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1872

Rom, 10. Februar

Anfang Januar starb Dönniges an den schwarzen Pocken. Wir begruben ihn an der Pyramide des Cestius. Nur ein paar Personen waren zugegen, Graf Tauffkirchen, ein Gesandtschaftsattache, Dehrenthal, Riedel, Lindemann und ich. Dönniges war Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften; er hatte die Regesten Heinrichs VII. aus dem Turiner Archiv herausgegeben. Er war der Vertraute des Königs Max, und auf seine Veranlassung hatte dieser Männer wie Liebig nach München berufen. Als Protestant war er den Ultramontanen tief verhaßt.

Von namhaften Italienern sah ich mehrere bei Donna Ersilia und bei Teano, wie Sella, Minghetti, Bonghi, Guerrieri Gonzaga, Übersetzer des Faust, Terenzio Mamiani. Bonghi ist Redakteur der ›Perseveranza‹, die während des letzten Krieges sich so feindlich gegen Deutschland verhielt; zugleich Professor der alten Geschichte in Mailand, ein Mann von viel Geist und sophistischer Routine.

Rosenkranz schickte zu mir einen jungen talentvollen Philosophen aus der Schule Veras: Rafael Mariano. Er hat einige philosophische Abhandlungen, auch eine Übersicht der modernen italienischen Philosophie geschrieben und diese Rosenkranz gewidmet. Als Charaktere derselben zählt er auf Galluppi, Rosmini, Gioberti, Auronio Franchi und fällt das Urteil, daß die gesamte moderne Philosophie Italiens, als noch in der Scholastik und dem Katholizismus befangen, außerhalb der wissenschaftlichen Bewegung stehe und bedeutungslos sei.

Den Italienern ist es nicht um objektive Wissenschaft zu tun, sondern um ihre Anwendung auf Leben und Staat. Der Kultus des Staats bei Hegel dürfte dasjenige sein, was ihnen diesen Philosophen so nahe gebracht hat.

Wenn Selbstkritik ein Symptom der Erneuerung des Volksgeistes ist, so sind die Italiener heute auf gutem Wege. Sie üben diese bis zum Zynismus an sich aus; sie decken schonungslos die Pudenda ihrer Nation auf. Übereinstimmend erkennen sie, daß der moralische Zustand des Volks im Widerspruch zu den politischen Erfolgen steht. Sie haben eine nationale Form wie über Nacht erhalten, und diese Form ist ohne Inhalt. Bis zur Selbstverzweiflung sprechen sie das aus: so urteilte selbst Mamiani, so Lignana. Der Satz ist richtig, daß eine politische Revolution fruchtlos bleibt ohne die sie begleitende moralische. Für diese fehlt es den Italienern an Gewissen und sittlicher Energie.

Der heutige Zustand Roms ist ein ganz unerhörter. Die Italiener haben sich der alten Hauptstadt der Christenheit bemächtigt und sie zum Zentrum ihres Landes erklärt, während in ihr das infallible Papsttum fortdauert als Todfeind ihres Nationalprinzips. Eine Brücke führt nicht über diese Kluft. Eine Versöhnung, so sagte mir Gonzaga, ist nur möglich, wenn sich das Papsttum transformiert. Nun, so wäre es die Aufgabe der italienischen Nation, dieses Papsttum zu transformieren. Aber wie soll sie das leisten, da sie nur ein politisches, d. h. äußerliches Verhältnis zur Kirche hat?

Der Vatikan fährt fort, das offizielle Gefängnis des Papsts zu sein, das heißt auch, der große Verschwörungsherd, wo man die Kräfte rüstet, mit denen das neue Italien zerstört werden soll.

Der König ist in Rom nur zu Gast. Einige Aristokraten scheinen ihre feindliche Stellung aufzugeben, aber Rospigliosi, Barberini und Borghese halten sich zurück; nur Orsini sah ich auf dem Ball, welchen Teano für die Prinzessin Margherita gab.

Graf Brassier de St. Simon ist als deutscher Gesandter hier beim italienischen Hofe, ein alter, fein aussehender Herr. Tauffkirchen ist der Nachfolger Arnims beim Papst und eben von Berlin eingetroffen. Es gibt doppelte Gesandtschaften in Rom, beim Taikun und beim Mikado. Die Gräfin Arnim kam aus Paris, um einige Wochen im Palaste Caffarelli zu verleben. Sie ist entzückt, wieder hier zu sein. Ihr Leben unter dem Druck des französischen Nationalhasses schildert sie als das eines wilden Tieres in einem eisernen Käfig, wie sie sich drastisch ausdrückte. Sie habe keinen Umgang. Niemand wolle etwas von ihr wissen. Nur Thiers und die Minister kämen offiziellerweise.

Eine Hofdame der Herzogin von Hamilton, Fräulein von Cohausen aus Baden, zeigte mir einen Fächer mit Sinnsprüchen beschrieben, wie das jetzt wieder Modespielerei ist. Ihr Vater, Oberst Cohausen, welcher für Napoleon Studien über Cäsar gemacht hat und mit ihm befreundet ist, besuchte den Exkaiser in Wilhelmshöhe und hatte seine Tochter mit. Napoleon schrieb auf ihren Fächer den bekanntesten Vers Dantes:

Nessun maggior dolore
Che ricordarsi del tempo felice,
Nella miseria.

Der Kaiser, vor dem einst Europa bebte, schrieb das einem jungen deutschen Mädchen in Wilhelmshöhe auf den Fächer. Es erschien mir als der tiefste Grad seines Falles und doch zugleich menschlich liebenswürdig, ja groß.

