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Italienische und skandinavische Eindrücke

Vorgelesen in der Berliner Akademie der Wissenschaften 5. Dezember 1844.

Lange Zeit schon stand meine Sehnsucht unverrückt und ungestillt nach dem Norden, von wannen unserer Sprache und unserm Altertum nicht das Urbild, aber ein ähnliches Gegenbild entnommen werden kann. Auf den Süden, seit die Mailänder Palimpsesten herausgegeben waren, hatte meine Spannung nachgelassen; lieber wollte ich lernen, ohne zu reisen, als reisen, ohne zu lernen: daß man ausginge in die Fremde und kein großes Geschäft in ihr zu verrichten hätte, erachtete ich für Abbruch am Gewissen und Greifen nach dem Ungewissen. Jetzt ist mir geschehn, daß auf die Gefahr hin, Suchens und Findens überhoben zu sein, ich in zwei Herbsten hintereinander, weil an der veränderten Luft meine Brust heilen sollte, schnelles Flugs die südliche und nördliche Halbinsel von Europa erreichte, und meine Augen haben sich geweidet an allem, was von gotischen Handschriften zu Mailand, Neapel und Upsala überhaupt noch vorhanden ist. Diese edlen Denkmäler, soll ihr Besitz nach ihrem Ursprung bestimmt werden, gebührte es sich unter uns in Deutschland zu bewahren, denn unsere Sprache, deren Grundlage und Stolz sie sind, behauptet unwidersprechlich darauf das nächste Anrecht.

Ich will aber hier keine gotischen Studien vorbringen, wozu schicklichere Gelegenheit anderswo sich darbieten wird, sondern es versuchen, Rechenschaft zu geben von den gemischten, mannigfalten Empfindungen, die mich auf diesen Reisen bewegten, die ich auch mit einem Teil von uns, der in denselben Gegenden länger zu Haus gewesen ist, gemein haben könnte. Was ohnehin in lebhaftestem Andenken schwebt, brauche ich nicht erst anzufrischen; so möge man meine besondere Stimmung, selbst wo sie abirrt, zu dulden desto willfähriger sein. Wie man aber gegen Fremde über seine Heimat zurückhält, läßt man sich zu Haus gern über die Fremden aus.

Italien wurde von unsern Vorfahren Walaholant, oder im bloßen Dativ Pluralis Walahum, später Walhen, adjektivisch walhisc lant, welsch Land genannt; da jedoch in zu großer Unbestimmtheit dieser Ausdruck auch auf gallische Völker geht, von welchen er sogar hergenommen scheint (und den Angelsachsen galt Vealh von ihrem gallischen Nachbar, dann von dem Fremden insgemein, ja für die romanisch redenden Dacier hat man Walachen eingeführt); so wandte sich der Sprachgebrauch allmählich zu dem im Land selbst herkömmlichen Namen Italia. Es ist, als weckte sein Wohllaut Verlangen zu dem Boden, der ihn führt. Wie sich Pflanzen nach der Mittagssonne drehn, Völker von Osten gegen Westen, von Norden gegen Süden wenden, begehrt, seit dem Drang der großen Wanderungen Einhalt getan und die Sitte der frommen Romfahrten erstorben ist, der einzelne Mensch jetzt noch, in diesen paradiesischen Landstrich einzuziehn und in der Fülle aller dort aufsteigenden Gefühle zu schwelgen.

Drei Gegenstände sind es, an denen sich in Italien ein offner Sinn laben kann: die Größe und Herrlichkeit der Natur, die reiche Geschichte des Lands, das Zeuge war so vielfacher in das Schicksal der Welt eingreifender Ereignisse, und die allenthalben auf ihm ausgestreuten Denkmäler der Kunst.

Über alles andere aber reicht die Macht der Natur, vor deren ewiger Jugend unsere Geschlechter hinsterben, und aus der die Kunst immer nur Stücke hernehmen kann, stolz oder zufrieden sie in ihr engeres Maß zu fasten. Doch den Menschen vermittelt des Künstlers oder Dichters schöpferischer Geist jene göttliche Natur im näheren Bild.

Wer dem meeresumspülten Italien heutzutage entgegenreist, wird sich eine Küste ersehn, um an ihr rasch hingleitend wie durch Zauber alsbald auf entlegner Stelle zu landen, gewissermaßen im Besitz der Ferne zu sein, aus welcher ihn nachher langsamere Landwege wieder in seine Heimat führen. Ein über die Alpen bloß landaufwärts Vordringender sorgt immer, nicht alles zu erlangen, und seine Lust schwächt sich an Zwischenaufenthalten; frisch von Genua aus selbst am römischen Gebiet sehnsüchtig vorübersegeln und Neapel erreichen, heißt zugleich auch sich Roms versichern, und die Lombardei darf man bei der Rückkehr, wie den Herbst nach verlebten Sommertagen, viel ruhiger genießen; Staub gibt es auf der Heimreise doch genug zu schlucken, und die reine Wasserstraße ist, wie die alte Sitte des Händewaschens vor dem Gastmahl, eine den Geschmack erhöhende Vorbereitung. Unter dem heitern Himmel, der monatelang keinen Tropfen Regen fallen läßt, wird man drei schwüle Tage und zwei kühlende Nächte recht der Wellen froh, deren bald blaue bald grüne Flut weiß aufschäumt und die Sonnenstrahlen wie den Glanz des Monds und das Flimmern der Sterne, gleich als sprühe sie selbst von Funken, wiederspiegelt. Zur Seite aber folgt dem Schiffenden des Landes Rand mit seinen rein und scharf geschnittenen duftigen Bergen. Diese kühne Gestalt des Gebirgs rechne ich zu den höchsten Vorzügen Italiens und der Alpen; unsere meisten Berge in Deutschland haben runde, zu verschwommen abgestumpfte Formen, die mit träger Schwere ins Auge fallend sich dahinziehn. Wie eines Weibes edler Wuchs in vollem Ebenmaß seiner Teile angekündigt und von dem ganzen Leib auf die Züge des Gesichts bis zu den im lächelnden Munde bleckenden Zähnen (ein Zeichen der höchsten Schönheit) geschlossen wird, so ist auch den italienischen Gegenden bei ihrem allgemeinen Reiz eine nie ausbleibende Fülle von Einzelheiten eingeprägt, die ihren großartigen Eindruck bewähren. Zwar hat die glühende Sonne das bei uns lachendere Grün der Wiesen bald gesengt und ein dort stärker ausduftendes Laub der Bäume gebräunt; doch dies verleiht den schön geformten Eichen noch männlicheres Ansehn, und von ihnen sticht die fahle Farbe der Olivenwälder desto angenehmer ab; was aber ließe sich dem schlanken Ausschuß gekrönter Pinien vergleichen, die den Horizont säumen? Wenn Regen die lechzende Flur erquickt, fällt er großtropfig, nicht fein zerspritzt und gemächlich nieder, und das Gewitter hat sich schnell entladen. Auf dem Gefilde sind Gärten und ungebautes Land oft nicht zu unterscheiden, gelbblumige Aloe zäunt mit ihrem scharfeckichten Blatt sicherer und schöner als Gitter und Mauer: unser Weinstock muß geschnitten an kleinen Stäben aufwachsen, deren Einförmigkeit den poetischen Rebhügeln steifes Ansehn erteilt: dort schlingen sich Ranken der Weinbäume, die in zwanglose Gruppen gestellt, sich mit schwerbeladnen Armen wie zum frohen Reigen anzufassen scheinen. Gärten stoßen an Wälder, und die Wälder haben die Art fortgesetzter Gärten.

