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XV.
Ein Fall hartnäckiger Simulation von Geisteskrankheit.

Von Oberarzt Dr.  Gerhard Schäfer, Hamburg-Langenhorn.

Am 28. Juni 1908 wurden in Hamburg zwei Männer verhaftet, die einem Schutzmann verdächtig vorgekommen waren und ein anscheinend sehr schweres Paket, dessen Inhalt sich nachher als Einbruchswerkzeug herausstellte, trugen. Zur Rede gestellt, ergriffen beide die Flucht nach verschiedenen Seiten. Einer von ihnen, der uns im folgenden allein beschäftigende falsche Amerikaner, wurde auf dem Boden eines Hauses, in das er geflüchtet war, versteckt aufgefunden und ging erst nach einigem Widerstreben mit zur Wache. Seinen, von der Kriminalpolizei am 29. Juni angelegten Personalbogen unterschrieb er: »I bin Stiel, Frang S...« Er gab an, er sei erst seit einer Woche in Hamburg, habe vorher als Minenarbeiter in Montana sich 2500 Mark erspart und befinde sich auf Reisen, um die Welt kennen zu lernen. Nach Deutschland sei er gekommen, da er die deutsche Sprache beherrsche, die er in St. Francisco in der deutschen Schule und durch Umgang mit Deutschen gelernt habe. Das Werkzeug habe er gefunden und wolle es verkaufen. An Geld habe er noch 40 Mark bei einem Mädchen in Altona, dessen Namen er nicht wisse und dessen Wohnung er nicht sage.

S... wurde wegen Fundunterschlagung, begangen an dem Einbruchswerkzeug, dem Amtsgericht zugeführt, von ihm jedoch entlassen und der Polizeibehörde wieder übergeben. Von dieser wurde er am 11. Juli aus dem Hamburger Staatsgebiete ausgewiesen. Kurze Zeit darauf tauchte der Verdacht auf, S... hätte mit anderen Komplizen einen in Hamburg im Kontor einer Versicherungsgesellschaft sehr raffiniert ausgeführten Einbruchsdiebstahl, bei welchem ein Geldschrank mit Pulver gesprengt wurde, begangen, und am 22. Juli wurde er mit einer Prostituierten auf dem Bahnhofe in Bremen verhaftet. Er führte zwei Dietriche, eine elektrische Taschenlampe, eine geladene Browningpistole, einen Glaserdiamanten und 421,65 Mark in barem Gelde bei sich. Er war sich »einer strafbaren Handlung nicht bewußt«. »Die beiden Dietriche habe ich vor etwa 14 Tagen in Hamburg, von einem mir unbekannten Manne, mit dem ich Bier trank, erhalten. Der Mann sagte, da könne ich gut mit aufschließen. Benutzt habe ich die Dietriche noch nicht, denn ich habe noch kein Zimmer gehabt und konnte deshalb keinen Gebrauch davon machen. Die Laterne habe ich mir gekauft, damit ich, wenn ich Treppen steige, leuchten kann. Den Revolver habe ich, als ich in London ankam, zu meiner eigenen Sicherheit gekauft. Den Diamant habe ich vor einigen Tagen in einer Wirtschaft gefunden. Das Geld welches ich bei mir führe, ist mein Eigentum.«

S... wurde nach Hamburg transportiert. Der Polizeibericht vom 23. Juli sagt: »S..., welcher Amerikaner sein will, spricht ein ganz geläufiges Deutsch, namentlich wenn er sich im Lauf der Vernehmung in Erregung befindet. Er will auch etwas Dänisch können.« – Am 24. Juli wurde S... dem Untersuchungsgefängnis zugeführt. In der Aufnahmeverhandlung findet sich der Vermerk: »– da er der deutschen Sprache nicht mächtig ist –«. In seiner Mütze fanden sich drei Stücke einer Säge. Nun war aufgefallen, daß S... ganz neu in Kleidung war, und daraus entstand der Verdacht, daß er auch an mehreren Ladeneinbrüchen, bei denen namentlich Kleidungsstücke gestohlen wurden, beteiligt sei; jedenfalls wurde sein Anzug als von einem am 15./16. Juli 1908 bei einer Hamburger Firma ausgeführten Einbruch herstammend erkannt. Bei den gerichtlichen Vernehmungen machte S... bezüglich seiner Personalien die früheren Angaben, bestritt jede Schuld, hatte für alles eine Erklärung und wo eine solche fehlte, sprach er von Betrunkenheit seinerseits. Im Laufe der Untersuchung gelang es, durch seine Mutter festzustellen, daß er nicht Frank S... aus St. Francisco, sondern X. Y. Sch... aus Mecklenburg, geboren 1884, ist. Nun ließ sich auch aus seinen Akten ein klares Bild seines Vorlebens gewinnen. Er ist uneheliches Kind. 1895 wurde er zur Zwangserziehung verurteilt und befand sich in der Landesarmenanstalt in Kiel. Im Jahre 1900 war er bei einem Hufner im Dienst, dem er wiederholt entwich, angeblich wegen Mißhandlung. Nach der letzten Entweichung will er sich zwei Jahre im Mecklenburgischen als Hofgänger, Knecht und Viehhüter an verschiedenen Orten aufgehalten haben. Im März 1902 begab er sich in Hamburg in Schutzhaft, von wo er dem Landesdirektorat Kiel zugeführt wurde. In diesem Jahre erfolgte auch seine erste erhebliche Strafe, nämlich drei Wochen Gefängnis wegen Diebstahls, während er bis dahin nur wegen Bettelns vorbestraft war. Nach Angabe seiner Mutter ist er in dem gleichen Jahre mit einem Schiff als Trimmer von Hamburg aus gefahren, vermutlich war er längere Zeit in Amerika, jedenfalls aber blieb sein Aufenthaltsort unbekannt, so daß er 1907 von der Strafkammer des Landgerichts Altona wegen Verletzung der Wehrpflicht verurteilt wurde. Einem Bekannten, C..., soll Sch... früher angegeben haben, er sei in Amerika zu 12 Jahren Zwangsarbeit verurteilt gewesen, nach 3½ Jahren aber entflohen und habe sich seit 1906 im Rheinland und in Westfalen aufgehalten. Wie die Mutter erzählt, war er im Frühjahr 1908 dreimal auf kurze Zeit in ihrer Wohnung in Altona. Da alle Protokolle in deutscher Sprache abgefaßt sind, nehme ich an, daß er zunächst nicht weiter versucht hätte, sein Amerikanertum durch Unkenntnis der deutschen Sprache zu beweisen. Dies scheint erst im September 1908 der Fall gewesen zu sein, denn auf Anfrage des Herrn Untersuchungsrichters teilte das Untersuchungsgefängnis anfangs dieses Monats mit: »Er spricht immer nur englisch und tut so, als sei er der deutschen Sprache nicht mächtig.« Außerdem wird berichtet, »daß Sch... täglich schimpft und skandaliert, so daß er in die Tobzelle hat gesetzt werden müssen. – Er hat auch fünf Tage lang keine Speisen zu sich genommen, jetzt aber wieder freiwillig solche verlangt.« Nebenbei sei erwähnt, daß ähnlich wie Sch... sich auch sein Tatgenosse vorübergehend benahm. Auf Ersuchen des Herrn Untersuchungsrichters erstattete einer der Herren Gerichtsätzte ein Gutachten über den Geisteszustand des Sch ... Er kommt zu dem wohlbegründeten Verdacht, daß Sch... ein hartnäckiger, raffinierter Simulant ist, stellt jedoch betreffs weiterer Untersuchung Antrag aus § 81, StPrO.

