Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. IV. Buch
Karl Gutzkow

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118 5.

Eine wie eitle Matrone! sagte sich Bonaventura, durch das kleine Schiebfensterchen seines Beichtstuhls eine graue Locke bemerkend, die, unter einem Hute hervorgeglitten, auf einem feinen Taschentuche lag. Ein Matronenhaar in Locken –! Dann aber hörte er die klangvolle Anrede und staunte nun, eine Greisin zu finden, die sich einen so reinen jugendlichen Ton der Rede bewahrt hatte –

Nach den ersten geflüsterten Anreden und Erwiderungen stellte er die Frage um die letzte Beichte. Er hörte, daß diese in Wien bei dem Beichtvater der Hospitaliterinnen stattgefunden –

Dann sagte die Frau, die er noch immer für eine Matrone hielt, daß sie gerade deshalb zu ihm gekommen wäre, weil sie ihn schon einigemal beim Austheilen des heiligen Abendmahls gesehen und nicht nur die Geduld bewundert hätte, mit der er unter Hunderten beim Ausspenden des Brotes zu jedem einzelnen die Worte gesprochen: »Herr, ich bin nicht werth, daß du eingehst unter mein Dach; aber sprich nur ein Wort, so wird meine arme Seele gesund!« sondern wie er auch jene Worte jedem so, als wenn er ihn persönlich kannte, gesprochen, jedem so, als wenn sie gerade für ihn bestimmt wären. Deshalb wage sie, ihn mit sich selbst zu belästigen, fürchtend freilich, daß seine Zeit zu gemessen wäre – –

Bonaventura hatte die Absicht, das Lob und die Sorge um seine 119 Zeit mit einer Handbewegung abzulehnen. Dabei blickte er dann etwas auf und erkannte unter der damals üblichen Form des Hutes mit langgeschweiften Seiten, welche die Wangen verdeckten, ein durchaus jugendliches Antlitz. Nun war es, in Vergleichung mit den Locken und nach der Erwähnung Wiens, die mit Benno's Berichten über die Mutter Armgart's zusammentrafen, ohne Zweifel nur diese, die mit ihm sprach. Und bevor er noch vor Ueberraschung mehr als nur ein ermunterndes und beruhigendes: Bitte! erwidert hatte, sprach schon die Beichtende: Ich bekenne mich zur Unruhe, in welche die Seele durch Grübeln und Denken versetzt wird, bekenne mich zum Zweifel an allem, an Gott, dem Erlöser, an Kirche und künftigem Gericht –!

Bonaventura verhüllte sich in seine Stola und sprach nach einigem Bedenken auf ein so schmerzlich entschiedenes Wort: Ihr Heiligen! Sie geben Ihrem Zustand vielleicht schon früher einen Namen, ehe Sie ihn noch ergründet haben! Sie hatten sich nur vielleicht des religiösen Lebens entwöhnt. Plötzlich drängt Sie irgendeine Stimmung zu ihm zurück und nun erschrecken Sie, daß Sie nicht mehr alles so zu lieben und zu glauben vermögen, wie Sie es in Ihrer Kindheit liebten und glaubten. Machen Sie doch diese Rückkehr nicht zu übereilt! Vor des Herrn Feuertaufe kam des Johannes Wassertaufe! Legen Sie sich doch erst Uebungen zum Uebergange auf! Keine Geißelung des Körpers, keine Entbehrung Ihrer Sinne mein' ich, nur eine gewisse Ascetik des Denkens. Gewöhnen Sie sich z. B. einfach, überall den Finger Gottes zu suchen. Nehmen Sie nichts mehr, was Ihnen begegnet oder was Sie vom Schicksal anderer, ja vom Leben der ganzen Welt in Erfahrung bringen, in einem so leichten Sinne, daß Sie nur die Erscheinung als solche betrachteten. Vielmehr streben Sie danach, daß Sie alle Erfahrungen, die Sie machen, verbinden, ihren geheimen Sinn und Zusammenhang ergründen, 120 ihrer Folgerichtigkeit nachspüren und nennen Sie dann das, was Sie sonst in der Sprache des Denkens Zufall, Ungefähr, Wille, eigene Absicht nannten, einfach und kurzweg – Gott. Wenn Sie diese Begegnung Gottes stündlich nur in kleinen Dingen suchten, so würde das Aberglaube werden; denn Aberglaube ist es, die majestätische Größe Gottes sich immer und immer gegenwärtig zu denken bei unsern kleinen Leiden und Freuden. Aber nachgehen jenen Fußtapfen der wandelnden Gottheit, die in Ernstem und Wichtigem liegen, das gibt Erhebung. Staunen werden Sie, wo Sie diese Schritte überall abgedrückt finden, wenn Sie nur erst anfangen, für alles das, was die Welt gleichsam namenlos hinstellt, gleichsam mit einem »Man« einführt oder mit einem »Es« (»es wird sich zeigen«) oder sonst mit einer Form der reinen Genüge des Menschen an sich selbst, den Herrn der Welt einzuführen. Versuchen Sie das einmal! Zu einem Gott sich erheben, der außer uns und unendlich hoch über uns wohnt, ist ja überhaupt schwer; denn je näher wir ihm zu kommen suchen, desto entfernter rückt er uns. Nehmen Sie also Gott zu Ihrem steten Begleiter, nur daß er einige Schritte vorangeht, nicht immer Ihnen zur Seite; nehmen Sie ihn zum Erfüller aller der Pausen, die Ihnen das Leben läßt, zur zweiten Person, die in Ihrem Gewissen mit Ihnen redet, zum unsichtbaren Freunde, der in einem dunkeln Zimmer, wo Sie über irgendein Vorhaben brüten, mit Ihnen Rath hält! Wird das von Ihnen eine Zeit lang versucht, so werden Sie allmählich wieder anfangen, vorläufig wenigstens noch einmal christgläubig und kirchlich zu denken – mehr sollen und können Sie dadurch freilich nicht gewinnen – –!

Es wäre also der umgekehrte Weg, den ich früher einschlug, alles, was mir sonst Gott hieß, gerade anders zu nennen! sagte Monika und ihre Gedanken verweilten einen Augenblick bei Gräfin 121 Erdmuthe, die noch gestern beim Abschied gesagt hatte: »Der Herr schenkt mir ein gutes Reisewetter, etwas Frost und demzufolge gute Wege!« Nun aber sprach sie: Meine Zweifel über Gott werden sich wieder beruhigen; schwerer die über die Kirche und über die Wahrheit des katholischen Glaubens!

Bonaventura wallte mit den Worten auf: Sie sind so arm an Glauben und schon wählerisch? Sie hungern und dürsten und bemäkeln schon die Speise, die Ihnen gespendet wird? Wahrlich, milde Gutthäter müssen sich viel gefallen lassen – Und fast in Reue über sein hartes Wort blickte er nun ein wenig auf. Groß und voll senkte sich der Strahl zweier dunkelbrauner Augen auf ihn nieder, ein wehmüthiger Zug um den Mund milderte einen Anflug von Bitterkeit in schönen, regelmäßigen Zügen. Er mußte des Obersten gedenken. Er mußte sich sagen: Diese beiden Menschen sind sich so ähnlich und fliehen sich!

Mit sinnendem Ernste, bei dem sich die Augen wieder verkleinerten und sich die großen Sterne zurückzogen, wie in das tiefste Innere, sprach Monika: Ich weiß vollkommen, was wir in unserer Religion besitzen! Sie ist kein Gedanke, der soeben aus dem Haupte eines erleuchteten Geistes von heute sprang. Sie ist eine ehrwürdige Ueberlieferung, eine große Weltbegebenheit, aus welcher wir entnehmen dürfen, was wir für uns nutzbar machen können. Ich werfe es den Protestanten vor, daß sie sich an ihrem Lebensschiff den Ballast zu leicht gemacht haben. Ist man Christ, so soll man auch die Geschichte seines Glaubens tragen. Oft hab' ich mir gesagt: Ja, an allem, was unsere Kirche festhält, ist etwas, was uns irgendwie immer wieder versöhnt, wenn wir dann auch wieder einer zweiten andern Formel nur mit schwerem Herzen genügen. Aber was hilft es –! Plötzlich tritt ein Widersacher in uns auf, den ich nicht den Teufel 122 nennen kann. Unser Herz stößt dann einen Hülfsschrei aus und lechzt nach der Natur. Ich habe nie über diese Dinge so nachgedacht, als seitdem ich Rechte des Herzens zu haben glaube. Ich bin nicht glücklich verheirathet. Gesetzt, ich würde noch einmal lieben können, unsere Kirche verböte mir's. Wie soll ich da an ihre Göttlichkeit glauben?