Viele Russen sind hier und viele Kurländer. Baron Uexküll kam wieder, der Senator Brevern, Graf Pahlen und Frau, Fürst Lieven, Oberzeremonienmeister des Kaisers, mit seiner Frau, ehemals Gräfin Pahlen und mir von früher her bekannt.

Der Herzog von Nassau ist hier. Er verkehrt nur mit ultramontanen Kreisen. Nardi, Merode und Visconti gehen bei ihm aus und ein, und dieselbe Gesellschaft sieht die Herzogin von Hamilton. Diese Dame erschien mir als eine mehr sentimentale als fanatische Papistin. Ich sah sie nur einmal. Meine Bemerkungen über die Notwendigkeit des Falles des Kirchenstaats schienen sie nicht sehr zu erbauen. Bei ihr ist ihre Tochter, die unglückliche Erbprinzessin von Monaco, von ihrem Mann geschieden, erst 19 Jahre alt.

Michele Amari kam, doch nur auf kurze Zeit, und Paolos Bruder, Antonio Perez, Deputierter beim Parlament.

Es ist Karneval. Diese Spiele scheinen abzulumpen, als etwas Veraltetes. Es ist weder mehr Luxus noch Geist noch Grazie darin.

 

Rom, 18. Februar

In den letzten Tagen des Karneval fand ein merkwürdiges Religionsgespräch über die Frage statt, ob S. Petrus jemals in Rom gewesen ist oder nicht. Die beiden Parteien bestanden aus evangelischen Geistlichen und katholischen Priestern, alle Italiener. Der Papst selbst hatte die Erlaubnis dazu erteilt, trotz vielen Widerspruchs einiger Kardinäle. Daß unter seinen Augen in Rom heute ein solches Religionsgespräch abgehalten werden konnte, und zwar über jene Kardinalfrage, ist ein signum temporis mutati. Die Streitenden versammelten sich im Saal der Accademia Tiberina unter dem Vorsitz des Prinzen Chigi. Jede Partei hatte ihre Stenographen. Man beobachtete mit Anstand alle Regeln eines akademischen Turniers. Die negativen Beweise, welche zumal Sgarelli und Gavazzi vorbrachten, erwiesen sich stärker als die anderen, welche Guidi in einer sehr schwachen Verteidigung gebrauchte. Seine Argumente stützten sich nur auf die Tradition der Kirche; er griff die Autorität der Bibel an und stellte die katholische Tradition über diese. Man bemerkte, daß am Ende des Disputs Ketzer und Katholiken sich die Hände reichten. Nun, da der Sieg nicht entschieden den Katholiken geblieben ist, macht man im Vatikan dem Papst die bittersten Vorwürfe; er hat auch die Fortsetzung solcher Diskussionen verboten. Dies sind nur Wortgefechte; selbst wenn es positiv zu erweisen wäre, daß Petrus nie in Rom gewesen ist, hebt man doch nicht mehr den tausendjährigen Bestand der Tradition und ihre historische Wirkung auf.

Ich lernte kennen Guerzoni, Deputierten von Brescia, welcher einen Artikel über Arnaldo di Brescia geschrieben hat.

Es kam Ludwig Bamberger, der sich Rom betrachten will. Er ist ein Mann in noch kräftigen Jahren, ich glaube kaum 50 alt, mit rotem Bart und Haar, geröteten Augen und etwas ermüdeten Gesichtszügen, von ruhiger Erscheinung. Im Gang hat er etwas Kraftloses oder fast Schleichendes, was mich an Rosenkranz erinnert. Er sagte mir, daß er in Versailles ein genaues Tagebuch mit Dokumenten angelegt habe, und dies wird, von einem so geistreichen und praktischen Mann verfaßt, sicherlich von hohem Wert sein.

Vorgestern begrub man mit großem Pomp den General Cugia, einen Sardinier, Adjutanten des Prinzen Umberto. Er war plötzlich im Quirinal vom Schlage getötet worden; die päpstliche Presse bemerkte mit boshafter Freude, daß dies das erste Opfer im Quirinal sei. Sie erwartet noch andere.

 

Rom, 18. März

Viele Menschen sind zu mir gekommen, ich lebte im Strudel der Gesellschaft. Noch nie war Rom so von Fremden überfüllt; zu gewissen Tagesstunden glaubt man eine Völkerwanderung zu sehen.

Prinz Friedrich Carl war einige Tage in Rom, im Palast Caffarelli. Von den hiesigen Deutschen nahm er keine Notiz. Man spricht davon, daß er eine politische Mission habe, und in der Tat beeilte sich auch Thiers, Fournier zum Gesandten beim italienischen Hof zu ernennen, worüber die Priester ungehalten sind. Friedrich Carl wurde sehr ausgezeichnet. Als er eines Abends im Apollotheater erschien, erhob sich das Publikum.

Durch den Senator von Brevern lernte ich viele Russen kennen, Schoulepnikow, Tschurbatow, Buturlin, die Gräfin Anrep, die Hofdame von Euler, Enkelin des berühmten Mathematikers. Die Größe des Reichs und der Bezug zum Orient gibt den Russen eine gewisse Weite des Gesichtskreises, wenn diese auch nur geographischer Natur ist; denn der Kulturprospekt Europas fehlt.

Es kam auch Smyrnow, der Sohn der Frau von Smyrnow römischen Angedenkens, jetzt ein aufstrebender junger Mann. Er ging von hier nach Tiflis, welches alle Russen als das Zentrum eines werdenden Kulturstaats im Osten preisen.

