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XII.
Beiträge zur Systematik und Psychologie des Rotwelsch und der ihm verwandten deutschen Geheimsprachen.

Von Professor Dr. L. Günther in Gießen.

II.
Die Stände, Berufe und Gewerbe.

(Fortsetzung.) Vgl. Archiv Bd. 38, S. 193 ff., 42, S. 1 ff., 43, S. 1 ff., 46, S. 1 ff. u. 289 ff., 47, S. 131 ff.

 

ϑ) Zusammensetzungen, die hergeleitet sind von den Zeitwörtern tragen (bezw. rotw. bu[c]keln) und halten:

aa) von rotw. bu(c)keln (bu[c]klen) = tragen Belege: v. Grolman, Aktenmäß. Geschichte 1813 (313); Pfister bei Christensen 1814 (318); Pfullendorf. Jaun.-W.-B. 1820 (345); v. Grolman 12 u. T.-G. 127; Karmayer 24; Schwäb. Händlerspr. in Lützenhardt (nach Kapff, a. a. O., S. 215). Seiner Etymologie nach gehört dieses Zeitw. natürlich zu unserem »Buckel« (nordd. »Puckel« gespr.) in der Bedeutg. »Rücken« (vgl. Näh. bei Kluge, W.-B., S. 76 u. Paul, W.-B., S. 96), das z. B. Karmayer, a. a. O., auch als gaunersprachl. Vokabel angeführt hat. Vgl. auch Pott II, S. 17.:

Stierbukler (St.-Bu[c]k[e]ler) = »Hühnerträger« (doch wohl eine Art Gewerbsbezeichnung). Zur Etymologie von Stier = Huhn s. das Näh. schon Teil I, S. 231, Anm. 1.

Belege: Pfister 1812 (306: Stierbukler); v. Grolman 69 ( St.-Bukler) u. T.-G. 102 ( St.-Buckeler); Karmayer G.-D. 220 ( St.-Bukler).

Kasfai(i)m-Buckeler (Kasfaimbukler) = Briefträger, Briefbote. Zur Etymologie von Kasfaim u. ähnl. = Brief, Schreiben, Geschriebenes Belege: s. schon Basl. Glossar 1733 (202: Chaßfeyen = Schreiben, etwas Geschriebenes); ferner (im 19. Jahrh.): v. Grolman 13 u. T.-G. 114 ( Chasfayum = Paß), 33 u. T.-G. 87 ( Kasfaim od. Kasfajum = Briefschaften, Briefe, Paß; vgl. auch 24 u. 35: Kasfaim als plur. von Gesahv od. Kesahv = Brief, Schrift); Karmayer G.-D. 203 ( Kasfaim, Kasfinjum; vgl. 204: Kasfainn als plur. von Kesahte = Schrift, Brief). Zu vgl. auch noch: A.-L. 554 ( Kesav = Schrift, Brief), Rabben 71 ( Kassaph = Brief, Schreiben, Buch) u. Ostwald 77 (Form ebenso, Bedeutg. a) Schreiber, b) Buch). Über andere Formen s. schon Teil I, Abschn. F, Kap. 1 unter »Kaswener«. s. schon Teil I, Abschn.  F, Kap. 1 unter »Kaswener«.

Belege: v. Grolman 33 ( Kasfaiim-Buckeler) u. T.-G. 87 ( Kasfaim-Buckeler); Karmayer G.-D. 203 ( Kasfaimbukler). – Über das Syn. Mäuslbuckler s. noch weiter unten.

Schmunk-Buckeler (Schmunkbuck[e]ler) = Butterführer, Butterträger, Schmalzträger (doch wohl auch Gewerbe). Zur Etymologie: Das rotw. Schmun(c)k (Schmink, Schmünck u. a. m.) = Butter, Schmalz, Fett, eine schon recht alte und ziemlich häufig erwähnte Bezeichnung, die auch heute noch in den Krämersprachen u. dergl. fortlebt Belege: a) für die Form Schmun(c)k: Lib. Vagat. (55, Bedeutg.: Schmalz); Schwenters Steganologia um 1620 (141: ebenso); A. Hempel 1687 (167, Bedeutg.: Butter); Waldheim. Lex. 1726 (186: ebenso); W.-B. von St. Georgen 1750 (218, Bedeutg.: Schmalz); Hildburghaus. W.-B. 1750 ff. (231: Schmalz od. Butter); Rotw. Gramm. v. 1755 (21: ebenso); W.-B. des Konstanzer Hans 1791 (253: Schmalz); Schintermicherl 1807 (289: Schmalz od. Butter); Sprache der Scharfrichter 1813 (309: Butter, Schmalz, Kammfett etc.); v. Grolman, Aktenmäß. Geschichte 1813 (312: Fett); Pfister bei Christensen 1814 (329: Schmalz); Pfullendorf. Jaun.-W.-B. 1820 (344: ebenso); v. Grolman 62 u. T.-G. 87, 93, 119 (Fett, Butter, Schmalz); Karmayer 145 (ebenso); A.-L. 601 (wie in der Scharfrichterspr. 1813); Groß 429 (ebenso); Ostwald (Ku.) 134 (Schmalz, Fett); Winterfelder Hausiererspr. (441: Butter); Schwäb. Händlerspr. (486: Schmalz); Regensburg. Rotwelsch (489: ebenso); Eifler Hausiererspr. (490: Fett); Lothringer Händlerspr. (nach Kapff, a. a. O., S. 216: Butter); vgl. auch Pleißlen der Killertaler (436: schmong = Schmalz) u. Lotekhôlisch (Meisinger 126); über die alte Feldsprache s. Horn, Soldatensprache, S. 92. Dazu treten noch folgende Nebenformen: b)  Schmink: Niederd. Lib. Vagat. (78, Bedeutg.: Schmalz); c)  Schmünck: Rotw. Gramm. v. 1755 (D.-R. 44, Bedeutg: Schmalz, Butter); d)  Schmunkert: Körners Zus. zur Rotw. Gramm. v. 1755 (241: = Schmunk); Krünitz' Enzyklopädie 1820 (351: Butter, Fett); e)  Schmuk: Körners Zus. zur Rotw. Gramm, v. 1755 (241: = Schmunk); Pfullendorf. Jaun.-W.-B. 1820 (338: Butter); f)  Schmück: Christensen 1814 (329: Schmalz); v. Grolman 62 (= Schmunk); Karmayer G.-D. 217 (Fett, Butter, Schmalz). Endlich geht auf denselben Stamm wohl auch noch g)  Smickse oder Smix(e) = Butter zurück, das sich im Niederländ. Lib. Vagat. 1547 (93 u. 94/95), bei Bonav. Vulcanius 1598 (115) und im Duisburger Vokabular 1724 (184) findet., ist wohl nicht hebräischen Ursprungs (wie Meisinger in der Zeitschr. für hochd. Mundarten, Bd. III, S. 126 angenommen), sondern unserer Muttersprache entlehnt; s. Näheres bes. bei Grimm, D. W.-B. IX, Sp. 1132 (mit Hinweis auf das schles. und oberlaus. Schmunken = Bissen; vgl. auch schon A.-L. 601 vbd. mit Schmeller, Bayer. W.-B. II, Sp. 544 unter »schmucken«, Nr. 1 (Intens, von »schmiegen«); ferner Horn, Soldatensprache, S. 92 u. Anm. 1.

Belege: v.  Grolman 62 ( Schmunk-Buckeler) u. T.-G. 87 ( Schmunkbuckeler); Karmayer 145 ( Schmunkbuckler). Über das Synon. Schmun(c)klappen s. noch Teil III.

Kraxenbuckler = kleiner Krämer (der mit der »Kraxen«, südostdeutsch = »Gestell zum Tragen auf dem Rücken« [s. Paul, W.-B., S. 307] herumzieht) Im wes. gleichbedeutende Ausdrücke unserer Gemeinsprache sind die bei Klenz, Schelten-W.-B., S. 64 u. 65 angeführten Reffkrämer (zu Reff = Rückentraggestell, wozu zu vgl. Kluge, W.-B., S. 368 u. Paul, W.-B., S. 417) u. das ältere Tabulettenträger od. - krämer (zu Tabulett = Fächer-, Tragkasten); vgl. auch noch ebds. S. 9 unter »Kiepenkerl«..

Beleg: nur bei Karmayer 98.

Mäuslbuckler = Briefträger.

Beleg und Etymologie: nur bei Karmayer 109 (wo Mäusl = Brief, Brieftasche ist [Ursprung unsicher]; vgl. auch schon oben S. 152, Anm. I) Von nicht-beruflichen Bezeichnungen vgl. noch Verpaschbuckler = Schleichhändler, Schmuggler bei Karmayer 175, wozu betr. den ersten Bestandteil dieser Zusammensetzung zu vgl. Teil I, Abschn. F, Kap. 4 unter »Pascher«. – Eine Art Personifizierung einer Sache ist Fanibuckler = Leuchter, ebenfalls bei Karmayer (42). .

bb) Moderneren Ursprungs sind einige von tragen abgeleitete Berufsbezeichnungen, nämlich:

Flebbenträger = Briefträger, Briefbote. Betr. Flebbe, hier = Brief, s. schon die Angaben oben in Kap. 1, lit. a, β unter »Fleppapflanzer«.

Belege: Rabben 50, Ostwald (Ku.) 51 und danach auch Klenz, Schelten-W.-B., S. 113.

Schwellenträger = Soldaten des Eisenbahnregiments, aus der Soldatensprache entlehnt (s. Horn, Soldatenspr., S. 32).

Beleg: nur bei Ostwald 141 Über den Ausdruck Fackelträger für »Bettelbriefschreiber« s. Näh. noch zu Anfang von Teil III. .

cc) Ableitungen von halten (übrigens nur im übertragenen Sinne des Wortes) finden sich (für Berufe Über Zusammensetzungen mit Halter für Gaunerarten, wie bes. Stradehalter für den die Landstraße (zur Ermittlung geeigneter Gelegenheit zu gaunerischer Tätigkeit) beobachtenden Räuber, Dieb usw. s. A.-L. IV, S. 291, vgl. auch 611/12. – Aus unserer Gemeinsprache ist von Interesse die Umschreibung moderner Sklavenhalter für »Bordellwirt« (s. Klenz, Schelten-W.-B., S. 17).) bloß bei Karmayer, so:

Fichtschmierhalter = Nachtwächter (46); zur Etymologie von Fichtschmier = Nachtwache s. schon Teil I, Abschn. A, Kap. 1, lit. b, S. 249 unter »Schmiere«.

