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Rede auf Schiller

Gehalten in der feierlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Wissenschaften am 10. November 1859.

Als Petrarca vor schon fünfhundert Jahren von Frankreich aus zu Köln, damals der größten deutschen Stadt, unsern Boden betrat, zog ihn ein Schauspiel an, wie es seine Augen nirgendwo erblickt hatten. Es war Johannisabend, er sah Scharen des Volks wallen an des Rheines Ufer, zierlich gekleidete, mit Kräutern gegürtete Frauen ihre weißen Arme aufstreifen und zum Strom tretend unter Gesängen oder leise gemurmelten Sprüchen diese Kräuter in die Flut werfen. Auf sein Befragen erfuhr dann der fremde Gast, es sei ein althergebrachter Brauch, den man alljährlich wiederhole, auch in künftigen Zeiten nicht unterlassen dürfe. Dem Volksglauben gelte für wahr, daß mit den eingeworfnen, rheinab fließenden Kräutern (und vermutlich waren dazu bestimmte auserlesen) alles Unheil des nächsten Jahrs weggeschwemmt werde. Diese schöne Sitte, deren genaue Schilderung uns entgeht, deren wirksame Übung der welsche Dichter vom Rhein auch nach der Tiber verpflanzt wünschte, ist dennoch nachher wie das meiste aus unserer Vorzeit erloschen; neue Feste treten an die Stelle der alten. Welchen ausländischen Mann nun heute sein Weg durch Deutschland an einem oder dem andern Ende geführt hätte, seinem Blick wären in allen oder fast allen Städten festliche Züge heiterer und geschmückter Menschen begegnet, denen unter vorgetragnen Fahnen auch ein prächtiges Lied von der Glocke erscholl, selbst dramatisch dargestellt wurde. Der frohernste Gesang, die gewaltige Fassung, hätte ihm jeder Mund berichtet, sei von unserer größten Dichter einem, dessen vor hundert Jahren erfolgte Geburt an diesem Tage eingeläutet und begangen werde. Glocken brechen den Donner und verscheuchen das lange Unwetter. Ach könnte doch auch, wie mit jenen Blumen das Unheil entfloß, an hehren Festen alles fortgeläutet werden, was der Einheit unseres Volkes sich entgegenstemmt, deren es bedarf und die es begehrt!

Des unsterblichen Sängers uns schon in Vorahnungen einigendes Andenken zu feiern, ist die Aufgabe. Wer die Geschichte durchforscht, muß die Poesie als einen der mächtigsten Hebel zur Erhöhung des Menschengeschlechts, ja als wesentliches Erfordernis für dessen Aufschwung anerkennen. Denn wenn jedes Volkes eigentümliche Sprache der Stamm ist, an dem alle seine innersten Kennzeichen sich dartun und entfalten, so geht ihm erst in der Dichtung die Blüte seines Wachstums und Gedeihens auf. Poesie ist das, wodurch uns unsere Sprache nicht nur lieb und teuer, sondern woran sie uns auch fein und zart wird, ein sich auf sie niedersetzender geistiger Duft. Eines Volkes Sprache, welchem keine Dichter auferstanden sind, stockt und beginnt allmählich zu welken, wie das Volk selbst, dem solche Begeisterung nicht zuteil ward, zurückgesetzt und ohnmächtig erscheint gegenüber den andern sich daran erfreuenden. Der einzelne Dichter ist es also, in dem sich die volle Natur des Volks, welchem er angehört, ausdrückt, gleichsam einfleischt, als dessen Genius ihn die Nachwelt anschaun wird, auf den wir Mitlebenden aber schon mit den Fingern zeigen, weil er unsere Herzen gerührt, unsern Gedanken Wärme und kühlenden Schatten verliehn, einen des Lebens Geheimnisse aufdrehenden Schlüssel gereicht hat. Diese Sätze sind genau, und nichts läßt sich davon abdingen, doch ruht aller Nachdruck im heimischen Grund und Boden, dem sich kein auf ihm geborner Mensch entzieht und den fremde Fußtritte entweihn. Fremde Dichter können uns lange gefallen, sie waren aber immer noch nicht die rechten, und sobald der rechte in unserer Mitte erschienen ist, müssen sie weichen. Auf weltbürgerlicher Stelle mag ich bewundern, was das Ausland, was das Altertum erzeugte, von Kindesbeinen an stehn uns griechische und römische Muster als Mahner oder Hüter zur Seite, sie dringen uns das ungeheuchelte Bekenntnis ab, daß nichts darüber hinausgehe, und doch fühlen wir unermeßliche zwischen ihnen und den Forderungen unsers eignen Lebens zurückbleibende Kluft. Einer unserer alten Dichter, als er eben die Herrlichkeit vergangner, nie wiederkehrender Zeit geschildert hat, ruft aus: ich möchte doch nicht dabeigewesen sein, wenn ich jetzt nicht wäre! Damit erkennt er das Recht und den Vorzug der Gegenwart an, die uns zu anderm hintreibt, zu anderm rüstet und waffnet, durch anderes erhebt und erstärkt als die Vergangenheit. Wer wollte den alten Dichtern anhängen, wenn er die neuen um sie müßte fahren lassen?

Längst waren uns Sprache und Dichtkunst der eignen frühen Vorzeit ausgestorben, und nur Trümmer sind davon übriggeblieben, die lebensvollen Gedichte des Mittelalters drückte träge Vergessenheit; als endlich der Staub wieder von ihnen abgeschüttelt wurde, vermochten sie nicht mehr warm an das Volk zu treten, aus dessen Augen das Bild einer großen einheimischen Poesie entschwunden gewesen wäre, hätten es nicht plötzlich zwei fast unmittelbar am Horizont des vorigen Jahrhunderts aufleuchtende Gestirne hergestellt und unsern Stolz von neuem emporgerichtet. Ohne sie hätte unsere Literatur doch nur niedere Stufen einnehmen können, durch sie ist sie zu den höchsten erhoben worden. Nach langem Ausruhn brachte die Natur diese beiden Genien hervor, deren Glanz sich über die Grenzen ihres Vaterlands, über das gesamte Europa ausbreitete, das ihnen nichts mehr an die Seite zu stellen hat; ihre Werke sind bereits vorgedrungen in alle Sprachen, denen heute die Macht lebendiger, ausgebildeter Rede beiwohnt. Was braucht es mehr?

Goethe und Schiller stehn sich so nah auf der erhabnen Stelle, die sie einnehmen, wie im Leben selbst, das sie eng und unauflöslich zusammen verband, daß unmöglich fiele, in der Betrachtung sie voneinander zu trennen. Zwar geht Goethe an Alter seinem Genossen um zehn Jahre voraus und überlebte den zu früh Geschiednen noch zwanzig Jahre hin. Nachdem, wie zu geschehn pflegt, sie erst eine Zeitlang sich nicht nähergetreten und fast aus dem Wege gewichen waren, wurde ihr Beisammensein wiederum ein volles Jahrzehnt desto vertrauter und gewissermaßen sich bedingend. Hatte Goethe anfangs Schillers treibende Kraft gemieden, dieser in jenes Ruhe sich nicht gleich finden können, so äußerten hernach beide, in ergiebigster Fruchtbarkeit ihrer Werke begriffen, wechselweise förderlichen, für unsere Literatur den heilsamsten Einfluß aufeinander. In vielem einverstanden oder auch sich verständigend, wandelte jeder von ihnen seine eigne Bahn, und je sichtbarer diese abwichen, desto mehr ist ihnen gelungen, sich auf das erfreulichste auszufüllen und zu ergänzen.