Prokesch Osten kam, jetzt außer Dienst, da er den Posten des Botschafters in Konstantinopel niedergelegt hat; ein Greis von 77 Jahren, aber von jugendlicher Lebendigkeit – die Augen blitzen von Geist. Baron Hügel nennt ihn den Don Juan des Ostens, eine Natur von unerschöpflicher Sinnlichkeit. Vor einigen Jahren brach er auf der Treppe eines Palasts bei Konstantinopel beide Knie, doch mehrmals stieg er die 104 Treppenstufen zu meiner Wohnung hinauf. Er ist einer der interessantesten Männer, die ich gesehen habe. Den Orient und Griechenland kennt er genau, denn seit 1824 lebte er dort wiederholt jahrelang; ich glaube, seit 1855 war er Gesandter in Konstantinopel. Er rühmt den moralischen Charakter der Türken und haßt die Griechen; nach dem Aussterben der großen Männer ihres Freiheitskrieges sei nur Schund übriggeblieben.

Von der Union der griechischen Kirche mit der abendländischen, welche mir Père Hyacinthe eben als leicht ausführbar geschildert hatte, wollte er nichts hören: dies sei eine Hypothese Döllingers, welche jedoch durch die Leidenschaften wie die Denkweise der Orientalen widerlegt werde. Es gebe kein orientalisches Christentum als Körperschaft; alle christlichen Völker oder Sekten hassen einander auf den Tod. Die humanitäre Idee der Einheit der Religion sei ein heidnischer Begriff, vom römischen Reich her genommen. Prokesch erzählte, daß vor kurzem der Sultan in seinem Beisein viele Patriarchen empfangen und ihnen wie ein zweiter Nathan gesagt habe: »Wenn Gott gewollt hätte, daß nur eine Religion sei, so würde es nur eine auf Erden geben; nun da er es nicht gewollt hat, verehre jeder auf seine Weise Gott mit Gottesfurcht, so wird er ihm und mir am besten dienen.«

Prokesch anerkannte, daß die katholische Kirche einer Transformation entgegengehe, welche sie an sich vollziehen müsse, wenn sie nicht untergehen wolle. Er anerkannte die grenzenlosen Irrtümer des Papsts in Betreff des Konzils und seiner öffentlichen Herausforderung der Zivilisation, als deren prinzipiellen Feind er sich bekannt habe. Dieselben Worte hatte mir kurz vorher Père Hyacinthe gesagt und hinzugesetzt, daß Ranke in München geäußert habe, diese rücksichtslose Kriegserklärung des Papsttums sei eine in der Geschichte bisher unbekannte Tatsache.

Hofrat Urlichs aus Würzburg besuchte mich und Professor Jordan aus Königsberg, beide Archäologen auf verschiedenem Standpunkt.

Der Prinz Carl von Baden kam mit seiner jungen Frau, dem ehemaligen Fräulein von Beust, welche Hofdame seiner Schwägerin gewesen war. Diese Heirat hat viel böses Blut gemacht; der Großherzog war entschieden dagegen; doch machte er die Dame zur Gräfin von Rhena. Ich war mit ihnen zu Tisch bei der Gräfin Anrep.

Ignazio Ciampi lud mich zu seiner ersten Vorlesung über moderne Geschichte in der Sapienza ein, der ich beiwohnte, in Folge wovon Terenzio Mamiani zu mir kam. Ciampi ist Advokat und Richter, in den historischen Wissenschaften ohne Studium, doch ein sehr begabter Mensch. Ich sagte Mamiani, daß es nötig sei, gediegene Gelehrte an die hiesige Universität zu berufen, und er erwiderte, daß es schwer sei, solche aufzutreiben. Der Mangel der »Schule« ist in Italien sehr fühlbar, und dies erklärte Mamiani aus dem eingebornen Individualismus der Italiener, welche nicht wie die Deutschen sich der Schulmethode fügten. So sei es immer gewesen; jeder suche und gehe seine eigenen Wege. Ich glaube, in den Künsten war dies nicht der Fall, und daher leisteten die Italiener auch mehr in ihnen als in den Wissenschaften.

Am 10. März starb zu Pisa Mazzini, der intellektuelle Stifter der Einheit dieses Landes, welche dann Cavour auf monarchischem Wege wirklich gemacht hat. Trotz seiner eminenten Verdienste um sein Vaterland ging Mazzini zu Grabe unter dem Bann des sittlichen Urteils der Welt. Er verhält sich dazu als Person gerade so wie das Buch vom Fürsten Machiavellis; beide exkommunizierte man offiziell, und man bediente sich ihrer de facto.

Alle Städte Italiens feierten das Gedächtnis des großen Patrioten, doch dieses war wesentlich das Werk der Demokratie, obwohl sich hie und da auch die Magistrate beteiligten.

Am 17. März fand die Feier in Rom statt. Zahllose Gesellschaften mit ihren Fahnen zogen von der Piazza del Popolo nach dem Kapitol, wohl 10 000 und mehr. Den Schluß machte ein von vier weißen Pferden gezogener Triumphwagen, worauf die Büste Mazzinis stand, gekrönt von einer trauernden Italia. Der Wagen war umringt von Menschen, welche weiße Papierbogen trugen, auf denen die Namen der Märtyrer Italiens geschrieben standen, darunter auch die des Monti und Tognetti, jener garibaldischen Pulververschwörer, die der Papst im Jahr 1868 hatte hinrichten lassen.

