Karl Gutzkow
Berlin – Panorama einer Residenzstadt
Karl Gutzkow

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Zur Ästhetik des Häßlichen

(1873)

Himmel! Berlin sei unschön? höre ich einen nationalliberalen Enthusiasten ausrufen, wie kann man einen so unzeitgemäßen Begriff aufstellen! Sie machen sich ja Treitschke, Wehrenpfennig und wen nicht alles zu unerbittlichen Feinden! Jetzt, wo in Berlin alles vollendet, groß, selbst die Zukunftsgärten von Steglitz und Lichterfelde arkadisch sein müssen! Die Opportunität, die große deutsche Reichs- und deutsche Zentralisationsfrage bedingt den Satz: Berlin ist die Stadt der Städte! Die Stadt auch der Schönheit! Höchstens im Sommer, wenn der Staub auch in Leipzig zu arg wird und die Sauergurkenzeit eintritt, dann gehört ja Graubünden und die Schweiz auch zu Berlin!

Beginnen wir bei alledem und umso zuversichtlicher, als die Pointe unserer pessimistischen Klagen eben auch das Deutsche Reich sein wird.

Paris, nach den Verheerungen der Kommune, habe ich nicht wiedergesehen. Aber das alte Paris steht mir in seinem innern Straßengewühl, wenn es gerade geregnet hatte oder noch das Straßenpflaster vom Morgentau beschlagen war und Menschen und fabelhaft geformte Gefährte aller Art sich zum Markte drängten, vollkommen als die alte Lutetia, die Kotstadt, in der Erinnerung. Keineswegs aber findet dies statt von dem Bilde in Paris in der mächtig ausgedehnten Peripherie des innern Kerns! Da ist es auf Plätzen, Brücken, Verbindungswegen, Toren, Triumphbögen, selbst Magazinen und Warenschuppen wie auf Bedürfnis nur nach dem Schönen angelegt und konsequent durchgeführt!

Berlin dagegen (ich spreche gar nicht von der Schönheit Wiens) war die Zentralstadt eines kleinen Staates, der sich schon ein Jahrhundert lang sehr fühlte. Er konnte zwar nicht wie Frankreich Millionen, den Schweiß der Untertanen, auf seine Hauptstadt verwenden. Aber Herrscherlaune hat auch an Berlin gearbeitet, geflickt, herumgeputzt, hat Wälder abgehauen und kommandiert: Hier wird jetzt ein neues Stadtviertel angelegt! Alle Mittel schienen dafür gerecht. Ja das Prinz Albrechtsche Palais in der Wilhelmstraße entstand geradezu aus einem – verweigerten Heiratskonsense des Despoten, den man gewöhnlich Friedrich den Großen nennt. Kolonisten mußten nach dem Lineal bauen. Man sieht denn auch noch jetzt, teilweise einstöckig, diese Hütten neben den neuerdings errichteten Prachtzinshäusern auf der Friedrichstadt. Kurzum, es haben seit dem Großen Kurfürsten immer in Berlin leitende Ideen gewartet, um Berlin zu einem, dem Ehrgeiz der Hohenzollern würdigen Schemel an ihrem Throne zu machen. Schlüter, Eosander von Goethe, Knobelsdorff mußten sich an Holland, Versailles und Rom Muster nehmen. Potsdam schadete dann später Berlin. Friedrich der Große, Egoist wie er war, baute lieber Paläste für sich ganz allein. Die Kirchen, die er auf dem Gensdarmenmarkt erbaute, waren gleichsam nur »ungern gegeben«, halb Marzipan, halb Kommißbrot. Friedrich Wilhelm III. hatte Schinkels Begeisterung neben sich. Der Monarch war in Paris und hatte sich in Petersburg verliebt, in Petersburg, wo man auf die kuppelreichen Kirchen und langen prachtvollen Straßenprospekte stolz sein durfte. Seinen Sohn würde die Geschichte am besten Friedrich Wilhelm IV., den Kirchenerbauer nennen. Der gekrönte Romantiker hat um seine zahlreichen neuen Berliner Kirchen herum sogar trauliche Stellen geschaffen, die uns an San Ambrogio in Mailand, an eine entlegene Votivkirche Roms erinnern könnten. Seitdem stockt die Verschönerung Berlins. Die konstitutionellen Regenten tun nicht mehr, als was ihre nächste Schuldigkeit ist. Was sich neuerdings an Verschönerung Berlins geregt hat, wird überholt durch die riesenmäßig gesteigerte Privat-Bauwut, deren Konsequenz denn auch der häßlichste Abbruch, Schutt, ein trauriger Anblick wie Straßburg nach der Belagerung geworden ist.