Selten wohl fließen dem Beobachter eines großen Dichterlebens so nachhaltige und ungetrübte Quellen wie für sie beide. Nicht nur in ihren mannigfachen Werken ist eine Fülle von Aufschlüssen über das, was sie bewegte, enthalten, sondern ihre Briefe, die man der Welt mit vollem Fug nicht versagt hat, gewähren die lautersten und willkommensten Bekenntnisse. In Goethes Dichtung und Wahrheit aus seinem Leben, in dieser unvergleichlichen Selbstschilderung, reihn sich kostbare Nachrichten über das von früher Jugend her Erlebte an Mitteilungen, die er uns von seinen Freunden und Bekannten macht, schade nur, daß sie gerade für die Zeit des engen Bunds mit Schiller versiegen. Beide Dichter, in dem weiten Umfang ihrer vielseitigen und unerschöpflichen Gaben sind sodann auch von einsichtigen Männern so fruchtbar verglichen und erwogen worden, Am geistreichsten von Gervinus im fünften Bande, der Krone seines Werks. daß es schwer halten müßte, den Ergebnissen solcher Forschungen Neues oder Wichtiges hinzuzufügen, ihre Gedichte sind uns nun so geläufig, daß unmöglich wäre, am heutigen Tag schlagende Stellen aus ihnen anzuführen, die nicht allerwärts in Mund oder Gedanken schwebten. Nur darf eins dazu beherzigt werden. Wie bei genauer Zergliederung jedes in seiner Art vollkommenen und musterhaften Gegenstands notwendig einzelne Unebenheiten und Mängel erscheinen, wird auch der am edelsten und glücklichsten gebildete Mann doch hin und wieder Schwächen kundgeben und selbst damit den wahrhaft menschlichen Grund und Beruf seines lebendigsten Wesens nicht verleugnen. Diese Fehler oder Narben pflegen aber allmählich zurückzutreten und mit dem Glanz seiner vorragenden Eigenschaften zu verwachsen, so daß sie der Schönheit und Würde des Ganzen weiter keinen Abbruch tuend die Zutraulichkeit des uns vortretenden Bilds noch ausbündiger machen.

Ohne Zweifel äußern Landesart und in frühen Jugendjahren eingesogne, um nicht zu sagen angeborne Gewöhnungen in dem übrigen Leben unauslöschliche Wirkung; deshalb liegt es für die nähere Beleuchtung der Eigentümlichkeit beider Dichter nicht ab, von einem landschaftlichen Unterschied auszugehn. Riehl in seinem schönen Buche von den Pfälzern, in welchen er fränkisches und alemannisches Blut, doch mit Vorgewicht des ersten, gemischt findet und absondert, hat den heutigen Franken für rührig, geschmeidig, lebensklug erklärt, den Alemannen, von Schwaben bis in die Schweiz hinein, für stolz, trotzig, grübelnd, demokratisch. Nun erscheint uns auch Schiller ein empfindsamer, phantasiereicher, freidenkender Schwab, Goethe, ein Franke, mild, gemessen, heiter, strebsam, der tiefsten Bildung offen. Man darf weitergehn und diese Beiwörter zunächst noch in andere, ihnen entsprechende oder verwandte umsetzen, jenen sehn wir dem sentimentalen, dramatischen Element, diesen hingegen dem naiven und epischen zugewandt, Schiller wird idealistisch, Goethe realistisch gesinnt. Schiller farbiger, Goethe einfacher heißen dürfen, und sollte hier einmal eine Ähnlichkeit aus unserer älteren Poesie anschlagen, so würde sich Goethes kristallne Klarheit mit Gotfrieds von Straßburg, Schillers geistiger Aufflug mit dem Wolframs von Eschenbach wohl vergleichen lassen. Bedeutsam aber und aufs glücklichste vermittelnd war, daß sie beide nach Thüringen gezogen wurden und in diesem, mehr als sonst ein anderes deutsches, freundlichen und anmutenden Lande ihr Leben zubrachten, gerade wie schon im Mittelalter der thüringische Hof deutsche Sänger aller Gegenden um sich versammelt, in Schutz und Pflege genommen hatte. Sodann erklärt sich, warum in Süddeutschland Schillers, besonders die früheren Gedichte großen Anklang, die von Goethe ausgedehnteren Beifall im Mittlern und nördlichen Teil fanden, eigentlich aber wurde die Poesie beider Dichter zusammen bald die wohltätigste Einung aller Enden des Volks, ein wahrer Schlußstein für die längst entschiedne, fortan unabänderliche Herrschaft des hochdeutschen Dialekts. In hochdeutscher Sprache geht gewissermaßen auf, was in den übrigen Mundarten sich entgegentrat, und in Goethes und Schillers Gedichten sind ja auch die eben an ihnen wahrgenommenen Gegensätze vielfach geschwunden, so daß, andere Schriftsteller hinzugehalten, dieser naiv und jener ideal erscheinen muß.

Wie erschüttert und aufgerührt von den mannigfaltigsten Eindrücken des äußern Lebens, von den innern Regungen der Literatur war die Zeit, in welcher diese Dichter, jung und freudig, ihre Schwingen entfalteten und emporhoben. Unser darauf gefolgtes Geschlecht, wahr ist's, hat schwerere und größere Tage gesehn, wir waren gebeugt unter Feindesjoch, und unser Nacken ging wieder frei daraus hervor; unsere Geschicke liegen unerfüllt, aber wir stehn gestärkt und schaun in Zuversicht dem Künftigen entgegen. Damals, im zweiten Teil des vorigen Jahrhunderts, lebten alle Gemüter noch sorglos auf schwankender Decke der Erwartungen, auf flutender See heißer, unsicherer Wünsche. Noch unverhallt war der Jubel, daß Preußens großer König die Übermütigen zu Paaren getrieben und Deutschlands eigne Kraft lebendig behauptet hatte; dann trat die Befreiung Amerikas dazwischen, von Frankreich her am fernen Himmel und immer näher begann der Donner seiner Umwälzungen zu rollen. In der Literatur war auf den enthusiastischen Klopftockischen Zeitraum, der unserer Sprache Adel und Selbstvertraun eingehaucht, doch mit dem Erhabnen zu verschwenderisch hausgehalten hatte, Lessings tiefere Einwirkung erfolgt, vor der eine Schar von verjährten Irrtümern die Segel streichen mußte; die geistige Unabhängigkeit des Volks war von Grund aus neugefestigt, auf die Lauterkeit des klassischen Studiums und zugleich auf das heimische Altertum gedrungen, wenn auch nicht mit zureichenden Mitteln. Die Bekanntschaft mit Shakespeare, die Verdeutschung Homers, die Entdeckung Ossians steigerte und verbreitete auf Weg und Steg einen überströmenden Wechsel aller Eindrücke, Kants männlichstrenge Philosophie fing an, die empfängliche Jugend auch wieder abzutrocknen und ernst zu stimmen. Als nun Goethe und nicht lange hernach Schiller im eigentlichen Sinn dieses schönen Worts erschienen und unter uns wandelten, zeigte sich, wohin ihr Fuß getreten war, lebendige Spur; diese Kraft war noch unbändig und ungeheuer, sie begann sich bei Goethe bald, bei Schiller langsam zu beschwichtigen und dann je länger je mehr ungeahnte Wunder auszurichten. Das aber war vom ersten ihrer Erzeugnisse an nicht zu verkennen und wurde bis in ihre letzten fortgefühlt, daß hier Reichtum der Gedanken, Wärme der Empfindung, Leichtigkeit des Auffassens und außerordentliche, vorher noch gar nicht dagewesene Sprachgewalt zusammentrafen.

