Stefan Großmann
Die Partei
Stefan Großmann

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Zwölftes Kapitel

Zwei Stunden ist Helferich im Automobil herumgerast, um Wisgrill zu erwischen. Erst da draußen in Döbling – er murrt: wie ein ernster Mensch nur die Geduld haben kann, jeden Tag diese lange Reise ins Idyllische zu unternehmen! – dann in seiner Kanzlei, dann im Gemeinderat, dann im Café Monopol – endlich trifft er ihn in der Redaktion, wo Wisgrill schon gewartet hat.

»Bleiben Sie nur im Überrock,« schreit Helferich ihm entgegen, »das Auto wartet draußen. Sie müssen mit mir zum Fürsten Schwarzenstein.«

Er drängt Wisgrill die Kellerstiege hinauf, zu dem Auto, gibt dem Lenker die Adresse des Schwarzensteinschen Palais an und stopft Wisgrill in den Wagen.

»Na, was sagen Sie? Bitte, was sagen Sie? Wo sind Ihre Freunde? Wo ist Ihr Fürst? Wie ist es möglich, daß das geschehen kann? Wenn wir den Mann nicht gerade im Augenblick brauchen könnten, würde ich Ihnen sagen: Schreiben Sie ihm heute einen öffentlichen Absagebrief, den setz' ich morgen an die Spitze der Zeitung, am liebsten würde ich ihn selbst für Sie schreiben! Peitschenhiebe müßten das sein, für Ihren Fürsten mitsamt diesem stupiden Ministerium. Jetzt den Schauer zu verhaften!! Ihm diesen Prozeß und 190 vielleicht zwei, drei Jahre Kerker anzuhängen, diesem Mann – nebenbei erwähnt, ich halte ihn für lungenleidend. Es ist nicht nur verbrecherisch, es ist stupid! Ich kann nur wiederholen, es ist stupid!«

Wisgrill sitzt in die Ecke gedrückt und denkt nach, wie das sein wird, wenn der Helferich jetzt den Fürsten überschmäht . . . Ich gönn's dem Fürsten, denkt er lächelnd. Aber dabei wird er ernst: Dem Schauer wird gerade das nichts nützen . . .

»Ich werd' Ihnen was sagen, Helferich, Sie sind zu erregt, Sie müssen mir schon gestatten, daß ich mit dem Fürsten spreche. Sagen Sie mir jeden Satz, den Sie gesagt haben wollen, aber lassen Sie's mich vorbringen, es ist weniger verletzend, wenn ich's ihm sage, ich weiß nicht, woher das kommt, aber es ist so.«

»Fürchten Sie sich, daß ich Ihren Fürsten zu stark anfasse, diesen stupiden Wichtigmacher, der ohnehin nicht so viel Einfluß hat?«

»Wenn er ohne Einfluß ist, dann lassen wir auch diesen Besuch!«

»Wisgrill! Das werd' ich mir merken, das hätte ich von Ihnen nicht gedacht! In diesem Augenblick hab' ich gemeint, werden Sie sich endlich definitiv entscheiden! Sie können doch nicht länger mit diesem . . .«

»Stupiden . . . wollten Sie sagen.«

Helferich bricht den Satz ab. Am liebsten würde er den Wagen halten lassen und aussteigen.

Wisgrill tut, als bemerke er nichts, und erzählt ruhig: »Unter dem früheren Unterrichtsminister sind einmal zwei 191 Lehrer, erinnern Sie sich noch? wegen angeblich atheistischer Äußerungen im Avancement zurückgesetzt worden. Erinnern Sie sich noch an die aufgeregte Versammlung der Volksschullehrer? Dieser Schuft, der Unterrichtsminister, dieser stupide Streber, dieser charakterlose Renegat, dieser heuchlerische Schurke, . . . na, nur grad, daß die Lehrer ihn nicht auf den Galgen gewünscht haben. Damals ist der Schauer auf einen der aufgeregtesten Lehrer zugegangen, hat ihn mit seinem durchdringenden Blick angeschaut und ihn dann in aller Ruhe mit der Frage überfallen: ›Was für Namen werdet ihr denn dem Unterrichtsminister geben, wenn er einen von euch aufhängen läßt?‹ . . . Der Lehrer sieht Schauer verdutzt an. ›Na ja,‹ sagt Schauer, ›ihr verbraucht ja euren schönsten Wortschatz, spart doch ein bissel, vielleicht müßt ihr noch ein paar stärkere Schüsse abgeben, hebt euch doch noch eine oder die andere Beschimpfung für später auf!‹ . . . Das war das erstemal, daß mir Schauer imponiert hat!«