Mit dieser Anmut einer unerreichbaren Natur sucht nun auch das, was durch Menschenhände geschieht, im Einklang zu bleiben, sie nicht zu stören noch zu verderben. Auf den Heerstraßen laden gefüge Bänke den Wandersmann zum Ruhesitz, zierliche Brunnen zur Labung ein, Namen, die zu wissen nötig sind, stehn mit schöner Majuskel an die Mauern geschrieben. Alle Städte zeigen sich wohl angelegt, alle Dörfer gefällig über das Land verbreitet; wenn auch nicht jedes Haus und Gebäude Forderungen eines reinen Geschmacks genügt, wird doch sichtbarer als anderswo ein Gesamteindruck bewahrt, der keine auffallende Beeinträchtigung leidet. In dem weitläuftigen Neapel sind mir tadelhaft entworfne Gebäude ausgefallen, es scheint dort noch ein spanischer Stil fortzuwirken, überhaupt ist die große Toledostraße weit hinter meiner vorausgefaßten Erwartung geblieben; ihr Gewühl, wenn sie rechte Breite hätte und mehr edle Paläste in sich schlösse, müßte ganz andere Wirkung hervorbringen, und doch in dieser Stadt, bei dem nahen Anblick des Meers, des rauchenden Vesuvs und der mitten in sie reichenden Gebirge verstummt aller Tadel. Wer die Anhöhe von Camalduli erstiegen und nach der Stadt, den Seen und dem Meer herabgeschaut hat, dem wird vielleicht im ganzen übrigen Europa kein Anblick gegönnt sein, der diesem nur in fernem Abstand zu vergleichen wäre. Gegen das tosende Neapel ist Rom Aufenthalt der feierlichen Ruhe, und alle Mannigfaltigkeit seines großen Inhalts, eben weil Natur, Kunst und Geschichte fast im Gleichgewicht stehn, lassen einen doch schnell zu erwünschter Besinnung und freier Auswahl gelangen.

Schon wenn man dieser stolzen Stadt, die nun 2600 Jahre zählt, auf der Via Appia näherkommt und die edlen Bogentrümmer großartiger Wasserleitungen erblickt, fühlt man sich im voraus für die alten Römer ungleich mehr eingenommen als für die jüngeren. Ganz Rom bildet ungeheure Steinmassen, allenthalben in endloser Reihe strecken sich Mauern; es ist, als hätten die wieder geordneten und die im Schutt liegenden Steine ihre Geschichte und wären sich bewußt einer andern Bindung, die zusammengestürzt ist. Was würden sie erzählen, könnten sie reden! Wie gewaltig ragt noch immer das stehngebliebne Alte aus den Kreisen hervor, die spätere Geschlechter dazwischen und an seine Stelle setzten. Die neuen baun für ihr Treiben und wohnen kleinlich bequem, sind, wenn sie darüber hinaus wollen, um den Stil verlegen und spielen nutzlos; die alten richteten ihre großen Werke zu ernsten Zwecken des Lebens auf, die wir nicht einmal nachahmen. In Rom geht nichts über den Anblick des Forum, wo man das Kapitol hinter sich, das Kolosseum vor sich hat; dagegen vermögen Engelsburg, Vatikan, Peterskirche gar nicht aufzukommen; bei allem ihrem Aufwand zeigen sie nur die engere Schranke der neuen Welt. Die Peterskirche, an deren linker Seite der Vatikan allzu dicht klebt, auf der Stelle erbaut, nach welcher die provenzalischen und altfranzösischen Dichter Rom überhaupt seltsam genug Neiron prat, Noiron pré, d. i. Prata Neronis nennen, diese Kirche hat für einen durch die Säulengänge und auf den Stufen Emporsteigenden noch nichts Erhabnes, erst wenn er in ihre innere Halle getreten ist, füllt ihre Größe ihn mit Staunen, das sich aber nicht in ruhige Bewunderung aufzulösen vermag. Ich weiß wohl, welche berühmte Baumeister, unter denen Raffael und Michelangelo sind, an ihr gearbeitet haben; es ist doch weder ein heidnischer noch ein christlicher Tempel, und ich glaube, die vom Feuer verzehrte Paulskirche an der Stadt entgegengesetztem Ende, wenn sie wieder ganz wird hergestellt sein, muß weit größere Wirkung tun. Die Römer des Mittelalters scheinen sich gegen den vollen gotischen Stil, wie er in den Domen zu Köln und Mailand waltet, gewehrt und ihn nur mit vieler Einschränkung zugelassen zu haben. Die ältesten christlichen Kirchen waren nach der weltlichen Basilika der Heiden gestaltet, von deren überliefertem Gepräge, zugleich dem nahen Eindruck der klassischen Bauten die römischen sich nicht losmachten, während der gotische Kirchenstil in freierem Schwung entfaltet, man darf es sagen, den Kunstwerken der Christen erst die rechte Weihe gab. Auch in dem meisten, was die Päpste sonst gebaut haben, herrscht leere Pracht und überladner Schmuck, ohne das Behagen der wahren Größe. Besser darauf verstanden sich die Florentiner, königliche Paläste aufsteigen zu lassen; aber unter allen Städten Italiens ist es Venedig, dessen wundervolle Gebäude nach dem eigentümlichsten Maßstab des Mittelalters emporgewachsen sind und darum allermeist befriedigen. Man mag überhaupt sagen, daß unbestritten Rom die erste Stadt Italiens sei und bleibe, und neben ihm Florenz die wohnlichste, zu langem Aufenthalt einladende, Neapel den zweiten Rang habe, aber Venedig den dritten.

Oft zwar sehn wir unter gleichem Himmelsstrich die verschiedensten Sitten und Gebräuche eingeführt, und keine Gegend vermag den eingewanderten Menschen umzuschaffen; dennoch muß in der Länge der Zeit sie großen Einfluß auf ihn ausüben, und ohne Zweifel hat auch der Italiener manche günstige Eigenschaften dem dauernden Wohnen seines Geschlechts in schöner und milder Natur zu danken. Alle Völker des heutigen Europas zusammengehalten, läßt sich nicht verkennen, daß dem Italiener die natürlichste und ungezwungenste Lebensart eigen ist. Schon seine Gebärden spielen frei und ungehindert, er sticht vorteilhaft ab gegen den gezierten, übertriebnen Franzosen, den feierlichen Spanier, den eingebildeten Engländer und unbeholfnen Deutschen. Es ist, als ob wir hinter den Alpen Gesessenen der Mienen des Gesichts und der Bedeutsamkeit unserer Hände und Finger, deren Gestikulation des lebhaftesten Ausdrucks, einer stummen Sprache fähig wird, uns gleichsam schämten. Jeder Italiener weiß damit auf das angelegenste und ungezwungenste seine Rede zu unterstützen. Er besitzt mehr angebornen als erzognen Anstand und hat fast von selbst feines Geschick für das Rechte. Seine Kleidung, wo sie noch Volkstracht geblieben ist, wirft malerische Falten, und er braucht, wenn er andere zu besuchen geht, nicht erst sich zu schmücken, sondern erscheint, wie er den ganzen Tag sich zeigt, auch in Gesellschaften; dieser eine Zug verbürgt uns einen noch einfachen unverstimmten Zustand. Man muß es angesehn haben, mit welcher zierlichen Gewandtheit die Stutzer den ausgezognen Wams auf dem äußersten Ende der einen Achsel zu tragen wissen, ohne daß er je zu Boden fällt. Kein anderes Volk hat zu öffentlichen Aufzügen, Umgängen, Tänzen und Vermummungen besseres Geschick als das italienische. Den schönsten Menschenschlag meine ich im Kirchenstaat und in einzelnen Teilen der Lombardei gesehn zu haben; der in Neapel und Toskana scheint ihm nachzustehn, und mit dem Vorzug der leiblichen Gestalt war, wie es meistenteils zu sein pflegt, gewöhnlich auch angenehmere Kleidung verbunden. Überall jedoch sind Männer und Frauen leutselig, gesprächig und unverlegen, einmal wie das anderemal, während wir Deutsche im Umgang mit der Menge im Anfang steif erscheinen und erst auftaun müssen, ehe wir uns in sie hineinfinden können.