Großartigkeit und in ihrer Art auch – Schönheit liegt in der Avenue vom Brandenburger Tor bis zum Schloß; aber man könnte noch hundert Jahre so fortbauen wie jetzt und brächte doch nicht den Eindruck permanenter Unschönheit von Berlin fort, wenn nicht das Auge im großen und ganzen, in der Nähe und in der Perspektive, durch einen größeren diktatorisch befohlenen Schönheitskultus befriedigt wird. Freilich liegt hier der Schaden. Berlin ist eine demokratische Stadt! Nirgends macht sich das kleine Gewerbe so ausgedehnt geltend, wie hier! Eine Straße, wo nur allein elegante Welt sichtbar würde, gibt es in ganz Berlin nicht! Überall stemmt sich der vom Bau kommende Arbeiter, der Marktkorb der Köchin, das Produkt des Handwerkers oder die Bürde des Lastträgers zwischen die Eleganz hindurch. Das nur aus wenigen Fuß Breite bestehende Granit-Trottoir, das vor jedem Hause gelegt ist, läßt einen am anderen dicht vorüberstreifen. Der Gebildete kommt nirgends souverän auf, selbst auf dem Asphalt-Trottoir der Linden nicht. Schon freiwillig weicht er den Volksgestalten, die sich hier so frei bewegen, wie die Helden der Börse oder des Kriegsheeres, aus, nur um eine Szene zu vermeiden. Fast jedes neue Prachtzinshaus hat Kellergeschosse zu Kneipen, zu Lebensmittel-Betriebslokalen, zu Werkstätten. So ist ganz Berlin durchzogen von einem immerdar werkeltätigen Eindruck. Vorstadt und innere Stadt, die überall geschieden sind, sind in Berlin eine Gesamt-Anschauung in eins.

Die Partie vom Brandenburger Tore bis zum Schloß ist ein Prospekt, der, wir wiederholen es, seinesgleichen sucht. Bewundernd wird der Fremde bis zum Dom gelangen und sich von dem Totaleindruck aufs mächtigste gehoben fühlen. Selbst der Eindruck des Concordienplatzes und seiner Umgebung in Paris möchte dagegen zurückstehen. Plötzlich aber am Dome sieht der Wanderer eine kleine Brücke, die in die innere Stadt führt. Noch eben denkt er an Paris, an die vom Quai des Louvre aus so zierlich geschwungenen Brückchen, die über die Seine führen. Welcher Anblick wird ihm aber hier in Berlin zuteil! Eine Holzbrücke, früher um sechs Pfennige passierbar und jetzt dem Publikum freigegeben und schwerlich auf demnächstigen Abbruch wartend, steht augenverletzend hinter den Grabstätten der Könige, ein Pendant zu den faulenden Fischerkästen, die in dem trüben Flusse vom Fuße des Schlosses nur allmählich weichen zu wollen scheinen, ebenso wie die Torf- und Äpfelkähne.

Besonders unschön wird Berlin durch die über alle Beschreibung große Ausdehnung, die man dem Holz-, Kohlen-, Steinhandel bis ins innerste Zentrum der Stadt freigelassen hat. Dieser Handel bedarf der umfassendsten Räumlichkeiten. Meist besitzen alte Geschäfte solche in Gegenden, die inzwischen durch die Baulust zur fashionablen Stadt gezogen sind. Nun hat man keineswegs die häßlichklaffenden Lücken von Holz-, Kohlen- und Steinhandlungen etwa verdeckt und mit der Straße in Harmonie gebracht durch hohe gemauerte Einfriedungen, nein, die einfache, verwetterte, schwarze Bohlen-Planke, manchmal geflickt, lückenhaft, verhäßlicht durchweg die Stadt, wie denn überhaupt der offne Kohlenverkauf selbst an Orten sichtbar ist, wo ihn geradezu polizeilicher Befehl entfernen sollte. Er kann, wie z. B. am Schöneberger Ufer, eine ganze elegante Straße entstellen. Endlich ist der ordinäre Bretterzaun doch auch von dem königlichen Lustschlosse in Bellevue gewichen!