Wisgrill rückt ein bißchen näher zu Helferich:

»Also: ich rede, ich bitt' Sie drum, wirklich nicht meinetwegen, auch nicht um des Fürsten willen, sondern einfach, weil es für Schauer besser ist!«

Das Tor des Palais Schwarzenstein ist natürlich geschlossen. Helferich, der als erster schnell aus dem Wagen gesprungen ist, drückt vergebens an der Klinke des schweren Portals.

»Hier, durch diese kleine Seitentür gehen wir,« sagt Wisgrill und schlüpft mit Helferich hinein.

Sie stehen unter dem hohen Bogen der weißen Halle.

»Sie kennen sich hier aus,« murmelt Helferich.

192 »Ja, das große Tor wird nur bei feierlichen Empfängen geöffnet, und dazu gehören wir vorläufig noch nicht.«

Helferich sieht sich in der kühlen, weißen Halle um.

»Wo ist denn jemand – Portier, Sekretär, Diener? Ist denn niemand da?«

»Kommen Sie mit mir hinauf.« Sie steigen über eine breite Treppe mit ganz niederen Stufen. Gobelins hängen grau und undeutlich an den hohen lichten Wänden. Der lautlose, hochgewölbte Raum zwingt sogar Helferich zum Flüstern.

Ein Diener in schwarzer Seidenhose steht oben an der Treppe und führt die Herren durch eine breite Glastür, dann durch eine Tapetentür in ein kleines, grün tapeziertes Empfangszimmer.

»Der Herr Sekretär wird sogleich erscheinen.«

Helferich stiert aufgeregt die Bilder an den Wänden an.

Wisgrill sitzt in einem alten Sofa, die Hand am Kinn.

»Läßt sich der Sekretär auch Zeit?« Helferich ertappt sich selbst, daß er flüstert. Jetzt will er absichtlich laut reden! Er zieht ein großes Sacktuch heraus und schneuzt sich dröhnend, aber er erschrickt über seine eigene Trompete, jetzt ist es noch stiller.

Endlich kommt der Sekretär, ein blonder, eleganter Mensch, mit tadellos gescheitelten Haaren – er drückt Wisgrill die Hand, bittet Helferich Platz zu nehmen und ist voll Beflissenheit.

»Es handelt sich um eine Mitteilung, die wir Seiner Durchlaucht selbst machen wollen,« sagt Wisgrill, »Sie sind nicht böse, ich weiß, daß diese Sache wieder an Sie kommt, aber 193 wir haben nicht das Recht, sonst jemand einzuweihen, nicht wahr, Helferich . . . ist der Fürst zu sprechen?«

»Leider nein, Durchlaucht ist vor einer halben Stunde fortgefahren.«

»Wohin?«

»Ja, das wissen wir nicht, aber Durchlaucht pflegt abends gewöhnlich telephonisch anzufragen. Wenn die Herren sich vielleicht gegen zehn Uhr erkundigen wollten . . . ich kann mir ja denken, um was es sich handelt.«

Helferich platzt los: »Wir machen keine Geheimnisse, Wisgrill, es handelt sich um die Verhaftung des Doktor Schauer! Das ist so ziemlich die ärgste Dummheit, die das Ministerium jetzt tun konnte. Morgen kann der Ministerpräsident den Generalstreik haben oder eine wahre Schlacht vor der Hofburg oder sonst etwas Verrücktes. Die Leute sind so aufgeregt, man hat gar keinen Einfluß mehr auf sie.«

Der Sekretär hört mit vorgeneigtem Kopf verbindlich und aufmerksam zu, während er seine Antwort aus der Innenhandfläche zu lesen scheint.