Bei diesen sicher und fest gesprochenen Worten blickte Bonaventura im Geist auf seinen eigenen Vater, seine eigene Mutter, jenen, der vielleicht noch lebte und sich der Welt entzog, nur um dieser eine zweite Ehe zu ermöglichen. Diese zartesten Fragen des Beichtstuhls hatte er erst jetzt in seiner neuen Wirksamkeit kennen gelernt. Sie kamen auf dem Lande nicht in solcher Subtilität vor. Zu allen Zeiten gaukelten wol vor seinen Augen die hundert Fälle, die durch die Vorsicht der römischen Casuistik über die Thatsachen des Ehelebens oft mit einer Nacktheit und Natürlichkeit aufgezählt und niedergeschrieben sind, die nur aus Herzen kommen konnte, die sich zum Cölibat verpflichteten. In allen diesen spanischen und italienischen Vorwegnahmen der durch die Liebe heraufbeschworenen Gewissensleiden ist wenig jener wahren Empfindung Rechnung getragen, die aus den Tiefen des Herzens stammt. Bonaventura las im Sanchez, im Bellarmin, im Lambertini die hundert Fälle, wo in der dort gebrauchten Terminologie Cajus die Rosa liebt, Rosa den Titius; er kannte Thatsachen der Liebe, die das Licht des Tages scheuen, weniger die Thatsachen jener Liebe, die nicht erwidern will ohne das offene Bekenntniß ihrer Neigung vor der Welt; nicht die Thatsachen jener, die der innern Heiligung des Menschen zum Segen werden kann und welche die Kirche zum Fluche macht; nicht die Thatsachen jener, die mit Verachtung solche Licenzen zurückweist, wie sie die Toleranz der Gewissensräthe anräth, welche nur mit Gebeten und Almosen gebüßt wissen will; nicht die Thatsachen 123 jener Liebe, die nach Neigung wählen will und vor gläubigen Seelen die Freiheit, frühere Irrthümer zu berichtigen, sogar durch das Beispiel der Patriarchenzeit geheiligt sieht; nicht die Thatsachen jener, die uns deshalb nur allein wahrhaft frei macht, weil sie die ewigen und unwiderleglichen Gesetze der Natur zu Gesetzen der Sitte, der Vernunft und des göttlichen Willens erhoben hat.

Bonaventura's Stocken beängstigte die Beichtende, die es um sich her immer lebhafter werden hörte. Ich komme wieder! sagte sie, um abzubrechen.

Bonaventura hielt sie aber mit dem Worte zurück: Sie sprachen von keinem Bunde, den Sie wirklich schließen wollen, sondern nur erst von der Beunruhigung Ihres Gewissens, falls Sie ihn schließen wollten. Warum begeben Sie Ihr Nachdenken bereits in eine Gefahr, der sich auszusetzen Sie noch nichts zwingt?

Will man denn nicht das, erwiderte Monika, was uns ein Anhalt des Lebens sein soll, gegen alle und jede Möglichkeit der Anfechtung stark und gesichert sehen?

Die Gefahr wird an Ihnen vorübergehen!

Und wenn nun nicht –? – – Der Priester mußte sich's so natürlich denken, daß eine derartig gestörte Ehe damit enden konnte, daß eine junge, wie er nun hörte, mit Vorzügen des Geistes ausgestattete Frau noch einmal eine Bewerbung fand, der sie nicht widerstehen konnte. An Armgart mochte er sich nicht erinnern, da er deren den Aeltern gegenüber durchgeführte Gesinnung kannte und der Beichtenden nicht verrathen durfte, daß ihm ihre Person kein Geheimniß war. So blieb ihm nichts übrig, als die Zweifel, die auch an ihm in diesem Punkte nagten, zu überwinden und das zu thun, was er in seinem Beruf schon manchmal recht schmerzlich sich mit den Worten gestand: Wir gleichen den Aerzten, die aus Mangel an Erkenntniß und einer wahren Hülfe den armen Leidenden Wasser – gefärbt mit einem 124 rothen süßen Safte, verschreiben. Ich sehe Sie in dem Zustande, sagte er, den die Schrift den des zerstoßenen Rohres nennt und der Sänger des Dies irae das Cor contritum quasi cinis! Das Herz zermürbt wie Asche! Bekämpfen Sie diese Ihre Stimmungen und halten Sie jedenfalls noch Betrachtungen über die Kirche davon fern! Fassen Sie die Kirche als ein großes Ganzes! Daß Sie als Kind am Freitage fasteten, was sagte das? Es sagte: Ich gehöre einer Gemeinschaft an, die das Vernunftgesetz über das Naturgesetz erhoben hat! Es sagte: Daß wir wilden Zuständen eine geordnete Gesellschaft abrangen, daß wir einen Bund der Gesittung, der Künste, der Wissenschaften, eine Ordnung haben, wo nicht die Tyrannen herrschen, die Räuber, die Mörder schweigen und abseits treten müssen – wem denn anders verdanken wir das, als der Zähmung unserer natürlichen Begierden –? Darum diese Erinnerung! Darum ein Gebot, das dem Gedanken und Gemüthlosen widersinnig scheint! Und so in vielen, vielen – in allen Gebräuchen unserer Kirche –!

Monika schwieg. Sie beschloß, dem Vernommenen nachzudenken. Schon Bonaventura's bald sanfter, bald strenger Ton hatte sie erhoben. Er schloß: Kehren Sie bald, bald wieder! Absolvo te in nomine patris, filii et spiritus sancti! Er machte das Kreuzeszeichen, zog sein Fensterchen zu und lehnte sich eine Weile in seinen Stuhl zurück – tief, tief doch nur – unzufrieden mit sich selbst –!

Aber Ruhe, ehrlichen Kampf der Seele, Sieg gab es da wenig. Die Zahl der Harrenden war angewachsen. Schon meldete sich's am anderm Fenster. Er zog den Vorhang zurück. Er that es mit dem Gefühl: Welch ein Stümper erscheinst du doch bei wirklichen Leiden! Kannst du dies Holz denn verlassen und einem Priester begegnen, ohne daß ihr beide voreinander 125 die Augen niederschlagt, ebenso wie die alten Auguren ich nicht ansehen konnten, ohne, wie Cicero sagte, zu lächeln?

Schon sprach wiederum eine sanfte Stimme die übliche Anrede. Auch sie kam von einem Weibe. Auch sie ertönte aus den Umhüllungen eines zwar nicht schönen, aber jugendlichen Hauptes. Ein kostbarer Pelz lag dicht am Gitter und berührte sein Beichttuch –

Hochwürdiger Vater, ich bin unglücklich –!

Der Beichtstuhl, mein Kind, hört nur das Unglück durch Sünden –

Ich sündige wider die Gebote der Kirche und doch spricht mein Herz mich frei – –! Das waren Worte. die wieder nur von einer Zweifelnden kommen konnten. Die Versuchung des armen Leviten sollte nicht enden. Bonaventura erklärte die vernommenen Worte für etwas, das sich selbst widerspräche, und wünschte Aufklärung –

Ich werde in wenig Wochen Mutter sein! Mein Gatte ist Protestant und ich bin zweifelhaft, ob ich unser Kind in meinem Glauben taufen lassen soll!

Verlangt Ihr Gatte das Gegentheil?

Er verlangt es nicht! Er verdankt mir seine Lebensstellung, er ist die Rücksicht selbst! Dennoch schenkt' ich unser seit zehn Jahren ersehntes Kind so gern ganz nur ihm.

Da thun Sie Unrecht! Sie bringen dem einen das, was er nicht begehrt: das kann Großmuth sein; aber Sie entziehen es einem andern, der darauf Ansprüche hat: das ist ein Raub –!

Ich bin meinem Gatten Großmuth schuldig, ich bin ihm Genugthuung schuldig. Gerade im Angesicht meiner Familie, die ihn kränkt, zurücksetzt, sich freut, endlich zwischen uns eine Trennung zu wissen, muß ich ihm diese Genugthuung geben. Ich fühle, daß ich ihm mein Kind schenken muß um meiner Liebe willen, 126 um meiner Liebe ein Zeugniß zu geben! Sagen Sie denn auch wie alle andern Priester, daß im Jenseits mein Kind von mir getrennt sein wird –?

Die Schrift sagt: »Bei unserm himmlischen Vater gibt es viele Wohnungen.« Vertrauen Sie auf seine Gnade, wenn Sie sich nicht noch anders besinnen und sich von Ihrem Gatten zu Ihrer Religionspflicht zurückführen lassen. Gaben Sie nicht bei Ihrer Verbindung dem Geistlichen, der Sie traute, ein Versprechen über Ihre Kinder?

Nein! Man verlangte es damals nicht! Das ist über zehn Jahre her –

Die Fälle der gemischten Ehen kamen jetzt so oft im Beichtstuhl vor. Dennoch glaubte sich Bonaventura in die Zerwürfnisse des Kattendyk'schen Hauses, wo Trendchen und Lucinde wohnten, versetzt –

Glauben Sie auch, hochwürdiger Vater, fuhr die zitternde Stimme fort, daß ich keine Aussegnung erhalten werde?

Die Aussegnung einer Wöchnerin bei ihrem ersten Kirchgang ist ein Brauch, kein Sakrament –

Nach dem Glauben meiner Mutter und Geschwister werd' ich, wenn ich ohne Aussegnung sterben sollte, als ruheloser Geist Nachts mit einer Kerze in der Hand so lange um diese Kathedrale gehen müssen, bis eine andere Lebende sich für mich aussegnen läßt –!

Jetzt wurde Bonaventura denn doch zweifelhaft, ob in einem gebildeten Hause ein solcher Gedanke herrschen konnte. Jetzt die Anwesenheit der Frau Hendrika Delring eher bezweifelnd, sagte er: Welche Thorheit! Nur fürcht' ich, daß Sie nach Ihrer Handlungsweise überhaupt nicht im Schoose unserer Kirche bleiben werden; denn die Gnadenmittel müssen Ihnen entzogen werden –!

