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Kleinere Mitteilungen.

Von Dr.  Hans Schneickert.

1.

Polizeilaboratorien. Der Direktor des Lyoner Erkennungsdienstes, Dr. Edmond Locard, berichtet in den »Archives Internationales de Médicine Légale« (1911, Bd. 2, S. 105 ff.) über die Notwendigkeit, Polizeilaboratorien einzurichten; er hat inzwischen auch in Lyon ein solches bereits eingerichtet. Der Zweck liegt klar vor Augen, man will so die modernen Hilfsmittel des Erkennungsdienstes bei Erforschung strafbarer Handlungen systematisch anwenden, fortentwickeln und damit auch die Kriminalpolizei leistungsfähiger machen. Während in Belgien, England, Schweiz und Deutschland die Überführung und Verurteilung von Verbrechen schon auf Grund der am Tatort hinterlassenen Fingerabdrücke gelungen sei, wäre durch gleiche daktyloskopische Beweise die erste Verurteilung in Christiania im Oktober 1910 und in Frankreich im November 1910 erfolgt. Die wichtigste Aufgabe des Polizeilaboratoriums ergebe sich aus solchen daktyloskopischen Identifizierungen. Sodann falle in sein Arbeitsgebiet: Sicherung und Prüfung anderer Spuren, wie Fußabdrücke, Einbruchsspuren, Zahnabdrücke, Untersuchung von Blutspritzern, Flecken jeder Art, Schriftuntersuchungen, Behandlung verbrannten oder zerrissenen Papiers, Fälschungen jeder Art – außer Nahrungsmittelfälschungen – Geheimschriftentzifferungen und dergl. mehr.

Eigentliche Laboratorien für kriminalpolizeiliche Zwecke in diesem Sinne haben wir allerdings noch nicht und müssen die einschlägigen Arbeiten entweder den Gerichtschemikern überlassen oder, in leichteren Fällen, Beamten des Erkennungsdienstes oder photographischen Ateliers, ohne jedoch immer die gewünschten Erfolge so zu erzielen. In einer Denkschrift vom 12. Juni 1910 habe ich ebenfalls auf die Notwendigkeit eines Polizeilaboratoriums bei der Berliner Kriminalpolizei hingewiesen und außer den von Locard oben erwähnten Aufgaben insbesondere noch auf folgende drei weitere hingewiesen: Versuche mit den in der Fachliteratur vorgeschlagenen neuen Identifizierungsmitteln, einschließlich der hierfür allenfalls notwendigen Vorrichtungen und Apparate. (Empfehlung und Einführung nach Bewährung.) Ferner Anfertigung von Demonstrationsmaterial für Gerichtsverhandlungen, wissenschaftliche Vorträge und Lehrmaterialsammlungen (Kriminalmuseum). Schließlich Ausarbeitung dienstlicher Anweisungen zur Sicherung von Beweisspuren und Überwachung ihrer Befolgung.

Man darf wohl hoffen, daß die offizielle Einführung solcher Polizeilaboratorien auch bei deutschen Polizeibehörden nicht mehr allzu lange auf sich warten läßt.

2.

Presse und Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen. In der Sitzung vom 11. April 1912 des deutschen Reichstages wurde von verschiedenen Rednern wieder Klage geführt über die Gerichtssaal-Berichterstattung, wie sie ist und wie sie sein sollte. Vor allem wurde bemängelt: die Reklame der Verteidiger, die Tendenzberichte und die Sensationslüsternheit der Presse. Daß die Presse ein zweischneidiges Schwert ist, wissen wir alle. Hier möchte ich eine treffende Stelle aus Schopenhauers »Parerga und Paralipomena« zitieren (Kapitel IX. Zur Rechtslehre und Politik): »... Andererseits ist jedoch die Pressefreiheit anzusehen als die Erlaubnis, Gift zu verkaufen: Gift für Geist und Gemüt. Denn was läßt sich nicht dem kenntnis- und urteilslosen großen Haufen in den Kopf setzen, zumal wenn man ihm Vorteil und Gewinn vorspiegelt? Und zu welcher Untat ist der Mensch nicht fähig, dem man etwas in den Kopf gesetzt hat? Ich fürchte daher sehr, daß die Gefahren der Preßfreiheit ihren Nutzen überwiegen, zumal wo gesetzliche Wege jeder Beschwerde offen stehen ...« Heute übernimmt manche Presse die frühere Prangerstrafe; doch während diese seinerzeit auf Grund bestimmter Gesetzesregeln verhängt wurde, ist die heutige Schändung am Prangerpfahl der öffentlichen Presse von sehr subjektiven und willkürlichen Entschließungen abhängig, was auch mancher Zeitung den Namen »Revolverpresse« eingetragen hat.

Dabei muß aber eine Ausnahme der Gerichtsberichterstattung hervorgehoben werden: Der berufsmäßige Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen, der nicht für eine bekannte Tageszeitung, sondern für seine Verlegerabonnenten die Berichte verfaßt, bemüht sich, möglichst objektiv, also ohne tendenziöse Färbung, die von den jugendlichen Reportern gewisser Zeitungen beliebt ist, den Verlauf der Gerichtsverhandlungen darzustellen. Er ist den Richtern persönlich bekannt, sie nehmen Rücksicht auf ihn, er auf die Richter; sein täglicher Gang zum Gericht ist sein Brot, und so entwickelt sich eine tendenzlose, oft rücksichtsvolle Berichterstattung, mit der man im großen und ganzen recht zufrieden sein kann. Schließlich können auch die Kriminalisten auf den Gerichts-Chronisten nicht ganz verzichten, da einmal nicht alle großen Prozesse in Fachzeitschriften dargestellt werden, zweitens dort auch nicht immer in der ausführlicheren protokollarischen Frage- und Antwortform, die für das Studium doch gewisse Vorteile hat, drittens entgehen ihm viele Prozeßberichte, da sein Lokalblatt zu wenig oder gar nichts von auswärtigen Kriminalprozessen bringt.

Einer unserer bekanntesten Prozeßberichterstatter, Hugo Friedländer, hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine fortlaufende Sammlung von allgemein interessierenden Kriminalprozessen der Neuzeit, wie er sie im Gerichtssaal miterlebt hat, herauszugeben, auf die hier besonders aufmerksam zu machen ist. »Interessante Kriminalprozesse von kulturhistorischer Bedeutung.« Verlag von Herm. Barsdorf, Berlin W 30. Bis jetzt sind 6 Bände, à 3 M. (geb. 4 M.), erschienen. Sie bieten in kriminalistischer Hinsicht ein Lehrmaterial für angehende Polizei- und Strafrechtspraktiker, in psychologischer Hinsicht willkommenes Material für die Aussageforschung, da der größte Teil der Darstellungen in Frage- und Antwortform geboten wird; und schließlich in historischer Hinsicht manches Kulturgeschichtliche; daher auch für die von manchen Polizeibehörden bereits begonnene »Kriminalarchivsammlungen« geeignet.

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3.

Die wissenschaftliche Handschriftenkunde hat auf dem V.  Kongreß für experimentelle Psychologie in Berlin (11.–19. April 1912) insofern wieder eine besondere Anerkennung gefunden, als gelegentlich der damit verbundenen Ausstellung eine Reihe handschriftlicher Dokumente einem größeren Interessentenkreis vorgeführt wurde. Ein ganz vorzügliches Ausstellungsmaterial hatte der bekannte Münchner Graphologe Dr.  Ludwig Klages zur Verfügung gestellt (108 Einzeltafeln), zum größten Teil in seinem Werke »Die Probleme der Graphologie« (Leipzig 1910, Barth), wissenschaftlich verarbeitet.

Ferner waren 4 vom Verfasser zusammengestellte Mappen des Berliner Kriminalmuseums mit selbstverfaßten und geschriebenen Lebensläufen von Mördern und Mörderinnen ausgestellt; außerdem Handschriften verschiedener Geisteskranken, gesammelt von der Klinik für psychologische und nervöse Krankheiten, Gießen. Versuchsresultate von Levy-Suhl, betr. die Veränderung der Handschrift unter dem Einflusse verschiedener Suggestionen; medizinische Schriftproben, Spiegelschriften von Kindern und primitiven Menschen. Es wurde auch die Kraepelinsche Schriftwage, zur Messung des beim Schreiben erzeugten individuellen Druckes, gezeigt.

