Stefan Großmann
Die Partei
Stefan Großmann

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Achtes Kapitel

Um halb zwei Uhr nachts sitzt Huber in einer Ecke des Wartezimmers der Volkszeitung vor einem kleinen Tischchen und schreibt im spärlichen Licht.

Eine alte Wanduhr tickt . . .

Auf dem erdbeschmutzten Boden liegen die Spuren der vielen, die heute hier durchgegangen sind oder gewartet haben: Papierschnitzel, aufgerissene Kuverts, Wurstschalen, Zigarettenreste, zerlesene Zeitungsblätter.

Die Türen rechts und links sind weit offen. Aber hinter ihnen liegen finstere Räume.

Alle sind längst fort. Schauer ist zu Hause, Hudalek ist präzise zehn Uhr ins Wirtshaus gegangen, der neue Hilfsredakteur an Weiners Stelle hat sich still verabschiedet, nur Helferich sitzt noch hinter den Zeitungen und raucht und wartet auf die letzten Depeschen.

Huber schreibt an Mizzi:

»Liebe Schwester!

Es hat mich ser erstaunt das du mir nicht einmal adjö gesagt hast, sondern einfach deine Sachen genommen hast und bist fort aber ich hindere niemand in seiner Freiheit und du hättest mir ruhig können adjö sagen, umdestomehr hat mich dann aber dein brif gefreut, weil ich mir gesagt 302 habe, also sieht sie, das das so sang- und klanglos nicht schön war wie auch der Vinzenz obwohl schon so groß den ganzen Abend nach dir geweint und nach dir gefragt hat. Wegen ihm solltest du doch nachschauen, weil er jetzt so viel allein ist und nur immer mit dem Reitknecht beisammen, der was in immer in den Stall mitnimmt, wo die Atmosfere ungesund ist. Mizzi, tust Du mir keinen dummen Schritt, das Theater ist heutzutage auch nur eine kapitalistische Instution, wo dein Talent aber auch dein junger Körper leicht ausgebeutet werden. Ich hindere niemand seinen Willen, aber heut abend hat mir Schauer bestättikt, daß die Theatersitten leider ganz von Adelige und Burjoa ferdorben sind und wo ist da die kunst? Denk auf diesen Satz Mizzi, dein junger körper ist zu schad für diese wüstlinge, und vielleicht kommen schon ser bald andere Zeiten, wo diese Herrn nichts mehr zu sagen haben!!!

Bei uns ist viel neues und das Wartezimmer ist immer foll mit leute. Heute ist ein Korrespondenz gekommen, Wisgrill soll Bürgermeister werden, aber ich glaubs nicht trotzdem das Helferich ser aufgeregt war und geschrien hat, das hätte man doch nicht gedacht, aber Schauer war noch stiller wie gewehnlich und hat gesagt, warten wir's ab. Ich weiß nicht warum du die letzten Tage so einen Zorn auf ihn hast. Du hast doch Wisgrill ser gern gehabt und ich hab mir sogar einmal gedanken darüber gemacht.

Ich glaub nicht, daß Wisgrill ein so schlechter Ferrätter ist. Er ist nur ein lustiger mensch, der gern gut lebt, aber das ist noch keine Sünde.

303 Lese eben die Lebensgeschichte von Lessing, der hat auch zeiten gehabt, wo er gern aufgehaut hat und die Arbeit hat stehen lassen und war sicher kein Weiberfeind und sehr gut gelaunt. Deshalb darf man noch nicht das Kind mit dem Bad ausschütten, lustige Menschen sind eben lustige Menschen. Wie gern möcht ich einmal so lustig sein, aber mir hat diese ganze Gesellschaftsordnung den ernst eingegeben und ich kann höchstens über den Vinzenz lachen, wenn ich ihn am Pferde sitzen seh und er krallt sich in die Mähne fest, aber alle müssen ja nicht so ernste schuster sein.

Wenn Wisgrill Bürgermeister wird, geht ein großer Schkandal los, Hutterer und Stohandl waren da und haben dem Helferich gesagt, das sind die folgen, aber Stohandl hat selber gesehen, das der Schauer sehr starken Husten hat und überhaupt miserabel heruntergekommen ist und so hat er Hutterer zugeredt und sie sind weitergegangen.

Liebe Mizzi, ich red dir nichts in deine Pläne drein, aber es wär doch gut, wenn du mit einem gediegenen Mann alles besprechen möchtest, indem du doch manchmal ser eigensinnig bist und nur nach deinem Kopf durch die Wand rennst, schad um dein Köpferl, Mizzi.

Helferich ist zwar manchmal ser schlecht gelaunt, aber du triffst ihn täglich von drei Uhr nachmittag bis zwölf Uhr nacht in der Redaktion und dann im kafemonopol und er könnte dir einen guten rat abgeben.

Diesen brif schicke ich dir ins Theater.

304 Vinzenz ist jeden Tag von drei Uhr an bei dem Reitknecht im Stall vom Fürsten Schwarzenstein, der übrigens schuld sein soll, das Wisgrill uns verraten will. Wenn du mir answeichen willst, wie in die letzten Tage, so such wenigstens den kleinen Vinzenz auf, der jeden morgen weint, weil dein Bett jetzt leer ist. Rate Dir noch die nächsten Tage nicht fil auf die straße zu gehn, denn jetzt wird es vielleicht ernst werden!!!

Viele grüße

Dein bruder Anton.

Du hast dein börsel mit zwanzig gulden vergessen, es liegt in der oberen Lade.« 305



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