127 Eine Pause trat ein –

Auch Sie sprechen wie Kanonikus Taube! sagte die Stimme –

Wir sprechen alle, wie die Mutter Kirche spricht! Sie will keines ihrer Kinder sich entzogen sehen und ist streng gegen die, die ihrer Liebe ein neues Kind vorenthalten! Erwägen Sie Ihre künftigen Leiden! Ihr Gatte ist edel; wie denn wird er von Ihnen ein solches Opfer verlangen!

Hendrika Delring weinte – Es währte lange, bis sie sich sammeln konnte – O diese Welt! rief sie plötzlich heftig aus –

Warum nur beruhigt Sie selbst der Friede dieses Gottestempels nicht? Warum sprechen Sie in dieser Aufregung? Erzählen Sie was Ihnen begegnete!

Schon oft, hochwürdiger Vater, wollte ich zu Ihnen kommen! Täglich hörte ich von Ihrer Weisheit und Güte. Noch neulich, als sich meine Familie um mich versammelt hatte, ein Marienbild in meinem Zimmer entschleierte und auf den Knieen ein Gelübde sprach, sie würde, wenn ich mein Kind nicht im Glauben des Vaters, sondern in unserm taufen ließe, aus Dank eine Wallfahrt antreten und in einem adeligen Hause bei Witoborn, wo geistliche Uebungen gehalten werden, sechs Wochen lang sich einschließen und die Exercitien mitmachen, da schon wollt' ich zu Ihnen kommen – die Verzweiflung warf mich aber aufs Krankenlager. Meine Mutter behauptete, wenn ich anders handelte, würd' ich nun Gott um die Erfüllung eines ihm bereits in Aussicht gestellten Gelübdes betrügen –

Das ist ja eine Thorheit! erwiderte Bonaventura entrüstet. Wer lehrte Ihre Mutter glauben, daß Gott unserer Opfer bedürfe! Ein Gelübde kann einen Werth für unsere Seele haben, aber nur der Heide kauft seinem Götzen mit einem Gelübde irgendeine Gnade förmlich ab. Eher könnte sich Ihr Gewissen von dem Vorwurf gedrückt fühlen, daß Sie die religiöse Denkungsart der 128 Ihrigen, vollends einer Mutter verletzen, so verwerflich sie auch an und für sich sein möge – . . .

Auch mußt' ich darüber bittere Thränen weinen und war in meinem Vorsatz wankend geworden! Täglich sprach ein junges Mädchen, das in meinen Diensten steht, von diesen Exercitien, an denen sie so gern theilgenommen hätte. Das junge Kind, das ich lieb habe, vergegenwärtigt mir den Glauben, den ich immer mehr und mehr verliere –

Ist das Trendchen? dachte Bonaventura voll Bangen. Trendchen's Beichtvater war – Cajetan Rother –!

Der Peiniger meiner Lebensruhe läßt aber leider nicht nach! fuhr Hendrika Delring fort. Es ist mein eigener Bruder! Früher war mein Gatte Führer des Geschäfts. Aufrecht gehalten hat er's in schwieriger Zeit. Die Zeit ist nicht mehr günstig wie sonst, andere überflügeln den alten Kaufmannsschritt und darauf fußt mein Bruder, um meinen Gatten täglich zu verletzen. Während er sich selbst der sinnlosesten Verschwendung ergibt, wirft er uns die kleinste Ausgabe vor, und schon war unser Entschluß reif, ganz aus dem Geschäft zu treten. Leider ist meine Mitgift, wie bei Kaufleuten Sitte, nur klein; meine Einnahme hängt von dem Ertrag des Geschäfts ab. Eine ihr entsprechende größere Summe herauszuziehen, ist für unser Haus mit Schwierigkeiten verbunden. Mein Mann müßte wieder von vorn anfangen. Darum bekämpfte ich diesen Schritt, hielt aber um so mehr zu meinem Mann und brach mit meiner ganzen Familie. Deshalb auch schenkt' ich ihm, ohne daß der Edle es begehrt, im Geist meine Hoffnung. Aber jetzt ist keine Wahl mehr. Mein Gatte muß weichen! Heute in erster Frühe fand eine Scene statt, die jede Aussöhnung unmöglich macht. Um das Geringfügigste erhob schon sonst unser Tyrann einen Streit. Diesmal darüber, daß er eine Gesellschaft geladen hat und zu 129 dem Ende auf einen Theil meiner Zimmer Ansprüche macht. Ich verweigerte sie ihm aus Gründen, die eine Hausfrau haben darf. Nicht um eine Ladung Waaren, nicht um einen Werth von Tausenden begann er je einen solchen Streit, wie jetzt über diesen Gesellschaftsabend. Mein Gatte kam herbei. Das ganze Haus wurde Zeuge eines Auftritts, der damit nur enden konnte, daß wir das Haus und das Geschäft für immer zu räumen erklärten. Mein Gatte wird eine Stelle suchen, meine Mitgift und ein uns angewiesenes Zehntel vom Reinertrage des Geschäfts reichen vielleicht aus, ihn irgendwo zum Associé zu machen. Wir ziehen von hier weg und wenn ich dann an seiner Seite lebe – –

Nun dann, dann – unterbrach Bonaventura das plötzlich stockende Bekenntniß, dann lassen Sie getrost Ihr Kind Ihrer Mutter – Ihr Gatte bedarf wahrlich dann keiner weitern Beweise Ihrer Liebe!

Hendrika schwankte, aber in ihrem Wort: Hochwürdiger Vater, ich zweifle schon an allem –! lag in der That eine Zustimmung. Der sanfte Ton des für seine Kirche kämpfenden Priesters hatte sie überwunden.

Zweifeln? Das sagen Sie doch nicht! unterbrach Bonaventura. Mächtig ist ja die Liebe in Ihnen! Auch die Liebe zu Ihrer andern Mutter, zur Kirche, besitzen Sie noch! Sie ringt nur mit einer Gott ja gleichfalls wohlgefälligen Liebe, der zu Ihrem Gatten. So scheint mir aus diesem Labyrinth ein Ausgang gefunden, der Sie vorläufig vor den so schmerzlichen Conflicten mit der Seelsorge bewahrt! Nur eine Gnade des Himmels kann ich erkennen in den Ihnen nun verhängten künftigen Entbehrungen. Wie glücklich werden Sie sein! Ganz nur Ihrem Gatten hingegeben! Seine Sorgen, seine Erfolge theilend! Ich will Sie in mein Gebet einschließen –! . . .

130 Eine Weile dauerte es, bis Madame Delring weiter sprach. Sie hatte ihr Taschentuch an ihr Auge gedrückt. Mit gebrochener Stimme hauchte sie: Und ist es denn wirklich wahr – Und auch Sie, Sie sagen es – mein Kind würde im Jenseits – Sie vollendete ihre Rede nicht; denn Bonaventura unterbrach sie.

Wir haben eben eine so schöne Einigung gehabt, sagte er, eine Einigung, auf die hin ich Ihnen freudig die Absolution für Ihre Zweifel ertheile und Sie auf Sonntag zum Tisch des Herrn lade. Warum kehren Sie zu dem alten Unmuth zurück? Die Kirche hat den Abfall so vieler Millionen Bekenner erleben müssen, sie hat ihn zu einer Zeit erlebt, wo in der That ihr Wesen mannichfach entstellt wurde. Muß sie nun nicht streng sein, die Ihrigen zusammenzuhalten? Darf sie von dem, was ihre Lehre über die Stufenfolge und die Ordnung des Heils aufgestellt hat, gering denken? Eine Sprosse daraus weggezogen und das ganze Gebäude wankt. Zu unserer Kirche zu gehören ist nun einmal nach unserer Lehre eine Wohlthat. Denken Sie doch nur immer an das, was Sie selbst als Kind glücklich gemacht hat, als Sie die erste Annäherung an die Gemeinschaft mit Ihres Glaubens sichtbarer Vertretung fühlten! Diese sanften Klänge an einem Palmensonntag, diese heiligen Schauer des Ostertages, diese Wonnen einer höheren Liebe zu jeder Stunde des hochheiligen Kirchenjahrs – gönnen Sie doch das alles, ich bitte, auch Ihrem Kinde, dessen Ankunft und weitern Lebensgang Gott segnen möge –! – – Nun ertheilte Bonaventura den Segen. Die Beichtende erhob sich langsam. Ein Diener, der in einiger Entfernung gewartet hatte, sprang hinzu. Er half ihr beim Aufstehen und begleitete sie bis an eines der großen Portale, wo sie ein Wagen aufnahm.

Zeit zur Besinnung blieb dem Priester wenig – Ob er mit sich – jetzt zufriedener war als vorhin? Doch da half kein 131 Blick nach innen. Schon wieder mußte er das entgegengesetzte Fenster öffnen.

Liegt schon ein großer Triumph des Beichtstuhls im Herantreten selbst des Höhergebildeten zum Ohr des Priesters, so darf man noch höher schätzen, wenn sich ihm die männliche Jugend in jenem Alter naht, wo die Knabenvorurtheile abgestreift sind und sich sonst wol der keimende Stolz des Mannes schämt, sich noch an den Gängelbändern der ersten Erziehung betreffen zu lassen. Ein junges Roß zerreißt alle Stränge, bricht alle Schranken – und solche Jugendkraft im Beichtstuhl zu erblicken, da sich demüthigend, da sich unterwerfend, das gilt für eine Glorie der Kirche und des Familienlebens. Alle Abbildungen des knieenden heiligen Aloysius von Gonzaga, eines frommen, allerdings etwas blöde und geistlos blickenden Pagen am Hofe der bigotten Nachfolger Philipp's II., bezwecken, die Liebenswürdigkeit einer noch ganz in der Gewöhnung der Knabenjahre sich haltenden Kirchlichkeit auch dem reifsten Jünglingsalter einzuprägen.