Schließlich sei hier noch erwähnt, daß bereits beim III. internationalen Kongreß für Psychologie in München 1896 die wissenschaftliche Graphologie in gleichem Sinne in das Arbeitsprogramm aufgenommen war und dadurch eine Art offizieller Anerkennung durch die Gelehrten erlebt hat. Näheres hierüber ist in den »Berichten« jenes Kongresses, erschienen im Verlag von J.  Lehmann, München 1897, zu finden.

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4.

Der deutsche Polizeikongreß, dessen Nutzen und Notwendigkeit schon von verschiedenen Autoren in diesem Archiv dargestellt worden ist, hat jetzt auch im preußischen Landtag seine Beachtung gefunden. In der Sitzung vom 30. April 1912 führte der Abgeordnete Dr.  Bell (Rechtsanwalt und Notar in Trier) über eine durchgreifend zu gestaltende Reform der Kriminalpolizei ungefähr folgendes aus: »Die technischen Fortschritte auch im Verkehrswesen haben sich die Verbrecher in raffinierter Weise zunutze gemacht. Die Kriminalpolizei muß dieser Entwicklung Rechnung tragen. Eine Zentralisierung und einheitliche Organisation der Kriminalpolizei wird sich nicht vermeiden lassen, wenn die Polizei auch dem Treiben der internationalen Gaunerbanden gewachsen sein soll. Die württembergische Regierung hat sich auch in diesem Sinne ausgesprochen. In Preußen ist die Kriminalpolizei schon gut organisiert, es muß aber für ganz Deutschland eine einheitliche Organisation geschaffen werden. Die preußische Regierung würde sich ein großes Verdienst erwerben, wenn sie dazu die Anregung geben wollte. Es wäre zu wünschen, wenn ein allgemeiner deutscher Polizeikongreß zustande käme. Dieser Kongreß würde sich auch mit der Vorbildung unserer Kriminalpolizisten zu beschäftigen haben. Es ist doch zweifelhaft, ob die sonst vorzüglichen Polizeischulen auch zur Vorbildung der Kriminalkommissare ausreichen. Vielleicht könnte man polizeiliche Fachakademien für diese Zwecke einrichten. Die Fortbildungskurse auf dem Berliner Polizeipräsidium sind außerordentlich schätzenswert, sie sollten aber von den provinzialen Polizeibehörden mehr in Anspruch genommen werden.«

Darauf erwiderte der preußische Minister des Innern: Die Wünsche des Vorredners bewegen sich in einer Richtung, in der bereits die ersten Schritte getan sind. Es sind bereits Verhandlungen mit anderen Bundesstaaten über das Identifizierungsverfahren, Fahndungswesen u. a. eingeleitet. Ferner wird die Frage des zeitweiligen Austausches von Polizeibeamten zwischen einzelnen Bundesstaaten besprochen, um eine möglichst vielseitige Ausbildung der Beamten herbeizuführen.

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Von Dr. W. Schütze.

5.

» Ärztliche Zwangsuntersuchungen.« Unter diesem Stichwort teilte Prof. Dr.  Näcke Bd. 37 dieses Archivs S. 182 f. mit, daß nach einer Nachricht des »Leipziger Kampf« etwa 1909 in den Aborträumen eines Leipziger Großbetriebes die Leiche eines neugeborenen Kindes gefunden sei. Um den naheliegenden Verdacht einer Kindestötung zu klären, seien sämtliche etwa 200 weibliche Angestellte zwangsweise ärztlich untersucht und 68, d. h. 34 Proz., seien geschlechtskrank befunden.

Bd. 43 S. 119 ff. dieses Archivs hat Dr.  Metzger aus Stuttgart berichtet, daß dort »vor einigen Monaten,« d. h. Ende 1910 oder Anfang 1911, ganz genau derselbe Fall von einem Stuttgarter Großbetrieb allgemein erzählt sei, versehen mit einigen weiteren pikanten Ausschmückungen. Die ganze Sache habe sich aber nach Erkundigungen an zuständiger Stelle als völlig aus der Luft gegriffen herausgestellt. Er bezweifle danach auch die Richtigkeit der Leipziger Erzählung.

Anfang Februar 1912 ereignete sich in Rostock genau das Gleiche. In der ganzen Stadt und Umgegend wurde plötzlich mit großer Bestimmtheit erzählt, in dem Wertheimschen Warenhaus sei auf dem Frauenabort die Leiche eines neugeborenen Kindes gefunden worden. Die Polizei habe sofort dem gesamten Personal das Verlassen des Hauses verboten und habe alle weiblichen Angestellten zwangsweise untersuchen lassen. Da habe man zwar nicht die Mutter des toten Kindes entdeckt, wohl aber, daß fast die Hälfte der etwa 200 Mädchen geschlechtskrank gewesen sei, davon 14 so schlimm, daß sie sofort ins Krankenhaus geschafft werden mußten.

Daß keine zwangsweise Massenuntersuchung der behaupteten Art von der Polizei bewirkt sei, war mir schon aus den von Metzger a. a. O. dargelegten rechtlichen Gründen sicher, mich interessierte daher die psychologische Frage: Wie entsteht solch Gerede von dieser allgemeinen Verbreitung, von dieser bis auf genaue Zahlenangabe einmütigen Übereinstimmung und von so verblüffender Bestimmtheit?

Daß der Leipziger und der Stuttgarter Fall hier bekannt geworden seien und dem Gerede ein festes Gepräge gegeben hätten, halte ich bei der zeitlichen und räumlichen Entfernung für ausgeschlossen, zumal die Rostocker Tagesblätter nicht darüber berichtet haben. Auch haben diese nicht unmittelbar, etwa auf einen falschen Bericht hin, die Sache aufgebracht, da sie alle nur die kurze Mitteilung von der Unwahrheit des Gerüchtes aufgenommen haben. Um Klarheit zu bekommen, wandte ich mich deshalb an die sehr entgegenkommende und rührige Rostocker Polizeibehörde, die darauf Ermittelungen anstellen ließ. Deren Ergebnis war höchst eigenartig.

In dem Warenhaus ist weder eine Kindesleiche gefunden, noch ist auch nur eine der Angestellten amtsärztlich untersucht worden. In dem mit Wasserspülung versehenen Abort war aber das Abflußrohr verstopft, so daß der Klempner benachrichtigt wurde, der die Leitung erst kürzlich angelegt hatte. Dessen Geselle holte ein großes verschnürtes Paket mit Zuckerwaren aus dem verstopften Rohr, legte es neben die Öffnung und holte den Geschäftsführer und die Leiterin, um ihnen den Sachverhalt zu zeigen und zu beweisen, daß seinen Meister keine Schuld treffe. Inzwischen war aber eine größere Anzahl von Angestellten hinzugekommen, unter denen gleich die Rede ging, das mit den Zuckerwaren stimme wohl nicht, das Paket sehe doch höchst verdächtig aus, das mache doch ganz den Eindruck, als ob eine Kindesleiche darin sei. Die Sache solle wohl nur vertuscht werden. Daß diese interessante Lesart sich mit Windeseile durch das ganze riesige Gebäude verbreitet hat, ist naturgemäß, ebenso daß die Mädchen Befürchtungen geäußert haben, nun würde man sie wohl alle untersuchen wollen. Was Wunder, daß mancher dabei nicht ganz heimlich war, daß die erregte Phantasie die Folgen ausmalte, und daß die Unterhaltung mit den vielen längst aufmerksam gewordenen Käuferinnen und unter diesen der Schauermär bald feste Gestalt gab. So konnte, was eben noch unsicher geraunte Möglichkeitsvermutung war, in wenigen Stunden schon als feste Tatsache die Stadt durcheilen, zur größeren Glaubwürdigkeit mit bestimmten Zahlen ausgeschmückt. Der meist von schwatzender Weiblichkeit aus der ganzen Stadt erfüllte Erfrischungsraum des Warenhauses dürfte zur Bildung solch unheimlich bestimmten Gerüchtes der denkbar beste Nährboden sein.

