Franz Grillparzer
Libussa
Franz Grillparzer

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Libussa. Du hast den Geist in mir heraufbeschworen,
Wie schwach er ist, doch drängt er jetzt als Geist.
(Zu den Dienerinnen.)
Legt Kräuter in die Flamme, die ich gab
Und Wlasta kennt; wir wollen rasch vollenden.

Primislaus. Laß uns den Bau beginnen, wenn du's billigst,
Die Weihe sparen wir für spätre Zeit.

Libussa. Den Göttern ist der Anfang und das Ende,
Was ohne sie beginnt, vergeht beim Anfang.

Du Primislaus leb wohl! heißt das: auf kurz,
Bis wir uns wiedersehn auf lange – lange.
(Sie hat den Hügel bestiegen.)
Der Rauch steigt nicht empor, ein böses Zeichen,
Indes in mir die sonst'ge Flamme Rauch.
(Sie setzt sich.)
Der Geist erloschen und der Körper schwach.
(Ihr Haupt sinkt auf die Brust.)

Domaslav (zu Biwoy halblaut).
Mir deucht sie schläft.

Primislaus.         Libussa.

Wlasta.                 Laß sie, laß!
Wenn du sie störst, gefährdest du ihr Leben.

Libussa. Gehütet hab ich euch dem Hirten gleich,
Der seine Lämmer treibt auf frische Weide.
Ihr aber wollt nicht mehr gehütet sein,
Wollt selbst euch hüten, Hirt zugleich und Herde.
So will's vielleicht der Gang der raschen Welt,
Das Kind wird Mann, der Mann ein Greis – und stirbt.
(Sich zurücklehnend.)
Im Geiste seh ich einen schönen Garten
Und drin zwei Menschen beiderlei Geschlechts
Und einen Göttlichen, das Bild der Güte,
Der ihnen freigibt jede Frucht und jeden Baum,
Bis nur auf einen, dessen Frucht Erkennen.

Ihr habt gegessen von dem Wissens-Baum
Und wollt euch fort mit seiner Frucht ernähren.
Glück auf den Weg! ich geb euch auf von heut.
Und eine Stadt gedenkt ihr hier zu baun;
Hervorzugehn aus euern frommen Hütten,
Wo jeder war als Mensch, als Sohn und Gatte,
Ein Wesen das er selbst und sich genug.
Nicht Ganze mehr, nur Teile wollt ihr sein
Von einem Ganzen, das sich nennt die Stadt,
Der Staat, der jedes einzelne in sich verbringt,
Statt Gut und Böse, Nutzen wägt und Vorteil
Und euern Wert abschätzt nach seinem Preis.
Aus eurem Land, das euch und sich genug,
Beglückt mit allem was das Leben braucht,
Von Bergen eingeschlossen die sein Schutz,
So daß wenn rings so Land als Meer verginge,
Es für sich selbst bestünde, eine Welt,
Wollt ihr heraus mit habbegier'gem Trachten
Und heimisch sein im Fremden, fremd zu Haus.

Seht an den Bach, so schön in seinen Ufern,
Wie alles blüht und lacht, wie froh er murmelt;
Doch strebt er weiter, weiter bis zum Strom,
Ergießt sein Wasser in die fremden Wellen,
Dann wird er breit und tief und rasch und mächtig,
Doch Diener eines andern, nicht er selbst,
Nicht mehr der Bach mit seinen klaren Wellen.

Es lösen sich der Wesen alte Bande,
Zum Ungemeßnen wird was hold begrenzt,
Ja selbst die Götter dehnen sich und wachsen
Und mischen sich in einen Riesengott;
Und allgemeine Liebe wird er heißen.
Doch teilst du deine Liebe in das All,
Bleibt wenig für den einzelnen, den nächsten,
Und ganz dir in der Brust nur noch der Haß.
Die Liebe liebt den nahen Gegenstand,
Und alle lieben ist nicht mehr Gefühl,
Was du Empfindung wähnst ist nur Gedanke,
Und der Gedanke schrumpft dir ein zum Wort,
Und um des Wortes willen wirst du hassen,
Verfolgen, töten – Blut umgibt mich, Blut,
Durch dich vergossen fremdes und von Fremden deines –
Die Meinung wird dann wüten und der Streit,
Der endlos, weil die Meinung nur du selbst
Und du der Sieger bist und der Besiegte.
Löst endlich sich die Zwietracht auf in Nichts,
Bleibt dir die Welt behaftet mit der Willkür.
Da du so lange dich in Gott gedacht,
Denkst du zuletzt den Gott nur noch in dir.
Der eigne Nutzen wird dir zum Altar
Und Eigenliebe deines Wesens Ausdruck.
Dann wirst du weiterschreiten fort und fort,
Wirst Wege dir erfinden, neue Mittel
Für deinen Götzendienst, dem gier'gen Bauch
Und der Bequemlichkeit zur eklen Nahrung.
Durch unbekannte Meere wirst du schiffen,
Ausbeuten was die Welt an Nutzen trägt,
Und allverschlingend sein vom All verschlungen.