»Aber das Reich! Das Reich!« Ruhe, lieber Streber! An eine partie honteuse Berlins werden wir bei Gelegenheit des Suchens nach Reichstagspalaststätten erinnert. Man hat daran gedacht, Raczynski oder Kroll zu rasieren und ging dabei wahrscheinlich von der Absicht aus, den Stadtteil, wo die Roon- und Bismarckstraßen liegen, mehr in Schwung zu bringen. Oder wollte man, in Erinnerung an 1848, wo so manche staatumwälzende Proklamation von einem Ständehause herab verlesen wurde, das deutsche Kapitol aus strategischen Gründen isolieren? Die Architekten scheinen durchaus auf eine Akropolis, eine Nachahmung des Bundespalastes von Washington, bedacht zu sein. Aber bitte, bewahrt doch die Menschheit vor diesen großen Plätzen, wo man in der Sonne keuchen muß, bis man endlich die Stufen eines solchen Tempels erreicht hat! Und die Entfernung von dem großen Meilenzeiger am Dönhofsplatz, um welchen herum doch die meisten Reichsboten wohnen, ist sie keiner Erwägung wert? Schreckte nicht die Erinnerung an die Grausamkeit König Ludwigs I. von Bayern, der die neue Münchener Universität an die äußerste Grenze der Stadt baute und die Studenten zwang, täglich drei-, viermal den anstrengendsten Weg durch seine endlose, in der Hitze unerträgliche Ludwigstraße zu machen? Nun gut, Kroll scheint gerettet. Aber wenn für einen anderen Plan, den etwa mit der Königgrätzer Straße, Gärten zerstört werden müssen, alte ehrwürdige Linden abgesägt oder im Deckerschen Garten Bäume, die zu den Wundern Nordeutschlands gehören, wenn Millionen für Grund und Boden gezahlt werden sollen, so lasse man doch die Gärten dem Privatbesitz oder der Öffentlichkeit und im letzteren Falle zum Schmuck der Stadt. Setzt Statuen auf diese freigelegten Gärten! Mehr als jetzt Berlin aufweist! Man kann auch Fontänen dazu springen lassen, Ruhebänke anlegen, goldbronzierte Kandelaber aufstellen. Die Gold-Bronzierung des Gußeisens bei Laternen und Gittern, die in Paris an fast allen öffentlichen Gebäuden angebracht ist, macht besonders den Effekt eines Strebens nach Eleganz, das dann auch die Umgebung nach sich zieht.

Eine partie honteuse Berlins ist jene Gegend vom früheren »Katzenstiege«, jetziger Georgenstraße, rechts von der Friedrichstraße bis zum Gegenüber des Monbijou. In unmittelbarer Nähe eines der schönsten Prospekte der Welt findet sich der Fremde, der mit Staunen von der Königswache oder vom Friedrichsdenkmal die Akademie entlang ein wenig weiter wandert, plötzlich an der Georgen- und Universitätsstraßenecke wie unter die Bedienten-, Küchen- und Remisengebäude einer fürstlichen Hofhaltung versetzt. Ein ganzer Stadtteil, die nächste Nachbarschaft des Kaisers, sein vis à vis sogar, gleicht einem – »Wo die letzten Häuser stehen«. In der Tat hieß auch früher die vorherliegende, jetzt noch leidlich gefällige Dorotheenstraße die »Letzte Straße«. Wahrlich, hier fängt die Vorstadt schon an! Links das ehemalige Gropius-Diorama, ein Holzbau, zum Gewerbe-Museum erhoben, dann Trockenplätze, Milltärmontierung-Aufbewahrungen, Kavallerieställe und das ungeheure schiefwinklige Gebäude der Artilleriekaserne, das an den Wänden vor undenklich fehlendem Kalkbewurf grauenhaft anzusehen, durch und durch verfallen und zum Abbruch mahnend ist. Es ist ein Terrain, dessen jetzige Bewohnung auf die großen Flächen vor den Toren verwiesen werden muß, die schon Kasernen genug aufgenommen haben. Gefällig ließe sich hier der Quai regulieren, die hölzerne Ebertsbrücke in eine steinerne oder hochgespannte eiserne verwandeln, das gewaltige Terrain durch ein Reichstagsgebäude in Einklang bringen mit der Börse, dem Museum, dem Schloß, der Universität und dem grünen Baumkranze, der drüben jenseits der Spree vom Schloß Monbijou herüber winkt. Wer jetzt diese Gegend durchwandert, muß sich sagen, daß hier alles den Charakter entweder des nur momentan Aushelfenden oder des Überlebten trägt. Alles ist arm, unschön, unkaiserlich.