Auf dem Kapitol wurde die Büste in Empfang genommen, um zwischen Kolumbus und Michelangelo aufgestellt zu werden. Avezzana und Cairoli hielten Reden. Cairoli gedachte dessen, daß auf diesem Lokal Cola di Rienzo gefallen sei.

Ich sah diese Demonstration von der unteren Terrasse des Pincio, wohin ich Fräulein von Euler und vor Dewitz begleitet hatte. Ihr Hintergrund war von diesem Standpunkt aus der Vatikan.

Der Magistrat (Grispigni ist Syndikus) hatte sich an der Feier nicht beteiligt, überhaupt niemand von offizieller Seite. Die Regierung tat weise, sie zu dulden; nirgends sah man Polizei. Alles bewegte sich mit römischem Takt vorwärts. Viel unterirdisches Volk von den extremsten Sorten sah man, doch nahmen an der Demonstration auch Bürger und Vereine gemäßigter Farbe Anteil. Die reduci dei Vosgi führte Ricciotto Garibaldi. Auch Frauen sah man einherziehen.

Eines Tags führte ich Brevern und Schoulepnikow nach dem Aventin. Man muß scheiden von diesen stillen Hügeln; ihre Einsamkeit und ihr poetischer Zauber wird bald zerstört sein. Man will sie mit Gebäuden bedecken. Auf dem Coelius wird man Straßen bauen. Auf Esquilin, Viminal und Quirinal soll das neue Rom entstehen. Oft gehe ich nach dem neuen Quartier Ai Termini, wo nun die Via Nazionale im schnellen Fortschreiten begriffen ist. Aber die großen Gebäude, die man dort aufführt, sind nur kasernenartige Häuser. Die eine Seite ist fast fertig; schon sind Trottoirs gelegt und auf ihnen selbst Bäume gepflanzt worden.

 

Rom, 1. April

Das Osterfest ist still dahingegangen. Auch diesmal kam der Papst nicht in den St. Peter, noch segnete er von der Loge die Feinde, wie Christus dies geboten hat. Fortdauernd macht er das Amt seines Priestertums abhängig von seiner weltlichen Gewalt.

Wenn sich die Priester einbilden, daß dies Aufhören der Osterschauspiele im St. Peter Rom veröden werde wie in den Zeiten des Mittelalters, so haben sie sich getäuscht. Die Stadt ist selten so überfüllt von Fremden gewesen.

Georg Schweinfurth, der tapfere Afrika-Reisende, kam hierher von Malta und Sizilien, nachdem er schon vor einem Jahre das Innere Afrikas verlassen hatte. Bis zum dritten Grade unter dem Äquator war er vorgedrungen. Er ist ein junger Mann von höchstens 30 Jahren, von sehr angenehmem Äußeren. Der Expedition Bakers prophezeit er kein Glück. Er geht nach Berlin, wohin er seine Sammlungen geschickt hat; dort will er seinen Reisebericht abfassen und endlich in Kairo seinen Sitz nehmen.

Graf Panin kam und erzählte viel von Tiflis und dem Kaukasus, wo er jahrelang gelebt und die dortigen Sprachen studiert hat.

Gestern verließ Arnim Rom mit großem Bedauern, nachdem er hier sieben Jahre in den angenehmsten Verhältnissen gelebt hat. Sein Abschied vom Papst wird peinlich genug gewesen sein. Arnim ist jetzt, was er früher nicht war, der entschiedenste Gegner des Papsttums. Er sagte mir, daß Bismarck mit Energie gegen den Ultramontanismus einschreiten werde, und daß er hoffe, man werde ein Gesetz machen, welches die Austreibung der Jesuiten aus Deutschland ermöglicht.

Der Minister des Unterrichts Correnti forderte mich durch ein Schreiben auf, den Sitzungen der Giunta beizuwohnen, welche wissenschaftliche Anstalten und dergleichen berät, damit darüber aus der Kammer Gesetze hervorgehen. Ich ging zur Sitzung in den Palast Capranica am 26. März. Präsident ist Michele Amari; die Giunta hat folgende Mitglieder: Cesare Cantù, Don Luigi Tosti von Monte Cassino, Ricotti von Turin, Minervini und Fiorelli von Neapel, Tabbarrini, Direktor des Archivio Storico, Graf Conestabile von Perugia, Professor Govi, Rosa von Rom und Dr. Henzen. Es wurde ein Reglement über Ausgrabungen und Monumente besprochen.

Am Tag darauf ging ich zum Minister und legte ihm einen Plan wegen der Ordnung und Inventarisierung der Archive in und außer Rom vor.

Der alte Kirchenrat Hase aus Jena ist gekommen; auch der Erbprinz von Weimar nebst seinem ehemaligen Hofmeister von Wardenburg. Er hat seine Braut, die Prinzessin von Oldenburg, besucht, welche sich bei den Nassauern aufhält.

Augenblicklich ist ein ganzer Schwarm von Fürstlichkeiten hier: der König und die Königin von Dänemark, der Prinz von Wales und Gemahlin, der nassauische Hof, der Kronprinz von Hannover, die Fürstin von Rumänien, welche krank ist, Prinz Reuß etc.

Gestern schickte ich den Bogen 38 des letzten Bandes der ›Geschichte der Stadt Rom‹ ab; noch 2 ½ Korrekturbogen, und dann ist auch dies vollendet.

 

Rom, 7. April

Am 1. April starb der einzige Sohn des Marquis de Tallenay an der Diphteritis.