Kugelschmierhalter = »Marqueur«, älterer Ausdruck für »Kellner« (100, vgl. ebds. Kugelschmier halten = »marquieren«, was sich vielleicht speziell auf das Aufpassen beim Billardspielen beziehen dürfte, das bei Karmayer, a. a. O. Kugel hadern heißt; vgl. ebds. Kugelbohle[n], f. = Billard).

ι) Eine recht umfangreiche Gruppe von Berufsbezeichnungen bilden die Zusammensetzungen, die hergeleitet sind von solchen Zeitwörtern, die eine Bewegung des menschlichen Körpers (von Ort zu Ort) bezeichnen, wie gehen und springen (nebst ihren verschiedenen Synonymen), reiten und fahren. Über die Besonderheit dieser Kategorie, daß nämlich das vorangestellte Hauptwort in der Regel nicht (wie sonst) das Objekt der Tätigkeit andeutet, wurde bereits oben S. 131, Anm. 2 kurz gehandelt.

aa) Ableitungen von gehen oder gleichbedeutenden bezw. sinnverwandten (insbes. auf die schnellere oder langsamere Bewegung der Füße hindeutenden) Zeitwörtern:

αα) von gehen Von »gehen« ist auch eine ganze Reihe von Bezeichnungen für bestimmte Gaunergattungen hergeleitet worden, jedoch lautet bei diesen Zusammensetzungen die Substantivierung nur vereinzelt » Geher« (s. z. B. das fem. Schackgeherin oder Geschockgeherin in der Münchener Deskription 1727 [191, 193; vgl. zur Etymologie: Beitr. I, S. 283/84, Anm. 5] u. Ratgeher = Dieb schlechthin nach Tetzner, W.-B., S. 310 [eigentl. wohl = Nachtdieb, vgl. weiter unten: Rattegänger]) oder » Geier« ( Fichtegeier oder Lailegeier = Dieb zur Nachtzeit nach A.-L. 544; vgl. schon Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. [227: Fichte gehen = stehlen gehen]; s. auch unten S. 213, Anm. 1 betr. Medinegeier sowie Pleitegeier = betrügerischer Bankerottmacher nach Rabben 102 u. Ostwald 115), in der Regel aber » Gänger«, so z. B. (vgl. A.-L. II, S. 121 u. IV, S. 291): Geschockgänger oder Schockgänger (Schuckgänger) = Marktdieb (s. u. a. Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. [234] bezw. Eintr. im Darmst. Exempl. d. Rotw. Gramm. v. 1755 [238]), Rattegänger = Nachtdieb (s. schon W.-B. des Konstanz. Hans 1791 [254: Ratiginger], vom rotw. Ratt[e] u. ähnl. = Nacht [s. W.-B. des Konst. Hans, »Schmusereyen« 256-58 u. a. m.], vom gleichbedeut. zigeun. rat; vgl. A.-L. 590 u. Günther, Rotwelsch, S. 31 vbd. mit Pott II, S. 273/74 [unter »Rat«], Liebich, S. 155 [ ratt], Jühling, S. 225 [ Rati] u. Miklosich, Beiträge III, S. 18 u. bes. Denkschriften, Bd. 27, S. 54 [unter »rat«]), Morgengänger = »Diebe, welche des Morgens früh sich in die Häuser schleichen« usw. (s. z. B. Mejer 1807 [280]), Tchillesgänger = Abenddiebe (Näh. s. bei Mejer 1807 [280]; zur Etymologie [vom hebr. tĕchillâ(h) = »Anfang«, nämlich des bürgerlichen Tages der Juden, der mit Sonnenuntergang begann] vgl. A.-L. 614 [unter »Techille«] vbd. mit IV, S. 369 [unter »Cholal«]), Trararumgänger = Postdiebe (Näh. s. schon bei Mejer 1807 [283]; vgl. betr. Trararum auch schon Teil I, Abschn. E bei »Trararum-Juckeler« unter »Juckeler«), Chasnegänger (zu hebr. chatunnâ[h] = »Hochzeit«, vgl. schon Bd. 46 S. 292, Anm. 2) = gewaltsame (nächtliche) Einbrecher (s. Näh. schon bei Mejer 1807 [283] vbd. mit A.-L. II, S. 121, 148 u. IV, S. 529 [unter »Chaßne«] u. 374 [unter »Chosan«]), Leilegänger od. Lailegänger = Nachtdiebe (s. z. B. schon Pfister bei Christensen 1814 [325]; vgl. A.-L. 564 sowie zur Etymologie: Teil I, Abschn. A, Kap. 1, S. 229 unter »Leilest«), Fichtegänger, ebenfalls = Nachtdiebe (s. A.-L. II, S. 121 u. IV, S. 539, vgl. auch noch Tetzner, W.-B., S. 309; zur Etymol. s. Teil I, S. 249), Moosgänger (auch Ma[a]s-, Mees-, Mösgänger) = Beutelschneider (s. Näh. bei v.  Grolman 47 u. T.-G. 88; vgl. Karmayer 109, 113 u. G.-D. 210; Groß E. K. 51; zur Etymologie s. Beitr. I, S. 266, Anm. 3), Golegänger oder Jo(h)legänger = Kollidiebe (s. Lindenberg 188 u. a. m., von Neueren noch Rabben 57, 66 u. Ostwald 60, 72; zur Etymologie s. Teil I, Abschn. A, Kap. 1, S. 220 unter »Aglon«), Geschäftsgänger = Dieb schlechthin (s. Lindenberg 108; vgl. dazu noch Teil III i. Anf. betr. Geschäft = Diebstahl) usw. – Über ähnliche Zusammensetzungen mit Halchener od. Holchener, d. h. ebenfalls »Gänger«, vom rotw. halchen(en) = gehen (aus dem gleichbedeut. hebr. hâlak [s. A.-L. 547 (unter »Halchen«) u. IV, S. 358 (unter »Holach«); Günther, Rotwelsch, S. 27]) s. noch A.-L. II, S. 121 u. IV, S. 291. – Umgekehrt sind mit »Gänger« fast gar keine Berufsbezeichnungen gebildet worden; vgl. jedoch die (schon oben S. 145 erwähnte) Zusammensetzung Funkganger = Schmied bei Karmayer G.-D. 198, bei der freilich die zweite Hälfte etymol. unsicher erscheint., dialekt. geien (od. geihen) Diese Formen stammen nicht sowohl – wie man denken könnte – aus dem Niederdeutschen her (s. Günther, Rotwelsch, S. 73, Anm. 74), als vielmehr aus dem jüd.-deutschen Jargon; vgl. Näh. bei Landau in den Mitteilungen zur jüdischen Volkskunde, Jahrg. X (1908), S. 36.:

Medinegeher oder - geier = Landhausierer (der auf dem Lande, der Landstraße, der Medine [vom hebr. medînâ(h); s. schon Teil I, Abschn. A, Kap. 1, S. 243 unter »Zajit«] seinem Geschäft nachgeht) Die Wendung auf die Medine gehen für »das Land als Hausierer durchziehen« (s. A.-L. 572) ist auch heute noch vereinzelt in den Krämersprachen anzutreffen; s. z. B. Winterfelder Hausierersprache (441: auf die Mardaine gehen = »auf Handel gehen«). Nach A.-L. IV, S. 291 soll übrigens Medinegeier auch den Gauner bezeichnet haben, »welcher aufs Land geht, um dort zu stehlen und zu betrügen«; vgl. dazu etwa auch schon Thiele 279 unter »Medine«. Über Medinehalchener als Synon. s. noch unter lit. b.; vgl. Günther, Rotwelsch, S. 73, Anm. 74; Klenz, Schelten-W.-B., S. 64.

Belege: a) für Medinegeier: Thiele 279/80; A.-L. 544 (unter »Geier«) vgl. mit 572 (unter »Medine«); b) für Medinegeher: A.-L. 572 (unter »Medine«); Berkes 117.

Mokumgeher oder - geier = Stadthausierer (der – im Gegensatze zu dem Medinegeier – in der Stadt, rotw. Mokum u. ähnl. Schon im Lib. Vagat. (54) findet sich die – dem Hebräischen noch näher stehende – Form Mackum = Stadt, die auch später noch – neben Ma(k)kum, Ma(c)ken – wiederholt worden ist; seit dem 18. Jahrh. überwiegen jedoch die Formen Mocum ( Basl. Glossar 1733 [202]), Mocken ( Strelitz. Glossar 1747 [214]), Mo(c)kum (so schon W.-B. von St. Georgen 1750 [218]), Mokem (W.-B. des Konstanzer Hans 1791 [254]; vgl. ebds. in den »Schmusereyen« 257 u. 260: Mogum od. Mokum) u. a. m. In Beitr. III ist auf die Vokabel noch genauer zurückzukommen. [vom hebr. mâqôm = »Ort«; s. Pott II, S. 13; A.-L. 575 vbd. mit IV, S. 447 (unter »Kum«); vgl. Günther, Rotwelsch, S. 26 u. 47 und Geographie, S. 75, 76, 98, 99], sein Gewerbe betreibt); vgl. Günther, Rotwelsch, S. 73, Anm. 74; Klenz, a. a. O., S. 64.

Belege: a) für Mokumgeier: Thiele 285 vbd. mit 280; A.-L. 544 (unter »Geier«) In engerer Bedeutung (»der in der Stadt [geht und] stiehlt«) auch bei Groß 404. ; b) für Mokumgeher: nur Berkes 118 Über (das moderne wien.) Kuttengeier = Geistlicher, bei dem »Geier« wohl als Tiername aufgefaßt werden darf, s. das Näh. noch in Teil III. .

Haungeher = Hausierer ( Etymol. unsicher).

Beleg: bei Pollak 215;

ββ) vom älteren rotw. besinnen, etwa in der Bedeutg. »begehen«:

Landbesinner = Flurknecht, Feld- oder Flurschütz (Schütze). Etymologie: Daß »Besinner« in dieser Zusammensetzung (in der das Subst. »Land« als Objekt erscheint) zu sinnen, ahd. sinnan = »ire, proficisci«, dann auch = »tendere, trachten« (s. Schmeller, Bayer. W.-B. II, Sp. 292 unter »sinnen«, Nr. 2, lit. c) gehört, hat schon Hoffmann v. Fallersleben in s. Mittlgn. von und für Schlesien I (1829), S. 59 (= Weimar. Jahrb. I [1854], S, 332) nachgewiesen.

