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Meine Entlassung

Basel 1838. Schweighauserische Buchhandlung. Geschrieben 12. bis 16. Januar 1838.

War sint die Eide komen? Wohin sind die Eide gekommen? Nib. 562, 3.

Der Wetterstrahl, von dem mein stilles Haus getroffen wurde, bewegt die Herzen in weiten Kreisen. Ist es bloß menschliches Mitgefühl, oder hat sich der Schlag elektrisch fort verbreitet, und ist es zugleich Furcht, daß ein eigner Besitz gefährdet werde? Nicht der Arm der Gerechtigkeit, die Gewalt nötigte mich ein Land zu räumen, in das man mich berufen, wo ich acht Jahre in treuem, ehrenvollem Dienst zugebracht hatte. »Gib dem Herrn eine Hand, er ist ein Flüchtling,« sagte eine Großmutter zu ihrem Enkel, als ich am 16. Dezember die Grenze überschritten hatte. Und wo ward ich so genannt? In meinem Geburtsland, das an dem Abend desselben Tages ungern mich wieder aufnahm, meine Gefährten sogar von sich stieß.

Über eine Tat, deren Absicht offen, deren Beurteilung allen unerschwert war, die nicht mit sehenden Augen blind sein wollen, durfte sich die allzu neue Aufwallung anfangs Schweigen gebieten; es ist mir von Freunden und Unbekannten liebevolle, ehrende Teilnahme, untermischt bei einzelnen mit scheuer Beklommenheit an den Tag gelegt worden. Weder nach Beifall gelüstet hat mir, noch vor Tadel gebangt, als ich so handelte, wie ich mußte; aber es verlauten auch widerwärtige Stimmen, vornehme, die mir Klugheit, hoffärtige, die mir gesunden Menschenverstand absprechen, selbst höhnende, die im voraus entschlossen sind, mir gemeine und unwürdige Beweggründe unterzulegen, wie die Krähe angeflogen kommt, dem, den sie für tot hält, die Augen auszuhacken. Ich bin keiner so weichlichen Gelassenheit, daß ich mein Recht unverteidigt preisgeben und von allen in das Kreuz oder die Quere laufenden Tagesmeinungen verdrehn lassen möchte: mein gutes Recht, das, wie unbedeutend es der Welt scheinen mag, für mich den Inbegriff alles dessen enthält, was ich errungen habe und ohne Makel, ungelästert hüten will. Nur die Wahrheit währt, und selbst Übelgesinnte oder Schwache, die sie nicht laut bekennen, fühlen sich insgeheim von ihr durchzuckt. Die Welt ist voll von Männern, die das Rechte denken und lehren, sobald sie aber handeln sollen, von Zweifel und Kleinmut angefochten werden und zurückweichen. Ihr Zweifel gleicht dem Unkraut, das auf den Straßen durch das Pflaster bricht, manche rotten es aus, doch nicht lange, so hat es wieder ganze Stellen überzogen. Täuschungen und Entfärbungen darf sich die Kraft einer einfachen und schuldlosen Erzählung entgegenstellen: sie will glimpflich sein, aber frei und ungehemmt. Sie will keine Wunden vor der Zeit zuheilen lassen, sondern sich das Andenken an jeden Vorgang noch frisch erhalten; später wird alles schon verharschen. Niemand setzt die Feder gern für sich selbst an, sogar in gerechtem Abwehren; wer mag neugierigen Blicken die Tür seines Hauses öffnen, wo er, sähe er sich unangetastet, lieber in schirmender Zurückgezogenheit geblieben wäre?

Mein Leben, insoweit seine Schicksale von meiner Gemütsart und Gesinnung abhängen, würde still und ungefährdet in unablässigem Dienst der Wissenschaft verflossen sein. Nun ist schon zum drittenmal der Pfad, den ich mir bahnen konnte, verdornt und gesperrt worden durch äußere Verhältnisse, die weit über den Widerstand hinaus walteten, den ich ihnen entgegenzusetzen hatte. Ich ziehe die Augen der Macht immer erst dann auf mich, wenn sie mich zwingt, das Feuer meines Herds fortzutragen und auf einer neuen Stätte anzufachen. Nie, von früh auf bis jetzt, ist mir oder meinem Bruder von irgendeiner Regierung Unterstützung oder Auszeichnung zuteil geworden: einigemal jener, war ich dieser nie bedürftig. Diese Unabhängigkeit hat meine Seele gestählt, sie widersteht Anmutungen, welche die Reinheit meines Bewußtseins beflecken wollen. Mein Bruder hat noch die Pflicht, eine solche Gesinnung seinen Kindern zu überliefern. Spräche er statt meiner, er würde sich in seiner Weise ausdrücken, aber seine Antwort auf jede ernste Frage würde nicht anders lauten, weil die Quelle, aus der ich sie schöpfe, auch ihn tränkt.

Ich bin von unbemittelten, aber braven, mir früh entrissenen Eltern in Hessen geboren und fühle mich noch heftig allen Eigenheiten meiner Heimat zugewandt, selbst von ihren Mängeln und Gebrechen berührt. Sie gewöhnten mich von Kindesbeinen an, diese durch glänzende Mittel wenig hervorstechende, durch angestammte Tüchtigkeit und Genügsamkeit ausgezeichnete Landschaft nur als einen wesentlichen Bestandteil des deutschen Vaterlands anzusehn, dessen Ruhm und Größe auch sie bestrahlen, und was sie ihm zum Opfer darbringen könnte, liebend empfangen müßte. Meine Gedanken, sobald ich sie sammeln, meine Arbeiten, solange ich sie richten konnte, kehrten sich auf die Erforschung unscheinbarer, ja verschmähter Zustände und Eigentümlichkeiten Deutschlands, aus welchen ich Haltpunkte zu gewinnen trachtete, stärkere, als uns oft die Beschäftigung mit dem Fremden zuwege bringt. Schon der Beginn dieser Studien war hart aber trostreich. Mit herbstem Schmerz sah ich Deutschland in unwürdige Fesseln geschlagen, mein Geburtsland bis zur Vernichtung seines Namens aufgelöst. Da schienen mir beinah alle Hoffnungen gewichen und alle Sterne untergegangen; nur erst mühevoll und langsam geriet es mir, die Fäden des angelegten Werks wieder zu knüpfen und dann wehmütig festzuhalten. Es war nicht umsonst, ich hatte mich heimlich emporgerichtet, und meine Arbeiten gewannen Fortgang. Nach Deutschlands Befreiung und Hessens Wiederherstellung sollten sie mir den großen Lohn tragen, daß für den Gegenstand ihrer Forschungen die ihnen vorher abgewandte öffentliche Meinung empfänglich und günstig wurde. Jahre lang konnten wir, mein Bruder und ich, von jeher in entschiedner, unzertrennlicher und wechselseitig aushelfender Gemeinschaft der Studien und Schicksale, mäßig und anspruchlos zusammen arbeiten und Früchte gedeihn sehn, die auf den noch schmalen Beeten, aber unsers eigensten Bodens wuchsen. Als eine offenbare Ungerechtigkeit unsern treuen Dienst und erworbnen Anspruch auf damals oder nie in der Heimat zu erwartende Besserung unserer Lage, ohne welche unabhängig und sorgenfrei fortzubestehn schwierig schien, mit einem Mal abschnitt, kostete es wegzuziehn immer noch heiße Überwindung. Wir folgten einem Rufe nach Göttingen, keine der Anstrengungen scheuend, welche der Übergang aus zurückgezogner, aber innerlich freier Wirksamkeit in eine öffentliche und gemessenere mit sich führt. Man behauptet mit Grund, die Bestimmung zur akademischen Laufbahn müsse von früh entschieden und durch lange Gewohnheit unterstützt werden. Das Lehramt auf Universitäten ist ein eignes Element, das seine Freiheit, aber auch seinen Zwang hat, und dessen Wahl oft erst durch Nebenumstände, die außer allem Anschlag liegen, für nicht gerechtfertigt erscheint. Seinen Anforderungen zu genügen haben wir acht Jahre hindurch gestrebt, wenn nicht ohne Sehnsucht nach dem vorausgegangnen Stilleben, auch nicht ohne das frohe Bewußtsein unvorhergesehner, in der engeren Gemeinschaft mit trefflichen Menschen beruhender Gewinne. Aus diesen neuen Gewohnheiten des Daseins und Wirkens, die vielleicht tiefere Wurzel in uns, als wir selbst wissen, gefaßt haben, sollen wir wiederum weichen, nicht einem Antrage folgend, dessen Vorteile und Nachteile sorgfältig abgewogen werden dürfen, sondern auf einmal verschlagen in unabsehbare Ferne, gerissen mitten aus angelegten und begonnenen Arbeiten, ja, was am innigsten versehrt, augenblicklich sogar persönlich voneinander getrennt.

