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Über Schule, Universität, Akademie

Eine in der Akademie der Wissenschaften am 8. November 1849 gehaltne Vorlesung.

Dieser Tage trat, aus mehr als einer Ursache, es an mich nahe, einen die Genossenschaft, der wir zugehören, unmittelbar betreffenden, ohne Zweifel auch von vielen unter uns oft erwognen Gegenstand in neue Betrachtung zu ziehn. Rechenschaft geben wollte ich mir über das eigentliche Verhältnis der Akademie zu andern wissenschaftlichen Anstalten, über das, was bei verschiednen Anlässen akademisch sei oder nicht. Auf unser Statut zurückgewiesen zu werden, besorge ich kaum, da dessen schon mehrmals (am letzten 1812 und 1838) eingetretne Änderung selbst dartut, wie wenig dieser Verein von gelehrten Männern für in sich abgeschlossen und fertig zu erachten oder gegen der Zeit und des allgemeinen menschlichen Fortgangs allmächtigen Einfluß unempfindlich sei. Das uns bei der Stiftung übergeworfne erste Kleid haben wir längst verwachsen, und die Muster, nach welchen es geschnitten wurde, gelten auch sonst nicht mehr, so wenig als für irgendeine der deutschen Universitäten die Heidelberger Satzung von 1346 maßgebend geblieben ist. Dennoch darf es ein Glück heißen und eine Wohltat, daß damals zu Berlin oder in der Pfalz halb taktvoll, halb unbewußt, das Rechte und Angemessene getroffen wurde. Desto ruhiger abwarten oder im Geist vorausahnen dürfen wir, die Akademie werde über lang oder kurz sich zu verjüngen und erweitern alle Fähigkeit in sich tragen, und wohin mein Blick gerichtet sei, soll hernach unverhalten sein.

Wer über das Wesen der Akademie nachzusinnen beginnt, kann sich schon beim Klang ihres Namens an die Universität zu denken kaum entschlagen, welche gleichfalls Akademie zu heißen pflegt. Aber auch hier läßt sich noch nicht einhalten, da zwar keine Akademie, doch die Universität auf die Benennung einer hohen Schule Anspruch hat, so daß in den ganzen Kreis dieser Begriffe und Erörterungen nicht minder die Schule gezogen werden muß. Und wie solchergestalt die Verwandtschaft zwar notwendig geschiedner, aber ineinander übergreifender Behörden bereits in ihren Namen vorbricht, findet sie hier in Preußen dadurch ausdrückliche Bestätigung, daß nicht selten vorragende Lehrer an den Gymnasien zugleich als Professoren der Universität auftreten und alle Mitglieder der Akademie auf sämtlichen Landesuniversitäten Vorlesungen zu eröffnen berechtigt sind. Kann demnach an vielfacher, innerer wie äußerer Berührung dieser drei öffentlichen Anstalten im voraus nicht gezweifelt werden, so soll das Ergebnis meiner nachfolgenden Untersuchung darlegen, wie und auf welche Weise in ihren Mitteln und Erfolgen sie ganz voneinander abweichen, um so sicherer aber eine sich stützende stufenartige Trilogie bilden, welche, solange die Akademie ihr abging, unvollständig erfaßt war, man darf auch sagen, solange die Akademie ihrem Wesen nach unzureichend aufgestellt ist, immer noch mangelhaft begriffen wird.

Es braucht nicht zu verwundern, daß diese Anstalten insgesamt, deren entschiednes deutsches Gepräge bald ins Auge fällt, nur mit fremden Wörtern bezeichnet werden können und unsere jetzige Sprache für sie gar keine heimischen Ausdrücke darbietet. Denn gleich der Sache sind die Namen zwar zu sehr verschiedner, doch einer solchen Zeit, wo die in unserm Volk selbst gelegnen bildsamen Triebe zurückstanden, uns von Süden und Westen her über die Alpen und den Rhein zugebracht worden; wie es bei manchem andern von außen Aufgedrungnen der Fall war, haben wir ihren Begriff allmählich abgeklärt und vertieft, so daß nichts weiter an der ihnen ursprünglich zugestandnen oder im Verfolg anderswo beigemessenen Bedeutung gelegen scheint. Wir Deutschen, denen zu heiß drückender Schmach das ersehnteste Recht eines freien Volks, das seiner ungehemmten Einheit, bisher noch vorenthalten wird, erblicken einem solchen Gebrechen gegenüber zwar geringfügigen, an sich dennoch großen Ersatz oder Trost dafür in dem anerkannten Ruf, daß, was auf Wissenschaft und deren Förderung bezogen werden kann, alles bei uns fast in höherem Grad vorhanden ist, als bei den mächtigsten, einsichtsvollsten Völkern der Gegenwart. Wieviel Unherstellbares in unserm öffentlichen Leben uns mißlungen, wieviel auch des Gelingenden bald wieder verkommen und untergegangen sei, alles noch rettbare Gedeihn scheint sich nach einer Seite hin geflüchtet zu haben, und in den meisten der Wissenschaft gehörenden Einrichtungen die Gunst eines frohen und anhaltenden Fortschritts uns immer unversagt. Und vermag der Geist einen hinfälligen Leib aufrechtzuerhalten und zu fristen, so kann ohne Ruhmredigkeit behauptet werden, daß unsere Wissenschaft und errungne Literatur, das untilgbare Gefühl für Sprache und Poesie es gewesen sind, die in Zeiten härtester Trübsal und tiefster Ohnmacht des Deutschen Reichs das Volk gestärkt, innerlich angefacht und erhoben, ja – den sonst nichts hätte aushalten mögen – vor Untergang uns bewahrt haben. Franzosen und Engländer, ihren Blick teilnahmlos und ungläubig von unserm politischen Ringen abwendend, wo nicht gar es höhnend, erkennen auf dem Feld der Wissenschaft uns als ihnen ebenbürtig oder selbst überlegen an; sie sind längst bestrebt, unsere Leistungen und Anstalten kennen zu lernen und vielleicht nachzuahmen. Was auch in ihren Augen und mit verzehnfachtem Selbstgefühl würden wir ausgerichtet haben, hätte aller unserer Wissenschaft, das heißt der Erhebung des Geistes auch ein stolzes Bewußtsein der Stärke und der Macht des Vaterlands, als eines Bodens, von dem der Geist sich schwingen, auf den er weilend sich niederlassen könne, zum Grund gelegen? oder welch unerfülltes, glänzenderes Geschick ruht für uns auf jetzt noch unnahbaren Knien der Götter? Wem solch ein Lob zu voll, diese Hoffnungen maßlos und überspannt erscheinen, der möge hernach gewahren, daß ich herben Tadel unterzumischen und von den wissenschaftlichen Ansprüchen, zu denen wir befugt sein könnten, große Stücke abzuziehn nicht säumen werde. Von andern Seiten her erschallen ja Mißbehagen und Unzufriedenheit viel anhaltender und lauter. Es ist eine seltsame Erscheinung, daß gerade, was dem Ausland an den sonst um nichts Geneideten neidenswert vorkommt, unsere Schulen und Universitäten, bei Mitlebenden unter uns herabgesetzt und als wesentlicher Umwandlung bedürftig dargestellt zu werden pflegt. War jener Vorzug nur eingebildet, oder steht er so fest, daß alle gemachten Vorwürfe von ihm abgleiten? Niemand der gesundes Sinnes ist, wird frevelnden Neuerern das Wort reden, die jede gute Gewohnheit hergebrachter Sitte ruchlos untergraben möchten, niemand aber auch den auf ihren Zinnen über alle und jede Neuerung Zeter schreienden Zionswächtern sich beigesellen wollen.

Ich erbitte mir Nachsicht dafür, daß ich, wie man schon gewahren wird, mit anspruchsloser Offenheit keinem Anstoß oder Bedenken ausweichen will, was einige meiner Ansichten mit sich führen können; hinten zu halten und mich zu bergen war meine Sache nie.

Von der Wissenschaft hege ich die höchste Vorstellung. Alles Wissen hat eine elementarische Kraft und gleicht dem entsprungnen Wasser, das unablässig fortrinnt, der Flamme, die einmal geweckt, Ströme von Licht und Wärme aus sich ergießt. Solange es Menschen gibt, kann dieser lechzende Durst nach Wissen, wie vielfach er gestillt wurde, nie völlig erlöschen. Eigenheit der Elemente ist es aber, aller Enden hin in ungemessene Weite zu wirken, und darum verdrießt es die Wissenschaft jeder ihr in den Weg gerückten Schranke, und sie findet sich nicht eher zufriedengestellt, bis sie eine nach der andern überstiegen hat. Ihrer Unermessenheit zufolge scheint sie notwendig unpraktisch in der Meinung, daß sie nicht auf irgendein bestimmtes Ziel einzuengen, sondern der guten Fabel ähnlich statt auf einzelne Nutzanwendungen vielmehr auf jeden Nutzen gerecht und bei aller Gelegenheit diensam ist. Dieser reiche, unabschließende Gehalt der Wissenschaft äußert sich auch darin, daß aus ihrem Schoß Zweige und Äste, wie aus der Pflanze entsprießen und treiben, die sich bald ihr neues Gesetz schreiben und dann gesondert als einzelne Wissenschaften neue Frucht bringen. Das Beispiel der vergleichenden Sprachforschung soll mir hier zustatten kommen, die in unsern Tagen, in Gegenwart und vor Augen dieser Akademie selbst, sich eignen Weg gebrochen hat, der zu ganz andern Ausgängen führt als den von der alten Philologie verfolgten. Denn während diese sich nur der klassischen Sprache bemächtigte und in deren Umfang Meisterin war, mußte die komparative Grammatik ebensowohl alle rohen, von jener über die Achsel angeblickten Idiome und alle halbgebildeten Sprachen in ihren Kreis ziehn, wodurch sie zu Ergebnissen gelangte, von denen früher keine Ahnung war. Ich scheue mich nicht hinzuzufügen, daß in gleicher Weise dem Betrieb der klassischen Mythologie, die sich zur Seite unbeachtet liegen ließ, was von Mythen, Sagen und Bräuchen aus dem lebendigen Volksmunde des gesamten heutigen Europas im Überschwang zu sammeln steht, bald auch eine vergleichende Sagenforschung sich erzeugen werde, deren ernste Resultate nicht bloß einigen Regeln zum Korrektiv dienen können, die aus dem griechischen und römischen Altertum bisher geschöpft, und zwar reichströmend, doch allzu einseitig abgeleitet waren.

Fragt es sich nun aber im allgemeinen nach dem Boden, wo jede einzelne Wissenschaft wie alle zusammen wurzeln, was sie zeuge, nähre und sättige? so wird beständig auf eine innere und äußere Ursache zu weisen sein, die fast unzertrennlich ineinandergreifen und kaum ohne einander zu denken sind, ich meine den Trieb des Lernens und Lehrens. Auch sind beinah in allen Zungen bedeutsam die Wörter des Lernens und Lehrens (deren Sammlung ich anderswo mitteilen werde) unmittelbar voneinander gebildet, und entweder wird das Lehren als ein Übertragen des Gelernten, als ein Wissenmachen oder das Lernen als ein Gelehrtwerden und Sich-selbst-Lehren, überhaupt aber als ein Weise-und-Gewißwerden erfaßt. Wer nun wollte, sofern man beide Fähigkeiten getrennt abwägt, nicht dem Lernen den Rang lassen vor dem Lehren? Wie dem Hören ein innerer Sinn des Vernehmens, dem Sprechen ein Denken, dem Singen ein Dichten, muß notwendig dem Lehren ein Lernen vorausgegangen sein. Im Lernen waltet unschuldiges Behagen und größere Freiheit; die Lehre erscheint im Geleite einer von ihr unzertrennlichen und dem freien Wissen Eintrag tuenden Autorität, je mehr der Mensch lernen kann, desto gelehrter mag er werden, nicht aber gilt das Umgedrehte, daß, je mehr er gelehrt werde, er desto mehr auch lerne, und bloßer Gelehrsamkeit haftet ein Nebenbegriff des Angelernten bei, während die eigentliche Wissenschaft vorzugsweise aus sich selbst hervorgestiegen ist. Das Lernen ist findend und schöpferisch, die Lehre nur festigend und gestaltend; nimmer würde sogar die trefflichste Lehre ihr Werk verrichten, träte ihr nicht aus dem Lernenden ein empfängliches und mitfruchtendcs Verständnis gegenüber, was der Dichter in den schönen Worten anerkennt:

Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt. Goethe, Xenie 58, wissenschaftliches Genie: Wird der Poet nur geboren? Der Philosoph wird's nicht minder. Alle Wahrheit zuletzt wird nur gebildet, geschaut. Aphorismen über Naturw. (Werke 3, 303): Alles, was wir Erfinden, Entdecken im höheren Sinne nennen, ist die bedeutende Ausübung, Betätigung eines originalen Wahrheitsgefühles, das im stillen längst ausgebildet unversehens mit Blitzesschnelle zu einer fruchtbaren Erkenntnis führt. In Wilh. Meister (Werke 1816. 4, 394): Neigung, Tätigkeit, Anlage, Instinkt sind das erste und letzte. Die geringste Fähigkeit ist uns angeboren. Die Erziehung macht uns ungewiß. Ein Kind, das auf eignem Wege irre geht, ist mir lieber als manche, die auf fremdem Wege recht wandeln.