— — —

Am 16. Dezember 1908 wurde Sch... demgemäß in die Irrenanstalt Langenborn aufgenommen. Er wurde ausnahmsweise während der ganzen Untersuchungszeit, mit wenigen Unterbrechungen, in einer Zelle gehalten. Er sah wohl aus und befand sich in gutem Ernährungs- und Kräftezustand. Die körperliche Untersuchung erschwerte er teils durch passiven Widerstand, teils durch allerhand Allotria, z. B. stieß er auf die Aufforderung, tief zu atmen, komische brummende Töne aus, was ihm selbst sichtlich Spaß machte. Bei der mehrfach an verschiedenen Tagen vorgenommenen Augenuntersuchung, fing Sch... sofort an lebhaft mit dem Kopfe zu wackeln und die Augen verdrehen, doch konnte, indem sein Kopf gestützt wurde, festgestellt werden, daß die Pupillen mittelweit waren und auf Licht reagierten. Die Kniescheibenreflexe waren lebhaft gesteigert. Die linke Schulter wurde ganz in die Höhe gezogen getragen, Sch... behauptete, das sei der Nordpol, die rechte Schulter der Südpol. Er ließ sich die linke Schulter nicht herunterdrücken, es konnte aber festgestellt werden, daß sie nicht immer so hoch getragen wurde, und daß sie frei beweglich war.

Das erstere ergab sich, als Ref. nach seiner Visite, von Sch... ungesehen, beobachtend in dessen Nähe blieb, während die »Visite« scheinbar von instruierten Wärtern weiter gemacht wurde, indem sie die folgenden Zellentüren eine nach der andern öffneten und schlossen. Als sich das Geräusch entfernte, ließ Sch... die Schulter merklich herabsinken, zog sie aber wieder in die Höhe, als er an dem absichtlich etwas verstärkten Türgeklapper hörte, daß man sich seiner Zelle aufs neue nähere. Dies war ganz im Anfang der sechs Wochen, später ging Sch... immer in seine Bettdecke gehüllt, »like an indian« umher, so daß und vielleicht auch damit man nicht genau sehen konnte, wie er seine Schulter trug; daß er sie keineswegs immer so hoch trug, wie dann, wenn man darauf ostentativ sein Augenmerk richtete, trat aber trotzdem bei mehr als einer Gelegenheit zutage. Zu diesen Gelegenheiten gehörte ein zweckentsprechend arrangiertes Bad des Sch..., das Ref., ebenfalls ungesehen, beaufsichtigte. Die Schulter wurde mehrfach vorübergehend ganz normal gehalten. Gleichzeitig erwies sie sich auch beim Abseifen, das von Sch... teilweise mit der linken Hand ausgeführt wurde, als völlig frei beweglich. Außer seiner merkwürdigen Schulterhaltung zeigte Sch... auch noch häufig eine auffallende Bewegung. Er ließ seinen Körper auf dem linken Bein ruhen, berührte mit der rechten Fußspitze den Boden und schüttelte das Bein krampfartig. Auf Befragen, was das solle, erklärte er, Telegramme durch das Bein zu empfangen, resp. den Versuch zu machen, mit seiner Hilfe welche aufzufangen, drahtlose natürlich als moderner Mensch. Auch abgesehen von diesem Telegraphenbetrieb war Sch... fast immer in lebhafter Bewegung, er lief umher, tanzte gelegentlich Negertänze, pfiff, sang, und vor allem schwatzte er ununterbrochen in englischer Sprache.

Ref. gab sich anfangs den Anschein, davon nichts zu verstehen, ging aber nach einigen Tagen zwecks ausgiebigerer Unterhaltung darauf ein, etwas Englisch mit Sch... zu sprechen. Das hatte auch die gewünschte Wirkung, denn während Sch... bis dahin in ziemlich monotoner Weise versichert hatte, er sei amerikanischer Millionär, sein Körper sei elektrisch, er müsse nach New York abreisen usw., produzierte er nun alle möglichen Geschichten, der Papst habe mit ihm telegraphisch gesprochen wegen einer Spende für die Armen, seine Paula sei ein hübsches Mädchen, sie sei in St. Petersburg, dann, sie sei in Sibirien, seine Seele sei fünf Millionen Jahre alt und dergleichen Dinge mehr, auf die einzugehen sich nicht lohnt. Bemerkenswert ist indessen, daß ihm, dem angeblich kein Wort deutsch Sprechenden und Verstehenden, doch einige kleine Entgleisungen passierten. Einmal sagte er, von seinen Dollars schwatzend, ganz deutlich »fufzigtausend«, ein Wort, das sich von dem englischen fifty thousand im Klang doch recht auffallend unterscheidet; daß er wenigstens etwas Deutsch verstand, ergab sich bei mehreren Gelegenheiten. Am Tage nach seiner Ankunft in der Anstalt kam Ref. abends plötzlich in Sch...s Zelle und richtete an den schon Schlafenden auf deutsch die Aufforderung, aufzustehen, mit auf den Korridor zu kommen und wieder zurückzugehen; er kam ihm jedesmal nach, ohne daß dabei, wenigstens geschah es nicht mit Absicht, irgendwie pantomimisch nachgeholfen wäre. Ebenso antwortete er auf unvermutete deutsche Fragen, wie z. B. »wie gehts,« mehrfach sinngemäß. Im allgemeinen versicherte Sch... dagegen geradezu auffallend oft, er verstände nichts, wenn man Deutsch zu ihm sprach. Im Widerspruch stand dazu sein aufmerksamer, gespannt forschender Ausdruck, den er durch verstärktes Plappern zu maskieren suchte. Zudem hätte man vielleicht, wenn er wirklich nichts davon verstand, annehmen können, daß er über die immer wieder versuchten deutschen Anreden ärgerlich geworden wäre; auch davon war nicht die Spur zu bemerken.

Die vegetativen Funktionen Sch...s waren sehr gut; er schlief ruhig und lange und aß seine nicht kleine Portion Essen bis auf den letzten Rest auf. Er sprach viel davon, daß er gerne Portwein tränke; nachdem ihm einmal ein Quantum davon mit diagnostischen Hintergedanken verabfolgt war, wurde er etwas lebhafter und gesprächiger, behielt aber sein sonstiges Verhalten bei. Vielleicht sind ihm Bedenken gekommen, ob es zweckmäßig sei, seine Energie durch Weingenuß zu gefährden, er lehnte in der Folge allen Portwein ab, behauptete, er tränke nie Portwein, sprach davon, der genossene Wein sei vergiftet gewesen und überschlug auch zwei Mahlzeiten; übrigens zeigte er dabei nicht den geringsten ängstlichen Affekt.