Belege: Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. (229); Rotw. Gramm. v. 1755 (14 u. D.-R. 35); v. Grolman 44 u. T.-G. 93; Karmayer G.-D. 207;

γγ) von rennen (als besonders schnelle Gangart) Über Zusammensetzgn. mit » Läufer« s. das Näh. schon Teil I, Abschn. E, S. 59 unter »Laufer«.:

Winderenner = Pförtner, Torsteher, Portier. Etymologie: Der Ausdruck bezieht sich wohl auf das fortwährende Hineilen (»Rennen«) an die zu öffnende Winde, d. h. hier die Tür (vgl. darüber schon Teil I, Abschn. E bei »Windefackler« unter »Fackler«).

Beleg: nur bei Karmayer 182. – Eine (in der Form allerdings abweichende) Analogie enthält das Gergo der venezianischen Gauner in der Umschreibung corri sempre für den immer geschäftig hin- und hereilenden Kellner; vgl. Lombroso, L'uomo delinquente I, p. 469 (bei Fraenkel, S. 386);

δδ) von latschen (in der Bedeutung »schlapp einhergehen« S. dazu schon i. Bd. 46, S. 4 ff., Anm. 4 die Angaben bei Laatschen-Fetzer. Vgl. ferner auch noch La(a)tschen = eingetretene Schuhe (s. Schmeller, Bayer. W.-B. I, Sp. 1542; Paul, W.-B. S 320; Genthe, S. 32; H.  Meyer, Richt. Berliner, S. 71), das – für »Schuhe« schlechthin – auch dem Rotwelsch bekannt gewesen ist (s. z. B. Falkenberg 1818 [334: Latschen]), während Pfister 1812 (301), v. Grolman 41 u. Karmayer 103 dafür Lasche(n) haben. Quadratlatschen nennt der Berliner » große Füße« (s. H.  Meyer, a. a. O., S. 97), aber auch wohl »Stiefel« (schlechthin); ebenso in der Soldatensprache (Nebenbedeutung: Füße schlechthin); s. Horn, Soldatenspr., S. 64; in der Kundensprache bedeutet es (nach Ostwald [Ku.] 119) » große Stiefel«, Nebenbedeutg. hier aber auch »Weißkohl« (s. auch Schütze 84)..

Fußlatscher = Fußgendarm.

Belege: Schütze 69; Wulffen 398; Kundenspr. III (425); Klausmann u. Weien (Ku.) XIII; Ostwald (Ku.) 54 u. danach auch Klenz, Schelten-W.-B. S. 51. – In der Soldatensprache ist der Ausdruck für den Infanteristen gebräuchlich (s. Horn, Soldatenspr., S. 32), desgl. auch sonst wohl in der allgemeinen Umgangssprache (s. Grimm, D. W.-B. IV, 1, Sp. 1034; H.  Meyer, Richt. Berliner, S. 41 unter »Fußfanterist«). Analogie im engl. Militär-Slang: footwabbler = »Infanterist« ( Baumann, S. 68). Vgl. auch die beiden folgenden Vokabeln.

Sandlatscher = Infanterist.

Beleg: Ostwald 126. Dieser, der Soldatensprache (s. Horn, a. a. O., S. 32 u. Anm. 2) entstammende Ausdruck ist (gleich Fußlatscher) auch allgemein volkstümlich geworden (s. Weise, Ästhetik, S. 155). Über das Synon. Sandhase s. noch Teil III. Analogien im franz. Argot: marche à terre und poussecailloux, beides ebenfalls = »Infanterist« (s. Villatté, S. 180 u. 204) Ob Großlatschen = Fuhrmann bei Karmayer 75 vielleicht ein Druckfehler für Großlatscher ist, bleibt zweifelhaft. Da nämlich in der Abteilg. G.-D. 200  Großlaatsche den »Frachtwagen« bedeutet – im Gegensatze zu Kleinlaatsche = Karren u. dergl. (93 u. G.-D. 205) –, womit auch v.  Grolman 27, 37 u. T.-G. 94, 104 übereinstimmt, so ist wohl eher anzunehmen, daß es sich bei Karmayer 75 um eine unrichtige Verdeutschung (»Fuhrmann« statt »Frachtwagen«) handelt. ;

εε) von patschen (einem schallnachahmenden Zeitworte, hier im Sinne des – durch Hineintreten in den Kot – ein klatschendes Geräusch verursachenden Marschierens; vgl. Schmeller, Bayer. W.-B. I, Sp. 415; Paul, W.-B. S. 398):

Lakenpatscher = Infanterist. Zur Etymologie: La(c)ke, oberd. ( nicht – wie Horn, Soldatenspr., S. 32, Anm. 4 sagt – niederd.) Form für »Lache«, d. h. »Pfütze« (ahd. laccha neben lahha, wohl aus latein. lacus, vulgärlat. laccus); vgl. noch Näh. bei Schmeller, Bayer. W.-B. I, Sp. 1432 (unter »Lacken«) vbd. mit Kluge, W.-B., S. 274 (unter »Lache«) u. Paul, W.-B., S. 314 u. 315 (unter »Lacke« und »Lache«).

Belege: A.-L. 564; Groß 412; Ostwald (Ku.) 91. Auch diese Bezeichnung stammt wohl gleichfalls aus der Soldatensprache (s. schon A.-L. III, S. 126 u. IV, S. 564, sowie Horn, a. a. O., S. 32: Lachenpatscher) und ist von da aus dann auch allgemeiner gebräuchlich geworden (s. z. B. Hügel, Wien. Dial.-Lex., S. 98, hier auch in der Nebenbedeutg. »Leute, die in starkem Regen zu Fuß gehen müssen«). Nach Schmeller, a. a. O. I, Sp. 1432 ist Lackenpatscher im bayer. Dialekt auch eine Bezeichnung für »Gassenjunge« sowie ein Scherzname gewesen, den sich die Hilfsgeistlichen auf dem Lande untereinander beilegten Nach Ostwald (Ku.) 91 bedeutet Lachenpatscher, nach der schwäb. Händlersprache (480) Lachepatscher oder Lachpatscher die Ente, wofür das ältere Rotwelsch Dreckpatscher (oder -batscher) kannte; vgl. z. B. Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. (227); Rotw. Gramm. v. 1755 (7 u. D.-R. 34; v.  Grolman 17 u. T.-G. 91. . Auch das ähnliche Dreckstampfer (= Infanterist) der Soldatensprache (s. Horn, S. 32) ist schon in weitere Kreise des Volkes eingedrungen (s. Weise, Ästhetik, S. 155). Analogia im engl. Militär-Slang: mud-crusher (d. h. eigentlich »Schlammpatscher«) = Infanterist sowie mud-picker = Pionier ( Baumann, S. 136 u. Einltg., S. CXI);

ζζ) von pilgern (zu Pilger, Pilgrim, Lehnwort aus dem lat. peregrinus, vulgärlat. pelegrinus; s. Paul, W.-B., S. 403):

Straßenpilger = Barbier (wohl bes. auf dem Lande).

Belege: Rabben 126, Ostwald 149 und danach auch Klenz, Schelten-W.-B., S. 14 Pilger allein kommt für Berufe nicht vor, dagegen kennen Schütze 83 und Ostwald (Ku.) 104  Pilger als gleichbedeutend mit »schwerer Junge«, d. h. dem gewiegten Einbrecher (vgl. Abschn. B). Über Pülcher (im Wien. Dial. = Pilger) für »Nichtstuer« u. dergl. s. Näheres bei Schrauka, Wien. Dial.-Lex., S. 131, 132. .

bb) Ableitungen von springen und sinnverwandten Zeitwörtern ( hüpfen, hopsen, dämmelen, d. h. »tanzen«):

αα) von springen:

Zusammensetzungen mit Springer finden sich nur bei Karmayer für Berufe Zur Bezeichnung von Gaunerarten (s. A.-L. II, S. 121 u. IV, S. 291) sind sie dagegen auch in anderen Sammlungen anzutreffen, so u. a. bes. Scheinspringer (oder Schaispringer) = Diebe, die bei Tage ( Schein) stehlen (s. z. B. schon W.-B. des Konstanzer Hans 1791 [255], Schöll 1793 [268/69] u. öfter im 19. Jahrh., bis in die Neuzeit; vgl. Groß 426; Rabben 117; Ostwald 129) und (seltener) Nachtspringer = »Diebe, so des Nachts auf den Landstraßen Reisende und Wagen berauben« (s. z. B. Schlemmer 1840 [368])., nämlich:

Martinispringer = Kreishauptmann: Karmayer 110; vgl. Martinispringerei = Kreisamt. Betr. Martini = Märtine (Medine) s. u. a. schon Teil I, Abschn. A. Kap. 1, S. 243/44. Zur Erklärung des etwas sonderbar klingenden Ausdrucks könnte man allenfalls das alte Ratsrutscher = Bürgermeister (vgl. Teil I, Abschn. E unter »Rutscher«) zum Vergleiche heranziehen, wenn nicht hier vielleicht überhaupt ein Druckfehler vorliegt Nämlich statt Martiniprinzer (vgl. die Zusammensetzungen mit Prinzer im Teil I, Abschn. F, Kap. 2). So steht z. B. bei Karmayer 79 auch Häuflpringer = Bürgermeister, Stadtrichter, Syndikus u. Häuflpringerei = Magistrat, Stadtgericht offenbar für Häuflprinzer, - prinzerei. Aus- pringer(ei) konnte dann aber weiter leicht - springer(ei) entstehen. Vgl. auch Grimmelspringerei = »Kriminal« (sc. wohl: -gericht) bei Groß E. K. 37, während Karmayer 74  Grimelprinzerei = Kriminalgericht hat. . Schlanglspringer oder Stranglspringer = Seiltänzer: Karmayer: 142 u. 161. Zur Etymologie vgl. schon Teil I, Abschn. E unter den Synonymen Schlanglingler und Stranglingler. – Luftspringer war ein älterer gemeinsprachl. Ausdruck für »Artist«; s. Klenz, Schelten-W.-B., S. 5;

ββ) von hupfen (= hüpfen; vgl. Kluge, W.-B., S. 216) Hupfer (oder Hüpfer) für sich allein soll nach Ostwald (Ku.) 70 den Rheinpfälzer bedeuten. Als Gaunerbezeichnung findet sich Nachthüpfer in gleichem Sinne wie Nachtspringer (s. S. 216, Anm. 3) bei Schlemmer 1840 (368).: Budelhupfer = Kaufmann, Kommis (als derjenige, der in dem Budel [Dimin. von Bude = Laden] herumhüpft).