Menschlich aber ist es, daß beide, Lernbegier und Lehre, in Wechselwirkung zusammentreten, und streng genommen gibt es darum weder Autodidakten, noch solche, die nur durch die Lehre wissend geworden wären. Wer sich in Waldeseinsamkeit von aller menschlichen Gesellschaft flüchtete, könnte immer nicht umhin, die ihm selbst durch die Sprache eingeimpften und vor der Zeit, wo er den Entschluß zur Absonderung faßte, gesognen Vorstellungen seinem beschaulichen Nachdenken unterzulegen, geschweige jeder andere, den Einflüssen seiner Mitlebenden willig hingegebne Mensch. Alle Mitteilung geschieht in zwiefacher Absicht, entweder will der Mitteilende Beifall oder Tadel über das Mitgeteilte vernehmen, oder er will es auf andere übertragen, und nur diese letzte Richtung heißt Lehre im eigentlichen Sinn. Im ersten Fall läßt er sein eignes Forschen eine Probe bestehn, die er selbst anzustellen nicht vermag; im andern Fall fühlt der Lernende sich von dem Lehrenden entzündet, der Lehrende durch das Entgegenkommen des Lernenden tiefer angeregt.

Ich kann jetzt die Anwendung machen auf unsere drei Anstalten. In zweien, der Schule und Universität, waltet die Lehre, die Akademie ist von ihr entbunden. Die Schule zeigt aber Lehrzwang, die Universität Lehrfreiheit. Kein Schüler hat die Wahl der Lehre, er kann sich nicht aussuchen, was er lernen will, und der Lehrer soll lehren, was im Schulplan liegt. Der Student hingegen darf sich frei entscheiden für alles, wozu ihn innere Neigung trägt; was diese Freiheit einschränkt, ist vom Übel und verfälscht. Den Professor bindet bei seinen Vorlesungen eine notwendige Rücksicht, ihren Inhalt dem Lehrzweck und den Bedürfnissen der Zuhörer anzupassen, und die alljährliche, wenn auch noch so freie und unmechanische Wiederholung kann quälend werden oder Gefahr laufen sich abzustumpfen. In der Schule ist alles Praxis und zwischen Schüler und Meister eine große Kluft, es gibt nur Sachen, die jenem schwer, diesem leicht fallen. Auf der Universität hat sich der Abstand mehr ausgeglichen, die Fähigkeit des Lernenden erhöht und der des Lehrenden genähert, welcher um so geneigter wird, herabzusteigen und seiner Lehrgabe die eigne Lernbegierde unterzuordnen. Für den Akademiker ist, im Gegensatz zum Schulmeister und Professor, die volle Lust und Muße des Lernens hergestellt, er darf immer obenbleiben oder seine höchste Formel aussprechen, und nur das Beispiel legt ihm eine wohltätige Fessel an oder einen zugleich seine innerste Kraft stärkenden Zaum. Schon nach dieser allgemeinen Darlegung wird die Akademie oder der akademische Betrieb der Wissenschaft als Gipfel aller wissenschaftlichen Einrichtungen erscheinen und, wie die Universität über die Schule, ihrerseits über die Universität hinausragen.

Bevor jedoch zur näheren Entwicklung und Begründung meiner Sätze im einzelnen geschritten werden kann, ist erforderlich, erst einer andern bisher unerwähnten und großartigeren Erscheinung zu gedenken, als Schule, Universität und Akademie zusammengenommen sind, einer Anstalt, die zugleich über Lehre und Lernen ihre wiewohl erschütterte, immer noch ungebrochne Gewalt behauptet.

Das Christentum und die aus ihm hervorgegangne Kirche bezeichnen insgemein einen so durchdringenden Wendepunkt der Geschichte wie aller einzelnen Richtungen unsers Weltteils, daß auch die Fortpflanzung des menschlichen Wissens in allen seinen Fugen davon berührt werden mußte.

Der heidnische Glaube der alten Welt wurzelte volksmäßig, Plato de legib. 10 p. 887. man könnte sagen durch eine stille Macht der Überlieferung in den Gemütern und bedurfte nicht für die große Masse, nur für Eingeweihtere der Lehre und des ausdrücklichen Bekenntnisses; alles andere Wissen wuchs neben ihm frei und unabhängig empor. Die christliche Kirche dagegen war von Anfang und zu allen Zeiten eine lehrende, die nicht bloß ihren Glauben fest einzuprägen, sondern auch jegliche Wissenschaft zuletzt auf ihn zu beziehn trachtete. Je straffer ihren Zügel sie anzog, desto strenger pflegte sie Erziehung und öffentlichen Unterricht zu leiten und auf allen Gebieten menschlicher Erkenntnis im Hintergrund eine Mauer zu errichten, vor welcher stillzustehn geboten, die zu überschreiten untersagt war. Das Christentum tat durch seine milde Wärme dem innern Menschen Vorschub, machte ihn also für das Wissen an sich empfänglich; allein die Leiter der christlichen Gemeinde hemmten und beschränkten diese wohltätige Wirkung, sie führten eine Reihe dunkler Jahrhunderte herauf, in denen sich keine freiere Menschlichkeit entfaltete. Konnte auch im Geleit der Kirche und von ihr geschützt die Wissenschaft eine Strecke des Weges zurücklegen, allmählich begannen beide, sich zu scheiden und feindselig einander entgegenzusetzen. Die Wissenschaft will nur glauben, was sie weiß, die Kirche nur wissen, was sie glaubt. swer niht mêr gelouben wil denne er weiz, der ist unwîse. David von Augsb. myst. 336, 20. Nie hat es die Kirche gescheut und unterlassen, aus ihrer Geringschätzung alles menschlichen Erkennens gegenüber den von ihr verfolgten Zwecken ein Hehl zu machen, und mit solchem Ausspruch, wenn er gälte, fiele die Wissenschaft zu Boden. Dem Tode verfallen zu sein, ist unserm Leib, nach dem ewigen Grunde des Wissens zu dringen, ist unserm Geist vorausbestimmt. Die Kirche will aber allein beseligen und bietet der menschlichen, auf zahllosen Wegen zur Erkenntnis Gottes vorstrebenden Natur Trotz. Nach dieser durchgehends verfochtnen Ausschließlichkeit der Kirche mußten alle von den Heiden, die auch am Schleier gelüftet hatten, eingeschlagnen Mittel wo nicht verkehrt, doch unzulänglich befunden, jede Rückkehr zu den die Vorwelt schon erregenden und befruchtenden Gedanken auf einem gewissen Punkt für Ketzerei verschrien werden, bis endlich eine solche Ketzerei zu ewiger Ehre unsers Vaterlandes durchschlug. Die Reformation verhält sich zur katholischen Kirche fast wie das Christentum seines Stifters und der Apostel zu dem Glauben der eifernden jüdischen Priester, und alle heilsamen Folgen der Glaubensreinigung mußten der ganzen Welt, ja wider ihren Willen und in weiterer Ferne selbst der alten Kirche zugute kommen. Diese ihrem Wesen nach unvollendete und unabgeschlossene Glaubensläuterung ist es, die auch, indem sie der Wissenschaft Ketten allmählich sprengte, dem Altertum der Griechen und Römer seinen lange verhaltnen Atemzug wieder löste. Man hat es ihr schwer aufgebürdet, mit einemmal die politische Einheit der Deutschen gebrochen und einen noch heute klaffenden Spalt zwischen Brüdern hervorgebracht zu haben. Wessen war aber die Schuld, der vorschreitenden Protestanten oder der zurückbleibenden Katholiken? Von jeher galt Fortgang für des Menschen würdiger als Stillstand, und es ist, wer genauer schaun und den Finger der Vorsehung erkennen will, ein in Deutschland vorher gestörtes Gleichgewicht eben dadurch auf andere Weise hergestellt worden. Da nämlich früher die Herrschaft der hochdeutschen, in Süddeutschland entsprungnen Sprache aus bekannten Ursachen auch über Norddeutschland erstreckt worden war, scheint durch ein nach der andern Seite fallendes Los die der südlichen Hälfte unsers Vaterlandes mehr entzogne geistige Ausbildung deutscher Sprache und Dichtkunst eine Zeitlang der nördlichen überwiesen, damit auch für sie die Spracheigenheit selbst gerechtfertigt und erworben würde. Österreich und Bayern mußten nach der Glaubensverbesserung, an der sie sich nicht beteiligten, die früher bei ihnen zu Hause wohnende und erblühte Macht der Poesie in norddeutsche Landteile ausziehn sehn, von wannen erst nach und nach die Wirkung wieder auf sie zurückscheinen konnte. Die protestantische Kirche jedoch, deren größere Freiheit seit Luther der Sprache und Wissenschaft zu Gewinn ausschlug und ihnen beiden einen unverkennbar protestantischen Charakter aufdrückte, hat auch nach unerfreuenden Rückschritten jene wiewohl geminderte Opposition gegen die Wissenschaft nie ganz aufhören lassen. Wenn einmal die gesamte, katholische wie protestantische Kirche zu ruhigem Vollbesitz ihrer menschenbeglückenden Kraft gelangen, ihr Glaubens- und Sittengesetz auf eine geringe Zahl einfacher Gebote beschränken wollte und darüber hinaus jeden Menschen mit sich selbst und seinem Gewissen, wie es die duldsamen Alten taten, fertigwerden ließe, so brauchte sie nicht länger Proselyten zu werben, nicht mehr Liebe und Haß aus demselben Gefäß zu gießen, und wäre der in vielen Zeitaltern umsonst erschollnen, endlich abgenutzten Klage über die Sündhaftigkeit und den Verfall der Welt enthoben. Je mehr sie sich aber dieser wahrhaft menschlichen, jene Kluft allein heilenden Richtung zukehrt, in demselben Maße werden sich auch einmal alle Fragen nach unserer besten Erziehung und Wissenschaft vereinfachen, alle Mittel dazu erleichtern. Jetzt deckt uns den Himmel noch ein großes Stück Gewölke.

Die Schule

Bei der Schule, von der ich nun anhebe, kann nicht umgangen werden eine niedere und höhere zu sondern, das Darreichen der ersten Milch alles Unterrichts von einer zubereiteten festeren Nahrung. Während die höhere unter uns in Blüte zu stehn und ihr rechtes Maß fast zu erfüllen scheint, erblicken wir den Stand der Elementarschule heutzutage sehr unbefriedigend und verworren.

Diese niedere Schule ist allgemeine Spenderin einer Lehre ohne Unterschied, die Heerstraße für alle Kinder, gleichsam das gröbste Sieb, durch welches deren frühste Anlagen gebeutelt werden.

Muß denn der Mensch zur Schule gehn? Das Insekt, sobald es aus der Larve geschloffen ist, reckt einige Augenblicke seine Flügel und schwingt sich dann leicht und gewandt in die Lüfte. Zwar heißt's, der Vogel lehre seine Jungen fliegen, der Adler führe sie der Sonne entgegen, was doch die Naturgeschichte unbestätigt läßt. Wer lauscht, wird gewahren, wie die flüggen, dem Flaum entwachsenen Nestlinge eigenmächtig ihr Gefieder rühren und nach geringem Flattern mit den Alten um die Wette ihre Bahn durchschneiden. Dem anfangs unbeholfnen, langsam gedeihenden, zum Bewältiger aller Tiere und der ganzen Welt ausersehnen Menschen stärkt sich dennoch jede Leibeskraft von freien Stücken und bedarf nur selten des Gängelbandes. Einfache Speise bringt ihn empor, und fast mit der Füße erstem Treten auf den Boden beginnt ihm auch seine wunderbarste, dem Tier versagte, dem erwachenden Denkvermögen innig verwandte Fähigkeit, die der Sprache, wie anzuwachsen. Wenn das Kind laufen lernt, lacht es, wie die menschliche Natur überhaupt, sobald ihr Schweres gelungen ist, still lacht; zwischen dem Vermögen zu lachen und zu sprechen besteht aber Analogie, und beides ist den Tieren unverliehn. Gleich dem vernommenen Wort haftet sodann in des Kindes reinem, unversehrtem Gedächtnis alles, was es Eltern, Geschwistern, Nachbarn abzusehn oder abzuhören vermag, mit der schnellen aber zähen Gewalt des Beispiels. Wie nun, seit das Kind den Tag von der Nacht, Gutes von Bösem unterscheidet, sollen sich ihm nicht auch Tugend und Sitte gleich Handgriffen einüben, die vor seinen Augen gemacht werden? Wie der Vater sein Söhnlein die rechte Hand gebrauchen lehrt, ihm die Zahlen an den Fingern vorsagt, wird er auf der Stelle Lüge und Ungehorsam an ihm strafen und ihm bei jedem Anlaß den Namen Gottes mit Ehrfurcht aussprechen. Des Lernens Kraft eilt auch hier schon der Lehre zuvor und reicht über sie hinaus, dem Kind wächst die Seele von innen, der Leib von außen, und das ist die schönste, leichteste und sicherste Erziehung, die dem sich öffnenden und faltenden Verständnis und Fassungsvermögen des Kindes von Eltern und Hausgenossen unvermerkt und ungesucht dargeboten wird.

