Anastasius Grün
Spaziergänge eines Wiener Poeten
Anastasius Grün

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Wohin!

                    Eine Schwalbe in den Lüften, die sich nach dem Süden schwingt,
Eine Kugel, die mit Knalle aus dem Rohr des Schützen springt,
Wollt' ums Ziel, wohin sie reisen, diese zwei mein Fürwitz fragen,
Eine schöne, lust'ge Antwort wüßten beide wohl zu sagen.

Männer, die mit finstrem Mißtraun heitre Herzen ihr erfüllt,
Schuldlos Volk in Fesseln schmiedet, lichten Tag in Nacht verhüllt;
Wollt' an euch dieselbe Frage neubegierig dreist ich wagen,
Wüßtet ihr solch' helle Antwort mir wohl auch darauf zu sagen?

Wärt ihr nicht so fromm und sittsam, würd' ich fast zum Wahn gebracht,
Daß verbotner Liebe pflegen, in der selbsterschaffnen Nacht,
Oder daß ihr wollt im Dunkeln schleichen, Dieben gleich, nach Beute!
Doch ihr seid ja viel zu heil'ge, viel zu ehrenfeste Leute!

Wärt ihr nicht so klug und weise, schient ihr mir beinah zu sein
Narren, die Berührung scheuen, gläsern wähnend Steiß und Bein,
Toren, die den ganzen Frühling aus dem Lande wollen jagen,
Fürchtend, eine Blütenknospe könn' im Fallen sie erschlagen!

Wärt ihr nicht so reich und mächtig, sternbesetzt und samtbedeckt,
Müßt' ich euch für Bettler halten, die das Tageslicht erschreckt,
Weil's durch schlechtgeflickte Fetzen ihre Blößen läßt erblicken,
Oder gar vielleicht als Brandmal einen Pranger auf dem Rücken!

Sagt's heraus, wohin soll's führen? welches mag das Ziel euch sein?
Könnt ihr Red' und Antwort stehen? – o beim Himmel, nein, o nein!
Doch fürwahr, ich kann's statt eurer! Will der Zukunft Bild entrollen,
Wie ihr's formet, wenn's nicht früher gute Götter wenden wollen!

Wir sind alle längst gestorben, schlummernd in den Särgen tief,
Während über unsre Gräber längst ein neu Geschlecht schon lief,
Offnen Ohrs für Lug der Heuchler, Tagesscheue in den Blicken,
Für die Lasten seiner Herren gut gebogen seinen Rücken.

Seiner Fürsten Zepter formte sich zum Weihbrunnsprengel um,
Und ihr Purpur, der verschwärzte sich zum mönchschen Pallium;
Aus den alten Tagen mochten nur die Weihrauchfässer bleiben,
Die noch immer, lustig qualmend, obligate Wolken treiben.

Pressen kennt man nicht im Lande, wenn auch Bengel wohl bekannt,
Und vom Drucke gar weiß niemand, höchstens nur das Volk und Land;
Gänse haben gute Tage, man berupft nicht ihre Leiber,
Denn ans Schreiben denkt hier niemand, als im Steueramt die Schreiber.

Am Katheder trägt's der Lehrer schaudernd seinen Schülern vor:
Wie zwei fürchterliche Inseln ragen nah am Pol empor,
Eine voll von Kannibalen, menschenfressend gleich den Raben,
Eine andre, wo da wohnen Menschen, die Gedanken haben!

Hie und da nur brennt ein Lämpchen aus der alten bösen Zeit,
Durch die Nacht hin wälzt sich träge heisrer Glocken dumpf Geläut;
Aar und Lerchen, unser Wappen, ist von Tor und Turm geschlagen,
Eul' und Fledermaus statt dessen im Triumph hinaufgetragen.

Horch, was läuten alle Glocken? »Man begräbt den größten Mann!«
Nennt mir eures Helden Großtat! »Dort, sein Leichenstein sagt's an:«
»»Traure Welt um diesen Toten! Wandrer, weinend magst du's lesen,
Selbst die Scheelsucht rühmt's, daß niemand ihm an Dummheit gleich gewesen!««

Durch die Straßen tönt die Trommel: ein Edikt wird kund gemacht!
»Abgeschafft sind die Laternen; gänzlich sei's in Zukunft Nacht!
So wills allerhöchste Gnade, überzeugt aus tiefen Gründen,
Daß das Volk wohl auch im Finstern kann den Weg zum Munde finden.«

Ew'ge Nacht ist eingebrochen übers ganze arme Land,
Ew'gen Nebels dichte Schleier ruhn darüberhin gespannt;
Mond und Sterne sind erblichen, ein Gestirn doch blieb noch immer:
Nur das Sternenbild des Krebses, deutungsvoll in fahlem Schimmer.

Doch vor Sankt Liguoris Kirche, auf der Bank sich streckend breit,
Ruft ein heil'ger Mann behaglich: Welch ein schöner Tag ist heut! –
Aber wir verruchten Toten, packend Sarg und Grabgewande,
Tragen sie zu bessrer Ruhstatt fort aus unserm Vaterlande!


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