Beleg: Pollak 208. Vgl. einerseits das ältere gemeinsprachl. Budensitzer = Kaufmann, Krämer (s. Klenz, a. a. O., S. 70) sowie andererseits Ladentischspringer für »Ladenmädchen« (Berlin, aus der modernen Literatur, bei Klenz, S. 82);

γγ von hopsen (wie oberd. hoppen = hüpfen; vgl. Paul, W.-B., S. 266 unter »hopp«) Ohne Zusatz soll Hopser nach Klenz, Schelten-W.-B., S. 150 gemeinsprachl. für »Tanzlehrer« vorkommen. Von Zusammensetzungen mit Hopser für Gaunerarten s. bes. Golehopser = Kollidiebe (die Koffer und dergl. vom Wagen stehlen; Näh. darüber s. z. B. bes. schon bei Thiele 254; vgl. auch A.-L. IV, S. 291/92 und 517 [unter »Aggeln«]), gleich den im wesentl. synon. Bezeichnungen Gole- od. Jo(h)legänger (s. oben S. 213, Anm. 1), Gole- oder Jolejäger (s. z. B. Rabben 57, 66) und Golesch(l)ächter (s. Teil I, Abschn. A, Kap. 1, S. 240, Anm. 1) wohl auch noch in der Gegenwart gebräuchlich (s. z. B. Ostwald 61); bei A.-L. IV, S. 291 auch das Synon. Latschenhopser (wozu zu vgl. Bd. 46, S. 4, Anm. 4).:

Kartoffelhopser, Stoppelhopser oder Furchenhopser = Infanterist.

Beleg: Ostwald 76. Diese Ausdrücke, von denen besonders Stoppel-, hopser sich eines allgemeineren Gebrauchs erfreut (s. H.  Meyer, Richt. Berliner S. 119), sind wohl sämtlich aus der Soldatensprache übernommen worden (vgl. Horn, a. a. O., S. 32). Die abweichende Bedeutung von Stoppelhopser (näml. Ökonom, Landwirt) in der Studentensprache (s. Horn, S. 32, Anm. 5; J.  Meier, Studentenspr., S. 50 u. Anm. 323 [S. 92]; Kluge, Studentenspr., S. 10 u. 128) soll übrigens (nach Schrader, Scherz und Ernst, S. 90, Weise, Ästhetik, S. 152 u. Klenz, Schelten-W.-B. 86) ebenfalls (hier und da) volkstümlich sein;

δδ) vom gaunersprachl. dämmelen = tanzen Über die Etymologie dieses Wortes, das sich m. W. nur bei v.  Grolman (15 u. T.-G. 126) u. Karmayer (G.-D. 195) findet, vermochte ich nichts Sicheres festzustellen.:

Kabohl(s)-Dämmeler = Seiltänzer. Zur Etymologie von Kabohl = Seil, Strick usw., s. schon oben Kap. 1, lit. a, γ unter »Kabohlmalochner«.

Belege: v.  Grolman 32 u. D.-G. 122; Karmayer G.-D. 202.

cc) Ableitungen von reiten und fahren:

αα) von reiten Über reiten (auch: einen Ritt machen oder auf den Ritt gehen) als terminus technicus der Gaunersprache für eine bestimmte Tätigkeit der Ladendiebe (u. bes. -diebinnen) – nämlich das Klemmen von Waren zwischen die Oberschenkel – s. schon Zimmermann 1847 (386) u. Fröhlich 1851 (407) sowie A.-L. 591 vbd. mit 589 (unter »Rachaw«) und Thiele 294/95 (unter »Rachwener«), von Neueren s. u. a.: ΩΣ in Z. V. 434; Groß 424; Rabben 111; Ostwald 122 u. 123.. Die Zusammensetzungen mit Reiter als Berufsbezeichnungen, die noch heute besonders in der Kundensprache beliebt erscheinen (und zwar auch für solche Berufe, denen die Tätigkeit des Reitens im gewöhnlichen Sinne des Wortes meist recht fern liegt, wie z. B. Ellenreiter = Zeugkaufmann, Zeilenreiter = Zeitungsetzer), sind größtenteils offenbar unter dem Einflusse der Studentensprache zustande gekommen, in der sie uns schon im 17. u. 18. Jahrhundert begegnen. »Damals« nämlich – so bemerkt Kluge in seiner »Studentensprache«, S. 71 –, »als der Student seine Ausflüge zu Roß unternahm, ... setzte sich reiten in manchen seltsamen Wendungen in der Burschensprache fest« So z. B. die Pandekten, die Hefte, ein Buch, die Logik reiten, d. h. studieren; s. Kluge, Studentenspr., S. 118 unter »reiten«, Nr. 1, auch S. 109 unter »nachreiten« (z. B.: Kolleghefte nachreiten) und S. 124 unter »Schwanz«; vgl. Schrader, Bilderschmuck, S. 52. Von dazu gehörigen Substantivierungen seien genannt: Pandektenreiter (od. -ritter) = Jurist (s. J.  Meier, a. a. O., S. 54 u. Anm. 586 [S. 95]; Kluge, a. a. O., S. 10 u. 111; Klenz, Schelten-W.-B., S. 116) u. Postillenreiter = Theologe (s. Kluge, a. a. O. S. 71 u. 115; Klenz, a. a. O., S. 43), womit noch Bibelhusaren für Studierende der Theologie ( Kluge, a. a. O., S. 83) zu vergleichen ist. – Über Zusammensetzungen mit Hengst (wie Pomadenhengst u. dergl.), worauf Kluge, a. a. O., S. 71 ebenfalls in gleichem Zusammenhange noch verweist, s. das Nähere noch in Teil III. – Auch der jetzt allgemeiner gebräuchliche Ausdruck reiten im Sinne von »futuere« (s. z. B. v. Schlichtegroll in d. »Anthropophyteia«, Bd. VI, S. 8; K.  Müller, ebds. Bd. VII, S. 15) stammt wohl aus der Studentensprache (s. Kluge, a. a. O., S. 118, Nr. 2); vgl. dazu aus der Gaunersprache Schnallenritt für »coitus« (s. A.-L. 602 sowie noch Teil III über die Bezeichnung Schnalle für »Dirne«)., und auch das Zeitwort »umsatteln« sowie die Redensart »auf oder in allen Sätteln gerecht« entstammen »den gleichen Bedingungen« Weniger Material enthält in dieser Beziehung die Soldatensprache, obwohl ja auch ihr die Vergleiche mit dem Reiten nahe liegen, jedoch kennt sie z. B. die Bezeichnung Kesselreiter für die Küchenmannschaften; s. Horn, Soldatensprache, S. 54. Über Blechreiter s. den Text. Von Ausdrücken unserer Gemeinsprache vgl. etwa noch Aktenreiter = Beamter (in der Lit. Anf. des 19 Jahrh.) oder Schimmelreiter für denselben Begriff (in Österreich, zu Schimmel aus lat. simile = ähnlicher Fall, Musterformular, also eigentl. für einen, der die Akten nach gleichem Schema bearbeitet; beides bei Klenz, Schelten-W.-B., S. 15; vgl. Grimm, D. W.-B. IX, Sp. 159) und Krippenreiter für einen adeligen Landmann (s. Klenz, a. a. O., S. 54). Zu Wechselreiter vgl. Schrader, Bilderschmuck, S. 53.. – Die Gauner- und Kundensprache liefert folgende Beispiele: Kantireiter = Hausierer; fem. - erin = Hausiererin. Zur Etymologie von Kanti = Haus s. schon Teil I, Abschn. C, S. 17, Anm. 1, betr. die Belege Näh. auch noch in Beitr. III.

Beleg: Karmayer 89.

Stangreiter = Gefällsaufseher (Etymol. unsicher).

Beleg: Karmayer 158 Über Schwarzreiter = Komödiant (bei Karmayer 152) s. schon oben S. 133. Ferner erwähnt Karmayer 167 die Zus. Dupfglänztrapper für ›Ulan‹, d. h. etwa »Lanzenreiter«, von Dupfglanz = Lanze und trappen (wohl = trappeln), d. h. reiten. .

Ellenreiter = Zeugkaufmann, auch wohl Kaufmann überhaupt.

Belege: Schütze 66; Ostwald (Ku.) 43. Diese Bezeichnung ist – neben Ellenritter In älterer Sprache auch Junker von der Ellen (s. Klenz, a. a. O., S. 71). Ellenritter oder Ritter von der Elle ist sonst übrigens auch bekannt als Spottname des Schneiders; vgl. Klenz, a. a. O., S. 127 u. 129. – Über gauner- und kundensprachl. Berufsbezeichnungen mit Ritter (das sich zu »Reiter« verhält wie »Schnitter« zu »Schneider«) s. das Nähere noch im Teil III. für den Kommis, Handlungsgehilfen (bes. in einem sog. Manufakturwarengeschäfte) auch allgemein volkstümlich. Vgl. u. a. Schrader, Bilderschmuck, S. 52 u. Scherz und Ernst, S. 90; Hügel, Wien: Dial.-Lex., S. 55; H.  Meyer, Richt. Berliner, S. 33; Klenz, Schelten-W.-B., S. 70. Die Studentensprache kannte auch noch das Synon. Ellenleutnant (s. Kluge, Studentenspr., S. 88/89) oder gar Ellenmajor (s. Klenz, a. a. O., S. 74: Scheren- und Ellenmajor bei Laukhard); als mecklenburg. führt Klenz, S. 70 noch an: Ellenjud = Manufakturist (»ohne Rücksicht auf den Glauben«). Ältere Ausdrücke für den Handlungsreisenden waren: Musterkartenreuter (Anf. des 19. Jahrh. in der Lit.), Musterreiter (vielleicht = »Musterreisender«) oder Probenreiter (früher wirkliche Berufsbezeichnung, »angeblich, weil sie zu Pferde reisten«, Klenz, a. a. O., S. 55).

Zeilenreiter = Zeitungsetzer.

Belege: Schütze 100; Ostwald (Ku.) 170, danach auch Klenz, Schelten-W.-B., S. 20 (= »Schriftsetzer«, »Buchdrucker« überhaupt).

Blechreiter = Gendarm, Schutzmann (wohl bes. der berittene).

Belege: Rabben 26; Ostwald (Ku.) 25 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 51. Vgl. über die Synonyme Blechkopp und Blechkappe noch Teil III. In der Soldatensprache sind dagegen Blechreiter »Kürassiere« (früh. bayr. »schwere Reiter«); s. Horn, Soldatenspr, S. 30 Das Gebiet des Berufs-, insbs. des Gewerbslebens streift endlich auch noch Tappenreiter, d. h. »ein Mensch, der in verschiedenen Gewerben reist (so: Kundenspr. II [423], oder auch »ein Kunde, der auf Orts- und Meistergeschenke ( Tappen) reist« (so Ostwald [Ku.] 152). ;

ßß) von fahren Eine große Rolle haben Verbindungen mit fahren und Zusammensetzungen mit Fahrt und Fahrer bei den Ausdrücken für bestimmte Gaunerarten und ihre Tätigkeit gespielt, was von A.-L. IV, S. 291 lange nicht genügend gewürdigt ist. Zur Erklärung vgl. im allg.: Günther, Rotwelsch, S. 18, Anm. 1; Weiteres auch noch im Teil III. – Über das soldat. (österreich.) Schinakelfahrer = Pioniere s. schon oben S. 360, Anm. 1. :

Glänzfahrer = Grenzjäger, Grenzaufseher. Zur Etymologie vgl. Teil I, Abschn. E unter »Glänzer«.