Zum Schlusse seien noch ein paar Episoden erwähnt, die, wenn sie auch nicht viel beweisen, immerhin nicht uninteressant sind. Um die Wirkung auf Sch... zu sehen, wurde dessen Komplize M..., der sich hier ebenfalls im gesicherten Hause befand, von Ref. veranlaßt, unauffällig vor Sch...s Fenster vorbeizugehen. Sch..., der nichts wußte, daß er beobachtet wurde, rief ihn sofort mit sichtlichem Interesse an, »he he«. Als er aber merkte, daß jener, der sich schon oft über ihn lustig gemacht hatte, ihn nicht ganz ernst nähme, stellte er sich, die Situation schnell erfassend, als Millionär vor, erzählte von seiner Nordpolschulter usw. Er ging indessen nicht vom Fenster weg, solange M... zu sehen war. Kurz vor seiner Zurückführung wurde Sch... einige Male auf den Korridor und auch einmal auf die Abteilung zu den andern Insassen des gesicherten Hauses geführt. Auf dem Korridor erregte eine eiserne Tür mit einem Sicherheitsschloß sein Interesse, und als der Wärter ihm begreiflich machte, daß sie nicht so ohne weiteres zu öffnen sei, gab Sch... seine Meinung dahin zu verstehen, daß dies mit »Pulver« (er sprach das Deutsch) wohl möglich sein müsse. Auf dem Tagesraum, der Sch... von Ref. im Scherz als Millionärklub (wie die Irrenabteilung des Fuhlsbütteler Gefängnisses von den Gefangenen genannt wird) vorgestellt wurde, benahm sich Sch... sehr gewandt und gewann im Nu einige Partien Poker, die er mit einem Patienten spielte. Am Morgen danach erzählte er mir mit vergnügtem Lächeln, er sei Präsident des Millionärklubs geworden.

Am 25. Januar 1909 wurde er in das Untersuchungsgefängnis zurücktransportiert.

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Als Resultat der Irrenanstaltsbeobachtung wurde von mir am 3. Februar 1909 das folgende schriftliche Gutachten abgegeben:

Der ziemlich mühsamen und zeitraubenden Beobachtung Sch...s steht die verhältnismäßig einfache Beurteilung des Falles gegenüber. Ich pflichte dem Herrn Vorgutachter vollkommen bei, wenn er Sch... für einen Simulanten hält, der sich der Bestrafung entziehen will und vielleicht gehofft hat, aus der Irrenanstalt resp. beim Transport zu entkommen. Ein Täuschungsversuch Sch...s ist aus folgenden Gründen anzunehmen.

Das Bild einer Geisteskrankheit, wie Sch... es darstellt, ist überhaupt nicht bekannt. Er ist in einen der typischen Fehler der Simulanten verfallen, daß er aus Unkenntnis der vorkommenden Krankheitsformen nicht nur einige ganz unwahrscheinliche, besser gesagt, unmögliche Symptome bietet, sondern auch noch das wenige, was an seiner scheinbaren Krankheit überhaupt diskutabel ist, so übertreibt, daß es dadurch wieder seine Glaubhaftigkeit völlig verliert. Ich denke dabei an die produzierten Wahnideen und Halluzinationen Sch...s. Sie sind ja bekanntlich bei sehr vielen Geisteskrankheiten vorhanden und treten mehr oder weniger deutlich und zahlreich, meist allmählich, manchmal aber auch plötzlich auf. Daß aber jemand, der, wie das bei Sch... augenscheinlich der Fall ist, früher nie derartiges merken ließ, plötzlich eine solche Masse von allen möglichen wunderlichen und gesuchten Halluzinationen und Wahnideen (sein Millionärtum, die elektrische Telegraphie mit dem Papst, der Geburtstag der fünf Millionen Jahre alten Seele, die Nordpolschulter) produziert, wie Explorant, das ist im höchsten Grade verdächtig. Bei der Idee von dem vergifteten Portwein vermisse ich einen entsprechenden Affekt, der in diesem Falle, wenn auch nicht als notwendig, so doch als meist vorhanden zu erwarten wäre.

Für Simulation spricht auch das energische Sträuben des Sch... bei der Untersuchung seiner Augen; es erklärt sich wohl daraus, daß er einer verbreiteten, aber nur in kleinem Umfange richtigen Laienansicht folgend, glaubte, man könne an ihnen sehen, ob er geisteskrank sei oder nicht.

Man hat ferner gar nicht den Eindruck eines schwer Geisteskranken bei Sch..., im Gegenteil hatte sein Gebahren immer etwas Komisches, was er auch selbst empfinden mochte, denn es schien mir manchmal, als ob er nur mit Mühe das Dekorum wahre. Daß er die nötige Unverfrorenheit besitzt, alles glaubhaft machen zu wollen, wovon er sich Vorteil verspricht, zeigen die Erklärungen, die er abgab, als bei ihm die beträchtliche Geldsumme, die Pistole, die Laterne, die Dietriche und der Diamant gefunden wurden.

Unter den obenerwähnten geradezu unmöglichen Symptomen verstehe ich den während der Haft eingetretenen Verlust der früher bekannten deutschen Sprache und das ebenfalls in dieser Zeit entstandene Hochziehen der ehemals geraden Schulter. Beide Symptome sind, was ihre Erscheinungsform und ihre Entstehungsweise anlangt, derartig, daß sich in der Tat kaum darüber diskutieren läßt.

Will man noch positive Beweise, daß es sich um Simulation handelt, so glaube ich auch dieser Forderung genügt zu haben; ich erinnere daran, daß Sch... seine Schulter frei bewegen konnte und sie sinken ließ, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, und daß er die Worte »fufzigtausend« und »Pulver« aussprach, und deutschen Aufforderungen Folge leistete. Hier möchte ich noch daran erinnern, daß ihm, dem angeblichen Amerikaner, bereits früher einmal eine kleine Entgleisung mit der deutschen Sprache passiert ist, indem er das Polizeiprotokoll vom 29. Juni 1908 mit »J bin,« statt »J am« unterzeichnete.

Erschwert wurden die Nachweise der Simulation erheblich durch die ganz außerordentliche Energie, mit der Sch... seine Rolle durchführte. Allerdings hat er sie nicht allzuschwer gewählt, denn das Englische ist ihm offenbar durch mehrjährigen Gebrauch völlig geläufig und gewohnt, die unbequeme Schulterhaltung erleichterte er sich etwas durch das Einwickeln in Decken, das kleine Verschiedenheiten weniger hervortreten ließ, und die Produktion der »Wahnideen« erfordert schließlich nicht viel mehr als etwas Phantasie und Dreistigkeit. Nach dem Bisherigen ist wohl anzunehmen, daß Sch... noch längere Zeit versuchen wird, mit seinen Täuschungen durchzudringen.

Nun wäre noch die Frage zu erörtern, ob Sch... nicht, trotzdem er die Haupterscheinungen seiner Geistesstörung simuliert, vielleicht psychisch alteriert ist, denn es ist eine Erfahrungstatsache, daß Simulationsversuche von Geisteskranken manchmal, von Minderwertigen sogar mit Vorliebe, unternommen werden. Für diese Auffassung fehlt indessen jeder Anhalt. Sch... hat, bis er plötzlich im Untersuchungsgefängnis sein jetziges Verhalten anfing, auf niemanden den Eindruck eines geistig abnormen Menschen gemacht, so daß es wohl eines weiteren Eingehens auf diesen Punkt nicht bedarf.

Indem ich meine Absicht dahin ausspreche, daß Sch... zurzeit lediglich simuliert, habe ich mich damit auch bereits über seine Zurechnungsfähigkeit mit bezug auf die ihm zur Last gelegten Straftaten ausgesprochen, denn es liegt kein Grund vor anzunehmen, er habe sich damals in einem andern Geisteszustande befunden, als jetzt.