Nicht mehr mit blut'gen Waffen wird man kämpfen,
Der Trug, die Hinterlist ersetzt das Schwert.
Das Edle schwindet von der weiten Erde,
Das Hohe sieht vom Niedern sich verdrängt.
Und Freiheit wird sich nennen die Gemeinheit,
Als Gleichheit brüsten sich der dunkle Neid.
Gilt jeder nur als Mensch, Mensch sind sie alle,
Krieg jedem Vorzug heißt das Losungswort.
Dann schließen sich des Himmels goldne Pforten,
Begeisterung und Glauben und Vertraun
Und was herabträuft von den sel'gen Göttern
Nimmt nicht den Weg mehr zu der flachen Welt.
Im Leeren regt vergebens sich die Kraft
Und wo kein Gegenstand da ist kein Wirken.
Laßt mich herab! ich will nicht weiter forschen,
Die Sinne schwindeln und der Geist vergeht.

Primislaus. Libussa komm zu uns! Ich seh's, du leidest,
Und unser Werk – wir geben's auf von heut.

Libussa. Baut eure Stadt, denn sie wird blühn und grünen.
Wie eine Fahne einigen das Volk.
Und tüchtig wird das Volk sein, treu und bieder,
Geduldig harrend bis die Zeit an ihm.
Denn alle Völker dieser weiten Erde,
Sie treten auf den Schauplatz nach und nach:
Die an dem Po und bei den Alpen wohnen,
Dann zu den Pyrenäen kehrt die Macht.
Die aus der Seine trinken und der Rhone,
Schauspieler stets, sie spielen drauf den Herrn.
Der Brite spannt das Netz von seiner Insel
Und treibt die Fische in sein goldnes Garn.
Ja selbst die Menschen jenseits eurer Berge,
Das blaugeaugte Volk voll roher Kraft,
Das nur im Fortschritt kaum bewahrt die Stärke,
Blind wenn es handelt, ratlos wenn es denkt,
Auch sie bestrahlt der Weltensonne Schimmer
Und Erbe aller Frühern glänzt ihr Stern.
Dann kommt's an euch, an euch und eure Brüder,
Der letzte Aufschwung ist's der matten Welt.
Die lang gedient sie werden endlich herrschen,
Zwar breit und weit, allein nicht hoch noch tief;
Die Kraft, entfernt von ihrem ersten Ursprung,
Wird schwächer, ist nur noch erborgte Kraft.
Doch werdet herrschen ihr und euern Namen
Als Siegel drücken auf der künft'gen Zeit.
Doch bis dahin ist's lang. Was soll ich hier?
Ihr habt gelernt Begeisterung entbehren,
Ihr fragt den Geist und gebt die Antwort selbst.
Ich sehe meinen Vater, meine Mutter,
Sie ziehen fort und lassen mich allein.
Auch diese Flamme, seht nur, sie erlischt,
Und statt der Glut umnebeln mich die Dämpfe,
Sonst ungewohnt und nun belastend mich.

(Da die oben stehende Dienerin die Flamme anfachen will.)

Laß nur! Die Flamme lischt, ich fühl es wohl.

Primislaus. Laßt mit Gewalt sie uns vom Altar reißen,
Ihr teures Dasein, fürcht ich, ist bedroht.

Libussa (aufstehend).
Hört ihr? Das sind der Schwestern Wanderschritte.
Ihr habt vom Wischehrad sie ausgetrieben,
Sie ziehen fort und lassen mich allein.
Was soll ich noch, die Eltern-, Schwestern-lose?
Euch selber bin ich nur die Märchen-Kund'ge,
Auf die ihr hört so weit es euch gefällt,
Und handelt wie's euch eingibt eigne Lust.
Ich aber rede Wahrheit, Wahrheit, nur verhüllt
In Gleichnis und in selbstgeschaffnes Bild.

Da kommen sie die Schwestern, die Vertriebnen,
Sie fliehn vor euch wie ihr vor ihnen floht.

(Kascha und Tetka, von ihren Jungfrauen paarweise begleitet, kommen über eine Anhöhe im Hintergrunde.)