Wir rühren wieder die uralten zwei Hauptgattungen der Poesie an, in welchen sie sich neue Bahn zu brechen hatten, Epos und Drama, denn von der lyrischen Dichtung, deren Quelle sich zu keiner Zeit stopfen ließ, wird weniger zu reden nötig sein. Nun ist es wahr, daß der durchsichtige, nie stillstehende Fluß eines gewaltigen Ereignisses, von dem einmal das Volk durchdrungen gewesen sein mußte, hinter welchem Strom der Dichter ganz verschwindet, unserer neuen Zeit viel weniger zusagt. In dem Drama tritt uns die Begebenheit selbst unmittelbar und leibhaftig vor Augen, so jedoch, daß sie nicht einfach einherschreite, sondern mit und aus allen innern, sich sonst bergenden Triebfedern enthüllt werde, d. h. sie muß geschürzt sein und Lösung empfangen. In solchem Schürzen oder Verflechten liegt eben der ganze Reiz der Handlung, sei es daß der Knoten auseinander entwirrt oder von der Hand des Schicksals durchhaun werde, die dramatische Verflechtung ist es, die den Zuschauer einnimmt und seiner selbst vergessen macht, ohne sie würde er gar nicht in Spannung geraten noch darin dauern. Hinter jeder Rolle steckt und steht aber der Dichter.

Es sei gestattet, einen Augenblick und ganz kurz den Blick rückwärts nicht weiter, als in den Beginn des vorigen Jahrhunderts zu richten. Wenn man Gellerts poesielose Orgons und Damonsstücke liest (und ich lese sie schon der sauber gehaltnen Sprache wegen nicht ohne Vergnügen), so zeigt sich darin, selbst in seinen Schäferspielen, dramatisches Geschick. Vollen Gegensatz zu ihm macht Klopstock, dieser geniale Dichter konnte sich nie aus dem Pathos losreißen, und seine biblischen Trauerspiele wie die Hermannschlacht sind immer undramatisch, die gemiednen Verse statt der gewählten Prosa, woneben er unaufhörlich Oden einschaltet, würden ihm weniger hinderlich sein. Die Hermannschlacht gemahnt dennoch zuweilen an Goethes Götz, dem sie nur ein paar Jahre vorausging. Desto entschiedner und von eingreifender, hinhaltender Wirkung ist Lessings hohe Gabe, bei ihm sind nicht bloß Funken, die Flamme des Dramas glüht bis herab auf seine unnachahmlichen Bedienten- und Zofenrollen, die er so fein aus dem Leben greift, während in Minna, Emilia und im Nathan durchgehends eine bisher unerhörte Kraft der Verwicklung bewundert werden muß. Sichtbar zu sehn ist schon in Schillers Fiesko Einfluß der Emilia, noch stärkern hatte Nathan auf Don Carlos, das erste von Schiller in Versen geschriebne Stück, und diese Verse, so weit hinter den flüssigen der Braut von Messina sie bleiben, sind doch beträchtlich besser gebaut als die Lessingischen. An sich aber tat seiner ausnehmenden dramatischen Begabung gleich von Anfang an die prosaische Form weder in den Räubern noch in Kabale und Liebe den geringsten Eintrag; in allen Tragödien, die er dichtete, liegt sie ebenso ungeschwächt am Tage, ja der von ihm widerwillig vollendete, vielmehr liegengelassene Roman des Geistersehers erregt durchgehends anhaltende drastische Spannung. Man kann nur sagen, daß Schiller im Wallenstein, zumal dem Lager, hernach im Tell die höchsten Ziele erreichte und wahre Befriedigung zuwege bringt; nicht ganz gleich stehn ihnen Maria Stuart, die Jungfrau und die Feindlichen Brüder, zum Teil aus Gründen, die hier unerörtert bleiben müssen; es ist kein Zufall (wie der freilich große, daß er auf einen und denselben Tag mit Luther geboren war), daß auch ohne es zu wissen, noch darauf auszugehn, die einheimischen Stoffe ihm allermeist, minder die aus fremder Geschichte entlehnten gelangen. Für Komödie zeigte er weder Neigung noch Beruf, er war vollkommen ein tragischer Dichter. Was aus seinen unvollendet hinterlassenen, fast nur entworfnen Stücken, dem Demetrius, Warbeck und den Maltesern geworden wäre, steht kaum zu ermessen, nach dem eben vom deutschen Stoffe Gesagten, nach der Langsamkeit, womit er über diesen Entwürfen brütete, aber läßt sich annehmen, daß uns weit ein größerer Verlust betroffen hätte, wenn Wallenstein liegengeblieben wäre.

Zum Wallenstein hat ihn auch Goethe mit Rat und Tat ermuntert, wie er ihn nachher bei allen seinen späteren Arbeiten unterstützte. Dieser mächtige Geist, besten Überlegenheit zu fühlen und anzuerkennen Schiller gar nichts kostete, so sehr ihm anlag, seine eigne, besondre Natur festzuhalten, war von Grund aus ein anderer, verschiedner. Goethe gab sich lieber der behaglichen Erzählung hin, als daß es ihn auf tragische Anhöhn getrieben hätte, und selbst in seinen Dramen, die einem solchen Ausgang entgegengeführt werden, hört man nicht so oft den Boden schüttern und dem Schlusse nah das Gebälk der Fabel erkrachen, als es der Tragödie gemäß gewesen wäre. Schon im Götz, der ersten aller seiner großen Konzeptionen, die losgelassen ist und ungezähmt gleich den Räubern, wohnt viel ein milderes, schöneres Maß, und drei oder vier Umarbeitungen, die der Dichter zu verschiedner Zeit damit vornahm, um das Werk bühnengerecht zu machen, dieser fortgesetzte, jedesmal anziehende Versuch des Umgießens bezeugt es, wie schwer Goethe von den undramatischen Bestandteilen abließ, deren das Stück voll war, das sich auch nicht auf den Brettern behaupten konnte. Nicht eben anders sind im Egmont, den Schiller einmal unschonend für das Theater zuschnitt, die Auftritte aneinandergereiht, und Tasso, an Empfindungen des Dichters so reich und in dessen Innerstes Blicke werfend, hat nur schwach wirkende dramatische Handlung, in der Iphigenie ist sie bedeutender, und wie mild glänzt der Dichtung Schluß. In der Eugenie hingegen folgen die einzelnen Szenen unverflochten hintereinander, und kein anderes Werk Goethes ist kälter ausgenommen worden, obschon es die Fülle von wahren Betrachtungen und Empfindungen über die Weltlage enthält, es sollte weiter fortspinnen und der Plan liegt uns vor, die Ausführung unterblieb; einige kleinere, ältere Stücke, die Mitschuldigen oder die Geschwister sind dramatischer entwickelt. Ganz seinem epischen Trieb überließ sich Goethe in Hermann und Dorothea oder selbst im Reineke, welchem das gangbare niederdeutsche Gedicht überall Grundlage bot; Unausführbares zu wagen, war sonst des Dichters Sache nicht, nur daß er eine Achilleis begann, die beim ersten Gesang stehngeblieben ist, und von der man sagte, daß sie keinen Vers enthalte, den Homer hätte können brauchen, auch eine früher gewollte Nausikaa kam nicht zum ersten Angriff. Von Schiller ist zwar berichtet, daß er epische Gedichte zu versuchen gedachte, bald Friedrich den Großen, hernach Gustav Adolf besingen wollte, er hat nicht einmal Hand angelegt, wohl aber nicht unterlassen, seinen Freund zu Hermann und Wilhelm Meister aufzumuntern, über dessen Anlage und Abfassung der Briefwechsel beider Dichter reichliche Mitteilung enthält. Was soll man von dem großartigsten aller Gedichte Goethes überhaupt sagen, das zu gewaltig ist, um in irgendeinen andern Rahmen zu gehn? ich meine Fausts ersten Teil, den er selbst nicht zu vollenden vermochte, wie er begonnen war, und welchen die fernste Nachwelt anstaunen wird; für ihn gibt es keine Regel als die selbeigne, in ihm mangeln auch höhere dramatische Kunst und Vollendung nicht. Es ist aber auch einzusehn, daß in den Goetheschen Romanen, an die wiederum ihr eigner Maßstab will gelegt sein, namentlich im Meister und in den Wahlverwandtschaften, die Erzählung von kunstreich und lebendig, beinah wie im Drama waltenden Elementen gestützt und getragen, großen Aufwand und Gelenksamkeit der Verwicklungen entfaltet, obschon ein epischer Ton vorherrscht, von dessen Anmut in Schillers Geisterseher so gut wie gar nichts zu spüren war. Vorhin wurde in Schiller der sentimentale, in Goethe der naive Zug angenommen, womit Zusammenhängen dürfte, daß jenem im voraus die Darstellung von Männern, diesem die der Frauen gelingt, eben weil die Frau gern naiv oder nach Kants Ausdruck empfindlich bleibt, der Mann leicht empfindsam wird. Mit Gretchen, Käthchen, der Mignon und Ottilie läßt sich nichts bei Schiller vergleichen, der hoch die Würde der Frauen sang, wogegen Goethes Egmont, Brackenburg, Meister, Eduard schwächere Naturen sind als Wallenstein und Tell. Daher rührt, daß Frauen stärker von Schillers Männern, Männer von Goethes Frauen sich angezogen fühlen. Überhaupt betrachtet erscheint das tragische Talent in Schiller entschiedner und größer als in Goethe, der vielleicht, wenn er sie hätte anbaun wollen, zur Komödie bedeutendes Geschick gehabt hätte.