Beleg: Karmayer 70.

k) Im Anschluß an diese Gruppe seien noch genannt zwei Ableitungen von fechten und bändigen (im Sinne von »[Tiere] dressieren«), Tätigkeiten, bei denen es sich (wie bei springen, reiten usw.) gleichfalls um körperliche Geschicklichkeiten handelt. Es sind die sonderbaren Ausdrücke Himmelsfechter und Heringsbändiger.

Himmelsfechter = Leinenweber Fechter (ohne Zusatz), zu fechten = betteln (ursprüngl. wohl von dem Umherstreifen verabschiedeter Landsknechte gebildet; vgl. Grimm, D. W.-B. III, Sp. 1388, Nr. 4; Paul, W.-B., S. 161; Horn, Soldatenspr., S. 82 u. Anm. 1), das schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auch bei den Gaunern gebräuchlich gewesen (s. z. B. v. Grolman, Aktenmäß. Geschichte 1813 [311]; Pfister bei Christensen 1814 [320]; v. Grolman 19 u. T.-G. 85; Karmayer 44) und heute bes. kundensprachl. ist (s. Schütze 67; Rabbon 47; Kundenspr. III [425]; Ostwald [Ku.] 46) bedeutet soviel wie »Bettler« (s. Karmayer 44), insbes. »bettelnder Handwerksbursche« (s. schon v. Grolman T.-G. 85 u. 100 u. noch heute Ostwald [Ku.] 46 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 62).. Nach Klenz, Schelten-W.-B., S. 155 soll die Bezeichnung daher stammen, daß der Weber »in dem Webstuhl gewissermaßen zwischen Himmel und Erde hängend herum fechtet«.

Beleg: nur bei Kahle 37; doch ist der Ausdruck früher wohl allgemein volkstümlich gewesen (s. Schrader, Scherz und Ernst, S. 92 und Klenz, a. a. O., S. 155, der ihn als mecklenburgisch anführt). Nach anderen Sammlungen der Gauner- und Kundensprache ist dagegen Himmelsfechter einer der zahlreichen Spottnamen für den beschäftigungslosen, arbeitsscheuen Bummler; vgl. unten den »Anhang« am Schlusse dieses Kapitels.

Heringsbändiger = (wandernder) Kaufmann Nach Horn, Soldatensprache S. 122 soll Bändiger für sich allein in der Soldatensprache für den Arrestverwalter oder Gefängnisaufseher vorkommen. – Krankheitsbändiger für »Arzt« findet sich vereinzelt in der Lit. des vorigen Jahrhunderts (s. Klenz, a. a. O., S. 7). Das ironisch vom Volke für »Prinzenerzieher« gebrauchte Prinzenbändiger hat ein noch gröberes Seitenstück in dem (jetzt veralteten) engl. Slangworte bearleader (d. h. »Bärenführer«) für den »Hofmeister, der den jungen Herrn auf Reisen begleitete« ( Baumann, S. 10)..

Belege: Schütze 71; Kundenspr. III (426), IV (434); Klausmann u. Weien (Ku.) XXII; Ostwald (Ku.) 67. – In der allgemeinen Umgangssprache wird die Bezeichnung meist etwas spezieller, nämlich für den »Ladendiener in einem Kolonialwarengeschäft« gebraucht; s. Schrader, Scherz und Ernst, S. 90; H.  Meyer, Richt. Berliner, S. 94; Klenz, Schelten-W.-B., S. 71 (hier auch zahlreiche Synonyme, wie u. a. [bes. in Berlin] Heringsfritze oder - kopp, [in Leipzig] Heringskrämer oder - seele, [in Mecklenburg] Heringsgriper).

λ) Als Ableitungen von Zeitwörtern, die sich auf die Funktion eines Sinnesorganes ( blicken) sowie die Tätigkeit des Sprechens beziehen (nämlich gaunersprachl. pollen = reden, sagen [bei Karmayer] und krämersprachl. quässen = sagen, sprechen) sind anzuführen:

aa) von blicken:

Nachtblicker = Nachtwächter (der in der Nacht umherblickt, Wache hält).

Beleg: Schlemmer 1840 (368);

bb) von pollen = reden, sagen (auch kleiden, nach Karmayer 126):

Schrazlpollner = Schullehrer, Schulmeister, d. h. also wohl derjenige, der mit den Schrazln, d. i. den Kindern (s. zur Etymologie schon oben S. 140) redet, plaudert, m. a. W., der sie unterrichtet, vgl. das Synon. Plauderer (s. Teil I, Abschn. E) sowie das gleich folgende Märtenquässer.

Beleg: Karmayer 149;

cc) von quässen = sagen, sprechen (im nordwestfäl. Bargunsch [446]; vgl. dazu etwa unser populäres [nordd.] quaseln oder quazeln = »törichtes Zeug sprechen« [s. Paul, W.-B., S. 409; Genthe, S. 97] sowie das engl. quoth):

Märtenquässer = Lehrer, d. h. (wie Schrazlpollner) derjenige, der mit den Kindern (Märten) spricht, plaudert, der sie unterrichtet.

Beleg: Nordwestfäl. Bargunsch (444) Als eine weitere Analogie hierzu sei auch noch genannt Gronzepretter = Lehrer im Hennese Flick von Breyell (448), denn das heißt eigentl. so viel wie »Kinderpriester od. -pastor«, von Gronze = Kind und Pretter (wohl aus dem französ. prêtre) = Priester, Pastor, also einer, der den Kindern etwas vorpredigt. .

Der noch übrige Rest der in diese Klasse (Nr. 2, a; vgl. S. 136) gehörigen zusammengesetzten Berufsbezeichnungen läßt sich systematisch kaum mehr in einzelne größere Gruppen zusammenfassen, da die Bedeutung der in Betracht kommenden Zeitwörter gar zu verschieden ist, jedoch kann man allenfalls noch die im wesentlichen rein sachlich umschreibenden Ausdrücke (α) von den mehr groben (β) oder humoristisch gefärbten (γ) unterscheiden. Zur Gruppe α) gehören (in alphabetischer, d. h. nach dem Anfangsbuchstaben des ganzen Wortes gegliederter Reihenfolge) etwa:

Fleppenleger = Buchdrucker. Vgl. oben S. 145: Fleppenpresser = Buchbinder sowie zur Etymologie von Fleppe die Verweisungen unter »Fleppapflanzer« (Kap. 1, lit. a, β).

Beleg: Karmayer 48.

Forchblanker = Zimmermaler. Etymologie: Der zweite Bestandteil des Wortes gehört zu dem – jedenfalls von »blank« abgeleiteten – Zeitw. blankeln, das bei Karmayer 19 durch »bleichen« wiedergegeben ist, während Forch für »Zimmer« unklar bleibt.

Beleg: Karmayer 50.

Härtlingschärfer = Schleifer Über einige kundensprachl. Berufsbezeichnungen mit Schleifer s. noch Teil III bei den Berufsübertragungen., gleich dem Synon. Härtlingdreher od. -draher zu Härtling, Hertling usw. = Messer (vgl. schon Teil I, Abschn. E, S. 46).

Beleg: Karmayer 79.

Mischpetführer= Inquirent, Untersuchungsrichter (auch wohl Vorsitzender Richter, Beamter). Zur Etymologie s. schon Teil I, Abschn. E bei »Mischpotfakler« unter »Fackler«.

Belege: Zimmermann 1847 (373 unter »Ballmischpet« u. 383); A.-L. 574; Rabben 90. Über das Synonym. Ballmischpet s. Näh. noch unten in Abschn. B., über Mischpotkaswener (als Synon.): Teil I, Abschn. F, Kapitel 1 unter »Kaswener«.

Pierplatter = Pflasterer. Etymologie: von pierplatten = pflastern, Pierplatte(n) = Stein, zu Pier = Stein ( Karmayer 124), in dem jedenfalls das französische pierre steckt, und platten zu »platt«, »Platte« u. dergl. m.

Beleg: Karmayer 124.

Randihaderer = Taschenspieler. Etymologie: zu Randi, Rande = Sack, Tasche (s. schon oben Kap. 1, lit. a, β unter »Ranterlpflanzer«) und hadern = spielen, Karten spielen ( Karmayer 79), zu Hader = (Spiel-)Karte (s. schon Beitr. I, S. 253, Anm. 3).

Beleg: Karmayer 130.

Strafling- oder Streiflinggarner = Strumpfwirker. Zur Etymologie: betr. Strafling, Streifling = Strumpf s. schon früher Kap. 1, lit. a, β bei den Synon. Strafling- od. Streiflingpflanzer; garnen (von »Garn«) ist (nach Karmayer 54) = spinnen, wirken, weben.

Beleg: Karmayer 160.

Surumfingler = Branntweinbrenner. Etymologie: von Surum = Branntwein ( Karmayer 163), Nebenform zu Suroff, Soruf(f), Sorof(f), Soref, Sorf u. a. m. Die älteste Form Suroff findet sich schon im Strelitzer Glossar 1747 (214), weitere Belege für die sonstigen (sehr mannigfaltigen) Formen bei Schütze 92 unter »Soroff«. Wie die dortige Zusammenstellung zeigt, hat sich der Ausdruck auch noch in der Neuzeit (in der Gauner-, Kunden- u. Krämersprache) erhalten. S. dazu auch noch Wulffen 403, Rabben 124 u. Ostwald 145 (Hauptform: Soroff)., aus dem hebr. sârûf, Part. pass. von » sâraf« = »brennen« (s. A.-L. IV, S. 477 [unter »Soroph«] u. 594 [unter »Sarfenen«]; Günther, Rotwelsch, S. 85), und fingeln (finkeln) = kochen ( Karmayer 46), worüber Näheres schon Teil I, Abschn. E unter »Funker«. – Vgl. dazu auch noch unten lit. b bei dem Synon. Sorfserfer.

Beleg: Karmayer 163.