Am 4. April begruben wir Parthey aus Berlin, welcher am 2. auf dem Kapitol gestorben war, im Alter von 74 Jahren. Ich hielt ihm die Grabrede, gedachte darin seiner Wanderungen an den Küsten des Mittelmeers und seiner Forschungen in Bibliotheken Italiens. Noch vor wenigen Jahren hatte er eine neue Ausgabe der ›Mirabilia Urbis Romae‹ gemacht und diese mir gewidmet. Parthey war von der Mutter her ein Enkel Nicolais. Seine ansehnliche Bibliothek hat er dem archäologischen Institut in Rom vermacht.

Gestern wohnte ich dem Vortrag des Père Hyacinthe im Saal der Argentina bei, wozu mich Fräulein von Euler eingeladen hatte. Er sprach über die Beichte. Er ist ein sehr gewandter Redner, schöne Worte, aber wenig Gedanken. »Nichts als die rötliche Blum' Hyakinthos,« wie Elisabeth von Wrangel gut sagte. Reformieren wird ein solcher Mann die Kirche nicht. Die Altkatholiken stellen deren Zustand seit dem Dogma der Infallibilität so dar, daß hinter dieser Grenze alles wie ein goldnes Zeitalter erscheint, vor ihr aber nichts als Verderben. Indeß diese Grenze ist bis zur Lächerlichkeit imaginär. Ein Österreicher sagte mir letzthin folgendes: Vor der Infallibilität glaubten die Katholiken auf das Gebot des Papsts, daß 2 mal 2 = 7 sei, nun er aber verlangt zu glauben, daß 2 mal 4 = 9 sei, weigern sie sich, dies zu tun. Kein Dogma ist in der Menschenwelt von jeher weiter verbreitet gewesen als das der Infallibilität; jeder will infallibel sein, der König, der General, der Richter, der Professor auf dem Katheder, der Arzt etc.

Die letzten Druckbogen des Textes meiner ›Geschichte der Stadt‹ sind eingetroffen und heute am Sonntag in Albis sende ich sie nach Augsburg zurück.

 

Rom, 9. Mai

Neue Arbeiten habe ich in den Archiven der Stadt begonnen, von denen immer mehr mir zugänglich werden.

Corvisieri führte mich in das Archiv Sancta Sanctorum, welches im Palast Nardini verwahrt wird; es ist sehr reichhaltig.

Ich arbeitete einige Tage im Senatorenpalast in der Kanzlei des Notars Witte, wohin ich mir Handschriften aus dem Kapitol bringen ließ.

Sodann erlangte ich durch den Notar Filippo Becchetti Zutritt zum Archiv der Notare des Kapitols, wovon er Archivar ist. Seit Sixtus V. ist dasselbe im Kapitol aufgestellt, und seit diesem Papst bilden die kapitolischen Notare ein Kollegium von 30 Mitgliedern. Ihnen gehört das Archiv, dessen Protokolle mit 1400 beginnen und bis auf den heutigen Tag fortgeführt sind. Die Bände in weißem Pergament tragen auf dem Rücken die Namen der Notare, welche darin ihre Schriften niedergelegt haben.

Ich nahm das kostbarste dieser Regesten, das von Camillo Beneimbene (von 1467 bis 1505), ins Studium des Notars Becchetti, und dort kopiere ich seit einer Woche viele Urkunden.

Ich habe den Plan gefaßt, das Leben der Lucrezia Borgia zu schreiben: dies soll meine Erholung von der ›Geschichte der Stadt Rom‹ sein.

Dem Unterrichtsminister Correnti habe ich ein Promemoria über die Archive Roms und der drei römischen Provinzen Campania, Marittima und Patrimonium Petri, eingereicht, und sodann in der Aprilsession der Kommission den Antrag gestellt:

  1. eine Spezialkommission zu bilden, welche jene Archive überwachen und registrieren soll;
  2. ein periodisches Journal zu gründen unter dem Titel ›Archivio Storico Romano‹, woraus mit der Zeit ein ›Codex Diplomaticus urbis Romae‹ hervorgehen könne.

Die Versammlung nahm den ersten Vorschlag einstimmig an und ging über den zweiten einstweilen hinweg. Anwesend waren auch De Rossi und Visconti.

 

Rom, 2. Juni

In dieser Zeit habe ich im Studium des Notars Dr. Becchetti gearbeitet (Nr. 13 Via di Metastasio), wo ich täglich in der Schreiberstube Akten aus dem Protokollbuch Beneimbenes kopierte. Ich bin im Besitz vieler unbekannter Instrumente, Lucrezia Borgia betreffend, wie anderer merkwürdiger Aktenstücke aus jener Zeit.

Durch Vermittlung des Marchese del Cinque wurde mir das Archiv der Confraternitas von Santo Spirito geöffnet, und dort bin ich seit einigen Tagen am Vormittag.

Band VII der ›Geschichte‹ habe ich für die zweite Auflage mit vielem Merkwürdigen bereichern können.

Unterdeß kam der Kultusminister Correnti zu Fall; die Konservativen, Lanza selbst, stürzten ihn in Folge seiner Vorschläge über die Abschaffung der Religionslehrer in den Schulen und den obligatorischen Religionsunterricht. Die konservative Partei sucht einen Kompromiß mit dem Vatikan. Ich habe es immer gesagt, daß die beständige Berührung mit dem Pfaffentum die italienische Regierung moralisch vergiften wird.