Wir sehen also wieder mal, daß selbst die größte Sicherheit und Einheitlichkeit, mit der ein Gerede auftritt, die »Volksstimme« um nichts zuverlässiger macht. Und wie selten läßt sich so eine in die Massen geworfene Anklage mit so hoher Wahrscheinlichkeit auf ihren wahren Ursprung zurückführen! Die diebische Angestellte, die ihr schlechtes Gewissen trieb, ihre Beute in den Abort zu stopfen, statt den Durchgang durch die Aufsicht damit zu wagen, hat sich gewiß nicht die Möglichkeit solcher Folgen klar gemacht und hätte sich sicher wohlweislich gehütet, das Rätsel zu lösen, auch wenn das Packet zunächst ununtersucht beseitigt wäre und der »Verdacht des Kindesmords« sich erst später gebildet und mit Zufallshilfe gegen eine einzelne Unglückliche gerichtet hätte. Ein bischen unselige Verkettung von Umständen und so ein Fall führt vor das gegenüber solchem bestimmten Volksgerede doppelt unberechenbare Schwurgericht oder vernichtet wenigstens eine Mädchenehre. Semper aliquid haeret.

Aufklärung des wahren Hergangs und dessen Mitteilung an die Öffentlichkeit scheint mir in solchen Fällen immer geboten.

Zeitschriftenschau.

Von Hermann Pfeiffer, Graz.

Kindesmord (ungewöhnliche Verletzungen).

Marmetschke: Ungewöhnliche Verletzungen bei Kindesmord.

I. An einer 2680 g schweren Kindesleiche finden sich bei der äußeren Besichtigung umfängliche Zerreißungen der weichen Schädeldecken von dem knöchernen Schädeldach (wobei dieses unverletzt), Zerreißung des linken Mundwinkels und des Mundbodens, die bis zur Wirbelsäule reicht, Würgespuren am Halse, Kratzeffekte am Brustbein und Unterschenkel. Die Verletzungen zeigten vitale Reaktion, die Lunge und der Magen, nicht aber der Darm waren lufthältig, das Epicard war mit Blutpunkten bedeckt. Die Nabelschnur war abgerissen. Die Kindesmutter, eine 18jährige Erstgeschwängerte, gibt an, des nachts von der Geburt überrascht worden zu sein. Als sie sich dessen bewußt wurde, daß sie gebäre und den Kopf austreten fühlte, habe sie mit Hilfe einer starken Haarnadel »das Netz«, das man, wie sie meinte, durchtrennen muß, durchgerissen, den Kindeskopf vorgezogen, auch am Halse gezogen. Ein anderes Werkzeug habe sie nicht benützt und nicht die Absicht gehabt, das Kind, welches weder geatmet, noch sich bewegt habe, zu töten. Verletzungsversuche, teils mit der in Frage kommenden Haarnadel, teils durch manuelle Einwirkung auf Kindesleichen haben dem Verfasser ergeben, daß nur mit großer Gewalt bei völlig fixiertem Kopf und bei mehrmaligem Hineingreifen in die Wunde die Kopf- und Gesichtsverletzungen mit der Haarnadel, bezw. mit der Hand erzeugt werden können. Im Gutachten kommt er zu dem Schlusse, daß das Kind nach der Geburt gelebt hat, der Tod nach der Geburt eingetreten sei, und zwar komme als Todesursache Verblutung in Betracht, wobei aber (Ecchymosen!), und zwar wahrscheinlich vor Setzung der Kopf- und Gesichtsverletzungen, Würgeversuche bis zur Einstellung der Atmungstätigkeit vorausgegangen seien. Die Angriffe haben sich demnach gegen das schon geborene und lebende Kind gerichtet. Durch ein zufälliges Hineingeraten der Finger in den Mund und ein einmaliges Zugreifen können diese schweren Verletzungen nicht bewirkt worden sein. Trotz dieses Gutachtens Freispruch der Angeklagten.

II. Eine 20jährige uneheliche Erstgeschwängerte faßt eingestandenermaßen, wegen Vorwürfen von seite der Mutter, schon Monate vor der Geburt den Plan, das Kind zu töten. Sie führt diese Absicht dann auch aus, indem sie mit einem groben Scheit einen Hieb gegen das Gesicht des Kindes führt und noch den Versuch macht, die Halsorgane herauszureißen. Der Effekt ist eine umfängliche Zerreißung der Kiefer- und Halsgegend mit Durchtrennung mehrerer Arterien, bei lufthaltigen, keine Aspiration von Blut zeigenden Lungen. Todesursache: Verblutung.

(Vierteljahrschr. f. gerichtl. Medizin, 1911, 3. F. XLII. Bd., 1.Heft.)

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Leichenöffnung.

Richter: Über gerichtliche Leichenöffnungen.

In der 8. Hauptversammlung des Deutschen Medizinal-Beamtenvereins spricht der Vortragende in ausführlicher und ausgezeichneter Weise über die gerichtsärztliche Leichenöffnung, weist auf die Schwierigkeiten einer solchen hin, die eine besondere Untersuchungstechnik voraussetze, weniger aber in äußeren Verhältnissen – ungenügende Sezierräume, Assistenz usw. – begründet sei. Ein Teil von Irrtümern bei Obduktionen basiert offenbar auf diesen Umständen. Eine zweite Gruppe sei bedingt durch Irrtümer in der Diagnose, in der Auffassung von Leichenbefunden. Auch in der Befundaufnahme, in einer richtigen Protokollierung, die große Übung erfordere, sind nicht mehr gutzumachende Fehler nicht selten. Insbesondere wendet er sich mit Recht gegen den Vorschlag einer nachträglichen Protokollierung. Besondere Schwierigkeiten erwachsen bei der Verarbeitung des Gesehenen zum Gutachten. Von den Kautelen gegen derartige Versehen schlägt er den Wert der sogenannten Regulative, da sie sich dem Einzelfalle nicht anpassen können, nicht hoch an, tritt energisch gegen die Durchführung gerichtsärztlicher Leichenöffnungen durch den pathologischen Anatomen auf, der mit den forensischen Zielen zu wenig vertraut sei, um mit Erfolg fungieren zu können und weist endlich darauf hin, daß eine radikale Besserung bestehender Mängel nur dadurch zu erzielen sei, wenn, wie in allen übrigen Kulturstaaten, auch in Deutschland die gerichtliche Medizin Prüfungsgegenstand werde, für eine spezielle Ausbildung zu Gerichtsärzten, für Fortbildungskurse Vorsorge getroffen und endlich die Überprüfung der Sektionsberichte durch ein »beratendes Kollegium« vorgenommen würde.

(Berichte üb. Versammlg. Beilage zur Zeitschr. f. Medizinalbeamte.)

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Melancholiker (forensische Bedeutung).

Rodiet: Les actes des mélancoliques et leur étude médico-légale.

Die Arbeit bringt unter Anführung von Eigenbeobachtungen eine Zusammenstellung der kriminellen, in der Art der Psychose begründeten Handlungen Melancholischer.

(Annales d'Hygiène Publ. T. XVI, Décembre 1911.)

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Mord (Hammelstich).

Finger: Mord durch Hammelstich.

Bei der Obduktion einer, durch Abtragen des Kopfes, der Arme, der Unterschenkel und Füße hochgradig verstümmelten Frauenleiche wurden am Auffindungsorte und an den Kleidern der Getöteten nur minimale Blutbesudelungen vorgefunden. Bei hochgradiger innerer Anämie ergab es sich, daß die zahlreichen Verletzungen an den Trennungsflächen, von kleinen Blutungen an der Rückseite des Kehlkopfes abgesehen, völlig reaktionslos waren. Geschlechtsapparat unverletzt. Außerdem fanden sich an der Leiche deutliche Anzeichen von Würgeakten und Zeichen stattgehabter Gegenwehr an den Händen. Trotz des Fehlens vitaler Reaktionen im Gewebe geben die Obduzenten auf Grund der hochgradigen Anämie, die wohl durch postmortales Zerstückeln einer Leiche nicht erreicht werden kann, ihr vorläufiges Gutachten dahin ab, daß die Verstorbene einer Verblutung durch die Halsverletzung erlegen sei, die Abtrennung der Extremitäten und des Kopfes erst nach dem Tode erfolgte und dem Verblutungstode starkes Würgen vorangegangen sei. Dieses Gutachten wurde von der wissenschaftlichen Deputation in Anbetracht des Fehlens von Blutungen im Gewebe umgestoßen. Es wurde als höchstwahrscheinlich angenommen, daß der Tod durch Erwürgen, die Schnittverletzungen aber alle erst nach dem Tode gesetzt worden seien. Weitere Untersuchungen lenkten nun den Verdacht auf einen geübten Schlächter als den Mörder. Sachverständige Fleischer erklärten bei Vorweisung der exhumierten Leichenteile, daß sich hier typische Verletzungen finden, wie sie bei Ausführung des sogenannten »Hammelstiches« – ein vorsichtiges Durchstechen des Vorderhalses dicht unter dem Unterkiefer hinter dem Kehlkopf mit einem sehr schmalen Messer, Verblutung aus einer kleinen Halswunde – gesetzt werden. Bei dieser Schlachtungsart sei eine vollständige Ausblutung des Kadavers bei recht spärlicher vitaler Reaktion die Regel. Auf Grund von Schlachthofstudien durch die wissenschaftliche Deputation schließt sie sich der eingangs wiedergegebenen Meinung der ersten Gutachter an. Verurteilung des Beschuldigten trotz seines Leugnens zu 16 Jahren Zuchthaus.