Bei Goethe überwog die Anziehungskraft der Natur, und er hat auf Pflanzen, Steine, Tiere und auf die Physiologie insgemein lange, ernste Studien gerichtet, die Farbenlehre mußte ihn mitten unter Philosophen und Naturforscher leiten, die hier seinen Beobachtungen und Ergebnissen fast zu wenig einräumen. Schiller dagegen, obgleich er anfangs Medizin studiert und getrieben hatte, was nicht ohne Einfluß auf seine Entwicklung blieb, fühlte sich zu Geschichte, Politik und zu philosophischem Nachdenken aufgelegt. Der Geschichte führte ihn schon seine äußere Stellung nachher in Jena entgegen, und beim Fiesco, Carlos, Wallenstein und den meisten übrigen Dramen hatte es vielfacher historischer Forschung bedurft; es ist wahr, daß er gern wieder davon abbrach, sobald das Nötige erlangt war und er ausschließlich zur dramatischen Arbeit selbst zurücklenken konnte. Die historische Schule gesteht ihm in ihrem Fach nichts Eigentümliches von Wert und Gehalt zu, ist aber doch nachzugeben gezwungen, daß eben durch ihn in Deutschland der geschichtliche Vortrag lebendiger, und daß dem großen Publikum vorher wenig bekannte Gegenstände, die Begebenheiten des Abfalls der Niederlande und des Dreißigjährigen Krieges nunmehr geläufiger wurden, was sodann auch gründliche Forschung anderer Gelehrten zur Folge haben mußte. Grüner in seinem Briefwechsel mit Goethe erzählt, daß er diesem einmal den Dreißigjährigen Krieg habe leihn müssen, hernach ihn bis zu Tränen darüber bewegt angetroffen habe: durch erneute Lesung des Buchs mochte das Andenken an den verstorbnen Freund überaus lebhaft erregt worden sein. Bemerkenswert ist, welchen unverwischbaren Eindruck die dramatische Ausprägung historischer Gestalten überhaupt hinterläßt, so wie Shakespeare englische Könige, Schiller Wallenstein, Tell, Maria, Johanna dargestellt haben, haften sie in der Leute Gedanken, allen Erinnerungen der Geschichtsforscher zum Trotz. Die Eingebung des Dichters schreitet über diese hinaus, und es kann nicht anders sein, auch die griechischen Tragiker haben Gewalt über das, was wirklich geschah und geben uns gleichsam eine verklärte, höhere Wahrheit.

Das Gebiet der Philosophie beschritt Schiller, nachdem ihm schon früher Spinoza zu tun gemacht hatte, mit größerem Eindruck und Erfolg, seit, wie bereits oben erwähnt wurde, Kants Lehren sich immer stärker Bahn brachen, namentlich in Jena durch Reinhold verbreitet waren. Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft veranlaßte Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen und hernach die schöne Abhandlung über naive und sentimentale Dichtkunst, worin, was bereits Gervinus angemerkt hat, der volle Gehalt des bald darauf herrschend werdenden Unterschieds zwischen klassischer und romantischer Poesie steckte. Diese bedeutungsvollen, von lebhafter Denkkraft zeugenden Grundlagen ließen sich gern auf Anwendungen, wie sie nur der Dichter machen konnte, ein, sie waren es, die Goethes Aufmerksamkeit nicht entgingen und den engen Bund beider Männer heranführten. Schiller, dem es nicht an Kants Gerüste genügte, strebte dessen Abstraktionen objektiver zu machen und die reine Spekulation auch mit den Stoffen und Formen zu paaren; diese Ergebnisse wurden sein völliges Eigentum und gingen weiter, als der Königsberger Weltweise Vordringen konnte, der ohne eigentliche und genaue Bekanntschaft mit den Dichtern war. Poesie und Philosophie, finde ich, haben ein großes Merkmal zusammen gemein, das daß sie Werkzeug und Ausrüstung bei sich selber tragen, nicht wie andere Wissenschaften erst auf äußere Quellen und Vorgänger zurückzuschaun brauchen. Jeder wahre Philosoph muß immer von vorn anfangen, sein System auf eigne Hand und Unterlage errichten, ohne die es bald wanken und zusammenbrechen würde; der Dichter hat nicht lange Vorbereitung nötig, keine Buchgelehrsamkeit noch Zulieferung, plötzlich hebt er seine Stimme, und aus seiner Kehle schallt, was ihm der Genius eingab, ihm mag das erste, zweite und alsobald das dritte Examen geschenkt werden, damit nicht die Prüfer vor dem Geprüften den kürzeren ziehn müssen. Neben dieser wesentlichen Unmittelbarkeit und dem autokratischen Gehalt aller dichterischen und philosophischen Schöpfungen erscheint aber der wichtige Unterschied, daß dem Dichter auch eine sofortige Einwirkung auf das Volk zusteht, dem Philosoph nur eine langsamere gestattet ist. Denn jener geht gerades Wegs auf das Gemüt der einzelnen los, die philosophische Lehre hat gleichsam erst Zwischenräume zu durchdrinden und läuft Gefahr, sich in zunftmäßigem Dogmatismus unterdessen abzuschwächen. Auch Dichterschulen entspringen, sind aber stets ohne nachhaltigen Einfluß und nach überstandner Langweile fast unschädlich geblieben. Aristoteles, der harte Kopf, wurde noch bis in das Mittelalter hinein von den Mönchen gelesen, welche Frucht durfte er damals bringen? Besser, den sie nicht mehr fassen konnten, er wäre vollends aus ihrer Hand geblieben zu einer Zeit, wo Homer und die griechischen Tragiker in langem, dumpfem Schlummer lagen, der beim Wiedererwachen der Klassiker ihrer ewigen Frische nichts benahm.

