Karl Gutzkow
Berlin – Panorama einer Residenzstadt
Karl Gutzkow

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Landtag oder Nicht-Landtag

(1848)

Die Frage, welche jetzt so lebhaft die Gemüter bewegt, fing klein an. Der Unterzeichnete wollte sich am Abend nach der Beerdigung die Anschauung einer Berliner Volksversammlung verschaffen und begab sich in die Zelte, wohin eine solche ausgeschrieben war. Er fand etwa tausend Menschen, die in verworrenem Durcheinander über Wahlgesetz und Landtag sprachen. Einige von dem Unterzeichneten zwischen die gehaltenen Vorträge geworfene Bemerkungen erregten die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Man machte ihn zum Präsidenten der Versammlung, ein an sich unerquickliches Amt, das er aber nicht zurückwies, weil wir in einer Zeit leben, wo die Anteilnahme am gemeinen Wesen edelste Bürgerpflicht ist. Eine auf Grund der ferneren Debatte verfaßte und von den HH. Assessor Jung, Dr. Oppenheim und Fabrikanten Lipke mitunterzeichnete Adresse gegen Berufung des Landtags wurde Freitag den 24. dem Minister Arnim überreicht.

Inzwischen ist die Frage zur Parole des Tages geworden und gleichsam das Symbol der Parteien. Diejenigen, welche in den Begebenheiten des 18. u. 19. März eine Revolution sehen, wollen keinen Vereinigten Landtag mehr, die, welche nur eine Revolte erblicken, verlangen ihn. Die Gründe, mit denen man sich bekämpft, sind nicht immer redlich. Ich finde es unredlich, sophistisch wenigstens, wenn man der großen Masse sagt: Wollt Ihr einen konstitutionellen König? Wollt Ihr eine Kabinettsordre ohne Beirat der Stände? usw. Man formuliert die illiberale Frage liberal, und die Leute, so angeredet, antworten blindlings: Wir wollen einen konstitutionellen König, wir wollen nichts ohne die Stände usw. Der König ist konstitutionell, aber nur durch eine Konstitution, die wir noch nicht haben. Der König hat sich mit dem Vereinigten Landtag früher als absoluten Fürsten proklamiert, der Vereinigte Landtag bestand neben diesem absoluten Fürsten, folglich kann er jetzt nicht mehr neben dem konstitutionellen bestehen. Es ist ein Sophisma, wenn man die Konstitutionalität des Königs durch die Berufung des Vereinigten Landtags beweisen will.

Der Vereinigte Landtag ist ein Berliner Kind, ein Jahr alt; er war etwas neues, er wirkte vorteilhaft auf unsere politische Atmosphäre, vorteilhaft auch auf Lokal-Interessen. Diese letzteren verdächtigen etwas die Sympathie, die sich für ihn zu erkennen gibt. Die Buchhändler haben noch so viel Bildnisse und Reden-Sammlungen vom vorigen Jahre auf dem Lager: Man denkt, das alles wird jetzt flott; man hofft eine gewisse Beruhigung, eine Konsolidierung der Verhältnisse, die Börse will endlich Kurse notieren. Die früheren Abgeordneten, die da merken, daß ihre Stunde gekommen ist, regen sich auch. Sie möchten gern, das wittern wir in der Luft, Römertaten von Entsagung aufführen, recht flatternd den Mantel nach dem Winde hängen und die Lüge noch mehren helfen, die uns so schon verdächtig genug umspinnt. Das alles sind schlimme Aussichten und vermehren das Mißtrauen in diesen alle Zeit ja rein prekär und von der königlichen Gnade abhängig gewesenen Staatskörper.

Man sagt, man könne eine moralische Versammlung nicht töten. Und doch verlangt Ihr, daß sie sich selber töten soll? Ich gestehe, ich möchte nicht auf den Bänken dieses Landtags sitzen mit dem Bewußtsein, daß ich mich überlebt hätte, daß ich mich hinfort begraben lassen, mich ferner unmöglich machen soll. Viele Mitglieder des Landtags werden so denken, vielleicht alle. Sie werden zusammenkommen, sich anblicken und die Augen niederschlagen. Sie werden sagen: Wie kommen wir hieher? Wir sind Provinzialstände, wurden vereinigt ohne konstitutionellen Grundsatz, ohne Befugnis der Gesetzgebung, ohne Macht und Auctorität, ja sogar erst die Periodizität ist uns als Geschenk, durch den Augenblick, verliehen. Wir haben uns immer unbehaglich und unheimlich zusammengefühlt, wir haben immer dahin protestiert, daß wir nicht die Stände, die 1815 versprochen sind, vorstellen, und so können wir nichts anderes tun, als uns in Provinzialstände, was wir sind, auflösen, nach Düsseldorf, Münster, Königsberg, Breslau gehen, für das Wohl der Provinzen sorgen und uns der kleinen Freiheiten, die uns das Patent vom 3. Febr. gewährte, freiwillig begeben.

Die Politik sollte diesen Fall voraussetzen, sie sollte sich rüsten darauf:

  1. daß dieser Vereinigte Landtag sehr unvollständig erscheinen,
  2. sich für inkompetent erklären und
  3. von der noch gärenden Aufregung vielleicht sogar gewaltsam beanstandet werden wird.

Wünschen das die Minister? Können es die Freunde des Friedens und der Ordnung wünschen?