Zu diesem allem stimmt nun im höchsten Grade die ausnehmende Schönheit und Gelenkigkeit der italienischen Sprache, die zwar eine Menge lebendiger Volksdialekte neben sich trägt, allenthalben aber als höhere, edlere Schriftsprache gilt und gepflegt wird. Früher wohl, angezogen von dem männlichen Cervantes, hatte ich der spanischen einen Vorzug gegeben, den sie nicht behaupten kann, und jetzt steht meine Überzeugung fest, daß die italienische Sprache Königin aller romanischen, die reichste und wohllautendste unter ihnen sei. In dieser letzten Eigenschaft gleicht sie der lateinischen, ihrer Mutter, welcher ich ebenso einen außerordentlichen Wohllaut, und höheren als selbst der griechischen zuerkennen muß, weshalb auch die Tochter der letzteren, die neugriechische, bei weitem nicht an den Wohllaut der italienischen reicht. Die Grundsätze, welche diese Behauptung leiten, sind in einem besondern (anderswo erscheinenden) Exkurs vorgetragen. Zugleich haben sich, wenn man das Gesamtvermögen der romanischen Sprachen erwägt, in der italienischen Flexion die meisten Formen, in der italienischen Syntax die behendesten Bewegungen offenbar erhalten. Aus solchem willig erteilten und, wie ich glaube, gerechten Lob der Sprache folgt jedoch keineswegs, daß mit ihr auch das Höchste zugleich in der Poesie ausgerichtet worden sei, so viel und Herrliches ihr von früh an gelang; zum Dichten ist keine Sprache ungeschickt, ja in ihrer Weise jede befähigt, und wie ein schönes Gefieder nicht immer die Vögel anzeigt, welche am reinsten und süßesten singen, scheint aus ärmeren Sprachen gleichsam zum Ersatz für ein ihnen versagtes reichgeschmücktes Gewand die Fülle der Poesie desto lauterer vorzubrechen. Mein Urteil über die italienische Dichtkunst werde ich nachher noch aussprechen.

Es mag auffallen, wenn ich wahrnehme, daß die italienische und hochdeutsche Mundart, zwei Sprachen ganz verschiednen Ursprungs und Fortgangs, einiges von Bedeutung miteinander gemein haben, was sie von allen benachbarten unterscheidet. Dahin gehört schon im einfachsten Lautverhältnis die Reinheit ihrer Vokale, indem beide die Grundlaute a, i, u unverderbt aussprechen und, was damit innerlich zusammenhängt, beide Sprachen wahrhafte Diphthonge besitzen und aufrechterhalten haben, wiewohl sie ihnen etwas verschiedne Behandlung angedeihn lassen, indem das Althochdeutsche ou, uo, iu jedesmal den ersten Vokal, das Italienische au, uo, ie jedesmal den zweiten betonen, welche Abweichung wiederum zu anziehenden Aufschlüssen über den deutschen und italienischen Reim führt. In den übrigen Sprachen sehn wir die einfachen Vokale oft getrübt und gleichsam auf die Hälfte ihres Werts zurückgebracht, die Diphthonge meistenteils zerstört, d. h. wieder in bloße Längen verengert, was zugleich auf die andern Vokale nachteilig wirkt. So gehn in der französischen Aussprache, wenn auch nicht Schreibung, die diphthongischen Laute unter, und fast auf gleiche Weise haben ihnen die niederdeutschen und heutigen skandinavischen Mundarten entsagt, wodurch nicht nur entschiedne Blödigkeit und Weiche in den Laut geraten, sondern auch den Dichtern die Beobachtung reiner Reime erschwert worden ist. Reine Reime insgemein hat bloß die italienische und mittelhochdeutsche Poesie aufzuzeigen. Im Konsonantismus verrät uns aber die italienische Spuren der Lautverschiebung, und außerdem ist ihr ein Teil der Zischlaute des hochdeutschen und slavischen Systems eigen. Eine andere nicht minder überraschende Einstimmung ist mir der vokalische Ausgang aller Plurale in der Deklination sowohl der Substantive als Adjektive; denn wie sämtliche italienische Plurale auf i oder e endigen (wo sie nicht Singular und Plural völlig gleichmachen), also die Flexion s der drei letzten lateinischen Deklinationen fahren ließen, so ist bereits der althochdeutsche Pluralausgang immer vokalisch, und dem gotischen s einzelner Flexionen wird entsagt. Umgekehrt sehn wir in jenen vokalblöderen Sprachen, namentlich der spanischen, provenzalischen, französischen die pluralen s bewahrt, und gleichergestalt haften sie im Altsächsischen und Angelsächsischen sowie im Altnordischen, wo sie bloß in r übertraten. Noch bis auf heute ist derselbe Zug im Englischen wahrzunehmen, und im Neunordischen hält das er an; auch in dem Niederdeutschen und Niederländischen bricht s durch, obwohl es durch hochdeutschen Einfluß häufig gestört und getilgt wurde. Die Vernichtung des s scheint mir aber im Italienischen und Althochdeutschen deshalb eingetreten zu sein, weil die größere Bestimmtheit der Vokallaute aller Verwirrung vorbeugte, wie noch neuhochdeutsch aus der Nachwirkung des im Niederdeutschen mangelnden oder beschränkten Umlauts hervorgeht. Beiderlei Einförmigkeit sowohl des vokalischen als des s-Ausgangs widerstrebt ihrer ursprünglichen Vereinigung, wie wir sie aus der lateinischen, griechischen und gotischen Sprache erkennen und zum Teil noch aus dem provenzalischen und altfranzösischen Wechsel des gesetzten oder mangelnden s, nach einem Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ ( regime und sujet) erkennen mögen, der sich später verwischte, und dessen genauere Erklärung mir hier abliegt. Um aber dieser geltend gemachten phonetischen und flexivischen Übereinkunft zwischen italienischer und hochdeutscher Sprache auch eine syntaktische beizufügen, so ist es gewiß nicht ohne tieferen Grund, daß der Italiener gleich dem Hochdeutschen das Präteritum des substantiven Verbums mit diesem selbst und nicht mit haben umschreibt, es heißt sono stato und ich bin gewesen, während nicht nur in allen übrigen romanischen Dialekten, sondern auch den niederdeutschen und nordischen in dieser Umschreibung haben verwandt wird: prov. ai estat, franz, ai été, span, he sido, niederd. ek heve wesen, mnl. hebbe ghesin, engl. I have been, altn. hefi verit, schwed., jag hafver verit, dän. jeg har väret: bloß das Neuniederländische ergab sich hochdeutscher Einwirkung, wie es auch jenem Plural s entsagte. Beide Ausdrucksweisen lassen sich nun rechtfertigen, offenbar ist die hochdeutsch-italienische abstrakter, die französisch-englische konkreter, und für das substantive Verbum, das aus dem konkreten Begriff des Wohnens in den abstrakten des Daseins überging, eignet sich, wie mich dünkt, die hochdeutsch-italienische Auskunft vorzugsweise, denn ich bin gewesen und ich habe gewesen unterscheiden sich ungefähr wie ich bin gefahren und ich habe gefahren oder ähnliche den doppelten Ausdruck zulassende periphrastische Präterita: in jenem Fall ist der Zustand des Seins, in diesem der einer Tätigkeit bezeichnet, und jener Ausdruck scheint freier und selbstbewußter. Da nun auch die slavischen Sprachen sowohl im vokalischen Pluralis als in Umschreibung des Präteritums zur hochdeutsch-italienischen Einrichtung stimmen, mit welchen sie sonst in Lauten und Flexionen oft zusammentreffen, so ließe sich, wenn man die Wahrnehmung nicht übertreiben will, im Italienischen, Hochdeutschen, Slavischen ein südöstlicher Zug gegenüber dem nordwestlichen in allen übrigen romanischen und deutschen Zungen spüren, der sich nicht an die eigentliche Volksgrenze dieser Sprachstämme hielte. Das Italienische schließt sich auch darin mehr an das Deutsche, daß es der Vertilgung des Neutrums, die sich in den andern romanischen Sprachen früh entschied, länger widerstand, worüber ich mich auf Diez beziehe, welcher gründliche Forscher viel geleistet, doch das ergiebige und schwierige Verhältnis der romanischen Sprachen zu der lateinischen und andern nicht nach allen Seiten hin erschöpft hat. Um hier einen neuen Beitrag zu liefern, habe ich in dem zweiten Exkurs die beinah rätselhafte Beschaffenheit des italienischen andare und französischen aller zu erörtern gesucht. Hier nicht mitgeteilt.

