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XXIV.
Erwiderung.

Von Prof. Dittrich in Prag.

Es ist richtig, daß ich in meinem obzitierten Aufsatz einen Vorstoß gegen die Schriftexpertise, zu welcher auch die gerichtliche Schriftvergleichung gehört, unternommen habe. Ob in diesem Falle ungerechtfertigt? das möchte ich bezweifeln. Ich habe mich gegen den Vorgang ausgesprochen, daß man die Vergleichung von Schriftzeichen allein zur Entscheidung der Frage nach dem Schreiber anonymer Schreiben heranzieht, wo noch andere schwerwiegende Momente mit Erfolg in Betracht gezogen werden können. Wie ich zu dem – trotz der gegenteiligen Meinung des Herrn Dr.  Schneickert – meines Erachtens berechtigten Schlusse gekommen bin, daß es sich in dem in Rede stehenden Falle nicht um bloß einen, sondern um zwei Verfasser der anonymen Schreiben gehandelt hat, habe ich in meinem Aufsatze auseinandergesetzt und betont, daß meine Aufmerksamkeit auf diese Möglichkeit zunächst dadurch gelenkt wurde, daß bei uns noch übliche Titulaturen, wie: »Hochwohlgeboren« u. ä. sich bloß auf jenen Adressen fanden, welche meiner Ansicht nach der eine der beiden Schreiber mit leichterer Handschrift geschrieben hatte, welch letztere Herr Dr.  Schneickert als durch Übung erzielte Schrift eines und desselben Schreibers sämtlicher anonymen Schreiben ansieht.

Herr Dr.  Schneickert meint, ich sei der Ansicht, nur Schreibsachverständige seien Irrtümern und den Nachteilen eines blinden Eifers ausgesetzt. Es wäre gut, wenn dem so wäre! Es ist aber nicht der Fall und ich habe dies auch nirgends behauptet. Leider habe ich nur zu oft Gelegenheit, mich in Fällen von Ober- und Fakultätsgutachten von Fehlgutachten ärztlicher Sachverständiger zu überzeugen. Gerade in dieser Richtung ist es aber doch ein gewaltiger Unterschied, von welcher Gruppe von Sachverständigen ein Gutachten abgegeben worden ist. Gutachten ärztlicher Sachverständiger werden sehr häufig einer Überprüfung unterzogen, da beschäftigte Gerichtsfunktionäre sich gerade auf medizinischem Gebiete allmählich einen gewissen kritischen Blick aneignen, so daß es ihnen von Fall zu Fall nicht schwer fällt, etwaige Momente herauszufinden, welche an der Richtigkeit dieses oder jenes ärztlichen Gutachtens zweifeln lassen. Anders steht es mit jenen Gebieten, auf denen Sachverständige selten herangezogen werden, wie z. B. auf dem Gebiete der Schriftexpertise. Hier fehlt dem Richter meist die nötige Übung und er wird deshalb mögliche Fehler in Gutachten von Schreibsachverständigen eher übersehen können; daher wird auch meistens auf das Gutachten der erstbegutachtenden Schreibsachverständigen gebaut und dasselbe nicht von gerichtswegen überprüfen gelassen Das trifft jedenfalls nicht auf die deutschen Gerichtsverhältnisse zu; es werden in Berlin z. B. sicher nicht weniger Schriftgutachten von Amtswegen eingefordert, als z. B. medizinische! (Dr. Sch.).

Herr Dr.  Schneickert wirft zwei Fragen auf: »Warum will aber der Psychiater ... und ein Dritter den zehnten Brief?« und weiter: »Ist das vielleicht ein Justizirrtum ... oder von den Sachverständigen irrtümlich identifiziert worden ist?« Meines Erachtens liegt ein Justizirrtum nicht etwa bloß im Falle der Verurteilung eines Menschen, welcher eine inkriminierte Tat nicht begangen hat, vor, sondern auch dann, wenn ein Täter verurteilt wird unter Verhältnissen, welche eine Strafausschließung beinhalten, was z. B. vorkommen kann, wenn bei der Untersuchung eines Beschuldigten hinsichtlich seines Geisteszustandes von Vorbegutachtern derartige auf die Psyche sich beziehende Verhältnisse übersehen oder nicht richtig eingeschätzt worden sind. Es war deshalb auch keineswegs gleichgültig, ob der Beschuldigte der alleinige Schreiber war oder ob er noch einen Komplizen hatte. In meinem Falle fiel ein Umstand wesentlich in die Wagschale, nämlich der, ob der Beschuldigte, falls die anonymen Schreiben von zwei Schreibern stammten, der originäre Täter war oder nicht, da in letzterem Falle bei einem Schwachsinnigen, wie es der Beschuldigte war, der Grad der Zurechenbarkeit der inkriminierten Handlung und daher auch deren Strafbarkeit in einem für ihn günstigen Sinne beeinflußt werden kann.