Der Ackermann nimmt seinen Sohn mit aufs Feld, der Schiffer aufs Wasser, der Hirt auf die Weide, und gibt ihm erst kleine Geschäfte auszurichten, über welchen allmählich er auch die schwereren lerne. Wo Stand und Lebensart sich wenig oder nicht verrücken, ist nichts natürlicher, als ein so unmittelbarer Übergang der Gaben von Vater auf Sohn, von Mutter auf Tochter, und den sich ablösenden Geschlechtern alle wesentliche Unterweisung dadurch gleichsam von selbst verliehn.

Laßt aus irgendwelchem Grunde ein Mädchen die Schule nicht besuchen, sondern daheim unter dem Eindruck der Eltern und ihres Umgangs aufwachsen, und seht zu, ob es nicht mutterwitzig, lebendiger Rede kundig, wohlgeartet und haushältig werde vor allen Schülerinnen, die sich mit manchem geplagt haben, was sie ohne Schaden wieder vergessen können.

Hiermit aber soll bloß der eingebornen Anlage des menschlichen Geistes, die es allen Vorbereitungen beinah gleich tun und sie sogar überholen kann, ihr Recht geschehn, keineswegs die Heilsamkeit oder das Bedürfnis der Schule unter gesitteten und gebildeten Völkern, die der einfachen Lebensweise ihrer Vorzeit längst entrückt in gemischte und vielfach verwickelte Verhältnisse der Gesellschaft eingetreten sind, verabredet werden.

Es ist für Eltern wie für Kinder unentbehrliche Wohltat, daß öffentliche Anstalten bestehn, denen mit vollem Vertraun ein großer Teil der Erziehung überlassen werden könne. Nicht allein entfernen die Eltern den Lärm und die Unstille der in die Schule abgegebnen Kinder dadurch aus dem Haus, sei es auch nur um Stunden und halbe Tage lang, wie Mütter sagen, die Mühle abzuschützen und auf das Geräusch Ruhe eintreten zu lassen, deren sie für ihre Geschäfte und Verrichtungen bedürftig sind; der Hauptgrund und der Natur der Dinge gemäß ist es, daß gleichfalls das Kind aus dem weiteren Kreise des zerstreuenden Hauses mit andern Gespielen in engere, stillere, fruchtbar zum Eifer weckende Gemeinschaft unter Aufsicht eines Lehrers gesammelt werde, der die angefangne und daneben waltende Hauszucht in geregelter Ordnung fortsetze und erhöhe. Welch süßer Lohn für ihn, alle Keime und Knospen der unschuldig vordringenden Kinderseelen in ihrer mannigfaltigsten Gabe vor sich auf der Bank zu haben, zu betrachten und liebreich zu heben.

Solch ein Lehrer, wie die Amme ihre Brust dem Säugling hinhält, flößt dem Knaben die noch leichte Speise des ersten Wissens ein, nährt, erzieht, baut auf und meistert ihn in allen Dingen. Daher erziehn, unterrichten, instruere. Daß erziehn von der Amme entnommen wurde, lehrt eine Stelle: Varros bei Nonius 5, 105: educit obstetrix, educat nutrix, instituit paedagogus, docet magister. Auch praecipere gilt von diesem ersten Unterricht. Unsere alte Sprache nannte den Lehrer magazoho d. i. qui filium educat. meizoge jüngl. 41. 746. 1188. 1205; zuhtmeister jüngl. 1226. Otte mit dem B. 98.

Nichts besser zustatten kommt ihm dabei, als die unersättliche Wißbegier der an des Meisters Munde hängenden, ihn einem Könige gleich hochhaltenden Jugend selbst; doch hat diese freudige Lernfähigkeit auch ihre Schranke, die eingehalten sein will. So unverdrossen der Schüler lernt, ersehnt er zugleich die ausschlagende, ihn der vier engen Wände entlassende und zur freien Luft fordernde Stunde. Mit welcher Empfindung das Kind seine Bürde auf und ab lade, sagt in einer unnachahmlichen Stelle, wo er die Lust der Knaben, in die Schule und aus ihr zu gehn, der Lust Liebender von- und zueinander zu gehn, treffend entgegensetzt, Shakespeare:

love goes toward love as schoolboys from their books,
but love from love, toward school with heavy looks.

Und von Tristan redend, der aus der Freiheit seiner aufblühenden Jahre in des Meisters Hand gegeben wurde, hat schon Gotfried 54, 4 dasselbe Gefühl in den Worten ausgedrückt:

der buoche lêre und ir getwanc
was sîner sorgen anevanc.

Eines Schulmeisters Leben, wenn er genügsam sich bescheidet, nicht über seinen Stand hinausstrebt, könnte das friedlichste und glücklichste von der Welt sein. Jahraus, jahrein unterweist er in hergebrachtem Geleise, sieht immer frische Gesichter um sich versammelt und waltet in deren Mitte beinahe unumschränkt, denn in keiner andern Lage des Lebens wird dem Vorgesetzten von seinen Untergebnen so viel williger und unterwürfiger Gehorsam bewiesen, wie ihm von den Schülern. Nur mäßig angestrengt sind dabei seine Kräfte, und überall vermag er mit unbefangenster Sicherheit aufzutreten. Wie manche seiner Zöglinge schon nach wenigen Jahren ihm entschieden überlegen sein werden, jetzt steht er ihnen allen noch riesengroß und Vorbild gebend. Jene beständige Wiederholung und der langsame Schritt seines Unterrichts gleichen der Geduld des Landmanns, der viele Sonnen wiederkehren sieht, bevor die Saat zur Ernte reift, aber sie festigen ihm auch alles, was er weiß, und das bekannte docendo discimus lautet auf deutsch sinnlicher ausgedrückt: ein Tag ist des andern Schulknabe. Stunden zur Erholung, Ruhe, ja innern Ausbildung, wenn sie in ihm auftaucht, bleiben dem Schulmeister genug vergönnt; aber Zufriedenheit mit seinem stillen Los muß ihm eigen, alles Sichüberheben, aller Aufwand fremd sein.

Das Mittelalter hatte die ganze Schule in die Hand der Kirche gelegt, und nur zu den Geistlichen, oder wo es Klöster gab, zu den Mönchen gingen die Knaben, zu den Nonnen die Mädchen in Unterricht. Mädchen empfingen fast nur im Glauben und in weiblicher Handarbeit Unterweisung, Knaben ward eine Reihe von Jahren hierdurch das sogenannte Trivium pedantisch eingeübt, denn auf diesem Boden gerade ist eines Begriffs Ursprung zu suchen, über den ich mich bei anderer Gelegenheit hier ausgelassen habe. Hauptanliegen war, daß man die Knaben alle Glaubensartikel, ein dichtes Bündel von Gebeten (deren Nachplappern auch den Erwachsenen das ganze Leben hindurch auferlegt blieb), etwas Gesang und einzelne kirchliche Dienstleistungen lehrte; zum Lesen oder Schreiben brachten es nur weiter Vorgeschrittene, ja verschiedentlich scheint diese Kunst vorzugsweise Frauen mitgeteilt worden zu sein. Damals konnte die Schule überhaupt nichts anderes als ein Abbild, einen geschwächten Wiederabdruck der Geistlichkeit darstellen und hätte schon darum alles, was die Kirche von sich wies, ängstlich meiden müssen. Doch ist hervorzuheben, daß die Bettelmönche, wie sie insgemein auf das Volk näher einzuwirken trachteten, auch von der Kirche unabhängigere, wenigstens unbewußt nach dieser Unabhängigkeit strebende Volksschulen förderten und stifteten. Weil aber keine Zeit ganz ohne Freiheit und Licht sein kann und die der menschlichen Natur innewohnende Liebe selbst Unbeholfnen die Hand leitet, wird es auch im Mittelalter an freudigen Schulmeistern und Erziehern nicht gemangelt haben, die es verstanden, das schlummernde Talent der Kinder zu wecken und zu leiten, ich verweise nur auf die Schilderung der Erziehung Tristans oder des Findlings Gregorius bei Gotfried und Hartmann.

Aller Beschränktheit und Geistesarmut der Schule steuerte endlich zwar die Reformation, indem sie an den Platz des mönchischen Quadriviums sogenannte Humaniora (statt des stärkeren Positivs humana) einsetzte, die das klassische Altertum neben der christlichen Glaubenslehre ausrichteten. Nur in den Ersatz des freilich allzuwenig enthaltenden Triviums wurde nunmehr allzuviel gelegt und ein nüchtern überladner Elementarunterricht gegründet, der seinen pedantischen Anstrich steigernd zugleich die Strenge der Zucht schärfte. Nach wie vor blieb er dann halbgebildeten Kirchendienern, Küstern und Kantoren anvertraut, die, wie man sich denken kann, nichts von dem erließen, was in die Zuziehung der Knaben beim Gesang und bei jeder andern öffentlichen Gelegenheit ihres Amtes einschlug, so daß in gewissem Sinne auch die evangelischen Schüler fortwährend Chorknaben, Akoluthen und Psalmisten der Kirche waren, welcher Brauch doch allmählich ermäßigt und heute beinahe erloschen ist. Übung der Musik und des Gesangs mußte zugleich die Herbe der Schule mildern und erheitern.

Wenn im Mittelalter diese Elementarschulen der Regierung des Landes gar keine Ausgabe verursachten, kosteten sie auch in den nächsten Jahrhunderten nach der Reformation noch nicht viel. Den meisten ländlichen Ämtern pflegte vor alters ihr Gehalt fast nur in Naturalien ausgesetzt zu sein, die die Gemeinde lieferte, und am längsten konnte dieser Gebrauch sich bei Pfarrern und Schulmeistern fortpflanzen. Zu der ständigen, meistenteils geringen Besoldung des Schulmeisters traten die Schulgelder und andere von den Eltern der Kinder entrichtete Beiträge; wenn der Vater seinen Sohn dem Lehrer zuführte, brachte er ihm auch eine Gabe von Lebensmitteln. Ich entsinne mich, in der Schule, wo ich selbst den ersten Unterricht empfangen habe, Zu Steinau, in der hanauischen Obergrafschaft. Der Präzeptor hieß Zinkhahn. und gewiß damals noch in vielen andern, Um 1835 noch in den Dörfern des elsässischen Sundgaus, in der Gegend von Pfirt, warf jeder Knabe sein Spältle in der Schule ab. nahm jeder Schüler des Morgens ein Scheit Brennholz für den Ofen mit und warf es auf den Haufen, wie bis auf heute in Irland beim täglichen Schulgang jedes Kind sein Stück Torf unterm Arm trägt, das es zum Vorrat des Lehrers hinbringt. Irische Sagen und Märchen, zweiter Teil. Stuttgart 1849. S. 461. Wer alle Schulbräuche der Vorzeit, die Feste und Freuden der Kinder, aber auch die für sie bereitgehaltnen Strafen sammeln wollte, könnte ein anziehendes Buch davon schreiben. Ich wünsche dem Volk möglichst geringe Abgaben, doch wie Almosen dem Einschuß in Armenkassen, sind auch Schulgelder und Kollegienhonorare der ihres Abgangs wegen nötig werdenden Erhöhung der Besoldung für Schulmeister und Professoren aus Staatsmitteln vorzuziehn, schon aus dem natürlichen Grund, weil die unmittelbar bezahlte Schule und Vorlesung immer fleißiger besucht zu werden pflegt. Wer sich ein Buch gekauft hat, liest es weit genauer, als der es leihn kann.

An der einfachen althergebrachten Stellung der Landschulmeister haben die Einflüsse der neueren Zeit viel gerüttelt und manches verdorben, nicht ohne Mißgriffe der ihnen vorgesetzten Behörden, die mehr aus der Schule machen wollten, als ihr zu sein gebührte. Der erste Jugendunterricht ist von Natur so beschaffen, daß er einen niedern Stand halten muß und sich nicht gewaltsam in die Höhe schrauben läßt; über das Maß gehende Ansprüche schaden hier nicht bloß den Schülern, sondern auch den Lehrern. Soviel man nun für sie bedacht gewesen ist, waltet nirgends tieferes Mißbehagen als gerade unter unsern Schulmeistern, wie sie nicht einmal gern heißen mögen; sie ziehn dem mehrsagenden alten Namen den weniger enthaltenden vor. Die Frankfurter Nationalversammlung sah sich mit Bittschriften und Anträgen der Schullehrer fast überflutet, die höher und unabhängiger gestellt zu werden forderten und gern das ganze unentworfne Reich in ein Schulregiment umgewandelt hätten. Es ist auch nicht unbekannt, welcher Zusammenhang zwischen unruhigen Schullehrern, Kommunisten und Proletariern fast durchgehends stattfand und nicht ohne Gefahr für die Gemeinde bleiben konnte; den schlüpfrigen Abweg selbst betretend trugen sie eifrig dazu bei, das Volk auf ihn zu verleiten. Dem großen Haufen pflegt ein Grund, dessen sie zu Geltendmachung ihres Verlangens sich bedienen, scheinbar einzuleuchten. Da ihnen, sagen sie, das edelste, kostbarste Gut aller Menschen, die Kinder und deren geistige Entfaltung empfohlen sei, könne man sie nicht gering wie Handwerker setzen, die nur dem leiblichen Wohl frönen, vielmehr Amt und Beruf müsse ihnen die Ansprüche wahrer Staatsdiener auf anständiges Auskommen, genügende Versorgung im Alter und Witwengehalte sichern. Hier aber wird offenbar der Wert dessen, dem man einen Dienst leistet, mit dem Wert des Dienstes selbst verwechselt; es ist nicht abzusehn, warum wir Milch und Brot für die Kinder teurer einkaufen sollen, als sie jedem Alter gelten oder so teuer wie andere schwere Speisen. Die Fähigkeit, die wir vom Schullehrer fordern, und die er uns aufwendet, scheint mir an sich unter der eines ausgezeichneten, sinnreichen Handwerkers zu stehen, der in seiner Art das Höchste hervorbringt, während der Lehrer ein fast jedem zugängliches Mittelgut darreicht und sein Talent leicht überboten werden kann. Wir sehn nicht selten Männer, die in andern Ständen verunglücken, sich hinterdrein dem Lehrgeschäft als einer ihnen noch gebliebnen Zuflucht widmen, ungefähr wie alte Jungfern, die nicht geheiratet haben, zu Kleinkinderbewahranstalten übertreten. Dies soll keine Herabsetzung des Lehramts ausdrücken, sondern klarmachen, wie es durch eine verhältnismäßig niedere Kraft bedingt sei. Man hat auch geringere Leistungen zu achten, die aus reinem Willen hervorgehn, und wird sie doppelt hoch anschlagen, wenn sie für einen uns teuern Gegenstand erfolgten.