Vielfach ist der Glaube unserer beiden großen Dichter schnöde verdächtigt und angegriffen worden von seiten solcher, welchen die Religion statt zu beseligendem Friede zu unaufhörlichem Hader und Haß gereicht. Zu den Tagen der Dichter war die Duldung größer als heute. Welche Verwegenheit heißt es, dem der blinder Gläubigkeit anheimfiel, oder sich ihr nicht gefangen gab, Frömmigkeit einzuräumen und abzusprechen; der natürliche Mensch hat, wie ein doppeltes Blut, Adern des Glaubens und des Zweifels in sich, die heute oder morgen bald stärker bald schwächer schlagen. Wenn Glaubensfähigkeit eine Leiter ist, auf deren Sprossen empor und hinunter, zum Himmel oder zur Erde gestiegen wird, so kann und darf die menschliche Seele auf jeder dieser Staffeln rasten. In welcher Brust wären nicht herzquälende Gedanken an Leben und Tod, Beginn und Ende der Zeiten und über die Unbegreiflichkeit aller göttlichen Dinge aufgestiegen, und wer hätte nicht auch mit andern Mitteln Ruhe sich zu verschaffen gesucht, als denen die uns die Kirche an Hand reicht? Jedermann weiß, daß Lessing, sich aus den Bedenken windend, oft ganz unverhalten redet, auf ihn geht die Bezeichnung eines Freigeistes oder Freidenkenden vollkommen so rühmlich als zutreffend, da sie ihrem Wortsinn nach etwas Edles und der Natur des Menschen Würdiges ausdrücken, dem mit freien, unverbundnen Augen vor die Geheimnisse der Welt und des Glaubens zu treten geziemt. Warum verkehren und verunstalten sich doch die besten, reinsten Wörter! Goethe hat sich an zahllosen Stellen, die hier nicht auszuwählen wären, zumeist im Faust, über die Höhn und Tiefen unseres Daseins mit voller Kühnheit dargegeben, andere Male, wo es der Zweck seiner Mitteilungen erbrachte, scheu und behutsam, sein Meister birgt Schätze von Enthüllungen in kräftiger und blässerer Tinte geschrieben; man muß von sich selbst abtrünnig geworden sein, um wie Stolberg solch ein Buch, nach Ausschnitt der Bekenntnisse einer schönen Seele, fanatisch den Flammen zu überliefern. Aus Stellen des dramatischen Dichters läßt sich ja eigentlich kein Beweis gegen ihn selbst schöpfen, weil er in der Rolle der verschiedensten Personen redet, deren Gesinnung er uns aufdecken will, in die er sich versenkt hat, und warum sollte einen Dichter nicht auch sonst Lust oder Bedürfnis anwandeln, sich in Empfindungen anderer Menschen zu versetzen, die lange noch nicht selbst seine eignen sind, dann aber auch nah an diese streifen? In den drei Worten des Glaubens und den drei Worten des Wahns läßt Schiller unverschleierte Blicke in sein Innerstes werfen, schmerzhaft elegische Töne besingen die Götter Griechenlands und den Untergang der Alten Welt, während der Eisenhammer und der Graf von Habsburg sich auch in die Wunder der christlichen Kirche finden. Doch hat ihm diese liebevolle Hingabe an den Gegenstand nirgends den freien Weg seiner Gedanken verschlagen, im Gegensatz zu Philosophen, die sich darauf einlassen, die Lehre der Offenbarung mit ihrem eignen System zu verschmelzen und dann verlorne Leute sind. Unter der Überschrift »Mein Glaube« dichtete Schiller:

Welche Religion ich bekenne? »Keine von allen.
Die du mir nennst.« Und warum keine?

»Aus Religion.«

Die Religion lebt in ihm, und die lebendige ist auch die wahre, vor ihr kann nicht einmal von Rechtgläubigkeit die Rede sein, weil scharfgenommen alle Spitzen des Glaubens sich spalten und in Abweichungen übergehn. Aus Männern, deren Herz voll Liebe schlug, in denen jede Faser zart und innig empfand, wie könnte gekommen sein, das gottlos wäre? mir wenigstens scheinen sie frömmer als vermeinte Rechtgläubige, die ungläubig sind an das ihn immer näher zu Gott leitende Edle und Freie im Menschen.

Nicht anders und fast ebenso wird es um die Vorwürfe stehn, die man wider die Vaterlandsliebe und politische Reife der beiden Dichter ausstreut. Schillers feurige Jugend hätte gern auch in die Räder des raschen Lebens mit eingegriffen, und er fühlte sich gleich vielen andern seiner Zeit vom Ausbruch der französischen Bewegung entzündet; seine Räuber, sein Fiesco glühten schon früher für Freiheit und Menschenwohl, im Posa, der den Held des Stücks überflügelte, steht sein damaliges Weltideal. Als sein Geist sich geklärt und gekühlt hatte, sehn wir ihn allerwärts für Ordnung und Vaterland begeistert in die Schranken treten:

Heil'ge Ordnung, segensreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesell'gen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande.

Im Tell läßt er Attinghausen ausrufen:

Die angebornen Bande knüpfe fest,
Ans Vaterland, ans teure schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft,
Dort in der fremden Welt stehst du allein,
Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.

Für deutsche Freiheit war Wallenstein und Tell entworfen, über dessen Tat sich Stanzen, die das dem Kurfürsten Erzkanzler überreichte Exemplar begleiteten, treffend aussprachen. Der allgemeine menschliche Jubel, den die Chöre des Lieds an die Freude anfachen, wird nie erlöschen. Zu diesen und so großen Wirkungen reicht Goethe nicht an. In Hermann und Dorothea ist ein liebliches Bild des nach zerstörendem Krieg wieder einkehrenden Friedens und des Vaterlands Preis gedichtet. So wenig abgewendet von Deutschland hatte den Dichter der ihn entzückende Aufenthalt in Italien, daß er auch dort seine begonnenen edlen Werke immer bedachte und fortführte, gleich nach seiner Heimkehr sie zu veröffentlichen begann, und der Dichter, der uns 1790 den Faust gab, wäre nicht der allerdeutscheste gewesen? Niemals ist in beiden Dichtern der leiseste Zwiespalt über politische Meinungsverschiedenheit wahrzunehmen, sie waren ihres Strebens für unsere Nation so sicher und sich so bewußt, daß davon keine Rede gewechselt zu werden brauchte.

Fast nur ihrer großen Dichtungen wurde bisher gedacht, noch nicht ihrer lyrischen Gedichte und Romanzen. In schlanken, blanken Liedern ist Goethe unbedenklich überlegen, im Balladenton weichen beide Freunde sehr voneinander ab. Schiller hat eine ganze eigne elegische Stimmung, die auch den Leser schwermütig macht, Goethes Elegien nähern sich schon in ihrer Form der ruhigen klassischen Weise; aber die reizenden Lieder, welche anheben:

Ist der holde Lenz erschienen?
Hat die Erde sich verjüngt?

oder:

Seht ihr dort die altergrauen
Schlösser sich entgegenschauen,
Leuchtend in der Sonne Gold?

oder:

Priams Feste war gefallen,
Troja lag in Schutt und Staub;

oder:

Freude war in Trojas Hallen,
Eh' die hohe Feste fiel;

in ihrem lieblichen trochäischen Fluß üben unwiderstehliche Anziehungskraft und sind unserer jetzigen Bildung vollkommen angemessen; in den Goetheschen Romanzen schlägt dazwischen noch die ergreifendere Volksweise an. Die Glocke, deren Preis gleich eingangs ausgesprochen wurde, ist das Beispiel eines unvergleichlichen Gedichts, dem andere Völker von weitem nichts an die Seite zu stellen hätten. Durch einen von Goethe nach Schillers Abscheiden hinzugedichteten Epilog geht ihr feierlicher Eindruck auf einmal ganz ins Tragische über, beide Dichter wechseln hier die Rolle, der friedliche Klang ward zum Trauergeläute. Goethes lyrische Fülle und sanfte Leichtigkeit bleibt im Ganzen weit mächtiger und auch wirksamer.