Ich gebe somit mein Gutachten dahin ab: Sch... befand sich zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlungen nicht in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen wurde.

— — —

Im Gefängnis setzte Sch... nach Abschluß der Irrenanstaltsbeobachtung das Spiel fort; er spektakelte immerfort, zerriß seine Sachen und trieb sein Toben namentlich des Nachts oft so arg, daß ihm, um einigermaßen Ruhe zu bekommen, die Fesseln angelegt wurden. Dies machte die Sache aber nur noch schlimmer. Hatte er bis dahin mit Fäusten an die Tür geschlagen, so bombardierte er sie jetzt mit dem Schließeisen. Es blieb nichts anderes übrig, als ihm die Fesseln wieder abzunehmen und die Zwangsjacke anzuziehen. Diese konnte er nun natürlich nicht dauernd tragen, und als er wieder aus ihr herauskam, benutzte er die Freiheit seiner Arme dazu, einem Aufseher mit einem Holzmesser zu Leibe zu gehen, das ihm dann mit Gewalt abgenommen werden mußte.

Während dieser Zeit wurde Sch... für 20 Tage vom Untersuchungsgefängnis in das Strafgefängnis Fuhlsbüttel überführt, um dort nachträglich die im Jahre 1907 vom Landgericht Altona gegen ihn wegen Verletzung der Wehrpflicht erkannte Strafe zu verbüßen.

Im Mai 1909 fand die Hauptverhandlung gegen Sch..., wegen des Einbruches in dem Kleidergeschäft, vor einer Strafkammer des Landgerichts Hamburg statt. Sch... wurde gefesselt vorgeführt, befand sich aber trotzdem anscheinend in recht guter Laune, schwatzte unaufhörlich Englisch vor sich hin, schüttelte Telegramme aus den Beinen, hielt die linke Schulter in die Höhe gezogen und ließ das Gericht tun, was es wollte. Nachdem sowohl der Gerichtsarzt, als auch Ref. das Verhalten des Sch... als Simulation erklärt hatten, wurde er zu zwei Jahren sechs Monaten Zuchthaus, fünf Jahren Ehrverlust und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht verurteilt.

Ende Juni desselben Jahres kam endlich für Sch... der Tag, an dem vor dem Schwurgericht in Hamburg über seine Geldschranksprengung verhandelt wurde. Der Amerikaner, wie er von dem Herrn Staatsanwalt bei dieser Gelegenheit, zur Unterscheidung von einem ähnlich wie er heißenden Mitangeklagten, genannt wurde, erschien mir erregter und gereizter, als das vorige Mal, auch war die Stimmung offenbar weniger gut und er sah schlecht aus. Seine Rolle aber spielte er mit derselben Virtuosität weiter, so daß nicht nur bei den Geschworenen, wie aus ihren Fragen hervorging, immer wieder die Ansicht auftauchte: »Vielleicht ist das, was wir sehen, doch wirklich Krankheit,« – sondern daß selbst ein zufällig anwesender Gerichtsarzt mit längerer psychiatrischer Erfahrung für einen Augenblick Ähnliches dachte, wie er mir erzählte. Die Gutachten der ärztlichen Sachverständigen lauteten aber wie das vorige Mal, und Sch... wurde unter Einbeziehung der vorigen Strafe mit einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre mit Zulässigkeit von Polizeiaufsicht belegt.

Und nun geschah das Wunderbare: Unmittelbar nach Verkündung des Urteils, ¾ Jahr nach dem Beginn von Sch...s »Geisteskrankheit«, sank die hohe Schulter herab, wurde die Haltung wieder gerade, kehrten Besinnung und Vernunft zurück, war auch die Muttersprache dem Pseudo-Amerikaner wiedergegeben und es erklärte Sch..., er habe die Sache, d. h. das Simulieren, satt, seine Hoffnung sei gewesen frei zu kommen. Endgültig hatte er aber anscheinend doch noch nicht auf die ihm liebgewordene Rolle verzichtet, er fing nach einigen Tagen wieder an, thörichte Behauptungen aufzustellen wie, er sei zu Irrenhaus verurteilt und ginge deshalb nicht ins Zuchthaus. Der so erfahrene wie mißtrauische Gefängnisbeamte, unter dessen Oberaufsicht Sch... stand, gab seine Meinung dahin ab, Sch... scheine sich das Simulieren, wenn auch in anderer Form als bisher, für die Strafhaft vorbehalten zu haben. Wie wir sehen werden, behielt er damit Recht.

Die Sache ließ sich gleich gut an. Bei seiner Einlieferung in das Zuchthaus füllte Sch... das ihm vorgelegte Formular eines Lebenslaufes folgendermaßen aus:

Lebenslauf. des Sch...

Tag der Aufstellung:
14 Juli 1909.
Wo erzogen?(Bei den Eltern oder wo?)
über die ganze Weld
Welche Schule haben Sie besucht und wie lange?
Hofnarr Schule 10 Monate
Bei wem in die Lehre getreten?Wie lange gelernt?
Ich bin selber Meister
Wo und wie lange beim Militär gedient? Welchen militärischen Rang erreicht? Gerichtliche Strafen beim Militär:ih
habe niht gedind
Wieviel Vermögen besitzen Sie? Beziehen Sie eine Rente oder Pension und in welcher Höhe?
ih lebe von mein Geld
Verheiratet seit:Stand des Vaters des Ehegatten:
ne ih habe ne Braut
Seit wann in Hamburg?
25 Jahre
Wo haben Sie zuletzt über eine Woche in Arbeit gestanden? Wann sind sie dort entlassen? Wo haben Sie sich seitdem aufgehalten? Wieviel  haben Sie durchschnittlich wöchentlich verdient?
In Amerieca bei Präciedand Roseveld als Hofnarr ih bin von selber weh gegangen.100 Dollar in zwei Stunden
Vorstrafen im Zivilleben: (Wann, wo, weshalb und welche Strafen?)
3 Wohen Gefängnis Weil ich eben 1902 in Vlensburg Denisch sprag
Welche strafbare Handlung haben Sie jetzt begangen?
Schucoladen Otto (sein Tatgenosse bei dem Kleiderdiebstahl, Ref.) hat mein Zeuh gescholen und darum solt ih nah der Irnantstalt aber jest bin ih hir her gekomen
Wie sind Sie zu dem Begehen Ihrer Straftat gekommen?
In Wansbek auf den Banhof hat Schucoladen Otto mein Kofer gesolen und is do mit nah Hanover gefaren. und jes is er in Lannhorn und is für gemeingeferlich erklärt weil mein Zeuh genomen hat und Lebenslänglih in Langhorn und komt über haubt nih mer raus.
 
(gez.) X. Sch...

— — —

Nachdem er sich so eingeführt hatte, versuchte Sch..., seiner energischen Natur entsprechend, sich zunächst auf wirksamere Weise, als durch Fortführung seiner Amerikaner-Rolle, zu helfen.