Wirklich hatte Thiebold de Jonge, wie er »auf Ehre« an jenem Morgen nach dem Frühkaffee Benno versichert hatte, neun Jahre lang nicht gebeichtet. Benno würde nichts dagegen gehabt haben, wenn von diesem »auf Ehre« die jährliche Osterbeichte ausgenommen gewesen wäre; denn diese war, wie auch damals Pastor Engeltraut in Drusenheim gesagt hatte, eine ganz conventionelle »Abwaschung«, der man nicht entrathen kann und die sich bei jedem Katholiken, der keine bürgerlichen Unannehmlichkeiten befahren will, von selbst versteht. Thiebold de Jonge war aber wirklich neun Jahre lang ein »completer Heide« gewesen. Immer traf es sich, daß er zu Ostern irgendwo auf Reisen war; eine mahnende Mutter lebte nicht mehr; sein Vater war »ohne Vorurtheile« und als »König der Holzhöfe«, wie er hieß, in einer Vorstadt, wenig mit der Gesellschaft in Berührung, 132 bei den Provinziallandtagen ausgenommen. Die Gelegenheiten, wo junge Leute Beicht- und Communionzettel brauchen, kamen bei Thiebold nicht vor. Weder brauchte er Stipendien zum Nachholen seiner etwas vernachlässigten Studien, noch ließ er taufen. »Ei, wart' du nur, Kerl«, sagte öfters zu ihm sein Vater. wenn er die Verwilderung bemerkte, »bis du endlich 'mal heirathen wirst, dann hört die Freigeisterei auf! Aber!« setzte er hinzu, »du wirst wol auch so ein Hans Matz werden, wie –« nun nannte er einige reiche ältere Herren aus der christlichen Handelssphäre, die, wie Moritz Fuld der »Ober-Chochem«, vorzogen Garçons zu bleiben. Erst vor vier Monaten, als Thiebold vom Sonntagsausflug nach Drusenheim so melancholisch und verspätet zurückkehrte und einige Tage lang seine besten Leibgerichte stehen ließ, setzte der Vater noch hinzu: »Die Hanne Kattendyk hast du dir nun auch entgehen lassen! Macht sich so ein hungeriger Professor dran! Nannette Schmitz ist freilich noch zu jung! Aber Josephine Moppes, Lisette Maus, Mamsell Effingh und der kleine Schwarzkopf, der mir gefallen könnte, Betty Timpe – sage mir nur, warum schleppst du dich nur eigentlich mit den Brüdern dieser Mädchen, diesen liederlichen Tagedieben, wenn du nicht reelle Absichten dabei hast!« Von einem adeligen Freifräulein, einer jetzigen Stiftsdame, war keine Rede. Der Sohn wäre wol auch dem Vater »mit dergleichen schön angekommen«, obschon auf die Länge Thiebold auch hier keine Schwierigkeit gefunden hätte und überhaupt mit seinem Vater auf dem Comment einer fast brüderlichen Vertraulichkeit stand. Ja, der alte Herr de Jonge ließ sich von dem jungen Herrn de Jonge behandeln, als wenn die Rollen umgekehrt wären, er der Sohn und Thiebold der Alte. Thiebold erzog »seinen Alten«; der Alte hatte sogar Furcht vor dem Jungen und bemühte sich ihm zu Dank zu leben. Es war ein Verhältniß wie in der verkehrten Welt, was jedoch 133 nicht ausschloß, daß Thiebold mit dem tiefsten Schmerz ausrufen konnte: »Wenn mir 'mal bei Gelegenheit der alte Mann stürbe, wüßt' ich auf Ehre nicht, was aus mir werden sollte!«

Obgleich sich Thiebold seit vier Monaten weder in seiner Toilette vernachlässigte, noch in seiner Ernährung irgendwie auffallend zurückging, drückte ihn doch entschiedene Melancholie. Seine Paletots gaben zwar die Wintermode an, er hatte die Krägen und Aufschläge von schwarzem Sammet eingeführt, die seinem frischen, gesunden Antlitz, dem gescheitelten kräftig blonden Haar das schönste Relief gaben; aber selbst die Bewunderung, die noch vorgestern Abend auf der Apostelstraße sein mit Schnüren besetzter, mit Marderfellen aus dem nördlichen Canada gefütterter Pelzrock hervorgebracht hatte (selbst bei Piter, der sich so kindlich glückselig erging, daß er die heute stattgehabte »Mordscene« mit Delring schwerlich schon embryonisch in seiner »furchtbar reizbaren« Seele trug), selbst diese Bewunderung hinderte nicht, daß noch kurz vor seiner Reise nach Witoborn ein schon lange gehegter elegischer Plan zur Ausführung kam. In seinem Innersten hatte er sich auf etwas ertappt, das ihn drückte. Es war etwas, das er am wenigsten seinem angebeteten Freunde Benno von Asselyn gestehen wollte. Gerade darum aber mochte er es dem Domherrn gestehen. Als er vorgestern, von der Austernpartie nach Hause gehend, zwischen ein und zwei Uhr, unter den nächtlichen Sternen nicht enden konnte, von Armgart's Mutter zu schwärmen und jedesmal, wenn Benno dann auch anfangen wollte mit Ekstase zu sprechen, diesem mit Allotrien in die Rede fiel, hätte er beinahe alle Schleier von seinem Innern wegfallen lassen. Asselyn –! rief er – da jedoch war dieser durch irgendeine ironische Seitenbemerkung schon wieder ein »unverbesserlicher ausgebrannter Krater« und so blieb in ihm eine »unwiderstehliche Erleichterung seines Busens« ohne Ausbruch 134 stecken. Heute in der Frühe zog er seinen canadischen Pelz an, las, um seine Katechismuszeit aufzufrischen, in einem alten Beichtspiegel, den er aus der Bibliothek seiner Mutter als Reisegepäck nach dem frommen Witoborn mitnehmen wollte, und beschloß, dem Domherrn eine gründliche Schilderung gewisser Schlechtigkeiten zu geben, die »seinen Charakter entstellten«. Er wollte damit die Bitte verbinden, gerade seinem Vetter Benno das Nähere davon mitzutheilen, damit ihn dieser nicht verkenne, denn – »Eines muß der Mensch haben«, sagte er sich, »worin er sich vom Thiere unterscheidet, welches nicht mit Vernunft begabt ist«; ja er setzte hinzu: »Unter gewissen Umständen ist das Sakrament der Buße wirklich eine merkwürdige Geschichte –!« Bekanntermaßen gehören zu den besondern Segnungen des Beichtstuhls die sogenannten»Restitutionen«. Der Beichthörende übernimmt dann die Ausgleichung einer eingestandenen Schuld, ohne daß der davon Betroffene die Ahnung hat, von wo ihm diese geheimnißvolle Rechtfertigung oder unerwartete Schadloshaltung gekommen ist.

Für die sogleich zugestandene neunjährige Unterlassung des Beichtens erhielt Thiebold sofort im Eingang Vorwürfe, die er »vollkommen in der Ordnung« fand. Ja fast hätte er ohnehin, zur schnellern Orientirung des hochverehrten Priesters über die »betreffende Persönlichkeit«, die hier in dem schönen canadischen Pelzrock und mit dem schönsten frisirten Scheitel vor ihm lag, die Ergänzung gegeben: »Schauderhaft, selbst für jene wunderbare Rettung am Sturz des St.-Moritz fand ich keine Veranlassung, irgendjemand anders dafür zu danken als dem Obersten von Hülleshoven und einem Ihnen vielleicht persönlich nicht ganz unbekannten Ehrenmann Namens Hedemann –«. Trotz dieser Zurückhaltung von »Indiscretionen«, wenigstens in den Namennennungen, mußte Bonaventura den Freund Benno's nach einigen weitern 135 Wechselreden erkennen. Nicht wenig war Bonaventura überrascht, als Thiebold de Jonge von sich eingestand, daß er eine Dame liebte, die er nur »leise angedeutet« zu haben glaubte durch gelegentliche offene Nennung ihres Namens, Armgart von Hülleshoven.