(Vierteljahrschr. f. gerichtl. Medizin, 1911, 3. Folge, XLII. Bd., 1. Heft).

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Mißhandlung.

Keferstein: Eine Kindermißhandlung mit tödlichem Ausgange.

An der Leiche eines dreijährigen Mädchens finden sich über den ganzen Körper zerstreut die Residuen grausamer Mißhandlungen in Form zahlreicher Striemen, Blutunterlaufungen der allgemeinen Hautdecken, der weichen Schädeldecken, Einreißung der Ohrläppchen, Bluterguß um ein Oberarmgelenk. Verletzungen von Knochen, Blutungen in die Schädelhöhle konnten nicht aufgefunden werden. Die Sachverständigen erklären, daß die vielfachen äußeren Verletzungen die Todesursache gewesen sind. Das verletzende Werkzeug hat im Sinne einer stumpfen Gewalt gewirkt, ohne daß diese selbst aus der Form der Verletzungen mit Sicherheit sich bestimmen läßt. Die Geschworenen verneinen die Frage, ob der Tod infolge der Mißhandlungen eingetreten sei, bejahen aber die Frage betreffs Körperverletzung.

(Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 24. Jahrgg., Nr. 22, 1911.)

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Psychopathen (gegenseitige Anziehung).

Meyer und Puppe: Über gegenseitige Anziehung und Beeinflussung psychopathischer Persönlichkeiten.

Ausführliche Bearbeitung des Allensteiner Prozesses im Sinne des Titels. Zu kurzem Referate leider ungeeignet.

(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin, 3. Folge, XVIII. Band, Jahrgang 1912, 1.  Heft.)


Radiographie (forens. Bedeutung).

Paul et Menard: De l'utilité de la radiographie dans les affaires relevant du criminel.

Die Verfasser berichten über einen Fall, in dem es wichtig war, festzustellen, ob ein mit Revolverschüssen angegriffener Mann von 2 oder 3 Projektilen getroffen wurde. An seinem Körper finden sich 4 Narben, in seinen Kleidern zwei Projektile. Der röntgenologische Nachweis eines dritten Projektiles in der Nähe der Wirbelsäule gestattet, die Frage zu entscheiden. In einem anderen Falle hatte eine Frau ihren Geliebten ermordet und nach ihren Angaben daraufhin einen Selbstmordversuch durch Schuß in die Schläfe ausgeführt. Das letztere war zweifelhaft, man vermutete, daß sie den Selbstmordversuch nur simuliert habe. Das Radiogramm führte – die Frau wies gar keine krankhaften Störungen auf – zur Feststellung eines Projektils in der Gegend des rechten Schläfenlappens. Endlich wird die Frage geprüft, ob es mit der röntgenologischen Untersuchung gelingt, Mantelgeschosse von solchen, welche keinen Metallmantel haben, zu unterscheiden. Die Schatten beider Projektile unterscheiden sich nicht, wohl aber gestattet die Tatsache, daß Mantelgeschosse immer im Verhältnis zu ihrem Kaliber eine größere Länge haben, was bei den anderen Geschossen nicht der Fall ist, eine richtige Einstellung des Projektiles im Körper voraussetzt, sie an dieser Verhältniszahl zu unterscheiden.

(Annales d'Hygiène Publ. T. XVI. Décembre 1911.)

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Ruptur (Herz).

Corin: Ruptures traumatiques du coeur.

Verf. betont auf Grund von drei Eigenbeobachtungen für das Zustandekommen der Herzruptur bei, den Thorax betreffenden, stumpfen Gewalten die große Bedeutung des nachfolgenden Mechanismus: Durch die einwirkende Gewalt wird das mit Blut erfüllte linke Herz gegen die Wirbelsäule, das darin enthaltene Blut gegen die Herzspitze gedrückt. So bilde sich in dieser eine mit Blut erfüllte Tasche, welche am locus minoris resistentiae einreiße.

(Arch. intern, de Méd. légale, Vol. II, Fasc. IV. Novembre 1911.)

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Scheidenruptur.

Klix und Schlüter: Violente oder spontane Scheidenruptur.

Eine Frau mit engem Becken und normal entwickelter Frucht wird während der Geburt zuerst von einer Nachbarin, Stunden später von einer Hebeamme und später von einem Arzte untersucht. Der Arzt entbindet nach Herabholen eines Fußes die Frau, wobei die Entwicklung des Kopfes Schwierigkeiten bereitet. Die Frau stirbt nach einigen Tagen an einer Peritonitis, die, wie die Obduktion ergibt, von einem queren Einriß des oberen Scheidengewölbes ihren Ausgang genommen hat. Dem Gutachten nach kann die Möglichkeit, daß der Riß durch die Untersuchung seitens der Nachbarin entstanden ist, nicht ausgeschlossen werden. Doch spricht die Enge des Beckens, die Tatsache, daß zur Entbindung ein Fuß herabgeholt werden mußte, für eine spontane Zerreißung der Scheide als Folge einer abnormen Kindeslage.

(Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 25. Jahrgg., 1912, Nr. 4.)

Schundfilms.

Hellwig: Die Schädlichkeit von Schundfilms für die kindliche Psyche. Zu kurzem Referate leider ungeeignet.

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Schußverletzungen.

Gody Lebrun et Heger-Gilbert: Sur le diagnostic différentiel du crime et du suicide dans les plaies par armes à feu chargées à balles.

Aus Anlaß zweier Ernstfälle, die im Originale nachgelesen werden müssen, haben die Autoren ausgedehnte Schießversuche auf Papierschildchen und auf Leichen unternommen, die insbesondere über die Schußverletzung bei aufgelegter Waffe (Revolver von 5-7 mm Kaliber, Ladung mit Schwarzpulver) Aufschluß geben. Sie kommen zu folgenden Resultaten:

1. Bei aufgelegter Waffe entsteht im allgemeinen eine runde Hautwunde, ohne Pulvereinsprengung oder Spuren von Verbrennungen nach dem Abwaschen. Manchmal ist die Verletzung sternförmig und das dann, wenn die Waffe nicht genügend fest aufgesetzt wird.

2. Unter der Haut findet sich ein reichliches Depot von schwarzer Farbe im umgebenden Gewebe.

3. In manchen Fällen finden sich streifenförmige Spuren von Verbrennungen im Gewebe. Man kann annehmen, daß die Durchtränkung der Gewebe mit Gewebsfeuchtigkeit im allgemeinen das Zustandekommen einer so hohen Temperatur verhindert, um wirkliche Verbrennungen zu erzeugen und das umsomehr, als die Temperaturerhöhung ja nur einen Moment andauert.

4. Unter der Haut bildet sich eine taschenförmige Verletzung.

Diese Verhältnisse gelten nur für Schüsse mit Schwarzpulver, nicht aber mit rauchlosem Pulver. Man muß ferner daran denken, daß beim Austritt das Projektil mit der Spitze vorausfliegt und infolge davon eine kreisförmige oder sternförmige Einschußöffnung setzt. Wird aber aus größerer Entfernung geschossen, sucht das Geschoß eine Querstellung einzunehmen. Es ist deshalb eine längliche Wunde ein Anhaltspunkt für Schüsse aus großer Distanz. – Eine Frage, die ferner noch beantwortet werden müßte, ist die, über das allmähliche Verschwinden der feinen Pulverniederschläge und der Verbrennung infolge von Überleben. Schließlich wird noch darauf hingewiesen, daß in der Wunde sich Niederschläge von Pulver bei größerer Distanz vorfinden können, als innerhalb welcher es zu festhaftenden Inkrustationen auf der Oberfläche der Haut kommt.