Wem solche Erscheinungen überhaupt nicht gleichgültig, vielmehr bedeutsam sind, für wen auch in der Sprache wechselseitiges Durchdringen des Notwendigen und Freien, eines mächtigen wunderbaren Stoffs und einer ihn verarbeitenden, bildenden Willkür vorliegt, dem darf in der ganzen Geschichte der Deutschen und Italiener, jener Einstimmung zur Seite, ein gemeinsamer Gang noch unverkennbar einleuchten. Ich bin fern davon, das eine aus dem andern herzuleiten oder völlig erklären zu wollen, aber helfen können sie sich wechselweise zu ihrer Erklärung. In beiden Völkern nehme ich die größte Anlage zur Freiheit wahr und die längste Abhaltung davon. Ganz Europa besitzt nur zwei Völker, deren äußere Macht und Gewalt von früher Zeit an durch innere Spaltung gebrochen wird, Deutsche und Italiener, und die Ursache davon muß unmittelbar in ihrer Natur und Sinnesart wie in ihrer Geschichte gelegen sein. Während in Frankreich, England, Spanien, ja den slavischen Ländern die einzelnen Gebiete, aus welchen sie nach Unterschied ihrer Bewohner anfänglich bestanden, allmählich, aber unaufhaltsam zusammenfielen und diese Verschmelzung unleugbar ihre größere Kraft entwickelte, blieben unsere und die italienischen Landschaften zersplittert und in Lappen gerissen, die nicht einmal alle die Farbe der ursprünglichen Volksabstammung tragen. Es ist in der Geschichte ohne anderes Beispiel, daß eine große, ihrer Macht und Taten sich bewußte Nation solche Zerstückelung erfuhr, wie die deutsche. Durch lang hergebrachte, mißverstandne Anwendung der gemeinen Erbfolge auf Land und Leute wurden edle Volksstämme gesprengt, unter sich sondernde Söhne, ja unter die Männer von Erbtöchtern hingegeben und im verminderten Umfang der Gebiete auch Band und Gefühl des alten Zusammenhangs geschwächt. Was sich nicht vererben ließ, konnte durch Kauf, Tausch und Gewaltstreiche in andere Hand gebracht werden: gegen solchen entnervenden Wechsel der Fürsten und Herren im Mittelalter sind Verlust und Eroberung, die aus Schlachten hervorgehn, ein Glück zu nennen, weil in den Herzen sie die männliche Empfindung des Siegs oder der Rache hinterlassen, jene langsam und ungewahrt abstumpfen. Wo auch im übrigen Europa Keime dieser Zerstückelung walteten, scheinen sie durch einen gesunden, praktischen Sinn der Völker niedergehalten und in ihren Folgen unschädlich gemacht. In Deutschland und Italien sind es aber zwei Ideale und höhere Einflüsse, von beinah gleicher Stärke, welche sie zugleich begünstigten und entschuldigten: Kaiser und Papst. Wo ein großes Reich gedeiht und aus dem engeren Verband einzelner Stämme erwächst, pflegt geraume Zeit lang Wahl dem erblichen Königtum voranzugehn, aber zur rechten Stunde darf es nicht ausbleiben. Diese Stunde versäumten die Deutschen; ich weiß nicht, ob der Mut der Stämme noch zu stolz war, sich unter dem Kaiser zu beugen, dessen Begriff, wie der Name lehrt, uns aus der Fremde zugeführt wurde, oder ob des Kaisers Würde zu hoch und allgemein erschien, daß sie eines Übergewichts an Landbesitz notwendig bedurft hätte. Niemals erstarkte die Macht des deutschen Kaisers zu der Stufe, daß sie gleich der des französischen oder englischen Königs auf die Dauer der Herzöge, Fürsten und Grafen gewaltig geworden wäre, denen sie doch den Gipfel der Herrschaft vorenthielt und dem wesentlichen Begriff nach nur den Rang bloßer Beamten gestattete. Von dieser Theorie wich aber in vielfacher Färbung die Praxis ab, und das Ansehn des Kaisers leuchtete bald auf, bald fiel es zusammen. In Italien stand mitten im Lande die Idee des Papstes und hemmte allen weltlichen Aufschwung, ja, ihr nachgeahmtes Muster konnte unter uns Deutschen, und sicher nur unter Deutschen, geistliche Fürsten in Unzahl hervorbringen, deren wechselnde Wahl neben der Erbmacht weltlicher Fürsten die Zersplitterung des Reichs vollendete. Wo hätten in andern Ländern die Könige jemals ihre Geistlichkeit, selbst die einflußreichste, zu Landesherren werden lassen? In Deutschland fand man es nicht unnatürlicher, daß ein Abt oder Bischof, als daß das Oberhaupt der ganzen christlichen Kirche über Land und Leute herrschte. Unter dem Krummstab aber, sobald keine öffentliche Not einbrach, ließ sich gut wohnen, und es bleibt überhaupt ein erhebender Trost, daß die nach außen gehemmte Freiheit nach innen schlagen und das geistige und bürgerliche Leben desto wärmer durchdringen konnte. Man könnte sagen, es geschah im Drang der Not, weil die königliche Ordnung durchzugreifen nicht vermochte und das Volk sich mit eigner Hand helfen mußte; wer wollte aber dabei dessen angestammten Freiheitssinn unangeschlagen lassen? Nirgend – außer Deutschland und Italien – haben die Städte so mutig emporgestrebt, und was wäre den lombardischen, rheinischen, schwäbischen und hansischen Städten im ganzen Mittelalter an die Seite zu setzen? Aus ihrem Schoß und in ihrem Geist sind Venedig und Genua, wie Lübeck und Hamburg hervorgetreten, und kann man der innersten Eigenheit deutscher und italienischer Zustände größeres Lob sprechen, als wenn man eingeständig werden muß, daß ohne sie das neuere Europa keine dauernde Freistaaten erblickt hätte? Denn nicht nur jene Städte, auch die Schweiz und Holland waren nur auf deutschem Boden möglich. Zeugen tief wurzelnden Gemeinsinns sind uns die zahlreichen freien Reichsstädte, deren Name glänzt, deren einzelne sogar den jüngsten Schiffbrüchen entgangen sind. In ihnen währte der republikanische Geist, den England und Frankreich nur einige Jahre ertrugen, Jahrhunderte.

Gegenüber dem Papsttum stehn wir Protestanten oder lieber wir Deutsche feindselig; doch ward ich mir keiner ungerechten Gesinnung bewußt, wenn ich die Geschichte der Päpste aufschlug und zornig ihre herben Übergriffe in die Schicksale unseres Vaterlands las, dessen Frieden sie in Zwietracht wandelten, auf dessen gefeierte Könige sie ihren Bannstrahl schleuderten. An einem Marientag sah ich Capellari, der sich Gregor XVI. nennt, in durchsichtigem Glaswagen über den sandbestreuten Korso vorbeifahren und unablässig freundliche Segen winken: Kinder und Bettler fielen auf ihre Knie, das übrige Volk schaute still zu. Und diese Aufzüge haben sich unzähligemal, lang über tausend Jahre hin erneuert, der Prunk einer hochmütigen, wider den Sinn des Heilands, dessen Reich nicht von dieser Welt sein sollte, gestifteten Herrschaft. Hätten Petrus und Paulus den Sitz des Christentums in Asien behaupten oder nach Griechenland tragen können, welch andere Gestalt würde die neue Lehre angenommen und wie ganz verschieden Europa und mit ihm die Welt sich entwickelt haben. Gerade mitten in Rom, wo die Asche des Heidentums am heißesten glühte, wurde der päpstliche Stuhl gesetzt, um unter Feinden zu erstarken und einen Teil heidnischer Anstalten sicher im eignen Schoß zu hegen; von den Päpsten der ersten Jahrhunderte wissen wir beinah nur Namen, keine Taten, sie waren nicht Aufsichter der Kirche im Sinn ihrer späteren Nachfolger; aus ihrer Abhängigkeit vom byzantinischen Kaiserreich wären sie nimmer gelöst worden ohne Goten, Langobarden und Franken, die sich als unbezwingliche Nachbarn aufstellten und den griechischen Einfluß herunterbrachten, nimmer ohne Pipin und Karl, die den weltlichen Papst errichteten, welchem noch Otto der Große rettende Arme reichen mußte. Für so große Hilfe wurde aber in folgenden Jahrhunderten, die das Gebäude einer strengeren Hierarchie aufsteigen sahn, den Deutschen schnöde gelohnt, und aus dem unterwürfigen Bischof von Rom begann sich ein allgemeiner Herr der Christenheit zu erheben, in dessen Macht es stehe, Könige zu ernennen und zu entsetzen. Wie deutsche Könige früher die Papstwahl, leiteten Päpste nachher die Königswahl. Diese übermütigen Päpste waren es, deren Bann Deutschland zur staufischen Zeit, als es im vollen Begriff stand, ein mächtiges Reich zu gründen, dergestalt verwirrte und entwürdigte, daß es nach Friedrich des Zweiten Tod in Schmach versank, aus welcher es sich niemals erholen konnte.