Was ist es denn für ein Ereignis, das an die abgelegne Kammer meiner einförmigen und harmlosen Beschäftigungen schlägt, eindringt und mich herauswirft? Wer, vor einem Jahre noch, hätte mir die Möglichkeit eingeredet, daß eine zurückgezogne, unbeleidigende Existenz beeinträchtigt, beleidigt und verletzt werden könnte? Der Grund ist, weil ich eine vom Land, in das ich aufgenommen worden war, ohne alles mein Zutun, mir auferlegte Pflicht nicht brechen wollte, und als die drohende Anforderung an mich trat, das zu tun, was ich ohne Meineid nicht tun konnte, nicht zauderte, der Stimme meines Gewissens zu folgen. Mich hat das, was weder mein Herz noch die Gedanken meiner Seele erfüllte, plötzlich mit unabwendbarer Notwendigkeit ergriffen und fortgezogen. Wie ein ruhig wandelnder Mann in ein Handgemenge gerät, aus dem ein Ruf erschallt, dem er auf der Stelle gehorchen muß, sehe ich mich in eine öffentliche Angelegenheit verflochten, der ich keinen Fußbreit ausweichen darf, nicht erst lange umblicken, was Hunderttausende tun oder nicht tun, die gleich mir zu ihrer Aufrechthaltung verbunden sind.

Meine Vaterlandsliebe habe ich niemals hingeben mögen in die Bande, aus welchen sich zwei Parteien einander anfeinden. Ich habe gesehn, daß liebreiche Herzen in diesen Fesseln erstarrten. Wer nicht eine von den paar Farben, welche die kurzsichtige Politik in Kurs bringt, aufsteckt, wer nicht die von Gott mit unergründlichen Gaben ausgestatteten Seelen der Menschen wie ein schwarz und weiß geteiltes Schachbrett ansieht, den haßt sie mehr als ihren Gegner, der nur ihre Livree anzuziehn braucht, um ihr zu gefallen. Hat nicht die Geschichte unserer Zeit oft genug gezeigt, daß keine Regierung sich irgendeiner Partei hat lange ergeben können? Ich traue jedem dieser Gegensätze einen größeren oder kleineren Teil Wahrheit zu und halte für unmöglich, daß sie in voller Einigung aufgehn. Wer fühlte nicht in gewissen Punkten zusammen mit dem Liberalen, mit dem Servilen, mit dem Konstitutionellen und dem Legitimisten, Radikalen und Absoluten, sobald sie nur nicht unredlich oder Heuchler sind? Unsere Sprache besitzt zum Glück noch keine Ausdrücke, die das Ultrierte in allen diesen Begriffen wiedergäben; viel naturgemäßer scheint in einigen Ländern eine historische Bezeichnung der beiden Teile, wie durch Whigs und Torys, welche Namen darum keinem jener abstrakten genau entsprechen und doch ihr geistiges Element in sich fassen. In dem Grunde solcher Entgegensetzungen sehe ich oft wilde Pflanzen treiben, üppig in Stengel und Laub, ohne nährende Frucht. Unter den vielen wechselnden Verfassungen waren die glücklichsten die, welchen es gelang, das allgemeine Los irdischer Tugenden und Unvollkommenheiten dergestalt zu beherrschen, daß sie, was Zeiten und Völker am eigensten hob, sich gewähren ließen und schirmten. In seiner noch größeren Einfachheit und Abschließung hat das Altertum vollendetere Einrichtungen aufzuweisen, deren Erfolge in der Geschichte verzeichnet stehn, dem menschlichen Geschlecht zu unverrinnender Erquickung, nicht zu unbesonnener Nachahmung, die blindlings das Sichere der eignen Gegenwart fahren läßt und nach einem verschwundnen Zustande ringt. Noch jetzt aber, bei vielen Völkern, haften Grundpfeiler von Treue und Anhänglichkeit an hergebrachte und angestammte Ordnung, unter deren Sonne und Schatten sie groß gezogen worden sind. Auf ihr zu beharren, ohne sich der Macht des Neuen zu entschlagen, die Verfallnes und Verwittertes nach eignen Mitteln herzustellen hat, das scheint die Aufgabe, bleibe nun der alte Stil vorherrschend oder werde er überstiegen von dem Neubau. Den heilsamsten Anlaß zu solcher, wie soll man sagen, Fortentwicklung oder Verjüngung? führt die Mitte herbei, nicht das Ende, aber jene Mitte des Lebens, des Herzens, nicht die künstlich gemachte, die Lüge mit Lüge abwägt. Die innere Mitte ist warm, die Extreme sind erkaltet, um sie webt schnell die luftigste Theorie, während jener Schoße die goldne Praxis entsteigt. Ich habe, auch ganz zujüngst, Liberale augenblicklich, wo es daran lag, servil handeln, Servile, wo ihr Vorteil oder Schaden ins Spiel trat, ohne weiteres die liberalste Schonungslosigkeit in ihr Verfahren legen sehn. Ein paar Gleichnisse sollen versuchen, den Eindruck darzustellen, den jene Gegensätze wohl bei mir hinterlassen. An Konstitutionellen mißbehagt mir ihr pedantisches Streben nach Ausgleichung und Gleichförmigkeit, Berggipfel möchten sie ebnen, stolze Wälder ausrotten, ihren Pflug in blumenreiche Wiesengründe die Furche des Ackers reißen lassen. Sie mühn sich, das Obere hinab, das Niedere hinauf zu rücken, ihr eigentliches Gefallen ist das Gewöhnliche, Nützliche. Wenn von ihnen alles mit Hast getrieben wird, gehn die Absolutisten aus auf eine unnatürliche Stetigkeit aller Dinge; sie scheun und suchen jede Erhebung des Geringen zu hintertreiben, ihre Mittel sind langsamer und geschmeidiger. Sie unternehmen es wohl, wenn ihrer Ansicht der Vordergrund unserer Zeit zu eintönig und abgeblichen erscheint, ihn mit grellen Farben aufzumalen und vor unsern Augen Fratzen hinzustellen, welche die Zukunft hohnlachend niederreißen wird. Alle Gegenwart in der Zeit hat mit der Nähe im Raum gemein, daß sie den Zuständen und Gebräuchen sanftes und verschmelzendes Kolorit verleiht.

Es gibt noch ein Kennzeichen für beide Parteien. Die Liberalen verachten das Mittelalter und schreien wider Barbarei und Feudalismus; die Servilen tragen eine gewisse Sehnsucht danach zur Schau. Ich darf hier ein Wort mitsprechen, der ich gerade mein Leben an die Untersuchung unsers Mittelalters setzte. Ich habe mit innerer Freude getrunken an seinen stillen Brunnen, die mir kein Sumpf schienen; in die rauhen Wälder unserer Vorfahren suchte ich einzudringen, ihrer edlen Sprache und reinen Sage lauschend. Weder die alte Freiheit des Volks blieb mir verborgen, noch daß es schon, bevor des Christentums Segen ihm nahte, sinnigen, herzlichen Glauben hegte. Ihr habt oft wenig gewußt von diesen Dingen, ihr konntet Waffen holen aus meinen Büchern, wenn ihr, nach euerm Zweck, die Gegenwart durch die Vergangenheit herabwürdigen oder bestätigen, wenn ihr dem König, dem Volk, der Kirche bald geben, bald nehmen wolltet. Schriftsteller, die sich einem verlassenen Felde widmen, pflegen ihm Vorliebe zuzuwenden; ich hoffe, wer meine Arbeiten näher kennt, daß er mir keine Art Geringhaltung des großen Rechts, welches der waltenden Gegenwart über unsere Sprache, Poesie, Rechte und Einrichtungen gebührt, nachweisen könne. Denn selbst wo wir sonst besser waren, müssen wir heute so sein, wie wir sind.

Ich fühle mich eingenommen für alles Bestehende, für Fürsten und Verfassungen. Wie gerne hätte ich in stiller Abgeschiedenheit, zufrieden mit der Ehre, die mir die Wissenschaft gibt, mein Leben in dem Dienst eines von der Liebe und Ehrfurcht seines Volkes umgebnen Herrn zugebracht. Die Person des Fürsten bleibt uns geheiligt, während wir seine Maßregeln und Handlungen nach menschlicher Weise betrachten. Die Könige des Mittelalters zeigten sich dem Volk noch in ihrer Würde Zeichen, die Krone auf dem Haupt unter wallenden Locken, den Mantel um die Schultern; wenn die heutigen Könige dieses Glanzes sich entäußernd gleich Untertanen einhergehn, wenn sie bei vielen Anlässen die Bequemlichkeit des Privatlebens der Bürde ihrer öffentlichen Stellung vorziehn; schwebt ihnen dann nicht das allgemeine Ziel aller menschlichen Hinfälligkeit Wer kan den hêrren von dem knehte scheiden, was er ir gebeine blôzez fünde? Walther von der Vogelweide 22, 12; vgl. Neocorus 1, 489. lebendiger vor Augen? Fühlen sie dann nicht, daß ihre Zeit auch Privattugenden von ihnen heischt? Der Majestät Strahl umgibt sie immer noch, je mehr sie im Licht der Gerechtigkeit wandeln, die ihre erste Eigenschaft ist.