(Arch. internat. de Médicine légale, Vol. II, Fasc. IV, Novembre 1911.)

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Sarggeburt.

v. Ingersleben: Ein Fall von Sarggeburt.

Eine 29jährige schwangere Frau fällt von der Treppe, erleidet dadurch einen Schädelbruch, der nach kurzer Zeit den Tod zur Folge hat. Während bei der Aufbahrung der Leiche die Frucht noch im Mutterleibe sich befand, zeigte es sich bei der vier Tage später vorgenommenen gerichtlichen Obduktion, daß die 3 kg schwere und 50 cm lange Frucht zwischen den Beinen der Leiche lag. Der Uterus war vollkommen invertiert und zwischen die Oberschenkel gelagert. An seiner Innenfläche haftete noch die Plazenta. Die Leiche befand sich, wie immer in solchen Fällen, im Zustande hochgradigster Fäulnis.

(Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 25. Jahrg. 1912, Nr. 3.)


Selbstbeschuldigung (falsche).

Leppmann: Ein eigenartiger Fall von falscher Selbstbezichtigung.

Der Verf. berichtet über einen jetzt 37jährigen Mann, der vor Jahren auf eine Selbstbeschuldigung hin zu 15 Monaten Gefängnis wegen Unterschlagung ihm anvertrauter Vereinsgelder und Vernichtung von Urkunden rechtskräftig verurteilt worden war und seine Strafe auch abgesessen hat. Nach Verbüßung der Strafe trat er mit der Behauptung auf, er sei geisteskrank, die Selbstbeschuldigung beruhe nicht auf Wahrheit, er sei ungerecht verurteilt worden. Eine Revision des Verfahrens führt zu einer gerichtsärztlichen Untersuchung seines Geisteszustandes. L. schildert den Betreffenden als schwer nervenkrank im Sinne einer konstitutionellen Verstimmung, vielleicht handle es sich auch um eine beginnende Hebephrenie. Die weiteren Erhebungen ergaben, daß die Selbstbeschuldigung ganz ohne äußeres Motiv erfolgt ist, daß bei der Geldgebahrung der betreffenden Kasse und der Höhe ihrer Einnahmen unmöglich durch Jahre hindurch die vom Verurteilten behaupteten Beträge entwendet werden können, ferner, daß die objektiven Handhaben, die er zur Feststellung seiner Unterschleife damals der richterlichen Behörde in die Hand gab, tatsächlich nicht existiert haben. Als typische psychopathische Züge werden hervorgehoben, daß X. nach seiner Verurteilung wegen zu geringen Strafmaßes eine Wiederaufnahme des Verfahrens verlangte und sich als Urheber eines Kirchenbrandes bezeichnete, der nachgewiesenermaßen mit seiner Person in gar keinem Zusammenhange stand. Das Gutachten führt aus, daß X. zur Zeit seiner Selbstbeschuldigung jedenfalls geisteskrank war; sollte er wirklich die angegebenen Verbrechen begangen haben, so sei ihm jedenfalls der Schutz des § 51 zuzubilligen. Freisprach wegen nachgewiesener Unschuld.

(Ärztliche Sachverst.-Ztg., XVII. Jahrgg. Nr. 22, 1911.)

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Selbstmord.

Keferstein: Mord oder Selbstmord?

Nach dem Inhalt der vorliegenden Arbeit ein typischer komplizierter Selbstmord eines Zahntechnikers, indem der Selbstmörder zuerst nach Anwendung verschiedener lokaler Betäubungsmittel mit Meißel und Hammer Angriffe gegen seinen Kopf ausführte, dann sich eine oberflächliche Halsschnittwunde beibrachte, ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen, sich vier Stiche in die Herzgegend zufügte, und endlich beiderseits doppelt die Radialarterien durchtrennte, was den Eintritt des Todes an Verblutung herbeiführte. Möglicherweise wurde auch noch eine Quecksilber-Sublimatlösung getrunken, doch ist dies aus dem Obduktionsbefunde mit Bestimmtheit wohl nicht zu entnehmen.

(Vierteljahrsschr. f. ger. Med. 1911, 3. F., XLII. Bd., 1. H.)

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Selbstmord (oder Mord).

De Rechter: Suicide ou homicide.

Auf einem Eisenbahngeleise wird ein Leichnam aufgefunden, von dem der Kopf abgerissen und einige Meter weit fortgeschleudert ist. Zwischen den Geleisen findet sich ferner ein Revolver, von dem eine Patrone abgefeuert ist. Die Besichtigung und Obduktion der Leiche ergibt einen Schuß in die rechte Schläfe mit allen Symptomen des Nahschusses. Das Projektil führte, von einer Kontusion des rechten Schläfenlappens abgesehen, nur zur Entwicklung eines Hämatoms. Die umfängliche Zerreißung und Verletzung des Kadavers zeigt durchweg intravitale Reaktion. R. spricht sich für Selbstmord aus und meint, daß der Mann in selbstmörderischer Absicht den Schuß gegen sich abgefeuert habe. Als er sich bei noch erhaltenem Bewußtsein aufrichten wollte, hat er sich auf die Schienen gelegt und ist von einem Zug noch lebend überfahren worden. Es liegt wohl unzweifelhaft hier ein kombinierter Selbstmord vor.

(Arch. intern. de Méd. lég., Vol. III. Fasc. I., Janvier 1912.)

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Simulation (Verdauungsorgane).

Glücksmann: Die Simulation und Übertreibung von Krankheiten der Verdauungsorgane.

Bei den Krankheiten der Verdauungsorgane ist Simulation verhältnismäßig selten, Übertreibung unendlich häufig. Mittel zur Entlarvung gibt es nicht. Die ärztliche Handhabe beschränkt sich auf einen genauen Vergleich der subjektiven Angaben mit dem objektiv festzustellenden Befunde, und den Erfolg oder Mißerfolg therapeutischer Maßnahmen. Niemals zu vergessen ist aber, daß der begutachtende Arzt auch Gefahr läuft, mangels objektiv nachweisbarer Symptome die Angaben des Patienten zu gering einzuschätzen.

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Spermaflecke (Nachweis).

Baecchi: Über eine Methode zur direkten Untersuchung der Spermatozoen auf Zeugflecken.

Nach vielfältigen einschlägigen Versuchen schlägt der Verfasser neben früher schon veröffentlichten einfachen Färbungen in saurem Fuchsin oder Methylblau die nachfolgende Doppelfärbung vor:

Färbung des verdächtigen Zeugstückes in einer Farbflüssigkeit, die aus einem Teil 1 proz. sauren Fuchsins, 1 Teil 1 proz. Methylblaus und 40 Teilen salzsauren Wassers (1: 100) besteht. Einfaches Abwaschen in 1 proz. salzsaurem Wasser. Dann läßt man das Zeugstück lufttrocken werden, legt es mit der stärker gefärbten (spermahältigen) Fläche nach oben auf einen Objektträger und hellt mit Xylol auf. Auf ungefärbtem Grunde erscheinen die Köpfe der Spermatozoen rot, die Schwänze blau. Bei alten Flecken ist vorher eine Mazeration in 20-30 Proz. Ammoniak durch 1-24 Stunden vorzunehmen. Vor der nachfolgenden Färbung müssen sie in Wasser gebracht werden.

(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin, 3. Folge, XLIII. Bd, Jahrg. 1912, 1. Heft.)

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Spermanachweis.

De Dominicis: Una modificazione per effetto del tempo nella reazione del tribromure d'oro.

Die Mitteilung enthält weitere Angaben über die Ausführung des von dem Verfasser vorgeschlagenen mikrokristallinischen Nachweises von Samen durch Goldbromid und den Einfluß, den verschiedene Faktoren (Zeit, Hitze, Licht usw.), auf diese Verfahren ausüben. Einzelheiten müssen im Originale nachgelesen werden.