Unter den 256 Päpsten, falls man überall glaubhaft rechnet, gab es sicher edle, fromme, für ihr Amt begeisterte, und dies glänzende Amt würde durch die geringere Zahl lasterhafter, harter und beschränkter nicht einmal verdunkelt werden. Wenn ich aber aus dem Munde sogar protestantischer Schriftsteller solch ein Lob erschallen höre, daß behauptet wird, die Päpste brauchten nur ihr Archiv zu öffnen, um ihr Recht im Kampf mit den deutschen Königen und das Unrecht der Könige vor aller Welt einleuchtend zu machen, so hindern mich schon die bisher bekannt gewordnen Urkunden und die Nachrichten der Geschichtsschreiber genugsam, an eines solchen Beweises Fühlbarkeit zu glauben; Päpste, die hartnäckig den Ton angaben, wie Gregor der Siebente, Innocenz der Dritte und Vierte, verleitet durch den Erfolg ihrer Streiche, stellten eine so unnatürliche Theorie allgemeiner, die ganze Welt umspannender Priesterherrschaft auf, daß nicht menschliche, nur göttliche Kräfte den straffen Zügel zu führen vermocht hätten. Unter solcher Fessel oder Bürde, wenn seine regen Geschlechter auf die Länge sie zu ertragen fähig gewesen wären, würde Europa ermattet sein, wie Asien im Joch des Lama oder Buddha. Ich meinesteils hätte mich in jener Zeit zehnmal lieber zu den Gibellinen geschlagen als zu den Gelfen: jene folgten, wenn auch unbewußt, einer gesunden Einsicht in gegebne, aus sich selbst erwachsne Lebensverhältnisse, die päpstliche Partei einem blinden, maßlosen Eifer, weshalb auch die meisten, irdischen Maßes bedürftigen Dichter gibellinisch waren. Ordnung soll in der Kirche wie überall sein, aber auch Gefühl der menschlichen Schranke und nicht der Laien Recht, wie sich Walther von der Vogelweide ausdrückt, von den Pfaffen verkehrt werden; deutsche Kaiser, im Hader mit dem Papst, vertraten diese Ansicht, wenn schon nicht immer auf rechtem Wege; das heilsame Gegengewicht ging allzeit nirgendwo andersher als von Deutschland aus, und den Gespinsten der Päpste hat späterhin ein andrer Deutscher, Luther, das Ende gemacht, wofür ihm nicht bloß die protestantische Kirche ewigen Dank schuldet. Man muß aber die freie Sprache der deutschen Dichter des Mittelalters hinzuhalten, um die Popularität der Reformation im Herzen Deutschlands zu fassen. Italien hat gleichsam zum Ersatz seiner verlornen weltlichen Herrschaft die Papstwürde, deren freie Wahl sich aus der gesamten Christenheit erfrischen sollte, seit Jahrhunderten gepachtet und für sich verriegelt. War von tugendhaften Päpsten, die aus der Geistlichkeit deutscher Nation hervorgingen, bevor das Papsttum seine volle Schärfe angenommen hatte, nicht der Ungrund einer solchen Einschränkung im voraus dargetan? Aus einer noch denkbar freien Priesterschaft ward immer sichtbarer eine römische Aristokratie. Rom ist unverrückt die Hauptstadt der Welt, nur in anderm Sinn, geblieben.

Rom, nach dem sich nicht bloß Pilgrime und erdichtete Geschichten benennen, sondern unser deutsches Reich und deutsche Könige lange Zeiten hindurch einen zweideutigen Namen voll Ehre und Gefahr, voll Stolz und Ungeschick führten, dessen wir ohne Bedauern ledig gehn, Mit der Kirche drang römische Sprache vor, mit den Kaisern römisches Recht, und sicher wird die Notwendigkeit jener längst in die Schranke des bescheidneren lateinischen Namens zurückgekehrten die des römischen Rechts bei uns überdauern. diese wunderbare Stadt übt noch andern Zauber als ihren geistlichen. Sie ist durch vielleicht ununterbrochen fortgesetzte Überlieferung künstlerischer Fertigkeiten und die glückliche Bergung zahlreicher Denkmale nicht bloß die Wiege der neueren Bildhauerei und Malerei, sondern auch bis auf heute deren Lehrschule und Werkstätte, so daß außer jenen frommen Wallern alle Jünger der Kunst nur in ihren Mauern und unter ihrem Himmel großerzogen und losgesprochen zu werden glauben. Und wer wollte bezweifeln, daß südliche Luft und Verkehr in edel ausgeprägter Natur neben den vor das Auge gerückten Mustern des Altertums wie der sie übenden Meister fördere und auferbaue? Da gleichwohl das Steigen und Sinken der Kunst offenbar noch von andern mehr innerlichen Bedingungen abhängig ist und wir italienische und römische Künstler selbst, wennschon in allen jenen Vorteilen geboren und auferzogen, keineswegs die höchsten Ziele erreichen sehn, so fragt es sich, ob die Vorstellung von dem Fortschritt der neueren Kunst nicht zum Teil auf Täuschung beruhe und von der Zukunft widerrufen werden könne? Diese Besorgnis geziemt mir nicht irgend zu begründen, auch dringt sie bloß aus der Wahrnehmung vor, daß Zeiten eines überhandgreifenden Kunstdilettantismus niemals eigentlich schöpferische geworden sind. Durch geistreiche Deutsche, nicht Italiener, ist von Winkelmann an bis auf Otfried Müller unser Auge für Anschauung der Antike gereinigt, und an keinem andern Orte günstiger als in Rom selbst scheint dies unerschöpfliche Studium wärmer angefacht und genährt zu werden. Doch will ich den Eindruck nicht verhehlen, den bei meinem Aufenthalt in dieser Stadt gerade die Anhäufung der Bildwerke und Gemälde in den zahlreichen Sälen und Museen auf mich machte, deren Einrichtung, wo ich nicht irre, zuerst dort angegeben, allmählich über ganz Europa sich verbreitet hat. Ursprünglich waren alle Kunstwerke für besondere Stellen geschaffen und unmittelbar auf sie berechnet, nur an ihnen mochten sie mit voller Wirkung angeschaut und genossen werden. Dem heiligen Bild gebührte sein Platz im Tempel, der Darstellung eines teuern Verstorbnen im Haus, wo sie auf die kommenden Geschlechter sich zu vererben bestimmt war; jede Versetzung von diesen Stätten scheint eine Art Entweihung. Ich sehe wohl ein, daß das Bewahren der längst schon ihrem ursprünglichen Ort entfremdeten Werke oder der von ihnen gebliebnen Trümmer in eignen Räumen unerläßlich und ihr Aufhäufen ein notwendiges Übel geworden ist, dem Archäologen aber für sein Studium eben unschätzbare Vorteile gewährt; nichtsdestoweniger läßt sich behaupten, solche Sammlungen, in welchen man kein Bedenken trägt, neben Athene Mänaden, neben eine milde Madonna die Abbildung des gemarterten Laurentius oder eine flämische Zechgesellschaft zu stellen, seien für den reinen Geschmack statt erweckend verwirrend, und für den Beschauer, der zahllosen Empfindungen und Gedanken hintereinander unterworfen werde, wenn er sie auch sammeln könne, peinlich.