Zur Gruppe β sind etwa zu zählen (in alphabetischer Ordnung):

Heckenscheißer oder Staudenscheißer = Jäger (bes. auch als Truppengattung). Zur Etymologie: Beide Ausdrücke stammen wohl aus der Soldatensprache (s. schon A.-L. III, S. 126 vbd. mit Horn, Soldatenspr., S. 32) Die Soldatensprache kannte (bzw. kennt heute) noch verschiedene andere Zusammensetzungen mit Scheißer. So war das alte Schimpfwort Blackscheißer (ndd. Blackschiter, zu ndd. Black = schwarze Tinte; vgl. engl, black) für »Schreiber usw. ... zu Friedrich Wilhelms I. Zeit in Offizierskreisen die gang und gäbe Bezeichnung eines studierten Mannes« ( Horn, Soldatenspr., S. 27, 28; s. auch Klenz, S. 46, 115, 136; vgl. dazu das moderne Tintenpisser = Schreiber in einem militär. Bureau bei Horn, a. a. O., S. 28; Klenz, a. a. O., S. 138), ferner Stiefelscheißer = Kavalleristen (modern) und Mauerscheißer, früher = »in Garnison liegende Musketiere«, noch heute in Österreich = Festungsartilleristen ( Horn, a. a. O., S. 30, 31). Aus der allgemeinen volkstüml. Sprache vgl. u. a. noch die bei Klenz, a. a. O., S. 5, 11, 54, 72, 104 angeführten ndd. Berufsbezeichnungen Pillenschiter = Apotheker, Pummelschiter = Bäcker (zu Pummel, ndd. = »Wecken«), Kittschiter = Glaser, Knappschiter = schlecht wiegender Krämer u. Pinnenschiter = Nagelschmied (zu Pinn[e] = kleiner Nagel). Aus der Studentensprache stammt das jetzt allgemein gebräuchliche Patentscheißer (s. Kluge, Studentenspr., S. 111). und sollen sich speziell darauf beziehen, daß die Jäger »darauf dressiert« werden, jede Deckung, auch eine Staude auszunützen ( Horn, a. a. O.; vgl. auch Ostwald 147). Hecke ist hier natürlich nicht Objekt, sondern Ortsbezeichnung (vgl. oben S. 131, Anm. 2).

Belege: a) für Heckenscheißer: A.-L. 548; Groß 406; Ostwald (Ku.) 66 u. danach auch Klenz, Schelten-W.-B., 69; b) für Staudenscheißer: nur Ostwald 147.

Lappentunker oder - titscher (zu titschen, ostmitteld. = tunken; s. Klenz, Schelten-W.-B., S. 26) = Zeugfärber.

Belege: Kahle 37; Kundenspr. IV (434); Ostwald (Ku.) 93 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 26; vgl. auch Borstel, Unter Gaunern, S. 7 Etwas anderes als bei den bisher betrachteten Zusammensetzungen liegt das Verhältnis bei Portionshandlanger = Kellner (Diener), kleiner Wirt, da Handlanger zunächst als selbständiges Substantiv erscheint, im Anschluß an welches das Zeitwort handlangen wahrscheinlich erst später gebildet ist (so: Paul, W.-B., S. 241). Belege: Rabben 103; Ostwald (Ku.) 117 u. danach (für Kellner) auch Klenz, a. a. O., S. 75. Eine Analogie dazu bietet das niederd. Gottswurdhandlanger für »Küster« (nach Klenz, S. 81), wozu zu vgl. Gottswurd von'n Lan'n (= Gottes Wort vom Lande) für einen Dorfpfarrer ( Klenz, S. 44). .

Zur Gruppe γ) endlich dürften zu rechnen sein folgende (gleichfalls alphabetisch geordnete) Gebilde:

Chausseeeinnehmer = Trainsoldaten; entstammt der Soldatensprache und bezieht sich darauf, daß »sie auf Märschen die Chaussee beengen«; s. Horn, Soldatenspr., S. 32.

Beleg: Ostwald 32. – Ein älterer Spottname (18. Jahrh.) für den gemeinen Soldaten war Graben-Füller, worüber Näh. bei Klenz, a. a. O., S. 146.

Krawattenanmesser = Scharfrichter. Der Ausdruck, der die Schlinge für die Todeskandidaten mit einer Krawatte vergleicht, stammt aus Österreich, wo die Hinrichtungen mit dem Strange vollzogen werden.

Belege: Pollak 209; Ostwald 34 u. danach auch Klenz, a. a. O; S. 120; bei Pollak u. Ostwald Nebenbedeutg.: Gurgelabschneider. Zu vgl. Krawattenmacher (od. Halsabschneider) = Wucherer, worüber Näh. noch in Teil III.

Oberverdachtschöpfer = Auditeur, Staatsanwalt, aus der (bayerisch.) Soldatensprache übernommen; vgl. Horn, a. a. O., S. 58.

Belege: Ostwald 110 u. danach Klenz, a. a. O., S. 116.

Ofenhänger = »alter Bauer, welcher im Altenteil oder Leibgedinge sitzt« (weil er sich meist in der Nähe des Ofens aufzuhalten pflegt). Ofen ist also hier Ortsbezeichnung (vgl. oben S. 131, Anm. 2).

Beleg: Schlemmer 1840 (369).

Pinselquäler = Anstreicher.

Belege: Ostwald, »Nachtrag«, (Ku.), S. 2, danach auch Klenz, a. a. O., S. 94 (»für einen Dekorationsmaler«); ebds. ist auch Pinseltraktierer als kundensprachl. für »Maler« angeführt (jedoch ohne Gewährsmann) Ähnlich zu beurteilen wie Portionshandlanger (s. die vorige Anm.) ist Spinatwächter = Polizeisoldat, Landjäger, Finanzwächter, Feldaufseher, Flurschütz, insofern es sich auch bei Wächter um ein selbständiges Substantiv handelt, das zwar zu dem Zeitwort wachen gehört, zunächst aber aus dem Hauptworte Wacht abgeleitet ist (s. Paul, W.-B., S. 631; vgl. auch Kluge, W.-B., S. 478 unter »wach« a. E.). Der Zusatz » Spinat« ist hier Farbenbezeichnung. Der Ausdruck nimmt nämlich Bezug auf die (spinat-) grüne Farbe des Rockes (Uniform) der genannten Beamten (s. A.-L. 609). Vgl. noch die Synon. Grünspecht, Specht, Laubfrosch in Teil III. Belege: A.-L. 609 (Polizeisoldat, Landjäger); Groß 432 (Landjäger, Finanzwächter); Rabben 124 (Feldaufseher, Flurschütz); Ostwald 146 (Landjäger); danach auch Klenz, a. a. O., S. 52 (südd. für Gendarm). Dieselbe Bezeichnung war früher auch soldatisch (für Polizeisoldaten; s. schon A.-L. III, S. 126 u. Horn, Soldatenspr., S. 122) und ist noch heute in Österreich für die (grün uniformierten) Zoll- und Finanzbeamten gebräuchlich (s. Horn, S. 122; Klenz, a. a. O., S. 158). Endlich sei hier noch eine Anzahl von (in gleicher Weise) zusammengesetzten Berufsbezeichnungen angeführt, deren Etymologie ganz (a) oder teilweise (b) in Dunkel gehüllt bleibt, obwohl die diesen Bildungen zugrunde liegenden Zeitwörter vermutlich aus unserer Muttersprache herstammen dürften. Zur Gruppe a) hat namentlich Karmayer mancherlei geliefert, s. z. B. etwa: Faistenzainer = Kesselflicker, Pfannenflicker (43), Hungerschmaler = Dolmetscher (85), Schachdunkelspangerer = Theaterunternehmer (137); keine befriedigende Erklärung konnte ich auch erhalten für: Hagstutzer = Pastor im Pleißlen der Killertaler (435). Bei der Gruppe b) ist meist die Bedeutung oder doch die Etymologie des in Betracht kommenden Zeitworts zweifelhaft, so bei Paschpframmer = Gefällsaufseher, Mauthaufseher ( Karmayer 122; vgl. wegen Pasch: Teil I, Abschn. F, Kap. 4 unter »Pascher«); ähnlich bei Kassabortler = Schweinetreiber ( Karmayer 89), dessen Bestandteile: Kassa (od. Kassert) = Schwein und borteln = treiben sich zwar aus demselben Glossar (89 u. 22) nachweisen lassen, von denen aber nur der erstere etymologisch sicher feststeht (s. darüber schon Teil I, Abschn. A, Kap. 1, S. 236 unter »Raue«), während der zweite seinem Ursprung nach unklar bleibt. Auch bei Schab(b)erkocher, d. h. eigentlich ein Schmied (oder Schlosser), der Brecheisen (Einbrecherwerkzeuge) macht, dann auch = Schmied schlechthin (vgl. schon Einleitg., S. 197), das in seiner ersten Hälfte unzweifelhaft gehört zu Schab(b)er (oder Schaberer) = Brecheisen, Meißel (s. z. B. schon Hosmann 1700 [174]; Koburger Designation 1735 [204]; Jüd. Baldober 1737 [207]; Strelitzer Glossar 1747 [214]; W.-B. von St. Georgen 1750 [215]; Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. [221/22 u. 231]; Rotw. Gramm. v. 1755 [26 u. D.-R. 31 u. 41]; seit Brills Nachrichten 1814 [314] u. Pfister u. Christensen 1814 [328] dann öfter im 19. Jahrh. u. auch in der Gegenwart noch bei Groß 426, Rabben 115 u. Ostwald 127), vom hebr. schâbar (jüd. schobar) = »brechen« (s. A.-L. 595 vbd. mit IV, S. 463 [unter »Schobar«]; Hoffmann-Krayer im Schweiz. Archiv für Volkskunde III, S. 240, Anm. 7; Günther, Rotwelsch, S. 80 u. 100), ist die Etymologie von kochen (das z. B. schon im Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. [229] in dem speziellen Sinne von »ratteln und binden« angeführt ist) unsicher. Selbst wenn man aber seinen Stamm für identisch mit unserem gemeinsprachl. »kochen« (Lehnw. aus dem lat. coquere) hält, dürfte Schaberkocher doch nicht zu den Berufsübertragungen im e. S. zu zählen sein, da ja das Substant. zu »kochen«: » Koch« (nicht: »Kocher«) heißt. Belege: Koburger Designation 1735 (204); Rotw. Gramm. v. 1755 (20 u. D.-R. 44); v.  Grolman 58 u T.-G. 87, 120; Karmayer 137; Groß 426. Bei Scherberhaurer = Pflasterer (bei Pollak 229) endlich bereitet dagegen das Subst. Scherber Schwierigkeiten, während Haurer wohl zu dem (in Teil I, Abschn. E, Kap. 2 unter »Lanninger« erwähnten) mundartl. hauren = »kauern, niederhocken« gehören dürfte. .

b) Die von speziellen rotw. Zeitwörtern fremden Stammes abgeleiteten und mit einem Hauptworte verbundenen Berufsbezeichnungen (vgl. oben S. 136).