Hier kann ich zu den Hergängen übergehn, durch welche die bestandne Ruhe nicht allein des Königreichs Hannover, sondern des ganzen deutschen Vaterlands auf das empfindlichste und zum Leidwesen der Redlichen, man darf hinzufügen von allen Parteien, unterbrochen worden ist.

Es ist nicht vonnöten, den Inhalt beider Patente auszuheben, welche König Ernst August nach seiner Thronbesteigung erließ; es wäre anzuführen überflüssig, wie durch diese Akte unmilder Gewalt die Freude gedämpft wurde, daß ein wichtiger Landstrich aus der zwar ehrenvollen, oft ersprießlichen, aber das Nationalgefühl herabdrückenden Verbindung mit einem mächtigen fremden Reich in das reine Verhältnis der andern deutschen Bundesstaaten übergegangen war. Dumpfe Bestürzung verbreitete das erste Patent, heftigere und unverhaltbare das andere.

Der Herzog von Cumberland, in dem freisten, glücklichsten und blühendsten Reiche der Welt geboren, hatte von Kindheit auf die Luft britischer Verfassung eingesogen und mußte alle die Eindrücke wahrgenommen haben, welche aus einer lange bewährten, großartigen Ordnung der englischen Macht auf jeden Unbefangnen, wie viel mehr auf alle Landsgenossen hervorgehn. Dort wird nichts so lebhaft gefühlt, so augenblicklich vereitelt und gerächt, als jeder Eingriff in die festgegründeten Rechte beneidenswerter Institutionen.

Unter Privatleuten gilt als edle Sitte, daß der Bruder, wenn er des Bruders Habe erbt, des Hingeschiednen Ruhe nicht störe und alle Anstalten desselben aufrecht erhalte. Während Wilhelm des Vierten, als eines milden, gerechten Königs Andenken zahllose Untertanen segneten, als die Leichenfeier noch nicht verhallt ist, beginnt der Nachfolger seine Regierung damit anzutreten, daß er des königlichen Bruders und Vorfahren Werk, als sei es ein nichtiges und untaugliches, umstürzt.

Dies Werk war das im Jahr 1833, nach langer, von allen Teilen wohlgemeinter Beratung zwischen König Wilhelm und den Ständen auferrichtete Grundgesetz, welchem von da an bis auf jenen Machtschritt Regent, Land und Leute mit Treu und Glauben angehangen hatten, gegen dessen völligen, unkränkbaren Rechtsbestand in dem Volke selbst nicht der leiseste Zweifel obwaltete. Jetzt plötzlich soll dieses Gesetz nicht mehr gelten. Also ein König, dessen angebornes Wohlwollen aus allen seinen Äußerungen hervorleuchtete, Minister, deren redliche Absicht zu bezweifeln keine Ursache war, haben dem Land eine Verfassung gegeben, deren Nichtigkeit sie vor allen einsehn mußten? Sie haben einen Eid darauf abgelegt, von dem sie wußten, daß er auf Täuschung beruhe, und vier Jahre danach regiert? Kann der einfache gesunde Sinn das glauben?

Der König findet seine agnatischen Rechte ungewahrt. Wer kann ihn tadeln, wenn er darauf hält? Das durfte ihn zu deren neuer Erörterung führen, nicht zu einseitiger Auflösung eines ihm als Regierungsnachfolger überlieferten Staatsgrundgesetzes. Als Nachfolger tritt er aus der Reihe der Agnaten und ihnen gegenüber, er nimmt seines Vorgängers Gesichtspunkt an. Könnte jeder Nachfolger den Vertrag lösen, der mit dem Land eingegangen war, so würde niemals Sicherheit, auch nicht während langer Regierungen entspringen, weil hinter jedem Thronerben ein Umwurf drohn würde. Nicht daß Verfassungen ewige Dauer gebührt: sie sollen gleich allem Irdischen vergänglich und zerbrechlich sein, nicht aber aus Willkür, sondern von beiden Teilen, zwischen welchen sie zustand gekommen waren, abgeändert oder zerbrochen werden. Es fällt mir weder ein, noch ist es meine Sache, eine ungewöhnliche Trefflichkeit des hannöverischen Gesetzes von 1833 zu behaupten; es wird dem einen demokratischen Stoffs zu viel, dem andern zu wenig enthalten und genug Mängel sonst an sich tragen; aber es hat bisher bestanden und gegolten. Allen ständischen Verfassungen in Deutschland kann der negative Nutzen schwerlich abgesprochen werden, den sie seit ihrer Dauer stifteten. Sie fördern nicht so offenbar, als sie wohltätig Mißbräuche hemmen; sie sind ein Damm, der eine Gegend noch nicht fruchtbar macht, aber den einbrechenden und versandenden Wellen wehrt. Der eigentliche Segen geht allerdings erst von der reinen Liebe des Fürsten zu seinem Land aus.

Bei Bekanntwerdung des ersten Patents fanden sich die Landstände gerade noch in Hannover versammelt, und ihr Präsident scheint schwere Verantwortung auf sich geladen zu haben, dadurch daß er ihren rechtmäßigen Einspruch, als es die höchste Zeit war ihn geltend zu machen, vereitelte. Alle späteren Schwierigkeiten hängen von diesem unberechenbaren Fehlgriff ab, das Land ist der notwendigsten Form beraubt worden, an welche es seinen Widerstand binden durfte.

Das einfachste Mittel war entrissen; aller Augen richteten sich auf die Minister hin, denen nun zunächst die Pflicht des Handelns oblag. In konstitutionellen Ländern sind sie ein Barometer, sie dürfen über eine bestimmte Linie weder hinaufsteigen noch herabsinken, ohne einen gefährlichen, ja unerträglichen Stand der Dinge anzuzeigen. Ein begründeter Ruf der Rechtlichkeit und Unbescholtenheit umgab diese Männer, ihre Namen wären mit unvergänglicher Ehre in den Annalen des Lands eingeschrieben, wenn sie Mut und Takt gehabt hätten, jede falsche Stellung von sich abzulehnen. Eine solche war ganz deutlich die, welche sie nach dem ersten königlichen Erlaß noch einnahmen. Wer aber drückt das allgemeine Staunen aus, als sie sogar nach dem zweiten Patent in einem Amt zu verharren wagten, das für sie selbst persönlich um eine Stufe erniedrigt wurde? Aus treuen Freunden der Verfassung, deren oberste Hüter und Wächter sie gewesen waren, wandelten sie sich in erklärte Feinde derselben, die fortan notgedrungen waren, jeden Angriff auf sie zu erleichtern und zu beschönigen. Fühlten, auf so schlüpfrigem Boden, sie wenigstens nicht einmal die Gefahr des gegebnen Beispiels? Der belastet sich zwiefach, der auch noch andere in den Fall mit sich fortreißt.