Das heute oft und mit heiserm Schrei erschallende Begehren voller Freiheit des Unterrichts, die vielen zur Freiheit ausschlagen würde, nicht zu unterrichten noch unterrichtet zu werden, ist so vieldeutig, daß ihm wieder alle eigentliche Bedeutung entgeht. Wird es von einer Kirchenpartei erhoben, die herrschen möchte da, wo sie über Druck klagt, so kann sie sich in der Elementarschule am leichtesten beruhigen, falls sie nur die natürliche Schranke in Glaubenssachen einhält. Zu wünschen aber, daß die Lehrgegenstände eher verringert als ausgedehnt werden mögen, wäre nicht unbillig und bezeichnete keinen Rückschritt. Die Wahl der Lehrer würde ich den Umständen nach bald vom Staat, bald von der Kirche, bald von der Gemeinde ausgehn lassen. Was ich von den bestehenden Schulseminarien in Erfahrung gebracht habe, macht mir ihren Nutzen mehr als zweifelhaft, sie erfüllen den angehenden Lehrer mit Kenntnissen, die ihm in der Schule hernach nicht frommen; ist es Milch und Brot des Glaubens und der Vaterlandsliebe, was dieser nottut, so werde auch nicht viel anderes daruntergegossen. Über die Notwendigkeit des Lesens und Schreibens für alle Kinder ohne Ausnahme ist freilich längst nicht mehr hinwegzukommen, auch wenn man einsieht, wieviel die angeborne Sprachregel unter dem Schreiben in der Schule verdorben wird.

Deutschland ist ein wahres Land der Schulmeister, etwa wie Italien und Spanien das Land der Geistlichen. Rechnet man für ganz Preußen auf 15 Millionen Menschen 30 000 Schulmeister, so kommt einer auf 500 Einwohner, unter welchen im Durchschnitt 50 schulbesuchende Kinder vorauszusetzen sind. Wenn nun die übrigen deutschen Länder fast noch einmal soviel annehmen lassen, entspringt ein Heer von 50 000 bis 60 000 Lehrern, dem schwerlich ein gleich großes in andern Ländern derselben Bevölkerung zur Seite treten kann und dessen Sold den Staatshaushalt mächtig belastet. In dieser Menge ist sicher auch eine große Zahl von Männern, die ihren Beruf getreu erfüllen und die ihnen aufgetragne Erziehung der Jugend gewissenhaft leiten; als Nebengeschäfte für sie eignen sich vorzugsweise Musik, Gartenbau, Veredlung des Obstes und Bienenzucht, aus welchen allen sie treffende Gleichnisse und Bilder für das Gelingen ihrer Hauptarbeit schöpfen mögen. Zu gewissen, in der gegenwärtigen Lage unserer Literatur unumgänglichen Nachforschungen, ich meine das Sammeln der Sprache und Sage des gemeinen Volkes, welche vertrauten Umgang mit diesem und völlige Eingewohnheit im Lande voraussetzen, taugte niemand besser als verständige Schulmeister.

Fast aller Tadel, der an den niedern Schulen, wie sie heute beschaffen sind, haftet, schlägt um in Lob, wenn ich auf die höheren, heißen sie nun Gymnasien, Lyzeen oder noch anders, zu sprechen komme. Vorzugsweise zwar für weiterschreitende, aus dem großen Haufen bereits geschiedne Jünger der Wissenschaft gegründet, werden sie doch auch noch von andern Schülern, die demnächst in das Gewerbe oder den Kriegerstand eintreten, vorteilhaft durchlaufen. Hier atmet nun das meiste seit der Kirchenverbesserung klassisches Altertum, und nicht bloß bei den Protestanten, auch den Katholiken, die offner Nachahmung ausweichend, ganz in der Stille sich manche Einrichtungen unserer Gymnasien löblich angeeignet haben.

Ich darf mich darüber kurz fassen, da die Art und Weise dieser höheren Unterrichtsanstalten vielseitig und mit befriedigender Klarheit auseinandergesetzt worden ist. Unserm Volk, das aus ihnen große Vorteile gezogen und tüchtige Männer in Menge gewonnen hat, sind sie ein gerechter und bleibender Stolz.

Doch fallen mir unter meinem Gesichtskreis einige drohende Anzeichen ins Auge, die sich gegen den unveränderten Bestand dieser Schulen aus der Ferne erheben. Unterliegen ja, den Umständen nach, alle irdischen Dinge dem Wechsel.

Ein wahres Unheil scheint hier die immer steigende Verlegenheit bringende Überfülle der Lehrgegenstände, da sich in allen Wissenschaften Stoffe sowohl als Einsichten und Ergebnisse häufen. Wieviel weniger von der Geschichte hatte noch im 16. Jahrhundert ein Jüngling zu erfassen. Er lernte die hergebrachten vier Monarchien, und brauchte eigentlich nur in der römischen, allenfalls griechischen Geschichte auf genaue Kunde bedacht zu sein. In die Nebel der einheimischen alten drang er gar noch nicht ein, wieviel Neues, Welthistorisches hat sich seitdem zugetragen und ist, bei Erleichterung aller Mittel des Aufbewahrens, bis ins einzelne auf das reichste verzeichnet worden; von Geschichte der Literatur und Dichtkunst, wie sie gegenwärtig angebaut werden, hatte man ehmals nicht die Ahnung. Auf dem Felde der Philologie war der lernbegierigen Jugend außer den beiden klassischen Sprachen nur noch die hebräische dargeboten, aber Auskunft über die neueren und vollends die Muttersprache trat erst viel später hinzu, geschweige daß auch die Kenntnis jener klassischen sich beständig vertiefte und in ihnen nun ein ungleich ansehnlicheres Material zu bewältigen bleibt. Nicht anders hat die Fülle geographischer Entdeckungen zugenommen, und die Naturwissenschaften, deren Eingänge schon in der Schule aufgetan werden sollen, breiten allenthalben das weiteste Feld aus. Wie natürlich, daß ehmals alle Kraft unzersplittert dem klassischen Studium zustatten kommen und alle Praxis in ihm gefördert sein konnte.

Will oder muß man, da die Zeit der Lehre wie des Lebens immer kurz gespannt ist, dem klassischen Altertum einen noch größeren Teil des bisher innegehabten Raumes abdringen, als unvermerkt schon geschehn ist, und dem neuen Wissen eingeben? Es kann von einsichtigen, redlichen Lehrern bezweifelt werden, ob der erlittne Verlust durch Gewinne auf der andern Seite sich ausgleiche.

Wir haben uns alle lang in das Altertum eingelebt und sind mehr, als wir selbst wissen, mit ihm verwachsen, so daß beim Losreißen von ihm Stücke der eignen Haut mit abgehn würden. Es war uns stets ein weiser und sicherer Führer, an dessen starkem Arm wir uns aus der eignen Barbarei emporgewunden haben. Die klassischen Sprachen sind uns Mittel und Handhabe für Unzähliges, fast Unberechenbares geworden, sie wecken Sinn, Geist und Herz zusammen und flößen uns Kraft und Tugend in ihren reichen Denkmälern ein. Was soll außer ihnen gelesen werden? Gewährt halben, um nicht zu sagen vollen Ersatz ihrer Natur, Frische und Würde irgendeine der neuern Sprachen? In dieser klassischen Literatur ist uns Vernunft, Freiheit und Poesie gegeben. Beide, die lateinische, noch mehr die griechische Sprache gelangten zu hoher Ausbildung und Festigung, als ihre Form noch sinnlich stark und unabgeschliffen war, so daß leibliches und geistiges Element auf das günstigste einander vermittelten und erhöhten. Die Gewalt reizender Formen erzeigt sich in einer Blüte der Dichtkunst und Stärke der Prosa, wie sie nur aus der ungehemmtesten Natur des Volkes hervorgehn konnten. Wir Deutschen, um der edlen, reichen Form auch unserer Zunge zu gewahren, müssen immer erst in den eng ausgebauten Schacht unserer Geschichte fahren. Unser heutiger Sprachstand kündigt uns lauter Verluste an, und der bildende Wurf war ihm nur in zwei Absätzen, das letztemal allzuspät gelungen. Man sagt, daß deutsche Sprachregel nicht überall nach lateinischer zu ermessen sei; gleich wahr ist, daß wir selbst Feinheiten unserer eignen Sprache erst an den klassischen fühlen und erkennen lernen. Wie aber mit der Form, ist es auch mit dem ganzen Gehalt dieser alten Sprachen beschaffen, und wo wir eine neue Untersuchung in ihnen anheben, oder eine längst begonnene tieferdringend wiederholen, öffnet sich alsbald ein weiter Kreis und großer Zusammenhang, während in unserer deutschen einheimischen die meisten Verhältnisse schmäler gezogen, die Ergebnisse darum sparsamer und trockener bleiben.

Allein abgesehn von diesem Gegensatz des klassischen Wissens zu dem unklassischen, ja trotz ihm, beginnt dennoch das Volksgefühl immer unverhaltner und unverhaltbarer sich zu regen. Man steigere alles, was sich zugunsten des klassischen Studiums sagen läßt, noch höher, ein Zug von Unnatur liegt darin, daß ein vaterlandliebendes, ich will hoffen einmal stolzeres Volk seine erste Anschauung und späteste Weisheit aus dem Gefäß einer fremden Sprache, und sei sie die herrlichste, schöpfen solle. C’est un bel et grand adgencement sans doubte que le grec et latin, mais on l’achete trop cher. Montaigne essais, 1, 25. Selbst den Römern schlug es nicht zum Vorteil aus, daß der Erziehung ihrer höheren Stände wenigstens griechische Unterlage gegeben und Jahrhunderte hindurch griechische neben römischen Werken zu Rom geschrieben wurden, welche Ausbreitung griechischer Sprache und Denkweise sicher auch den Auszug des Reiches nach Byzanz, wo nicht herbeigeführt, wesentlich erleichtert und beschönigt hat. Nimmermehr wird sich in der Welt das Wunder wiederholen, daß die Sprache eines untergegangnen Volkes wie des römischen (dessen Nachfolger man in den romanischen keineswegs erblicken darf) sich zum zweitenmal ergossen habe und als tote Sprache fortherrsche. Ich lese lateinisch geschriebne Reden lebender Gelehrten mit der Empfindung, daß keine andre Zunge der Erde sich zu so bemessenem, gedrungnem und wohllautendem Ausdruck hergäbe, daß nirgends sonst so anständig, reingewaschen und wohlgefällig einhergeschritten werden könnte, doch zugleich mit dem Gefühl, gewisse Stellen und Wendungen würde die heimische immer mit größerer Wärme und Wahrheit ausstatten, weil sie bei jedem Zug sich ihrer lebendiger bewußt bleibt und dies Bewußtsein in Anwendung eines fremden Idioms unausbleiblich sich erkältet. Ein heutzutage Latein Schreibender oder Redender ist in Gefahr, gerade da aus dem Ton zu fallen, wo ihm die sichtbarste Fülle klassischer Redensarten fließt und zu Gebot steht.