Wie froh rettete ich mich aus der Unruhe solcher Villen und Hallen, so oft es vergönnt war, auf das Forum Romanum, wo mir die halb zertrümmerten Bauten der alten Römer in ihrer unbeschreiblichen stillen Größe entgegenschauten, Tempel, Kolumne, Bogen, Kolosseum, alles noch an natürlicher Stätte haftend und sich selbst das volle Maß gebend. Da hätte ich monatelang ausschließlich herumwandern und meine Gedanken in alle dargebotnen Lagen und Verhältnisse saugen mögen und mich anheischig gemacht, in dieser Zeit über keine andre Kunstschwelle zu treten. Kindisch erschienen mir auch die von den Christen bei solchen Denkmälern überall angebrachten Kreuze oder gar die in der Mitte des hehren Kolosseums errichteten Stationen, gleich als vermöge man dadurch ihrer Hervorbringung oder ihres Geistes sich zu bemächtigen; auch war das Umwandeln heidnischer Mauern in christliche Kirchen (wie beim Pantheon schreiend an Tag tritt) des Christentums, das sich nicht erst ein solches Bett oder Nest zu suchen brauchte, unwürdig.

Soviel ich weiß, sind darüber noch keine genügende Untersuchungen gepflogen, wann zuerst auf die heidnischen Überbleibsel die Päpste ihr Augenmerk richteten und sie zu hegen und zu sammeln begannen. Es muß spät, vielleicht nicht vor Leo X. geschehn sein, nachdem in den vorausgehenden Jahrhunderten ungehinderte Zerstörung oder Vernachlässigung dieser Greuel des Heidentums gewaltet hatte. Wie hätte auch auf der eifrigsten Hochwacht der Christen dessen geachtet werden sollen, was von den Heiden noch übrig war? Nur das schonten Christen, dessen Gemäuer sie nicht zu ihren Zwecken umschaffen konnten oder dessen Vertilgung zu schwer gewesen wäre. Man behauptet, noch Paul II. und III. hätten im 15. und 16. Jahrhundert neue Paläste mit Steinen des Kolosseums erbauen lassen, bis erst hundert Jahre nachher Benedikt XIV. den Abbrüchen Einhalt tat und in unsern Tagen Pius VII. die stürzenden Wände zu festigen befahl, an welcher Herstellung seitdem fortgearbeitet wird. Aus dem einen entnehme man, ob die Päpste ihrer gelehrteren Bildung ungeachtet zur Sicherung des Altertums geeignet waren? Es gehörte dazu erst eine Abkühlung des alten Eifers, was sie für die Kunst taten, ist dankenswert und wurde ihnen bei den vielen zu Gebot stehenden Mitteln nicht schwer; die meisten Könige würden in gleicher Lage mehr geleistet haben, und was zuletzt geschah, bietet nur schwachen Ersatz für alles, das die Vorgänger zugrund gehen ließen, denen an sich ich keinen Vorwurf daraus schöpfe.

Verschiedentlich habe ich mir die Frage vorgelegt, wie es komme, daß von unsern Antiquaren zwei so ungleichartige Gegenstände, als Bildwerke der Griechen und Römer und die Gemälde der christlichen Kunst sind, fast mit derselben Liebe umfaßt, mit der nämlichen Aufmerksamkeit untersucht werden? Zwar liegt eine Antwort nah, daß in beiden Hervorbringungen die ihnen gemeinschaftliche Schönheit der Gestalt und Komposition gesucht und anerkannt werde, folglich die eine zur Erläuterung und Bestätigung der andern gereichen dürfe. Magdalena kann so reizend gemalt sein, als Venus ausgehauen ist, und die Zusammensetzung einer Grablegung von Raffaels Hand so glücklich und gewählt sein als irgendein altes Werk. Ich bekenne, daß mir dieser Grund nicht genug tut, weil, wie mich dünkt, in den Bildsäulen und Malereien noch eine andere gründlichere Verschiedenheit obwaltet, die durch Beobachtung ihrer gemeinsamen Vorzüge keineswegs aufgehoben wird, die mir eben, als ich römische Sammlungen betrachtete, oft in grellem Abstich entgegentrat. Ein wesentlicher, ja unausgleichbarer Unterschied der alten von der neuen Kunst liegt mir nämlich darin, daß alles, was jene gestaltete typisch ist, d. h. nach lang überliefertem Urbild entsprungen, die Bilder der neueren Kunst aber beinah ganz in der Phantasie und Willkür des Malers beruhn. Jene waren darum echt religiös, diese sind es nur anscheinend, weil die Kraft des einzelnen und des größten Meisters solch einen Typus zu erzeugen oder zu ersetzen viel zu schwach ist. Alle alten Werke, der Griechen zumal, auch die kleinsten und nur unvollkommen gelungnen, sind lehrreich, und man darf sie bis ins einzelne studieren, während aus Gemälden, selbst raffaelischen, für die Erkenntnis unserer wesentlich unbildlichen Glaubensgeheimnisse nichts zu entnehmen ist. Was ihnen gegeben war, konnten die Maler nicht malen, und was sie malten, war ihnen nicht gegeben. In allen noch so verschieden gefaßten Bildsäulen der Pallas wird der Göttin Typus walten; wie grundabweichend ist Maria von den Malern, von einem und demselben Meister genommen, dem Haupte des Heilands sehn wir bald schwarzes bald nußbraunes, bald schlichtes, bald gekräuseltes Haar beigelegt. Man weiß, daß die ersten Jahrhunderte alle Bilder verabscheuten, die folgenden fast verstohlen wieder dazu, niemals aber zu einem stetigen Typus der Gestalten und Farben gelangten. Es gebricht also der modernen Kunst an einem vollen Hinterhalt, an lebendigem, festem Zusammenhang mit Religion und Mythus, den keine künstlerische Schwärmerei vergütet. Auch mich ergreift bei Raffael, Leonardo, Tizian das glühende Leben ihrer Bilder, die gleich den glücklichsten und wahrhaftesten Porträten wirken, deren Form und Anlage ich bewundre. Was ich in ihnen misse, würde auch ein aufrichtiger Katholik in ihnen nicht finden: mythische Treue und Zuverlässigkeit, die erst den Mittelpunkt und die Seele des Gemäldes hergeben können.

Zu solchen Ketzereien will ich noch eine nicht geringere fügen, die sie erklären helfen kann. Wir sind gewöhnt, wie mit dem Begriff der italienischen Kunst auch mit dem der italienischen Poesie das Höchste zu verknüpfen, und ich scheue mich fast es zu sagen, soviel Widerspruch wird mir drohn, es scheint, daß diese Poesie ebensowenig an die Seite der griechischen gesetzt werden darf: nicht von fern. Die Philologie übt ein strengeres Amt und leidet nicht, daß Vorurteile, so fest sie sitzen, sich verjähren; ist der Schein, der ehmals die französischen Klassiker umgab, längst für uns verschwunden, so werden auch die italienischen einmal von der Stelle weichen müssen. Wahr ist, die Dichtkunst nahm um das vierzehnte Jahrhundert in Italien einen kühneren Aufschwung als irgendwo in Europa, denn unser dreizehntes in Deutschland war wohl auch reich begabt, doch nicht so fertig zum Flug oder zu bald aufgehalten. Dantes begeisterte Werke herrschen schon über die Sprache, und die Meisterhaftigkeit ihrer edlen Form, die Trefflichkeit ihrer Gesinnung scheinen anhaltenderes Studium zu verdienen als ihr zugleich spannender und ermüdender, uns abgestorbner Inhalt. Petrarch schließt sich noch unmittelbar an die letzten Troubadoure, deren süße Weichheit er in einfachem Maß auszuhalten wußte; er zieht mehr an, als daß er fesselte. Dem dritten aber, seinem Zeitgenossen, dem unnachahmlichen Erzähler Boccaz, stehe ich nicht an, die erste Stelle einzuräumen; er ist aufs vollste in den Zauber der italienischen Sprache eingeweiht, und ihre schon in ihm vorwaltende, einschmeichelnde Redseligkeit kommt gerade seinem großen Talent zustatten. Diesen geschmeidigen Fluß der Worte hat unter den späteren etwa nur Macchiavells ausgezeichnete, bereits etwas strengere Darstellungsgabe erreicht. Wenn neben dem letzten Lyriker Dante fast dramatische Wärme entfaltet, so hatte Boccaz vollkommen begriffen, daß zu seiner Zeit das Epos längst in die gewaltigste und rührigste Prosa übertreten mußte.