Es wäre überflüssig, hier auf diesen Teil der Poesie noch weiter einzugehn, nur eine Art von Gedichten kann nicht unerwähnt gelassen bleiben, an welchen sich die Gemeinschaft der Dichter recht wirksam erzeigt, die Xenien. Sie sollten in der Weise von Martials Epigrammen einmal in der deutschen Literatur aufräumen und die dicke Luft reinigen, was sie ohne Zweifel auch damals geleistet haben. Es sind zum großen Teil triftige und schlagende, oft unbarmherzige Kritiken, schnell und wie es hieß »im Raptus« niedergeschrieben, die scharfe Urteilskraft und das Darstellungsvermögen der vereinten Dichter bezeugend, wie, wenn dieser Stahl glühend ward und sprühte, nicht anders geschieht, auch einigemal ungerecht verwundend. Einzelne können mit Sicherheit weder dem einen noch andern beigelegt werden, was eben von ihnen beabsichtigt war. Aber auch in größeren und eingehenden Beurteilungen haben beide ihr Talent erprobt, Goethe schon früh in den Frankfurter gelehrten Anzeigen, später in der Jenaischen Literaturzeitung. Schillers Rezensionen bilden jetzt eine Zierde seiner gesammelten Schriften, eine bereits vor Goethes näheren Bekanntschaft mit ihm verfaßte, gelungne des Egmont, eine von Bürgers Gedichten, welche diesem sehr wehtat, und auch manches an ihm verkennt, und eine von Matthisson.

Nun wird es am Platz sein, über die Sprache beider Meister einige Bemerkungen anzufügen und die aufrückende Frage nach ihrer Popularität zu erledigen. Wie im vorhergehenden verschiedentlich angedeutet worden, besitzt unleugbar Goethe die größere Sprachgewalt, ja eine so seltne und vorragende, daß insgemein kein anderer unserer deutschen Schriftsteller es ihm darin gleichtut. Wo er seine Feder ansetzt, ist unnachahmlicher Reiz und durchweg fühlbare Anmut ausgegossen. Eine Menge der feinsten und erlesensten Wörter wie Wendungen ist zu seinem Gebot und stets an den eigensten Stellen. Seine ganze Rede fließt überaus gleich und eben, reichlich und ermessen, kaum daß ein unnötiges Wörtchen steht, Kraft und Milde, Kühnheit und Zurückhalten, alles ist vorhanden. Hierin kommt ihm Schiller nicht bei, der fast nur über ein ausgewähltes Heer von Worten herrscht, mit dem er Taten ausrichtet und Siege davonträgt; Goethe aber vermag der schon entsandten Fülle seiner Redemacht aus ungeahntem Hinterhalt, wie es ihm beliebt, nachrücken zu lassen. Man könnte sagen, Schiller schreibe mit dem Griffel in Wachs, Goethe halte in seinen Fingern ein Bleistift zu leichten, kühnschweifenden Zügen. An Schiller klebten, in seiner ersten Zeit, auch noch einzelne schwäbische Provinzialismen, die unerlaubt im reinen Hochdeutsch sind, bei Goethe ist dergleichen nie sichtbar, er schaltet in der Schriftsprache königlich. Seine Prosa wird zum mustergültigen Kanon und bleibt selbst im kanzleimäßigen Hofstil, den er in alten Tagen allzuoft anwendete, gefüge und geschmeidig, seine Poesie gibt bei jedem Schritt überall die reinste Ausbeute, für die Bearbeitung des deutschen Wortschatzes ist es gar nicht zu sagen, wieviel aus ihm allenthalben geschöpft und gewonnen werden könne oder müsse.

Eben darin, daß Schiller in etwas engerem Kreis der Sprache sich bewegt, liegt doch sein stärkerer Einfluß auf das Volk mitbegründet, denn seine Rede weiß alles, was er sagen will, zierlich ja prachtvoll auszudrücken und wird genau verstanden. Von Goethe bekommt man auch einige freilich echte, grunddeutsche, aber vorher unvernommene Wörter, die der Menge noch nicht geläufig waren, zu hören, was seinem Stil etwas Vornehmes verleihn kann, und dennoch hat er einigemal ohne Not und hart geklagt über die Sprache gerade an Stellen, wo er sie am glücklichsten handhabt. Schiller hielt in ihr völlig und glänzend Haus, er wußte lautern Saft aus ihr zu ziehn.

Es sind aber noch andere Gründe, weshalb er den Leuten zusagt, er versteht sie zu sich zu erheben, während Goethe sich auch zu ihnen herablassen kann, bei Schiller, dem auf seiner Höhe thronenden, glauben sie sich emporgerückt. Diesem Dichter blieb das Altertum unserer Sprache und Poesie, mit allen jetzt verlornen Vorzügen fremd, wie das bekannte von ihm über die Minnesänger gefällte grundlose Urteil dargelegt; er hat sich untadelhaft bloß an der heutigen Schriftsprache groß erzogen, deren Macht er so bedeutend steigerte. Seine Lieder halten durchaus den Stil der gebildeten Gegenwart und stehn auf deren Gipfel, was dem Volk gefällt, dem gleichfalls die alte Weise der Vergangenheit fremd geworden ist, und das nur in den jetzigen Standpunkt vorschreiten und sich darin einweihn lassen will. Ein lebhaftes Beispiel kann das berühmte Reiterlied in Wallensteins Lager abgeben, an dessen Stelle ihm Goethe ein anderes, mehr im ehemaligen Volkston gedichtetes entwarf; Boas Nachträge zu Schiller 1, 538. mit richtigem Takt hielt aber Schiller das seinige, dem Ton seiner Dichtung angemessene, fest. Die Menge, auf die ein schönes Gedicht einwirkt, will es gerade mit allen neuen Vorteilen genießen und ist den alten zu entsagen bereit.

Schiller ist und bleibt hauptsächlich auch darum populärer, weil, nach seinem oben dargelegten Vorrang, seine Schauspiele dramatisch mehr ergreifen und auf der Bühne öffentlich wirken, weil sie die Rechte und Freiheiten des Volks sichtbar darstellen, und weil seine Lieder die Würde unserer Natur erhebend allen Menschen die Brust erwärmt und ideale Bilder des Lebens geschaffen haben. Er ist zum hinreißenden Lieblingsdichter des Volks geworden und geht ihm über alle andern.

Nach dieser, hinter dem, was gesagt werden sollte, zurückgebliebnen Betrachtung seiner unvergänglichen Gedichte ist übrig, einen Blick auf sein Leben, auf seinen Ruhm und die Ausgabe seiner Werke zu werfen.

In stürmischer, ungebändigter Jugend konnte neben hochstrebender, freudiger Entfaltung aller Seelenkräfte auch manche harte Stunde des Unmuts und der Entsagung über ihn kommen, einmal im Gedicht »Auch ich war in Arkadien geboren«, überwältigt ihn die Klage:

Da steh ich schon auf deiner finstern Brücke,
Furchtbare Ewigkeit!
Empfange meinen Vollmachtbrief zum Glücke,
Ich bring ihn unerbrochen dir zurücke,
Ich weiß nichts von Glückseligkeit;

und wer kann rührender klagen? Anderwärts sang er:

Erloschen sind die heitern Sonnen,
Die meiner Jugend Pfad erhellt.
Die Ideale sind zerronnen,
Die einst das trunk'ne Herz geschwellt.

