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Die Brautkrone.

I.

Verlassen eine Kirche steht am öden Nordseestrand;
Das Dorf, das einst zu ihr gehört, begrub schon längst der Sand.
Sie aber und ihr grauer Turm seh'n noch ins Meer hinaus,
Und an den Friedhof lehnt sich fromm das stille Predigerhaus.

Wohl zählt die Pfarre lange schon der Seelen nicht mehr viel,
Doch Sonntags, wann die Glocke lädt, naht sich noch mancher Kiel.
Der Fischer seinem Boot entsteigt zugleich mit Weib und Kind,
Wie alle von den Inseln rings herangesteuert sind.

Kaum aber schweigt der Orgel Ton, herrscht Ruhe wieder dort,
Der Brandung Stimme dringt allein zur Düne fort und fort.
Nur wenn ein Paar zur Kirche fährt nach altem Väterbrauch,
Und wenn zu Grab ein Müder geht, belebt der Strand sich auch.

II.

Die See rollt ihre Wogen her
Zum Strand, der einsam ruht,
Kein Segel läßt sich sehen mehr,
So weit sich dehnt die Flut.

Daheim sind wieder, die geschart
Vernahmen Gottes Wort,
Um weiter auf der Lebensfahrt
Daran zu zehren fort.

Doch der es laut verkündet', steht
Allein am öden Meer:
Der Abendwind in Flocken weht
Den Wogenschaum daher.

Der Salzflut Atmen spürt er nicht,
Hört nicht der Möve Schrei,
Denn seines Amtes ernste Pflicht
Läßt ihn auch hier nicht frei.

Und wär' es nur die Pflicht allein,
Die ihn so dringend mahnt!
Ihn martert noch in dumpfer Pein
Ein Unheil, das er ahnt.

Schon in der Kirche stieg ihm auf
Was ihn so schwer bedrückt,
Als sei es durch des Schicksals Lauf
Ihm fühlbar nah' gerückt.

Die Furcht, bis zu gespenst'gem Graus
Wächst sie in ihm empor,
Es drohe seinem Gotteshaus
Ein Schlag, wie nie zuvor. –

Doch, wie wenn ihm die Angst genaht
Nur um die junge Braut,
Die heute hier im Feierstaat
Besorgt sein Blick geschaut!

Im Geist stellt sich ihr Bild ihm dar:
Treibt sie kein frevelnd Spiel?
Nahm er doch manches an ihr wahr,
Was ihm nicht wohlgefiel.

Kein Zweifel, daß sie allzu leicht
Sich hin dem Scherze gibt,
Und jedem gern die Rechte reicht,
Nicht dem nur, den sie liebt.

Ist wert sie drum der Krone auch,
Die in der Kirche hier
Verwahrt wird nach vererbtem Brauch
Als reiner Jungfrau Zier?

Wohl sah er sie nur selten noch,
Als Hirte neu im Amt;
Wie leicht könnt' es geschehen doch,
Daß Schein sie falsch verdammt!

Auch hat, der ihr die Hand versprach,
Ihr nichts seither verdacht –
Soll ihr ein andrer reden nach,
Was ihn nicht irr' gemacht?

Und sollte in Verruf wohl gar
Der Priester bringen sie?
Er könnte solche Schuld fürwahr
Sich selbst vergeben nie!

Doch wenn es ihm nicht mehr gefällt,
Wer wär's, der daran dächt',
Daß sich der alte Brauch erhält
Im Anseh'n ungeschwächt?

Die Krone in ehrwürd'gem Schein
Ersteht vor seinem Blick,
Als müßte herrschend sie auch sein
Ob dieser Braut Geschick.

Daß ihr ein Segen innewohnt,
Bezeugt ihr alter Ruf,
Der daran, daß sie Tugend lohnt,
Im Volk den Glauben schuf.

So kämpft Erbarmen in der Brust
Mit der gelobten Pflicht,
Bis seiner Würde sich bewußt,
Er zuversichtlich spricht:

»Die Krone wird ihr nur zu teil,
Wenn sie, zuvor belehrt,
Mir schwört bei ihrer Seele Heil,
Daß sie des Preises wert!«

III.

Indessen so der Prediger mit seinem Innern rang,
War er schon weit geschritten den Dünenstrand entlang,
Viel weiter, als er früher gewandert je einmal:
Schräg übers Meer hin sandte die Sonne ihren späten Strahl.