(Arch. intern. de Méd. lég. Vol. III, Fasc. I, Janvier 1912.)


Spermatozoennachweis.

Welsch: Recherche sur la résistance au lavage de spermazoides.

Verf. prüft in Konsequenz der Versuche von Marique nach den Methoden von Florence, Barberio, dann mit Hilfe des einfachen mikroskopischen Nachweises von Samenfäden auf isolierten Fasern und des Mariqueschen Verfahrens (Zerstörung des Gewebes durch Schwefelsäure) den Einfluß, den das Waschen auf die Nachweisbarkeit von Sperma auf Zeugflecken ausübt. Dabei ergibt sich zunächst wieder die große Überlegenheit der letztgenannten Methode. Läßt man ein mit Samen beflecktes Zeugstückchen einfach im Wasser quellen, so werden schon nach wenigen Minuten dadurch die Reaktionen von Barberio und Florenceunmöglich gemacht, während der mikroskopische Nachweis auch nach längerer Zeit gut gelingt. Einigermaßen gründliches Waschen bringt fast die Gesamtheit der Spermatozoen zum Verschwinden oder verändert sie derart, daß sie nur schwer oder nicht mehr nachweisbar sind. Hat man mit Seife und warmem Wasser gewaschen, so kann man die Florencesche Probe nicht mehr ausführen, dennoch finden sich bei Anwendung der Schwefelsäure auf einen größeren Fleck vereinzelte erhaltene Samenfäden. Ein derartiges Verhalten kann im Ernstfalle den Verdacht erwecken, der Fleck sei gewaschen worden, was noch wahrscheinlicher wird, wenn man mit derselben Methodik zahlreiche Trümmer von Zelleibern nachweisen kann.

(Arch. intern. de Méd. légale, Vol. III, Fasc. I, Janvier 1912.)

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Stichspuren (Kleider).

Klare: Über Stichspuren in Kleidern.

Es wird die Leiche eines erschlagenen Bergarbeiters aufgefunden. Bei der Obduktion ergibt es sich, daß der Schädel durch drei, mit einem beilartigen Instrumente zugefügte Verletzungen umfänglich zertrümmert war. Die drei Hiebe trafen den Schädel am rechten Scheitelbein, auf dem linken Scheitelbein und auf dem linken Stirn- und Schläfenbein. Ein der Tat Verdächtiger gesteht seine Täterschaft, behauptet aber, nach vorausgegangenem Kampfe in Notwehr und, indem er dem Erschlagenen gegenüber stand, gehandelt zu haben. Die Mütze des Getöteten weist nur eine Zerreißung auf, welche ihrer Lage nach der Verletzung des rechten Scheitelbeines entspricht. Diese war demnach die erste, dann ist die Mütze herabgefallen. Da der Getötete viel größer als der Täter war, ist in Anbetracht dieser Umstände nach dem Verfasser anzunehmen, daß dieser erste Schlag entweder von rückwärts oder auf den tief gebeugten Kopf von vorne her erfolgte. Die Verantwortung des Täters sei jedenfalls unrichtig.

(Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 25. Jahrgang, Nr. 1, 1912.)

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Strafjustiz (Irrtümer durch Sachverständige).

Moll: Irrtümer der Strafjustiz und ärztliche Sachverständige.

Der Verf. bringt aus dem Werke von Sello »Die Irrtümer der Strafjustiz und ihre Ursachen« einige lehrreiche Beispiele, in denen ein Justizirrtum teils auf unbegründete Gutachten von ärztlichen Sachverständigen, teils auf ein zu spätes Eingreifen dieser in den Gang des Prozesses zurückgeführt werden muß. Zu kurzem Referate ungeeignet.

(Ärztl. Sachverständigen-Ztg., XVIII. Jahrgg., 1912, Nr. 1.)


Trinkerpsychologie.

Schenk: Psychologie des Trinkers.

Nach dem Verf. charakterisiert sich die Psyche des Trinkers 1. durch ihre Impulsivität, durch die Lockerung des geistigen Zusammenhaltes (geistige Ataxie) und durch die Desequilibrierung. Diese Eigenschaften sind aber nicht durch den Alkohol neu geschaffen, sondern werden bei geistig minderwertigen Menschen, denen sie ja auch ohne Alkohol eigentümlich sind, durch das Gift noch weiter entwickelt. Nicht der Alkohol ist das ursprünglich formgebende, sondern die Anlage.

(Ärztliche Sachverständigen-Zeitg., XVII. Jahrgg., Nr. 24, 1911.)

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Unfall (Arteriosklerose).

Bloch: Arteriosklerose und Unfall.

Ein an der Schwelle des Greisenalters stehender und voll arbeitsfähiger Arbeiter erleidet einen Unfall, der den Kopf betrifft und aktenmäßig feststeht. Stellen sich nun nach einiger Zeit, die man nicht zu kurz bemessen darf, subjektive und objektive Erscheinungen ein, die man auf Arteriosklerose beziehen muß und die vor allen Dingen die Arbeitsfähigkeit des Verletzten herabsetzen, so ist der Unfall als indirekte Ursache der Einbuße an Arbeitsfähigkeit aufzufassen. Nach der bisherigen Spruchpraxis des Reichsversicherungsamtes ist der Unfall also ebenso zu entschädigen, als ob er die Arteriosklerose erst hervorgerufen hätte.

(Ärztliche Sachverständigen-Zeitg., XVII. Jahrgg., 1911, Nr. 24).

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Unfall (gynäkologische Folgen).

Martin: Gynäkologische Unfallsfolgen.

Die vorzügliche, auf ausgedehnter persönlicher Erfahrung aufgebaute Arbeit fordert von dem Gutachter zuerst die Berücksichtigung einer möglichst zuverlässigen Anamnese der dem Unfalle folgenden Symptome und eine gewissenhafte örtliche Untersuchung. Die äußeren Verletzungen durch Pfählung, Auffallen, haben relativ geringe Bedeutung, ebenso die Coccygodynie. Von großer praktischer Wichtigkeit hingegen sind die Verlagerungen der Genitalien durch Unfälle. Was die durch einen Unfall entstandenen Prolapse anlangt – Verf. bringt dafür zwei Beispiele – verlangt er, indem er die Möglichkeit einer traumatischen Entstehung zugibt, für Nulliparen außer dem Nachweis eines präzisen Unfallmomentes auch noch den bestimmten Befund am Genitale in Form von Spuren subkutaner Zerreißungen. Bei der traumatischen Entstehung einer Retroflexion – Verf. hat bisher noch keinen einwandfreien Fall von Nulliparen gesehen – handelt es sich wohl meist um Verschlimmerung schon bestehender Lageveränderungen oder um ihr Manifestwerden durch den Unfall. Bei Nulliparen muß jedenfalls ein vor dem Unfalle autoritativ sichergestellter Genitalbefund vorliegen. Weiter kommen praktisch in Betracht Verschlimmerung von Neubildungen, Stieldrehung von Ovarialgeschwülsten (häufig und typisch!), Bersten von Ovarialzystomen, Blutergüsse in solche Tumoren, Störungen der Schwangerschaft oder des Wochenbettverlaufes durch einen Unfall. Hier muß insbesondere auch die Eventualität von kriminellen Störungen berücksichtigt werden. Die Unterbrechung der extrauterinen Eieinbettung durch den Unfall scheidet derzeit bei Erörterung der Unfallfolgen aus. Die Beantwortung der Frage nach der prozentuarischen Normierung der Unfallrente lehnt Martin nicht prinzipiell ab, warnt aber gerade hier vor einem Schematisieren, da bei der Frau in jedem Einzelfalle eine Fülle individueller Momente in Betracht kommt.

(Ärztl. Sachverst-Zeitg., XVII. Jahrgg., Nr. 19, 2, 1911).

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Unfall (Tetanie nach elektr. Trauma).

Eulenburg: Tetanie nach elektrischem Trauma?