An einigen Punkten Neuberlins, wo dasselbe gleichsam aus einem Gusse entstanden ist, finden sich, man darf der Wahrheit nichts vergeben, Eindrücke von einem so erhebenden Reize, als befände man sich in Genf im neuen Viertel des Bergues oder in Lyon. Leider sind es Gegenden der Stadt, die vom Residenztreiben, sogar von den sonst überall unvermeidlichen »Theatern« zu sehr entlegen sind. Das Luisenufer mit dem Prospekt auf das Engelbecken, auf die neue katholische Kirche, Bethanien, im Hintergrunde die neue Thomaskirche – man wünschte, dieser Charakter wäre allgemein festgehalten und für das Ganze maßgebend. Hier bildet der Kanal den Mittelpunkt eines wahrhaft schönen Gemäldes. Auch an anderen Stellen könnte es die volle Spree, wenn ein dekorativer Sinn – des Monarchen? Des Magistrats? Der Privaten? – den schon gebotenen Anfängen zu Hilfe käme. So ist, z. B. wenn man von der Wallstraße kommt und die Waisenhausbrücke betritt, der hier gebotene Rundblick vollkommen von jener Großartigkeit, die in Wasserstädten wie Hamburg, in den Seestädten Hollands so mächtig ergreift. Aber leider fehlen alle Nebenbedingungen. Es fehlen Quais, Regulierungen der durch Häuserabbruch offengelegten Hinterfronten einiger Straßen, die mit einer jahrhundertalten Kruste von Schmutz und Ungeniertheit bedeckt sind, es fehlen ausdrückliche Gebote an die im Wasser arbeitenden Gewerbe, die Unterlage ihres Tuns und Treibens dem Auge etwas gefälliger zu machen. Selbst der Blick vom durchbrochenen Kolonnadengang des Mühlendamms über die Spree hinweg links zur Stadtvoigtei könnte trotz des mehr als wüsten Gegenübers für die vollere Wirkung einer belebten, echten Hafenstraße gewonnen werden.

Für solche und ähnliche Ideen schwärmten in alter Zeit die Kronprinzen! Jetzt, wo der Fiskus für ein Reichstags-Gebäude im Tiergarten auf Grund und Boden mehr gefordert hat, als selbst die Gründer Unter den Linden gefordert haben würden, muß man sich schon begnügen, wenn nur die städtische Baukommission Künstler zu Referenten hat, die für Berlins Zunahme und Wachstum einen gewissen schöpferischen Plan im großen und ganzen verfolgen, ohne dabei die Einzelheiten zu vergessen. Es handelt sich nicht darum, allmählich die Netze und Linien eines neuen Anbauungsentwurfes auszufüllen, nicht um die Frontenpracht der Neubauten, es handelt sich um die Wegschaffung und Milderung der entstehenden Lücken, um ein richtiges Erhalten und ein richtiges Zerstören. Freilich ist die Macht des Besitzes so groß, daß selbst eine in solchem Grade die Straße entstellende Novantike wie der sogenannte »Eisbock« noch immer nicht den Mahnungen der Polizei und Stadtbehörde gewichen ist! Das ist die Mühle von Sanssouci! Das soll nun groß sein! Begierig bin ich, was aus der großen neuen Siegesallee im Tiergarten werden wird; noch steht dem Siegesdenkmal als Gegenpol an der Viktoriastraße eine Litfaßsäule gegenüber.

Auf das Häßliche in den Staffierungen der Straße durch ihr gewohntes Leben, die Wagen, die Droschken, die Bierflaschentransporte, das Häßliche in Gewohnheiten und Manieren, im Sprechen, in der Geltendmachung seiner Überzeugungen selbst beim schönen Geschlecht usw. einzugehen, ist sehr mißlich. Habe ich doch ohnehin schon den Zorn zu fürchten unserer alles im rosenroten Lichte sehenden Optimisten.


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