Wir gewahren nicht einmal, sondern zehnmal, daß alle Erfolge, auch in der Literatur, am Ende doch nur mit eignen Waffen erfochten sein wollen, und führt uns etwas diese Wahrheit zu Gemüt, so ist es die Geschichte der deutschen Dichtkunst seit hundert Jahren. Kein Zweifel, daß, als eine frischere Bewegung sich zu äußern anfing, sie damals von deutschen Hellenisten und Romanisten am lautesten in Zweifel gezogen und verspottet wurde. Vor ihren Augen lag neben jener Klassizität die einheimische Barbarei so dicht, daß ihnen bei der ehrlichsten Meinung im voraus Anstoß geben mußte, was nicht lange hernach glänzend sich bewährte. Jetzt besitzen wir Gedichte von Goethe, deren Gehalt wie Form in einer lateinischen oder griechischen Übertragung ungefähr ebenso unterginge oder geschwächt erschiene, wie die eines klassischen Gedichtes in jeder Verdeutschung, weil nur ein in der Dichterseele selbst aufgestiegnes Original originell zu bleiben und allen Gedanken und Worten freie Gewähr und vollen Einklang zu lassen vermag. Das ist der auf allem Vaterländischen ruhende Segen, daß man mit ihm Großes ausrichten kann, wie beschränkt seine Mittel scheinen oder gar seien; ein Stück hausbacknen Brots ist uns gesünder als der fremde Fladen. Darum hatten begabte Dichter des 16. Jahrhunderts, z. B. Eobanus Hessus, ihre Kraft vergeudet, als sie zur lateinischen Sprache griffen und ihre ungebildete heimische zu bilden verschmähten; deutsche Verse von ihm würde man noch heute lesen, seine sylvae, bucolica und heroides liegen in Vergessenheit. Zuletzt wird jeden Dichter und jedes Volk die Geschichte nicht danach beurteilen, was sie sich von andern anzueignen, nur danach, was sie selbst hervorzubringen imstand waren.

Wende ich diese Gedankenfolge an auf die uns vorliegende Frage, so wird zu antworten sein, daß die Zeit zwar uneingetreten scheint, in welcher die klassischen Sprachen auf der Schule da weichen müssen, wo die einheimische vorrückt, einzelne Vorboten diesen Rückzug gleichwohl ankündigen, wohin die öffentlichen deutschen Reden auf der Universität bedeutsam gehören. Entscheiden wird ihn erst, daß es unserm Volk künftig gelinge, eins und mächtig zu werden und der deutschen Poesie ein ins Volk gedrungnes Drama zuteil geworden sei, wodurch allein wir einen Hinterhalt erlangen können, wie die Engländer an ihrem Shakespeare, selbst die Franzosen an ihren sogenannten Klassikern haben. Dann, glaube ich, wird der Augenblick herannahn, daß auch die deutsche Sprache dem ganzen Volke zu Fleisch und Blut gehn und nicht länger nur verstohlen und matten Niederschlags, sondern mit vollem Segel in alle unsere Bildungsanstalten bleibend einziehn darf. Dann kann jeder praktische Gebrauch der klassischen Sprachen und alle Zurüstung darauf erlassen bleiben, ihr historisches Studium desto angestrengter und sozusagen uneigennütziger betrieben werden; wie sollte es je erlöschen? Bevor aber jene mächtigen Ursachen eingreifen, mögen unsere dieser Neuerung abholden Schulmänner ihre Furcht sinken lassen. Nur daß die auch ihnen durch noch geschlossene Türen fühlbare Erhöhung des nationalen Elements gegenwärtig schon den Gewinn getragen hat, uns der geschrobnen, dem klassischen Stil nachgeahmten Phrasen in deutscher Schreibart beinah zu entheben: was lateinischem oder griechischem Mund und der reichen Flexionsfähigkeit dieser Sprachen gemäß ist, klingt bei Abgang solcher Redefugen dem Deutschen unnatürlich und gezwungen.

Eine weitere, wiewohl auch auf andere Wissenschaften gerechte Wahrnehmung hat sich mir doch an der Philologie zunächst aufgedrängt. Bei dem blühenden Zustand aller philologischen Disziplinen in Deutschland und bei der großen Zahl befähigter, aus den höheren Schulen vollgerüstet entlassener Jünglinge muß befremden, daß mit dieser gelungnen Anstrengung der entspringende wissenschaftliche Vorteil außer Verhältnis zu stehn scheint. Unsere Gymnasien, wofern mir der Vergleich nicht übel ausgelegt wird, erziehn schönes, glänzendes Laub in Fülle, lange nicht soviel Früchte, als dies Laub neben sich tragen könnte. Die meisten Philologen erzeigen sich so vorbereitet, daß man darauf gefaßt sein sollte, aus ihrer Hand nun die wichtigsten Bereicherungen der Grammatik, Kritik und Geschichte hervorgehn zu sehn; allein was leisten sie hernach? In der Mehrheit werden sie brauchbare, aber bei der mittleren Stufe beharrende Lehrer, denen es fast genügt, die Wissenschaft auf dem Standpunkt zu erhalten und fortzuüberliefern, auf welchem sie ihnen zugeliefert wurde. Auch diese Überlieferung hat ihren großen Wert, ist aber nicht unser letztes Ziel. Ich möchte unsere Statistiker, die für ratsam erachten, alle Dinge zu zählen, einmal auffordern, in dürren Zahlen zu ermitteln, wieviel tüchtige Gelehrte aus Schulen von großem, oder denen von geringem Ruf, aus den leuchtenden Anstalten unserer Gegenwart oder manchen dunklen vergangner Zeit hervorgegangen sind. Auch hier, dünkt mich, würde mein Glaube sich bewähren, daß der Trieb des Lernens heftiger und wirksamer sei als der Erfolg der Lehre. Man hat aber die reiche, an und für sich voll genügende Privatgelehrsamkeit ausgezeichneter Lehrer zu unterscheiden von einer auf die Gymnasiasten entweder nicht angewandten oder an ihnen verschwendeten. Ist es nun undenkbar, daß die hohe Begabtheit eines Meisters keine Funken schlage an den Schülern, die er behandelt, so erkläre ich mir das Ausbleiben nachhaltiger Wirkungen bei der größten Zahl derselben aus einem Stillstehnbleiben vor der allzu gewaltig aufgetretnen Lehre und aus einem mehr begeistert scheinenden als begeisterten Schwören in die Worte. Ich halte den wahren Enthusiasmus hoch, wo er nur herrscht, doch das stille Wachstum des Lernens, das Gefühl innerer Fortschritte scheint vorzugsweise abhängig von einem anspruchslosen Zuschnitt der Lehrgegenstände, wodurch ich mir wenigstens deutlich zu machen suche, daß aus geringen Gymnasien wie aus kleinen Universitäten eine gleich ansehnliche, wo nicht stärkere Zahl gelehrter Männer geschritten sei. Denn beiderlei Anstalten gewähren alle Grade des Wissens, deren ein Lernender bedarf, und aus der Finstere bricht das Licht hervor.

Es sei noch eine Bemerkung über die klassischen Philologen hier nicht zurückgehalten. Vermöge ihrer Vertrautheit mit dem Altertum der Freiheit und einer unbevorzugten Stellung der Menschen an sich zugetan, sind sie gewiß keine Verteidiger des heute unbeliebten, und es scheint fast entbehrlich gewordnen Adelsstands. Wie geschieht es, daß sie so gern einen philologischen Stolz zeigen, der bessern Grund hat als Adelsstolz, aber ihm doch vergleichbar ist? Keine unter allen Wissenschaften ist hochmütiger, vornehmer, streitsüchtiger als die Philologie und gegen Fehler unbarmherziger. Den Maßstab der Schule, auf welcher grammatische Verstöße für die schimpflichsten gelten und in andern Aufgaben zurückzubleiben Entschuldigung findet, rät uns der Zweck des eigentlichen Lebens an, beiseite zu legen und nach einer gleichmäßigen Gerechtigkeit und Milde in allen Dingen zu streben.

Die Universität

Von der niedern zur höhern Schule besteht ein oft unmerklicher Übergang, vom Gymnasium zur Universität kein Fortgang, sondern ein Sprung. Beide Anstalten sind fast in allem anders, und nicht zu geringem Schaden ausgeschlagen ist es immer den Gymnasien, wenn man sie zu universitätisch, den Universitäten, wenn man sie zu gymnastisch einrichten wollte.

Natur und Wesen der Universität sind in geistreichen Abhandlungen wiederholt erörtert und so treffend beleuchtet worden, daß ich mich auch hier kurz fassen will und nur einzelne Beobachtungen zufüge. Die Geschichte der letzten fünfzig Jahre wird bezeugen, daß die Universitäten immer ein heiliger Herd der Vaterlandsliebe wie deutscher Gesinnung waren und blieben; wenn unsere Feinde ihren Ärger ausschütten wollen, so schelten sie unser edelstes Streben Professorenpolitik und Studentenrenommisterei, wir aber kümmern uns ihrer nicht und weichen keinen Schritt vom rechten Weg. Das geschieht oft in der Welt, daß die aus Erkenntnis hervorgehende, den Nichtwissenden unglaubliche Willenskraft Unglimpf erleide.

Die Universität hat ihren ersten im Mittelalter empfangnen Zuschnitt oder Anstrich viel weniger verwunden, als das Gymnasium seinen scholastischen, von ihrer Grundeinrichtung in Fakultäten an bis auf die allerjüngst, unbillig und dem Zeitgeist zum Ärger aus der Plunderkammer hervorgelangte Professorentracht.

Doch das meiste von diesem Altfränkischen ist äußerlich und wird bald einmal ganz abgeworfen sein. Innerlich haben sich die deutschen Universitäten den fremden gegenüber frisch und in so sichtbarem Fortschritt erhalten, daß jene Nebendinge ihnen keinen Abbruch tun, und sie aus sich selbst immer neue Kraft und Lebensfähigkeit gewinnen.

Die Universität, wenn schon zuerst entlehnt, ist eine eigentümlich deutsche Pflanzung geworden, die auf fremdem Boden nicht mehr so gedeiht. Hier treffen alle Kennzeichen der deutschen Volksart zusammen, innere Lust zur Wissenschaft, eifriges Beharren, unmittelbares, nie ermüdendes Streben nach dem Ziel mit Hintansetzung eitler Nebenrücksichten, treues Erfassen, unvergleichliche Kombinationsgabe. Aller andern Lust vergessend, sitzt der deutsche Gelehrte froh über seiner Arbeit, daß ihm die Augen sich röten und die Knie schlottern; Studierte, daz ime daz gebeine slotterte in sîner hût. Myst. 210, 7. Do macht ich mir ein Sitz in eim Winkel nit wit von des Schulmeister Stul und gedacht, in dem Winkel wilt studieren oder sterben. Plater 36. dem Studenten ist dieselbe Weise wie angeboren, und es bedarf für ihn keines andern Antriebs.

Dieser anregenden und empfänglichen Universitätszeit, gleich als hörten sie nachher auf und dauerten nicht über das ganze Leben hin, werden vorzugsweise Studien beigelegt. Gegen das alte Wort Student verhält sich aber das neue Studierender fast wie zu Schulmeister Schullehrer. Ist doch Student ein so deutliches Partizipium von studere wie Studierender von studieren, und niemand sucht für Dozent, Praktikant, Soldat ein vornehmeres Dozierender, Praktizierender, Exerzierender.

Die Flut und Ebbe der Studenten auf der Universität ist doch etwas anderes als der Schülerzu- und -abgang auf dem Gymnasium. Das halb unfreiwillige Beugen unter die Zucht des Lehrers hat sich umgewandelt in ein gewählteres Verhältnis, das auf beiden Seiten entweder näher anziehn oder ferner abstoßen kann.

Mit Wonne räumt der Student die enge Schulluft und tritt in sorglose, fast ungezügelte Gesellenschaft, heimlich ahnend, daß hernach im Leben dieser Lust ein Ende sei. Die damals, gleich denen auf der Schulbank, geschlossenen Freundesbünde überdauern alle späteren, wie das Gedächtnis des Alters am festesten und liebsten haftet an dieser Zeit.

Solche Lust aber, solche Aufheiterung brüderlichen Zusammenwohnens, scheint es mir, herrschte vorzugsweise auf kleineren Universitäten und hat sich auf den großen schon gedämpft oder entfärbt, obschon hier andere, nicht gering anzuschlagende Vorteile entsprungen und zeitgemäß gesichert worden sind.

Der studierende Jüngling fühlt sich plötzlich erstarkt und aller Geisteskräfte mächtig. Sein Verstand und Scharfsinn sind um kein Haar anders, als der des Mannes und Greises; was ihm an Übung abgeht und an Erfahrenheit, vergüten heiterer Sinn und Frische der Gedanken in reichem Ersatz. Mit der ἡλικία γάμου hat sich auch eine ἥβη νοῦ, die zu Mannestaten befähigt, voll eingefunden. Erstaunenswert, daß der Mensch zwanzig Jahre, nachdem er in die Welt geboren wurde, den Gesetzen des Geistes und Lebens nachzuspüren und die uralten Bahnen der Gestirne zu überrechnen vermag.

Mich hat, als ich jung war, manchmal verletzt, wenn man der erwachsenen Jugend an ihrem Recht abziehn wollte, und nun ins Alter getreten, fühle ich noch mit jugendlicher Heftigkeit. Diese Jugend wird in allmählichem Erwerb sich eine Fülle von Kenntnissen erringen und nachholen, an sich aber ist sie schon zu allen Entschlüssen des Willens, zu allen Schlüssen der Vernunft ausgestattet. Ich weiß, daß die Spartaner erst mit dem dreißigsten Jahr auserzogen, und daß nach einem Volksscherz die Schwaben gar im vierzigsten volle Klugheit erlangten.