Ein Sägearbeiter fährt, ohne daß ein Übergehen von Strom auf seinen Körper mit Sicherheit nachweisbar wäre, bei einem heftigen Blitz von seinem Arbeitsplatz zurück, erkrankt zwei Tage später unter lebhaft gesteigerter mechanischer Erregbarkeit seiner Nerven bei klarem Bewußtsein und normaler Temperatur und verscheidet einige Tage später. Der behandelnde Arzt faßt die Steigerung der mechanischen Nervenerregbarkeit als Trousseausches Phänomen auf, stellt, ohne auf die Anwesenheit anderer Symptome dieser Erkrankung zu suchen, die Diagnose Tetanie und führt sie, sowie den Tod auf den elektrischen Unfall zurück. Verf. stellt in seiner Mitteilung dar, wie die Diagnose Tetanie keineswegs feststeht, da das Erbsche und Chvostecksche Phänomen nicht sichergestellt worden sind, auch das Auftreten von Tetanie nach elektrischen Insulten noch niemals beobachtet worden ist und hält eher dafür, daß die tödliche Erkrankung eine Meningitis gewesen sei, wie eine solche nach Starkstromeinwirkungen ja vorkomme. Der ganze Hergang läßt mit Sicherheit das Vorhandensein eines elektrischen Unfalles überhaupt nicht annehmen. Wie der Fall liegt, ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Vorgängen während des Gewitters, der Erkrankung und dem Tode nicht erwiesen, und auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

(Ärztl. Sachverständigen-Zeitg., XVIII. Jahrgg. 1912, Nr. 1.)

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Untersuchung (funktionelle).

Müller: Die funktionelle Untersuchung des Vorhof-Bogengang-Apparates. Zu kurzem Referate ungeeignet.

(Ärztl. Sachverständigen-Zeitg., XVIII. Jahrgg. 1912, Nr. 1.)

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Vaginalepithelien.

Lenger: Recherches sur les moyens de caractériser l'épithélium vaginal par la richesse de ses cellules en glycogène.

Wiegmann hat zur Erkennung der Vaginalepithelien die Anwendung einer dünnen Lugolschen Lösung vorgeschlagen. Ihr Reichtum an Glykogen, welches sich darin mahagonibraun färbt, gestattet es, die Herkunft dieser Zellverbände sicher zu stellen. Lenger konnte diese Tatsache experimentell bestätigen. Die Reaktion läßt nicht einmal bei hohem Alter, noch unter verschiedenen pathologischen Umständen im Stich.

(Arch. internat. de Méd. légale Vol. II, Fasc. IV., Nov. 1911.)

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Verblutung (bei der Geburt).

Nieszytka: Über Verblutung unter und gleich nach der Geburt vom gerichtsärztlichen Standpunkt.

Nachdem Verf. die Ursachen und die Diagnose des Verblutungstodes an der Leiche besprochen hat, geht er über auf die Erörterung der Verblutungsursachen zunächst für die Frucht. Solche können gegeben sein in der Nabelschnur (insertio velamentosa, abnorm kurze Nabelschnur, schlechte oder mangelnde Unterbindung, Spätblutung bei der Demarkation), Placenta praevia, in der geleisteten Kunsthilfe (Zerreißung der Nabelschnur bei Wendung, Perforation, Rupturen innerer Organe, bei roher oder ungeschickter Kunsthilfe), aus dem ductus venosus Arantii, aus absichtlichen Verletzungen, bei Hämatomen an und im Schädel. Alle diese Vorkommnisse sind in der Praxis äußerst selten. Indem N. es als allgemein bekannt voraussetzt, warum gewöhnlich hier ein Verblutungstod nicht erfolgt, führt er dann die Ursachen dafür an, warum unter Umständen aus einer nicht unterbundenen Nabelschnur Verblutung eintreten kann: 1. Der Druckabfall in der Aorta kommt nicht zustande. 2. Der Aortendruck steigt infolge Atmungsbehinderung wieder an. 3. Die Nabelarterien kontrahieren sich schlecht, oder haben einen abnormen Verlauf. 4. Der Nabelstrang reißt aus dem Nabelring aus. Folgen die Ursachen für eine Verblutung aus unterbundener Nabelschnur. Sieht man von den selteneren Fällen von Verblutung der Gebärenden aus Milz- und Aortenrupturen und Varixknoten ab, so kommen weiterhin als Ursachen häufig in Betracht: Rupturen des Uterus oder der Vagina, vorzeitige Plazentalösung, Placenta praevia, aus retinierten Plazentaresten, bei Atonie und Inversion des Uterus. Die Aufgabe des Gerichtsarztes in allen diesen Fällen wird ausführlich erörtert.

(Friedreichs Blätter f. gerichtl. Med., 62. Jahrgg., H. VI.)

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Vergiftung (Arsen).

Corin: Sur la répartition des toxiques dans l'économie, à propos de deux cas d'empoisonnement par l'arsenic.

Verf. teilt zwei Fälle von Arsenvergiftung mit, die nach der ganzen Sachlage äußerst schwierig und mit Bestimmtheit überhaupt nicht mehr zu beurteilen sind. Ein 18- und ein 12jähriges Mädchen – Geschwister – erhalten von einem Apotheker gegen Schnupfen Pillen, von denen sie 1 bzw. 2 Stück nehmen. Daraufhin Erscheinungen von Gastroenteritis, die nach 4, in dem anderen Falle nach 17 Tagen zum Tode führten. Die recht summarische Autopsie der Leichen führte zu der Annahme (die Nieren waren angeblich krankhaft nicht verändert!), die Kinder seien an den Folgen einer Arsenikvergiftung gestorben, und das Arsenik in den Pillen durch Verwechselung des Apothekers enthalten gewesen. Die hinsichtlich der angewandten Technik leider nicht beschriebene chemische Untersuchung förderte in dem einem Falle für 340 g untersuchter Leichenteile 0,0013 g, in dem anderen für 952 g der Leichenteile ca. 0,0101 g arseniger Säure zutage. Obwohl in dem einem Falle die Leichenteile zusammen in einem Gefäß aufbewahrt worden waren, wird doch eine quantitative Analyse einzelner Organe auf Arsen vorgenommen. Die verdächtigen Pillen werden überhaupt nicht untersucht. Nach dem erwähnten Resultate wird das endgültige Gutachten dahin abgegeben, daß die Vergiftung 4 bzw. 17 Tage vor dem Tode durch die Pillen stattgehabt und den Tod zur Folge gehabt hat. Verurteilung der Apotheker. Über Antrag des Verteidigers, der es nicht für möglich hält, daß durch Verwechselung so kolossale Mengen von Arsen (mindestens 1 g in dem einem Falle!) in diesen Pillen enthalten sein konnten, wird Corin um sein Gutachten ersucht. Der Verf. führt aus, daß bei einer Krankheitsdauer von 4 bzw. 17 Tagen, da doch die Ausscheidung des Arsens eine kontinuierliche ist, der Reichtum der Organe an Arsen mit der Annahme, die Kinder seien zu der genannten Zeit durch die Pillen vergiftet worden, überhaupt nicht in Übereinstimmung gebracht werden könne. Auch die Mengenverhältnisse, die bei den einzelnen Analysen gefunden wurden – es überwiegt die im Blut enthaltene Arsenmenge jene der Leber in einem Falle um das Zehnfache! – der Reichtum der ersten Giftwege an Arsen, die geringe Menge davon in den zweiten Giftwegen, machen den Fall noch verwickelter. Die bestimmt ausgesprochene Ansicht Corins, daß nach einem 17tägigen Krankenlager solche Mengen von Arsen bei Vergiftung durch die Pillen nicht mehr hätten aufgefunden werden können, bewirkt die Freisprechung der Angeklagten.

(Arch. intern, de Méd. lég. Vol. II., Fasc . IV, Novembre 1911.)

 

Vergiftung  (Kohlenoxyd ).

Lesieur et Rebattu: Sur un cas d'intoxication aigue par le gaz d'éclairage.

Die Verfasser glauben aus ihren Beobachtungen und Versuchen an Kaninchen, ferner aus älteren Experimenten Richets über die Asphyxie die nachfolgenden Schlußfolgerungen ziehen zu dürfen:

1. Die Kohlenoxydvergiftung kann manchmal von abweichenden Krankheitserscheinungen begleitet sein, als es jene sind, die man gewöhnlich sieht. Zu diesen gehören insbesondere Krämpfe.

2. Die Erklärung für diese Ausnahmefälle kann man in einer Vergiftung finden, die vor der Intoxikation mit dem Gas stattgefunden hat und z. B. in einer infektiösen oder toxischen Schädigung des Individuums besteht. Das Serum von durch Kohlenoxyd Vergifteten kann mehr oder minder giftig wirken. Wenn man es Tieren (Kaninchen) injiziert, kann man damit Krämpfe erzeugen oder auch nicht, je nachdem der Serumspender von Krämpfen befallen war oder nicht.