Ich liebe ein Mädchen, bekannte Thiebold, von welchem ich vor einigen Monaten erfuhr, daß es auch das »Ideal« eines Freundes von mir ist, für den ich »sonst mein Leben lasse«! Durch eine besondere »Verkettung von Umständen« hatten wir zusammen eine nächtliche Reise zu »bestehen«, wir drei: die Dame, mein Freund und ich. Die Gegend war reizend, einsam und »wunderschön«! Die Nacht mondhell, die Sterne – nein, es war prachtvoll und – und – »niemand« von uns drinnen schlief, »die junge Dame ausgenommen«, die, von Anstrengungen »übermannt«, »der Natur ihren Tribut zollte«! Mein Freund und ich, wir »zwei«, »verständigten uns durch gegenseitiges Schweigen«. Merkwürdig aber! Je mehr »der Morgen graute«, desto »finsterer wurde es«! Der Mond »verschwand« . . . Die Berge, die Tannen – »reizend«. Aber um vier Uhr Morgens »stichdunkel«! Unsere Begleiterin erwachte! Sie seufzte und erzählte ihre Träume, die wir, »um das feierliche Schweigen zu brechen«, ihr auszulegen versuchten. »Aber« an den einzelnen Stationen mußten wir aussteigen, um mit den Posthaltern und Postillonen abzurechnen, denn mein Kutscher war mit meinen Pferden schon auf der ersten Station zurückgeblieben. Rücksichtsvoll und feierlich, wie wir »gestimmt« waren, ließ einer den andern zuerst einsteigen, und zerstreut oder wol gar schläfrig, wie wir gleichfalls gewesen zu sein »nicht leugnen können«, verwechselten wir unsere Plätze. Da – da fühlt' ich, auf einer der letzten Stationen vor Erreichung der »regulären Schnellpost«, im Dunkel eines Hohlweges, eine zarte Hand in der meinigen. Die »Handschuhe« meines Freundes waren es nicht, obgleich es mir schien, 136 als hätte er längst auf dem Herzen, mir mit Gefühl zu sagen: Freund, beruhigen Sie sich! Sie sehen wohl, ich bin der Bevorzugte! Aber nein! Die Handschuhe waren die der jungen Dame. Ein Druck war es, »als wollte sie sagen«: O Geliebter, wie dank' ich Ihnen von Herzen! Sie haben mich zeitlebens zu Ihrer Schuldnerin gemacht! Bleiben Sie mir gut mein Leben lang! – Herr Gott, ich zitterte! Ich wußte, daß das gar nicht hier mein Platz war und sie mich für meinen Freund hielt! Ich erwiderte den Händedruck und das mit Beben und mit einer »gewissen Schüchternheit«, woraus sie nur noch um so mehr die »Berechtigung entnahm«, glauben zu dürfen, daß der von ihr Beglückte mein Freund und nicht ich war. Die Dame legte sich in ihre Ecke »und entschlief aufs neue«. Aber das Gewissen brannte mir. Herr des Himmels, der Wagen hielt, und nun mußt' ich aussteigen, und der Freund, der »ein wenig eingeschlummert war« und die Worte des lieblichen Engels »überhört hatte«, folgt – und nun diese »beklagenswerthe Verschmitztheit meinerseits«! Ich schlug vor, die Plätze wieder zu wechseln! Und dies geschah und der Morgen graute immer mehr und der Postillon blies und das junge Mädchen erwachte »aufs neue«. Gott, sie lächelte! Sie lächelte in aller Unschuld. Sie lächelte meinen Freund an, der ihr nun wirklich gegenübersaß! Aber »natürlicherweise«! nicht im mindesten machte dieser eine Miene, sich an eine Zärtlichkeit zu erinnern, »die er gar nicht genossen hatte«. Um meine Verlegenheit zu vermehren, gab nun auch mir die dankbare Freundin unserer Herzen die Hand, als wollte sie sagen: Ganz zu kurz kommen sollst du auch nicht, lieber Thiebold de Jonge! Und dieses scheinbar viel wärmere Benehmen sah mein Freund nicht ohne Befremden, während er sich doch hätte ins Fäustchen lachen sollen und können, wenn er gewußt hätte – kurzum, diesen Händedruck schrieb er schwerlich auf »Rechnung 137 meines Wagens, den er zwar zu loben anfing; aber ich gestehe, daß ich schon damals beschämt war, nicht im mindesten »honnet genug« gewesen zu sein und gesagt zu haben: Erlauben Sie, mein Fräulein; vorhin – das bin ich auch gewesen! Kurzum, mein armer Freund verpaßte einmal und misdeutete ein andermal die Beweise ihrer größern Zuneigung und blieb ohne alle Aufklärung! Und ich, ich sonst ein Mensch von »Reellität«, habe aus »Liebesglut« meinen Betrug verschwiegen bis zum heutigen Tage und »ich muß gestehen«, diese Lüge »entstellt meinen ganzen Charakter«! Denn nicht nur nicht – wie gesagt – sie einzugestehen war alle Tage Zeit – sondern auch – meine Schlechtigkeiten in diesem »Punkte« nahmen sogar noch zu –

Fand Bonaventura schon oft Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß Benno nicht Unrecht hatte, seinen Freund Thiebold de Jonge einen »närrischen Kerl« zu nennen, so überraschten ihn diese wunderlich stilisirten Gewissensscrupel keineswegs.

Ich kann sagen, ich habe eine so gründliche Abneigung gegen mich selbst »gewonnen«, fuhr Thiebold fort, daß ich jede Nacht um einige Stunden meines Schlafes »verkürzt« werde. Auch werde ich keine Ruhe finden, ehe es nicht wieder »Tag in meinem Innern« wird! Eines muß der Mensch haben, was seine Religion ist, und die Ehrlichkeit, glaub' ich, »spielt dabei keine unansehnliche Rolle –«.

Welche »Schlechtigkeiten« sind es denn sonst noch, die Sie vorhin erwähnten? fragte Bonaventura.

Die bodenloseste Verstellung! sagte Thiebold und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Nämlich ich schmeichle meinem Freunde mit der »stereotypen Versicherung«, daß doch wol er nur allein die»Palme des Sieges« davontragen könnte. Regelmäßig aber habe ich davon das absolute Gegentheil im Sinn. Ich sage ihm: Asselyn – Bitte um Entschuldigung, Hochwürden, für die unerlaubte 138 Angabe eines Namens – Ich sage: Freund. Sie sind der Glücklichste der Sterblichen! Im Gegentheil aber erwäg' ich meine bessern Umstände, sogar meinen »scheinbaren Adel« und ähnliche »Chancen«. Diese »vorhabende« Reise morgen nach Witoborn ist z. B. eine solche schlechte Erfindung rein nur meiner Doppelzüngigkeit! Nicht im entferntesten liegt für unser Haus jetzt ein Interesse vor, Wälder zu kaufen, die an keinem »schiffbaren Wasser« liegen. Nichtsdestoweniger aber hab' ich dies schaudervoll schlechte Geschäft als eine außerordentliche »Conjunctur« hingestellt, ja dem Freunde »schmählicherweise« mein Bedauern ausgedrückt, daß ich ihm durch meine Anwesenheit in Witoborn ein »lästiger Zeuge« sein würde. Wie gesagt, ich fange an stündlich über mich selbst zu stolpern und mich dem trübsten Trübsinn zu ergeben, aus purer Desperation über mich selbst! Hochwürdiger Vater! Ich möchte in allem Ernst auf die ehrliche Straße zurück und es würde mir »stellenweise« erleichtert werden, wenn Sie, hochwürdiger Vater, die Gewogenheit haben wollten, meinen Freund zu versichern, Sie wüßten aus »authentischer Quelle«, daß er von Seiten jener Dame – so schmerzlich mir diese Ueberzeugung »ankommt« – aufrichtig geliebt wird. Ich würde dann mit einer gewissen Erleichterung neben ihm meinen Platz im Postwagen einnehmen können, denn wir wollen diesmal mit der gewöhnlichen Diligence fahren –! Mit diesem schwungvollen Schluß endete Thiebold's gründlich einstudirte Beredsamkeit.

Jeder andere, der dem Inhalt dieser Flüstersprache zugehört haben würde, hätte sicher seinem Ohr nicht getraut. Ein katholischer Priester hört dergleichen Herzensergießungen täglich. Die Neigung, die man bei Schulkindern das »Anbringen« nennt, wird durch den Beichtstuhl, in Bezug wenigstens auf das »Anbringen über sich selbst«, früh geschult und geregelt. Und will man ein guter Erzieher sein, muß man zugestehen, daß im Anbringen 139 in der Schule ein Keim liegen kann, der gar nichts so Schlechtes enthält. Es kann ein Wahrheits- und Gerechtigkeitstrieb sein, der nichts Unrechtes sehen oder leiden kann. Ein Kind, dem man unter allen Umständen das Anbringen verleiden wollte, könnte leicht in Gefahr gerathen, am Guten irre zu werden; denn immer wird es denken: Das Böse ist doch dafür da, daß es entlarvt und bestraft werde; wie hindert man mich denn, das Gute herzurichten! Der Beichtstuhl hört denn auch deshalb mit Geduld alles, was in ihm angebracht wird. Auch behülflich ist er, die Entdeckungen zu fördern und das Gute so wieder einzurichten und einzufügen, daß die, welche es verletzten, nicht zu sehr dabei bloßgestellt werden. Er legt Strafe und Züchtigung vorzugsweise für die innere Gesinnung auf; fürs Praktische aber, wie wol ein liebender Vater mit den Unarten seines Kindes auch thut, legt er das gestohlene Gut wieder an den rechten Platz, ohne daß darum der Thäter auf ewig zu Schaden kommen kann. Der Beichtstuhl möchte gern auf diese Art die Harmonie des Lebens ergänzen. Und da die Sünden, in allgemeiner Formel ausgedrückt, oft nur Redensarten sind, so muß er zu dem Ende die Facta ausführlich hören, muß wissen, welche Rubrik in der Moral verletzt wurde und welche Arznei zu wählen ist, ob eine heroische, erschütternde, ein Taraxakum, oder eine sanfte und lind auflösende. Und Thiebold, der sich in diesem Augenblick vorkommen mochte wie der heilige Aloysius selbst, Thiebold, der als »Aufgeklärter« nur an dem festhielt, was »an seiner Kirche wirklich gut ist« – »aufgeklärt« und »protestantisch« lagen für ihn und vielleicht auch für Benno weit auseinander –, traf heute nicht den alten guten Herrn, bei welchem er angeleitet war richtig »Beicht zu sprechen«. Der Pfarrer von Sancta-Maria an den Holzhöfen pflegte in solchen Fällen immer zu sagen: »Gah du man, min lütje Jong (es war ein Friese, wie die Asselyns), 140 dat schall ik wol maken!« Der gute alte Herr arrangirte, was ihm Thiebold von eingeworfenen Fenstern, Näschereien, sogar schon von Schulden (bei vierzehn Jahren!) eingestanden hatte.

