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Der Wildschütz.

I.

Das war der Jäger von Lenggries,
Den man den wilden Franzl hieß,
Denn weit umher im Oberland
Kein toll'rer Bursche war bekannt:
So breit der Bach, so steil das Joch,
Der Jägerfranzl zwang sie doch,
Mit Burschen froh, mit Dirnen keck,
Des Holzdiebs und des Wildrers Schreck.
Jedoch in Einem war er mild:
Sein treues Herz war ganz erfüllt
Von seinem trauten Mütterlein,
Das mit ihm hauste im Verein.
Sie lebten manches Jahr schon so
In Armut, doch bescheiden froh.
Wenn er, gestiegen in das Kar
Den höchsten Wänden nahe war,
Und nach dem Tal dort sah hinaus,
Sucht' er im Dorf der Mutter Haus
Und sandte mit dem scharfen Blick
Den Jubelschrei dahin zurück.
Sie aber strahlte allemal,
Wann mit dem späten Abendstrahl
Er heim aus seinen Bergen kam
Und traut sie bei den Händen nahm.
Doch oft auch schlug das Herz ihr bang,
Blieb einmal aus er allzulang:
Wenn er der Gemse gar zu weit
Auf Klippen folgte, dicht beschneit,
Und er dort einen Fehltritt tat,
Der fort ihn riß vom steilen Grat!
Voll Angst bedeckt sie ihr Gesicht
Und lang die Ruhe ihr gebricht.
So quälte sie sich fern um ihn,
Bis er mit frischem Blick erschien.
Auch heute tritt sie hin zur Uhr:
Wo mag er draußen bleiben nur?
Mit inner'm Beben denkt sie sein,
Er fehlt, und Nacht schon bricht herein.
Und plötzlich ihr im Geist erwacht
Der Traum aus der vergangnen Nacht:
Sie sah zu ihrer größten Not
Mit an des lieben Knaben Tod.
Wo üb er's Joch durch finst'ren Tann
Des Weges zieht der Wandersmann,
Traf ihn, der arglos schritt vorbei,
Aus feigem Hinterhalt das Blei. –
Wie sie noch sinnend vor sich schaut,
Wird es im Dorf auf einmal laut.
Sie horcht mit hingeneigtem Ohr:
Sie bringen ihn, so kommt's ihr vor.
Vom Fenster wankt sie nach der Tür
Und tritt mit schwankem Schritt herfür.
Jetzt taumelt sie entsetzt zurück,
Die Welt vergeht ihr vor dem Blick,
Sie sinkt mit leisem Klageton
Ins Knie vor ihrem toten Sohn.
Da, wie der Ruf der Menge schwillt,
Die auf den blut'gen Mörder schilt,
Noch ehe ihr die Träne rann,
Und vor dem Kreuz sie Trost gewann,
Verflucht sie den, der vorbedacht
Sie um ihr Mutterglück gebracht:
»Verflucht sei, feiger Mörder, du!
Das Grab selbst weig're dir die Ruh'!«

II.

Die Mutter kam vom Grab zurück,
In das voll Gram gestarrt ihr Blick;
Von Tränen matt und sterbenskrank,
Sie auf das Lager niedersank,
Und lange Zeit besinnungslos
Schien irre sie zu reden blos,
Kaum aber konnte sie noch stehn,
Verlangte sie das Grab zu sehn.
Mühselig schleppte sie sich hin,
Gestützt auf die Gevatterin.
Die Sonne neigte sich bereits,
Als sie noch lehnte dort am Kreuz.
Dem Aug' die Träne still entfloß,
Der Mund der Klage sich verschloß:
Sie hatte ihn des Himmels Macht
Empfohlen, ihr, die richtend wacht.
Spät trat sie wieder aus dem Tor,
Durch ihr Gebet gestärkt, hervor,
Da schwenkte einer keck heran –
Doch sie erblickend, hielt er an,
Und wie sie ihn tat mustern scharf,
Den Blick er scheu zu Boden warf,
Die Wange ihm, wie ihr, verblich –
So standen sie genüber sich:
Der Bursche, hager von Gestalt,
Der gleich schon als der Täter galt,
Und sie, der es im Herzen klar,
Daß er des Sohnes Mörder war.
Doch was ihr aufstieg im Gemüt,
Sie ihm durch keinen Laut verriet.
Sie schwieg auch, da er zu ihr sprach,
Nur sah sie ihm noch lange nach,
Wie er, das bärt'ge Haupt gesenkt,
Zum Walde hin den Schritt gelenkt:
»Geh' deinen Weg nur immer zu,
Du neidest noch des Toten Ruh'!«

III.