Mißtrauische Vorsicht in Dingen, die von Natur freien Lauf haben sollen, erreicht selten ihren Zweck. Ein Grundübel unserer Zeit scheint mir das Anhäufen wiederholter endloser Prüfungen, wodurch sich der Staat gegen den Andrang der Unwissenheit zu sichern und überall des Besten habhaft zu werden glaubt. Das erschwerte Spiel macht er sich damit doch zu leicht.

Auf der Schule mag man in bestimmten Fristen die Kraft der Schüler öffentlich versuchen, weil daraus edler Wetteifer entspringt und der Knabe gewöhnt wird, hervorzutreten und Gewandtheit der Rede sich anzueignen. Sein Talent zu wägen, ist der Lehrer fortwährend imstand, und man kann sagen, daß dieser beständig die ungezwungensten Messungen mit ihm anstelle.

Verwerflicher scheint das den Eingang der Universität bedingende und erschwerende Abiturientenexamen. Erste Spur der Maturitätsprüfung, Rommel 6, 594. Merkwürdige Äußerung daselbst 593 in Landgraf Morizens Schulordnung von 1618. Der Gymnasiast muß befugt sein, endlich die Schule zu verlassen, von seinem Abgang an lösen sich zwischen ihr und ihm die Bande, und welchen Weg er nun einschlagen will, steht in seiner Wahl. Wie Kirche und Schauspiel dem Eintretenden offengehalten sind, sollte jedem Jüngling das Tor der Universität aufgetan und ihm selbst überlassen sein, allen Nachteil zu empfinden und zu tragen, wenn er unausgerüstet in diese Hallen getreten ist. Denn die Befähigung der Menschen hat ihre eignen, stillen Gänge und tut unerwartet Sprünge; wie sollten alle gleichen Schritt halten, den der Prüfung zwängendes Maß fordert? Den schlummernden Funken kann die erste gehörte Vorlesung oder eine der folgenden plötzlich wecken, und der bisher scheu und verschlossen gewesene tut es nun auf einmal denen weit zuvor, die ihn anfangs übertroffen hatten.

Vorausgesetzt werden muß aber, wenn alles so beschaffen ist, wie es sein sollte, daß jeder aus innerm Trieb und für seine eigne Ausbildung studiere, nicht um dadurch ein Amt zu erwerben. Dringt einmal diese würdigere Ansicht der Studien und des Lebens durch, so wird der Staat selbst zuletzt seine ungebührlich vielen Dienste verringern dürfen und der Wissenschaft ihre ganze Uneigennützigkeit zurückgegeben werden. Bei der Anmeldung zum Amt mag die ernsteste Prüfung den Ausschlag tun, der Durchfallende aber desto leichter eine andere Lebensart ergreifen, als er sich den des Dienstes überhaupt nicht Begehrenden anreihen kann. Mit der einen Prüfung sollte es jedoch sein Bewenden haben und nicht, wie zu Priestergraden, eine zweite und dritte, immer unöffentlich unter vier Wänden erfolgende nachverlangt werden, die nur erhitzte Vorbereitungen und Treibhausfrüchte zu erzeugen pflegt, welche unreif abfallen, nachdem das Examen bestanden ist, also der innern echten Triebkraft unvermerkten Abbruch tun.

Unschädlicher, allein fast zwecklos, sind die im Lauf der Studienzeit geforderten Zeugnisse über Besuch der Vorlesungen, verderblich alle erteilten Vorschriften über den Besuch unumgänglicher Vorlesungen, wodurch die andern zu gleichgültigen oder unnötigen herabgesetzt werden, denn nichts Wissenschaftliches ist an seiner rechten Stelle ohne innere Notwendigkeit, und die Auswahl muß den Studierenden, oder dem Beispiel und einer sich von selbst einfindenden, nicht zu greifenden, aber zu fühlenden Autorität der Lehrer in bezug auf die Güte ihrer Vorträge ruhig überlassen bleiben. Der Mensch hat auch ein Recht darauf, mitunter faul zu sein oder zu scheinen und sich, wie er will, gehn zu lassen, oder über die Wahl eines Lehrers oder seine eigene Neigung gänzlich zu täuschen. Das alles ist seine Sache, nicht die anderer, und soll ihm nicht nachgetragen werden.

Der Professor mag beim Bestimmen seiner Vorlesungen an eine Abrede mit seinen Genossen, oder einen hergebrachten Wechsel gebunden sein; ihr Inneres wird er frei und unabhängig nach seinem Gutdünken gestalten.

Was wollen hier alle engherzigen Gesetze? Sie meinen, das Schlechte auszuscheiden, begünstigen eigentlich nur das Mittelgut und sperren dem Höheren oft ohne Not und ärgerlich den Weg. Das Genie sprudelt wie ein Brünnlein an verborgner Stelle, und seine Niedergänge und Steige weiß doch niemand.

Zum Wesen der Universitäten gehört, daß auf ihnen alle Wissenschaften zulässig seien, Dat mene studium. Detmar 2, 506. Eigentlich ist universitas Gemeinde, Korporation. Zarncke, Leipzig S. 512. was durch die vier Fakultäten freilich nur unvollständig bezeichnet werden kann. Offenbar ist solches Nebeneinanderwirken der Wissenschaften ungemein belebend und für Professoren wie Studenten höchst fördersam; unerwartete Berührungen brechen daraus von allen Seiten hervor und können allsogleich verfolgt werden. Universitäten, die wie in Frankreich einzelne Zweige der Wissenschaft ausschließen, arten in bloße Sorbonnen, Rechtsschulen, Arzneischulen aus.

Unter den Fakultäten wies das Mittelalter, wie sich von selbst versteht, der theologischen den ersten Rang an, welchen sie auch bei den Protestanten nicht ohne Versuch einer Oberaufsicht über die andern fortbehauptete. Noch ist auf katholischen Universitäten diese Stellung und damit eine gewisse Herrschaft der Kirche unbeseitigt. Allen zeitgemäßen Umwandlungen der Universitäten in England stemmt sich die theologische Fakultät immer hartnäckig entgegen.

In jeder der drei ersten Fakultäten tauchen praktische Zwecke auf, die der vierten, und darum wissenschaftlich mächtigsten, fremd bleiben, in welchen Vorzug ich nachher noch näher eingehn werde. Theologische Professoren können zugleich einem Predigtamt in der Kirche vorstehn, die juristische Fakultät faßt in schwebenden Rechtsstreiten ihre vor Gericht gültigen Urteile ab, und noch deutlicher tritt in der medizinischen eine praktische Bestimmung auf, da alle Professoren auch Kranke heilen dürfen, was wörtlich praktizieren heißt. Daß einzelne Übertritte ausgezeichneter Gymnasiallehrer zur Universität stattfinden, ist vielleicht nichts als bequemer Mißbrauch. Entweder sollten diese Männer von hervorleuchtendem Talent der Universität ganz gewonnen und aller Last der Schule entbunden, oder des gelockerten Schulverbandes dadurch nicht ungewohnt und überdrüssig werden, daß sie auch die größere Unabhängigkeit der Universität schmecken.

Fruchtbringend und glücklich scheint die Einrichtung der Privatdozentenschaft, ein freier Eingang zur Professur, wodurch junge Männer sich vortrefflich bilden, erzeigen und auszeichnen können. Sollte der Staat seine Professoren bloß aus Schriftstellern, die in der Lehre vielleicht ganz ungeübt sind, wählen, er würde oft in Verlegenheit geraten und straucheln. Der Privatdozent ist ein selbstwachsender Professor, und nicht übel wäre, daß auch in andern Ämtern beständiger Nachwuchs junger Leute unverhinderten Zutritt fände, ohne daß die schwächeren und unanstelligen unter ihnen befördert zu werden brauchten.

Die Wahl der Professoren überhaupt hat aber der Staat nicht aus seiner Hand zu lassen, da kollegialischen, von der Fakultät vorgenommenen Wahlen die allermeiste Erfahrung widerstreitet. Selbst über reingestimmte, redliche Männer äußert die Scheu vor Nebenbuhlern im Amt eine gewisse Gewalt. Die Universitäten haben sich unter Kuratelen oft ausgezeichnet wohl, unter dem Einfluß anwesender Regierungsbevollmächtigter immer übel befunden. Auswärtige Gelehrte und Professoren können sich ohne Gefahr dem Kurator melden, wogegen jeder Antrag bei wahlberechtigten Fakultäten bedenklich erschiene.

Auf Universitäten weht durchgehends gelehrte Luft, eine dünnere, als in der es einsamen und stillen Dienern der Wissenschaft wohl wird, an die man sich doch bald, nicht ohne das Gefühl innerer Stärkung, gewöhnt. Es herrscht da eine ansehnliche Buchgelehrsamkeit, die sich hebt und fortträgt, aber ungewöhnliche Arbeiten, ehe sie Geltung erlangt haben, vorläufig abweist. Universitäten sind Gartenanlagen, die ungern etwas wild wachsen lassen. Unter diesem Gesichtspunkt sagen sie der Regierung aufs höchste zu, und es wird ihnen, wie begünstigten Kindern, oft durch die Finger gesehn, nur nicht die jüngste Zeit her.

In unsern Tagen sind die großen Universitäten den Akademien in einige Hauptstädte nachgezogen und haben eine engere Verknüpfung beider Anstalten entweder schon hervorgebracht, oder lassen sie voraussehn; doch steht zu hoffen, daß auch die kleinen halbländlichen Universitäten sich daneben behaupten werden. An dieser Stelle lenkt sich meine Betrachtung unmittelbar auf ihren dritten Gegenstand.

Die Akademie

Das Wesen der Akademie, glaube ich, hat sich, und man begreift warum, erst viel unvollständiger entfaltet, als das jener andern wissenschaftlichen Anstalten, es wird sich, trügen die Zeichen nicht, in der Zukunft mehr Luft machen.

Ihr Name reicht auf die Griechen zurück, ist aber nicht von diesen selbst entlehnt, sondern aus Italien und Frankreich her uns überliefert worden und bezeichnet auch eine ganz andere Vorstellung, als die man zu Platons Zeit damit verband. Zwar hatte gerade unter dem Namen einer platonischen Akademie schon im 15. Jahrhundert Cosmo von Medici zu Florenz eine geistige Anstalt eröffnet, deren Wirkungen nicht von Dauer waren, als Italien aufhörte, Mittelpunkt der Gelehrsamkeit zu sein, und die große Kirchenbewegung Frankreich und Deutschland in den Vordergrund rückte. Die im Lauf des 17. Jahrhunderts auftauchenden, von jenem Muster ganz abgefallnen italienischen Akademien regten auch anderwärts nur zu geistlosen, mit der Gelehrsamkeit spielenden Gesellschaften voll tödlicher Langeweile an, bis endlich Ludwig des XIV. (von Richelieu 1635 gestiftete, schon seit 1629 als Privatverein hervorgegangne) Akademie besser und stärker anschlug, denn nun wollten gleich ihm andere Fürsten und Könige ihre Akademien einführen und unterhalten. Alle deutschen Akademien haben höfischen Ursprung und französischen Zuschnitt, während jene nach italienischem Muster vorausgegangnen nur Privatgesellschaften, wiewohl vorherrschend der gebildeten und vornehmen Welt waren. Allmählich haben die Höfe, der Gelehrten überdrüssig, den Geschmack an der Akademie wieder verloren, wofür sich ein nationales, ihre Fortdauer verbürgendes Element in ihnen kundtat. Den Akademien kommt zustatten, daß sich der Zeitgeist längst und immer stärker zu Vereinen hinneigt, deren unmittelbare Tätigkeit von Natur wärmer ist, als sie der Staat aus seinen Mitteln anzufachen oder zu nähren vermag oder auch immer Lust hat. Spanien und Frankreich ertragen nur eine einzige Akademie, wir infolge unserer Zerrissenheit und Italien aus gleicher Ursache besitzen ihrer eine ziemliche und fast überflüssige Anzahl.

Man muß es eingestehn, daß auch auf der Höhe nationaler Akademien tonangebend immer noch die französische stehe und unter allen die einflußreichste sei; niemand in Frankreich wird ihr einen Rang streitig machen, der sie über alle französischen Universitäten erhebt. In England dagegen hat die akademische Tätigkeit weniger tief gewurzelt und die Universität mehr Ansehn behauptet.

Ich wende meinen Blick auch hier von allen fremden Vorbildern ab und suche in das innere Wesen der Akademien, wie es sich nun in Deutschland klarer bestimmt und festgesetzt hat, zu dringen.

Sie sind freie, unabhängig gestellte Vereine von gelehrten Männern an der Spitze der Wissenschaft; über ihnen schweben kann nur die unmeßbare Geistesgröße einzelner, auch im Wissen und in der Erkenntnis vorangehender Menschen.

Schon weil jüngerer Stiftung, sind sie kirchlichem Einfluß selbst in katholischen Ländern entzogen, welche Versuche auch gemacht worden seien, ihm Geltung zu bereiten. Doch getraue ich mir in einem Punkt, über welchen hinaus das Gleichnis alsbald hinken würde, sie mit einer Richtung des kirchlichen Lebens selbst zu vergleichen. Es zieht an, unter den verschiedensten Umständen, ja ohne irgend nachweisbaren Zusammenhang zu gewahren, wie sich das geistige Bedürfnis der Menschen auf seinen Wegen dennoch begegnet.

