Anastasius Grün
Pfaff vom Kahlenberg
Anastasius Grün

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Weinlese.

                  Ein Knabe sitzt am Weg im Staube
Und läßt sich munden eine Traube.
Ein schlichtes Bild, und doch zugleich
Wie deutungsschwer und farbenreich!
Ums Knabenantlitz fließt ein Glanz,
So seelenfroh, daß der Genuß
In Andacht sich verklären muß.
Die Traube wird zum Rosenkranz,
Die Beeren dran zu rundgedrehten
Korallenreihn; er will ihn ganz
In frommer Gier zu Ende beten.
Das Träublein in des Knaben Hand
Hält eine reiche Welt umspannt;
Dem Auge, das die Freude weiht,
Sind all' die Beerlein saftighelle,
Freudvolle kleine Weltenbälle,
Vom Freudengeist in Eins gereiht.
Ein Seraph, der die Sonnen pflückt,
Ist seine Hand, auf sie gezückt;
Doch, hat er abgebeert die Stämme,
Lockt keiner mehr die Seraphlippe,
Dann wirft er weg die dürren Kämme,
Das freudenleere Weltgerippe.
Die Beeren, die in reinen Kreisen
Die grünen Kämme dicht umgeben,
Sie gleichen dem Tanz, den Elfenweisen,
Die Nachts den Zauberbaum umschweben;
Jed' einzler Kreis so regelrund,
Das Ganze ein wirrer Knäuelbund!
Den Menschengeist an eigne Bahnen
Vorbildlich will solch Träublein mahnen,
Indem es Beer' an Beere reiht
Zum Doppelbild der Begeisterung:
Im einzlen Rund der schöne Schwung,
Im wirren Ganzen die Trunkenheit!
Die Traube trägt im engen Schooß,
Im kleinen Maß ihr künftig Loos,
Denn jede Beere ist ein Faß,
Vollauf gefüllt mit goldnem Naß;
Die naschenden Insekten hängen
Am Rand, vom süßen Born zu nippen,
So werden einst die Zecherlippen
Sich um die vollen Tonnen drängen;
Die Traube wölbt sich rund zum Keller
Voll süßer Fäßlein Muskateller.
Wenn je dein Auge das große Faß
In Neuburgs Klosterkeller maß,
Ist Hebrons Segen dir kein Wahn,
Die Traube Kalebs dir kein Märlein,
Du sahst ja selber dort das Beerlein
Der heiligen Traube von Kanaan.
Mich aber rührt das schlichte Bild
Im Herzensgrund mit Zaubern mild,
Ein Ahnen weckt's, das ich nicht hehle;
Es liegt im Lebenskeim der Traube
Ein Lichtberuf, ein ewiger Glaube
Und eine priesterhafte Seele.
Unstörbar saugt die kleinste Beere
Bei Tag, bei Nacht, bei Thau, bei Frost,
Bei Sternenschein, bei Sonnenkläre
Des Lichtes fromme Himmelskost,
Läßt sich nicht irren durch Wind und Regen
Und Falterflug und Wespenheere,
Allimmer sammelnd Gottessegen,
Schöpft Perlenschaum aus jeder Quelle,
Trinkt Klarheit selbst aus trüber Luft,
Schlürft aus den Blumen den feinsten Duft
Und aus der Nacht die Vollmondhelle,
Senkt tief die Wurzeln in den Schacht
Um lautres Gold, vom Gnom bewacht,
Nimmt in sich auf den Sonnengeist,
Der hoch im Feuerballe kreist,
Bis sich zu süßem Born geklärt
Die Kraft, die ihr im Kelche gährt,
Auf daß die reinste Opfergabe
Die Lippen, die da dürsten, labe.
Im kleinen Kelch welch große Lehre!
O Herz, bist du nicht wie die Beere
Und saugst aus guten, schlimmen Tagen,
Aus That und Wort, in Leid und Wagen,
Das Gute nur, das Reine, Wahre,
Das Milde nur, das Schöne, Klare
Und klärst den stolzen Sonnengeist,
Der zündend durch die Welten kreist,
In dir zu laut'rem, mildem Wein?
O glaube nicht der Kelch zu sein,
Aus dem die Zeit Genesung trinke,
Der Welt, wonach sie lechzet, blinke!
Wann alle Seelen voll der Strahle,
Dann ist gefüllt des Heiltranks Schale.
In Herzen keimen tief und still
Und lang und still in Geistern reifen
Muß Alles, was die Welt ergreifen,
Die Menschheit tief erquicken will.

Drum feiert wohl ein tiefres Ahnen
Im Herbst wann ihr die Trauben preßt,
In Freudigkeit ein rauschend Fest; –
Der eignen Weihen euch zu mahnen,
Im Priesterkelch ihr Gluthborn kreist!
Des Gottesherzens Blut ist Geist!
Wo ein Beginnen soll gedeihn,
Als Zeuge steh' ein Becher Wein;
Am Fürstentag, beim Völkerbund,
Am Wiegenfest, beim Erntetanz,
Geträufelt tief zum Stein im Grund,
Geschwungen hoch vom Giebelkranz!
Es schmelzen erst an seinen Flammen
Die Freundesherzen recht zusammen;
Er darf der Lieben Grab besprengen
Und sich mit unsern Thränen mengen.