Noch immer wollte das Gerücht
Im ganzen Dorf verstummen nicht,
Wie es einmütig gleich entstand,
Als man den toten Jäger fand:
Der lange Flößerbartl war
Im Dorf bekannt schon manches Jahr
Als keckster Wildrer weit und breit,
Der nie des Försters Zorn gescheut.
Den Jägerfranz nur mied er gern,
Und wich ihm grollend aus von fern,
Er hatte jüngst im Rausch gedroht:
Es gälte noch des andern Tod.
So war Verdacht genug erweckt,
Die Schuld jedoch blieb unentdeckt.
Jetzt aber lief von Haus zu Haus,
Was durch die Alte drang hinaus,
An deren Arm die Mutter hing,
Als spät sie heim vom Kirchhof ging.
Doch was dem Mutterherzen kund,
Verraten hat es nicht ihr Mund,
Und also kam es, daß er nicht
Verfiel dem irdischen Gericht.
Doch vom Gewissen angeklagt,
Das wie ein Wurm an ihm genagt,
Floh er die Menschen um sich her
Und unstet ward er mehr und mehr.
Oft blieb er ganze Tage aus
Und kam in später Nacht nach Haus.
Doch was er im Gebirge trieb,
Für alle gleich verborgen blieb:
Die meinten, daß er wild're dort,
Und die, es jag' ihn Unruh' fort.
So wunderten sich wen'ge nur,
Als er verschwunden ohne Spur.
Es gingen Wochen, Monde hin,
Das Volk schlug sich ihn aus dem Sinn;
Schon war verflossen manches Jahr,
Verschollen schien er ganz und gar.
Da stieß ein Gaisbub im Gestrüpp
Beim Hüten auf sein nackt' Geripp.
Dort, wo das wilde Bergrevier
Karwendels unersteiglich schier,
Wo einsam nur der Adler haust
Am Felsenhorn, vom Föhn umsaust,
Lag er zerschmettert im Gestein.
Gebleicht war längst schon sein Gebein;
Nur weil man auch den Stutzen fand,
Ward der Verscholl'ne gleich erkannt.
Ob er beim Steigen abgestürzt,
Ob er sein Leben selbst gekürzt,
Nahm als Geheimnis er ins Grab
Mit sich und seiner Schuld hinab.
Zum Kirchhof in derselben Nacht
In aller Stille hinverbracht,
Ward er bestattet fern dem Tor,
Wo wild das Unkraut schießt empor.
Doch kurze Zeit er dort nur schlief,
Als durch das Dorf die Kunde lief,
Daß sein Gerippe nahebei
Im Beinhaus zu erblicken sei;
Und als die Menge drängte hin,
Lag's ausgestreckt im Moder drinn'.
Wie es geraten an den Ort,
Darüber stritt man lange fort.
Doch kaum lag wieder Erde drauf,
Stieg's ruhelos von neuem auf,
Und bald genug zum drittenmal
Es aus dem Grab ans Licht sich stahl.
So blieb's im Beinhaus denn zuletzt
Zu aller Grausen beigesetzt.

IV.