Libussa. So zieht ihr fort?

Kascha.         Nimm unsern Gruß zum Abschied.

Libussa. Wo aber hin?

Tetka.         Ins Elend, in die Welt.

Primislaus. Sucht aus den Schlössern dieses weiten Landes
In Berg und Tal euch aus den künft'gen Sitz.

Kascha. Wir haben nichts mit dir.
(Zu Libussa.)
        Gehst du nicht mit?

Libussa. Ich kann nicht, seht ihr wohl.

Kascha.         Wir warnten dich.
Warum hast du an Menschen dich geknüpft?

Libussa. Ich liebe sie, und all mein Sein und Wesen
Ist nur in ihrer Nähe was es ist.

Tetka. Sie aber töten dich.

Libussa.         Vielleicht. – Und doch:
Der Mensch ist gut. – O bleibt noch, bleibt! Ich fühle
Wie eure Gegenwart den mächt'gen Geist,
Der halb erloschen, neu zu Flammen facht.
Der Mensch ist gut, er hat nur viel zu schaffen,
Und wie er einzeln dies und das besorgt,
Entgeht ihm der Zusammenhang des Ganzen.
Des Herzens Stimme schweigt, in dem Getöse
Des lauten Tags unhörbar übertaubt,
Und was er als den Leitstern sich des Lebens
Nach oben klügelnd schafft, ist nur Verzerrung,
Schon als verstärkt, damit es nur vernehmlich.
So wird er schaffen, wirken, fort und fort.
Doch an die Grenzen seiner Macht gelangt,
Von allem Meister was dem Dasein not,
Dann wie ein reicher Mann, der ohne Erben
Und sich im weiten Hause fühlt allein,
Wird er die Leere fühlen seines Innern.
Beschwichtigt das Getöse lauter Arbeit,
Vernimmt er neu die Stimmen seiner Brust:
Die Liebe, die nicht das Bedürfnis liebt,
Die selbst Bedürfnis ist, holdsel'ge Liebe;
Im Drang der Kraft Bewußtsein eigner Ohnmacht;
Begeisterung, schon durch sich selbst verbürgt,
Die wahr ist, weil es wahr ist daß ich fühle.
Dann kommt die Zeit, die jetzt vorübergeht,
Die Zeit der Seher wieder und Begabten.
Das Wissen und der Nutzen scheiden sich
Und nehmen das Gefühl zu sich als Drittes;
Und haben sich die Himmel dann verschlossen,
Die Erde steigt empor an ihren Platz,
Die Götter wohnen wieder in der Brust,
Und Demut heißt ihr Oberer und Einer.
Bis dahin möcht' ich leben, gute Schwestern,
Jahrhunderte verschlafen bis dahin.
Doch soll's nicht sein, die Nacht liegt schwer am Boden
Und bis zum Morgen ist noch lange Zeit.
Die Kraft versiegt, mein Auge schwimmt im Dunkel.
Fort alles was um mich noch Gegenwart,
Die Luft der Zukunft soll mich frei umspielen.
Fort dunkler Schleier und du teures Kleinod,
Du drückst die Brust, belastet zentnerschwer.
(Schleier und Gürtel von sich und den Hügel herabwerfend.)
Nun ist mir leicht. Ich sehe grüne Felder
Und weite Wiesen, himmlisch blaue Luft.
Die Erde schwankt, der Boden steigt empor,
Doch immer weiter, größer wird der Abstand.
Ein dunkler Schmerz er kriecht an meine Brust,
Ich sehe nicht mehr die mir angehören.
(In den Stuhl zurücksinkend.)
O Primislaus war das dein letzter Kuß?

Primislaus. Libussa, meine Gattin, all mein Glück!

Kascha. Es stand dir nah, du stießest es zurück.
Geliehen war sie euch und nicht geschenkt,
Vertraun gehorcht, der Eigenwille denkt.
Wir nehmen sie mit uns auf unsrer Fahrt,
Bis ihr des Segens würd'ger als ihr wart.
(Indem sie ihren Gürtel ablöst und zu dem auf dem Boden liegenden Libussas hinwirft.)
Aus diesem Gold laßt eine Krone schmieden.
(Mit Handbewegung nach dem Hügel und gegen den Boden.)
Das Hohe schied, sein Zeichen sei hienieden.

(Während sie im Begriffe ist den Hügel zu besteigen und ihre Jungfrauen paarweise dieselbe Richtung nehmen, wobei Tetka ihren Gürtel gleichfalls ablöst und hinwirft, fällt der Vorhang.)


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