Du Knabe dort mit deiner Traube,
Wohin entführst du die Gedanken,
Daß sie, wie Reben, aus dem Staube
Bis in den Himmel gaukelnd ranken!


Viel goldne Rebengelände breiten
Den weiten Kranz ums Donaubette,
Als ob hier Fluß und Weingott streiten,
Sich überbietend in die Wette.
Die Weinfluth scheint zu überschwellen
Im Katarakt von Hügelwellen,
Aus denen Winzerhäuser ragen,
Wie Kähne, von den Wogen getragen,
Und eins vor Allen hoch einher,
Als ob's die stolze Arche wär';
Das ist des Fürsten Winzerhaus,
Fast eine Kaiserpfalz ward draus.
Bänder und Fähnlein vom Giebel wallen,
Guirlanden aus allen Fenstern fallen,
Und muntre Dirnen schäkernd klauben
Im Rebengarten die reifen Trauben.
Die Kelter stöhnt, die Winzer schütten
In Kufen die Fülle ihrer Bütten;
Doch scheint's, der Herzog spart mit Leuten,
Den Traubensegen auszubeuten.

Von Neuburg hat die Klosterherrn
Der Fürst zum Lesefest geladen,
Sie folgen gern dem heitern Stern,
Doch ziehn sie auf verschieden Pfaden.
Der Abt kam mit erwählten Schaaren
Den Strom herab zu Schiff gefahren;
Wigand empfängt sie an dem Strand,
Führt sie zur Höh' ins Kelterhaus,
Nimmt dort die Hüt' aus ihrer Hand,
Zieht ihnen sanft die Mäntel aus,
Bückt sich herab zu ihren Knieen,
Die Schuhe von den Füßen zu ziehen:
»Ein alter Brauch ist's, mild zu baden
Des Gastes Fuß, den wir geladen;«
Hebt Mann für Mann empor die Stufen
Und läßt sie gleiten in die Kufen,
Wo halbzerquetscht die Traubenlasten
In ihrem süßen Blute rasten:
»Ihr Winzerleut' im Weinberg des Herrn,
Nun winzert einmal auf unsrem Stern!
Sonst schließt der Tanz des Festes Ende,
Doch wir beginnen mit dem Reigen.«
Da klatscht er lustig in die Hände,
Und Flöten tönen, Horn und Geigen!
Das fährt den Mönchen in die Zehen,
Bis sie im Takt erst leise gehen,
Dann, fester tretend, sanft sich drehen.
Der Abbas läßt's gewähren eben,
Die Herzogin steht lächelnd daneben.

Kam auf dem Fluß der Abt geschwommen,
Zu Lande wird der Prior kommen.
Der Abbas ist die Lenkerhand,
Der Prior ist der Widerstand,
Er ist des Klostervolks Tribun,
Der Wächter, wenn die Andern ruhn,
Daß an sein freies Recht nicht tasten
Herrschgierig pröbstliche Dynasten.
Der Abt ist der Giebel, der Prior die Klammer,
Der Abt ist die Glocke, der Prior der Hammer;
So klingt wie Glockenmelodie
Die klösterliche Harmonie.
Nie lacht Rudwins, des Abtes, Mund
Aus strengen Zügen, marmorharten;
Des Priors Antlitz, leuchtend rund,
Scheint ein geschmorter Rosengarten;
Trefflich gedeiht ihm Widerstand,
Zu eng wird jährlich sein Gewand,
Verdaulicher ist's jedem Magen
Herzleid bereiten, als ertragen.
Hartwig, der Prior, kam geritten
Des Wegs in seiner Treuen Mitten;
Er nahm ein frommes Thier zum Reiten.
Forttrippelte in kurzem Paß der Rappe
Fast klösterlichen Gangs, als klappe
Die Kutt' an seine Bein' im Schreiten.
Das schwarze Fell ist blank gestriegelt,
Der Schweif in Rollen aufgeschniegelt,
Die Croupe voll, wie Polster breit,
Der Leib so rund; auch ihm gedeiht
Der Klosterzehend und daneben
Ein innerlich, beschaulich Leben.
Etwas verspätet hat das Messer
Den Cölibat ihm aufgezwungen,
Drum ist sein Hals so feist gedrungen,
Wohl ziemt' er einem Streithengst besser.
Nur Angewöhnung scheint's von früher,
Doch wurmt's den Reiter in der Kutte,
Wenn sie begegnen einer Stute,
Solch laut unklösterlich Gewieher!
So fromm und sanft das Rößlein scheint,
Mitunter hat's Lai'nbrüdertücke,
Es schnappt nach euch, bevor ihr's meint,
Und schlägt, wie tändelnd, hinterrücke.
Dem Rößlein ward, wie dem Novizen,
Des Nackens Lockenpracht verschnitten,
Ein steifer Kamm nur blieb inmitten
Haarsträubend statt der Mähne sitzen.
Das Schöpflein zwischen beiden Ohren
Ist glatt und reinlich abgeschoren;
Ihr sucht beinah nach der Tonsur.
Manierlich schreitet auf der Flur
Sein Huf mit weißen Fesselflocken,
Es mahnt wie Schuhe mit blanken Socken;
Grast auf der Trift der Klosterrappe,
Ziehn schon die Bauern fern die Kappe.
Heut sind die Fliegen unerträglich,
Doch aufgebunden ist sein Wedel,
Er wehrt sie mit dem Ohr beweglich
Und stampft und schüttelt Leib und Schädel.
Der Prior hat bei dem Gefecht
Die Bügel dreimal schon verloren,
Drum blickt er jetzt ganz schulgerecht
Nur starr dem Gaule durch die Ohren. –
Sie sind am Ziel, nun stieg er ab,
Wigand die Hand ihm helfend gab,
Aufschnaubt der Rappe leicht und heiter,
Wie nach gesungnem Chor sein Reiter.