Bei dieser Gruppe ist wieder noch zu unterscheiden, ob auch das Substantiv gleichfalls fremden Ursprungs ist oder nicht. Bildungen letzterer Art finden sich nur selten und mögen daher vorweg betrachtet werden. Da übrigens als fremde Sprache auch hier (vgl. oben Nr. 1, lit. b) ausschließlich das Hebräische in Betracht kommt, so ergeben sich folgende Unterabteilungen:

α) Zusammensetzungen von einer Tätigkeitsform hebräischen und einem Hauptworte deutschen Stammes:

Mit Sicherheit kann hierher nur ein einziges Beispiel gerechnet werden Einige ähnliche Zusammensetzungen in Karmayers Glossar übergehe ich, weil die Ableitung des Hauptwortes aus dem Deutschen zu unsicher erscheint. Dagegen sei im Anschluß an die Gruppe α noch erwähnt: Fransendalfner (Franzen- od. Franzlingdalfner) = »Hadern- od. Strazensammler«, d. i. Lumpensammler ( Karmayer 51, 52), da Franse(n), Franze(n) oder Franzling für »Fetzen, Hader, Lumpen, Straze« ( Karmayer 51, 52) unserem gemeinsprachl. »Franse« entspricht, das zwar Lehnwort aus dem Französischen ( frange; vgl. Kluge, W.-B., S. 147; Paul, W.-B., S. 175), aber längst bei uns ganz eingebürgert ist, während dalfenen = sammeln ( Karmayer 26) doch wohl eines Stammes ist mit dalfen = betteln (ebds. 26), das auch sonst weit verbreitet gewesen (vgl. die Zusammenstellg. bei Schütze 95 unter »talfen«) und – wie schon früher (Teil I, Abschn. B bei der Zus. »Talfkunde«) erwähnt – zu hebr. dal = »arm« gehört. Ähnlich verhält es sich mit Taftkätscher = Tuchmacher im Nordwestfäl. Bargunsch (444), zu Taft (Taffet) = leichter Seidenstoff, einem gleichfalls bei uns schon lange eingebürgerten Lehnworte aus dem Persischen ( tâfta, ital. taffetà, franz. taffetas; vgl. Kluge, W.-B., S. 453; Paul, W.-B., S. 541) und kätschen (= katschen), d. h. hier wohl »schneiden«; s. zur Etymol. aus dem Hebr. schon oben S. 134; vgl. auch oben S. 150 das Synon. Leinwandschneider., nämlich:

Krache(r)tserfer = Kohlenbrenner, Köhler. Etymologie: vom rotw. Krache(r)t = Holz, Wald (worüber das Näh. schon im Kap. 1, lit. a, α unter »Krachetfetzer«) und serfen (sarfen, sarphenen u. a. m.) = brennen (brandstiften, brandschatzen), braten, kochen S. z. B. Pfister 1812 (304: sarphenen); Pfister bei Christensen 1814 (330: serfen); Christensen 1814 (330: sörfern); v.  Grolman 57, 66 u. T.-G. 87 ( sarfen, serfen, sarfenen); Karmayer 153 ( serfen) u. G.-D. 215 ( sarfen[en] u. a. m., von Neueren s. noch Groß 425, Rabben 115 u. Ostwald 127 (die sämtl. sarfenen haben; vgl. auch ansorfenen = Feuer anlegen (bei Groß E. K. 8 u. Wulffen 396) entsprechd. dem synon. anserfenen in älteren Quellen. Dem engeren Gebrauche von serfen für »brandstiften« u. dergl. entspricht es, daß die Substantivierung Serfer (Särfner, Sarfener) für sich allein meist in dem Sinne von »Brandstifter« od. »Mordbrenner« vorkommt (s. z. B. Pfister bei Christensen 1814 [330: Serfer; vgl. Christensen: Särfner]; v. Grolman 66 u. T.-G. 111 (wie Pfister); Eberhardts Polizeil. Nachrichten 1828 ff. (365: ebenso); Karmayer 153 (desgl.); Thiele 301 ( Ssarfener); Groß 425 (ebenso); Rabben 115 (desgl.); Ostwald 127 (desgl.); vgl. auch Tetzner, W.-B., S. 310 (ebenso)., vom gleichbedeut. hebr. sârâf (vgl. A.-L. S. 594 [unter »Sarfenen«] vbd. mit IV, S. 477 [unter »Soroph«]).

Belege: v. Grolman 39; Karmayer 97.

β) Zusammensetzungen, bei denen die Tätigkeitsform und das Hauptwort hebräischen Ursprungs sind:

Bejerhergener = Leichenbegleiter. Etymologie: betr. Bejer = Leiche (vom hebr. peger) s. u. a. schon Teil I, Absch. E, S. 69 u. Anm. 1; das rotw. Zeitw. hergen = laufen, gehen, kommen (s. z. B. Pfister 1812 [299]; v.  Grolman 28, T.-G. 96 [hier wohl verdruckt: herzen] u. 108; Karmayer G.-D. 201 [ hergen u. herzen]) ist wohl als eine seltenere Nebenform von dem gleichbedeut. halchen(en) (auch alchen, holchen u. a. m.) Das sehr alte Wort (s. schon G.  Edlibach um 1490 [20: alcha]) findet sich später (seit dem 16. Jahrh. bis in die Gegenwart) in sehr verschiedenen Formen, wie alchen (s. Lib. Vagat. [53] u. a. m., bes. im 16. u. 17. Jahrh., aber auch noch später), holchen (holecha) (s. Schwenters Steganologia um 1620 [134] u. öfter, bes. noch im 18. Jahrh. vorherrschend), hulchen (s. z. B. Strelitzer Glossar 1747 [214] u. a. m.), halchen (s. Körners Zus. zur Rotw. Gramm, v. 1755 [240] u. dann öfter), halchenen (s. Pfister 1812 [299] u. a. m.). Aus der Neuzeit s. u. a. noch Groß 393 ( alchen, chalchen) u. 405 ( halchen, holchen, hulchen, haulechen u. a.); Wulffen 396 ( alchen); Rabben 16 (ebenso; vgl. hier 63: Hulchener = »einer, der mit irgend einer gaunerischen Absicht umgeht«); Ostwald 12 u. 69 (im wes. ebenso; vgl. auch Sprache der Pfälzer Händler [437]: hulchen = »springen«)., aus hebr. hâlak (s. auch schon oben S. 213, Anm. 1) aufzufassen.

Belege: Pfister 1812 (295); v. Grolman 7 u. T.-G. 109; Karmayer G.-D. 191.

Wahrscheinlich auf dasselbe Zeitwort dürfte auch zurückgeführt werden:

Sardenhergener od. - hargener = Feldschütz. Danach wäre die Etymologie des Ausdrucks: von rotw. Sarden oder Sode u. ähnl. = Feld (s. z. B. Pfister 1812 [304: Sarden u. Raden, vielleicht bloß Druckf. statt: Saden]; Christensen 1814 [319, 320: Sode]; v.  Grolman 55/57 u. T.-G. 93 [ Sarden u. Raden] u. 67 [ Sode]; Karmayer 136 [ Sarde(n)] u. G.-D. 214 [ Raden] u. 219 [ Sode]; letzteres auch noch bei Neueren, wie Rabben 124 u. Ostwald 149), aus dem gleichbedeut. hebr. sâde(h) (vgl. auch A.-L. IV, S. 464 |unter »Sodad«]), und dem rotw. hergen = gehen usw. ( dafür z. B. auch A.  Landau nach gefl. Mitteilg.). Man könnte jedoch auch denken an das rotw. hergenen oder (häufiger) hargenen = töten, totschlagen, umbringen (s. z. B. v. Grolman 28 u. T.-G. 127; Karmayer G.-D. 200; Thiele 256; A.-L. 548; Groß 406; Berkes 110; vgl. in Krünitz' Enzyklopädie 1820 [350: halgen = töten]), vom gleichbedeut. hebr. hârag (vgl. A.-L. 548 [unter »Hargenen«] vbd. mit IV, S. 359 [unter »Horag«]), so daß dann Sardenhergener (-hargener) etwa den Mann bedeutete, der die schädlichen Tiere des Feldes tötet (für diese Hypothese, der lautlich nichts entgegensteht, z. B. Prof.  Stumme).

Belege: Pfister 1812 (304: Sardenhergener); v. Grolman 57 ( Sardenhargener) u. T.-G. 93 (wie Pfister); Karmayer G.-D. 215 (beide Formen).

Dôkesmagaimer = Lehrer. Etymologie: vom jüdd. u. rotw. Do(h)kes (Doges, Dochus) oder Toches (Toges, Tochus) u. a. m. = »der Hintere« (podex) Belege: v. Reizenstein 1764 (248, jüdd.: Tochas); ferner (seit dem 19. Jahrh.): Pfister 1812 (297 u. 306: Dohkes u. Toches); Krünitz' Enzyklopädie 1820 (349: Dochus); v. Grolman T.-G. 101 ( Dohkes); Karmayer G.-D. 192 ( Dahkes); Thiele 316 ( Tochess); Zimmermann 1847 (378/79 [unter »Heichus«: Tochus u. 388: Toches); Fröhlich 412 ( Toches); A.-L 615 ( Toches, Toges, Doges); Groß 434 (ebenso, wenn Toehes als Druckf. aufzufassen); Rabben 130 ( Tochus u. Toches); Ostwald 154 (ebenso); vgl. auch Borstel, Dirnenspr., S. 10 ( Toches); aus den Krämerspr. s. Pfälzer Händlerspr. (437: dôkes) u. Schwäb. Händlerspr. (485: Dâches). Auch sonst ist das Wort landschaftl. noch weit verbreitet; s. darüber z. B. »Anthropophyteia«, Bd. II, S. 7 ( Doches: in Wien), Bd. IV, S. 14 u. VII, S. 19 ( Tokus: im Bergisch. u. Westfälischen), VI, S. 8 ( Thok[u]s: allgem. berlin.-jüd.), VI, S. 13 ( Doges: in Frankfurt a. M.)., das nach weitverbreiteter Ansicht zu hebr. táchath (jüd. tochess) = »unten, unterhalb, hinten« gehören soll (s. A.-L. 615 [unter »Toches«] vbd. mit IV, S. 480 [unter »Toges«] u. Meisinger in d. Zeitschr. f. hochd. Mundarten I, S. 177; dagegen aber zweifelnd: Kluge, W.-B., S. 95 unter »Dokes«), und Magaim (Magaye[n] u. ähnl.) = Schläge bezw. magaienen (machayen, makaimen, makayen u. ähnl. = schlagen, züchtigen (vgl. dazu schon oben S. 135/36, Anm. 3, sowie Näh. auch noch in Beitr. III). Die Bezeichnung entspricht demnach völlig den deutschen Synonymen Steißklopper und Arschpauker (vgl. oben lit. a, α, bb, ββ, u. γγ).