Ferner: Aus dem Vereinigten Landtag soll das deutsche Parlament beschickt werden. Und überall regt sich in Deutschland der Protest gegen diese Idee. Die Frankfurter Versammlung wird erklären, sie würde von diesen Provinzialständen nimmermehr Deputierte, die das preußische Volk zu vertreten hätten, empfangen. Neue Verwirrung nach einer so wichtigen Seite hin, der nationalen! Neue Aufforderung, bei Zeiten vorzubeugen und solchen Verwickelungen dadurch zu entgehen, daß man den Vereinigten Landtag, als solchen, fallen läßt. Preußen bedarf in diesem Augenblick so dringend der allgemeindeutschen Sympathie.

Wir haben nötig erstens eine konstituierende Versammlung, welche die Konstitution bespricht, und dann erst mögen die neuen Stände kommen, die vielleicht wesentlich modifiziert werden durch das National-Parlament. Vielleicht ist das letztere wichtiger, als unsere Stände. Wenn das deutsche National-Parlament über vier der wichtigsten Lebensfragen eines Volkes zu entscheiden hat, werden die Ständekammern aller deutschen Staaten ohnehin nur gewissermaßen zu Provinzialständen herabsinken. Warum streiten wir uns über das künftige Wahlgesetz? Im Augenblick handelt es sich nur um eine konstituierende Versammlung für Preußen, und diese muß allerdings auf der breitesten Unterlage angelegt sein, nicht ganz abstrakt-numerisch, aber doch so viel wie möglich. Dahlmann hat gewiß Kenntnisse preußischer Verhältnisse genug, um rasch ein solches Wahlgesetz zur konstituierenden Versammlung zu entwerfen. Er wird vorurteilslos genug sein, sich dabei an die gegebenen Zustände des historischen Augenblickes, nicht an seine Göttinger Diktate zu halten.

Ich komme nochmals auf das obige Sophisma zurück von einem konstitutionellen König, der nichts ohne den Vereinigten Landtag tun könne. Ich find' es geradezu machiavellistisch. Unser konstitutioneller König ist sehr jung. Er ist es vor allen Dingen durch die Konstitution, die wir erst bekommen sollen. Ein Preßgesetz war rasch erlassen, ohne die Stände. Da besorgte man, die Freiheit der Presse müsse doch gleich eine beruhigende Form haben. Jetzt berufe der König eine konstituierende Versammlung durch einen Aufruf an sein ganzes Volk! Die Wahlen, so oder so modifiziert, wenn nur überwiegend dem Grundsatz der Allgemeinheit ehrlich entsprechend, werden ihm die Männer bringen, die allein die Gegenwart und Zukunft organisieren können. Es ist sophistisch, hier von einem »Gewaltstreich« zu sprechen. Der König ist in diesem Augenblick der Ausdruck der Zeit, er will, was wir wollen, er gibt Gesetze, die ihm die Lage der Dinge diktiert. Er kann einfach sagen: Ich habe Euch dies und das in diesen Tagen versprochen, garantiert ohne die Stände, Inneres, Äußeres, Deutsches, Preußisches, Berlinisches, kein Mensch hat gesagt: Der König darf die Bürgerwehr nicht ohne die Stände geben, die deutsche Kokarde nicht aufstecken usw., und nur in der Wahlangelegenheit, da wollt Ihr von ständischer Zustimmung sprechen? In der gefährlichsten Frage, wo der meiste Egoismus zu fürchten steht?

Der Vereinigte Landtag enthält Elemente, die uns sehr lieb und wert sind. Seid gewiß, die werden wir alle wiederfinden in den neuen Wahlen! Die alten Stadtverordneten aber, Gemeinderäte usw., die durch Vorrechte gewählt wurden und die lärmendste Agitation für den Landtag machen, die wohl nicht, und das ist gut. Eine Beleidigung des Vereinigten Landtags erblick' ich auch nicht. Kräftig gesprochen kann man sagen: Es fiel so vieles, warum nicht er? Milder gesprochen muß man sagen: Der Vereinigte Landtag ist nur ein aus Gnade eines absoluten Königs geschenktes Rendezvous. Die Provinzialstände sollen nicht sogleich vernichtet werden. Sie mögen in ihre Provinzen gehen, dort das allgemeine Wahlgesetz, das die konstituierende Versammlung gegeben hat, sich mitteilen lassen und sich dort, wo sie geboren sind, auch in der Stille auflösen oder, wäre es der Fall, daß das deutsche National-Parlament nur Provinzialstände um sich sehen will, einer neuen Organisation entgegenharren. Das in Berlin Vereinigtsein dieser Stände ist etwas rein Arbiträres, Zufälliges gewesen, und keinen Landstand kann es beleidigen, wenn man gegen diese Vereinigung protestiert.

Also, laßt Euch nichts vorreden von Rechtsverletzung, Gewaltstreich, einseitiger Willkür. Das sind Gruben, die man Eurer guten, ehrlichen, freien Gesinnung gräbt. Wenn wir eine Konstitution haben und darauf gebaute wahre Stände des Volkes, dann erst sollen die einseitigen Befehle von oben aufhören. Jetzt aber, solange nichts rechtlich Bindendes da ist, wollen wir froh sein, wenn die stürmisch gewesenen Vorboten des angebrochenen Völker-Frühlings uns noch recht viel solcher Blüten vom Baume der Majestät schütteln, wie diejenigen waren, welche wir in den jüngst vergangenen Tagen als Gesetze und Verheissungen empfingen. Ein Wahlgesetz gibt jetzt nicht der König sondern das Volk, die Zeit, der Sieg des Augenblicks.

Dr. Karl Gutzkow


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