Jede Akademie ohne Zweifel wird eine Zahl von amtlosen Männern aufzuweisen haben, die nicht des Lernens, vielleicht der Lehre müde in sie, wie in einen Hafen eingelaufen sind. So nahm im Mittelalter auch die klösterliche Mauer Mönche auf, die dort in Geselligkeit ihrer innern Pflicht ernster und strenger oblagen, als sie es außerhalb im Gewühl der Welt gekonnt hätten. Die geringere Zahl der Klosterleute steht der Menge anderer Kleriker, die in der Kirche praktisch unterweisen, gegenüber; die größere Wirksamkeit der Weltgeistlichen und Bischöfe gleicht also einigermaßen der der Schullehrer und Professoren. Doch die Wissenschaft jener Zeit hatte ihren Hauptsitz im Kloster aufgeschlagen. Mit dieser Ähnlichkeit will ich weder die Akademiker ihrer Weltkindschaft entheben, noch die Wissenschaft irgend in die Akademie einschränken.

Die Akademie hat einen Turnus, keinen Kursus, eine freie Reihenfolge, keinen unaussetzbaren Lehrgang, und ist der zwar festigenden und anregenden Wiederholung überhoben, die, wie ich schon oben sagte, zur Last werden und zu pedantischem Mechanismus sich ertöten kann. Ein Lesender oder Lernender tut es aus innerm Trieb und Bedürfnis, daß er mehr als einmal lese; das lectio lecta placet, decies repetita placebit Die (einmal) gelesene Vorlesung gefällt, die zehnmal wiederholte wird gefallen. ist auf ihn gerecht, weniger auf den Lehrenden. Des Schulmeisters halbjährliche Rückkehr immer zu demselben Gegenstand bleibt, weil er auf den ihm aufsagenden und antwortenden Schüler alsbald einwirkt, insofern lebendiger als des Professors Vortrag auf den stumm hörenden Studenten; gleichwohl besteht zwischen beiden die Analogie einer auf Ansehn ausgehenden und sich beim Schüler oder Studenten geltend machenden Autorität. Der alte Neuß zu Göttingen pflegte seiner Kollegen, die sich wegen zu haltender Vorlesungen teilweise der Bibliothek entzogen, zu spotten und zu sagen, daß sie den Schulmeister machen wollten; er selbst hatte nie vor Studenten gestanden, noch wäre er dazu fähig gewesen. Der Akademiker hingegen, wie jedesmal er selbst anderes vorträgt, hört auch nur immer anderes vortragen, das nie als Lehre, nur als Mitteilung auf ihn eindringt; dem Wesen der Akademie nach wird Wissenschaftliches frei gegeben, frei genommen.

Aller auffallendste Eigenheit der Akademien scheint mir der drei ersten Fakultäten Ausschluß, nur die Wissenschaften vierter Fakultät gehören ihnen an. Vorhin wurde die Allgemeinheit der Universitäten ihrem vollen Wert nach anerkannt, und auf den ersten Blick erscheint der Abgang der drei ersten Fakultäten in der Akademie ein Nachteil; er wird sich bei genauerer Betrachtung als ein Vorzug erweisen.

Wenn unser Statut die Akademie verweist auf »die allgemeinen Wissenschaften«, so will das nichts anderes bedeuten als jene Beschränkung. Mir entgeht, ob dieser Ausdruck, wie ich vermute, einem » sciences universelles« abgeborgt ist, man hätte die älteren règlements de l’academie nachzuschlagen. Doch das jetzt gültige Pariser meidet ihn und zählt deutlicher alle einzelnen, der Akademie zuständigen Wissenschaften auf, unter welchen nicht das geringste von Theologie, Jurisprudenz und Medizin erwähnt wird. Auch in allen übrigen mir bekannten Akademien, den jüngstgestifteten zumal, finden sich diese drei Wissenschaften nie als Bestandteil genannt.

Ihre Absonderung kann nicht so gemeint sein, daß Theologen, Juristen, Ärzte persönlich ausgeschlossen seien; in unserm Kreis gerade verehren wir vorragende Männer dieser drei ersten Fakultäten als höchst tätige Mitglieder. Bloß ihre Fakultätswissenschaft als solche ist es, die unakademisch erscheint. Wir besitzen eine physikalisch-mathematische und philosophisch-historische Klasse, keine theologische, juristische, medizinische. In unsern Denkschriften gibt es nur physikalische, mathematische, philologisch-historische Abhandlungen; von Ausbildung der Philologie war unmittelbar auch die französische Akademie ausgegangen, und andere Wissenschaften hatten sich allmählich angereiht.

Es leuchtet ein, daß jene drei Fakultätswissenschaften keine sind noch sein können im Sinne der akademischen. Entkleidet man sie dessen, was in ihnen schon andern Wissenschaften angehört, so bleibt ihnen eine feste, unbewegliche Satzung zurück, die bei noch so hohem Werte wissenschaftlichen Gehalts ermangelt. Man nehme der Theologie Kirchengeschichte, orientalische und klassische Sprachstudien und Moral, welche bereits Stücke der Historie, Philologie und Philosophie sind, oder der Jurisprudenz ihre überreiche Rechtsgeschichte, die einen glänzenden Teil aller und jeder Geschichtsforschung bildet, und deren Gegensatz das Naturrecht, so sieht sich der Theologe auf sein Dogma, der Rechtsgelehrte auf sein ständiges Gesetzbuch gewiesen, denen sie beide Geltung verschaffen möchten, und die nur der Lehre, nicht mehr des unendlichen Forschens bedürfen. Die Heilkunde fordert zur Erkenntnis der Krankheiten und Arzneien umfassende Studien in der Naturgeschichte und Chemie; allein der sie ausübende Arzt unterscheidet sich von dem wissenschaftlichen Naturforscher, wie das Studium der Anatomie weit über den Bedarf des Chirurgen hinaus zu hohen Ergebnissen führt. Die Ergründung der gestörten Gesundheit und die Kunst, sie herzustellen, ist durch jene Wissenschaften bedingt, ungefähr wie die Kriegskunst in Mathematik, Geographie und Geschichte, die Politik in Philosophie und Geschichte schöpfen. Hieraus folgt, daß die drei ersten Fakultäten keine neuen wissenschaftlichen Gesetze entfalten, nur die geltenden anwenden.

Das Forschen nannte ich ein unendliches, es muß so endlos sein, wie der sich über uns dehnende Raum, in dessen unermessene Fernen wir immer weiter vordringen. Jede Wissenschaft ist ein sich wölbender Tempel, am Giebel aber bleibt eine Öffnung, die nicht kann zugemauert werden, gleichsam ein Anblick des menschlichen Augen undurchdringbaren Himmels. Man könnte der Philosophie, die kühne Bauten aufführt, vorhalten, daß sie, der Theologie nachgebend, jenes Giebelloch öfter, als es ihr frommte, zu schließen unternommen hat. In keiner einzigen Wissenschaft stimmen Theorie und Praxis so edel und sicher zusammen wie in der Astronomie und Mathematik; die Philologie ist fast nur Theorie, ohne lebendige Praxis, womit bloß eine wissenschaftliche, nicht eine solche gemeint sein kann, die beim Lehren und Lernen alter oder neuer Sprachen gewöhnlich stattfindet und sich oft eine große Fertigkeit zu eigen gemacht haben mag.

Gehe ich nun auf die akademischen Obliegenheiten und Leistungen näher ein, so kann wesentliche Ausgabe und Zweck der Akademie kein anderer sein, als, wie ein mächtiges Schiff die hohe See, die Höhe der Wissenschaft zu halten und in tonangebenden, schöpferischen Vorträgen und Mitteilungen alle austauchenden Spitzen der Forschung neu und frisch hervorzuheben und weiterzuverbreiten. Da keine Wissenschaft erschöpft oder erschöpflich ist, so wird an jeder Stelle, wo man in sie eindringe, Gewinn aus ihr erbeutet werden, wie aus dem Boden, wo man in ihn senke, quellendes Wasser zu ziehn ist. Bei jedem wissenschaftlich Arbeitenden soll sich aber ein untrügliches Gefühl einfinden für die Unterscheidung dessen, was abgetan und erledigt sei von dem, was sich vorbereitet habe und in raschen Angriff genommen werden müsse: hier und nicht dort ist die Kraft anzusetzen.

Nach einer wohltätig zwingenden Reihe, die doch nie so feststeht, daß nicht Änderungen verabredet werden könnten, sieht jedes Mitglied der Akademie im voraus langsam den Tag nahn, an welchem ihm einmal, höchstens zweimal jährlich auferlegt ist, eine umfassendere Abhandlung vorzutragen, während ihm unbenommen bleibt, mit minder ausgearbeiteten kleineren in jeder wöchentlichen Zusammenkunft aufzutreten. Allen Abhandlungen aber, da sie gar nicht lehrhaft und populär sein sollen, gebührt streng wissenschaftliche Form, wobei nicht einmal auf Verständlichmachung der Gegenstände für die verschiednen Klassen der Akademie selbst Bedacht zu nehmen ist. Zu ihrem nicht geringen Nutzen erfahren nämlich die Mitglieder, daß auch an fremdliegenden Stoffen mindestens durch das Beispiel der Behandlung zu lernen sei und allenthalben früher nicht geahnte Analogien sich ergeben können. Vorträge, die unter den Gefrierpunkt der Aufmerksamkeit fielen, sind darum fast nicht denkbar, oder es wäre ein Zeichen, daß sie völlig fehlgegriffen hätten. Keinen bestimmten akademischen Stil gibt es, nur einen solchen, der in die Sache dringt, und alles Rhetorische wird eben dadurch ferngehalten, daß ein ruhiges Vorlesen beinahe druckfertiger Abhandlungen wenigstens die Regel bildet.

Als die gelungensten erscheinen solche Vorlesungen, welche nicht in ein bereits ausgedachtes Werk sich fügen, oder ein schon bekanntgemachtes bloß ergänzen, vielmehr Keime neuer, künftiger Werke in sich tragen oder reiches Material zu wissenschaftlichem Gebrauch fruchtbar darlegen. Unakademisch hingegen würde es sein, als Beitrag zu entrichten, was ohnehin in fertigen Büchern bald herauszukommen bestimmt ist, es sei denn, daß durch dessen Vorlage einzelne erhebliche Betrachtungen auf die Wage gelegt oder geschärft werden sollen.

Sich wenigstens wöchentlich zu versammeln, hat sich als notwendig bewährt, damit die Teilnahme in längeren Fristen nicht erkalte und Raum für die Mannigfaltigkeit der Vorträge gewonnen werde, die bei selteneren Zusammenkünften zurückstehn oder allzulangen Aufschub erfahren müßten.

Aus derselben Ursache und um mit dem Publikum in regere Berührung zu treten oder die schon eingetretne für die Akademie selbst nicht veralten zu lassen, scheint auch eine unausgesetzte schnelle Herausgabe der akademischen Abhandlungen wünschenswert; daß sie in dem Jahr, wo sie gelesen werden, erfolgen kann, zeigt uns England. Unabhängig von der bleibenden Güte solcher Abhandlungen steigt in ihnen wie bei eingegossenem Getränk ein augenblicklicher Schaum ihrer geistigsten Bestandteile auf, den es zu kosten freut, und der nach einiger Zeit schon verflogen ist. Meinem Gefühl nach dürfte ihrer Bekanntmachung nicht die leiseste, immer verletzende Zensur vorausgehn, sondern jeder Akademiker darauf ein Recht haben, eine vorgelesene Arbeit, wenn er will und es nicht für gut findet, sie bei sich zu halten, in den Denkschriften der Akademie erscheinen zu lassen. Dadurch, daß die Akademie den einzelnen in ihren Schoß wählte, drückt sie zugleich ein unbegrenztes Vertrauen in seine Befähigung aus, das durch jene Aufsicht geschmälert oder versehrt erschiene. Schwächere oder unreife Arbeiten werden von selbst darauf bedacht sein, sich zurückzuziehn. Noch nachteiliger wirkt jede Rücksicht der Einschränkung jährlich zu veröffentlichender Vorträge auf die bestimmte Stärke eines zu füllenden Bandes; denn ist Stoff zu mehr Bänden vorhanden, desto besser, und der dadurch erhöhte Aufwand kann nicht in Betracht kommen, weil es sich hier um den wesentlichen Zweck der Akademie handelt, von dem ihre Wirksamkeit hauptsächlich abhängt.

Den Verkehr unterhalten monatliche Berichte desto sicherer, wenn ihnen gleichmäßige Teilnahme von allen Seiten der Akademie zustatten kommt und nicht eine oder die andere Richtung darin überwiegt. Auch diese Berichte könnten vorteilhaft auf mehrere Bände im Jahrgang erhöht werden, und das rechte Verhältnis zwischen dem, was ihnen oder den Abhandlungen gebührt, muß sich von selbst ergeben, sobald letztere rascher herauskommen.

