieg.

Bonaventura's Eifer riß ihn zu den Fragen hin: Wer ist es, den die falsche Urkunde benachtheiligen soll? Wer hat Sie selbst zu dieser That überredet? Wer ist der Leiter dieses Complotts? Reden Sie! Reden Sie! Bei dem Angesicht Gottes, das Sie in wenig Stunden –

In diesem Augenblick rollten wieder die Kugeln über der Zelle hin und her und vergegenwärtigten Hammaker die dünne Bauart der Decke. Blitzschnell schienen sich die Gedanken des Mörders zu ändern. Hoffnung belebte seine Gesichtszüge. Bonaventura stand erwartungsvoll, aber vergebens. Hammaker schwieg.

Reden Sie! sprach Bonaventura mit ganzem Nachdruck.

Das Geräusch über ihnen dauerte fort . . .

Hammaker sprang auf. Die Kette riß ihn nieder; aber unverwandt starrte er auf die Decke. Das ist Nück, sagten seine verzerrten Gesichtszüge, Nück, der dich mahnen will, ihn nicht zu verrathen! Nück, der vielleicht dich doch noch befreit – durch die Decke – durch den Ofen –

Reden Sie! wiederholte Bonaventura . . .

Lassen Sie es, stöhnte Hammaker, ohne mich – kommt die Sache nicht zur Ausführung –

Sie verharren in der Lüge! rief Bonaventura. Wer ist 116 gedungen? Wer sind die Bedrohten? Eine Fälschung? Eine Urkunde? Eine Feuersbrunst? Wo?

Hammaker schwieg und horchte nur dem hohlen Klang der Decke.

Bonaventura versuchte jede Kunst der Ueberredung; vergebens. Hammaker sprach nur dumpf: Ohne mich kommt nichts zur Ausführung! Ich habe alles bekannt! Es ist – vorüber – Nun kann ich – in Frieden – sterben –

Tiefseufzend mußte Bonaventura nachgeben. Er betete um die Gnade Gottes und entfernte sich in einem Zustand, wie ihn die Märchen erzählen von Hirten, die in eine Felsenspalte blicken, die Geister belauschten und – für immer verstummten. Wie schwer trug seine Seele, als er von dannen schritt! Auf dem Gange traf er alle, die ihn hinausbegleitet hatten – Nück fand er nicht mehr –

Doch am folgenden Morgen klagte sich im Beichtstuhl eine ihm bekannte Stimme aller Leidenschaften, aller Laster der Erde, aber auch der Verbitterung durch Unglück und des Menschenhasses an – In ihrem Tone, in einem tief eingeschüchterten Aufblick zweier scharfer Augen lag eine Angst und Beklommenheit, die Bonaventura wiederum auf einen Verbrecher schließen ließ. Er erkannte nicht sogleich die Stimme. Erst nach den Andeutungen von seinem Beruf und nach einem Hinweis auf so manche Verschleierung der Wahrheit, die er sich im Processe Hammaker erlaubt hätte, begriff Bonaventura – Es war Nück.

Entsetzen ergriff ihn. Nück beichtete mancherlei, aber er war offenbar nur gekommen, um zu hören, wie Bonaventura mit ihm sprechen würde. Aber durfte denn Bonaventura die Beichte Hammaker's bloßstellen? Durfte er andeuten, was er über Nück wußte? Er sah die Verzweiflung des Beichtenden, der sein Geheimniß verrathen glaubte. Bonaventura's mildes Herz fühlte sich 117 gedrungen, Nück's Verzweiflung zu beruhigen. Er deutete an, daß auch für ihn die Beichte dieselbe Bedeutung hätte, wie sie für jenen Bischof gehabt haben soll, welcher, der Sage, nicht der Geschichte nach, sich eher von einem Fürsten in die Wellen der Moldau werfen ließ, als daß er ein Geheimniß verrieth, das er von dessen Gattin unter dem Siegel der Beichte wußte. Kein Wunder, daß sich Nück mit neuem Lebensmuth erhob und den Beichtstuhl in einer Stimmung verließ, als könnte er mit seinem einzigen Arm einen der Riesenpfeiler der Kathedrale ausheben. So viel Kraft lag dem Doctor Abaddon aufs neue in dem magischen Worte: Rom und sein Glaube!

Winterlich weiße Leichenfelder lagen in Bonaventura's Brust. So öde und schauerlich wehte Schneesturm durch sein Inneres, wie auf jener Alpeneinsamkeit, die ihm der Dechant beim Bericht seines Besuchs auf dem St.-Bernhard geschildert. Auch der Morgue auf dem St.-Bernhard mußte Bonaventura gedenken –! Eben sein Innerstes wurde eine solche Leichenkammer.

Nicht mehr so beredsam wie einst sprachen ihm die Stimmen der Augustinerchorherren: Muth und Ausdauer!


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