Anastasius Grün
Spaziergänge eines Wiener Poeten
Anastasius Grün

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Kaiser Rudolf der Zweite.

              »Wohl gestorben ist der Kaiser; denn wie ließ er's sonst geschehn,
Daß im Ratsaal Willkür sitze, führerlos die Völker gehn,
Daß sein Auge blind geworden, taub sein Ohr für unsre Not?
O der Kaiser ist gestorben! Warum hehlt ihr uns den Tod?«

Also vor der Burg des Herrschers rief des Volkes Schar empor.
Sieh, da tritt ein Mann im Purpur nickend zum Balkon hervor;
Herr Rudolfus ist es selber! Schnell doch zieht er sich zurück! –
Daß der Kaiser noch am Leben, ach, bezweifeln kann's kein Blick!

Voll Quadranten, Himmelsgloben prangt im Schloß ein Kämmerlein,
Mit dem weisen Sternendeuter schloß sich dort der Kaiser ein,
Daß der Supplikanten Menge ihre Forschung störe nicht,
Und der Kanzler nicht zur Unzeit bringe lästigen Bericht.

Viel und Wicht'ges gibt's zu schlichten, nach den Uhren muß er sehn,
Horoskope muß er stellen, in den Zauberspiegel spähn,
Güldne Kettlein muß er schmieden, – wo bleibt da fürs Volk noch Zeit? –
Und, fürwahr, in allen Künsten bracht' es Herr Rudolfus weit!

Er entdeckt ein neues Sternbild, – jenen hellen Stern zwar nicht,
Der von Thronen über Völker segnend ausstrahlt mildes Licht! –
Nein, ein Stern am Abendhimmel war es, den sein Auge fand,
Der in seines Astrologen Himmelskarte noch nicht stand.

Er durchsann ein künstlich Uhrwerk, – zwar nicht jene Räderwelt,
Deren regelrecht Getriebe Staat und Volk im Gang erhält, –
Nein, ein seltnes Werk von Rädern, von der Kaiserhand gebaut,
Und mit süßem Glockenklange Tag' und Stunden grüßend laut.

Er erzog sich eine Taube, – zwar die Friedenstaube nicht,
Zwischen Volk und Herrscher schwebend, mit dem Ölzweig, grün und licht, –
Nein, ein weißes Turteltäubchen, das im Lenz er sendet aus,
Daß es frische Zweig' und Blumen bringe in sein finstres Haus.

Ja, er zähmte einen Löwen, – nicht der Völker Zwietracht Leun,
Der, die blut'ge Mähne schüttelnd, seinem Lande mochte dräun! –
Nein, den König heißer Wüste zog geschmeidig er und zahm,
Daß nur aus der Hand des Kaisers er sein täglich Futter nahm. – –

Einst des Abends, noch sein Antlitz zugekehrt dem Sternenreich,
Lag entschlummert in dem Armstuhl Herr Rudolfus, kalt und bleich,
In den Händen, an des Zepters und des goldnen Apfels Stell',
Die kristallne Zauberkugel und ein Fernrohr blank und hell.

Den Verlust empfinden alle, die er vatergleich gepflegt,
Sein Begängnis feiern alle, die er liebevoll gehegt:
Aus den Fenstern stiegt die Taube zu dem stillen Kirchhof hin,
Und zurück dann bringt zur Leiche sie ein Zweiglein Rosmarin.

Fremdem Blick entschwand das Sternlein, seit verlöscht des Auges Brand,
Das allein den kleinen, hellen unter Millionen fand;
Trank und Kost verschmähend streckte auf sein Totenlager bald
Sich der Löwe, seit die Hände, die ihn nährten, starr und kalt.

Gleich dem Herzen seines Meisters will das Uhrwerk nimmer gehn,
Und auf seiner Todesstunde blieb der goldne Zeiger stehn.
Dieses alles ist geschehen, als Rudolfens Geist entschwebt. – –
Nur das Volk alleinig glaubte, daß sein Kaiser fort noch lebt.


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