Aber diese Empfindungen vermochten nicht auszuhalten, bald muß alle Qual von ihm gewichen sein, und wie die Schatten entfliehn, neue Heiterkeit in breiten Streifen sein Leben wieder eingenommen haben. Ein fruchtbares, von schweren Krankheiten oft gebeugtes und erschüttertes Mannesalter war eingetreten, der innere Mut kehrte ihm in den bessern Tagen stets zurück:

Nun glühte seine Wange rot und röter
Von jener Jugend, die uns nie entfliegt.
Von jenem Mut, der früher oder später
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter
Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt.
Damit das Gute wirke, wachse, fromme,
Damit der Tag dem Edlen endlich komme.

In die schwäbische Heimat war keine bleibende Wiederkehr, kaum Zeit zum Besuch seiner bürgerlich rechtschaffnen Eltern und Geschwister, noch spät pflanzte der Vater rüstig seine Baumschule fort, er, der ein so edles Reis erzielt hatte, und die Mutter spann; von ihrer Gemütsart soll der Sohn vieles an sich gehabt haben, wie beinah alle großen Dichter mehr den Müttern gleichen und ihnen die regere Phantasie verdanken. Thüringen hatte ihm für immer ruhige Stätte, eine glückliche Ehe, häuslichen Friede und Segen gegeben, Erwerb und Gehalt flossen sparsam. Die von Weimars Herzog ausgezeichneten Geistern des Vaterlandes willfährig dargereichte Stütze ist allgemein bekannt und über allen Preis erhaben; daß Schillers äußere Stellung nur knappen Sold gab, läßt sich nicht verhehlen, wie konnte mit einer Einnahme von vierhundert, zuletzt achthundert Talern ausgereicht werden? Fast jeder Staatsdiener zweiten oder dritten Rangs genießt auch in kleinen Ländern eine höhere, und ein großer Dichter wäre sorgenfreies Lebens und der höchsten Einkünfte, die das Land verabreicht, würdig gewesen. Was heute anders sein würde, war damals noch dem herrschenden Brauch entgegen. Berliner Verhandlungen kurz vor seinem Tod waren nicht gediehn.

Nicht einmal drei volle Jahre vorher wurde Schiller der Adel zuteil, und seitdem erscheint der einfache, schon dem Wortsinn nach Glanz streuende Name durch ein sprachwidrig vorgeschobnes »von« verdorben. Kann denn ein Dichter geadelt werden? Man möchte es im voraus verneinen, weil der, dem die höchste Gabe des Genius verliehn ist, keiner geringeren Würde bedürfen wird, weil Talente sich nicht wie Adel oder Krankheiten fortpflanzen, alle Welt aber glaubt es steif und fest, daß Dichter geboren werden, und hier galt es einem als König im Reich der Gedanken waltenden. Schon 1788 hatte Bürger gesungen:

Mit einem Adelsbrief muß nie der echte Sohn
Minervens und Apolls begnadigt heißen sollen,
Denn edel sind der Götter Söhne schon,
Die muß kein Fürst erst adeln wollen,

was leicht besser und stärker ausgedrückt wäre. Dem unerbittlichen Zeitgeist scheinen solche Erhebungen längst unedel, geschmacklos, ja ohne Sinn. Denn ist der bürgerliche Stand so beschaffen, daß aus ihm in den Adel gehoben werden mag, müßte auch aus dem Bauernstand in den des Bürgers Erhöhung gelten. Jeder Bauer kann aber Bürger, jeder Bürger Besitzer eines adeligen Guts werden, ohne daß ihnen die persönliche Würde gesteigert wäre. Ein Geschlecht soll auf seinen Stamm, wie ein Volk auf sein Alter und seine Tugend stolz sein, das ist natürlich und recht; unrecht aber scheint, wenn ein vorragender freier Mann zum Edeln gemacht und mit der Wurzel aus dem Boden gezogen wird, der ihn erzeugte, daß er gleichsam in andere Erde übergehe, wodurch dem Stand seines Ursprungs Beeinträchtigung und Schmach widerfährt; oder soll der freie Bürgerstand, aus dem nun einmal Goethe oder Schiller entsprangen, aufhören sie zu besitzen? Alle Beförderungen in den Adel werden ungeschehn bleiben, sobald dieser Mittelstand seinerseits stolz und entschlossen sein wird, jedesmal sie auszuschlagen. Ein großer Dichter legt auch notwendig seinen Vornamen ab, dessen er nicht weiter bedarf, und es ist undeutscher Stil oder gar Hohn Friedrich von Schiller, Wolfgang von Goethe Geschweige Johann Christoph Friedrich Johann Wolfgang. zu schreiben. Über solchen Dingen liegt eine zarte Eihaut des Volksgefühls. In seine künftigen Standbilder mag nur gegraben werden: SCHILLER.

Man hat eine Schillerstiftung erdacht und schon durch ganz Deutschland verbreitet, der Gedanke ist matt und unbestimmt oder unbeholfen. Wozu auf diesen glänzenden Namen gegründet eine Armenanstalt für mittelmäßige Schriftsteller, für Dichterlinge, denen von aller Poesie abzuraten besser wäre, als sie noch aufzumuntern? Wohl Mühe haben sollen die Verwaltungsräte öffentlich Rechnung ablegend zu rechtfertigen, wer ihrer Wohltaten nach Verdienst teilhaftig geworden sei. Aufkeimende wirkliche Talente sind deren meistenteils unbedürftig, und jede reiche Begabung macht heutzutag, wie ihr Ruf wächst, sich selber Luft. Es wäre wünschenswert, daß aus Anlaß der allgemeinen Feier, die wir begehn, diese ohne Zweifel wohlgemeinten Stiftungen sich besönnen und umschlügen, so daß sie aus dem Ertrag der zugeflossenen Mittel, wie weit er reicht, lieber leibhafte Werke hervorgehn ließen. An mehr als einem Platz, zu Marbach und anderswo, würden von Künstlers Hand geschaffne Bildsäulen Schillers aufzurichten sein und dann einem dauernden Freudenfeuer gleich leuchten im Lande; laßt uns den Kostenaufwand dafür und für die Salbe der Weihe nicht abgefordert werden zur Niederlage in den allverschlingenden, immer hungrigen Armensäckel! Wahrer Dürftigkeit beizuspringen an rechter Stelle und zu guter Stunde, stehn immer fühlende Herzen bereit.

Noch ein anderes, größeres Denkmal unsern Dichtern zu errichten, bleibt in Herausgabe ihrer Werke, wie bisher sie nicht einmal begonnen, geschweige denn vollbracht ist. Der uns heute vor hundert Jahren Geborne ruht nun schon über fünfzig im Schoß der Erde, und seine Gedichte liegen immer nicht so vor Augen, daß wir ihre Folge und Ordnung, die Verschiedenheit der Lesart überschaun, alle ihre Eigentümlichkeit aus sorgfältiger Erwägung ihres Sprachgebrauchs kennen lernen, dann der Textfeststellung in würdiger äußerer Gestalt uns erfreuen könnten. Für Schiller, es ist wahr, ist mehr geschehn als für Goethe, und dieser fällt auch viel schwerer. Die neulich erschienene französische Übersetzung Schillers, geleitet und ausgeführt von Regnier, einem gründlichen Kenner nicht nur unserer heutigen deutschen, sondern auch der altdeutschen Sprache, geht in manchem musterhaft voran. Goethe und Schiller haben ihre Gedichte vielfach umgearbeitet, oft weichen die Texte voneinander ab, wie kaum stärker bei mittelhochdeutschen Gedichten, und nicht überall wird man die neue Lesart der alten vorziehn, es ist aber notwendig und höchst belehrend, beide und alle Texte, soviel es gibt, zu kennen. Was die über kurz oder lang zu bewerkstelligenden kritischen,dann die noch eher entbehrlichen, ganz zuletzt das Werk krönenden Prachtausgaben aufhält und hindert, ist die monopolische Berechtigung und Bevorzugung des dermaligen Verlegers, der schon mehrfache und zahlreiche Abdrücke der Schillerschen Werke veranstaltet und abgesetzt, sich aber, soviel öffentlich bekannt, zur längst bevorstehenden Festfeier gering gerüstet hat. Der langjährige Bund beider Dichter mit einer bewährten, feststehenden, rührigen Buchhandlung ist ihnen sicher heilsam und erwünscht gewesen, hat aber im Verlauf der Zeit unserer Literatur eben keinen Vorteil gebracht.