Und sie hatten zuoberst den Eid auf die Verfassung geleistet, der so heilig ist als jeder andere Eid, der von allen Staatsdienern als wesentliche Ergänzung des Huldigungseids im Jahr 1833 geschworen worden war und seitdem von jedem neu in den Staatsdienst Eintretenden geleistet werden mußte. Was nun den Eindruck des zweiten Patents mehr als alles steigerte, war eben die darin unumwunden ausgesprochne Loszählung aller Staatsdiener von dem auf die Konstitution geleisteten Schwur. Dem Gewissen, das keine irdische Macht, kein König entbinden kann, wird hier eine Erledigung angeboten, die zu immerwährender Belastung führt. Den Eid auf die Verfassung konnte niemand lösen als entweder der König gemeinschaftlich mit den nach dem Gesetz von 1833 berufnen Landständen oder ein rechtlicher Ausspruch des Bundestags; einen dritten Weg gab es nicht. Beiden Entscheidungen würden wir uns in ehrerbietigem Gehorsam gefügt haben, aber ohne volle Überzeugung war keine Entlastung möglich, jeder Zweifel hätte einen unerträglichen Zustand der Seele mit sich geführt. Ich sehe das kalte Lächeln derer, die sich die Klugen nennen und hier bloß eine nicht ernsthaft gemeinte Ausflucht erblicken; habe ich doch selbst sagen hören, ein Eid in politischen Angelegenheiten bedeute nicht viel, oder auch, der aufgelegte Eid binde eben nicht, man erfülle ihn, soweit man Lust habe. Gut, denkt der eine, daß sich Veranlassung findet, eine liberale Verfassung umzuwerfen, wenn es gelingt, so heiligt der Zweck die Mittel; wir haben ein höheres Recht, das die Rechte des Machwerks nicht zu achten braucht. Was kümmert mich die Politik, meint der andere, wenn sie mich in meiner Behaglichkeit oder in meinen gelehrten Arbeiten stört. Aber so sehr ist die Religiosität nicht verschwunden, daß nicht viele, die etwas Höheres als weltliche Klugheit kennen, die volle Schwere des Grunds mit mir im tiefsten Herzen empfinden. Es gibt noch Männer, die auch der Gewalt gegenüber ein Gewissen haben. – Späterhin wurde eine weitere Deutung aufgesucht: der König sei alleiniger Dienstherr, ihm allein, keinem andern, sei der Eid geschworen, in seiner Macht stehe es, den Diener von dem Eid zu entbinden. Gewiß, der König ist der einzige Herr, gewiß, der Eid ist in die Hand seines Bevollmächtigten abgelegt, dennoch steht es nicht in der Macht des Königs, den einmal vor Gott ausgesprochnen zu lösen. Er ist auf die Aufrechthaltung des Grundgesetzes geleistet, und solange dies nicht rechtsgültig aufgehoben ist, muß er unverbrüchlich sein. Ich habe keine staatsrechtliche Theorie gemacht und keine zu verfechten, ich muß mich an das halten, was mir von oben gegeben ist, aber nach der Basis, auf welcher das Grundgesetz ruht, kann man mit vollem Recht sagen, der Eid ist auch dem Land geleistet. Und braucht man nach analogen Verhältnissen weit zu suchen? Hat ein Oberappellationsgericht einen andern Herrn als den König? Und steht es in seiner Macht, die Mitglieder desselben von dem Eid, den sie auf die Gerichtsordnung geleistet haben, zu entbinden? – Würde sich vor einem Jahr jemand mit einer solchen Deutung vorgewagt haben? Und glaubt man, daß sophistische Wendungen dieser Art in ein ehrliches, einfach denkendes Gemüt eindringen?

Indem ich mich nunmehr anschicke, von den Gesinnungen und Handlungen zu reden, welche sich in Göttingen seit den beiden Patenten kundgaben, gedenke ich zuvor noch des tragischen Verhängnisses, das diese Unterbrechung der öffentlichen Ruhe unmittelbar in den Zeitpunkt fallen ließ, wo die Universität die größte Feier zu begehn hatte, die ihr seit ihrer Stiftung zuteil werden konnte. Alle Gemüter waren innig erregt und die Blicke von ganz Deutschland auf Göttingen gerichtet; das Schicksal hatte dem höchsten Glanz der Akademie schon eine Zutat von unruhigem Schmerz gegeben, der an den feierlichen Tagen sich noch in den Hintergrund ziehn durfte, weil damals die auf das erste Patent gefolgte zweifelnde, noch nicht verzweifelnde Beklemmung herrschte. Der noch reine Festhimmel war nur am Rand mit bedenklichen Wolken gesäumt. Die von den Scharen fremder Gäste und Zuschauer, wie nie vorher, belebten Straßen der Stadt waren wieder öde geworden und ein kurzer Feriengenuß eingetreten, als unmittelbar mit dem Beginn des neuen Semesters die gefürchtete Katastrophe eintrat und alle gehegten Besorgnisse, auf einen Schlag, weit überbot. Die unerwartete, bald aber bestätigte Botschaft von der Nachgiebigkeit der alten Minister vollendete die allgemeine Bestürzung.

Kein anderer Bestandteil des ganzen Königreichs konnte von dieser Begebenheit lebhafter und tiefer ergriffen werden, als die Universität. Die deutschen hohen Schulen, solange ihre bewährte und treffliche Einrichtung stehn bleiben wird, sind nicht bloß der zu- und abströmenden Menge der Jünglinge, sondern auch der genau darauf berechneten Eigenheiten der Lehrer wegen höchst reizbar und empfindlich für alles, was im Land Gutes oder Böses geschieht. Wäre dem anders, sie würden aufhören, ihren Zweck so wie bisher zu erfüllen. Der offne, unverdorbne Sinn der Jugend fordert, daß auch die Lehrenden bei aller Gelegenheit jede Frage über wichtige Lebens- und Staatsverhältnisse auf ihren reinsten und sittlichsten Gehalt zurückführen und mit redlicher Wahrheit beantworten. Da gilt kein Heucheln, und so stark ist die Gewalt des Rechts und der Tugend auf das noch uneingenommene Gemüt der Zuhörer, daß sie sich ihm von selbst zuwenden und über jede Entstellung Widerwillen empfinden. Da kann auch nicht hinterm Berg gehalten werden mit freier, nur durch die innere Überzeugung gefesselter Lehre über das Wesen, die Bedingungen und die Folgen einer beglückenden Regierung. Lehrer des öffentlichen Rechts und der Politik sind, kraft ihres Amts, angewiesen, die Grundsätze des öffentlichen Lebens aus dem lautersten Quell ihrer Einsichten und Forschungen zu schöpfen; Lehrer der Geschichte können keinen Augenblick verschweigen, welchen Einfluß Verfassung und Regierung auf das Wohl oder Wehe der Völker übten; Lehrer der Philologie stoßen allerwärts auf ergreifende Stellen der Klassiker über die Regierungen des Altertums, oder sie haben den lebendigen Einfluß freier oder gestörter Volksentwicklung auf den Gang der Poesie und sogar den innersten Haushalt der Sprachen unmittelbar darzulegen. Alle diese Ergebnisse rühren aneinander und tragen sich wechselseitig. Es bedarf kaum gesagt zu werden, daß auch das ganze Gebiet der Theologie und selbst der Medizin, indem sie die Geheimnisse der Religion und Natur zu enthüllen streben, dazu beitragen müssen, den Sinn und das Bedürfnis der Jugend für das Heilige, Einfache und Wahre zu stimmen und zu stärken. Wie allseitig muß also die Universität von der Kunde ergriffen werden, daß die Verfassung des Lands dem Umsturz ausgesetzt sei. Eine Menge junger Leute nehmen Anteil an der veränderten Lage ihrer Eltern, Brüder, Freunde und Lehrer, an der Verrückung ihrer eignen Stellung; alle bewegt ein allgemeines Gefühl der schwebenden Gewalttätigkeit, und es braucht nicht erst gesagt zu werden, auf welcher Seite sie stehn.

Unter den Professoren taten sich bald verschiedenartige Gruppen hervor, die Charaktere, wie mein Bruder treffend bemerkte, fingen an sich zu entblättern gleich den Bäumen des Herbstes bei einem Nachtfrost; da sah man viele in nackten Reisern, des Laubs beraubt, womit sie sich in dem Umgang des gewöhnlichen Lebens verhüllten. Zwar das muß zugegeben werden, daß alle und jede von dem Entschluß des Königs unangenehm berührt wurden und ihn lieber ungeschehn gewußt hätten. Die vom Alter Abgestumpften scheuten die Mühe und den Lärm der Neuerung, aus der für ihre letzten Bequemlichkeiten sich Störungen ergeben könnten; sie überlegten nicht, daß auch dem ablaufenden Leben Festigkeit zieme, sogar gefahrlosere bereitet sei, daß noch die scheidende Sonne ein zu Ende neigendes ehrenvolles Wirken überglänzen könne. Ein anderer Teil, an sich gegen jede Verfassungsform völlig gleichgültig und nur eigne Vorteile ins Auge fassend, mochte dem Grundgesetz von 1833 abgeneigt sein, weil es einzelne frühere Rechte und Privilegien der Universität aufgehoben hatte. Dahin gehörte zumal die Vernichtung der dem Professorenstand so nötigen Einqartierungsfreiheit, worüber ärgerliche Reibungen und Verhandlungen mit den Bürgern entsprungen waren, die sich hier einmal als tüchtige Staatsbürger fühlten und begierig an dem Prinzip der gleichen Beitragspflichtigkeit zu allen Staatslasten festhingen, in Zeiten wahrer Not aber wenig Beruf in sich spüren, ihrer Staatsbürgerverpflichtung nachzukommen. Ich will dem Aufheben solcher Privilegien nicht das Wort reden, es wird an der allgemeinen Nivellierung aller Verhältnisse ein weniges dadurch gewonnen, aber der Verband der Korporation gelockert, an welchem viel mehr gelegen war. Solange nicht die Ausgleichung den Gipfel erlangt hat, daß sie den Bürger befähigt, abwechselnd mit dem akademischen Lehrer das Katheder zu besteigen, diesen nötigt, abwechselnd mit dem Bürger zu backen und zu schlachten, brauchen noch keine Soldaten in die Auditorien eingelegt zu werden. Doch war hier weniger die Richtung der Konstitution von 1833 anzuklagen, als der schon lange wirkende Zeitgeist, dem sie huldigte. Ältere Göttinger Professoren erinnern sich auch einer sonst bestandnen Akzisefreiheit, deren Wohltaten schon geraume Zeit vorher, ehe jemand an ein Grundgesetz dachte, aufgehört hatten. Man muß Verbesserungen im Großen hinnehmen mit Verschlimmerungen im Kleinen, nicht umgekehrt ein ganzes Verderbnis entschuldigen aus einzelnen Vorteilen, die es bringen könnte. Es mag indessen nur sehr wenige Professoren geben, die sich von solchen Gründen hätten bewegen lassen, dem königlichen Patent ihren Beifall zu zollen, aus dessen Sinn durchaus nicht entnommen werden darf, daß mit der Vertilgung der Verfassung jene Bevorrechtungen einzelner Stände wiedererwachen werden. Jede Regierungsart ist so klug, daß sie sich auch einige Folgerungen aus der ihr ganz entgegengesetzten gefallen läßt.