Es häufte Jahr auf Jahr die Zeit. –
Ob neuer Freude, neuem Leid
Entschwand im Dorfe jung und alt
Das düst're Abenteuer bald.
Was erst sie furchtsam angeschaut,
Ward ihnen allgemach vertraut.
Dann mengte sich der Spott darein,
Und sonder Scheu ward das Gebein
Nur noch der Klapperhans genannt,
Im Kirchspiel jedem Kind bekannt.
Doch keiner dachte mehr dabei,
Welch' Rätsel hier im Spiele sei,
Sie ausgenommen nur allein,
Der stets sein Anblick weckte Pein,
Drum sie sich immer wandte ab,
Stand sie an ihres Sohnes Grab.
Doch ging es gleich ihr heimlich nach,
Vor andern nie davon sie sprach,
Zog ja auch nur an ihrem Blick
Allein vorüber ihr Geschick. –
Einst hatte in der Kunkelstub'
So manche Dirn' und mancher Bub'
Sich zum Heimgarten eingestellt
Traut unter sich am Herd gesellt.
Die Häuslerin am Fenster spann,
Da draußen schon die Nacht begann.
Noch eine auch zugegen war,
Ein Mütterlein mit weißem Haar,
Das träumend hinter'm Ofen saß
Und alles um sich her vergaß. –
Zuerst erscholl manch' Lied im Kreis,
Darauf nach altgewohnter Weis'
Erzählten sie sich mancherlei
Von Geisterspuk und Zauberei.
Bei solchen Mären wundersam
Aufs Fürchten auch die Rede kam.
Da schaute eine frische Dirn'
Die Burschen an mit kecker Stirn
Und warf die leichte Rede hin,
Ihr wohne keine Furcht im Sinn:
Vom Beinhaus her, so wie sie sei,
Hol' sie den Klapperhans herbei!
Die Lust'gen nahmen sie beim Wort,
Und ihr Gelächter währte fort,
Als sie schon eilte aus dem Haus
Zum Kirchhof in die Nacht hinaus,
Denn allen schien es ausgemacht,
Daß sie sich einen Scherz erdacht.
Da, ehe man noch glaubte dran,
Kam sie mit dem Geripp' heran.
Jetzt schwiegen, die zuvor gehöhnt,
Der Spott war ihnen abgewöhnt,
Und als die nächsten sich gefaßt,
Verwünschten sie den stummen Gast.
Gelassen an den alten Ort
Trug das Gebein die Mut'ge fort.
Laut priesen sie die tapfre Magd,
Die sich bewährt so unverzagt,
Und harrten ihrer Wiederkehr.
Da kam Geräusch vom Flure her,
Die Tür ging auf und – das Gebein
Schob langsam, klappernd sich herein,
Und starr vor Schrecken alles sah
Den bleichen Fremdling wieder da.
Zum ersten Male trug man ihn,
Nun fand den Weg er selber hin.
Die Dirnen drängten sich ins Eck,
Die Bursche standen bleich vor Schreck.
Das kühne Moidl kehrte jetzt
Und blickte nieder schier entsetzt
Auf ihn, den her sie sorglos trug;
Erbebend schnell ein Kreuz sie schlug.
Nun brach ein wirres Toben aus:
Die Mädchen kreischten voller Graus,
Laut scheltend drohte manch' Gesell
Der blassen Törin auf der Schwell',
Die schuld an all' dem Unheil war,
Und ratlos schien die ganze Schar:
»Wie endet's noch? Was mag geschehn!
Laßt eilig uns zum Pfarrer gehn!«
Den Ruf die Greisin auch vernahm;
Gebückt und müd' heran sie kam.
Da sie herzutrat, allsobald
War auch der wüste Lärm verhallt,
Und schweigend voll Erwartung sah'n
Des Jägers Mutter alle nah'n.
Als diese das Geripp' erschaut,
Es ihr im tiefsten Herzen graut:
Des Sohnes Mörder ist's fürwahr,
Den sie verflucht vor manchem Jahr.
Und auf's Gewissen fällt's ihr schwer:
»Dein Fluch hat ihn gebannt hieher!«
Erweicht dem Toten sie verzeiht
Ihr langes bitt'res Herzeleid.
Sie kniet sich nieder zum Gebet
Und fromm ihm ew'ge Ruh' erfleht –
Das Amen sprachen alle nach,
Und eh' noch an der Morgen brach,
Bedeckte ihn, der friedlos war,
Der Erde Schoß für immerdar.


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