Hinter diesen Vorgängern sind Ariost und Tasso, die in den folgenden Jahrhunderten aus der Menge ragen, so hoch sie ihre Zeit gestellt hat und noch heute das bewundernde Italien überschätzt, weit geblieben. Sie griffen in die verschwundne epische Zeit zurück, die kein lebendiger Volksmythus mehr trug, geschweige eingeben konnte. Ariost suchte wenigstens den alten Boden festzuhalten, aber der Stoffe war er nicht mehr mächtig und begann sie willkürlich zerschneidend und verwirrend seiner dichterischen Laune mit großer, dennoch verlorner Gewandtheit unterzuordnen. Sein Gedicht kann ergötzen, aber nicht wie ein griechisches erheben oder wie ein altdeutsches mild erwärmen. Wer an Tassos sentimentaler, aus Ariost, Virgil, Amadis und andern von einem Dichter, der wahrlich nichts zu leihn brauchte, zusammengesetzter Gerusalemme liberata Freude findet, dessen Herz hat höhere und tiefere Poesie nicht empfunden. Ihre Schönheiten gleichen ungefähr denen in Guido Renis Bildern, und was italienische Dichter und Maler dem klassischen Altertum zu entwenden oder abzusehn suchten, ist ihnen nur zum Verderb ausgeschlagen. Diese italienische Dichtkunst scheint also meines Erachtens lange nicht dazu befugt, einen ästhetischen Maßstab für das Epos herzugeben, so wenig ihn die spätere der Franzosen für das Drama darzureichen imstand war, und mit vollem Recht ist man allmählich von beiden wieder abgewichen. Ein Element, und gerade zur epischen Poesie das unerläßlichste, das ungebildeten slavischen, finnischen Völkern in hohem Grade zusteht, aber auch deutschen nicht mangelte, ich meine das naive, scheint italienischen Dichtern und vielleicht ihrem Volke zu gebrechen; sie sind immer gern ironisch, zu Spott geneigt und vorbedächtig. Daher auch ihre spätere Literatur bis auf heute, festgerannt in Vorbildern allzufrüh erworbner Klassizität und immer unfruchtbarer geworden, an den Überresten der Volkspoesie sich zu erfrischen nicht vermochte und der schönsten Sprache zum Trotz unsäglicher Breite erliegt. Doch einer zu froher Hoffnung berechtigenden Ausnahme will ich schon gedenken: auf den toskanischen Alpen hat der edle Tommaseo mit treuem Ohr jahrelang unscheinbaren Liedern der Hirten gelauscht und einen ganzen Band lieblicher Gesänge gefüllt, deren einfache Unschuld dennoch Wendungen Dantes und Petrarchs begegnet. Anhaltende Tätigkeit und feine Beobachtungsgabe ist der italienischen Natur nicht im geringsten abzustreiten. Es gibt in diesem Land mehr als anderswo stille Arbeiter, die ein anspruchsloses Leben emsig im Dienst heimischer Geschichte und Altertümer verzehren; ihre Werke selbst aber geraten selten über das Mittelmäßige, weil es ihnen an Geschmack und durchgebildeter Gelehrsamkeit mangelt. In physikalischen und mathematischen Wissenschaften, die am wenigsten von politischer Hemmung leiden, und deren Wert schnell über die Grenzen der Länder dringt, besaß und besitzt Italien höchst ausgezeichnete scharfsinnige Männer.

Beide Völker, Deutsche und Italiener, deren Schicksale so eng verkettet sind, haben sich lange Zeit einander weh getan, beiden geziemt endlich Aussöhnung. Daß ein Teil der italienischen Einwohner deutsches Ursprungs war, das ist längst vergessen, daß Deutsche durch gesunde leibliche Kraft, ohne Geistesüberlegenheit, eines feineren, schwächeren Schlags Herren wurden, haben sie nie vergessen, ja, es schmerzt sie, daß zuletzt noch ein geistiges Joch deutscher Wissenschaft jenem roheren Druck zutrete und ihn gleichsam versiegle. Der alte Spott über unsere rauhe Sprache wird ihnen bitter eingetränkt, wenn sie wohl einsehn, daß der Gehalt unserer Rede nicht länger zu entbehren ist. Deutschen Boden haben italienische Heere nur selten versehrt, aber in unserm Andenken haftet die Gewalt und Hinterlist, die ihm von welscher Priesterschaft angetan wurden. Das heutige Italien fühlt sich in Schmach und Erniedrigung liegen: ich las es auf dem Antlitz blühender, schuldloser Jünglinge. Was auch kommender Zeiten Schoß in sich berge, die Macht, deren Flamme wir noch aufflackern sehn, wird nicht ewig über ihm lasten, und wenn Friede und Heil des ganzen Weltteils auf Deutschlands Stärke und Freiheit beruhn, so muß sogar diese durch eine in den Knoten der Politik noch nicht abzusehende, aber dennoch mögliche Wiederherstellung Italiens bedingt erscheinen.

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Skandinavien führt diesen Namen von der Landschaft Schonen, sei es, daß auf sie die anfängliche Allgemeinheit des Ausdrucks zurückgegangen oder bereits aus ihr entwickelt war.

Wenn man über die Ostsee hinfährt, heben sich die Wellen matter als auf der mittelländischen, erst im Belt wird ihr Schlag heftiger, auch die Farbe des Meers zeigt sich nur grau: dennoch verliert das ungestüme Element nichts von seiner Erhabenheit. Alle Küsten, denen man naht, treten flacher entgegen, und die Vegetation erreicht nicht einmal den Trieb der deutschen, geschweige die Fülle der italienischen. Nur hat der Baumwuchs in Seeland und teilweise Schonen noch ausgezeichnete Schönheit; in Schweden, je weiter man vordringt, läßt er nach, Eiche oder Buche weichen der weißrindigen Birke und dem einförmigen Schwarzgrün des Nadelholzes. Die Natur wird einsam, ruhig, und die geringe Anzahl des Volks kann sie nicht beleben.

Schweden, das Land der langen, lichten Sommernächte, gefällt durch seine grünen Matten, in deren Gras unscheinbare Blumen haften, welche die Glut des südlichen Himmels erstickt. Sogar die braunrot ungestrichnen, kleinen, aber reinlichen Häuser, deren rasenbelegtes Dach Halme und Gesträuch treibt, hinterlassen einen freundlichen Eindruck. Stockholms Lage, vom Mosabak herab geschaut, mahnt an Genua und Neapel; nur fehlen Duft und Glanz.

Soll ich in dem ernsten, aber regen Gesicht der Schweden einen Nationalzug angeben, so böte ihn die feine, edle Bildung der Nase dar, etwa wie sie bei Goethe herrscht, der, was sein Name andeutet und Überlieferung besagt, von götländischen Vorfahren abstammen soll; ein dänischer Typus zeigt sich an oder zwischen den Augen. Rotwangige Däninnen sahn frischer, bleiche Schwedinnen zierlicher aus.