In der Nacht zum 15. Dezember 1909 machte er einen Ausbruchsversuch, der beinahe von Erfolg gekrönt war. Nachdem er sich aus dem übergebenen Arbeitsmaterial (Hosen für das Waisenhaus) Kleider angefertigt hatte, grub er sich (man denke in einer Nacht!) mit einem Bandeisen seines Bettes durch die Gefängnismauer, stieg an einer aus dem Bett gefertigten Leiter hinab, versuchte mit derselben Leiter die Außenmauer zu übersteigen, wurde aber dabei von dem Posten bemerkt und angerufen. Da er nicht antwortete, schoß der Posten und veranlaßte ihn, sich in den Hof zurückzuziehen, wo er in einer Gemüsemiete versteckt aufgefunden wurde.

In seiner Arbeitshose fand man einen Zettel folgenden Inhaltes:

»An Director

ih versuhe auszubrechen wen es mir Glükt dan werden ihn woll die Hare zuberge stehen aber vergesen sie nur den Schmerz ih liebe eben sogut meine Freiheit wie sie solte ih erschose sin dan werden sie einen Brief um meine Hals finden bite schiken sie den nah meiner Mutter lasen sie an keinen beamten ihre Rahe aus den mir könen sie hier niht halten ih bin schon 6 mal aus gebrohen 10 mal schwerere Zuhthaus wie dies ih werde ales in der Zeitung schreiben was ich erlebt habe in Untersuhunggefängnis den aus Deutschland gehe ich no niht raus.

Rache. X. Y. Sch... alias Frank S...
(Hier stehen einige Gaunerzeichen.)

Im Jahre 1910, bis in das folgende hinein, geben nur einige Bemerkungen der Gefängnisbeamten Kunde von Sch...s Ergehen. Seine Arbeit war zwar genügend, die Führung aber schlecht (es wurden in seinem Besitz gelegentlich ein Schraubenzieher, ein Messer gefunden, er schrieb Kassiber usw.), der Herr Anstaltsgeistliche schrieb: »Lügt und simuliert und ist durchaus unempfänglich für alles Höhere,« das Gesamturteil lautet: »Ein höchst gefährlicher Mensch, dabei unwahr bis in die Fingerspitzen.«

Um die Mitte des Jahres befand er sich zur Erholung 14 Tage im Lazarett, er wollte von seinem Ausbruch nichts wissen und behauptete, in der Mauer sei ein Mann, der ihn immer photographiere.

Dann gehen die resignierten Äußerungen weiter: »Es ist durchaus nichts mit ihm anzufangen und er redet oft verworrenes Zeug,« »Ihm nötigt nur ihn scharf anfassende Gewalt Achtung ab.«

Anfang 1911 hielt ich den Fall, den ich aus der Ferne immer mit Interesse begleitet hatte, für abgeschlossen vom psychiatrischen Standpunkte aus und hatte nur noch den Wunsch, Sch... selbst noch einmal eingehend zu sprechen, um positive Beweise dafür zu bekommen, daß Sch... nicht geistige Abnormitäten schwererer Art aufwiese. Diese Feststellung hatte er mir seinerzeit während der Irrenanstaltsbeobachtung durch sein unsinniges Gebahren unmöglich gemacht, wiewohl aus seinem »geordneten« Vorleben geschlossen wurde, daß er lediglich simuliere.

Als dem Sch... mein Wunsch, zu dem er seine Einwilligung geben oder versagen konnte, mitgeteilt wurde, erklärte er sich zunächst einverstanden, dann scheint in ihm die Hoffnung aufgestiegen zu sein, die Gelegenheit anderweitig ausnutzen zu können, und er verweigerte die Unterredung. Was er sich dachte, wurde bald deutlicher: er forderte entlassen, oder in die Irrenanstalt versetzt zu werden.

Diese Äußerung und eine Erregtheit im Benehmen, als ob er »aus dem Häuschen« wäre, veranlaßten die erneute Untersuchung durch den Herrn Gefängnisarzt und als deren Folge im April die Verlegung ins Lazarett, die erste Stufe zur Irrenanstalt. Natürlich verstand man ihn im Lazarett auch, und als er deshalb immer wieder drängte: »Bitte, Herr Dr., schicken Sie mich nach Langenhorn, ich will hier mit der Anstalt nichts mehr zu tun haben, ich kann dann auch von da besser fortkommen,« hielt man ihm vor, er hoffe wohl von Langenhorn aus leichter entweichen zu können, er habe ja auch schon von Fuhlsbüttel einmal einen Ausbruchversuch gemacht. Sch... überhörte, was man ihm, im Falle er in die Irrenanstalt käme, zutraute, und erklärte in bezug auf seinen Fluchtversuch aus Fuhlsbüttel: »Das ist mir schon 1000mal gesagt. Ich weiß von einem Ausbruch nichts. Ich verlange, aus dieser Anstalt entlassen zu werden, meine Strafe ist vorbei.« Diese Behauptung stellte er, oft in recht erregtem Tone, immer wieder auf. Gründe dafür wußte er freilich nicht anzugeben, er drückte sich um die Frage nach ihnen mit allgemeinen Redensarten herum, berief sich wohl auch auf seinen »instinktiven Geist«, oder seine »höhere Seele« und eine »Kraft«, die ihm das gesagt habe und flüchtete sich, wenn man ihm energisch auf den Leib rückte, dahinter, er habe nicht nötig Auskunft zu geben, er verweigere sie. Mit der Frage, wie es um seinen Geisteszustand stände, hat Sch... sich anscheinend oft beschäftigt; eine Lösung, von der ich annehme, daß sie ihm die vorteilhafteste schien, hat er wohl aus demselben Grunde ausführlich und klar in einem Mitte April verfaßten Lebenslauf niedergelegt. Lassen wir ihn selbst erzählen. Er berichtet, nach seiner ersten Verhaftung sei er auf die Polizeiwache gekommen:

»... da bin ih 14 Tage gewäsen und bin dan auh frei gekommen aber wärent der zeit in der ...wache bin ih eines Nachs in die Zelle durch den Kakelofen gebrochen da bin ih auf den Koriedor, wolte oben auf den Boden rauf und da hat mir die Nachtaufseherrin gesehen und die hat dan geschriehen da sind die Aufsehers gekommen die haben mir dan hinter die Klosettür gefunden da haben sie gesagt ih solt raus kommen da bin ih gekommen habe aber die Hende nah forne gehalten damit sie sehen solten das ih mih freiwillich ergebe (den ich greife keinen Menschen an) da habe ih aber fon hinten so einen sümftigen Schlag auf den Kopf bekommen das ich sofort zuboden wiel und da haben die mir soschandhaft gehauen und mit Tüsen getreten das ih geglaubt habe ih müste mein Geist auf geben und ih bin festüberzeuht wen es niht für den Oberaufseher seine Trau gewäsen were hätten die mir dot geschlagen den die Trau hat den Sebel aus den Aufseher seine Hand gerissen und hat gesagt wen die mir noch einmal schlagen täten, tät sie den Aufseher ein mit den Sebel hin hauen. da haben die mir die Hende auf der Rüken geschlosen mih zu Boden geworfen dan haben die Segelgarn genommen mir dis um die füse gebunden die füse rükwers nach meinen Rüken rauf gezogen und dan das Segelgarn an meine Hende gebunden und dan hat mir der Oberaufseher noch ein par mall mit den fus im Bauch geträten und da hat seine Trau zu ihn gesagt das du ein Aas bis hab ih gewust aber das du so ein Biest bist das hab i niht gewust. dan haben die mir liegen lassen gleih da nah hab ih meine besinnung verloren bin dab wieder auf gewacht und da habe ich die ganze Nacht so gelegen was ih da aus gehalten habe das könte keine Teder beschreiben am morgen haben die mir die eisen ab genommen bin nah 3 Fage frei gekommen und jeder der mih früher gekant hat und mih wieder gesehen hat der hat zu mir gesagt mensch was is mit dir los du siest ja aus wie der Tot. das zeiht wie ih die eine Naht geliten haben mus. und ih glaube auh das das damals mein Geisteszustand zerstört hat den ih war nahdem ih frei kam manhmal ganz stumpfsinnig ganz dum wuste manhmal garnih das ih überhaubt lebe, wurde bald nachdem in Bremen mit eine Dame verhaftet. Wen ih aus die Bahn in Bremen stieg kam da ein Krimienal und fruh mih ob ih fon Hamburg komme da bin ih sofort in ein Stumpfsin gefalen die selbe anfäle die ih schon gemerkt habe gleih nach meiner entlassung aus der ...wache, wiegesagt ih wurde ganz dum und wuste überhaubt nih das ih lebe mir schwebte das ales sowie im Fraum formir. fon Bremen bin ih nah Hamburg in das Untersuchung Gefängnis gekomen da kann ih höchstens 1 Mamat gewesen sein und da habe ih folstendich meinen Verstand Verloren. Ich habe for meinen Verhaftung in der ...wache niemals etwas gemerkt das ih jemals Geistes zerstört war und darum glaube ih auch das meine Geisteskrankheit woran ih geliten habe von die schandhafte Grusellhafte Nacht die ich in der ...wache zugebracht habe herstamt. Ich habe jest meinen Narmalen Geist wieder wie ih ihn for meine Verhaftung in der ...wache gehabt habe Und wen mir Gerechtigkeit gegeben wird könnte kein Arz einen wahren Grund an geben, das ih jest noch Geisteskrang bin. Ich erkläre mih jest als fölich Geistich gesund.«

Ich habe diese Erzählung des Sch... wörtlich angeführt, nicht etwa, weil ich sie für wahrheitsgetreu hielte, sondern weil so ihre Tendenz am besten zum Ausdruck kommt. Diese wird verständlich, wenn man sich folgendes vergegenwärtigt. Die Strafe für den Einbruch in das Kleidergeschäft hat für Sch... keine Bedeutung mehr, die hat er abgebüßt; diese Straftat kommt deshalb in Sch...s Erklärung überhaupt nicht vor. Aber für die Sprengung des Geldschrankes, die er nicht leugnen kann, hat er noch mehrere Jahre abzumachen. Die einzige Möglichkeit, auf legalem Wege um diese Strafe herumzukommen, läge also in dem Nachweis, daß er zur Zeit der Tat geisteskrank gewesen sei. Da er es bis zu seiner ersten Verhaftung, wie zweifellos durch Zeugen zu beweisen, nicht gewesen ist, so muß die Behandlung, die ihm auf der Wache bei einem fast gelungenen Fluchtversuch nach seiner ersten Verhaftung zuteil geworden sein soll, dazu herhalten, als Ursache seiner Geisteskrankheit hingestellt zu werden. Die Begründung ist nicht ungeschickt: daß schwere Schläge auf den Kopf eine Geisteskrankheit herbeiführen können, wird jedem einleuchten. Fehlt allerdings jede Spur eines Nachweises, daß er die Schläge auf den Kopf tatsächlich erhalten hätte, ganz abgesehen davon, daß, wenn er wirklich bei der Gelegenheit nicht besonders sanft angefaßt worden sein sollte, wohl sein Verhalten dazu Veranlassung gegeben haben wird; einen fliehenden Verbrecher kann man natürlich nicht mit Komplimenten zurückhalten und daß Sch... nicht zu den Harmlosen gehört, hat sich ja zur Genüge gezeigt. Die Geisteskrankheit Sch...s durfte sich aber nicht nur auf die Zeit der Tat beschränken, sie mußte längere Zeit darüber hinaus dauern, denn sein wunderliches Verhalten während der Untersuchung bedurfte, wenn er es nicht als Simulation bekennen wollte, unbedingt derselben Begründung.

Soweit ist alles logisch ganz gut durchdacht; aber die Sache ist psychiatrisch nicht einwandsfrei. Daß die von Sch... gezeigten Symptome sich nicht in den Rahmen einer klinischen Krankheitsform, insbesondere der einer traumatischen Erkrankung des Zentralnervensystems einfügen wollen, darf ihm nicht zu schwer angerechnet werden, das konnte er nicht so genau beurteilen. Wie aber will er die plötzliche Genesung nach dem Urteil erklären? Ich glaube nicht, daß sie einem Laien als Gegenstück zu der plötzlichen Erkrankung wahrscheinlich vorkommen wird; wissenschaftlich ist sie unmöglich.

Daß Sch... in jedem einzelnen Punkte so, wie oben angeführt, seine Schlüsse gezogen hätte, will ich natürlich nicht behaupten, wer ihm aber im Ganzen ein derartiges Räsonnement nicht zutraut, der unterschätzt, glaube ich, sein Urteilsvermögen, das, wie sich später herausstellte, recht gut ist. Es wird ihn auch instand gesetzt haben, einzusehen, daß er mit seinen Erklärungen doch wohl nicht die Freiheit erreichen würde, und so ist ihm als das Nächtsbegehrenswerte die Irrenanstalt erschienen.

Das eigenartige Verhalten, das er im Fuhlsbütteler Lazarett auch fernerhin zeigte, gab Veranlassung, ihn Ende Mai in die Irrenanstalt Langenhorn zu verlegen. So erhielt ich doch noch ausgiebige Gelegenheit, die früher geplante Nachuntersuchung auszuführen. Es lag mir einerseits daran zu erfahren, wie sich Sch ... zu seinem Verhalten während der Untersuchungs- und Strafhaft stellen würde, sodann auch besonders daran, sein allgemeines geistiges Niveau festzustellen.

Ersteres erschwerte er mir durch die oft wiederholte Behauptung, er könne sich an nichts erinnern, der Gedächtnismangel war aber sehr ungleichmäßig, bald war ihm ganz Wesentliches entschwunden, bald zeigte er sich genau bekannt mit allerhand Nebensächlichem, überhaupt verwickelte er sich in Widersprüche. Er beteuerte, keine Ahnung davon zu haben, daß er schon einmal in Langenhorn gewesen sei und Ref. nicht zu erkennen, fragte aber ganz unvermittelt darnach, ob sein früherer Komplize, den er hier gesehen hatte, noch da sei und erkundigte sich auch nach anderen Gefangenen, die inzwischen hier in der Irrenanstalt gewesen waren. Er wollte seine Kenntnisse über alle nur aus Erzählungen in Fuhlsbüttel haben. Daß dies sicher nicht die einzige Quelle seines Wissens über Langenhorn war, ging daraus hervor, daß er mit einem über die Zelle, in der sie nacheinander gelegen hatten, gesprochen haben wollte, er bezeichnete sie ganz richtig als die neben der Badestube. Er war jetzt wieder darin und gab auch zu, er »könne sich denken«, daß er sich an sie erinnere.