Es waren hier von Freydorf, badischer Minister, und die Prinzessin Salm, welche durch ihre Energie in Mexiko berühmt geworden ist. Sie verlor ihren Mann in der Schlacht bei St. Privat; eine noch junge Frau, bleich und unruhig, mit schönen Augen; sie spricht deutsch mit englischem Akzent. Als Krankenpflegerin hatte sie schon den amerikanischen Krieg mitgemacht und war als solche in Saarbrücken, als ihr Mann fiel. Sie erzählte eines Abends bei Frau Lindemann viel Merkwürdiges über den unglücklichen Maximilian.

Man macht Ausgrabungen in einer Vigna am Quirinal; hohe Mauern sind bloßgelegt, wahrscheinlich von den Thermen Konstantins. Ich nahm etwas von dem köstlichen Marmor mit, welcher dort aufgehäuft liegt, und ließ mir daraus Schalen und Steine schneiden.

Die Ausgrabung im Forum schreitet vor. Man scheint auf den Tempel Cäsars gekommen zu sein.

Die Area für das neu zu bauende Finanzministerium bei Porta Pia wird hergestellt. Dort kamen einige Säulen zum Vorschein. Man wühlt und gräbt in Rom täglich; selbst den Tiber will man reinigen. Dort müßte man mindestens 40 Fuß tief graben, um alte Schätze herauszuheben.

 

Rom, 5. Juli

Anfangs Juli nahm Professor Ignazio Ciampi in einer Vorlesung an der Universität Gelegenheit, über meine ›Geschichte der Stadt Rom‹ zu reden, mir den Dank Roms auszusprechen und zu sagen, daß es Pflicht sei, jetzt, wo der Kronprinz und die Kronprinzessin Italiens in Berlin seien, in Rom einen Deutschen zu ehren.

Diese liebenswürdigen Worte brachten, in Verbindung mit dem Erscheinen der venezianischen Bände, eine gewisse Wirkung in Rom hervor, welche noch fortdauert. Zuerst faßte man den Gedanken, eine Eingabe an den Gemeinderat zu machen, mir das Ehrenbürgerrecht zu erteilen. Alessandro Manzoni, Terenzio Mamiani und Gino Capponi sind neuerdings zu Ehrenbürgern Roms gemacht worden. Der Civis Romanus würde der höchste für mich mögliche Titel der Ehre sein.

Am 23. Juni war ich aufs Kapitol gegangen, um Forcella, den Sammler der römischen Inschriften des Mittelalters, dem Marchese Francesco Vitelleschi für eine Sekretärstelle zu empfehlen. Vitelleschi machte mir Mitteilung von dem Plan, meine ›Geschichte der Stadt‹ als ein zu Rom gehöriges Werk auf Kosten des Municipiums in italienischer Übersetzung herausgeben zu lassen.

Er hat den Antrag dahin formuliert: »Das römische Municipium beschließt, den Verfasser der ›Geschichte der Stadt Rom‹ dadurch zu ehren, daß es die Kosten der italienischen Ausgabe seines Werks übernimmt.« Der Präfekt Roms, Gadda, an welchen der Antrag zuerst gelangen mußte, bestätigte den Druck desselben; und gestern in der Nachtsitzung des Stadtrats sollte er zu den Boten gelangen, über deren Einstimmigkeit Vitelleschi sicher war.

Als mir 1865 Antonelli in Venedig durch Vermittlung Fulins den Antrag der italienischen Ausgabe meiner ›Geschichte‹ machte, konnte ich nicht ahnen, daß der Sturz des Papsttums in Rom nahe sei; ich war froh, daß ein italienischer Buchhändler so viel Mut hatte, und überließ ihm das ausschließliche Druckrecht. Ich beanspruchte nur die Summe von 250 Francs für jeden Band, als Symbol meines Autorrechts. Der erste Band der Übersetzung Manzatos erschien 1866; die Fortsetzung unterblieb, und Antonelli machte außerdem Bankerott. Im Jahre 1869 trat als sein Administrator Rebeschini ein, worauf der Kontrakt erneuert wurde und im Frühjahr 1872 der zweite Band erschien.

Ich bin in der Fessel dieses Vertrags. Wenn ich von ihm befreit wäre, so würde heute das Werk in einer von der Stadt Rom selbst veranstalteten und unter meinen Augen besorgten Ausgabe erscheinen können.

 

Rom, 11. Juli

Rebeschini ist hierher gekommen. Wir haben einen Modus gefunden oder eine neue Basis für den Vertrag.

Gestern kam zu mir Marchese Carcano mit dem Ersuchen, ihm die Übersetzung der neuen Ausgabe der ›Geschichte‹ zu übertragen, was ich natürlich ablehnte.

 

Traunstein, 10. September

Am 11. Juli bin ich in Begleitung Corvisieris bis Foligno gefahren. Dann nach Innsbruck; dort blieb ich den 13. und reiste am 14. nach Traunstein. Diesen Ort wählte ich auf Anraten des Dr. Seitz, um daselbst Salzbäder zu gebrauchen.

Wälder, Berge und der Fluß Traun machen den Aufenthalt hier angenehm.

Am 13. Juli ist der Antrag Vitelleschis vom römischen Stadtrat einstimmig angenommen worden.