Belege: Pfälzer Händlersprache (437; vgl. hier 438: magaim = Schläge).

Medinehalchener = Landhausierer. Vgl. dazu schon oben S. 213 bei dem Synon. Medinegeier sowie (betr. halchenen) oben S. 213, Anm. I und (in dieser Abtlg.) S. 227 u. Anm. 2 unter »Bejerhergener«.

Beleg: nur bei A -L. 572, während er IV, S. 291 dem Ausdruck eine andere Bedeutung – nämlich: »ein Gauner, welcher aufs Land geht, um dort zu stehlen oder zu betrügen« – beigelegt hat. Groß 416 hat die Redensart: Medine halchenen für »vagabundieren«.

Sorfserfer (Ssoref-Ssarfener) = Branntweinbrenner. Etymologie: Die Bezeichnung ist gewissermaßen pleonastisch, da Sorf (Ssoref) = Branntwein Die kurze Form Sorf (für Branntwein) hat zuerst Pfister 1812 (306; vgl. 322 bei Christensen 1814: Jain-Sorf), dann folgen v. Grolman und Karmayer (s. d. Belege im Text); vgl. ferner Hall. Lattcherschmus (493: Zorf). – Ssoref haben Thiele 303 u. Fröhlich 1831 (410); vgl. dazu auch schon Deecke bei A.-L. III S. 250 ( Jajen-Zoref) u. Christensen 1814 (322: Sajem-Soref = Jajem-Soref); ferner Groß 432 ( Soref neben anderen Formen) u. Kundenspr. II (423: ebenso). Für die übrigen Formen s. Schütze 92; vgl. auch schon oben S. 223, Anm. 1. (wie Soruf[f], Sorof[f] u. a. m. aus dem hebr. sârûf; vgl. schon oben S. 223 u. Anm. 1 unter »Surumfingler«) und Serfer (Ssarfener), hier = »Brenner« als Beruf, auf dasselbe Stammwort, nämlich das hebr. sârâf = »brennen«, zurückgehen (vgl. auch oben S. 226 unter »Krache[r]tserfer«).

Belege: Pfister 1812 (306); v. Grolman 67 u. T.-G. 86; Karmayer G.-D. 219; Thiele 303 (hier: Ssoref-Ssarfenen Im W.-B. von St. Georgen 1750 (215) findet sich Merten-Raufer (nach dem Abdrucke bei A.-L. IV, S. 132: Merten-Kaufer) für »Branntweinbrenner« (für dessen Erklärung A.-L., a. a. O., Anm. 7  Kaffer = Mann od. hebr. gêbîr [vgl. Teil I, Abschn. A, S. 227] herangezogen). Vielleicht ist aber – mit Rücksicht auf das Synon. Sorfserfer – dafür auch Merten-Serfer zu lesen. Über Merten (genauer: Soruf-Merten = Branntwein, im W.-B. von St. Georgen [205]), wohl eine Bildung von dem Eigennamen Martin s. A.-L. IV, S. 28; Günther, Rotwelsch, S. 85. .

Zoßkenpeiker od. Zoskenpeiker (Züsschen-Peuker, Zößchenpeuker, Zoßchenpäckerer) = Roßschlächter, Pferdeschlachter. Etymologie: von rotw. Zosken (Zos[s]chen, Zößchen u. a. m.) = Pferd, eine der vielen (Dimin.-) Formen, zu denen das gleichbedeut. hebr. sûs umgestaltet worden (vgl. schon Teil I, Abschn. A, Kap. 1, S. 244) Belege: a) für Zosken: Hermann 1818 (330); Schütze 100; Rabben 144; bei Ostwald 172  nur in der engeren Bedeutung »Pferdefleisch« die auch Schütze erwähnt; b) für Zos(s)chen: A.-L. 612; Schütze 100; Hallischer Lattcherschmus (493); c) für Zößchen (Zösscheni: Wulffen 404; Kundenspr. III (430); Ostwald (Ku.) 172. – Für die sonstigen Formen vgl. Schütze 100; s. auch die folgende Anm. und peikern (paikern), hier = töten, schlachten (vgl. Schütze 81), zu hebr. peger (wofür zu vgl. schon Teil I, Abschn. F, Kap. 1, S. 29 unter »Pöckerer« vbd. mit Abschn. E, S. 69 bei »Begerschaberer« u. Abschn. F, Kap. 1, S. 21 bei »Begerkattgener«). S. auch Günther, Rotwelsch, S. 29 u. Klenz, Schelten-W.-B., S. 106.

Belege: Kahle 37 ( Zoßkenpeiker); Schütze 100 ( Zoskenpeiker); Wulffen 404 ( Zösschen-Peuker); Kundenspr. III (430: ebenso, jedoch mit ß geschrieben), IV (434: wie Kahle); Ostwald (Ku.) 172 (wie Kundenspr. III, jedoch in einem Wort geschrieben, außerdem noch: Zoßchenpäckerer); vgl. auch Klenz, a. a. O., S. 106. – Über die Andeutschung dieses Ausdrucks in der Form Süßchenbäcker (Kundenspr. III [423]) Die Form Süßchen findet sich zwar allein (für »Pferd«) nicht, dagegen kommt die ( ältere) Schreibung Süßgen schon im Schles. Räuberprozeß 1812 (293) vor. Verwandt erscheinen auch Sößgen, Sößchen od. Söschen (s. Hildburghaus. W.-B. 1753 ff. [222 u. 231]; Sprache der Scharfrichter 1813 [309]; A.-L. 609; Groß 437) u. Suschen (A.-L. 612) od. Susschen ( Winterfelder Hausiererspr. [441]). , wobei man an eine Berufsübertragung denken könnte, s. auch noch Teil III Der Ausdruck Walboser = »Krüger«, Gastwirt, der zwar ganz hebräischen Ursprungs ist (entstanden aus: ba'al bajit), ist des besseren Zusammenhangs wegen erst in Abschn. B bei den Zusammensetzungen mit Ba(a)l(l) näher zu behandeln. Vgl. i. Bd. 46 S. 310, Anm. 2 die Bemerkungen betr. Ballmacher oder - maker (= Soldat, aus ba'al milchâma). .

Anhang: Eine »Fülle von humorvollen Bezeichnungen« kennt – wie auch Ostwald (Vorwort, S. 4) richtig bemerkt – die Kundensprache »für den wirklich arbeitsscheuen duften Kunden« Auch für Leute, die überhaupt kein eigentliches Geschäft oder Handwerk gelernt haben (oder das früher erlernte vergessen haben) und zurzeit auf Wanderschaft sind, auch dann aber »meist mit dem Beigeschmack des Bummlers, der auch keine Arbeit sucht«; so: Schütze 99 unter »Wolkenschieber« vbd. mit Kundenspr. III (424) unter »Berg- und Talversetzer«.. Da sie meist den Anschein erwecken, als übe der Nichtstuer eine bestimmte Tätigkeit, irgend ein geheimnisvoll verhülltes Gewerbe aus (vgl. auch schon Einleitung, S. 215), so sollen auch sie hier anhangsweise mitgeteilt werden, jedoch noch unter Ausschluß derjenigen Ausdrücke, bei denen es sich um Vergleiche mit wirklich existierenden Berufen handelt Die sich jedoch bei nähererer Betrachtung auch als bloße Phantasiegebilde, ironische Umschreibungen für das Nichtstun darstellen, so z. B. Chausseegrabentapezierer, Leichenwagenbremser, Turmspitzenvergolder, Schneeschipper im Sommer u. a. m. Den Übergang von der im Text behandelten Gruppe zu diesen Berufsübertragungen bildet Kirschenpflücker im Winter (s. Kundenspr. III [426]; Ostwald [Ku.] 80), da hierbei die berufliche Eigenschaft der (vermeintlichen) Tätigkeit nicht so stark ausgeprägt ist wie bei dem Seitenstück Schneeschipper im Sommer. – Türklinkenputzer (s. d. Text) könnte ev. auch zur zweiten Gruppe gezählt werden., die vielmehr erst in Teil III in Zusammenhang mit den sog. Berufsübertragungen zu betrachten sind. Dagegen gehören schon hierher (in alphabet. Ordnung):

Berg- und Talversetzer.

Belege: Schütze 63; Wulffen 396; Kundenspr. III (424); Klausmann u. Weien (Ku.) XXII; Ostwald (Ku.) 21, danach auch Klenz, Schelten-W.-B., S. 62; vgl. auch Borstel, Unter Gaunern, S. 11.

Himmelsfechter.

Belege: Wulffen 399; Kundenspr. III (426); Ostwald (Ku.) 68 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 62; vgl. auch Borstel, a. a. O., S. 12. – Über die Nebenbedeutg. »Leinenweber« s. schon oben S. 220 Vielleicht ist diese Bedeutung die ursprünglichere gewesen und ihre Verwendung für den arbeitsscheuen Bummler daraus zu erklären, daß beim Übergang von der Handweberei zum Maschinenbetrieb viele Webergesellen zunächst arbeitslos wurden; vgl. dazu Schütze 77 unter »Läppchen«. .

Luft- und Dichtmacher.

Belege: Wulffen 400; Kundenspr. III (427); Ostwald (Ku.) 98 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 62. Über die Bedeutg. des ähnlich klingenden Licht- und Dichtmacher s. oben Kap. 1, lit. b, α, S. 309.

Schlangengreifer.

Belege: Ostwald (Ku.) 131 u. danach Klenz, a. a. O., S. 62.

Türklinkenputzer.

Belege: Kundenspr. III (429); Ostwald (Ku.) 158 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 62; vgl. auch Borstel, a. a. O., S. 14; nach Groß 434 = Bettler (vgl. schon oben S. 142, Anm. 3).

Wolkenschieber.

Belege: Schütze 99; Kundenspr. III (430); Klausmann u. Weien (Ku.) XXVI; Ostwald (Ku.) 168 u. danach auch Klenz, a. a. O., S. 62, vgl. auch Borstel, a. a. O., S. 14. Über andere Bedeutungen dieses Ausdrucks s. schon oben S. 148 u. 149, Anm. 1.

 

(Fortsetzung folgt.)


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