Der größten Zahl der Professoren mußte einleuchten, daß das königliche Machtgebot die wichtigste Angelegenheit des Lands betreffe, und daß es nun auch der Universität gelte, sich ihm entweder mutlos zu ergeben oder ein gegründetes Recht des Widerspruchs auszuüben. Wiederum aber zerfielen die, welche es für ratsam hielten, unterwürfig zu schweigen, in zwei sehr verschiedne Parteien. Zur einen gehörten die Männer, welche, sonst vorlaut und stolz genug, vor aller Gewalt verstummen und jede Ungnade in den Augen des Herrschers als das unerträglichste Unglück betrachten; sie waren, auf Kosten ihrer selbsteignen Denkungsart, zur Nachgiebigkeit bereit, und schnell erfinderisch, Scheingründe für ihre Abtrünnigkeit nicht bloß hervorzusuchen, sondern sie auch anders Gesinnten auf alle Weise anzuempfehlen. Andere, allerdings achtungswerter, bedauerten zwar den Untergang der beschwornen Verfassung, hingen aber über alles an der Aufrechthaltung der Universität, deren Gefahr, wenn sie den Unwillen des Königs auf sich ziehn sollte, ihrem Herzen weit näher lag, als das Heil des ganzen Reichs, welcher daher die angelobte Pflicht unbedenklich aufgeopfert werden müsse. Verkennend, daß auch die edelsten und berühmtesten Einrichtungen darunter am meisten leiden, wenn die Gerechtigkeit von ihren Verwaltern versäumt wird, sind sie Beamten ähnlich, die aus mißverstandner Liebe zu ihrem Amt dessen ganze Würde in die Schanze schlagen und das ihnen rein vertraute Gut fleckig werden lassen, um ihren Nachfolgern wegen der zu ziehenden Diäten nichts zu vergeben. Die Wissenschaft bewahrt die edelsten Erwerbungen des Menschen, die höchsten irdischen Güter, aber was ist sie gegen die Grundlage des Daseins wert, ich meine gegen die ungebeugte Ehrfurcht vor göttlichen Geboten? Sie wird, von dieser abgetrennt, wie jene italienischen von Marmor täuschend nachgeahmten Früchte ein eitles Schaugericht, das niemand sättigt und nährt. Auf diesem Weg verstehe ich es nicht, den Glanz der Georgia Augusta zu erhalten, für den ich freudig und mit treuer Anhänglichkeit meine besten Kräfte hingegeben, keine Störung der liebsten Arbeiten gescheut habe. Hier mögen meine Kollegen, selbst die anders gehandelt haben, hier mag das Kuratorium Zeugnis ablegen.

Mit Freuden bekenne ich, daß, diese die höhere Pflicht und jene alles Selbstgefühl Aufgebenden abgerechnet, unter der bedeutenderen Masse aller übrigen in den ersten Wochen die Meinung der vor Zorn und Scham Glühenden das Übergewicht hatte, welche ihren Eid zu wahren, nicht zu brechen gedachten. Hätte man damals die Stimmen gesammelt, sie wären fast alle zugunsten der Wahrheit und des Rechts abgegeben worden, und selbst die Schwächeren fühlten sich durch die Reinheit des ersten Eindrucks, wie er sich bei solchen Gelegenheiten überall geltend macht, emporgehalten. An den Mitteln aber, welche man beratschlagte, taten sich bald Trennungen hervor, und den Nachgiebigeren oder Zagenden war es innerlich willkommen, ohne der anfangs geäußerten Gesinnung zu entsagen, vorerst die Ablehnung festerer Maßregeln durch aufhaltende Bedingungen oder die Halbheit dazwischengeworfner vielfacher Vorschläge zu erreichen. Während dem Gewissen mit jener Anmutung, sich des Eids zu entschlagen, eine sofortige und laute Gegenerklärung geboten war, faßte bei vielen die leidige Ansicht Wurzel, der rechte Zeitpunkt, sich zu erklären, trete für die Universität erst dann ein, wenn sie die bevorstehende Aufforderung zur Wahl eines Deputierten in die vom König unberechtigt einberufne Ständeversammlung nach den Grundsätzen von 1819 entschlossen beiseite zu weisen habe. War denn nicht der Eid auf die Konstitution von 1833 faktisch zu Boden getreten, und gab es Gründe, sein Sträuben dawider warten zu lassen? Bedurfte es erst noch eines andern Faktums, gegen welches Widerstand zu leisten sei? War nicht Gefahr, daß durch die lange Erwartung dieses Faktums Erschlaffung der Handelnden herbeigeführt werden würde? Der Erfolg hat diese Besorgnisse vollkommen gerechtfertigt. Unter dem Vorwand, bei Einberufung der Wählenden einen allgemeinen Protest der gesamten Universität zustand zu bringen (woran gleich damals billig zu zweifeln war), gab man die starke Eintracht der besseren Mehrheit auf und stellte die Entschlossenen größerer Gefahr preis. Es hat sich gezeigt, daß die Stunde jener Wahl nicht vierzehn Tage (wie man vorschützte), sondern über acht volle Wochen nach dem Patent eintreten sollte, nachdem sich durch eine Reihe anderer Vorgänge und Einwirkungen die Gemüter hinlänglich abgelenkt Aber es mag einer so gut gesittet sein, daß über ihn das göttliche wie das menschliche Urteil übereinstimme. Doch er ist schwach an Mut: wenn einem solchen etwas Widriges begegnet, so wird er vielleicht aufhören, die Unschuld zu pflegen, durch welche er sein Glück nicht festhalten konnte. Boethius »vom Trost«. haben können. Was auch nunmehr bei diesem Wahlakt vorgehen möge, es wird von wenigem Gewicht auf das Ganze sein. Die Regierung weiß nunmehr viel besser als damals, wie sie selbst eine völlige Verwerfung ihres Wahlvorschlags aufzunehmen und zu behandeln habe.

In so peinlicher, vielberatner und hingehaltner Lage entschied sich endlich eine geringe Zahl beherzt gebliebner, das Eis des Schweigens zu brechen, dessen Rinde hart und schmählich das ganze Land überzogen hatte. Wie bitter ist der Tadel darüber, den ein etwas höhergestellter Beamter in Hannover aussprach, ohne es in seiner Unschuld zu merken: »Wir haben es nicht gewagt, dem Könige zu widersprechen, und sieben Professoren nehmen es sich heraus.« Unsere Erklärung an das Kuratorium war den 17. November abends entworfen worden, noch wußten wir nicht, ob sie am folgenden Tag von fünf, oder von sieben, oder von dreizehn unterschrieben abgehen sollte. Sieben Namen standen am Schluß der am 18. November entsandten Ausfertigung. Jeder war auf seinem Wege mit völliger Unabhängigkeit des Geistes zu der Überzeugung gelangt, welche die Protestation aussprach. Es war also wenigstens eine Besiebnung, der das altdeutsche Recht entschiedne Kraft beimißt, vollführt.

In diesem erlassenen Widerspruch gegen das Patent herrscht die einfache, aber starke Sprache unverstellter, unverschleierter Wahrheit. Die der Würde des Königs gebührende Ehrfurcht wird nirgends verletzt; was zu sagen war, konnte nicht verhalten bleiben. Das Schreiben wurde an die Behörde eingereicht, welche der Universität zunächst vorgesetzt war und in deren Verpflichtung es lag, der Regierung ungesäumte Kunde dieses Hergangs zu hinterbringen.