3. Daher scheint es, daß in dem durch Kohlenoxyd erzeugten Erkrankungsbilde nicht nur die »Anoxhämie«, der Sauerstoffmangel, eine Rolle spielt. Man muß vielmehr sekundäre Giftkörper annehmen, die von den Körperzellen unter dem Einfluß dieses Sauerstoffmangels sich bilden und echte Produkte der Asphyxie sind.

4. Diese Anschauung hat gewisse therapeutische Konsequenzen, indem sie dazu führt, die Vergiftung wie eine Autotoxikose zu behandeln und einen Aderlaß vorzunehmen.

(Ann. d'Hyg. Publ. T. XVI, 4. Série, Novembre 1911.)

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Vergiftung (Kohlenoxyd).

Balthazard et Nicloux: Coefficient d'empoisonnement dans l'intoxication mortelle oxycarbonique chez l'homme.

Die Autoren verstehen unter dem »Vergiftungs-Koeffizienten« bei der Kohlenoxydvergiftung das Verhältnis der Menge des Kohlenoxyds, welche eine Probe Leichenblut tatsächlich fixiert enthält, zu jener Menge, welche dasselbe Leichenblut bei Weiterbehandlung von Kohlenoxydgas überhaupt binden kann. Dieser Koeffizient ist kleiner als 1, nähert sich aber in Fällen schwerer Vergiftung und besonders bei größerer Toleranz gegen das Gift dieser Zahl beträchtlich. Mit 100 multipliziert drückt er die Prozentmenge des Hämoglobins aus, welche in einem bestimmten Falle an Kohlenoxyd gebunden ist. Auf Grund dieser Voraussetzung haben die Verfasser in mehreren Fällen gefunden, daß dann, wenn der Koeffizient größer als 0,65 Proz. wird, der Tod eintritt. Das bedeutet, daß ein Drittel des gesamten Blutes, welches intakt geblieben ist, nicht mehr genügt, das Leben zu erhalten.

(Arch. intern. de Méd. légale, Vol. II, Fasc. IV, Nov. 1911.)

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Vergiftung (Phosphor).

Wagner: Gangrän der Nase und Zehen bei Phosphorvergiftung.

Eine 24jährige Frau nimmt, ohne daß die Absicht einer Fruchtabtreibung nachgewiesen werden könnte, eingestandenermaßen eine Emulsion von Phosphorzündhölzchen zu sich. Während der sechstägigen Krankheit tritt an der Nasenspitze und an beiden Zehen Gangrän auf, die zu vollständiger Nekrose dieser Körperteile führt. Daneben finden sich in cadavere die anderen charakteristischen Erscheinungen der Phosphorvergiftung. Besprechung der Differentialdiagnose solcher gegenüber der Mutterkornvergiftung im allgemeinen seltener Fälle.

(Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 24. Jahrgg., Nr. 24, 1911.)

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Vergiftung? (Quecksilber).

Göhlich, W.: Ein Gattenmord?

Ein 36jähriger Mann stirbt unter gastroenteritischen Erscheinungen. Es erwacht der Verdacht, daß er durch seine Frau vergiftet worden sei. Bei der Hausdurchsuchung werden 10 cm 3 Kognak säsiert, von welchem die Frau ihrem verstorbenen Manne eingegeben hat. Die chemische Untersuchung beweist die Anwesenheit von Quecksilber (0,0085 dargestellt als Quecksilberchlorid). Die nachfolgende Exhumierung und chemische Untersuchung der Leichenteile ergibt geringe Mengen von Wismuth, dessen Anwesenheit aus einer therapeutischen Darreichung sich erklärt, und reichliche Mengen von Quecksilber. Das Gutachten läßt die Verwendung einer therapeutischen Verwendung offen.

(Vierteljahrschr. f. ger. Med. 1911, 3. F., XLII. Bd ., 1. H.)

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Zentralnervensystem (pathol. Anatomie).

Weber: Die Bedeutung der pathologischen Anatomie des Zentralnervensystems für den Gerichtsarzt.

Insbesondere nach vierfacher Richtung kann man im Zentralnervensystem durch die anatomische und mikroskopische Untersuchung Befunde erheben, die forensisch bedeutungsvoll sind:

1. Ältere, meist chronische, oft angeborene Veränderungen, die es erklären können, warum gerade dieses Gehirn von jenem – uns vielfach in seinem Wesen noch unbekannten – Prozesse befallen wurde. Dahin gehören hereditär luetische, meningitische und enzephalitische Prozesse aus der Kindheit und Jugend. Diese Veränderungen stellen also die Prädisposition dar und sind gelegentlich der anatomische Ausdruck für den noch recht wenig faßbaren »endogenen« Faktor.

2. Akute Veränderungen, welche als die direkt auslösende Ursache der akuten, tödlich verlaufenden Gehirnerkrankungen gelten können, z. B. frische Verlegungen der Zirkulationswege, traumatische Einwirkungen usw. Wenn diese Veränderungen für sich allein unbedeutend sind, so können sie doch auf dem Boden der sub 1 erwähnten Prädisposition ihre deletären Wirkungen entfalten.

Sind die unter 1 und 2 aufgezählten Veränderungen als wirklich ursächlich im pathogenetischen Sinne aufzufassen, so sind die beiden folgenden Gruppen mehr der anatomische Ausdruck von der Wirkung der krankhaften Prozesse auf das Gehirn, und wenn wir das Wesen dieser Prozesse noch nicht genau kennen, so können wir doch aus diesen Wirkungen gewisse Einblicke in ihre spezifische Art und die Intensität gewinnen. Das sind

3. wiederum mehr chronische Veränderungen, wie allmählicher Schwund der nervösen Substanz (relative Gewichtsabnahme, Zell- und Faseratrophie), reaktive chronische Wucherung der faserigen Glia und chronische, degenerative oder produktive Vorgänge am Blutgefäßbindegewebsapparat und an den Hirnhäuten. Sie weisen darauf hin, daß wir es mit einer Psychose von langer Dauer, die zu Defekten der geistigen Leistungsfähigkeit führte, zu tun haben.

4. Endlich akute Veränderungen, die als der Ausdruck und als Wirkung des letzten letal verlaufenden Prozesses aufzufassen sind: akute Zellerkrankungen, Abbauvorgänge, ferner Prozesse im Bereich der Blutgefäße (Blutungen, Entzündungen), Zunahme und Zerfall protoplasmatischer Gliastrukturen, akute Hirnschwellung.

Wenn man in jedem Falle nach diesen 4 Gruppen von Veränderungen fahndet, so wird es doch sehr häufig gelingen, einige davon festzustellen, und daraus Schlüsse auf die vitalen Vorgänge in diesem erkrankten Gehirn zu ziehen.

(Vierteljahrschr. f. ger. Med., 3. F., XLIII. Bd. 1912, 1. Heft.)

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Züchtigung (hysterische Lähmung).

Boldt: Schwere hysterische Lähmung eine Züchtigungsfolge?

Ein Knabe erkrankt nach einer, das gewöhnliche Maß – eine Ohrfeige, einige Rutenhiebe ad nates – nicht überschreitenden, durch den Lehrer vorgenommenen Züchtigung an einer hysterischen Lähmung. Das Gutachten führt zunächst die Gründe für diese Diagnose aus und zeigt dann, daß der Zustand allerdings auf die Züchtigung zurückgeführt werden muß. Diese hat sich aber innerhalb der erlaubten Grenzen bewegt und den schweren Erfolg nur deshalb nach sich gezogen, weil der Knabe als hysterisches Kind in abnormer Weise darauf reagiert hat. Gerade bei solchen hysterischen Erkrankungen ist die Schwere eines Traumas in gar keinem Verhältnisse zur Schwere der Folgeerscheinungen. Die Züchtigung könne auch nicht als vorsätzliche Körperverletzung angesehen werden. Einstellung des Strafverfahrens gegen den Lehrer und Zurückweisung der zivilrechtlichen Forderung der Eltern.

(Ärztliche Sachverständigen-Zeitung, 1911, Nr. 14.)


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