Hier mußte Thiebold erleben, daß seine noble Gesinnung und die »authentische Quelle« und sein »wenn Sie die Gewogenheit haben wollten« – nicht den mindesten Anklang fanden. Bonaventura verurtheilte ihn zwar nur zu einigen Aves und einigen Spenden, sprach ihm aber das Absolvo erst nach folgenden strengen Worten: Und können Sie mir wirklich zumuthen, daß ich nun auch noch an dem Gewebe Ihrer wahrhaft vermessenen Unwahrheiten mit fortspinne? Wollen Sie Ihren Betrug gut machen, den Sie in dem Wagen bei jener nächtlichen Fahrt gespielt haben, so müssen Sie ihn selbst bekennen. Erleichtern will ich Ihnen diese Beschämung allerdings dadurch, daß ich der Meinung bin: Ihr Geständniß ist zunächst da anzubringen, wo der Betrug stattfand. Zuerst müssen Sie jener jungen Dame, die Sie nun ja wiedersehen werden, bekennen, daß Sie es gewesen sind, der den für Ihren Freund bestimmten Händedruck empfing. Die Täuschung, die Sie begingen, ist freilich eine doppelte. Lassen Sie aber erst das Geständniß vorangehen, das Sie der Dame selbst zu machen haben, und sagen Sie mir dann, da ich gleichfalls in der gemeinten Gegend sein werde, was Ihnen die Betrogene erwiderte; vielleicht wünscht sie den Vorfall jetzt lieber ganz verschwiegen. Soll ihn aber dann später Ihr Freund erfahren – wirklich dann ein Ihretwegen besorglicher Fall! – so will ich Ihrem guten Willen und Ihrer Neigung, Ihr Gewissen zu entlasten, vor dem Freunde ein Zeugniß geben, das Ihre Hinterlist nicht zu sehr compromittirt oder wol gar eine Aufkündigung der Freundschaft zur Folge hat, wenn nicht Schlimmeres, was ich nicht wünsche; denn Ihre Freundschaft ist dem Freunde schon ein Besitz, den er bereits hat; die Liebe jenes Mädchens aber bis jetzt 141 etwas noch Zweifelhaftes. Ich möchte nicht, daß er um Freundschaft und Liebe zugleich kommt – vorausgesetzt, daß sich Ihre Freundschaft läutert und Sie sich zu dem ersten Opfer bequemen, das zur Freundschaft gehört – Ihren Eigennutz, Ihren Egoismus aufzugeben –!

Thiebold erhob sich wie angedonnert. Die Verwickelung wurde nun erst recht groß. Die ganze Freundschaft mit Benno stand auf dem Spiele. Und – ein Geständniß seiner offenbaren Heimtücke an Armgart selbst –? Er sah die vollkommenste Niederlage, die ihm Bonaventura im Stifte Heiligenkreuz bereitete, voraus. Er hörte die Vorwürfe Armgart's, hörte die offenkundigste Demüthigung in dem kühlsten aller: »Ach! Sie waren das?« die je auf Erden gesprochen wurden – Er wankte nur so hinaus und litt mehr, als sich schildern läßt. Denn seine Vewunderung vor Benno's Vetter war bei alledem nicht blos hoch, sondern »höchst«. Er mußte sich gestehen, unter solchen Gefahren und Verwickelungen die Reise nach Witoborn anzutreten hätte er sich nicht für möglich gedacht und diese Bewährung eines Priesters machte nach seiner wieder angefachten Kirchlichkeit jetzt sogar ihn selbst reif, durch irgendein kühnes, die Regierung herausforderndes Attentat das Schicksal des Kirchenfürsten zu theilen.

Und Bonaventura? Ihm waren Ruhe, Erwägung, Sammlung nicht vergönnt. Wie gern hätte er sich jetzt träumerisch in Benno's Liebe, in Armgart's Gegenliebe verloren! Er wollte Armgart durch seine an Thiebold gegebene Vorschrift prüfen, zu vollerm Bewußtsein erheben, er wollte ihre Liebe zum reichern Schatz für seinen Freund sich ansammeln lassen. Er dachte: Vielleicht kannst du eine dem dunkeln Lebensschicksal deines Freundes plötzlich aufgehende rosige Beleuchtung ihm dann in Witoborn selbst ankündigen –!

Aber schon redete eine andere Stimme. Es war eine heisere, 142 von Näseln und stoßweisem Schluchzen unterbrochene. Ein Taschentuch mußte schon an allen Enden gewechselt worden sein, so war es durchnäßt vom Jammer der Zerknirschung. Eine Nase wurde dem Hörer sichtbar, geschwungen wie der Schnabel eines Geiers. Darüberher ein orangegelber Atlashut, mit schwarzem Sammet besetzt, mit Spitzengarnitur. Es war dem Hute und dem Taschentuche und dem Weinen zufolge eine Dame. Alles Uebrige konnte auch von einem Manne kommen.

So gewandt wie diese dem Beichthörenden bereits bekannte Seele wußte selten eins die vorgeschriebenen Anreden und Formeln auswendig. Erst vor vierzehn Tagen hatte die Frau ihr Herz erleichtert, aber schon wieder war sie der Sünden so voll, daß der Beichtvater in sein Examen keine andere Ordnung bringen konnte, als systematisch nach sämmtlichen zehn Geboten. Eine Sünderin war es ganz nach dem Schema eines Beichtspiegels. Bei jedem Paragraphen der Moral hatte sie gleichsam auch schon ihrem Innern ein »Eselsohr« gemacht. Schon neulich hatte sie unnützerweise dreizehnmal Gott, siebenmal die Heiligen, siebzehnmal die Nothhelfer angerufen. Die Terminologie des Beichtstuhls und der Curialstil der Gnadenzustände war ihr so geläufig, daß man hätte sagen mögen, sie sündigte auf Stempelpapier. Auch einem Diebe konnte man sie vergleichen, der bereits seine Einbrüche nach dem Strafmaß qualificirt, je nachdem er nun gern früher oder zur Abwechselung auch einmal erst später wieder loskommen möchte.

Die Frau lebte im Entzug des allerheiligsten Altarsakramentes. Sie behielt nur noch den Beichtstuhl offen, zur Erweckung eines bessern Gnadenzustandes. Der junge Domherr war durch vorher nothwendig gewesene officielle Mittheilung der Sachlage über eine Frau orientirt, die sich alle vierzehn Tage vor ihm geberdete, als wäre ihr durch Vorenthaltung des heiligen Brots die 143 nothwendigste physische Speisung entzogen. Mit solchem Seelenjammer, dem nun auch ein Priester, ein Mann, der außerhalb der Ehe leben und den holden Reiz der Frauen nicht auf sich wirken lassen darf, sein Ohr leihen muß, hätte Bonaventura lieber, wie die Casuisten in diesem verfänglichen Kapitel, lateinisch gesprochen. Aber schon war er auch von St.-Wolfgang her gewohnt, sich die Gewissen nach dieser Seite hin mit besonderer Vorliebe erleichtern zu sehen. Sein Vorgänger, Cajetan Rother, hatte den Drang seiner Beichtkinder, Sünden des Fleisches einzugestehen, durch jene geistige Entbindungskunst, die Sokrates in philosophischen Fragen erfunden, sogar noch zu beleben gewußt. Kein Kind hatte er aus dem Beichtstuhl gehen lassen, das er nicht bis auf sein Geheimstes ausgefragt hätte. Bonaventura entsetzte sich anfangs vor all den Mittheilungen, die man ihm machte, und bald ließ er vieles von dem, was sich sorglos auszuplaudern gewohnt war, gar nicht mehr zu Worte kommen. Aber diese Materie blieb darum doch ein Lieblingsthema der reuigen, durch Geständniß halb sich schon entschuldigt glaubenden Mittheilung. Bekenntnisse dann freilich, wie die heute schon zum sechsten oder siebenten mal von dieser Frau vernommenen, waren ihm noch neu. Diese konnten nur in einer großen Stadt vorkommen. Sie kamen so geläufig, so formenfest, als wollte nur ein Gewerbtreibender, wie die bürgerliche, so hier die himmlische Steuer entrichten, die ihm für sein Fach die Berechtigung gab, es wie begonnen fortzusetzen.