Er konnte und sollte nicht geheimgehalten werden. Nicht allein war die vorausgegangne Beratung und ihr Ziel unter der Mehrzahl der Professoren bekannt, sondern auch Entwurf und Reinschrift der Erklärung mehreren Kollegen, die nicht mit unterzeichneten, vorgelegt worden. Und wie hätte eine Vorstellung gegen das, was der König öffentlich an das ganze Land erlassen hatte, sich in die Schranken einer bloß an das Ministerium gerichteten, vielleicht ohne weitere Folge zu den Akten genommenen Antwort zwängen mögen? Diese Antwort bedurfte ebensosehr an das Licht der Welt zu treten, als ihr Anlaß. Richtet der König sein Wort an seine Untertanen, so steht auch ihnen offen zu antworten und sich zu verteidigen frei. Was für ein Verbrechen wäre das Recht dieser Verteidigung, die nichts verrät, nichts verdeckt, keinen Gehorsam aufkündigt, sondern nur gegen eine Gewaltmaßregel der Regierung Einsprache tut? Ihr einziges Ziel, die Beruhigung der Gewissen, war der Anerkennung würdig. Wer verabscheut mehr als ich alles, was man politisches Treiben nennt? Es hat mich nie nur aus der Ferne berührt. Steht es so mit uns, daß die Lehre des Christentums, den Strauchelnden durch Beispiel zu warnen, zu einem politischen Vergehen darf gestempelt werden? Ich halte jeden, der nicht mit voller, unerkünstelter Überzeugung den Gründen des Patents vom 1. November nachgeben kann, auch den, der seine Gedanken aus Klugheit davon abwendend die Frage sich nicht beantworten will, noch heute für einen Eidbrüchigen.

Die Geschichte zeigt uns edle und freie Männer, welche es wagten, vor dem Angesicht der Könige die volle Wahrheit zu sagen; das Befugtsein gehört denen, die den Mut dazu haben. Oft hat ihr Bekenntnis gefruchtet, zuweilen hat es sie verderbt, nicht ihren Namen. Auch die Poesie, der Geschichte Widerschein, unterläßt es nicht, Handlungen der Fürsten nach der Gerechtigkeit zu wägen. Solche Beispiele lösen dem Untertanen seine Zunge, da wo die Not drängt, und trösten über jeden Ausgang.

Niemand in Göttingen oder andern Orten hat übersehn können, wie verschieden die Entschlossenheit der einzelnen Fakultäten ausgefallen ist, das Recht der Universität auf Erhaltung des Grundgesetzes zu verteidigen. Als Korporation befugt und verpflichtet, ihren Deputierten den Ständen beizuordnen, gekränkt durch die ausgesprochne Aufhebung der Verfassung, war sie einzuschreiten ermächtigt und aufgefordert. Einer aus gelehrten, kundigen, feiner fühlenden Männern zusammengesetzten Gemeinheit gebührte dieser Beruf vor den übrigen im Land: was als Laienwahrheit allen Herzen einleuchtete, sollte sie von der Gelehrten Dank herab, nach göttlichen und menschlichen Satzungen, bestätigen und bestärken. Ein vollstimmiger Beschluß von seiten der ganzen Universität hätte die bedeutendste Wirkung haben müssen; bald aber zeigte sich nicht nur die Unausführbarkeit einer solchen Vereinigung, sondern auch wie sehr die Kräfte der Mutigeren durch gesondertes, ungleichzeitig und in abweichenden Formen sich entfaltendes Auftreten zersplittern würden. Keiner der endlich eingeschlagnen Schritte vermochte die Mitglieder der theologischen noch der medizinischen Fakultät für sich zu bestimmen. Die philosophische und juristische waren es, von welchen aller Entschluß und alle Anregung ausgingen, und das bleibt eine fast psychologische Merkwürdigkeit. Wenn man auch anschlagen muß, daß der Zahl nach die philosophische Fakultät auf allen Universitäten immer die bei weitem stärkste, die theologische die schwächste ist, so wird doch die medizinische in dieser Beziehung der juristischen wenig weichen. Macht die alltägliche Gewohnheit, vor Sterbebetten zu stehn und mit dem Messer in Leichen zu schneiden, Ärzte härter und unempfindlicher gegen die Not des Vaterlands? Wird ihnen durch ihr Geschäft mehr Gleichgültigkeit für die Bedrängnisse des menschlichen Lebens, dem sie nur von der leiblichen Seite her zu Hilfe kommen, eingeflößt? Es gibt gleichwohl die edelsten Beispiele liebender Aufopferung für das Gemeinwesen auch unter Ärzten, und ihre regere Berührung mit allen Ständen pflegt ihnen sonst die Kunde der öffentlichen Dinge zu erleichtern, nicht zu verleiden. Von den Theologen hingegen, den Bewahrern des Glaubens und der Gewissen, wäre am allerersten zu erwarten gewesen, daß sie, eingedenk lutherischer Freimütigkeit und Standhaftigkeit, ihre Zornschalen kräftig ausgeschüttet und alle Blödigkeit des Zweifels dahingeworfen hätten. Es fehlte nicht an Beistimmung, aber an der Entschlossenheit, sie öffentlich zu bekennen. Theologischer und juristischer Gelehrsamkeit stand hier allerdings die eigentliche Begründung der obschwebenden Fragen zu; wenn es die Unterzeichner der Protestation schmerzlich empfanden, von ihren theologischen Kollegen verlassen zu sein, so durfte freilich die Teilnahmslosigkeit der medizinischen Fakultät minder schwer auffallen, doch die Einstimmung strengjuristischer Ansichten mit denen, die aus der freieren philosophischen Klasse hervorgingen, vollkommen beruhigen.

Es ist außerdem, selbst öffentlich von der Regierung, hervorgehoben worden, daß an dem Widerstand, welchen sie zu erfahren hatte, hauptsächlich sogenannte Ausländer, d. h. keine gebornen Hannoveraner, beteiligt seien. Ein tief kränkender, undankbarer Vorwurf, der, wenn er gelten könnte, überhaupt nur den Sinn haben würde, daß unter deutschen Gelehrten, zwischen welchen von jeher Freizügigkeit und Gefühl deutscher Nationaleinheit waltete, die Abgrenzung einzelner Bundesgebiete Spaltungen erzeugen sollte. Oder hören die, welche fünf, zehn, zwanzig Jahre im hannöverischen Land gelebt und gewirkt haben, noch nicht Auswärtige zu heißen auf? Will der König seine hohe Schule mit lauter eingebürtigen Professoren besetzen, nur für eingeborne Studenten öffnen? Man schlage Göttingens Jahrbücher auf und zähle nach, wieviel Gelehrte ihm die engere Heimat, wieviel das übrige Deutschland zugeführt hat? von welchen unter diesen der größte Glanz über es gekommen, die festeste Treue ihm bewiesen worden ist? Nach dem dermaligen Bestand des Personals der Universität bilden die eigentlichen Hannoveraner nicht einmal dessen vierten Teil, und so schwerlich die Würde der ganzen Anstalt mit bloßen Hannoveranern aufrechterhalten werden könnte, ebensowenig Lust bezeigen möchten die auf andern deutschen Universitäten zerstreuten, nirgend als Ausländer betrachteten hannöverischen Gelehrten jetzt nach Göttingen abzugehn. Haben die außerhalb gebornen Unterzeichner der Protestation (welchen sich, wie jedermann weiß, auch ein geborner Göttinger rühmlich zugesellte) keine Liebe zu dem Land verraten, dessen Grundverfassung sie auf Gefahr ihrer Stellung hin zu hegen unternehmen? Liegt der hier berührten Erscheinung etwas Wahres zum Grund, so dreht sie sich um in den wirklichen Vorwurf, daß die eingebornen Landeskinder, denen keine geringere, sondern eine noch mächtigere Verpflichtung zu der Konstitution oblag, saumselig und furchtsam ihr nicht nachgekommen sind. Ihre Lässigkeit kann das gewissenhafte Betragen der übrigen nicht zum Laster stempeln.