Von den Hauptverhandlungen, in denen er verurteilt war, wußte er angeblich gar nichts, bei anderer Gelegenheit erzählte er unbefangen, es sei schon lange her, daß er verurteilt sei, im Juni und im Mai habe er Termin gehabt. Den Namen der Garderobenfirma, bei der, angeblich ohne sein Wissen, eingebrochen worden war, die aus dem Geldschrank erbeutete Summe (um einige Mark abgerundet) und andere Dinge, die sich dem Gedächtnis doch verhältnismäßig schwerer einprägen, als der Aufenthalt in Langenhorn und die Hauptverhandlungen, wußte er ohne weiteres anzugeben. Setzte man ihm mit unerwünschten Fragen zu, so nahm Sch ... eine zusammengekauerte Haltung an, zitterte, rieb sich wie frierend die Hände, zog die Stirne kraus, kniff die Augen zu und stotterte beim Sprechen. Der Affekt, den er dabei zeigte, war nur mäßig und machte einen unnatürlichen Eindruck. Ganz anders gab er sich, wenn er sich unbeobachtet glaubte, oder durch angeregtes Gespräch abgelenkt wurde. Dann verschwand alles Gezwungene, er sprach frei von der Leber weg, übrigens mit vielen Amerikanismen, seine Augen wurden groß und leuchtend, sein ganzes Aussehen und Benehmen war, man kann nicht anders sagen, durchaus sympathisch. Auf meine Frage, wann er nach Amerika ausgewandert sei, machte er erst Einwände: »... Das kann ja alles nachgeforscht werden, da kriegen Sie aber auch nicht die Wahrheit zu wissen, aber jedenfalls bin ich nicht in dem Maße mit Ihnen verwandt, Sie werden mir auch nicht Ihre ganze Vergangenheit erzählen, wenn ich Sie frage.« Dann aber berichtete er doch. Mit 19 Jahren (das stimmt ungefähr mit den früheren Angaben seiner Mutter) sei er als Trimmer von Deutschland fortgefahren, habe ungefähr in der Mitte zwischen Valparaiso und St. Francisco Malaria bekommen und sei in St. Francisco weggelaufen. Hier habe er 7 Wochen in einem Kupferbergwerk gearbeitet und sei dann wieder krank geworden bei dem schlechten »Quecksilberwasser«. Er sei nun nach Redding gefahren, wo er wieder in einer Mine war, dann zurück über Sacramento nach Reno. Von da nach Elko, wo er an einem Tunnel arbeitete, weiter nach Ogden, Cheyenne, Denver. Dort habe er am Bahnhof an einem großen Restaurant gearbeitet, aber keine Ruhe mehr gehabt, sei bald wieder krank geworden von dem schlechten Wasser und zurück ins Lazarett nach St. Francisco gegangen. Später sei er wieder nordwärts nach Portland (Oregon) gezogen, wo er Bäume fällte, dann nach Seattle, wo er wieder Minenarbeiter war und ein ganzes Jahr aushielt. Von Seattle sei er nach Spocane gefahren, habe dort aber nicht gearbeitet, da er noch Geld, ca. 30 Dollar, hatte. Er fuhr deshalb nur durch. Gewaltig hat ihm auf der Weiterreise Helena imponiert, das sei keine »gemeine« Stadt, dort wohnten all die Millionäre, er sei nur einen Tag dortgeblieben, da er keine Arbeit fand. So ging die Reise weiter nach Butte und über Bismarck nach Minneapolis und St. Paul. Cleveland und Buffalo (N. Y.) waren weitere Stationen für Sch..., dann kam er schließlich nach New York, von wo er 1908 nach Deutschland zurückgekehrt sein will. Die Städte die er nannte, konnte er ohne Schwierigkeiten auf dem Atlas auffinden, folgt man seinen Spuren, so sieht man, daß es ihm auf ein paar Meilen nicht angekommen ist. Das sei so Mode drüben, er habe auch keine Ruhe gehabt, weil er krank war, übrigens sei das nicht teuer gewesen, da er viel als blinder Passagier gereist sei, oft mit allerlei Lebensgefahren. Über seinen Arbeitsverdienst drüben sprach er sich lobend aus. Als Minenarbeiter habe er 2½ Dollar täglich verdient, als Essenträger für »sporting girls« sogar 5 bis 6. Auf den Einwurf, in Amerika seien die Bedarfsartikel auch teuer, meinte er: »Ach, das kann man nicht sagen, für 2 Dollar und ½ kauft man drüben Stiefel, die hier 14 Mark kosten. Die Zigarren sind ja teurer als hier; Eier sind wieder billig; Bier kostet drüben nur 5 Cent, hier 10 Pf., also doppelt soviel; Arbeitshosen kann ich drüben für 50 Cent kaufen, kriege also für 2 Dollar und ½ fünf Paar.« Er gab freilich zu, daß, wenn er viel Geld verdient habe, er auch viel verjubelt habe und rühmte im Anschluß daran die Prohibitivgesetze einiger Staaten. Z. B. daß in manchen der Alkoholverkauf verboten wäre, sei sehr gut, dadurch werde manche Familie vor Not und Elend bewahrt. Selbst der Verkauf von Zigarrettenpapier sei in einzelnen Staaten verboten. Meine Vermutung, daß derartige rigorose Verbote doch nicht durchzuführen seien und nur die Heuchelei großzüchteten, wollte er nicht gelten lassen. Die Heuchelei sei hier schlimmer als drüben; dort sei der Mensch überhaupt freier und werde besser behandelt. Sogar die Behandlung in den Zuchthäusern sei – wie er nur gehört habe – weit besser. Während der Gefangene hier vor jedem Beamten stramm stehen müsse, habe er das dort nicht nötig und in Sing-Sing gäbe es z. B. früh, statt des hier üblichen Schwarzbrotes, gebratene Eier oder Steak. Die Frage, ob er in Amerika nicht selbst im Gefängnis gewesen sei, verneinte er, und als ich ihm den in seiner Hose in Fuhlsbüttel gefundenen Abschiedsbrief vorzeigte, in dem er sich brüstet, sechsmal aus zehnmal schwereren Zuchthäusern ausgebrochen zu sein, erklärte er: »Nee, das habe ich nicht geschrieben, da weiß ich nichts von und denn ... ach Donnerwetter noch mal, ordentlich Frank S... unterschrieben! ... Nee, da weiß ich nichts von.«

Die nochmalige eindringliche Frage, ob er wirklich in Amerika nicht bestraft sei, beantwortete er etwas bitter: »Herr Dr., ich bin drüben immer ehrlich gewesen; man glaubt es mir natürlich nicht, und wenn es anders wäre, würde ich es auch nicht sagen, das kann mir wohl kein Mensch verdenken.« Man wird ihm darin rechtgeben müssen.