Am 7. August machte mir der Syndikus von Rom, Venturi, davon Anzeige, und ich schickte ihm von hier aus am 17. August ein Schreiben. Die ›Opinione‹ veröffentlichte dies, worauf die ›Allgemeine Zeitung‹ es in meiner eigenen Übersetzung abdruckte. Es lautet:

»Ich bin im Besitze Ihres gütigen Schreibens vom 7. August und der Kopie des ehrenvollen Antrags, welchen die Gemeinde-Junta den Herren Stadträten vorgelegt hat. Sie bestätigen mir, daß der Stadtrat mit gleich großmütigem Impuls öffentliche Mittel dekretiert hat zur schnellen Vollendung des italienischen Drucks meiner ›Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter‹. Die ungewöhnliche Ehre, die meinem Werk erteilt worden ist, bewegt mich zu soviel Freude als Dank; von diesen meinen Empfindungen bitte ich Sie, hochgeehrter Herr, den anderen Herren vom Rate der Stadt Zeugnis zu geben. Indem dieselben mein Werk unter den Schutz des Municipiums von Rom stellten, haben sie ihm den höchsten mir nur irgend wünschenswerten Preis zuerkannt; aber sie bekundeten zugleich als wahre Römer vor der literarischen Welt, daß Rom von neuem die Beschützerin der Wissenschaften in Italien sein wird. So hoher Gunst kann ich heute nur mit der Hoffnung begegnen, durch mein Werk Italien einen wissenschaftlichen Dienst zu leisten, und so viel als ich vermag zur Ermunterung der historischen Studien in Rom beizutragen, welches, nach Jahrhunderte langen Leiden und Kämpfen ohnegleichen, endlich die Hauptstadt des geeinigten Italiens geworden ist. Und jene Kämpfe bilden den wesentlichen Inhalt meines Werks. Ich widmete diesem die besten Jahre meines Lebens, doch reichten meine schwachen Kräfte für eine so große Aufgabe nicht aus. Gleichwohl beruhigt mich der Gedanke, daß ich wenigstens den Grund zur Zivilgeschichte der Stadt Rom im Mittelalter legen konnte, welche bisher ganz vernachlässigt war. Auf ihm mögen künftighin römische Geschichtschreiber von mehr Kraft, als ich sie besaß, ein historisches Denkmal errichten, welches Roms würdig sei. Ich selbst werde glücklich sein, wenn mein Werk als das erste und nicht ganz ungenaue Gemälde jener großen Epoche der Stadt gelten darf, worin Italien und Deutschland, obwohl gefesselt durch die Dogmen des Reichs und der Kirche, unter Krieg, Haß, Schuld und Buße, dennoch eine neue Zivilisation geschaffen haben. Aber den glücklichsten der Geschichtschreiber wollte ich mich nennen, wenn mein Werk, entsprungen, wie es ist, aus der doppelten Liebe zu meinem Vaterland und zur ehrwürdigen Mutter Rom, irgendwie als ein Symbol der Freundschaft gelten könnte, welche jetzt, wo die Ursachen der alten Irrtümer für immer getilgt sind, das freie Italien mit dem freien Deutschland verbindet. Denn wie beide große Nationen Jahrhunderte lang ein ähnliches Mißgeschick erduldet haben, so sind sie auch in gleicher Zeit zu ihrer vollen Freiheit und Einheit wieder erstanden. Sie richteten sich auf, die eine durch Hilfe der anderen, und wie sie Genossen in dem harten Kampf um ihre nationale Erneuerung gewesen sind, so sind sie es auch in dem siegreichen Erfolg. Diese ihre fast wunderbare Wiedergeburt ist der herrlichste Sühneakt, den die Geschichte der Völker jemals gefeiert hat, und sie scheint deutlich zu verkündigen, daß Italien und Deutschland zu der hohen Mission berufen sind, fortan als befreundete Geschwister mitzuschaffen an dem großen Friedenswerk der Kultur.«

 

München, 11. November

Vom 12. September bis heute lebte ich hier, in einem Privatlogis. Es waren öde Wochen, worin nichts in mir und um mich sich ereignet hat. Lücken in meiner Lektüre stellte ich her, beschäftigte mich mit darwinistischen Schriften und las hier auch die Literaturgeschichte Hettners vom 18. Jahrhundert.

Ich erhielt von den Bürgermeistern von Modena und Vignola Einladungen zum 200jährigen Jubiläum Muratoris und dankte durch einen Brief.

Am 2. November hielt ich einen Vortrag in der Akademie der Wissenschaften über das Archiv der Notare des Kapitols.

Ich lernte den Geschichtschreiber Waitz kennen, einen stattlichen Mann von größerer Art, als sonst deutsche Professoren zu haben pflegen.

Mit Döllinger habe ich meine gewohnten Spaziergänge fortgesetzt, oft drei Stunden lang, wobei er nie ermüdete. Döllinger ist ein einseitig großer Gelehrter, aber nur ein Verstandesmensch. Ohne das Feuer des Glaubens, welches vom Herzen strömt, kann kein Reformator gedacht werden. Döllinger besitzt keine einzige Eigenschaft dazu. Die altkatholische Bewegung ist nur eine kleine Empörung auf einem Schulkatheder.

Mit Fröbel war ich öfter zusammen. Ein schöner Mann, der die Welt kennt, nicht an seinem Platze ist und in untergeordneter Tätigkeit verkommt, als Redakteur der ›Süddeutschen Presse‹, die jetzt zwecklos ist.

Ich komme mir in München vor wie in einem luftleeren Raum; weder durch Erlebnisse noch durch Schöpfungen konnte ich solches Vakuum ausfüllen.