Man hat, im Gefühl, es gebreche sonst an Ursachen uns zu verdammen, die schnelle Veröffentlichung jener Erklärung als etwas Strafbares aufzufassen gestrebt. Wissen doch Regierungen selbst, wie schwer es heutzutag ist, sogar ihre verborgensten Handlungen der Öffentlichkeit zu entziehn, die als wohltätige zugleich und gefährliche, aber unausrottbar gewordne Macht ihren Schritten zur Seite steht. Und, wie verbotne Früchte süßer scheinen, kehrt sich auch der Vorteil augenblicklicher Hemmung bald hernach wider die, welche sie verursachen, wenn sich die geschehnen Dinge mit desto stärkerem Schwung Luft machen und das Gerücht ihnen erhöhten Reiz leiht. Des Verbots, der Zensur blödsichtiges Auge vermag doch bloß in unmittelbarer Nähe und Gegenwart zu sichern, die drohenderen Übel der Zukunft gewahrt es nicht. Hätten wir mit Angst und Sorge jede Mitteilung unserer Worte gemieden, sie wären, einmal entsandt, doch auf mehr als einem Weg frei geworden. Wir wollten sie nicht zuerst verbreiten, erwarteten nie, daß sie geheim bleiben würden. Sind wir daran schuld, wenn ein uns völlig unbekannter Korrespondent einer englischen oder französischen Zeitung von unserer Absicht hörte und davon meldete? Was konnten wir mit einer solchen kahlen Notiz bezwecken? Wir, die wir nichts verheimlichen wollten, die wir offen und mit allen Gründen uns zu erklären vorhatten? Endlich, was hätte selbst eine solche Nachricht Strafwürdiges in sich? Ich für mein Teil habe ohne Bedenken, was ich getan, und niemand, daß es geschehn würde, vorher wußte, was ich noch jetzt für völlig schuldlos halte, ausgesagt, daß ich den vierten Tag nach der Entsendung, zu einer Zeit, wo bereits zahllose Abschriften umgingen und benachbarte öffentliche Blätter Auszüge lieferten, einem auswärtigen Freund, gar nicht zur Bekanntmachung, bloß zur Kenntnisnahme, eine vollständige Kopie mitgeteilt habe. Meine Aussage muß in dem akademischen Protokoll enthalten sein, und das nennt die »Hannöverische Zeitung« vom 17. Dezember unumwunden eingestehn, zur Verbreitung der Protestation beigetragen zu haben. Weil ich auf allgemeines Befragen ehrlich sage, was den Umständen nach völlig unerheblich ist, deshalb wird mir auferlegt, Haus und Hof zu räumen, die Meinigen und meine Habe im Stich zu lassen! Welche Barbarei will Mitteilungen an Freunde untersagen? Durch mich ist die Urkunde sicher in kein öffentliches Blatt gelangt, und jedes konnte sie bereits anderswoher entlehnen. Ähnliches, soviel ich weiß, dürfen meine Kollegen behaupten. Keiner hat den andern gefragt, was er tun wollte; vier haben gar keine Veranlassung zur Mitteilung gehabt. Und hätten wir wirklich zu gestehn gehabt, die alsbaldige Veröffentlichung sei unmittelbar von uns ausgegangen, stand darauf Landesverweisung, überhaupt nur auf der Mitteilung einer Erklärung an die Behörde irgendeine Strafe? War das Ausgesprochne in Recht und Wahrheit gegründet, so durfte es vor die Welt hintreten, wie vor den König selbst. Indem wir es weder an seine eigne Person richteten, noch unmittelbar öffentlich machten, folgten wir der Scheu natürlicher Ehrerbietung.

Ich habe nunmehr ein Ereignis zu berühren, das künftige Geschichtschreiber der Universität Göttingen aus ihren Jahrbüchern tilgen zu können wünschen werden, die berüchtigte Rothenkircher Deputation.

Die innere Wahrheit unserer Protestation mußte in Hannover wider Willen gefühlt worden sein, denn man schwieg so lange, bis der Versuch gemacht wäre, die übrige Universität von aller zu besorgenden Nachfolge abzuschrecken. Einem Gerücht zufolge wollte der König selbst nach Göttingen kommen, um über die Protestanten das volle Maß seiner Ungnade auszuschütten; er begab sich in das etwa vier Meilen ferne Jagdschloß Rothenkirchen.

Gegen Ende November ließ der Prorektor dem Senat eröffnen, daß der König zu Rothenkirchen eine Dekomplimentierung von seiten der Universität erwarte. Diese Förmlichkeit schien überflüssig, da die Dankgefühle der Universität bereits zur Zeit des Jubiläums ihren reichlichen Erguß genommen hatten. Man wähnte indessen, dem Prorektor sei eine offizielle Einladung des Ministeriums oder Kuratoriums zugegangen, der sich nicht ausweichen lasse. Es hat später verlautet, daß dies nicht der Fall gewesen sei, vielmehr eine dritte Mittelsperson die Hand im Spiel gehabt habe. Gegen eine Bezeugung der Ehrfurcht war vom Senat, wie sich von selbst versteht, nichts einzuwenden. Neben dem Prorektor, der selbst zugleich Substitut des Regierungsbevollmächtigten und Dekan der Juristenfakultät war, wurden deren Exdekan und die Dekane der drei übrigen Fakultäten zur Reise bestimmt. Einige Senatsglieder mögen sogar gemeint haben, das aufsteigende Unwetter könne durch eine offne und freie Sprache der Abgeordneten beschworen werden. Man wird es seltsam, ja unbegreiflich finden, daß diesen keine bestimmte Instruktion entworfen wurde; sie hatten einen oder zwei Tage lang Zeit dazu, alle obwaltenden Verhältnisse zu überlegen, reisten aber unvorbereitet und in voller Selbstgenügsamkeit am 30. November ab. Zu Rothenkirchen angelangt, wurde die Deputation alsbald befragt, ob sie eine Adresse der Universität bringe? auf verneinende Antwort aber bedeutet, daß sie ohne eine solche nicht vorgelassen werden könne. Hier war nun ein einfacher, durch die Umstände sogar gebotener Ausweg, eben dieses Mangels wegen umzukehren und heimzureisen. Der Prorektor entschloß sich lieber, in dem Vorzimmer des Palastes eine solche Schrift abzufassen und sich so den Weg zur Audienz zu bahnen. Er soll anfänglich eine allgemeine, d. h. nichtssagende aufgesetzt und übergeben haben. Diese wurde jedoch nicht angenommen, sondern mit dem Bedeuten zurückgestellt, es müsse darin eine Mißbilligung der Protestation ausgedrückt sein. Die Deputierten sahen sich nun in dem schwierigen und peinlichen Fall, etwas aussprechen zu müssen, was sie selbst in Wahrheit nicht fühlten, und wozu sie wenigstens durchaus nicht von der sie absendenden Senatsbehörde bevollmächtigt waren. Rechtlichen Männern, hier gedrungen, über einen Schritt ihrer Kollegen abzuurteilen, blieb das einleuchtende Mittel, eben diesen Abgang an aller Vollmacht geltend zu machen. Die Deputation dachte aber auf Umwegen durchzuschlüpfen, und eine neue Adresse ward ausgeklügelt, deren gewundne Phrasen wahrscheinlich einen vielleicht beschönigenden Tadel, nicht der Sache und Meinung selbst, sondern der schnellen Verbreitung der Protestation auszudrücken suchten. Diese Adresse, deren wörtlicher, geschweige buchstäblicher Inhalt bisher noch auf keine Weise hat bekannt werden wollen, genügte und wurde von dem König, nach bewilligtem Gehör, dergestalt beantwortet, daß nun seine Ungnade allein auf die Unterzeichner der Erklärung fallen, die übrige Universität aber ihrer bewiesenen loyalen Gesinnung halber gerühmt werden konnte. Der Prorektor wurde außerdem zu einer besondern und geheimen Audienz gelassen, in welcher es ihm freistand, von seiner Privatansicht so viel, als er mit sich selbst zu verantworten glaubte, zu äußern. Klar aber ist, daß weder er noch die Dekane, als Abgeordnete ihrer Kollegen, im Namen der Universität, der Fakultäten und des Senats nicht das Gelindeste von dem auszusprechen befugt waren, was sie zu Rothenkirchen von sich gegeben haben sollen.

Was sie aber auch dort verhandelt und ausgerichtet haben mochten, ihre unerläßliche Pflicht war, ungesäumt nach der Heimkehr dem kommittierenden Senat nicht allein, sondern in einer so wichtigen Angelegenheit auch dem gesamten Korpus der Professoren Rechenschaft abzustatten. Sollte man es glauben, daß vom 1. bis zum 14. Dezember, an welchem Tag mein bisheriges Verhältnis zur Akademie gelöst wurde, mithin in zwei vollen Wochen, keine Silbe über diese Hergänge von seiten des Prorektors an mich gelangt ist? Was sich im Senat zugetragen hat, mögen andere genau berichten; man weiß, daß auch da der Prorektor nur allgemeine, ganz unverfängliche Dinge gesagt zu haben bekannte, jeder genaueren Erklärung und schlichter Erzählung ausweichend. Nicht weniger als ihrem Oberhaupt lag aber auch den übrigen Abgeordneten, seit sie übelverrichteter Dinge zurückgekehrt waren, die stärkste rechtliche und sittliche Pflicht ob, auf die Erstattung dieser Rechenschaft zu dringen. In Privatäußerungen schienen einige von ihnen freimütiger, ohne jedoch irgend etwas einzuräumen, was den noch wurzelnden Glauben beeinträchtigen konnte, sie hätten bei dieser Veranlassung, wie es sonst immer üblich ist, ihren Genossen die Farbe gehalten. Daß sie nicht recht klaren Wein einschenkten, fühlte man wohl, war aber weit entfernt, eine solche Verleugnung ihnen aufzubürden, als sie deren einige Tage später öffentlich geziehen werden sollten.