Da, während er noch folgte der öden Küste Lauf,
Sah nah' den Rauch er steigen von einer Hütte auf;
Umgrünt vom Dünenhalme, lag sie zur Bucht gewandt,
Und um sie hingen blinkend die Fischernetze ausgespannt.

Jetzt stand er auf der Heide, die träumte ruhevoll,
Nur dumpf drang ans Gestade der Brandung fern Geroll.
Gesichert vor den Fluten erhob die Hütte sich,
Doch auch geneigt zur Welle, die schäumend dort das Boot umstrich.

Kaum lag sie ihm vor Augen, als Stimmen er vernahm:
Mit Weib und Kind der Fischer ihm traut entgegenkam.
Nach dargebrachtem Gruße sie luden ihn zu Gast:
Er wolle sich vergönnen so spät doch eine kurze Rast.

Schon pflogen sie der Rede auf naher Ruhebank,
Da sah er hin zum Fenster, das glänzte spiegelblank,
Und farbenreich im Prangen stund wohlgepflegt davor
In glitzernd reinen Töpfen der sommerliche Blumenflor.

Ein Topf erschien darunter, der funkelte so licht,
Wie er sich eines gleichen entsinnen konnte nicht.
Er frug, zum Paar gewendet: »Was blinkt so hell dort her?
Das Ding, das sprüht ja Flammen, als wenn's die Sonne selber wär'!«

Da sahen sich verwundert die beiden Gatten an;
Sie staunten ob der Frage, die keiner noch getan.
Die Frau lief hin zum Fenster und trug den Topf herbei:
Jetzt konnt' er nimmer zweifeln, daß er von laut'rem Golde sei.

Er wog ihn mit den Händen, umspannend ihn zugleich:
»Ein solches Kleinod,« rief er, »macht den Besitzer reich!«
Da blickten, wie verlegen, die biedern Leute drein;
Sie ließen sich nicht träumen, daß hohen Wert's er könnte sein.

»Es ist ein altes Strandgut, das einst ein Ahn gewann,
Drum niemand seinen Erben es mehr bestreiten kann.
So lang zurück wir denken, es mit zum Haus gehört,
Gott sei davor, daß jemals uns Gier nach eitlem Gold betört!«

Der Gast sann nach der Rede, so schlicht sie vorgebracht;
Gern hätt' er drauf erwidert, doch zog's ihn heim vor Nacht.
Da, aus der Tür getreten, die leis sich aufgetan,
Sah er im Silberhaare den frommen Ältervater nah'n.

Verstanden hatte dieser, was draußen sich begab.
So trieb es ihn, zu legen selbst auch sein Zeugnis ab.
Er nahm den Topf und hob ihn zum abendlichen Strahl,
Der schien ihn zu verwandeln in einen leuchtenden Pokal.

Nun wies er auf die Runen, wie sie um seinen Rand
In wirrer Schrift sich zogen, die niemand mehr verstand,
Und ließ dabei erklingen die goldne Wandung hohl:
»Wenn der da reden könnte, zu künden hätt' er vieles wohl!«

Er schwieg und stand versunken, als sinn' er Fernem nach,
Bis er, wie jäherwachend, das tiefe Schweigen brach:
»Wohlan, seid Ihr begierig, von mir zu hören mehr,
So will ich Euch vermelden, von wo er stammt erbeutet her.

»Es war in alten Tagen, wie manche Mär' enthüllt,
Da sah von Räuberschiffen man rings die See erfüllt.
Die längs der Küste wohnten, erlagen grimmer Wut,
Bis durch Gewalt gesäubert von diesen Gästen ward die Flut.

»Einst zeigte sich da draußen ein solch' Piratenschiff,
Und alle, die es sahen, die gleiche Furcht ergriff,
Doch lief es nicht, zu heeren, wie früher, in die Bucht:
Zu and'rem Anschlag hatte der Wikinger sie ausgesucht.

»Er wollte nächtiger Weile und nur vom Mond erschaut,
Hier heimlich Hochzeit halten mit der entführten Braut.
Voll Hast strich er die Segel, da die Gefahr ihm kund,
Und ließ eilfertig fallen den Anker in den Meeresgrund.

»Nun ward es laut am Borde, das Freudenmahl begann,
Das alles Volk vereinte bis auf den letzten Mann.
Ein sinnbetäubend Zechen beschloß den üppigen Schmaus –
Bald tobte das Gelage in einen wüsten Taumel aus.

»Der Jungfrau saß zur Seite gebietend der Pirat.
Trotz seiner Macht vergeblich er um ein Lächeln bat,
Und da in sie zu dringen, ihm deucht' unmöglich schier,
Ließ er den Becher füllen, zu leeren ihn allein mit ihr.