»Das kann ich mir denken, ich hab' das Seiner Exzellenz prophezeit, Durchlaucht haben auch wiederholt und ganz entschieden vor derlei Maßnahmen gewarnt, aber soviel ich höre . . . in den Zeitungen ist nichts erschienen . . . soll vorigen Sonntag abend in Schönbrunn ein Hofwagen, in dem glücklicherweise nur ein Adjutant Seiner Majestät saß, mit Steinen bombardiert worden sein. Das hat riesige Aufregung hervorgerufen. Nun steht die Sache bei uns wie bei Ihnen: Die Leute sind so aufgeregt, man hat gar keinen Einfluß mehr auf sie . . .«

194 »Wir möchten nur ein paar Worte mit dem Fürsten reden,« wiederholt Wisgrill.

Der Sekretär denkt sichtlich nach: »Wenn ich nur wüßte, wie ich ihn erreiche . . . leider . . . Lassen mir die Herren gefälligst Ihre Telephonnummer da! Vielleicht ruft der Fürst heute etwas früher an . . . Ich bedaure unendlich, den Herren im Augenblick nicht dienen zu können.« Der Sekretär geleitet beide zur Treppe, dann verschwindet er hinter der großen Glastür.

»Ich wette mit Ihnen, daß er zu Hause ist!« Helferich läßt sich von dem hohen Stiegenhaus nicht drücken, er redet jetzt ganz laut, seine Stimme ist schartig und heiser, denn er kocht vor Wut. »Haben Sie bemerkt, daß er schon alles gewußt hat? Er hat uns wahrscheinlich längst erwartet. Es ist direkt feig, sich so zu verkriechen!«

»Können Sie das Wasser nicht drei Minuten halten, Helferich? Es ist sinnlos, hier zu schreien und zu schimpfen!«

»Es ist sinnlos, hier zu lavieren! Daß Sie das nicht erkennen!«

Sie sitzen im Auto, zurückgelehnt, schweigend – Feinde. Plötzlich läßt Helferich ein Fenster hinuntersausen: »Chauffeur, halten Sie!«

»Was ist denn los?« fragt Wisgrill.

»Hier ist ein Telephonautomat. Sagen Sie schnell, wie heißt der Macher dieses aristokratischen Krätzels? Der, bei dem diese feudale Sippe zusammenkommt, Schwarzensteins Freund?«

»Graf Thurn.«

»So! Jetzt passen Sie auf. Kommen Sie mit mir 195 an den Apparat . . . Nehmen Sie das eine Hörrohr . . . Hallo! . . . Fräulein! Nummer dreihundertzwölf . . . Ja, Schwarzenstein, stimmt . . . Hallo! Hier Sekretär des Grafen Thurn! Der Herr Graf hat Durchlaucht eine wichtige Mitteilung zu machen . . . Ja, bitte, fragen Sie den Herrn Sekretär! . . . Wo ist der Fürst? . . . Im Automobilklub! Schön, der Herr Graf läßt danken!« Helferich läutet ab. »Na, was sagen Sie, wie schnell er jetzt gewußt hat, wo Ihr Fürst ist! Gut, daß der Sekretär nicht selbst zum Telephon gekommen ist, ich hätte ungern meine Stimme verstellt, dann hätt' ich Sie gebeten zu sprechen, Ihnen liegt das besser: sein natürliches Organ verstellen, weil ein Fürst zuhört oder sein Diener! . . . Jetzt fahren wir in den Automobilklub.«

»Aber ohne mich! Ich warte bis zehn Uhr, dann erreich' ich ihn, das verbürg' ich Ihnen!«

»Wisgrill, dann sind wir für immer miteinander fertig!«

»Woher wissen wir denn, wo er ist? Ich will das nicht ausspioniert haben!«

»Lächerlich, das hat uns der Sekretär des Grafen Thurn gesagt.«

Helferich und Wisgrill steigen ein zweites Mal an diesem Nachmittag über teppichbelegte Stiegen empor. Im Automobilklub nehmen ihnen Diener Mäntel und Hüte ab.