Hegten die Mitglieder der Deputation insgeheim den Wunsch, daß die königliche Ungnade sich entladen würde, ohne sie in die Entwicklung einzumischen, so sind sie mit allem Recht getäuscht worden. Ihre unmannhafte Haltung, die sittliche Mattherzigkeit ihrer zu Rothenkirchen geführten Sprache ist es offenbar, was unser Verderben, wenn auch nicht bereitet, doch vollendet hat. Das muß frei und laut gesagt werden. Ihnen lag die moralische Pflicht ob, der Anklage ihrer Kollegen gegenüber auf die Sache selbst einzugehn und bescheiden und ehrerbietig aber furchtlos ihre Überzeugung auszusprechen. Das wird niemand, wo sie selbst es nicht etwa tun, leugnen. Aus ihren Träumen oder Hoffnungen sahn sie sich plötzlich geweckt durch einen offiziellen Artikel der Hannöverischen Zeitung vom 6. Dezember, dem es nicht genügt, jener mißbilligenden Adresse Meldung zu tun, der vielmehr wörtlich und ausführlich die ganze Rede mitteilt, welche, in Gegenwart der Dekane, der Vorstand der Deputation gesprochen haben soll, und worin sich die Universität überhaupt, in deren Namen unbefugterweise aufgetreten wird, nicht bloß von aller Gemeinschaft mit den sieben Protestierenden lossagt, sondern ihre Gesinnung öffentlich schmäht. Lange noch wird der Verfasser dieses Artikels, wer er auch sei, mit heimlicher Schamröte übergossen werden müssen, wenn ihm der gehässige Eindruck vorschweben kann, den dieses Machwerk bis in die weiteste Ferne hervorgerufen hat. »Das sind Fabeln«, sagte mir einer der Deputierten ins Gesicht, auf die gedruckten Worte weisend; es war ein übertreibendes Zerrbild ihrer ganzen Handlung. Man soll glimpflich urteilen von Kollegen, die unbedachterweise in eine gelegte Falle geraten waren. Mir schien es jederzeit, daß die Ehre ihnen das unabweisliche Gebot stellte, von nun an, und sei es auf Kosten ihres Amtes, sich alles Lugs und Trugs zu überheben. Nichts in der Welt durfte ihnen das Recht abschneiden, das, was zu Rothenkirchen aus ihrer Feder oder aus ihrem Munde gegangen war, wörtlich bekannt zu machen und jeder Fälschung frei, ich meine mit der Unterschrift ihres Namens, zu widersprechen. Sie zauderten und zauderten, noch bis heute ist ihr Schweigen nicht gebrochen. Welcher diplomatische Kodex wird es zuerst wagen, die echte Urkunde herzustellen?

Während durch die Rothenkircher Vorgänge die Teilung der Gemüter zunahm und die Spannung unter den Professoren eine vorher unglaubliche Höhe in wenigen Tagen erreichte, während bei einigen unserer Gesinnung nahstehenden edlen Freunden der Entschluß zur Nachfolge um so schneller reifte, als die Gefahr wuchs, nahte die Entscheidung nunmehr in raschen Zügen, und doch überraschend. Der Regierung stand es zu, Lehrer, deren offen dargelegte Grundsätze ihr nicht gefielen, vom Amt zu suspendieren: darauf gefaßt sein mußte man. Es gab jedoch eine doppelte Art und Weise, die Suspension bis zu dem Augenblick, wo die Ungewißheit über die Verfassung durch den Zusammentritt einer Ständeversammlung nach dem Gesetz von 1819 entschieden sein würde, aufzuschieben oder allsogleich zu verhängen. Selbst der zweite härtere Weg schien noch allzu gelind. Der König verfügte, nachdem ein kurzes inquisitorisches Verfahren über die Verbreitung (wobei ich das erstemal in meinem Leben vor irgendeinem Gericht erschien) vorausgegangen war, unterm 11. Dezember nicht Suspension, sondern förmliche Entlassung der sieben Professoren aus seinem Dienst. Dreien darunter, welche Exemplare des Protestes anderwärts mitgeteilt hatten, wurde binnen dreien Tagen Frist das Land zu räumen auferlegt, widrigenfalls sie gefänglich eingezogen werden sollten. Es wird ihnen geboten, »das Land in drei Tagen zu verlassen, und wenn sie sich dem nicht freiwillig fügen sollten, wird die Untersuchung gegen sie mit aller Strenge fortgesetzt werden und sie zu dem Ende an einen andern Ort im Königreich gebracht werden«. Wer möchte aber schuldlos im Kerker schmachten!

Mahnte den Prorektor nicht sein Gewissen, als er dies ohne Zuziehung einer Behörde gefällte, nur von dem Kabinettsminister kontrasignierte Urteil Männern publizierte, denen er im Herzen selbst nichts vorzuwerfen hatte? Zeigte ihm die Ehre nicht den Weg, den er gehen mußte?

Durch diesen ohne Urteil und Recht, selbst mit Verletzung der in des Königs eignen Patenten vorgeschriebnen Formen ausgesprochnen Entsetzungsakt erachte ich mich meines wohlerworbnen Rechts auf mein Amt und den damit verbundnen Gehalt noch nicht beraubt, und gedenke alle mir dagegen zu Gebot stehenden Mittel gerichtlich zu verfolgen. Der Gewalt zu weichen, war ich gezwungen.

Die unmittelbarste Behörde der Universität, ihr eignes Kuratorium, wurde bei einem, für das Wohl und Wehe der Anstalt folgenreichen Gewaltschritt so wenig von dem alles lenkenden Kabinettsminister gefragt oder gehört, daß es erst von Göttingen aus am 17. oder 18. Dezember durch die kriegerisch vollzogne Maßregel Kunde des Geschehnen empfing.

Die Regierung erhielt mit der Nachricht von der Ausführung ihrer Befehle gegen die sieben Professoren zugleich die Botschaft, daß sechs andere nicht ihr selbst, sondern allsogleich in öffentlichen Blättern erklärt hätten, keineswegs die Rothenkircher Schmach teilen zu wollen. Diese zweite Protestation zugunsten der bedrohten Konstitution von 1833, ihrer Fassung nach schwächer als die erste, stärker hingegen, weil sie nach der schon ausgesprochnen Ungnade des Königs jener sich anzuschließen wagt, ist unsere schönste Ehrenrettung und ein herrliches Zeugnis für den Geist der Universität. War unsere Verurteilung unverdient und schonungslos, so gedachten sicher die nachprotestierenden Männer keine durch die Finger blickende Schonung sich abzuverdienen. Aber die Regierung, die Konsequenz ihrer Gerechtigkeit aufgebend, schien selbst über den Riß zu stutzen, den ihr Verfahren in dem edelsten Gebäude des Landes hervorbrachte. Ein ausgestoßner Stein zieht dann den andern nach sich, und ganze Wände lockern sich zum Sturz. Wo dieses einhalten werde, läßt sich nicht einmal berechnen.

Es war vorauszusehn und ist allgemein bekannt, welche bewegten und schmerzhaften Eindrücke unsere Entsetzung im Lande, unter allen Mitgliedern der Universität, die ein Gefühl von Recht hatten, vorzüglich aber unter der studierenden Jugend erzeugen mußte. Ich verzichte hier darauf, sie zu beschreiben: sie bleiben in meine Brust gegraben.

Schwerer fällt es, die weit in ganz Deutschland gefühlte und noch lange nachhaltende Wirkung des Ereignisses aufzufassen. Aber ich, der ich bloß von dem, was mich persönlich berührt, reden wollte, enthalte mich des Versuchs und überlasse die Pflicht, dies zu erwägen, denen, welchen sie von ihrer Stellung unabweislich auferlegt wird.

Nun liegen meine Gedanken, Entschlüsse, Handlungen offen und ohne Rückhalt vor der Welt. Ob es mir fruchte oder schade, daß ich sie aufgedeckt habe, berechne ich nicht; gelangen diese Blätter auf ein kommendes Geschlecht, so lese es in meinem längst schon stillgestandnen Herzen. Solange ich aber den Atem ziehe, will ich froh sein, getan zu haben, was ich tat, und das fühle ich getrost, was von meinen Arbeiten mich selbst überdauern kann, daß es dadurch nicht verlieren, sondern gewinnen werde.


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