Welche Strafe sollte nun Bonaventura einer Frau verhängen, die als eine Gelegenheitsmacherin in Untersuchung gerathen war, außer dem Stande der Gnade lebte und keineswegs als gebessert betrachtet werden konnte? Einer Frau in glänzenden Kleidern, Besitzerin einiger Häuser, einer Frau. die in dem Rufe stand, bei sich Gesellschaften zu dulden, wo schon manches junge Mädchen 144 um Ehre und Ruf gekommen? Die Polizei und die Kirche kannten Madame Schummel. Bonaventura erhielt sie gleichsam als eine geistliche Observatin von seinen Vorgängern überliefert, als eine Frau, die in einer Art Kirchenbann lebte. Schon beim ersten Besuch, den sie im Beichtstuhl machen mußte, sprach er zu ihr die Worte des Propheten: »Ich will Haufen Leute über dich bringen, die dich steinigen und mit ihren Schwertern zerhauen und deine Häuser mit Feuer verbrennen und dir dein Recht thun vor den Augen der Weiber!« Aber diese markdurchschneidenden Worte kamen Madame Schummel, die wie ein Büßer mit der Geißel nicht stark genug zugehauen bekommen konnte, gerade recht. Da sie ihn fortwährend belästigte, nahm sich Bonaventura vor, bei ihren Allgemeinheiten nicht zu verharren, ihr Reden zu unterbrechen und zu versuchen, ob es nicht auch in solcher Bekennenden Unthaten »Restitutionen« geben könnte. Welches ist die letzte Seele, die Sie auf dem Gewissen haben? fragte er sie heute.

Du mein Gott . . .! war die auf den Tod erschrockene Antwort.

An wessen Seele haben Sie sich zuletzt vergriffen? Gestern? Heute schon? Sprechen Sie!

O du mein Gott . . .!

Ich frage –! Bonaventura's Auge erhob sich so drohend, als wenn er den vollständigen Kirchenbann über sie verhängen wollte.

Frau Schummel verstand die Drohung, fing an zu zittern und sprach: Jesus Maria Joseph! Zwei junge Herren haben eine Wette gemacht, – daß ein gewisses junges Mädchen, nicht – nicht – so – nicht so unschuldig sei, wie sie aussähe –

Und Sie? unterbrach Bonaventura das Geständniß einer Frau, die hier an einer Stätte, wo eben Unschuld und Sittlichkeit gesprochen, nun auch knieen durfte –! . . .

145 Ich – ich kann sagen, daß ich sie – ich meine das Mädchen – begleitet habe auf Tritt und Schritt und sie eingeladen, mich zu besuchen – und gewiß – gewiß auch würde sie gekommen sein, wenn nicht ein – ein geistlicher Herr, den ich gut kenne – es bemerkt und ihr – die Bekanntschaft mit mir verboten hätte –

Ein – geistlicher Herr? »Den ich gut kenne« –! Bonaventura erbebte . . . Er sah wieder die Würmer in der Hostie. Doch bekämpfte er sich und gedachte des römischen Katechismus, der Theil II, 5. 9. 51 befiehlt, der Priester solle darauf achten, daß die Sünder im Beichtstuhl so behandelt werden, daß sie immer Lust bezeigen, wiederzukommen – So denn zwang er sich zur Selbstbeherrschung.

Ach, weinte Madame Schummel, meine vornehmen Freunde verderben mich! Da kommen sie und schmeicheln mir und bieten Geschenke! Tausend Thaler kann ich haben, wenn ich –

Dies unglückliche Mädchen zu Fall bringe –?

Nein, ihre Freundin! Die – die mit ihr in Einem Hause wohnt –

In Einem Hause? . . . Bonaventura wußte kaum, was ihn plötzlich an Trendchen Ley und an Lucinden zu denken zwang – er wußte kaum, was ihm plötzlich die Besinnung raubte, ihn zwang seine Fragen zu unterbrechen, ihn lähmte im Entschluß zu helfen.

Ich Aermste, ich soll alles möglich machen! schluchzte Madame Schummel. Ich unglückliche Frau –

Wahrscheinlich werden Sie alles versuchen, wirklich die Preise zu gewinnen, die sittenlose Männer auf diese Verführungen stellen! sagte Bonaventura.

Nein, da sei Gott für, hochwürdigster Vater! Die Eine, die Kleine, ei, ich höre ja, die ist fürs Kloster bestimmt –

146 Bonaventura wußte, wie Trendchen von den Klosterfrauen gefesselt wurde, wußte, wie Trendchen ebenso die Schwester Beate fürchtete, wie sie die Schwester Therese liebte. Trendchen hatte ihm das bei einem Besuch im Kapitelhause, bei ihrer, Renaten angebotenen Hülfe zu seiner neuen Einrichtung selbst erzählt – Mit hochklopfendem Herzen fragte er: Und die andere –?

Maria, Königin der Jungfrauen, lass' mich siegen bei allen Angriffen der Feinde meines Heiles! Mein heiliger Schutzengel, bitte für mich und erlange mir einen großen Abscheu gegen alle Fleischeslüste! Und du, Gott der unendlichen Barmherzigkeit –

Schweigen Sie! unterbrach Bonaventura die auswendig gelernte und statt der Antwort auf die scheinbar überhörte Frage vorgetragene Litanei eines Gebetbuches. Unterlassen Sie jeden Versuch zu diesen fluchwürdigen Freveln und beten Sie die eben von Ihnen begonnenen Worte drüben an den Stufen der heiligen Afrakapelle! . . . Bonaventura mußte sich sagen – und sein Amt schrieb ihm diese Motivirung der Ermahnung vor – auch die heilige Afra, die ursprünglich ganz auf den Wegen dieser Frau wandelte, erleuchtete der Glaube, erleuchtete eine Margaretha von Catona, auf welche bis in ihr einundreißigstes Jahr gleichfalls jene Worte des Propheten gepaßt haben würden, die zur ersten Begrüßung der Frau Schummel von ihm gesprochen, und die dennoch eine Büßerin wurde und nicht nur in ihrem Grabe mit unverwestem Leichnam liegt, sondern sogar im Gegentheil, worüber sie heilig gesprochen worden ist, noch jetzt einen eigenthümlich »angenehmen Geruch verbreitet«. Und über Lucindens Lebensgänge zu forschen, verließ ihn vollends alle Kraft. Frau Schummel war auch schon verschwunden – ohne Absolution, wie gewöhnlich. Auf das Wort: »Heilige Afra«, das Bonaventura mit einer segnenden Handbewegung gesprochen, hatte sie bereits geknixt (sogar im Knieen geknixt) und sich erhoben. Sie hoffte, mit der Zeit ihr 147 erworbenes Vermögen in ungestörter Ruhe und in endlicher Versöhnung mit den öffentlichen, vorzugsweise den kirchlichen Thatsachen genießen zu können.

Dann kamen leichtere Beichtfälle, die Bonaventura's erschüttertem Gemüthe Erholung gestatteten. Er übereilte nichts. Er ließ jedem Zeit, sich auszusprechen. Einigen, die zu redselig wurden, sagte er mit Sanftmuth, daß die bewilligte Zeit bald vorüber wäre, sie möchten ein nächstesmal kommen und dafür sorgen, daß sie dann vom Meßner den Vortritt erhielten – Soll es denn so sein? rief es wie ein Weheschrei in ihm auf, als endlich drei Stunden vorüber waren. Darf es eine Institution geben, die uns der Sünde gegenüber nur zu Hörenden macht, nur zu Belauschern dieses bunten, entsetzlichen Lebens? Soll das Bedrängte nicht sofort Entsatz erhalten von jedem, der nur die leiseste Kunde davon vernimmt? Soll eine in Erfahrung gebrachte Wahrheit nicht sofort laut verkündigt, ein Verbrechen durch uns zur Bestrafung gebracht werden? Wie viel Hülfeschreie verhallten nun schon so in seiner Brust! Wozu das alles! seufzte er – Wozu –?

Ein feierliches Hochamt in einem entlegneren Theile des großen Baues hatte begonnen. Niemand kam mehr, um an sein Ohr zu gelangen. Aber noch saß er, als blutete er aus tausend Wunden. Ein Erzittern, ein fieberhaftes Frösteln fühlte er bis tief in sein Innerstes –

Im Begriff sich jetzt zu erheben, faltete er sein Tuch zusammen. Schon hatte er, um sein enges Gefängniß zu verlassen, den Thürdrücker in der Hand, schon sah er im Geist gewohntermaßen den Meßner vor sich, der voll Ehrfurcht und mit einem nie so reich gewesenen Ertrag von »Beichtpfennigen«, wie sich jetzt ein solcher seit der Erhebung dieses gefeierten Priesters zum Domherrn ergab, ihn empfing und zur Sakristei geleitete –

148 Als er mit einem Fuße schon aus dem Beichtstuhl war, bemerkte er, daß der Meßner einen Zuspätgekommenen, der an der linken Seite des Stuhles kniete, entfernen wollte – Es war ein Mann aus dem untersten Volke, mit einer Blouse über dem Rock. Ein Filzhut bedeckte das nicht sichtbare Antlitz. Nur ein krauses, struppiges, röthlich blondes Haar sah er. Der Betende schien sich nicht wollen stören zu lassen.

Bonaventura winkte dem Meßner und trat in den Stuhl zurück.

Mächtig schollen die Klänge des Hochamts, heute sogar, wie öfters, von einer Instrumentalmusik begleitet. Sie wogten durch das hohe Gewölbe und dennoch blieb in diesem entlegenen, dunkeln Winkel deutlich die geflüsterte Zwiesprache innerhalb des Stuhles vernehmbar.