Wigand hat still belauscht einmal
Des Priors Auge beim Pokal;
Das schwamm in gar so seligem Schimmer,
In lüstern sinnlichem Behagen,
Ein Himmel schien darin zu tagen;
Des Blickes denkt Wigand noch immer.
Er nickt den Mönchen frohen Gruß
Und führt sie an des Weinbergs Fuß,
Da reicht er jedem freundlich dar
Ein Körblein und ein krummes Messer
Und reiht sie ein der Winzerschaar;
Den Prior doch bedenkt er besser.
Er nimmt ihm ab den Mönchstalar,
Reicht ihm den Stab, sich drauf zu bücken,
Legt ihm die Bütte auf den Rücken:
»Ihr tragt daheim die schwerste Bürde,
Euch ziemt der Winzer erste Würde.«
Der Prior wagt kein Widerstreben,
Der Herzog lächelnd steht daneben.

Am Fuß des Weinbergs steht verdutzt
Der Prior noch, sein Auge stutzt,
Er sieht so steil den Berg sich heben
Und nichts als Reben über Reben;
Er seufzt und blickt empor, empor,
Sein Geist im Schauen sich verlor:
»Welch thöricht und verkehrtes Wesen
Von unten nur nach aufwärts lesen!
Es ließe Bess'res sich ersinnen;
Wie wär's, von oben zu beginnen?«
Indeß er sinnt, fühlt er ein Drücken
Schwer, immer schwerer auf dem Rücken;
Die Bütte füllten ihm mit Trauben
Die Brüder und die Dirnen voll;
Es ist ein emsig, fröhlich Klauben,
Es ist ein reicher Rebenzoll!
Jetzt geht's zu Berg, daß er die Bütte
Im Kelterhaus zur Kufe schütte;
Durch Steingeröll' welch schlimme Bahn!
Das ist ein Klettern, Schnauben, Klimmen,
Im Schweiß des Angesichts ein Schwimmen
Den langen, steilen Berg hinan!
Jetzt ist er da, fast selber fallend
Mit seinen Trauben in die Kufen;
Doch hält er staunend auf den Stufen,
Und Freude glänzt, sein Haupt umwallend,
Er sieht dort seine Mitpropheten,
Im Bottich tanzend, Trauben treten.
Ein Pater schreitet fein bedächtlich,
Als ging's zur Hora mitternächtlich;
Der Frater Gärtner stampft, als trete
Er frische Schollen fest in Beete;
Der Pförtner langsam schleicht, als schelle
Ein Fremder harrend an der Schwelle;
Der Abbas dreht sich feierlich um,
Als spräch' er das Dominus vobiscum;
Zwei junge Kleriker sich schwenken
Geschmeidig wie im Steirertanz,
Ihr Aug' umquillt ein feuchter Glanz,
Sie mögen früh'rer Tage denken.
Nur Einer steht, das Haupt gesenkt,
Bewegungslos, in sich verloren,
Er hat nicht Augen, scheint's, nicht Ohren,
Der Büchermaler ist's; er denkt
Der Bibel, die er hat zu malen,
Und drin des ersten Initialen,
Der Eva stets, des süßen Weibes,
Der runden Brüstlein, des weißen Leibes;
Da klatscht Herr Wigand in die Hand,
Aufjauchzt es durch der Töne Leiter,
Der Frater hat sich jäh ermannt
Und tanzt mit seiner Eva weiter.

Belauschte Wigand noch einmal
Des Priors Auge beim Pokal,
Nicht fand er mehr aus frühern Tagen
Das lüstern sinnliche Behagen.
Will jetzt des Priors Blick sich senken
Zum Becherspiegel, muß er denken
Des Winzers auch in dürftiger Hütte,
Des steilen Bergs, der schweren Bütte.


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