»Sie hob ihn an die Lippen, als nippe sie daran,
Doch daß sie ihn nur täusche, er sah es wohl ihr an.
Da trieb er sie, zu reichen das Trinkhorn rings herum;
Sie tat nach seinem Willen, doch blieb dabei sie völlig stumm.

»Jetzt schwoll zu heißem Zorne sein tiefverletzter Stolz,
Er frug nichts nach der Träne, die ihr im Auge schmolz,
Und hieß sie mit ihm tauschen den goldnen Fingerring,
Doch sollt' er's nicht erleben, daß sie den Seinigen empfing.

»Es hatte sich im Dämmer der matten Sternennacht
Verstohlen und verwegen ein Schiff herangemacht.
Mit jedem Ruderschlage wuchs seine Eile mehr:
Der Schwester Schmach zu tilgen, die Brüder drangen mächtig her.

»Ihr Steuer stand gerichtet schon längst nach diesem Ziel.
Nicht ahnten die Verfolgten, daß Unheil sie befiel:
Vom Trinken überwältigt, lag mancher hingestreckt,
Da fuhren an die Kämpen, die unsanft sie gar bald erweckt!

»Sie warfen die Enterhaken und stürmten über Bord;
Mit scharfen Schwerterstreichen hub an der wilde Mord,
Bis vom Verdecke nieder das Blut in Bächen rann,
Gar mancher im Verscheiden noch eine Wunde mehr gewann.

»Der Hauptmann, grimmig fechtend, am längsten widerstund;
Erst als er festgebunden, verzog er seinen Mund:
»»Den Ring an meinem Finger hat diese mir geschenkt!««
Er ward am Mast erhangen, die Jungfrau ward im Meer ertränkt.

»Kaum aber war geschehen die blinde Rachetat,
Als hinter schwarze Wolken der Mond am Himmel trat:
Nach banger Totenstille brach los der Wettersturm
Und peitschte auf die Wogen, so hoch wie einer Kirche Turm.

»Unheimlich fuhr die Lohe aus schwarzer Wolken Sitz,
Der Donner furchtbar rollte, es flammte Blitz auf Blitz;
Da krachte in den Planken der beiden Schiffe Bau,
Und mit der Ankerkette zugleich auch riß das letzte Tau.

»Entmastet preisgegeben der wilden Wogen Schwall,
Ihr Rumpf ward hingeschleudert wie ein geschnellter Ball.
Die Brandung warf das eine dort auf die nahe Bank,
Vom Donnerkeil getroffen, das andre ohne Spur versank. –

»Die Springflut hatte einstens die See tief aufgewühlt
Und manches von der Beute zum Strande hergespült,
Und da es angetrieben als herrenloses Gut,
Verlosten es die Fischer; der Becher kam in unsre Hut.

»Das Trinkhorn, das im Sande sie aufgelesen hier,
Sie schenkten es der Kirche zu einer Krone Zier:
Ihr werdet das Geschmeide im Schmuck der Perlen seh'n,
Wenn morgen die Verlobte mit ihr am Traualtar wird stehn.«

Der Priester fuhr zusammen, so traf ihn dieses Wort,
Nach einem stummen Gruße zog er zum Strande fort.
Ein Zweifel im Gemüte war plötzlich ihm erwacht,
Als ahnt' er dieser Krone verhängnisvolle Macht.

IV.

Der Prediger war heimgekehrt vom finstern Meeresstrand,
Doch wie er auch den Schlaf gesucht, sein Herz nicht Ruhe fand:
Die allzuschnell gerichtet ward, steht da vor seinem Blick,
Und immer wieder jammert ihn ihr unverdient' Geschick.

Wohl schweifen die Gedanken auch ihm nach der jungen Braut,
Die morgen hier dem Bräutigam durch ihn wird angetraut:
Er sieht, wie sich am Hochzeitstag ihr Aug' mit Tränen füllt,
Wenn er den Eid ihr auferlegt, der sie vor ihm enthüllt.

So sinnt er weiter und vergißt den Schlag der Mitternacht,
Wie ihm entschwindet, ob er träumt, ob in Gedanken wacht.
Da schlägt es an den Laden jäh, so dröhnend wie ein Schuß:
Zwei drängen zu der Tür herein, die selbst er öffnen muß.