Ohne Zweifel wäre den meisten Mitgliedern willkommen, daß jedesmal acht Tage vorher im Sitzungssaal angeschlagen würde, wer wirklich vorlesen wird und über welchen Gegenstand. Es ist angenehm, einen Vortrag zu hören, auf den man sich zugerüstet hat, oder ihm, wenn er uns gar nichts verspricht, auszuweichen. Auch können sich dann leicht Erörterungen entspinnen, die unvorbereitet in der Regel abgeschnitten sind. Nachlässiger Besuch, so wenig das Ausbleiben an sich gehindert sein soll, bringt dem akademischen Leben immer Schaden, weil darunter die lebendige Teilnahme leidet und aller Zusammenhang unterbrochen wird.

Löblich wäre die Nachahmung der französischen Gewohnheit, das Andenken an verstorbne Mitglieder feierlicher zu begehn, als es in unsern öffentlichen Sitzungen zu geschehn pflegt, da durch langjährigen Verkehr mit denselben die Akademie leichter als andere in den Stand gesetzt ist, Nachrichten zu erkunden, die sonst untergehn. Doch ist uns dafür, wie die Vorzeit ewige Leuchten über Gräbern stiftete, alljährlich auferlegt, einen großen Mann und einen großen König zu feiern, deren Werke und Taten unversiegenden Grund des Preises darbieten.

Mit Recht sind diese Festtage öffentlich, denn außerdem soll und kann die Akademie nicht populär werden in dem Sinn, daß sie die feinsten Spitzen ihrer Untersuchung abzubrechen hätte, einem gemischten und mittlern Verständnis zu gefallen, das ohne innern Beruf vorlaut sich gern herandrängt. Die Wissenschaft hat kein Geheimnis und doch ihre Heimlichkeit, sie mag nicht oft auf der großen Heerstraße weilen, sondern lieber sich in alle Wege, Pfade und Steige ausdehnen, die ihr neue Aussichten öffnen, wo ihr jedes Geleit zur Last wird. In der Ebene treibt sich das Gewühl der Menge, Anhöhen und Berge werden immer nur von wenigen erklommen. Erfolglos haben wir darum, wie mich bedünkt, einem unbefugten Verlangen stattgegeben und Stühle gestellt, auf welche der Staub sich niedersetzen kann, weil sie von niemandem eingenommen werden. In die Hörsäle der Universität mag jeder Gast unangemeldet eintreten, der akademischen Beschäftigung sollten nur die jedesmal Eingeführten dürfen beiwohnen. Dagegen unterscheidet von der Universität die Akademie sich auch darin, daß sie mit dem entlegensten Ausland fördernden Verkehr und Austausch unterhält, zumal sind es Astronomie und Naturforschung, die so weit in die Ferne reichen müssen, daß sie das Vaterland ganz aus dem Auge verlieren, Geschichte und Philologie, obschon auch ausholend, versäumen die Heimat am wenigsten.

Hiermit ist die eigentliche und innere Tätigkeit der Akademie an sich selbst umschrieben; es pflegen aber noch zwei andere Wirksamkeiten vorzugsweise von ihr auszugehn, denen ein ausgezeichneter Wert nicht abgesprochen werden kann. Einmal werden wissenschaftliche Reisen oder kostspielige größere Werke einzelner Gelehrten durch ihre Geldmittel unterstützt und herausgegeben, dann aber über schwierige Fragen der Wissenschaft Preise gestellt und den siegreichen Bewerbern zuerkannt. Es scheint an sich angemessen und ist auch althergebracht, durch solche Preise die Aufmerksamkeit auf unerhellte und mühsam erforschbare Punkte der einzelnen Wissenschaften zu leiten und deren Beseitigung zu veranlassen. Man wird gleichwohl akademische strengwissenschaftliche Preisaufgaben unterscheiden müssen von den auch auf der Universität dem Wetteifer der Jünglinge ausgesetzten, bei welchen es noch mehr auf deren Übung als auf den Gegenstand selbst abgesehn ist, wenn schon diesem dadurch oft ein unerwarteter Dienst geleistet wird. Preisfragen der zweiten Art mögen es auch an Zweckmäßigkeit und wahren Nutzen den akademischen zuvortun, wider welche sich manches Bedenken aussprechen läßt. Ungeübten Jünglingen ziemt es, nach einem äußern Lohn zu ringen, dagegen hat es etwas Niederschlagendes, sich der Lösung einer weittragenden Aufgabe erst dann und nur darum zu unterziehn, wenn ein Gewinn daran geknüpft ist. Der wahre Entschluß zu ihr sollte von innen aufgestiegen sein und würde, einmal zu fruchtbaren Ergebnissen gelangt, diesen auf den vielfachen, unserer Literatur nunmehr offenstehenden Wegen auch Luft gemacht haben. Überall ist es leichter zu fragen als zu antworten, und die der Preisaufgabe beigefügte Richtschnur scheint, wie geschickt erwogen, wie fein überlegt sie sei, dennoch fähig, die freie unbefangne Untersuchung mehr zu fesseln und zu hemmen, als förderlich zu erleichtern. Der Eigentümlichkeit des Bewerbers hätte es etwa zugesagt, einige Seiten des Gegenstands, die hervorgehoben sind, liegenzulassen oder liegengelassene hervorzuheben, und dieser Zwang hat auf seine ganze Arbeit nachteiligen Einfluß. So geschieht es denn oft, daß entweder zuviel aufgegeben oder von der Aufgabe die wahre Endweite der Forschung, die erst aus dieser selbst erwachsen kann, unerkannt geblieben ist. Für das Urteil, zumal ein kollegialisches Urteil über die eingelaufne Werbeschrift, entspringen aber eigentümliche Verlegenheiten. Sie geht zu Ende der gesetzten Frist plötzlich ein und überfällt den mitten in andern Arbeiten steckenden Aufgabesteller, der sie nun zu begutachten und seine Entscheidung den übrigen Mitgliedern vorzulegen hat, die ihr in gleicher Unmuße meistens beipflichten, so daß einzelne Abweichungen des Urteils durch die Mehrheit im voraus abgestimmt und verworfen sind. Auf die Entscheidung selbst pflegt aber höchst menschlich nicht nur ein Gefühl des Schonens für das Dargebrachte einzufließen und die gute Absicht, den Bewerber, der nicht ohne einige vorteilhafte Seiten erscheinen wird, zu ermuntern, sondern auch die unangenehme Empfindung einer sonst unangerührt bleibenden Aufgabe, wie man dem Handwerker eine bestellte Arbeit abnimmt, die man von freien Stücken nie gekauft hätte. Dazu kommt endlich, daß ein angewiesener Fonds vorrätig liegt, den man nicht unverwandt lassen und los sein möchte. Überlege ich uneingenommen alle diese freilich hier grell zusammengestellten und im besondern Fall vielfach gemilderten Übelstände, so ergibt sich mir die Ansicht, daß akademische Preisaufgaben aufgehört haben, zeitgemäß zu sein, und an ihre Stelle wohl etwas Heilsameres treten könnte. Weit schöner und edler scheint es, einen Lohn zu empfangen, um den man nicht geworben, als um den man geworben hat. Triftige und geistvolle Forschungen treten schon, ohne daß es nötig wäre, sie vorher zu locken, von selbst ans Licht, und die Akademie kann nicht umhin, ihrer bald zu gewahren. Erkenne sie von Zeit zu Zeit, ohne durch bestimmte Fristen dabei sich Zwang anzulegen, in besonnener, gerechter Würdigung des sich kundgebenden Verdienstes munera, nicht mehr pretia, ehrende Zeichen ihres Anerkenntnisses, die wie ein leuchtender Strahl aus das Haupt des Ausgezeichneten sich niedersenken, und auch ihr eignes Ansehen wird durch solche Aussprüche vor der gelehrten Welt und dem Volke dauernd steigen, während die Erinnerung zuerkannter Preise schnell vergeht.

Es bleibt mir übrig, die wichtigste, ich gestehe auch schwierigste Angelegenheit der Akademie, ohne Rückhalt, zur Sprache zu bringen, die der Erneuerung und Ergänzung ihrer Abgänge, worauf nicht allein ihre ganze Zukunft, sondern eben auch ein erhöhter und fortschreitender Wachstum beruhn muß. Ist es unleugbar, daß die Akademien im Stand ihrer gegenwärtigen Entfaltung noch nicht wirksam genug sind, gleichwohl alle Keime einer zweiten oder dritten Wiedergeburt in sich tragen, um desto offenbarer ihre gebührende und heilsame Stelle an der Spitze der Wissenschaft einzunehmen, so fällt in die Augen, dieser größere Zweck müsse und könne weniger durch ihre zum Beispiel und zur Bürgschaft gereichende Tätigkeit, als durch die freie und ungehemmte Wahl neu zutretender Mitglieder erreicht werden. An den höhern Schulen und Universitäten sahen wir die beste und tauglichste Ergänzung durch den Staat selbst geschehn, der leicht ein sicheres Augenmerk für die Ersatzmänner gewinnt und selbst auf erfolgende Anmeldungen einzugehn sich bewogen finden wird. Die gesamte Stellung der Akademie hingegen gründet sich wesentlich und unerläßlich auf gesellschaftliche Wahl, die, wenn sie im weiten Kreise umschaun kann, fast nicht irregeht. Diese Wahl ist ein aus schwankender Meinungsverschiedenheit zur Einstimmung der Mehrheit durchgedrungnes Erbieten, das den Gewählten gleich einer angetanen Ehre überraschen, gleich einem unerwarteten Gruß erfreun muß. Anträge und Meldungen von seiten des Kandidaten, wie sie zu Paris stattfinden oder in Österreich für einige Ordensverleihungen, scheinen unangemessen: sie heben die Wohltat ganz freier Ernennungen auf, hinterlassen dem Durchgefallnen Verdruß oder können auf die Unparteilichkeit der Handlung nachteilig wirken, weil eine Ablehnung des Antrags als Härte, der man gern ausweicht, erscheinen würde. Keine bedeutende Fähigkeit wird dem geschärften Blicke vieler und kundiger Wähler entgehn; daß wir in unserer Akademie bei Vornahme der Wahlen ordentlicher Mitglieder auf die Hauptstadt und die Nähe Berlins beengt sind, muß für einen empfindlichen Übelstand gelten, den die uneingeschränkte Wahl auswärtiger Mitglieder und Korrespondenten lange nicht aufwiegt. Unter örtlichen Rücksichten oder landschaftlichen Bedingungen mögen besondere Gesellschaften nicht verkümmern, sogar gedeihn; einer Akademie der Wissenschaften schadet, daß ihre freie Wahl nicht einmal auf alle Preußen, geschweige auf alle Deutschen gehn kann, wie es doch längst hergebracht und bewährt ist, Lücken der Universität aus dem gesamten Deutschland her zu füllen. Erforderlich aber wäre, daß dann auch die Mittel der Akademie ausreichten, um allen Erwählten, ohne den Zwischentritt anderer zugleich übernommener Ämter ihre äußere Stellung und die ganze Ruhe der Arbeit zu sichern.

Daß einmal solche Schranke falle, hat der Verlauf der Zeit im stillen, die anders gewordne öffentliche Stimmung durch mehr als ein lautes Zeichen schon eingeleitet. Wenn, was niemand leugnet, die Wissenschaft selbst allen Deutschen gemeinschaftlich ist, wie sollten deren Vertreter es nicht sein? Würde jede wissenschaftliche Akademie des ihr anklebenden Örtlichen ledig, so könnte sie die Anhänglichkeit an unser großes, aus langen Geburtswehen, wie alle Guten hoffen, endlich erstehendes Vaterland wärmer hegen und nähren. Erst eine deutsche Akademie, dann das reinste Bild unserer Wissenschaft, würde mit ganz anderm Gewicht einer fremden Nationalakademie gegenüberstehn, als jetzt unsere, gleich uns selbst, zersprengten Akademien miteinander.

In der menschlichen Seele glimmen alle Wissenschaften und können unmittelbar aus ihr zur Flamme aufschlagen. Aber der genügsamen Anschaulichkeit indischer Waldeinsiedler, auf deren stillhaltendem Haupt Vögel ihre Nester baun, hat sich die Welt längst entrückt und unablässig gestrebt, ein aus der Vorfahren Hand empfangnes, in sich wucherndes Erbe der Hand der Nachkommen zu überliefern, wie es nur durch eine frei und unabhängig waltende, vollkommen tolerante, gesellige Doktrin und Selbstleitung geschieht, möge sie Akademie zu heißen fortfahren, oder zu höherer Entfaltung ihrer Ziele emporgetragen auch einen neuen Namen finden.

Die Gedanken des Verfassers, wie man erwarten kann, diesmal zunächst bei der Akademie stehend, mußten von ihr auf die Universität, von der Universität auf die Schule zurückgleiten, haben sich jedoch in umgedrehter Ordnung entwickelt. Er bescheidet sich, sie unbefangen, ohne alle Absicht auf den Bestand der Gegenwart irgendwie einwirken zu wollen, mitgeteilt zu haben und stellt sie künftigen und spätern Lesern sogar lieber als heutigen anheim. Auch ist in der kurzen Zeit, daß er diese Worte gesprochen hat und nun zu Druck gibt, unsere öffentliche Lage noch schlimmer und düsterer geworden, und selbst dem an ihr nicht Verzweifelnden müssen die nächsten Forderungen und Begehren der Wissenschaft jetzt als Wünsche in die Ferne treten.


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