Herr Dr.  Schneickert macht mir den Vorwurf, ich hätte meine Kompetenz als Sachverständiger überschritten. Ich hatte dieses Gefühl selbst und habe dies auch in meinem Aufsatze angedeutet. Ich werde dies jedoch immer tun, wenn meiner Überzeugung nach ein Gutachten von Sachverständigen, welchen Gebietes immer, welches meiner Überzeugung nach ein Fehlgutachten ist Wie wenig empfehlenswert aber dieses Verfahren ist, zeigt ja gerade der vorliegende Fall! (Dr. Sch.), für jenes Gutachten, welches ich als Gerichtsarzt oder als Gerichtspsychiater abzugeben habe, von solch einschneidender Bedeutung ist, wie in meinem Falle, weil ich sonst auf einer falschen Basis arbeiten würde. So engherzig darf man meines Erachtens die Tätigkeit gerichtlicher Sachverständiger nicht abgrenzen. Wir Sachverständige sind bestimmt, zur Feststellung des Tatbestandes mit beizutragen. Gebe ich ein Fehlgutachten ab, so werde ich einem jeden dankbar sein, der durch vorgebrachte überzeugende Gründe mein Gutachten zu Falle bringt, werde, wenn der Betreffende, mag er wer immer sein, mich überzeugt, mich beugen und meinen Irrtum eingestehen. Kompetenzstreitigkeiten und Eifersüchteleien unter Sachverständigen verschiedener Gruppen sind in meinen Augen eine Lächerlichkeit, besonders dann, wenn es sich um Gutachten handelt, welche, trotzdem sie verschiedene Gebiete berühren, doch ineinandergreifen.

Die » äußeren Abweichungen« der meinem Aufsatze beigegebenen Schriftproben sind so exorbitant, daß Herr Dr.  Schneickert mich durch seine fachmännischen Auseinandersetzungen, welche die Identität der Schrift in den von mir wiedergegebenen Schriftproben beweisen sollen, keineswegs von der Richtigkeit seiner Ansicht über die Identität der Schrift in allen diesen Schriftproben überzeugt hat. Die verschiedene Beschaffenheit des Buchstabens G in den einzelnen Schriftproben habe ich bloß als Beispiel, welches mir unter anderen aufgefallen ist, angeführt. Andere Schrifttypen, als die beiden von mir wiedergegebenen, fanden sich in den verschiedenen Schreiben nicht vor. Sagt nun Herr Dr.  Schneickert selbst, der seiner Meinung nach alleinige Schreiber hätte zunächst mit Anfängerschrift und nach tagelanger Übung mit der Schrift eines Vorgeschrittenen geschrieben, so gibt er damit zu, daß irgendwo zwischen diesen beiden Stadien noch Übergänge sein müßten, und man müßte somit annehmen, daß der Täter mittlerweile auf anderen Blättern Schreibübungen angestellt hätte Solche »Übungen« sind gar nicht gemeint, sondern die fortschreitende Übung beim Schreiben von Serien-Briefen mit verstellter Handschrift. (Dr. Sch.) – eine etwas gezwungene Annahme, ganz abgesehen davon, daß sich irgendwelche Schriftproben, welche als Übergänge angesehen werden könnten, nicht vorgefunden haben.

Eine Schriftprobe, welcher ich eine ganz besondere Bedeutung beigelegt habe, hat Herr Dr.  Schneickert unberücksichtigt gelassen, nämlich die auf Tafel I, Fig. 5 reproduzierte Adresse: »Se. Gnaden! An Herrn ...«. Soll man sich etwa vorstellen, der nach Ansicht des Herrn Dr.  Schneickert alleinige Schreiber hätte den zweiten Teil der Adresse im Anfangsstadium seiner Schreibkunst geschrieben, die Worte »Se. Gnaden!« aber erst nach tagelanger Übung?! Wären die auf einem Schriftstück vereinten eckigen und runden Schriftformen nicht auf der aus der letzten Zeit (9. XI. 09) herrührenden Adresse, sondern aus der ersten Zeit (8. X. 09), wäre Prof. D.s Verwunderung eher am Platze; so aber beweist das Zusammentreffen beider Schriftformen auf einem der letzten Schriftstücke ja gerade die Identität des Schreibers! (Dr. Sch.)) Das erschiene mir denn doch allzusehr gekünstelt und gezwungen. Ich habe keinen Grund, von der Deutung, welche ich dieser Adresse gegeben habe, abzugehen.

Von meiner Seite erachte ich diese Angelegenheit hiermit für abgeschlossen.


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