Eine heisere, fremdartig betonende Stimme war es, die mit ihm sprach. Bald erkannte Bonaventura, daß sich ihm ein ruheloses Gemüth offenbaren wollte. Er erkannte, daß er mit einem Verbrecher sprach. Eine Zeit lang hörte er ruhig zu. Der Ton schien von einer nicht gänzlich verwahrlosten Seele zu kommen, doch auch von einem Gemüthe der höchsten Beschränkung. Von einer unterirdischen Erscheinung, von einem Marienbilde unter der Erde, das ihm oftmals zurufe: Thue Buße –! sprach der Mann. Es hätte ihm schon einmal eine Warnung vor jemand gegeben, der dann auch richtig neulich hätte den Kopf hergeben müssen . . .

Hammaker? sprach Bonaventura zu sich selbst.

Der Beichtende erzählte, er wäre unter Verbrechern aufgewachsen, hätte bitter gebüßt, lange Jahre in Frankreich in Kerker und Banden gelebt, sich im Vaterland »etabliren« wollen – immer war fremdartiges Deutsch von französischen Worten unterbrochen – aber neue Verführung wäre gekommen, selbst das 149 Heiligste hätte ihn nicht zurückgeschreckt – er hätte ein Grab erbrochen –

Bonaventura zuckte auf –

Nun erscheine ihm auch zuweilen, sagte die Stimme, der Todte, den er auf die nackte Erde geworfen, und fordere von ihm zurück, was er ihm genommen, und doch wäre es nichts gewesen, qu'une bagatelle – Schriften, die er nicht lesen könne –

Bonaventura hörte schon nichts mehr. Die Sinne verwirrten sich ihm. Bei seiner ersten Ahnung, daß er mit einem Verbrecher spreche, hatte er ganz sein Antlitz verhüllt, hatte die ganze, volle Vorschrift der Regel des Beichthörens auf sich wirken lassen und sich so verborgen, daß in seinem Muthe der Geständige nicht wankend werden sollte – Nun diese neue Entdeckung. War dies der Knecht aus dem Weißen Roß, Bickert genannt? Dies der Leichenstörer, den die Häscher seit Monaten suchten? Bickert, der im Sarge des alten Mevissen mehr gefunden, als Bonaventura dem Onkel Dechanten vorgelegt? Schriften sogar, die an seinen Vater erinnern konnten –! Hinauszustürzen aus dem Beichtstuhl, den Verbrecher festzuhalten, Hülfe zu rufen – war sofort sein Gedanke – Aber – Innocenz und Hildebrand, wie schultet ihr eure Reisige! Ein katholischer Priester wird so erzogen, daß ihm ein Ravaillac in der Beichte sagen darf, er wolle den König von Frankreich ermorden. Er wird, ähnlich wie Pater Cotton, der Jesuit, gethan haben soll, auf diesen ihm vorgelegten Fall antworten: Ich werde den König warnen, werde stündlich um ihn sein, werde den Todesstoß statt seiner empfangen; aber dem Mörder kann ich nur seine Sünde vorhalten und ihm ins Gewissen reden – seine That gehört Gott – seine Person kenne ich nicht –! Die Beichte zu sprechen, nennt die Kirche das schönste und größte Heldenthum des Menschen. Petrus weinte bittere Thränen der Reue und Selbstanklage, Magdalena wand 150 sich zu den Füßen des Heilands, Augustinus gestand in seinen Bekenntnissen die Verirrungen seiner Jugend. Aber nicht minder groß ist das Heldenthum des Beichthörens. Christus hörte noch, sagt die katholische Kirche, die Beichte eines Mörders, der am Kreuze neben ihm hing, während sein eigenes Leben verschmachtete und ihn der unbußfertige Schächer lästerte –

Und dennoch, dennoch riß unsern Freund die kindliche Liebe hin. Unglücklicher! rief er in die schmetternden Klänge des Hochamts hinaus. Was führt dich gerade zu mir? Wisse! Ich, ich bin der Pfarrer des Friedhofs, den du entweihtest in St.-Wolfgang –!

Das struppige rothblonde Haupt erhob sich einen Augenblick und sank, zuckend sich unter dem vorgehaltenen grauen Hute verbergend, kraftlos nieder. Diese Fügung des Zufalls hatte der Zuspätgekommene nicht erwartet.

Uebersende mir die Schriften, von denen du sprichst! Von ihnen hängt die Ruhe meines Lebens ab –! Ach, gewiß auch die Ruhe des deinigen. Weißt du doch, selig sind die Todten, denn sie werden Gott schauen! Vor seinem allwissenden Antlitz wird der Selige, den du in seinem Grab gestört hast, auch für deine Seele bitten! Ist deine Reue eine wahre, ist diese Anfechtung zur Rückkehr in alte Schuld die letzte gewesen, dann kniee nieder vor jenem Bilde der allerseligsten Jungfrau, wenn es dir wieder begegnet in den Höhlen, wo du vor dem Arm der Gerechtigkeit dich verbirgst, bekenne der Gnadenreichen deinen Trieb zur Besserung, und willst du die vollste Aussöhnung mit Gott auch nur einmal, einmal erproben im Genuß seines heiligen Leibes, so will ich dir das allerheiligste Sakrament des Altars nicht entziehen, will dir die Erweckung durch den Mitgenuß seines gekreuzigten Leibes nicht versagen – Oder hast du noch irgendeine andere Schuld auf deiner Seele –?

151 Der Verbrecher athmete schwer und erhob nicht wieder sein Haupt. Es war aber Bonaventura als hörte er ein Murmeln: Ich hatte –

Du hattest! O rede! Du hattest –?

Ein – ein engagement

Wozu? Zu einer ruchlosen andern That? Sprich! Vertraue mir –!

Ein Feuer –

Was? Das solltest du anlegen? Ha! Eine Urkunde – Eine falsche Urkunde solltest du irgendwo in dem Tumulte unterbringen! Nicht wahr? Sprich! Wo?

Es ist vorüber –

Schon geschehen? Ihr Heiligen!

Nein, Herr, nein –!

Aber es wird geschehen?

Nein, Herr, nein –

Wen soll ich warnen? Rede!

Der Verbrecher schwieg.

Rede!

Keine Antwort erfolgte. Der Verbrecher murmelte ein Gebet.

Nun denn, sagte Bonaventura nach einer Weile, so sei dir dies Vorhaben vergeben, wenn es unterbleibt und du es bereust um Jesu willen! Aber auch dies noch! Mein Name ist Bonaventura von Asselyn! Meine Wohnung ist im Kapitelhause! Sende mir die Schriften, die dir nichts nützen können! Nie, nie will ich dich erkennen! Ich sah dich ja nicht, ich will dich nicht sehen, ich spreche dir die Befreiung von deiner Schuld und schließe das Gitter, daß du dich ungestört entfernen kannst! Beim Tisch des Herrn will ich dir, falls du mir die Schriften schickst und dein Vorhaben unterlässest, lächeln wie dein Freund, wenn 152 ich dir das Brot des Lebens reiche! Ich hoffe, daß du Wort hältst! Absolvo te in nomine patris, filii et spiritus sancti! Amen!

Bonaventura machte das Zeichen des Kreuzes – zog das Fenster zu und erhob sich. Als er sich zitternd entfernte, war niemand mehr gegenwärtig, selbst der Meßner nicht. Das Hochamt tönte fort.

Wie eine Geistererscheinung war, was er erlebt und was er nicht durch einen Ruf um Hülfe zu seinem Vortheil hatte wenden dürfen! Er wankte dahin wie wesenlos, wie ein Hauch der Lüfte. In dem ihn umrauschenden Gewühl des Lebens, unter den sich drängenden Menschen, die ihm auswichen, hinter dem Meßner, der ihn in einiger Entfernung erwartet hatte und sich ihm anschloß und Platz machte, daß er hindurchkommen konnte zur Sakristei, war sein Sein dasjenige, das nach einem griechischen Dichter wir alle haben; wir sind nicht ein »Schatten« nur, nur der »Traum eines Schattens« –! Und bei alledem sprach ihm, als er sich umkleidete, sein Gewissen: Hast du dich nicht von deinem persönlichen Interesse fortreißen lassen? Blieb nicht ein Vorhaben zu wenig eingestanden, das viel wichtiger ist, als jenes Blatt Papier? Bickert war ein Bundesgenosse Hammaker's, das ist klar! Eine Feuersbrunst war von beiden beabsichtigt – das stand vor seinen Augen fest und wollte nicht weichen –

Benno holte ihn in der Sakristei ab, um ihn in seine Wohnung zu begleiten und von ihm Abschied zu nehmen –

Was mußte dem theuern Freunde nicht alles sein Mund verschweigen!

Er wußte nicht, was ihn bestimmte, ihm dennoch zu sagen: Seid auf Schloß Westerhof nur wachsam! Tag und Nacht haltet dort Obhut –!

Wie bangte er der Hoffnung entgegen, die Räthsel jenes 153 Sarges von St.-Wolfgang gelöst zu sehen! Ob der Verbrecher Wort halten würde und die Papiere schicken? Oft wallte in ihm der Gedanke auf, zur Polizei zu gehen und seine Entdeckung anzuzeigen. Er wagte es nicht. Nur ein Strohhalm lag zwischen seinem Entschlusse und dem möglichen Fall, zu den Geheimnissen des alten treuen Mevissen zu gelangen. Der Strohhalm war eine eherne, unübersteigliche Mauer.

Noch dachte er: Das ist groß an Deiner Kirche –!


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