»Mein schäbiger Kalabreser,« flüstert Helferich, »wie mich der Diener verachtet hat!«

Sie treten in den großen Lesesaal. Er liegt in der Dämmerung fast leer. Ein einziger alter Herr sitzt beim Fenster. Dann in den Spielsaal. Dort sind einige Tische besetzt, es 196 treffen sie unangenehm-fragende Blicke, und ein Diener tritt an sie heran.

»Wir haben mit dem Fürsten Schwarzenstein ein Rendezvous,« sagt Helferich frech.

»Im letzten Speisezimmer rechts,« meldet der Diener.

Sie wandern durch zehn oder elf Zimmer, verhängte, halbdunkle und elektrisch erhellte Räume, dunkle, holzgetäfelte Zimmer und gelbe Seidensalons, zuletzt durch die weißen Restaurationssäle.

In dem kleinen, roten Nebenzimmer sitzt der Fürst mit einem breitrückigen dicken Mann. Der dreht sich, wie er Schritte hört, um – es ist Furtmüller! – und sagt nicht ohne Schadenfreude: »Durchlaucht kriegen jetzt anderen Besuch.«

»O,« sagt der Fürst, den Besuchenden artig entgegenkommend, jedem eine Hand anbietend. »Das freut mich außerordentlich. Vor zehn Minuten haben wir an Sie gedacht . . . Die Herren kennen sich wohl? – Herr Redakteur Helferich – Herr Gemeinderat Wisgrill – Herr Abgeordneter Furtmüller.«

»Ich werde nicht mehr lang' Abgeordneter sein!« sagt Furtmüller, während er an seiner Goldkette zupft.

Der Fürst klopft ihm ablenkend auf den breitgerundeten Rücken: »Das besprechen wir noch . . . Aber was führt die Herren zu mir? Womit kann ich Ihnen dienen?«

Helferich wirft einen Blick auf Furtmüller.

»Ah, i geh schon,« sagt Furtmüller und versucht mit seinen fleischigen Fingern den obersten Knopf seines Sakkos zu schließen, »wenn die Herren unter vier oder sechs Augen was auskochen wollen. Bitte sehr . . . hehe, ich hab' übrigens gar 197 net g'wußt, daß die Herren Sozi jetzt auch im Automobilklub verkehren . . . interessant . . . interessant!«

Der Fürst möchte ein Lachen verbeißen, weil er Helferichs geladene Miene sieht, aber Furtmüllers hurtige Agitationskunst belustigt ihn zu sehr, er kann das Lachen nicht verbeißen. Je mehr er sich beherrschen will, desto heftiger platzt die Lachlust aus ihm. Der Fürst legt die Hand über den Mund und sagt entschuldigend, von Lachen geschüttelt, mit seiner unnatürlich hohen Stimme: »Seine Witze sind so perfid.«

Furtmüller kriegt sein Sakko nicht zu und murmelt immer wieder: »Interessant . . . interessant!« wodurch des Fürsten Lachkrämpfe sich wiederholen. Wisgrill erklärt, daß Helferich ihn nur aus Gefälligkeit begleite, wenn etwa Auskünfte nötig sein sollten: »Denn Sie wissen doch, Schauer ist verhaftet worden.«

»Nein, wirklich?« . . . Nicht die leiseste Ahnung hatte Durchlaucht! »Sonst hätte ich entschieden . . .«