In diesem Augenblick regt sich der schmerzliche Gedanke mit aller Stärke. Wir lassen jeden von selbst tun, was er zu tun hat, doch niemand kann uns auferlegen, ein Befremden zurückzuhalten darüber, daß zur rechten Zeit, wo es vorzüglich wirken mochte und freigebige Austeilungen, gleichsam eine Schuld abtragende, an gehörige Orte hätten erfolgen sollen, es unterblieb. In hinterlassenen Werken großer Dichter fließt bei unaufhörlich steigender Teilnahme ihren Verlegern ein alles Maß überschreitender Gewinn zu, der sich aus dem ersten darüber abgeschlossenen Vertrage gar nicht mehr ableiten läßt. Kein Schriftsteller kann die künftigen Erfolge und Erträge seiner Werke im voraus überschaun, noch hat er, was von ihm eigentlich dem ganzen Publikum hingegeben wurde, auf immerhin ins Eigentum des ihm zur Hand gegangnen Buchhändlers gewiesen: das Eigentum der Welt ist das höhere, und größere Ansprüche fließen daraus her, als sogar die Erben und Nachkommen besitzen. Wenn billig und selbstverständlich scheint, daß bei Leibesleben ein Autor die Frucht neuer Ausgaben mitgenieße, auch daß nach seinem Tod eine Zeitlang noch der erwachsende Vorteil zwischen Erben und Verleger geteilt und beiden gern gegönnt werde, so hat doch die Gesetzgebung das Bedürfnis gefühlt, Fristen anzusetzen, nach deren Ablauf diese Schriften Gemeingut werden, fortan auch von mehreren Buchhändlern verlegt, von andern Schriftstellern bearbeitet werden dürfen, genau wie es bei weit zurückliegenden Werken des Altertums geschehn mag. Dann wird aller Erfolg von dem Wert der aufgewandten Kritik und der Ausstattung der neuen Ausgaben abhängen.

Das Gebrechen ist nun jetzt, daß jene gesetzlich anberaumten Fristen durch Sonderprivilegien und Erstreckungen derselben aufgeschoben, hingehalten und vereitelt zu werden pflegen, die Reinigung der Texte aber langsam vorschreitet. Darf ich einen kurzen, dürren Bericht einschalten von dem Stand, auf dem die Dinge sich befinden? Es ist nötig, damit man sich keiner Täuschung darüber hingebe. Eingegangner Erkundigung zufolge wurde ein Privileg gegen den Nachdruck der Werke Schillers durch eine preußische Kabinettsordre vom 8. Februar 1826 den Hinterbliebenen erteilt auf 25 Jahre. Ein Bundesbeschluß vom 23. November 1838 dagegen bewilligte den Schillerschen Erben ein Privilegium auf 20 Jahre. Beim Annahn des Zeitpunkts, wo diese Schutzfrist ablief, kamen die Erben um abermalige Verlängerung bis zu 1878 ein, und im Winter 1854 legte die preußische Regierung ein über den Schutz der allgemeinen Gesetzgebung hinausgehendes Gesetz den Kammern vor, welches diese ablehnten. Darauf erschien am 6. November 1856 ein Bundesbeschluß, wonach im allgemeinen der Schutz gegen Nachdruck zugunsten der Werke derjenigen Autoren, welche vor dem 9. November 1837 (Datum eines andern Bundesbeschlusses) verstorben sind, noch bis dahin 1867 in Kraft bleibt. Schillers Werke, und Goethes ebenso, werden danach, ohne gerade spezielles Privileg zu genießen, obschon sie es waren, die die allgemeine Maßregel hervorriefen, erst an diesem 10. November 1867 Gemeingut und frei, selbst dann noch nicht in ganz Deutschland, da in Sachsen, dem Hauptsitz des Buchhandels, ein Gesetz von 1844 besteht, das den Werken der vor dem 1. Januar 1844 verstorbnen Schriftsteller noch dreißig Jahre lang Schutz gegen Nachdruck zusichert, also bis 1874. So kann zu Ende 1867 ein bodenloser Zustand eintreten, wenn Sachsen als Nachdruck in Beschlag nehmen wird, was im ganzen übrigen Deutschland von Goethe, Schiller, Lessing usw. rechtmäßig gedruckt werden darf.

Wir sehn, daß Schillers Werke beinah siebenmal neun Jahre seit des Dichters Hingang zu erklecklichstem Nutzen der beteiligten Erben wie der Verlagshandlung ausgebeutet sein werden, welchen in steigenden Progressionen zufällt, was der Dichter selbst nur in kleinem Maße empfing und ihn der Lebenssorgen noch nicht überhob. Mit allgemeinem Unwillen ist neulich die durch Herrn von Cotta erteilte ablehnende Antwort auf den Antrag eines für das Schillerfest zu schmückenden Abdrucks der keine 500 Verse starken Glocke gelesen worden, wonach diesem als strafbarem Nachdruck strengstens entgegengetreten werden solle, in einem Augenblick, da durch die Feier selbst und unmittelbar ein überreich erhöhter Absatz einzelner wie der Gesamtwerke herbeigeführt sein muß.

Fürwahr, von Goethe und Schiller ist ihrer Nachkommenschaft und ihrem Verleger weich gebettet, doch allen Ruhm haben jene dahin.

O des Wunders und der Umkehr! Vor hundert oder anderthalbhundert Jahren in seinem Schulstaub hätte kein klassischer Philolog eine Erhebung deutscher Dichtkunst, wie sie von ihnen bereitet ward, nur für möglich gehalten; heute in volles Recht eingesetzt, strahlt sie selbst auf Schöpfungen griechisches Altertums zurück, denn was in seinen Anfängen ganz auseinanderstand, darf höher oben sich nah treten, und kein Frost des Nordens drückt uns mehr. Man sagt, daß Weinjahre jedes elfte wiederkehren, und daß dann öfter zwei gesegnete Lesen hintereinander fallen; die Natur ist mit dem Saft der Trauben freigebiger als mit ihren Genien. Nebeneinander stiegen sie uns auf, Jahrhunderte können vergehen, ehe ihresgleichen wieder geboren wird. Ein Volk soll doch nur große Dichter anerkennen und zurückweichen lassen alles, was ihre majestätische Bahnen zu erspähen hindert. Desto mehr wollen wir sie selbst zur Anschau und zu bleibendem Andenken vervielfachen, wie der alten Götter Bilder im ganzen Lande aufgestellt waren. Schon stehen beide zu Weimar unter demselben Kranz. Mögen auch hier in weißem Marmor oder in glühendem Erz vollendet ihre Säulen auf Plätzen und Straßen erglänzen und deren barbarische Namen tilgen!

Von des Lebens Gütern allen
Ist der Ruhm das höchste doch:
Wenn der Leib in Staub zerfallen,
Lebt der große Name noch.

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