Zur Kirche hin weist stumm ihr Wink, dem er nicht widerspricht,
Doch erst nach wiederholtem Droh'n folgt ihrer Spur er dicht.
Des Chores Fenster hell erglänzt, als füll' ihn Kerzenschein,
Verworren her zur Pforte dringt ein Murmeln auf ihn ein.

Ein fremdes Volk, gelandet kühn, in Waffen steht es dicht,
Vergebens sucht er im Gewühl ein ihm gewohnt Gesicht.
Auch klingt die Sprache, die er hört, ihm völlig unbekannt –
Bestürzung faßt ihn, und er flieht, dem Altar zugewandt.

Doch eh' er dort sich sammeln kann zu brünstigem Gebet,
Gebietend der verwegene Seekönig vor ihm steht:
Das Tosen, das sich da erhebt, es gleicht der Brandung schier,
Und plötzlich wird ihm grausig klar, was ihn erwartet hier.

Herangeführt in Fesseln kniet vor ihm ein bleiches Paar;
Dem Bräutigam das Schwert gebricht, der Braut die Myrth' im Haar.
Wirft trotzig er das Haupt empor, hält sie den Blick gesenkt,
Wie wenn nach einer andern Welt sie schon den Sinn gelenkt.

Und was vollbringen jene dort, das ihm den Atem nimmt?
Ein Grab wird wühlend aufgetan, ein Grab für zwei bestimmt!
Weh' ihm, läßt ohne Widerstand er frevlen Mord geschehn!
Zum Kreuz hin sendet er den Blick, sich Stärke zu erflehn.

Und schon erfüllt ihn auch das Wort, das tilgen allen Groll
Und, die verfolgt vom eigenen Stamm, vom Tod erretten soll –
Da fordern die Bedränger laut ihm ab den Sündenschwur,
Geheim zu halten, was allein er melden könnte nur.

Entblößte Schwerter ihn bedrohn, er hört manch' wilden Fluch,
Doch unerschüttert blickt er hin aufs offene Bibelbuch:
Ist es für ihn als Priester nicht am Heiligsten Verrat,
Wenn er sein Leben sich erkauft durch eine Missetat?

Schon auch durchdringt ihn der Entschluß, zu weigern diesen Eid,
Da steht der Wiking neben ihm im blanken Eisenkleid;
Der preßt der todgeweihten Braut aufs Haar im wilden Hohn
Mit beiden Händen ungestüm die lichte Tugendkron'.

Kaum sieht er die, so blendet ihn ihr trughaft goldner Schein –
Er schwört – und zögert drauf nicht mehr, den Bund zu segnen ein.
Doch als er dem vermählten Paar zum Abschied schmerzlich winkt,
Hinausgestoßen in die Nacht, wie tot er niedersinkt.

V.

Die Tür springt auf, der Küster ruft laut dem Prediger zu:
»Es ist ein Schuß gefallen ganz nah der Kirche Ruh!
Wir müssen gleich hinüber, vielleicht tut Hilfe not!«
Vom Schlaf emporgefahren, die Hand ihm fiebernd jener bot.

Noch schweben alle Schrecken des wilden Traums ihm vor,
Wie das Gebot nicht minder, das er entsetzt beschwor,
Den beispiellosen Frevel zu hehlen vor der Welt,
Statt nimmer zu ermüden, bis alle Schuld durch ihn erhellt.

So zeigt ihm seine Schwachheit das ernste Traumgesicht.
Wie möcht' er da noch gehen mit Schwachen ins Gericht?
Hoch über starrem Rechte herrscht Liebe, schonend mild,
Hoch über Menschensatzung schwebt des Erlösers göttlich Bild!

Sie nahen sich der Kirche, weit steht sie aufgetan,
Fängt innen auch das Dunkel sich erst zu lichten an.
Am Altar eine Kerze auf hohem Leuchter brennt,
Ihr Schein umflirrt die Krone, die schaudernd jetzt der Blick erkennt.

Dem nahen Schrein entnommen von unbekannter Hand,
Zeigt sich, mit Blut beronnen, ihr weißes Perlenband;
Sonst hat sie nichts verloren von ihrer alten Pracht:
Geheimnisvoll durchglühet ihr rotes Gold die Dämmernacht.

Und sieh! dort auf den Stufen den hingestreckten Leib,
Mit aufgelöstem Haare ein vollerblühtes Weib!
Gedrungen war die Kugel ihr mitten durch die Brust –
Sie starb, ihr Antlitz sagt es, sich ihres Schicksals klar bewußt.

Daß sie von weither stamme, schon ihre Tracht verrät,
Wie dort auch auf der Bibel, von ihnen bald erspäht,
Ein redend Blatt, das löset des Rätsels blutigen Graus,
Warum die Tat geschehen hier im verlassenen Gotteshaus.