Nach Norwegen, dessen Gebirge großartig sein sollen, bin ich nicht gelangt; den äußersten Strich nordischer Zungen, Island, kenne ich nur aus Abbildungen, wie sie jetzt eine französische Reisebeschreibung in anschaulicher Fülle darreicht.

Diese fernen, rührigen Isländer haben an Europa ihre Pflicht redlich abgetragen und der Welt und dem sinnenden Menschengeist weit größeren Vorschub geleistet, als das unter herrlichem Himmelsstrich gelegne Sardinien, das, seit unsere Zeitrechnung gilt, träg und unnütz dahinlebt. So wenig also hängt die innere Tätigkeit unsers Geschlechts ganz von seiner äußeren Lage ab. Ohne Island und die Auswanderung der edelsten und kühnsten Norweger nach erstarrendem, aber freiem Boden würden beinah alle nordischen Altertümer untergegangen sein, wie uns ohne die Errungenschaft eines ausgestorbnen Brudervolkes, der Goten, aller wahre Zusammenhang unserer Sprache unerkannt und rätselhaft geblieben wäre.

Für den deutschen Forscher ist Skandinavien klassischer Grund und Boden, wie Italien für jeden, der die Spuren der alten Römer verfolgt. Grabhügel und Runensteine ragen aus der Erde, mächtiger zieht noch die Sprache an, die vom Andrang fremder Wissenschaft später als unsere deutsche berührt, in vielen ihrer innersten Verhältnisse unangetasteter geblieben ist. Ein kaum begonnenes und noch lange fortzusetzendes Studium des nordischen, sowohl toten als lebendigen Sprachstandes wird uns über Tugenden und Mängel unsers eignen aufklären. Wenn nicht an Wohllaut, doch an Gedrungenheit und freier Wortstellung übertreffen sie uns, wie schon zwei kleine, aber bedeutsame Hebel, der angehängte Artikel und die günstige Passivform statt unserer schleppenden Umschreibungen erwarten lassen. Im volleren Klang der Vokale und schärferen Gepräge der Formen steht aber das Schwedische über dem Dänischen, das sich allzu großer Blödigkeit und Abgeschliffenheit ergeben hat, dennoch damit bequem und anständig hauszuhalten weiß. Und wer möchte der dänischen Sprache, aus der eine strebsame und geistige Literatur emporgewachsen ist, einen ohne Zweifel auch gewisse Vorteile des Ausdrucks beeinträchtigenden Untergang wünschen oder weissagen? Die skandinavische Kraft würde durch Ausdehnung des schwedischen Sprachgebiets gewinnen, wie die deutsche durch Bezwingung des niederländischen Dialekts, dem gleichfalls manche Vorzüge vor dem Hochdeutschen zuerkannt werden müssen, oder wie Frankreich, indem es dem provenzalischen Dialekt das Recht der Schriftsprache entzog, an Fleisch und Blut gestärkt wurde. Jedes Emporheben des Ganzen gefährdet die Eigenheit des einzelnen, und kein Sieg ist ohne Verlust bereit.

Diese weiten nordischen Landstrecken haben dem Protestantismus von Beginn an sich unterworfen und ungespalten fast nichts von der unseligen Verwirrung erfahren, die uns in Deutschland begegnet, oder die in England ein nicht völlig ausgetilgtes keltisches Element anschürt und hegt. Doch sind der Kirchenverfassung, zumal in Schweden, aus katholischer Zeit einzelne Bräuche geblieben, die nur auf den ersten Anblick, bald aber so wenig stören, als die äußere Form der alten Kirchen den Protestanten zuwider ist.

An keiner neueren Geschichte haftet unser Herz von Jugend auf wie an der schwedischen. Die Dänen haben bloß ihren Waldemar, der uns aber schon zu ferne rückt; doch welche Macht üben die Namen Gustav Wasa, Gustav Adolf und Karl XII. über die Gemüter aus. Wasa, der als Jüngling sein Vaterland, Gustav Adolf, der Deutschland rettete, Karl, dessen Taten wie ein dichterisches Abenteuer mitten in die prosaische Wirklichkeit seines Zeitalters eintreten. Wider Gustav Adolf haben sich neuere Schriftsteller, und ich erröte darüber es zu sagen, deutsche aufgeworfen: sie schelten ihn einen Eroberer, der es auf die deutsche Verfassung abgesehn habe. Die Wahrheit ist, daß auch mit dem halben Werk, das der Held, mitten im Siegeslauf hingerafft, vollbrachte, er die deutsche Freiheit aufrechterhalten hat, die ohne ihn, soweit Menschenaugen sehn können, preisgegeben war. Des Siegers Zeichen ist aber Erobern, und über Gustav als deutschen König hätten eher Schweden als Deutsche zu klagen gehabt, die seines Reiches Mittelpunkt gebildet haben würden; welche Folgen wären daraus für den evangelischen Glauben wie für die Welt hervorgegangen! Mutterhalb war sein Blut schon ein deutsches, und war er nicht deutscher als der in Spanien geborne Karl der Fünfte? Nur Eroberungen haben das Glück wie das Unglück der Weltgeschichte mit sich geführt, und aufgestiegen ist keine Macht als die emporstrebende.

Nähe und Verwandtschaften erklären es, warum Deutschland vielfach auf Skandinavien einwirkte, und nach dem Wechsel der Zeiten hat die dortige Eigentümlichkeit sich davon angezogen oder beleidigt gefunden. Noch heute wird ein deutscher Gast in keinem andern Lande, selbst Holland und England nicht ausgenommen, so brüderlich und herzlich empfangen als in Dänemark, Norwegen und Schweden. Sitten und Bräuche sind von unsern wenig verschieden, man lebt wie unter seinesgleichen und wird vollständig verstanden. Von einer Bitterkeit, die in diesem Augenblick gerade unter Dänen gegen Deutsche obwalten soll, hatte ich nichts zu gewahren; auch scheint sie mir desto ungerechter, als die Dänen über ihre Grenze hinaus Deutsche beeinträchtigt haben, nie von Deutschen beeinträchtigt worden sind. Noch für seinen letzten großen Verlust empfing Dänemark mit schreiendem Unrecht ein deutsches Stück; denn an jenem trugen wir Deutsche keine Schuld. Und darf der Fortbestand des widernatürlichen Sundzolls deutsches Gefühl nicht versehren? Was sie selbst an Marokko zu zahlen müde sind, warum wollen wir fortfahren, es den Dänen zu entrichten? Die Zeiten sind geschwunden, da Dänemark über Schonen, Blekingen, Halland, Gotland, einen Teil von Livland gebot, und edle Dänen erkennen, daß ihr Reich an Norwegen verblutet; aber an deutschen Stämmen soll es sich nicht erholen, und nie werden diese ihrer Mutter ungetreu werden.

Unter den nordischen Völkern sind Wissenschaft und Kunst nicht anders als auf deutschen Fuß gefördert, und wenn unsere Einwirkung dort größer scheint, als die französische bei uns, ist das naturgemäß. Namen wie Linnaeus, Berzelius, Thorwaldsen reichen über ganz Europa; nicht so mächtig ist der Gesang schwedischer und dänischer Dichter, doch er beglückt und erfüllt ihr Land.

Diese Nordländer sind ruhig und gemessen, aber in alle Tiefen des menschlichen Geistes einzugehn fähig und geneigt. Wenn ich über den Mälare fuhr, saßen die Leute still und spielten mit den Fingern, ein Nachen, der zehn Italiener faßte, würde von ausgelassenem Geschrei wimmeln. Man könnte mit einem Italiener alles, was sich auf der Fläche oder in gewisser Höhe hielte, anmutig verhandeln und durch die Feinheit seiner sinnigen Art ergötzt werden, doch weiter hinaus würde eine Schranke vortreten, über die ihn Rückhalt und Angewöhnung nicht kommen lassen. Im Süden verfließt das gewöhnliche Leben mit Lust und Gemach, dem ernsten Norden traue ich dafür innere Blicke und Freuden zu, von welchen dort vielleicht keine Ahnung ist.


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