Furtmüller fragt: »Was hat er denn angestellt?«

»Wegen einer Rede!«

»O je,« schreit Furtmüller, »das ist saudumm! Entschuldigen S', Durchlaucht, ich sag's gradheraus, da haben die Herren im Ministerium nix G'scheites ang'fangen! . . . Aber Ihnen gratulier' ich, Herr Helferich! Na, das ist was für die Aschitation! Ja, die Herren haben ein Sauglück! . . . Na schließlich, mir is alles eins, Sie wissen ja, meine Herren, ich zieh' mich von der Politik zurück, meine Restauration is beinahe kaputt. Am End' komm' ich noch zu euch hinüber, ihr würdet wenigstens einen Parteigenossen, der sich für die Sache geopfert hat, nicht zugrundegehen lassen.«

198 Der Fürst spielt mit einem Crayon, den er in den dünnen Fingern hält: »Herr Furtmüller wäre keine schlechte Akquisition für Sie . . . sagen Sie, wär' das nicht möglich, daß quasi an die reine Arbeiterpartei eine zweite, gemäßigte, aber auch durchaus antikapitalistische Partei, mehr für den Gewerbestand, angegliedert wird, quasi in einem anderen Trakt desselben Gebäudes?«

Helferich spaßt mißmutig: »Eine Partei für Restaurateure? Oder im größeren Stil, auch für Bäckermeister, Schneider, Fleischhauer, Hoteliers?«

Der Fürst klopft sich mit dem Crayon auf die Wange: »Ich dachte, so eine Art Adnex der sozialen Partei, quasi für den Mittelstand.«

Furtmüller setzt sich wieder, die breite Masse seines Leibes überschwemmt den Sessel: »Sie, Herr Helferich, das ist eine großartige Idee von Seiner Durchlaucht. Das überlegen Sie sich!«

Wisgrill sieht, daß Helferich wie auf Nadeln sitzt, er gibt dem Fürsten ein Warnungssignal: »In diesem Augenblick sind wir eigentlich aus einem anderen Grunde beisammen.«

»Ich weiß, lieber Wisgrill, darüber reden wir später, aber wenn der Zufall es einmal so glücklich gefügt hat, daß die beiden Herren sich treffen, so wollen wir diese Konstellation ausnutzen. Alle Politik beruht ja nur darauf, glaube ich, zusammenzufassen, quasi, die Synthese des Augenblicks zu finden. Gehören Sie zum gemäßigten Flügel der Partei, Herr Redakteur?«

»Nein!«

199 »Schade,« die Stimme des Fürsten wird ganz dünn, »schade, ich hätte mir denken können, daß hier eine Basis gefunden werden könnte, selbstverständlich mit Zurückstellung der radikalsten Probleme.«

Da kracht Helferich los: »Das radikalste Problem ist Schauers Verhaftung! Verstanden?! Und ob jetzt der Herr Furtmüller zuhört oder nicht, das ist mir Wurst, ich will Ihnen kein Geheimnis anvertrauen, sondern Sie nur an das erinnern, was ich Ihnen damals draußen in Döbling gesagt habe: Greift ihr nach unserem Führer, so kann es geschehen, daß einer im berechtigten Zorn nach dem euren greift. Merken Sie sich das, Herr von Schwarzenstein, und sagen Sie das auch Ihrem Ministerpräsidenten! Es kann ein fürchterliches Unglück geschehen, wenn das Gericht sich an unserem Schauer vergreift! Verstanden? Der Mann ist krank. Ihr haftet uns für ihn persönlich, nicht nur das Ministerium, Sie auch und die ganze Clique bei dem Grafen Thurn. Weh Ihnen, wenn dem Mann ein Haar gekrümmt wird! Das wollt' ich Ihnen sagen! . . . So, und jetzt können wir weiterschwätzen!«

Helferich ist blutrot im Gesicht; er hat im Eifer auch ein wenig um sich gespuckt, aber keiner hat darauf geachtet, daß der Fürst sich ostentativ mit dem Taschentuch die Wangen trocknete . . . Diener sind durch die leeren Gemächer herbeigelaufen, weil sie lautes Schreien – was? Donnern! – vernommen haben. Aber indem sie laufen, wird es still, und bei ihrem Eintritt winkt ihnen der Fürst und ruft ihnen zänkisch zu:

»Wer hat Sie denn gerufen? . . . Gehen Sie nur.« Dann 200 wendet er sich an die Herren: »Sie sehen, Herr Redakteur, hier ist nicht der richtige Ort für diese Debatte, und außerdem . . . wer bin denn ich? . . . Wieso soll ich haftbar sein? . . . Ich will jedenfalls das Äußerste versuchen . . . ich werde Ihren Gedankengang, ohne mich in eine Kritik einzulassen, noch heute abend an eine sehr, sehr hohe Stelle weitergeben . . . ich will quasi Ihr Sprachrohr werden . . . allerdings dämpfend . . . in eine mildere Tonart übersetzt . . . und ich würde Sie bitten, daß Sie inzwischen auch in Ihrem Kreise beruhigend einzuwirken trachten. Auch Sie selbst, Herr Redakteur, sind ja außer Rand und Band.«

Aber Helferich steht auf und verabschiedet sich schnell, Furtmüller schließt sich ihm an.

Auf der Stiege atmet Helferich erleichtert auf, während er die Hände wie befreit auf den Brustkorb legt: »Ah . . . Jetzt ist mir leichter!« Er sieht noch das lange Gesicht des Fürsten vor sich, wie dem Fürsten vor Schreck der Crayon entfiel, wie er aber nicht wagte, ihn aufzuheben, und er lacht, lacht, lacht, wie auf dieser feierlichen, teppichbelegten Treppe noch nie gelacht wurde.

»Alle Achtung,« sagt Furtmüller neben ihm, »Sie sind mein Mann! Ich bin zwar gegen die Milchflascheln und gegen Ihren Freund Schiller, aber das muß ich sagen: Allen Respekt, das haben Sie tadellos gemacht! Und es ist auch das einzig Richtige, wie man diese Herren behandeln soll . . . Schauen S' mich an . . . Ich soll den Herren eine christliche Volkspartei gründen. Ja, aber wenn sie zweihundert Gulden riskieren sollen, sind sie nicht zu finden, 201 die Fürschten! Mich hat der Spaß zwanzigtausend Gulden gekostet, und mein altes Geschäft ist dabei zugrundgegangen. Wenn ich aber jetzt fünfzig Gulden brauch', muß ich ihn sechsmal aufsuchen und alle seine dalketen Projekte anhören. Sie haben's richtig angepackt . . . Angst hat er kriegt! Geklappert hat er vor Angst! So is richtig. Herr Helferich, geben S' mir die Hand und gehn wir jetzt zur Erholung auf ein Viertel Gumpoldskirchner Extra in mein Gastzimmer . . . Wie gesagt, alle Achtung! . . . Und das wird auch helfen. Wenn die Herren die Hosen voll haben, dann werden sie schnell energisch!«

Droben im Automobilklub sitzt Wisgrill noch immer in dem kleinen roten Zimmer beim Fürsten und macht ihm gewissermaßen kalte Umschläge zur Beruhigung.

»Mein lieber Wisgrill, diesen Mann durften Sie mir nicht zuführen, ich glaube überhaupt, Ihre Freundschaft mit den Herren ist schon zu dick, die Stunde der Entscheidung, die Sie absichtlich aufschieben, schlägt jetzt auch für Sie. Mit diesen Fanatikern kann man nicht arbeiten, das sehen Sie jetzt hoffentlich selber ein . . . Sie haben ja von dem Furtmüller gehört, man wirft Sie schon in einen Topf mit diesen Leuten! . . . Und wie der Herr geschrien hat! Unangenehmer Mensch! . . . Sagen Sie, Wisgrill, ist das ein Jud'?«

Helferich und Furtmüller aber sitzen schon bei der zweiten Flasche Gumpoldskirchner. 202

 


 


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