Auf die amerikanische Freiheit, die oft unser Gesprächsthema bildete, ließ Sch... nichts kommen: »Das ist egal, ich bleibe dabei, drüben ist es besser, der arme Mann hat dort mehr Rechte.« Daran erinnert, daß amerikanische Millionäre, welche zu Mördern wurden, nach den Zeitungsberichten durchweg straffrei geblieben seien, äußerte er:

»Dann konnten sie auch wohl nicht in dem Maße verantwortlich gemacht werden, es gibt doch Fälle, wo z. B. bei einem Diebstahl der Dieb, im Vergleich zu dem Bestohlenen, viel zu sehr leiden muß. Während der Bestohlene seinen Schaden schon bald vergißt, muß der Dieb vielleicht Jahre im Gefängnis schmachten. Der Bestohlene hat doch keine Ahnung von den Seelenqualen, die der Dieb für seinen Diebstahl durchmachen muß. Ich will mal annehmen, da ist Vater und Sohn, der Vater ist alt und will nichts rausrücken, der Sohn kann aber ohne das Geld nicht weiter kommen und findet nun Leute, die seinen Vater ins Irrenhaus einsperren lassen. Der Sohn meint nun, er ist in seinem Recht gewesen, er weiß aber nicht, welche Seelenqualen sein Vater erdulden muß. Es gibt überhaupt Menschen, die gar nicht Recht und Unrecht unterscheiden können, sie sehen immer bei anderen Leuten das Verkehrte, aber nicht ihre eigenen Fehler. Wenn ich z. B. Schach oder Dame spiele, sehe ich die Fehler, die ich mache, auch nicht so leicht, als wenn ich hinter andere Spiele stehe und zugucke, die Fehler, die die dann machen, die sehe ich aber gleich. Und so ist es auch im Leben, man sieht immer die Fehler der anderen gleich, aber nicht seine eigenen. In Chicago ist es interessant, da hat sich ein Verein gegründet, University Brotherhood, die glauben an Seelenwanderung, sie behaupten, was als Mensch lebte, kommt auch nach dem Tode wieder zurück, wenn auch in anderer Form. Und an eine gerechte Vergeltung; wenn ich Gutes tue, kriege ich auch Gutes wieder, wenn ich Böses tue, werde ich auch wieder schlecht behandelt. Die Leute sagen aber auch, daß viel zu hart bestraft wird, ich habe da einer Versammlung beigewohnt.«

»Daß Millionäre zu Mördern werden, kommt wohl nicht oft vor, die Reichen halten aber mehr zusammen, ich liebe deshalb den armen Mann auch nicht; wenn er Vorteile hat, wird er immer seinen Genossen verraten. Die Reichen halten aber zusammen und denn hat das Kapital ja auch überall die Macht, das ist hier ja doch ebenso. Der Reiche verratet aber seinesgleichen nicht; sehen wir z. B. die Freimaurer ... Die Richter haben drüben aber weniger zu sagen, als wie hier, sie stecken nicht wie hier mit Rechtsanwälten und alles unter einer Decke.«

»›Haben Sie schon von den Nightriders gehört?‹« fragte ich ihn, um seine Aufmerksamkeit auf eine Nachtseite des amerikanischen Rechtslebens zu lenken: »Das sind ungebildete Menschen, die Leute runterschießen, solche Menschen gibts in Deutschland auch, solche Leute nenne ich Briten.«

»›Die allgemeine Sicherheit ist aber doch größer in Deutschland‹«, wendete ich ein:

»Das sehe ich noch nicht ein.«

»›Eine Gewissensfrage, Herr Sch...: Ein Dieb erbricht einen Geldschrank, der Besitzer wird durch den Lärm aufgeweckt und kommt mit der Nachtlampe in der Hand dazu, der Dieb, der einen Revolver hat, schießt auf den Besitzer, halten Sie das für richtig?‹«

»Nein, das ist nicht gut. Das war bei mir ja auch das Schlimme, daß man bei mir den Revolver fand. Aber erstens war ich es gewohnt, einen Revolver zu tragen, und dann bin ich ein Mensch, wenn ich z. B. an einem Schaufenster stehe und ich sehe da was liegen, was mir gefällt, das muß ich mir kaufen und wenn ich es auch gar nicht gebrauchen kann, das ist so 'ne Neugier. Aber einen Menschen erschießen, nee, das möchte ich nie tun, denn, ob man Gutes oder Böses tut, es kommt immer wieder auf einem zurück.«

»›In Ihrem Falle glaubte man sich zu dem Mißtrauen berechtigt.‹«

»Ja, mich hat man auch ungerecht behandelt, weil ich mich nicht verteidigen konnte als Geisteskranker. Sie haben mich auch noch für geistesgesund erklärt, das durften Sie auch nicht tun, denn ein Irrenarzt kann wohl sagen, ob einer geisteskrank ist, aber nicht, ob einer nicht geisteskrank ist.«

»›Ich spreche nach meiner Überzeugung.‹«

»Ich behaupte, ich war geisteskrank, sonst hätte ich mich verteidigen können; dann hätte man mich auch nicht ins Zuchthaus bringen können, wozu ich nicht verurteilt bin.«

»›Waren Sie damals wirklich so schief und lahm?‹«

»Ach (ärgerlich), da weiß ich nichts mehr von, ich bleibe aber bei meinen Gedanken, Sie haben mich für geistesgesund erklärt und mich mit Ihr Urteil festgesetzt. Ihre Interessen galten Ihnen mehr als meine Interessen. Ich behaupte, ich war krank.«

Wenn wir auf dieses Thema kamen, konnten Sch ... und ich uns nicht einigen. Sonst war ganz gut mit ihm auszukommen. Er wollte zwar von den Patienten des gesicherten Hauses nicht viel wissen, vermutlich um sich nicht ihnen gegenüber eine Blöße zu geben, sondern er blieb lieber in seiner Zelle, hier aber verhielt er sich so ruhig und geordnet, daß er Anfang Juli zur Weiterverbüßung seiner Strafe wieder in das Zentralgefängnis überführt werden konnte. –

Ich glaube nur wenige epikritische Bemerkungen hinzufügen zu sollen, denn der Fall spricht meines Erachtens durch seinen ganzen Verlauf, welcher gerade deshalb bis ins Einzelne hinein beschrieben wurde, für sich selber.

Daß ein Fall einer sehr energischen, über mehr als 9 Monate sich erstreckenden und in dieser Zeit nicht ohne einen gewissen Achtungserfolg betätigten Simulation vorliegt, ist zweifellos. Daß mit dieser Simulation erhebliche psychische Abnormitäten, die Simulation und Geisteskrankheit annehmen ließen, nicht verbunden sind, wird ebenfalls kaum bestritten werden. Verschieden wird vielleicht nur beurteilt werden, ob nicht schon ein derartig langer und tatkräftig durchgeführter Versuch, Geisteskrankheit vorzutäuschen, ein Zeichen einer beträchtlich gestörten Geistesverfassung sei. Ich glaube, auch auf Grund anderweitiger Erfahrungen, diese Frage verneinen zu dürfen. Daß nicht einzelne psychische Defekte, wie sie ja die meisten Abenteurer und Verbrecher aufweisen, auch bei Sch ... sich vielleicht, was besonders unter dem Einfluß der Haft möglich wäre, noch herausstellen sollten oder jetzt schon zu finden wären, will ich nicht behaupten, dies aber ändert nichts an der Tatsache, daß diese psychischen Schwächen nicht entfernt ausreichen würden, um der Gesamtpersönlichkeit des Sch ... den Stempel des Krankhaften aufzudrücken. Ich bin deshalb der Meinung, daß wir einen nicht nur äußerst hartnäckigen, sondern auch verhältnismäßig reinen Fall von Simulation vor uns haben, wie er nicht gerade häufig ist.

Möge hierin eine Berechtigung, ihn zu veröffentlichen, gefunden werden.


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