Endlich ist der Schlußband der ›Geschichte der Stadt‹ fertig geworden. Durch die Versetzung des Dr. Franz Rühl, welcher mir das große Opfer bringt, das Inhaltsverzeichnis anzufertigen, nach Dorpat, erlitt der Druck desselben eine Verzögerung. Bis zum letzten Augenblick dauerten die Stürme über diesem Werk fort. Am 8. November schickte ich den letzten revidierten Bogen nach Augsburg zurück. So ist die Vollendung erreicht. Ich kann getrost nach Italien abreisen.

 

Venedig, Luna, 23. November

Am 12. verließ ich München – meine Straße dort war von Militär abgesperrt, wegen der Schwindelbank Spitzeder, die mit Beschlag belegt wurde. Es fiel der erste Schnee; alles Land zeigte sich schneebedeckt bis gegen Brixen.

Am 13. traf ich in Venedig ein. Seither hatte ich hier schöne Tage. Ich arbeitete vormittags in der Marciana, nachmittags bei den Frari. Dort fand ich fünf Bände Korrespondenzen aus der Renaissance-Zeit, woraus ich Auszüge machte.

Meine Angelegenheit mit dem Hause Antonelli, die Übersetzung der ›Geschichte der Stadt‹ betreffend, fand ich ganz vernachlässigt. Ich sah, daß man nichts tun wollte, und stellte deshalb ein Ultimatum; im Falle der Nichtannahme drohte ich, mit Prozeß einzuschreiten. Dies wirkte. Antonelli zeichnete das von mir verlangte obligatorische Schriftstück dieses Inhalts:

Band III wird ausgegeben nicht später als im Januar 1873; die folgenden Bände in ununterbrochener Reihe, zu je sieben Monaten Frist für jeden. Kommt der Drucker dieser Verpflichtung nicht nach, so fällt der zwischen mir und ihm gemachte Vertrag zu Boden. Auch verstand sich der Buchhändler, auf Grund der gesteigerten Möglichkeit des Absatzes unter so günstigen Zeitverhältnissen, zu einer Mehrzahlung von 2000 Francs an mich, von welcher Summe ich die Hälfte dem Übersetzer als freiwillige Remuneration bestimmt habe.

 

Rom, 25. Dezember

Am 24. November ging ich von Venedig nach Mantua, wo ich vier angenehme Tage zubrachte. Ich arbeitete im Archiv Gonzaga, kopierte viele merkwürdige Urkunden und lernte treffliche Männer kennen wie Portioli Attilio, den Vorstand des Museo Civico, Professor Jutra und Graf Arrivabene, einen Zeitgenossen Silvio Pellicos. Er war von Österreich zum Tode verurteilt worden, flüchtete nach Frankreich und lebte dort lange im Exil: ein Mann von jetzt 85 Jahren, aber noch frisch und kräftig. Portioli hatte mir einen figurierten Plan der Stadt Rom im Museo Civico gezeigt, den ich als ein Werk der Renaissance erkannte: ich habe den Gedanken angeregt, ihn auf Kosten des Municipium Mantuas herauszugeben.

Am 28. fuhr ich neun Stunden lang durch überschwemmtes Land mit der Post nach Reggio. Ich verbrachte die Nachtstunden bis 3 Uhr morgens im Wartesaal zu Bologna und fuhr dann nach Rom über Florenz.

Um 7 Uhr abends am 29. November traf ich hier ein.

Seither gehe ich in gewohnten Geleisen. Ich fühle mich behaglicher; das köstliche Bewußtsein, mein Lebenswerk vollendet zu haben, hebt mich über viele Miseren des Tags hinweg. Ich bin träge, vielleicht nur müde. Ich will zusehen, ob ich mich im neuen Jahre zu neuer Tätigkeit aufraffen kann.

Rom ist fast leer, bei ewigem Scirocco. Wenig Menschen von Bedeutung kamen mir entgegen. Amari, Gonzaga sind hier. Graf Cosilla kam auf eine Stunde. Seine Übersetzung meiner ›Wanderjahre‹ ist unter dem Titel ›Ricordi storici e pittorici‹ erschienen, in zwei Bänden, und sie ist nicht vollständig, auch nicht gut zu nennen.

Ich fand den Palast Sermoneta verödet. Die Herzogin starb im Sommer; obwohl sie nur ein Schattenbild war, bildete sie doch den moralischen Mittelpunkt des Hauses. Nun ist der blinde Herzog in die Abhängigkeit seiner Kinder geraten, die, obwohl trefflich, ihrer schweren Aufgabe nicht gewachsen sein können.

Aus der ›Allgemeinen Zeitung‹ druckte die ›Gazzetta Ufficiale d'Italia‹ den Schlußartikel der ›Geschichte der Stadt‹ ab und beging denselben Irrtum zu sagen, daß man mir zum Dank für mein Werk das römische Bürgerrecht erteilt habe.

Vitelleschi stellte mich dem jetzigen Syndikus von Rom, Graf Pianciani (von Spoleto), auf dem Kapitol vor. Ich dankte ihm, als dem Haupt der Municipalität, persönlich für die meinem Werk erwiesene Ehre.

Am 5. Dezember kamen die ersten Korrekturbogen Bandes VII zweiter Auflage, und schon erhielt ich deren 20.

Mit dem Jahre 1872 schließt eine runde Zeitepoche von 20 Jahren römischen Lebens für mich ab. Ich blicke mit Befriedigung auf diesen langen Weg zurück, wo ich mich unter unsagbaren Mühen ans Licht emporgearbeitet habe. Meine Lebensaufgabe ist vollendet, und mein Werk zugleich von der Stadt Rom selbst als ihrer würdig anerkannt worden. Ich fühlte mich niemals so frei und so glücklich.


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