»Viel falscher als die Wogen ist eine falsche Braut!
Sie spottet des Verlobten, der arglos ihr vertraut.
Und diese gar war eine, die sich soweit vergaß,
Daß sie geheim zu fliehen mit ihrem Buhlen sich vermaß.

»Den ihr zum schützenden Gatten die Brüder zugedacht,
Verschmähte sie, von Liebe zum Schmeichler blind gemacht.
Wohl büßte der Entführer sein frevles Werben schwer:
Statt in dem Brautgemache fand er sein Bett im tiefen Meer.

»Und sie, die so verwirkte der Tugendkrone Zier,
Empfing, was sie verdiente, an eurem Altar hier.
Doch gönnt nun auch der Toten bei euch ein stilles Grab!
Der uns wird alle richten, ihr wohl die schwere Schuld vergab.«

Der Prediger die Worte mit leiser Stimme las –
Vom Wahn, der ihn umfangen, sein krankes Herz genas,
Vom Wahn, daß solcher Krone ein Segen innewohnt:
Haß zeugt sie statt der Liebe, geschweige, daß sie Tugend lohnt!

War's doch, der in die Ferne gedrungen weit, ihr Ruf,
Der durch sein falsches Locken den Plan der Sühne schuf,
Mit des Erbarmers Namen zu heiligen ein Gericht,
Das seiner milden Lehre nur Hohn in wilder Härte spricht.

Und war nicht fast verfallen auch er dem alten Trug?
Die Augen vor der Toten beschämt er niederschlug;
Den Küster hieß er gehen, ein Grab zu schaufeln ihr:
Er konnte sich der Tränen vor ihm nicht mehr erwehren schier.

VI.

Es lag die Morgensonne
Noch auf der glatten See –
Der Tag mit seiner Wonne
Verbarg manch' Menschenweh.

Mit lichten Silberflossen
Die Fische schwammen hin,
Und tanzend kam geschossen
Der springende Delphin.

Nicht eine trübe Wolke
Am weiten Himmel zog, –
Die Fahrt dem Schiffervolke
Fast wie ein Traum verflog.

Noch war vom Morgenrote
Nicht ganz die Spur entflohn,
Da nahten sich die Boote
Von allen Seiten schon.

Die lust'gen Wimpel wehten
Und flatterten zum Belt,
Die Segel straff sich blähten,
Vom frischen Wind geschwellt.

Vom reichbekränzten Borde
Ein heit'res Lied erklang,
Und schmetternde Akkorde
Verbanden sich dem Sang.

So kamen sie gefahren
Zur Hochzeit froh heran,
Wie dies seit manchen Jahren
Die Väter schon getan.

Die Kirche, halb verfallen,
Sah solcher Tage viel,
Doch keiner noch von allen
Ein solches Schicksalsspiel.

Dort fröhlich aus dem Boote
Stieg die beglückte Braut,
Hier schlummerte die Tote
Der Bahre anvertraut.

Und bald in dichtem Kreise
Das Grab umstanden sie!
Da wurde Trauerweise
Aus Hochzeitsmelodie.

Doch keine so in Tränen
Vor der Entseelten stand,
Als die sich könnte wähnen
Die Glücklichste am Strand.

Auf ihren bleichen Mienen
Der Ernst des Weibes lag,
Wie er noch nie erschienen
An ihr vor diesem Tag.

Nun kam auch stumm geschritten
Der Prediger heran:
Wie er geheim gelitten,
Sah manches Aug' ihm an.

Vom inneren Gesichte
Erfüllt, begann der Hirt':
»Daß niemand einen richte,
Sonst er gerichtet wird!«

Er rief's und fuhr nicht weiter,
Von Zittern übermannt,
Der sonst als Gottes Streiter
Ein Zagen nie gekannt.

Die Braut, vom Schmerz bezwungen,
Stand ihm zur Seite nah;
Wie er mit sich gerungen,
Ihr Blick allein nicht sah.

Sie nahm den Strauß von Rosen,
Den ihr die Mutter band,
Und gab der Freudelosen
Ihn in die kalte Hand.

Nun erst, vom Zug begleitet
Das Paar zur Kirche wallt,
Der Pred'ger sie geleitet,
Die Orgel brausend schallt.

Er setzt aufs Haupt ihr nieder
Die goldne Krone schwer, –
Doch ward von Keiner wieder
Sie je getragen mehr.


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